Auf der Hauptstraße angekommen, schaute er sich suchend nach den Zwergen aus dem Osten um. Es war bereits dunkel und finstere Wolken schluckten die aufkommenden Strahlen des Mondes. Mathan sah kurz ein paar Elben der Stadtwache dabei zu, wie sie kleine Lämpchen entzündeten, die an den Häuserwänden hingen. Mit weiten Schritten lief er schließlich zu dem großen Marktplatz im Zentrum der Stadt, in der Hoffnung einer der Zwerge dort zu finden. Als er durch das weit geöffnete Tor trat, musste er sogleich schmunzeln. Auf dem großen Sockel in der Mitte des Platzes erkannten seine Elbenaugen einen Zwerg, der es sich mit einem großem Laib Brot und einem ebenso großen Stück Käse gemütlich gemacht hatte. Mathan wich einem Bautrupp aus, der mit vier Mann einen besonders langen Baumstamm über den Markt in Richtung des Palastvorplatzes trugen und trat an den Zwerg heran. Sie erkannten einander. Es war Lorim, das erkannte Mathan an dem schwarzen Haar und dem relativ kurzen Vollbart, der aber dennoch mehr als die Hälfte des Gesichts verbarg. Der Zwerg nahm einen kräftigen Zug aus einer dampfenden Pfeife, biss etwas von einem Stück Trockenfleisch ab und winkte ihn näher. Mathan überwand die paar Schritte zu dem Sockel rasch und nickte knapp zum Gruß.
„Meister Elb!“, begrüßte ihn Lorim kauend und wedelte mit seinem Trockenfleisch umher, „Ich hätte nicht gedacht, dass ihr hier so etwas in den Lagern habt.“ Er grinste feixend unter seinem struppigen Bart. „Auch wenn es nicht ganz so würzig ist, wie ich es gewohnt bin – aber besser als bei den Mensch‘n.“
„Lorim“, erwiderte Mathan den Gruß und sagte mit einem leichten Grinsen: „Nun, dass Elben kein Fleisch verzehren ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Allerdings gibt es viele, die darauf verzichten, aber das kenne ich eher von den Hochelben. Die Avari können sich das nicht leisten…“ Er verstummte, als er den gelangweilten Blick des Zwerges sah.
Lorim winkte ab (noch immer mit dem Trockenfleisch in der Hand) und sagte, dass er wusste, dass die Elben im Osten kaum Ackerbau betreiben konnten und eher die Gaben des Waldes verzehrten, dazu gehörten auch Wildtiere. „Aber deswegen sitze ich hier nicht. Grám sagte, dass er und Andak in einem Gasthaus am westlichen Torplatz auf Euch wartet. Im Lorbeerblatt.“
Mathan hatte schon davon gehört, als einige Soldaten auf dem Heimweg davon gesprochen hatten, sich dort einen Winterwein zu gönnen. „Und Ihr kommt nicht mit?“
Der Zwerg schüttelte den Kopf und biss ein großes Stück von seinem Laib Brot ab. Einige Krümel prasselten in seinen Bart, während er mit vollem Mund sagte: „Zu viele Spitzohren. Ich habe zwar nichts gegen euch, aber ich mag es nicht, mich anglotzen zu lassen. Da bleibe ich lieber alleine.“
„Verständlich“, antwortete Mathan und wandte sich halb ab, blieb aber stehen, als er ein paar Tropfen in seinem Gesicht spürte, „Vielleicht solltet Ihr aber dennoch irgendwo einkehren, Lorim, es regnet gleich.“
Er hörte den Zwerg fluchen und wie er seine Sachen zusammenpackte. Mathan verabschiedete sich und wandte sich gen Westen, auf einer der kleinen Nebenstraßen. Nach einem kurzen Blick fand er eine Stadtwache und trat zu ihr. Es waren zwei gerüstete Elben, die die Lampen entzündeten. Mit knappen Worten bat er sie, einen Boten in den Palast zu schicken, um Valena zum Lorbeerblatt zu bringen. Die beiden – ein Mann und eine Frau, blickten sich kurz an, verneigten sich knapp und sagten aber dabei, dass sie noch die Straße fertig beleuchteten und sich dann um die Bitte kümmerten. Mathan bedankte sich verständnisvoll und ging weiter die Straße nach Westen entlang. Je weiter er sich vom Zentrum entfernte, umso karger wurde die Bebauung. Die großen, filigranen Steinhäuser wichen eher einfachen Holzhäusern, vereinzelt erblickte er noch Zelte, die sonst karge Flächen einnahmen. Der Weg zog sich in die Länge und die Nacht brach endgültig herein. Ein leichter Regen benetzte seine Haare und sein Gesicht. Man merkte, dass es noch Winter war, denn die Tage waren kurz, die Nächte lang. Ihm fiel ein, dass er nicht genau wusste, wann der Fürstenrat tagte, doch Mathan beruhigte sich mit dem Gedanken, dass man wohl nach ihm schicken würde, wenn es soweit war. Die Hauptstraßen machte eine leichte Biegung und endete auf einem gut ausgeleuchteten Platz. An dessen Ende erhob sich die wuchtige Torburg, dessen Türme nur hölzerne Gerippe waren. Man konnte sehen, dass hier noch immer kräftig gearbeitet wurde, denn auch die Stadtmauer war noch nicht auf voller Höhe aufgebaut – von den Arbeitern war aber nichts zu sehen. Der Platz war hingegen schon von einem Dutzend Holzhäusern umringt. Eines davon fiel besonders ins Auge, da oberhalb des Eingangs ein großes, gut lesbares Schild mit der Aufschrift „Zum Lorbeerblatt“ hing, die kunstvoll verschnörkelten Lettern in der Gemeinsprache verfasst. Das Gasthaus war das größte Gebäude am Westplatz und konnte sich schon fast mit der Torburg messen. Es war drei Stockwerke hoch, vier, wenn man das Dachgeschoss mitzählte, fünf mit dem hölzernen Spitztürmen, die jeweils rechts und links aus dem Dach hervorstachen. Es war deutlich, dass hier wahre Baumeister am Werk gewesen waren. Mathan riss sich von dem Anblick los und hielt auf den gut besuchten Eingang zu, von wo ihm schon der Duft von Kräutern, warmen Wein und auch Lautenschläge entgegenwehten, wann immer sich die Türe öffnete. Zwei Elben der Palastgarde, die an ihren schwarzen Mänteln zu erkennen waren, kamen ihm durch die Tür entgegen. Sie hatten ihre Mundtücher wie gewohnt im Gesicht, sodass nur ihre Augen zu sehen waren und in einem Gespräch vertieft. Sie nickten ihn knapp zum Gruß und hielten ihm die Türe offen. Der Duft von warmen Brot, gebratenem Fleisch und Wein stieg ihm in die Nase. Er bedankte sich und bahnte sich einen Weg durch den gut besuchten Schankraum. Dutzende Köpfe drehten sich flüchtig nach ihm um. Kurz blickte er an sich herab und beschloss das nächste Mal seinen auffällig rot-goldenen Mantel abzulegen. Das durchgehende Gemurmel nahm aber keine Notiz von ihm und auch die Bardin an den Öfen spielte unablässig ihr Lied und sang eine Ballade über die Seefahrt der Manarîn in der Gemeinsprache.
Am Tresen blickte ihm ein dunkelhaariger Hwenti-Elb mit einer Mischung aus Neugierde und Erkennen in den Augen entgegen. Ein wissendes Grinsen umspielte seine Lippen.
„Na, wenn das nicht der Feldherr der Manarîn ist“, begrüßte ihn der Schankwirt freundlich und mit gebotener Diskretion – doch mit einem leichten feixen in der Stimme, als Mathan an den Tresen trat. „Willkommen im Lorbeerblatt, es ist uns eine Ehre Euch hier zu begrüßen. Ich bin Morlas –“ Eine Elbenfrau mit fast schwarzen Haaren eilte durch die Küchentür und balancierte sieben voll beladene Teller auf den Armen, „Und das ist Nityel, meine bessere Hälfte.“ Die Elbe hörte ihren Namen, sah sich rasch um ihre hellblauen Augen musterten ihn flüchtig und sie nickte knapp ehe sie im Schankraum verschwand.
„Danke Morlas. Ich bin Mathan“, erwiderte er die Floskel und schaute Nityel hinterher, „Eine Kinn-Lai?“, hakte er nach, als er ihren Namen sich noch einmal durch den Kopf gehen ließ.
Der Schankwirt grinste nun breiter. „In der Tat, wir fanden uns durch Zufall.“ Er lachte volltönend, „Der beste Tag in meinem Leben. Sie hat mich verdroschen, weil ich bei der Jagd ihre Beute zuerst erwischt hatte. Und seitdem sind wir zusammen.“ Morlas wartete, bis seine Frau wieder in die Küche verschwunden war und neigte sich leicht über den Tresen und flüsterte ihm verschwörerisch zu: „Es war trotzdem meine Beute gewesen, ich hab es zuerst geschossen, aber erklär‘ das mal einer Kinn-Lai.“
Mathan musste ebenfalls grinsen. „Eine Liebesgeschichte voller Poesie und Romantik.“
Morlas lachte noch einmal bellend und stieß die Fäuste zusammen, „Genug davon, was kann ich für Euch tun, Heermeister Mathan?“
Er überlegte einen Moment, während Nityel wieder durch den Schankraum rauschte und ihrem Gatten einen giftigen Blick zuwarf – offenbar hatte sie sehr scharfe Ohren. Mathan musste schmunzeln und fragte, was er empfehlen könnte – für ihn und zwei Zwerge.
„Hmm“, machte der Wirt und strich sich über sein makelloses Kinn, „Zwerge… ja, die habe ich schon mit Met versorgt. Ihr gehört zusammen ja?“ Auf sein Nicken hin schein er auf eine Idee gekommen zu sein. „In Ordnung, dann habe ich ein gutes Abendessen für euch, es sei denn, Ihr wollt kein Fleisch?“
Mathan zögerte. Es war schon lange her, dass er das letzte Mal etwas Tierisches gegessen hatte. Er zuckte mit den Schultern und entschied sich dazu, das zu essen, was er den Zwergen vorsetzen würde.
Morlas‘ Augen blitzen auf und er versicherte ihm, dass er nur das Beste zubereiten würde. „Eine Vorspeise nach Art des Hauses – eine wahre Überraschung. Danach ein sanft angebratenes Hähnchen in Honigsoße und einen großen Teller voll allerlei Gemüse und Kräutern mit einem leckeren Salatdressing. Zum Schluss eine kleine Torte, die meine Tochter erst heute gebacken hat. Na, klingt das nicht verlockend?“ Mathan zögerte. Hühner hatte er nicht allzu oft verspeist, da er die vielen kleinen Knochen nicht mochte. Morlas schien sein Gedanken zu erraten und versicherte ihm, dass er Mathans Portion entbeinen wird. „Ihr werdet gar nichts merken, darauf gebe ich mein Wort, als Koch und als Besitzer dieser Gaststätte.“
„Nun, wenn das so ist“, gab Mathan schließlich nach und blickte sich rasch nach den Zwergen um, „Ich denke aber, dass Ihr Euch diese Mühe bei den Portionen der Zwerge sparen könnte.“
Der Schankwirt lachte laut auf und antwortete schelmisch, dass er für Elben sämtliche Speisen immer entbeinte. „Eigentlich stehe ich nicht oft in der Küche“, gab er mit einem verschwörerischen Zwinkern zu, „Aber für Euch und Eure Freunde kümmere ich mich persönlich um Eure Speisen. Sie sitzen dort hinten in der Ecke.“ Morlas deutete mit seinem Daumen in eine dunkle Sitzecke, hinter der sich eine Treppe nach oben wandte.
Mathan bedankte sich und bahnte sich durch den vollen Schankraum einen Weg in die ruhigere Ecke. Ihm fiel auf, dass viele Elben der Stadtwache, den Wächtern der Mauern und der Palastgarde hier waren. Auch eine große Gruppe Holzarbeiter, die noch immer vereinzelt mit Sägespänen bedeckt war tummelte sich um einen der großen Tische, auf dem ein geöffnetes, kleines Fass Wein stand. Mathan wich einem Becher aus, der übermutig geschwenkt wurde und duckte sich unter einem geworfenen Tablett, das unter allgemeinem Gelächter und Beifall von Nityel gefangen wurde. Eilig machte er sich davon, als die Kinn-Lai lautstark zu schimpfen begann und ließ den lebhaften Teil des Schankraum hinter sich.
Hier hinten waren die Viererplätze mit einem Tisch in der Mitte, wo hauptsächlich Pärchen oder kleine Familien saßen und zu Abend aßen. Grám Feuerhammer, der genau in der Ecke saß, empfing ihm mit einem breiten Grinsen, als er sich zu ihnen auf die weich gepolsterte Eckbank fallen ließ. „Ich muss sagen, diese Elben gefallen mir immer besser, je länger ich hier bin.“
„Sie sind weniger verklemmt als gedacht“, stimmte Andak mit einem amüsierten Schmunzeln zu, das von seinem mächtigen weißen Bart verdeckt wurde.
Mathan, der die Feierlaune der Elben und vor allem der Avari durch Halarîn kannte, grinste wissend und versicherte, dass dies noch harmlos war. Die Zwerge wechselten einen Blick und schienen so, als ob sie hier übernachten wollten, nur um das zu erleben. „Aber das kann einige Tage dauern“, beschwichtige Mathan rasch und fügte hinzu, dass er aber nicht genau wüsste, wie es die Manarîn hielten.
„Die Manarîn also“, begann Andak ernst, seine tiefe, sanfte Stimme klang nachdenklich, „Sie sind ein relativ junges Volk, oder?“
Mathan wandte ein, dass fast zweitausend Jahre seit ihrer „Gründung“ vergangen sind. Woraufhin Grám einwandte, dass es für Elben eine relativ kurze Zeit war.
„Wir empfinden Zeit etwas anders als ihr“, begann Mathan und versuchte so gut es geht zu erklären: „Es gibt Jahre und sogar Jahrzehnte, die fliegen an einem vorbei. Dann gibt es Tage und Wochen, die kommen einem wie eine Ewigkeit vor. Einige von uns bemessen die Zeit sogar nach den Erlebnissen, die sie haben.“
Grám griff nach seinem Metbecher, nahm einen kräftigen Schluck und sagte, als er ihn lautstark absetzte: „Klingt mir zu kompliziert“, Der Zwerg rülpste laut, „Uns geht es darum, herauszufinden, ob sie unser Wissen klug gebrauchen und nicht womöglich gegen andere meines Volkes wenden.“
Mathan nahm dankbar einen Krug entgegen, den Nityel mit einem flüchtigen Lächeln vor ihm auf dem Tisch stellte. „Als Ahnherr des Königshauses kann ich dafür garantieren, dass niemand Euer Wissen falsch gebraucht“, versprach er ihnen, als die Kinn-Lai wieder gegangen war.
Andak strich sich durch seinen mächtigen Bart, nahm einen Schluck Met und lehnte sich etwas über den Tisch zu ihm. „Könnt Ihr das garantieren?“
Mathan runzelte verärgert die Stirn. „Vorsicht, Meister Andak. Wir reden von meiner Familie.“
Grám stieß den alten Zwerg mit dem Ellenbogen an und zischte ihm zu, dass er nicht so misstrauisch sein sollte. Der Greis entschuldigte sich rasch. „Das, was wir vorschlagen wollen ist sowieso nichts Besonderes…“, sagte Grám und schaute sich rasch um, „Und ist eher ungewöhnlich, selbst bei unserem Volk.“
Andak bedeutete zu schweigen und Mathan folgte seinem Blick. Morlas trat mit einem großen Tablett zu ihnen. Der Elb stellte drei dampfende Schüsseln vor ihnen auf den Tisch. „Es ist nicht mehr so heiß, ihr könnt es trinken. Ein Appetitanreger.“
„Brauchen wir nicht, sind schon hungrig genug“, brummte einer der beiden Zwerge leise. Sie lachten, griffen aber dennoch nach den Schüsseln.
Der Schankwirt grinste und versicherte, dass es den Hauptgang bekömmlicher machen würde. Eine Spezialität des Hauses, wie er stolz verkündete und dann wieder verschwand. Die drei blickten sich kurz an, eher sie aus den Schüsseln tranken, auch wenn Mathan sich gern einen Löffel gewünscht hatte. Als er den ersten Schluck genommen hatte, stellte er fest, dass es nur eine gefilterte Brühe aus Waldkräutern, Wurzeln und etwas anderes war, dass er nicht genau einordnen konnte. Sie schmeckte köstlich und wärmte von innen heraus. Der Abgang war von verschiedenen Kräutern geprägt, die schon lange nicht mehr gekostet hatte. Nostalgie überkam ihn, die aber von einem lauten Rülpsen unterbrochen wurde, als die Zwerge ihre Schüsseln bereits geleert hatten.
„Gar nicht so schlecht“, befand Andak und betupfte sich den Bart.
„Mhh“, macht Grám zustimmend, der noch den letzten Tropfen mit einem Finger herausfischte und zufrieden die Schüssel abstellte. „Für Elbenfutter, vorzüglich.“
Mathan nahm sich etwas mehr Zeit, fragte aber zwischenzeitlich, ob sie bereits andere Elbenkost probiert hatten. Die Zwei sahen sich einen kurzen Moment an, bis einer von ihnen nickte. Abwechselnd erzählten sie, dass sie in Eyriks Rast schon einmal mit einer Gruppe Kindi zusammen gespeist hatten. Und dass es alles andere als genießbar war. „Und nur Grünzeug“, beschwerte sich Grám.
„Da hat mir dieses weiße Getreidezeug in Nishiro besser gefallen“, stimmte Andak zu, „Die hatten da auch interessante Gerichte vom Schwein und Rind.“
Die Zwerge fuhren fort und erzählten ein paar Ausschnitte ihrer Reise, wobei sie nie genau sagten, in welcher Stadt oder welchem Land sie dies und jenes gegessen hatten. Meist waren es Gerichte, die Mathan in einer Art schon kannte, aus seinen eigenen Reisen in den fernen Osten, doch er hörte trotzdem zu, bis Morlas mit dem Hauptgang erschien. Die Zwerge waren plötzlich ganz begeistert von den elbischen Kochkünsten. Die knusprig gebratenen Hähnchen übertrafen alle ihre Erwartungen. Mathan wartete, bis der Schankwirt mit seinem neugierigen Blick wieder hinter den Tresen verschwand, der zum Glück in die entgegengesetzte Richtung – zum Eingang und den Schankraum – ausgerichtet war. Erst dann begann er zu essen. Es war merkwürdig, aber köstlich. Wobei die Honigsoße förmlich in seinem Mund zerfloss. Das Fleisch war unglaublich zart und angenehm subtil, mit den Kräutern zusammen – wobei einige wohl gekocht, oder gedämpft waren – merkte man es kaum. Morlas hatte nicht gelogen, es war vorzüglich – und komplett ohne Knochen. Mathan blickte kauend auf die Zwerge, wo Andak mit einem Stück Knochen sich gerade zwischen den Zähnen herumpulte. Grám trank aus seinem Metkrug und verteilte einen guten Schluck in seinem feurigen Bart. Mathan unterdrückte ein Schmunzeln, da er die zwergischen Tischmanieren schon kannte.
Nachdem alles soweit verspeist war – und Grám sogar etwas Grünzeug von Mathans Teller probierte, das der Zwerg gar nicht so scheußlich fand – schoben sie die Teller von sich und widmeten sich den ernsten Themen.
Andak räusperte sich und eröffnete das Gespräch „Wir haben uns ein wenig umgehört, nachdem wir hier angekommen sind...“
„Die Stadt ist nicht schlecht, befand zumindest Lorim – er ist unser Steinmetz. Die Mauern hoch und stark, die Tore gut gesichert und von dem was wir sehen konnten, ziemlich widerstandsfähig. Allerdings… „ Grám senkte etwas die Stimme und rückte näher an den Tisch, was Mathan und Andak ihm gleichtaten, „Es fehlt sonst an allem. Die Straßen sind nicht existent, ihr habt keine Handelsbeziehungen und nicht genug Arbeiter für Felder, Tierzucht oder andere Dinge, die nicht mit dem Krieg oder der Verteidigung zu tun haben.“
Mathan wollte etwas daraufhin erwidern. Dass sie schon mitten in einem Krieg steckten und einen Großangriff erwarteten, doch Andak hob beschwichtigend seinen Krug, „Wartet ab, Meister Elb.“
„Als wir Saurons Gäste waren – und das für ein paar Monate, haben wir einige Dinge gesehen und gehört, die vielleicht nützlich sein könnten“, eröffnete ihm Grám mit geheimnisvoller Stimme.
„Das heißt, dass ihr über Saurons Kriegspläne Bescheid wisst?“, flüsterte Mathan rasch und blickte sich um, „Ist das wahr?“
Die Zwerge tauschten einen Blick und Grám kratzte sich verlegen an seinem Bart. „Nun, ganz so tiefe Einblicke hatten wir nicht“, gestand Andak etwas kleinlaut und schaute in seinen Krug, der fast leer war.
„Wir wissen über eine Ressource, von der Sauron ziemlich besitzt und die ihm auch ziemlich wichtig ist“, sagte Grám mit fester Stimme und tippte mit seinem dicken Finger auf die Tischplatte, „Und dieses Land braucht es dringend.“
Mathan wusste nicht so recht, was der Zwerg damit sagen wollte, bis Andak knapp einwarf: „Muskelkraft.“
Rasch dämmerte es ihm. „Nein!“, platzte es Mathan sofort heraus und er senkte hastig wieder die Stimme, „Sklaven? Seid ihr des Wahnsinns?!“
Grám schüttelte den Kopf und zog die buschigen Augenbrauen zusammen. „Nein, so hört mir doch bis zu Ende zu.“
Mathan verschränkte die Arme. Faelivrin würde das niemals zulassen, genauso wenig ihre Tochter oder einer der Fürsten. Die Zwerge wirkten aber so, als ob ihnen das wichtig war. Er atmete tief ein und nickte - so knapp, dass es kaum wahrnehmbar war. „Also gut. Ich höre es mir an, mehr nicht.“
Andak wirkte erleichtert und erklärte, dass sie wochenlang von Gefangenenlager zu Gefangenenlager weitergereicht wurden. Die meisten platzten aus allen Nähten. Sauron wollte herrschen, nicht alles Leben vernichten, das - so betonte Grám, hatten die Wächter immer wieder in den Lagern von ihren Kommandanten eingebläut bekommen. Sicherlich war die Behandlung der Gefangenen schlecht bis katastrophal, aber es wurde nicht einfach wahllos getötet. Wenn gerade kein offener Widerstand geleistet wurde, hatte man die Gefangenen als Arbeitssklaven genutzt und sie nach Belieben zwischen die Lager hin- und hergeschickt.
Mathan hatte genug gehört und unterbrach sie: „Und was erwartet ihr von uns? Sollen wir diese Lager angreifen? Ihr wisst doch selbst, dass diese Stadt bald angegriffen wird. Wir können keine Krieger über unsere Grenzen hinaus entsenden.“
„Nicht ganz und das sollt ihr auch nicht“, antwortete Andak kopfschüttelnd und leerte seinen Metkrug, „Wir kenne ihre Wege. Wir wissen, wo sie die Gefangenen transportieren. Und der dunkle Herrscher hat nicht genug Leute, um alle Sklaven von seinen eigenen Getreuen verwalten zu lassen.“
Mathan dämmerte es, worauf die beiden hinaus wollten. „Ihr schlagt vor, dass wir die Sklavenhändler überfallen?“
Grám wirkte nun aufgeregter und setzt sich aufrechter hin. „Nicht nur das. Die Nachricht, dass Sarumans Halt über diese Lande gebrochen sind, hat sich noch nicht weit verbreitet. Wir könnten in seinen Namen eine große Bestellung aufgeben. Oder von Saurons Heerführern. Dann würden sie sie uns sogar bis hier her liefern.“
„Moment, nicht so schnell“, hielt Mathan den Zwerg zurück, „Es sind schon mehrere Wochen vergangen, Gerüchte verbreiten sich schnell.“
„Dann ködern wir sie mit Reichtümern, viele von den Händlern sind gierig. Ihr haltet doch Lond Daer?“ wandte Andak ein.
Mathan nickte knapp, woraufhin der alte Zwerg weitersprach und vorschlug, es so aussehen zu lassen, als ob Lond Daer wieder, oder immer noch unter Sarumans Kontrolle steht – oder kürzlich von Sauron heimlich erobert wurde. „Damit ködern wir die Sklavenhändler, die über das Meer Handel treiben und lassen sie dort mit ihren Gefangenen anlanden. Sollten sie Probleme machen… ich nehme an, die Flotte, von der ich gehört habe ist noch immer kampbereit…“
An sich klang das gar nicht so schlecht, aber es gab noch zwei Dinge, die Mathan störten, die er auch gleich ansprach: Was sollten sie mit so vielen Sklaven anstellen und vor allem, wie sollten sie sie in ihre Dienste treten lassen, ohne damit alle anderen Reiche oder möglichen Verbündeten zu brüskieren und abzuschrecken.
Aber auch darauf hatte Grám eine Antwort: „Schließt Verträge, garantiert ihnen Siedlungsplätze, vorübergehenden Schutz, plumpe Bezahlung oder eine irgendeine andere Art von Gegenleistung. Viele Menschen werden erst nach dem Krieg die Möglichkeit haben in ihre angestammte Heimat zurückzukehren. Ich denke, dass viele von ihnen darauf eingehen würden, mit der Aussicht irgendwann nach Hause zurückzukehren – oder direkt ein neues Leben unter den Schutz von Elben zu beginnen.“
Mathan leerte seinen Met mit einem großen Zug und stellte den Becher auf den Tisch. Tatsächlich war die Überlegung gar nicht so dumm, aber ihn bereitete es immer noch Kopfschmerzen. „Wir würden uns dabei auf sehr dünnem Eis bewegen. Ich weiß nicht, ob die Idee Anklang finden würde, zumal wir kurz vor Kriegshandlungen stehen. Wann sollen wir das bewerkstelligen? Und vor allem, von wie vielen ehemaligen Gefangenen reden wir hier, die was genau machen sollen?“
Andak war es, der schließlich mit der Sprache herausrückte: „Wir arbeiten Pläne für dieses Königreich aus. Entwicklungspläne. Meine Wenigkeit war eine lange Zeit Oberster Baumeister bei meinem Volk. Wir reden hier von Flussbefestigungen, Brücken und einem neuen Handelsweg. Na, klingelt es?“
„Ihr… ihr wollt den Glanduin wieder mit Schiffen befahrbar machen? Vom Gwathló, bis hier her hinauf?“, sprach Mathan ungläubig aus und blinzelte erstmal, während die beiden Zwerge sich angrinsten, „Wie soll das geschehen?“
Grám strich sich durch seinen feuerroten Bart und wirkte etwas weniger motiviert und brachte schließlich hervor: „Nun, wir bräuchten mindestens zweitausend Arbeiter, besser dreitausend.“ Auf Mathans entsetzten Blick hin, fuhr er hastig und beschwörend fort: „Eine direkte Handelsverbindung mit Gondor und womöglich sogar auch mit Minzhu und den Mondlanden. Wisst Ihr denn nicht, was das bedeutet? Ihr habt die Flotte und die Möglichkeit die Seewege zu sichern und…“ Er verstummte und murmelte nun leiser, dass sie erst die drohende Gefahr abwehren mussten. „Aber dennoch“, sagte er wieder lauter, „Die Händler werden Zeit brauchen, um auf die Anfrage zu reagieren. Jetzt wäre ein passender Zeitpunkt und – “
Grám verstummte, als Andak ihm am Arm packte. Der alte Zwerg schüttelte nur kurz den Kopf, da Mathan seinen skeptischen Gesichtsausdruck nicht mehr verbergen konnte. Das Lärmen der Gaststätte schwoll noch ein Stück weiter an. Mathan wiegelte ab. Tatsächlich konnten die Elben Eregion nicht alleine in so kurzer Zeit wieder aufrichten. Sie waren maximal zehntausend und über das gesamte Land verstreut und der kommende Konflikt würde tiefe Spuren hinterlassen. Eigentlich war dies sogar ein Ausweg, ein sehr kontroverser, aber es war eine Möglichkeit. Nun ging es darum, sie in Betracht zu ziehen. Zwischenzeitlich erschien Nityel und stellte ihnen jeweils einen Handteller großen, goldbraunen Kuchen vor die Nase. Er duftete wunderbar und schien sogar noch leicht warm zu sein. Ungefragt füllte sie ihre Becher wieder auf.
Als sie an Mathans Seite trat, neigte sie sich leicht zu ihm herab und flüsterte in sein Ohr: „Ein Bote Ihrer Majestät wartet auf Euch, doch er lässt Euch ausrichten, erst das Mahl zu beenden.“
Er nickte ihr zu, dass er verstanden hatte und bedankte sich. Dabei drehte er den Kopf, um den Boten zu erblicken. Ein leichtes Schmunzeln huschte über sein Gesicht. Nammanor stand am Tresen, in voller Rüstung, eine Hand lässig auf dem Schwertknauf, einen Krug in der anderen Hand und ihm zuprostend. Nityel eilte wieder zurück in die Küche und Mathan wandte wieder den Kopf zu den Zwergen.
Andak räusperte sich und versuchte es diesmal etwas bedachter: „Ihr braucht zusätzliche Manneskraft, daran besteht kein Zweifel. Und diesen armen Seelen wird es bei euch besser ergehen, da sie freiwillig bleiben können, oder es versuchen sich in ihre Heimat durchzuschlagen. Sollten sie hier siedeln wollen… nun, ich denke, dass wir den Vorschlag der Königin unterbreiten sollten.“
„Davon abgesehen könnten zusätzliche Hände die Verteidigungsanlagen schneller fertig stellen“, warf Grám ein, auch wenn er offenbar selber wusste, dass das ein eher schwaches Argument war.
Mathan wollte erst den Kopf schütteln, stach dann aber lieber mit seiner Gabel in den weichen Kuchen, aus dem eine weißliche Creme quoll. Er war wunderbar, bestand wohl aus Mehl, Milch, Eier, Honig und anderen Dingen, die er mal von Bäckern gehört hatte. Die Creme war hingegen sehr süß und hatte einen zarten Hauch von Minze. Den Zwergen, die inzwischen verstummten waren, schmeckte er wohl nicht ganz so sehr, denn sie beschwerten sich, dass es zu süß war. Mathan ließ sich mit seinem Nachtisch Zeit, so konnte er über den verrückten Vorschlag der beiden nachdenken. Als er die Gabel aus der Hand legte, blickten sie ihn erwartungsvoll an.
„Also gut. Ich werde die Königin von diesem Gespräch unterrichten. Wie sie entscheidet, liegt aber nicht bei mir“, sagte er schließlich, „Wahrscheinlich werden auch die Fürsten darüber entscheiden.“
„Nun, das sollte uns genügen“, befand Andak und machte Anstalten sich zu erheben, „Wir ziehen uns dann mal zurück. Hier sollen die Zimmer ganz gut sein.“
Mathan nickte knapp und erhob sich. Grám kletterte aus seiner Ecke und fluchte leise über die Unfähigkeit der Elben kleine Möbel zu bauen. Die beiden lachten und verschwanden feixend auf der Treppe nach oben. Er selbst ging zum Tresen, wo Morlas und Nammanor auf ihn bereits warteten.
„Ich hoffe, es hat gemundet“, erkundigte sich der Wirt und putzte gerade einen Becher. Auf ein freundliches Nicken hin, strahlte er und flötete: „Beehrt uns bald wieder, Heermeister.“
Mathan wollte nach seinem Münzbeutel greifen, doch Nammanor hielt ihn zurück und schüttelte kaum merklich den Kopf. „Keine Zeit, der Rat tritt gleich zusammen.“
Morlas schien bereits Bescheid zu wissen, denn er winkte zum Abschied. Nityel tauchte zwischen den Gästen im Schankraum auf und geleitete sie zur Tür. Sie hakte sich rasch bei ihm ein. Die Kinn-Lai lächelte ihn freundlich an und neigte sich ein wenig zu ihm, während sie zur Tür gingen. Leise wisperte sie ihm zu, dass sie hoffte, dass Mathan seine Zeit im Lorbeerblatt als Zeichen ihrer Dankbarkeit wertete, für seine Leistung bei der Schlacht um Rómen Tirion. Er wollte erwidern, dass er das nicht annehmen konnte, doch sie schob ihn ohne viel Federlesens aus der Tür und Nammanor drängte sogleich zum Aufbruch. Etwas unwohl ließ der das große Gasthaus hinter sich und folgte dem Ritter in Mitten der Nacht zum Palast. Auf dem Weg erzählte ihm der Krieger, dass morgen früh wohl der Wolfskönig in die Stadt kommen würde und einige Elben gespannt waren, wie ein König der Menschen aussah. Mathan antwortete jedoch nicht und dachte noch immer über das Gespräch mit den Zwergen nach.