Helluin hatte all seinen Mut und seine Aufrichtigkeit gepackt um Oronêl entgegen zu treten, doch als er das Schwert jenes Elben in die Finger bekommen hatte den vielleicht er selbst getötet hatte, wich jegliche Standhaftigkeit aus ihm. Mit Müh und Not hielt er sich auf den Beinen als bereits Elea wieder zu ihm stürmte.
„Bist du wahnsinnig?“, wiederholte sie ihre Frage nochmals eindringlich „Du stürzt dich gleich wieder in die Schlacht? Mit Mitstreitern die dich verachten?“
Der Dúnadan fühlte sich noch immer wackelig auf den Beinen.
„Keiner wird auch nur irgendetwas auf dein Leben geben. Du hast keinen Wert für sie.“
Sein Unterkiefer schob sich leicht nach vorne und er kämpfte mit den Worten: „Da haben sie wohl recht.“
„Sag so etwas nicht. Das ist nicht wahr“, sie war sichtlich entrüstet „Was ist nur geschehen, dass du so von dir denkst? Gestern Abend noch… du bist wie ausgewechselt.“
Er antwortete ihr nicht. Im Augenwinkel sah er Kerry wieder näherkommen, sie hatte einige Worte mit Oronêl gewechselt. Respektvoll wie sie war, hielt sie ein wenig Abstand. Ihre Augen fixierten aber die beiden Dunedain.
„Du bist wertlos in ihren Augen. Zweifelsfrei werden sie dich in die erste Reihe stellen und als Schutzschild benutzen.“
Er blickte ihr in die Augen: „Wenn das für mich vorgesehen ist, dann werde ich mich dem stellen.“
Sie war fassungslos. Tränen liefen ihr über die Wangen: „Geh nicht Helluin, geh nicht mein Schatz“, flehte sie ihn an und umarmte ihn dabei. Er erwiderte nicht.
„Elea“, unterbrach sie nun Kerry leise. Sie hatte eine ernste Miene: „Das wird nicht geschehen. Oronêl hat es mir versprochen und du kennst ihn.“
„Oronêl hasst Helluin. Er verhöhnt ihn indem er ihm noch das Schwert seines gefallenen Freundes übergibt.“
„Ich kenne Oronêl und so etwas würde er niemals tun. Er hat mir versprochen auf ihn Acht zu geben“, beteuerte die Rohirrim.
„Nein, nein! Ich lasse dich nicht gehen“, sagte sie wieder an Helluin gewandt. Ihr Ton war der strenge Befehlston einer liebenden Mutter.
„Das ist meine Entscheidung, Mutter“, antwortete er und versuchte jegliche Unsicherheit zu überspielen. Innerlich war er etwas erleichtert, weil Kerry dem Elben das Versprechen abgerungen hatte obwohl es seine Situation nicht wesentlich verbesserte.
„Ich werde Finjas bitten dich zu begleiten.“
„Finjas?“, fragte Helluin überrascht.
„Ja. Er wird mit dir kommen und auf dich aufpassen.“
„Das würde mich sehr wundern.“
„Bitte“, rief Elea noch zu Oronêl und Anastorias und ging ein paar Schritte auf sie zu. Der junge Waldläufer hörte noch Worte wie:
Wartet noch mit dem Aufbruch. Finjas wird euch… Oronêl und Anastorias wirkten überrascht, nickten ihr allerdings immer wieder verständnisvoll zu.
Es dauerte nur einen kurzen Moment ehe sie sich wieder an ihren Sohn wandte: „Du wartest hier!“ befahl sie und duldete keine Widerrede.
„Ähm Helluin“, begann nun Kerry vorsichtig „Finjas und deine Mutter sind, wie soll ich sagen…“ Ihre Wangen röteten sich leicht. „Sie sind ein Paar.“
„Finjas?“, fragte Helluin irritiert. Diese Nachricht hatte ihm gerade noch gefehlt. Er kannte ihn von früher. Als er die Stammesführung übernahm war Finjas ein Widersacher von ihm. Der Konkurrent hatte Ambitionen seinen Platz einzunehmen, darum hatte Saruman ihm eine andere Aufgabe zugeteilt. Helluin war sich lange Zeit nicht sicher ob er überhaupt noch am Leben war.
„Das ist gerade sicher nicht leicht für dich“, unterbrach Kerry ihn zaghaft.
Innerlich schüttelte er jeglichen Gedanken von seiner Mutter und Finjas als Paar von sich ab: „Überrascht? Ja, aber es ist ihre Entscheidung.“
„So wie du deine getroffen hast?“, der Vorwurf in dieser Aussage war kaum zu überhören.
„Ich hoffe du kannst mich verstehen.“
Er sah ihr an, dass sie ihm unzählige Sachen an den Kopf werfen wollte, aber sie schluckte es hinunter: „Ich habe Angst, dass dir etwas geschieht. Wirf dein Leben nicht sorglos zur Seite, denn es gibt viele Menschen denen du sehr viel Wert bist auch wenn du das nicht erkennen kannst.“
Der junge Mann war gerührt von ihren Worten.
„Ich weiß nicht was ich sonst tun kann. Nirgendwo kann ich hin. Das Volk von Eregion kennt meine Vergangenheit zum Teil und sie hegen keinen Groll gegen mich. Ihnen wurde hier ein Neuanfang gewährt, vielleicht habe ich auch eine Chance darauf. Wenn auch nur eine winzig kleine.“
„Wenigstens weiß ich, dass du bei meiner Familie in guten Händen bist und dass sie jene beschützen die uns am nächsten stehen.“
Ach wie gerne würde ich jetzt hier bei Kerry bleiben, in ihren Armen in Frieden. Aber Friede gibt es nicht, nicht hier und nicht in mir. Kerry, meine Kerry. Einige Elben aus der Kaserne in der Helluin inhaftiert war brachten ihm seine Ausrüstung. Er legte das Kettenhemd sowie die Lederrüstung an und schnallte den Gurt enger. Behutsam hängte er das Schwert an seinen Gurt und fragte sich, ob das Schwert überhaupt seiner Hand folgen würde oder ob es sich seinem ‚Feind‘ widersetzen würde. Er verwarf den Gedanken augenblicklich wieder, obwohl man bei einem Elbenschwert wohl nie ganz sicher sein konnte.
Zwischenzeitlich war auch Arwen und Magor, der Gesandte von Imladris, eingetroffen. Elea hatte sie auf der Suche nach Finjas gesehen und ihnen von der Abreise berichtet. Die Elbe sprach den Kriegern, allen voran ihrem treuen Freund Oronêl, den Segen ihres Volkes aus und beschwor den Schutz der Valar. Die Anmut und Würde die sie dabei hatte, stand jener ihres Vaters in nichts nach. Ihre Stimme war jedoch wesentlich weicher und klang leicht melodisch.
Oronêl und die anderen anwesenden Elben verneigten sich dankbar vor ihr, Helluin jedoch ging in die Knie. Mit einem gezielten Griff in sein Reisegepäck holte er ein verwahrlostes Päckchen heraus. Er legte es in seine flachen Hände und streckte es der Elbe entgegen.
„Für mich?“, fragte sie überrascht.
Dem Dúnadan entging der misstrauische Blick Oronêls nicht, als Helluin nickte.
„Mir wurde aufgetragen euch dies zu überreichen.“
Sie schaute ihn fragend an und öffnete das geheimnisvolle Präsent. Der sanfte Schein des Elendil-Steins erhellte ihr Gesicht.
„Das Elendilmir? Bringst du es zurück damit wir es verwahren?“ Offensichtlich wusste Arwen, dass Helluin es früher als Zeichen seiner Abstammung und seines Ranges trug. „Gerne werden wir oder besser gesagt mein Vater dies an uns nehmen um es zu bewahren.“
„Nein Arwen. Es ist eine Botschaft an euch von König Elessar.“
Perplex starrte sie den jungen Mann an.
„Als er es mir in Edoras wieder übergab, bat er mich euch mitzuteilen, dass der Abendstern und der Stern des Nordens in Imladris verweilen sollten, bis ihre Träger dort wieder vereint sein würden.“
„Du hast Aragorn gesehen?“, ihr blieb beinahe der Atem weg.
„Ja, ich traf auf ihn unmittelbar nachdem er aus der Gefangenschaft entflohen ist. Gemeinsam mit Gandalf, dem Prinzen von Dol Amroth und drei recht sonderbaren Gefährtinnen machte er sich auf den Weg zur Schwanenstadt.“ Mit einem Lächeln im Herzen dachte er an die kurze Bekanntschaft mit Aerien, Narissa und Irwyne. In ihrer Gruppe hatte er sich erstmalig wieder gut aufgehoben gefühlt.
„Aragorn lebt!“, Arwens Gesichtsausdruck quoll über vor Freude und Glück „Meine Vorahnungen… ich hatte also Recht.“ Sie viel ihm in die Arme und Helluin konnte sich nicht erinnern sie jemals so überschwänglich gesehen zu haben. „Es ist unglaublich. Wie steht es um ihn?“, fragte sie neugierig nach.
„Die Zeit im dunklen Turm hat ihre Spuren hinterlassen, aber Aragorn ist unbeugsam. In ihm ist die Stärke und der Mut Elendils wiedererwacht.“
Stolz war im Gesicht der Elbe zu erkennen: „Ich danke dir Helluin, von ganzem Herzen: Vielen Dank.“
In diesem Moment war auch Elea wieder auf dem kleinen Platz aufgetaucht. Finjas stand gleich hinter ihr. Helluin erkannte ihn augenblicklich wieder. Überwältigt von dem Gefühlsausbruch Arwens fand sie keine Worte. Ehe sie sich in der Situation zurechtfand, sammelte Helluin all seinen Mut und begann mit fester Stimme: „Mutter, ich werde alleine gehen. Finjas, ich danke dir für deine Bereitschaft uns zu begleiten, aber sie ist nicht notwendig.“
Oronêl war gerade dabei Luft zu schnappen und seine Befehle zu unterbinden als ihm Kerry den Ellenbogen leicht gegen die Hüfte stieß. Er beließ es bei einem Räuspern.
„Aber, Hellu…“, begann Elea.
„Lass es sein“, wurde sie von Finjas unterbrochen.
Der junge Dúnadan umarmte seine Mutter zum Abschied: „Mach dir keine Sorgen“, flüsterte er ihr ins Ohr. Danach wandte er sich zu Kerry. Er sah in ihre hoffnungsvollen Augen, sanfte legte er eine Hand auf ihre Schulter. Er wollte sie in die Arme schließen, schwenkte im letzten Moment aber sein Gesicht zu ihrem und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. Sein Herz raste dabei und seine Hände schwitzten leicht. Zahlreiche Gedanken schossen ihm durch den Kopf, unter anderem Aéd oder den Schmerz abgewiesen zu werden. Eigentlich war er neugierig auf die Reaktion von ihr, aber er wagte nicht abzuwarten bis sie sich von dieser Überraschung erholte. Er drehte sich schleunigst zu Oronêl, der etwas verdutzt dreinschaute sich aber nicht dazu äußerte. Der Dúnadan nickte ihm zu und gab ihm so zu verstehen, dass er für den Aufbruch bereit ist.
Oronêl, Helluin und Anastorias mit dem Elbentrupp ins nördliche Eregion...