28. Mär 2024, 20:45 Hallo Gast.
Willkommen Gast. Bitte einloggen oder registrieren. Haben Sie Ihre Aktivierungs E-Mail übersehen?

Einloggen mit Benutzername, Passwort und Sitzungslänge. Hierbei werden gemäß Datenschutzerklärung Benutzername und Passwort verschlüsselt für die gewählte Dauer in einem Cookie abgelegt.


Select Boards:
 
Language:
 


Autor Thema: Draganhrod  (Gelesen 6509 mal)

Curanthor

  • Zwergischer Entdecker
  • **
  • Beiträge: 467
  • Don't ask what is possible, aim for the impossible
Ulf Gunnarson und eine Krummnase
« Antwort #15 am: 15. Feb 2022, 21:56 »
Dragan gelangte ohne Probleme wieder zurück in das Gemach, das seiner falschen Identität zugewiesen wurde. Sobald die Tür ins Schloss gefallen war, riss er sich die verhasste Maske vom Gesicht und warf sie wutentbrannt in eine Ecke. Doch es reichte nicht, um seinen Zorn zu mindern. Sein Vater hatte in verraten. Schon wieder. Dragan musste einen lauten Wutschrei unterdrücken. Stattdessen steckte er sich die geballte Faust in den Mund und biss zu. Der Gegenschmerz half gegen dem brennenden Hass in seiner Brust. Heiße Tränen der Wut rannen seine Wangen hinab. Ivailo hatte seine Mutter und seine Schwester umbringen lassen. Aufgelöst ging er im Kreis, trat gegen einen Schrank, hieb mit der freien Faust gegen einen Kleiderschrank und schrie gedämpft seine Pein in die Welt hinaus.  Das wiederholte er mehrmals, bis seine Hand brannte, sein Schienbein vor Schmerz pochte und er Blut in seinem Mund schmeckte. Zitternd nahm Dragan seine Faust aus dem Mund und wischte sich das Blut von den Lippen. Sein Hals war rau und schmerzte, sodass er mehrfach schlucken musste. Nach und nach schwand die Wut und unendliche Trauer machte sich breit. Seine Schwester Idania, die er noch nie kennengelernt hatte, würde er nie zu Gesicht bekommen. Ein Klopfen an der Tür unterbrach seinen Kummer. Dragan fluchte leise und warf in einem Anflug an plötzlicher Wut eine hölzerne Schüssel gegen die Tür. Verfluchte Intrigen! Er hasste es. Er hasste alles, was er bisher in seiner Heimat gesehen hatte. Erneut klopfte es. Dragan atmete zitternd tief durch. Fokus, Dragan, Fokus, sagte er zu sich selbst im Gedanken, irgendwann wirst du jeden dieser Schlangen die Kehle aufschlitzen. Jeder einzelne von ihnen. Seinem Erzeuger bedachte er mit einem besonders grausamen Schicksal. Er weigerte sich, ihn auch nur im Gedanken als seinen Vater zu betrachten. Ivailo war nichts anderes, als ein kaltblütiger, grausamer Mann ohne einen Funken Liebe in seinem verrotteten Herzen. In seinem Hinterkopf wuchsen die Neugierde über seine Mutter und auch sein Respekt für sie, wie sie mit so einem Mann zusammen gelebt hatte. Während er im Kleiderschrank kramte, fragte er sich, woher seiner Mutter Kalena eigentlich herkam.

 Rasch warf er sich die Robe Ástrebors über und legte dessen Maske an. Er strich sie ein, zweimal glatt, dann atmete er noch einmal durch. Dragan trat an die Tür und zog sie ruckartig auf. Vor ihm stand ein junger Bursche. Offenbar ein Bote, denn er trug ein Tablett mit einem Krug leichtem Wein, etwas Brot, Käse und Räucherwurst, wie er eingeschüchtert sagte. Da Dragan nicht reagierte, fügte der immer bleicher werdende Junge hinzu, dass der Mann mit der goldenen Maske ihm eine Kleinigkeit von dem Festmahl zukommen ließ. Dragan musste einen Dank unterdrücken und nahm stumm das Tablett entgegen. Seine Aufgabe vollbracht, suchte der Junge rascher als es höflich war das Weite. Mit dem Fuß warf Dragan die Tür zu und stellte das Tablett auf einen niedrigen Tisch neben seinem Bett. Sein Blick fiel auf einen schmalen Streifen Pergament, der auf seinem Kissen lag. Als er sein Zimmer zuvor verlassen hatte, war er noch nicht da gewesen. Skeptisch schnappte er ihn sich und entrollte ihn. Mit der anderen Hand zog er seine silberne Maske wieder vom Kopf.
 ‚An D. Heute Nacht im Hinterzimmer der Nadelschänke in der Webergasse.‘, las er stumm und verstand, was im ersten Satz gemeint war. Dragan war eingeladen, also sollte er ohne Maskerade kommen. Offenbar waren die Weißen Streiter auch in der Lage im Fürstensitz zu agieren, was ihn etwas beruhigte. Für den Fall, dass etwas gewaltig schief lief, könnten sie vielleicht ihm zur Hilfe kommen. Gerade wollte er den Pergamentstreifen an einer Kerze verbrennen, als er auf der Rückseite ebenfalls einer kurzen Botschaft gewahr wurde. Dort stand nur eine Nummer, die offensichtlich hastig darauf gekritzelt worden war; Marek hatte krakelig seinen Namen daruntergeschrieben. Offensichtlich in großer Eile.
Dragan runzelte die Stirn. Es gab nur ein paar wenige Räume im Fürstensitz, die mit Nummern versehen worden waren. Meistens waren es Lagerräume, oder kleine Waffenkammern. Dann fiel der Groschen und er erinnerte sich an ein altes Lagerhaus, das im östlichen Teil des Anwesens stand. Schon als er vor Jahren Draganhrod verlassen hatte,  war es ungenutzt gewesen. Sein Gefühl sagte ihm, dass er sich dort schleunigst umsehen sollte. Rasch verbrannte er den kurzen Pergamentstreifen und stellte sicher, dass keine Spuren zu sehen waren. Er wechselte wieder die Robe zu der einfachen Variante, sodass er als einfacher Gläubiger durchging. Mit schnellen, aber nicht hastigen Schritten verließ er sein Zimmer. Er vergaß auch nicht die eiserne Maske aufzusetzen, die nun eine kleine Beule hatte. Dragan konnte sich mit geschlossenen Augen durch die Anbauten und den kleinen Innenhöfen fortbewegen. Niemand hielt ihn auf, oder belästigte ihn. Höflinge, Adlige und selbst einige Wachen ignorierten ihn vollkommen.

 Schließlich trat er in einen schmalen Hof, der von einem unscheinbaren Lagerhaus beherrscht wurde. Es markierte den äußersten Rand des Anwesens, dahinter stand eine hohe Mauer, die das östliche Stadtviertel markierte und wo eine der beiden Garnisonen von einigen hundert Soldaten lag. Es war aber nicht jene, in der er eingekerkert worden war. Rasch sah er sich auf dem Hof um, doch er war verlassen. Eine schmale, unbenutzte Straße führte nach Norden, die mit Unkraut bewachsen war. Eine der hölzernen Türen stand offen. Dragan erinnerte sich, dass es eigentlich mit einer Kette verschlossen sein sollte. Sein Misstrauen wuchs. Marek würde ihn nicht in eine Falle locken? Eine Bewegung an der Tür ließ ihn etwas im Schatten einer Säule zurückweichen. Ein gutaussehender Mann trat auf den Hof und wusch sich seine blutigen Hände in einem Eimer, der neben der Tür gestanden hatte. Als er sich wieder aufrichtete, erkannte Dragan die krumme Nase die das sonst hübsche Äußere entwertete. Es war Graf Tomislav vom Graustein. Ein alter Widersacher aus Dragans Kindheit. Tomislav war stets neidisch auf ihn gewesen und hatte öfters versucht ihn mit einer Gruppe älterer Jungs zu verprügeln, wenn er alleine unterwegs war. Gerüchten zufolge, weil er sich damals zu gut mit Oliga verstand, Ulfs Schwester, die ihm eine Weile ständig hinterhergelaufen war. Ulf hatte das verhindert und ihm auf einer Feier in der alten Garnison auf dem Graustein die Nase gebrochen. Seitdem waren Dragan und Ulf unzertrennliche Freunde gewesen – und Tomislav‘ Nase nicht mehr gerade. Ivailo hatte dann auf Drängen von Kalena weitere Streitereien unterbunden. Er schmunzelte bei dem Gedanken, schüttelte sich aber rasch, als ‚Krummnase‘ wieder in dem Lagerhaus verschwand. Dragan atmete rasch durch und huschte über den Platz und umrundete das Gebäude. Er vergewisserte sich, dass er ungesehen war, doch das war nicht nötig. Zwischen Außenmauer und Lagerhaus war nur ein schmaler, verlassener Weg für die Patrouillen. Dragan hörte gedämpfte Stimmen, doch war es unmöglich etwas zu verstehen. Sein Blick erfasste einige Vorsprünge in der steinernen Wand des Lagerhauses. Kurzentschlossen streifte er seine Robe ab und stieß sich mit einem Fuß gegen die Außenmauer ab. Seine Hand krallte sich in einen Vorsprung eines groben Steins. Gekonnt zog sich er sich hoch. Mit Hilfe von einigen weiteren Vorsprüngen und seiner Klettererfahrung schaffte er es auf das morsche Dach. Die Holzschindeln waren stellenweise weggefault. Dragan schlüpfte durch ein größeres Loch und vermied es mehr anzufassen als nötig. Er befand sich auf einem morschen Holzboden. Unter ihm war Krummnase und Ulf! Sein alter Freund saß auf einem Stuhl gefesselt, der feuerrote Bart blutig, das Gesicht gezeichnet von Fausthieben. Hinter dem Gefesselten standen zwei Maskierte des Tempels des flammenden Auges. Sie beugte sich nach vorn und packten Ulf an den Armen, damit Krummnase ihn in die Magengrube schlagen konnte.
„Und wie fühlt es sich an?“, keuchte Tomislav und rieb sich die Knöchel, „Für mich gut, darauf habe ich lange gewartet.“
Ulf Gunnarson spuckte ihm blutigen Auswurf als Antwort für die Füße. „Du schlägst zu wie meine Schwester und das ist für sie eine Beleidigung“, er grinste blutig und schaute sich um, „Kein Wunder, dass du die Gesellschaft von Männern vorziehst. Alleine würde du dich so etwas niemals trauen.“
Tomislav verpasste ihm daraufhin einen Schlag gegen das Kinn. Ulf lachte daraufhin nur, das in ein angestrengtes Husten überging.
„Spiel hier ruhig den harten Kerl“, höhnte Krummnase, „Lange wirst du das nicht mehr durchhalten. Dann wirst du dem Bund zwischen ihr und mir zustimmen. Ob sie will oder nicht, wenn du es als Oberhaupt des Hauses anordnest, wird sie endlich mein sein.“ 
Dragan ballte die Hände vor Zorn. Also waren die Gerüchte wahr, dass Tomislav schon immer an Oliga interessiert war, der Schwester von Ulf. Er blickte sich rasch um. Unter einen kleinen Haufen fast vergammelten Strohs erkannte er eine Handvoll rostiger Nägel. Es waren jene, mit denen die Sparren des Dachs festgenagelt wurden. Fast so lang wie die Hand eines ausgewachsenen Mannes. Dragan nahm sich vorsichtig vier gerade Nägel, ohne, dass sie aneinander klirrten. Sie würden nicht gut fliegen, aber zumindest Schmerzen bereiten. Ein kurzer Kampfplan formierte sich in seinem Kopf. Er griff sich einen der vergammelten Balken, aus denen noch ein paar Nägel herausstachen. Dragan wartete, bis Krummnase ein Stück zurücktrat. Der morsche Boden knarrte etwas. Einer der Fanatiker mit eiserner Maske blickte auf. In dem Moment trat Tomislav von Ulf zurück, dem er erneut in die Magengrube geschlagen hatte. Dragan warf das schwere Holzstück. Ein überraschter Laut ertönte, dann ein tiefes, schmerzerfülltes Stöhnen, gemischt mit dem schweren Aufprall von Holz. Dragan warf einen der Nägel mit aller Kraft auf den verbliebenden Maskenträger. Ulf riss sich dabei aus dessen Griff los und blockte derweil mit dem frei gewordenen Arm einen Schlag von Krummnase. Der Nagel prallte an der Maske knapp neben dem Auge ab. Dragan fluchte und sprang. Geradewegs auf die Schultern von Tomislav, der von den plötzlichen Gewicht in die Knie brach, da er offenbar gerade nach oben schauen wollte. Ulf riss wie ein wild gewordener Bär an seinen Fesseln. Der Tempelknecht hatte seine Überraschung überwunden und einen langen Dolch gezogen. Er stach nach seinem gefesselten Freund. Dragan reagierte sofort und warf den zweiten Nagel. Und traf genau in den Augenschlitz. Der Maskierte heulte auf vor Schmerz und ließ seine Waffe fallen. Krummnase schüttelte Dragan von den Schultern, hatte sich aber dabei zu weit nach vorn gebeugt. Ulfs Stiefel landete mitten in seinem Gesicht. Es knackte leise und Blut spritzte Tomislav über das Gesicht. Auch er heulte vor Schmerz auf, als er sich seine erneut gebrochene Nase hielt. Dragan rappelte sich auf und schnappte sich den Dolch, der im Staub lag. Kurz sah er sich um. Der, der den Holzbalken an den Kopf bekommen hatte, schien bewusstlos zu sein. Die Maske war merkwürdig eingedellt, vielleicht war er auch tot. Eine rasch größer werdende Blutlache bestätigte dies. Der Zweite hielt sich noch immer beide Hände vors Auge und krümmte sich vor Schmerz. Tomislav fluchte indessen unablässig und hielt sich die Nase. Dragan trat an Ulf und durchtrennte ihm die Fesseln. Sein Freund sprang auf und wollte ihm am Kragen packen, doch Dragan hob seinen Dolch.
„Was wird das?“, verlangte Ulf zu wissen, „Wer bist du? Welchen Grund hast du, das zu tun?“
„Den Besten“, antwortete Dragan und senkte die Waffe. Ulf blinzelte und ihm blieb fast der Mund offen stehen, als er seine Stimme hörte. „Freunde für ein Leben, oder? Du verfressener Bär.“
Daran erkannt er ihn sofort. Ulf lachte laut los und verpasste Krummnase einen so heftigen Tritt, dass er in den Staub rollte und sich krümmte. „Freunde für ein Leben, du verrückter Hund!“
Dann umarmten sie einander. Ruppig, aber herzlich. Ulf betastete ihn dabei am Rücken und an den Schultern, als ob er sichergehen wollte, dass er wirklich hier war. Dragan atmete erleichtert ein, dann lösten sie sich voneinander. Dragan schob kurz die Maske nach oben und grinste breit. Ulf erwiderte das Grinsen blutig und lachte noch einmal. „Mann, hast du mir einen Schreck eingejagt. Ich dachte zuerst, da wäre einer dieser Fanatiker durchgedreht. Im Untergewand mit Holz und Nägel umherwerfend.“ Er lachte erneut bellend, „Scheiße, tut das gut dich zu sehen, du alter Gauner.“ Ulf zog ihn erneut in die Arme – eher in einen Schwitzkasten, und rieb mit der geballten Faust auf seinem Kopf, dass es unangenehm brannte. „Hab‘ schon immer gewusst, dass du dich nicht unterkriegen lässt. Warum kommst du erst jetzt, wo das Fürstentum bis zum Hals in der Scheiße steckt?“
Dragans Grinsen wurde schwächer. Ulf bemerkte es und ließ von ihm ab. Sein Freund hatte zwar eine ruppige Art und vulgäre Ausdruckweise, aber ein feines Gespür. „So schlimm also“, brummte er nur und trat an die beiden Maskierten am Boden heran und fragte beiläufig: „Was machen wir mit denen da?“
„Verschwinden lassen“, sagte Dragan und trat an Krummnase heran, den Dolch in der Hand. Tomislav hatte indessen versucht auf den Hof hinauszukriechen. „Und es ihm hier in die Schuhe schieben.“ In dessen braunen Augen lag blanke Furcht und er erstarrte. Klug genug war Krummnase schon, das musste man ihm lassen.
Ulf grinste wieder breit und sagte, dass er Dragans Ideenreichtum vermisst hatte. Mit einem gekonnten Griff hatte er den überlebenden Maskierten gepackt und ihm mit einem Ruck das Genick gebrochen. Nebensächlich fragte Ulf weiter, wie sie Krummnase das anhängen wollten und ließ die Leiche achtlos zu Boden fallen. Dragan bemerkte, dass er mit keinem Wort seinen Namen erwähnt hatte. Ein feines Gespür, in der Tat.
„Ich habe da schon eine Idee“, antwortete er nur, „aber vorher müssen wir noch etwas erledigen, damit er nicht zu viel redet.“
Dragan nickte zu ihm und Ulf verstand, ein böses Grinsen im Gesicht. Er packte Krummnase an einem Fuß und zerrte ihn achtlos über den Boden zum Stuhl. Dragan selbst ging ungesehen seine Robe holen, die er an der Rückseite des Lagerhauses zurückgelassen hatte. Als er wieder in dem Lagerhaus zurückkehrte, war die anfängliche Situation nun gespiegelt. Ulf rieb sich mit Vorfreude die Fäuste und Tomislav war auf dem Stuhl gefesselt, zwei Leichen lagen rechts und links von ihm.