Antien, Finelleth und Irwyne von Dol Guldur17. Juli 3022Aus der Sicht Finelleths"Ich sagte ja, dass die Pelze nützlich sein würden," verkündete Antien, der voranging. "Du kannst es gerne weiterhin abstreiten, aber Irwyne wird mir gewiss Recht geben."
"Auf jeden Fall," sagte Irwyne vergnügt. "Es war gut, dass Antien mit den Flussmenschen gesprochen hat und sie uns diese Pelze verkauft haben. Sonst würden wir hier oben ziemlich frieren!"
Finelleth, einen weißen Wolfspelz um die Schultern, gab keine Antwort. Sie hoffte, die beiden würden von selbst aufhören, sie mit ihrer Übervorsichtigkeit aufzuziehen. Sie hatte davon abgeraten, mit den Bewohnern des Anduin-Tals Kontakt aufzunehmen, da sie befürchtete, dass diese unter dem Einfluss Sarumans standen.
Wenn der Zauberer Düsterwald und Nebelgebirge beherrscht, wie lange wird es dann dauern, bis ihm auch die Lande dazwischen in die Hände fallen? dachte sie.
Antien schien genau zu wissen, was ihr durch den Kopf ging und seine gute Laune wurde noch unerträglicher.
"Manchmal muss man einfach an das Gute in den Leuten glauben und ihnen vertrauen," sagte der Elb mit breitem Lächeln.
"Nicht alle Probleme lassen sich mit einem Lied oder freundlichen Worten lösen," gab Finelleth zurück.
"Aber gewiss die meisten," konterte Antien.
Irwyne kicherte. Das Mädchen hatte die lange Reise durch das Tal des Anduins erstaunlich gut überstanden und sich als robuster als erwartet erwiesen. Finelleth hatte befürchtet, das hohe Tempo das sie den anderen beiden vorgab um Irwynes Willen nicht lange halten zu können, doch sie hätte sich keine Sorgen machen müssen. Die Gruppe war von Dol Guldur nach Nordwesten aufgebrochen und gut vorangekommen als sie sich ihren Weg entlang des Großen Stromes gesucht hatten. Beim Carrock hatten sie den Anduin überquert und sich nach Westen zum Gebirge gewendet. Nach einem kurzen Halt in einem der Dörfer der Bewohner des Tales hatten sie den Aufstieg zum Hohen Pass erreicht. Bis auf die Flussmenschen waren ihnen auf ihrer Reise keine anderen Leute begegnet. Das Tal des Anduins kam ihnen verlassen und wild vor.
Wie ein Land, in dem alles Leben vor dem Krieg geflohen ist, dachte Finelleth.
Den ganzen Vormittag hatten sie damit verbracht, den Pass hinaufzuklettern. Früher als gedacht erreichten sie die Schneegrenze und nun sah Finelleth ein, wie klug Antien gewesen war. Die Pelze hielten sie warm und schützten sie vor dem eisigen Wind, der von den Berggipfeln blies. Sie hofften, am späten Abend das Gebirge hinter sich zu lassen. Dann würde es nicht mehr weit bis zum verborgenen Tal von Imladris sein. Antien war als Einziger schon mehrfach dort gewesen und würde ihnen den Eingang zeigen. So lautete zumindest der Plan.
Der Weg vor ihnen bog um eine scharfe Kurve, so dass sie nicht sehen konnten, was hinter der Felskante lag, die ihnen die Sicht versperrte. Finelleth setzte sich an die Spitze der Gruppe und ging vorsichtig voran. Sie umrundeten die Kante - und blieben erschrocken stehen. Wenige Meter voraus verbreiteterte sich der Pfad zu zu einer Art Lichtung im Gebirge, ein beinahe kreisrunder Platz, an dessen Ost- und Westseite sich der Hohe Pass fortsetzte. Und dieser Platz war gefüllt mit Leichen.
"Orks," stellte Finelleth fest und zog eines ihrer Wurfmesser hervor. Das Kurzschwert in die andere Hand nehmend schlich sie vorwärts. Keiner der Gefallenen rührte sich als sie näher kamen. Es waren ungefähr zwei Dutzend Tote dort.
Antien trat einem der Orks gegen den Helm. "Bei ihm sind schon lange alle Lichter aus," kommentierte er. "Wenn ich könnte, würde ich den Geruch, den er freundlicherweise verströmt, dankend ablehnen."
Irwyne hielt sich die Nase zu. "Wer hat hier gekämpft?" fragte sie.
"Es sieht so aus als ob die Orks einen Streit untereinander hatten," sagte Finelleth, die die Leichen untersuchte. Mehrere Orks waren ineinander verkeilt gestorben, wie von tödlicher Rauflust dahingerafft. Zunächst sahen sie alle ähnlich aus, doch mit der Zeit konnte sie zwei Gruppen identifizieren.
"Von der Sorte wie dieser hier habe ich viele bei Dol Guldur gesehen," sagte sie und drehte mit ihrer Klinge einen der Toten auf den Rücken. "Da seht, die S-Rune an seinem Helm, die steht für Saruman. Wahrscheinlich kam er aus Moria. Die Hälfte hier scheinen Orks die der Weißen Hand dienen zu sein."
"Und die anderen?" wunderte sich Irwyne.
"Sie tragen keine Abzeichen oder Markierungen," stellte Finelleth fest. "Doch eindeutig sind sie Feinde Sarumans."
Ein lautes Geräusch ließ sie herumfahren. Am Westrand des Platzes war eine weitere Gruppe Orks aufgetaucht. Als sie die Elben und Irwyne sahen zogen sie johlend ihre Waffen. Es waren neun an der Zahl.
"Wohl Überlebende des Gefechts hier," zischte Finelleth und machte sich kampfbereit, stellte sich schützend vor Antien und das Mädchen.
Die Orks kamen heran, siegessicher und unvorsichtig. Zweien kostete dies das Leben, als die Elbin ihre Wurfmesser mit gezielten Würfen zwei Kehlen durchbohren ließ. Der Rest stockte einen Moment, brüllte dann vor Zorn und Blutlust auf. Dann stürzten sie sich auf Finelleth.
Dem ersten Schlag einer schartigen Doppelklingenaxt wich sie aus und ließ auch den zweiten ungestümen Angriff, den ein Ork mit seinem Speer führte, ins Leere laufen. Ihre Feinde behinderten sich gegenseitig in ihren Versuchen, die Elbin zu treffen. Einen raschen Streich führte sie und der dritte Ork sank tot zu Boden.
Drei erledigt, sechs noch übrig, dachte sie als sie hektisch mehrere Schläge in schneller Abfolge zu parieren versuchte. Zu ihrem Glück waren die Orks vom vorigen Gefecht verwundet und hatten nur wenig Zeit gehabt, sich auszuruhen. Ihre Klinge blitzte auf und durchtrennte den Hals des vordersten Feindes. Ein weiterer Gegner verlor auf dem glatten Boden das Gleichgewicht und stürzte zu Boden, wobei er ungünstig auf einem scharfen Felsen landete und nicht wieder aufstand.
Rückwärts springend gelang es Finelleth, weiteren Treffern zu entgehen und ihr letztes Wurfmesser fand sein Ziel. Nur noch drei Orks verblieben. Diese schienen nun zu merken, dass sie gegen diesen Feind wenig ausrichten konnten und traten den Rückzug an.
"Saruman wird nicht mehr lange der Herr der Berge sein!" riefen sie noch ehe sie in westlicher Richtung den Pass entlang flohen.
Finelleth starrte ihnen nach, schwer atmend. Das Adrenalin des Kampfes begann, ihren Körper zu verlassen und sie konnte wieder klarer denken.
Wem dienen diese Orks, wenn sie Feinde Sarumans sind? fragte sie sich.
"Gut gekämpft," sagte Antien anerkennend.
"Ich sagte ja, du würdest noch froh darüber sein, mich dabei zu haben", antwortete die Elbin. Sie fühlte sich seltsam.
Irwyne kam heran und riss die Augen auf. "Du blutest, Finelleth, du bist verwundet!"
Sie blickte an sich herunter. An Bauch und Oberschenkel klafften zwei tiefe, stark blutenden Wunden. Erst jetzt spürte sie die Kälte und den Schmerz, die davon ausgingen. Sie hatte im Rausch des Kampfes gar nicht gemerkt, wie sie verwundet worden war. Verwirrt hob sie die Hände an den blutgetränkten Stoff. Alle Luft verließ ihre Lunge und ihr wurde schwarz vor Augen.
Das erste, was sie hörte, war leiser, melodischer Gesang. Eine weit entfernte Stimme sang Worte, die sie nicht verstand und es klang, als wäre sie unter Wasser.
"
Faerwen," drang ein Name durch den Schleier, der sie umgab. Eine neue Stimme. Es hörte sich nach der Stimme ihrer Mutter an. Sie versuchte, im Dunkel etwas zu erkennen, doch ihre Hände griffen ins Leere.
"
Faerwen," wiederholte die Stimme. Und während sie den Namen aussprach veränderte sich ihr Klang, wurde höher, besorgter, und weniger tröstlich.
"Faerwen!," erklang es ein drittes Mal, und endlich erkannte sie die Stimme von Irwyne. Finelleth schlug die Augen auf. Es war Nacht geworden. In der Nähe prasselte ein Feuer, an dem Antien saß und eine verträumte Weise sang. Sie befanden sich in einer kleinen Höhle, nicht mehr als fünf Meter tief. Der Ausgang lag direkt am Pass, auf dem es zu schneien begonnen hatte.
"Du bist wach!" stellte Irwyne erfreut fest. Finelleth sah, dass das Mädchen geweint hatte. "Erst als ich deinen wahren Namen rief, hast du reagiert."
"Was... ist geschehen?" fragte die Elbin.
"Du hattest so einiges abbekommen, mehr als du zunächst spürtest," erklärte Antien. "Du kannst wahrlich froh sein, dass unsere Freundin hier eine so fähige Heilerin ist. Aber womöglich war es auch der Tee, den ich dir gekocht habe."
"Meine Wunden..." setzte Finelleth an.
"Die habe ich behandelt, aber nun habe ich keine Verbände mehr," sagte Irwyne. "Wir müssen nun so bald wie möglich Bruchtal erreichen damit du dich ganz erholen kannst."
"Für heute bleiben wir hier," entschied Antien. "Morgen lassen wir dann dieses ungastliche Gebirge hinter uns und kommen wieder in bessere Gegenden, wo vernünftigere Leute leben. Es wird euch in Imladris gefallen."
Sie schliefen, ohne eine Wache aufzustellen. Am Morgen stellten sie fest, dass Finelleth einigermaßen gut laufen konnte und so setzten sie ihren Weg über den Pass fort. Am späten Vormittag überquerten sie die höchste Stelle und konnten einen Blick auf das Land, das sich vor ihnen ausbreitete, werfen. Von nun an ging es nur noch bergab. Bruchtal rückte mit jedem Schritt näher.
Antien, Finelleth und Irwyne nach Imladris