Aus der Sicht Galadriels:
Das Schlafgemach der Elbenkönigin war lichtdurchflutet und winzige Staubteilchen tanzten durch die hereinfallenden Sommerstrahlen.
Galadriel war gerade dabei sich das Gesicht zu waschen und bürstete sich die goldenen Haare, welche sich wie Seide an ihrem Körper schmiegten. Ein Lächeln huschte ihr über die Lippen, als sie sah, dass eine kleine, schwarze Amsel durch das offene Fenster hinein geflattert kam und eine weiße Blume, vermutlich Simbelmyne, auf den kleinen Tisch vor Galadriel fallen ließ.
Behutsam streckte sie die langen, anmutigen Finger aus und schnupperte an ihr.
Celeborn, dachte die Elbe und war erleichtert wieder von ihrem Mann zu hören, seitdem er Lórien mit dem Elbenheer verlassen hatte, um den Menschen in Aldburg beizustehen.
Sie selbst war im goldenen Wald geblieben, um den verbliebenen Elben und Menschen Hoffnung und Trost zu spenden. Die Befreiung Rohans im vergangenen Jahr hatte Euphorie hervorgerufen, die jedoch nicht lange angehalten hatte. Der Fall des Erebors und die rasche Rückeroberung des Düsterwaldes durch Khamûl trübten die Gedanken der Bewohner des Waldlandreiches. Es war nur eine Frage der Zeit bis die schaurigen Geisterhände des Nazgûl sich auch nach Lothlórien verzehren würden.
Galadriel streifte sich ein silbrig-graues Gewand über und stieg die Stufen ihrer Gemächer hinab, die ganz oben in Caras Galadhon waren. Eine laue Brise frischte auf und Galadriel verstand es als erste Anzeichen des nahenden Sommers.
„ Mae Govannen“, grüßte sie einige Elben, die ihren Weg kreuzten und sich demütig vor einer der ältesten Elben, die noch in Mittelerde verweilten, verneigten.
Zielstrebig führte ihr Weg, die hochgewachsene blonde Elbe, durch die Wege und Trampelpfade Lóriens. Der Wald schien wie leergefegt, denn nur wenige Lebewesen kreuzten ihren Pfad und sie war froh darum.
Das kühle Moos, welches die Steinstufen bedeckte hatte, kitzelte ihre nackten Füße und behutsam stieg Galadriel sie hinab. Vor ihren blauen Augen lag die flache Schale, die viele Galadriels Spiegel nannten.
Ihre Finger fuhren zärtlich über die Ränder der Schale aus edlem Metall. Feuchter Tau perlte an seiner Oberfläche und mit einer Mischung aus Trauer und Sehnsucht beobachte sie die wässrige Oberfläche.
„ Versuchen wir Rat in der Zukunft zu finden, Altáriel?“, ertönte eine ruhige und verträumte Stimme.
Galadriel wirbelte herum und erschrak sich beim Anblick des Zauberers, der auf einer Baumwurzel saß und gerade ein Eichhörnchen streichelte.
„ Bei allen Vala, Radagast, du hast mich fast zu Tode erschreckt“, entfuhr es Galadriel gereizter als sie es wollte, aber ihre Anspannung, die in den letzten Monaten stetig wuchs, war fast greifbar.
Entweder hatte sie der Istari nicht gehört, oder er ignorierte ihre Gereiztheit wissentlich und fuhr mit gewohnt ruhiger und verträumter Stimme fort.
„ Schreit die Elster dem Kaninchen zu, verändert sich der Lauf der Sterne im Nu!“.
Galadriel seufzte, denn so sehr sie Radagast mochte und sie seine Gesellschaft schätzte, so waren seine Worte für sie, selbst als eine der weisesten dieser Welt, oft ein Rätsel. Einzig Mithrandir war in der Lage gewesen sich stets einen Reim auf die Gedichte und Lieder des braunen Zauberers zu machen.
„ Das sich etwas verändern wird ist mir klar Radagast, doch mein Herz verzehrt sich nach der Frage, wie es ablaufen wird. Es bringt mich noch um den Verstand diese Unwissenheit…“, entgegnete Galadriel und ließ sich niedergeschlagen auf einen Steinsockel sinken, der in der Nähe des Spiegels stand.
Radagast, immer noch vollkommen auf das Eichhörnchen fixiert, dass voller Elan um und auf ihn herum hüpfte, antworte im ersten Moment nicht.
„ Schau dir dieses kleine winzige Lebewesen an. Es tollt herum, lebt wie es seinem Herzen beliebt“, fuhr Radagast mit einem Lächeln auf den Lippen fort, wodurch sich sein Gesicht in tiefe Falten legte.
„ Und dennoch…“, doch er verstummte, blickte auf, schüttelte den Kopf und sah die Elbe fragend an: „ Worüber haben wir gerade geredet?“.
Galadriel richtete sich auf, sichtlich genervt von diesem unbefriedigenden Gespräch und wandte sich zum gehen. Es schien dem Alten nicht einmal aufzufallen, als sie die Stufen hinauf schritt. Erst als sie die letzte hinter sich gelassen hatte, drang die Stimme des Zauberers zu ihren Ohren:
„ Vielleicht ist das dein Problem meine Liebe“, sprach Radagast, der sie nun ausnahmsweise direkt anblickte, „Vielleicht handelst du schon zu lange nicht mehr nach deinem Herzen!“.
Die Elbe nickte, auch wenn sie nicht wusste, wie ihr das helfen sollte und schlenderte zurück in Richtung Caras Galadhon.
Der Frühling war im vollen Gange, doch auch die blühenden Pflanzen und Gräser, die ihren Weg kreuzten vermochten Galadriels Stimmung nicht zu bessern. Sie nicht großartig beachtend hatte sie wieder ihr Gemach erreicht und ließ sich auf einen Stuhl auf einer der Plattformen sinken, von denen man große Teile des Waldes überblicken konnte.
Sie schloss die Augen, lehnte sich zurück und ließ sich von den Sonnenstrahlen einhüllen, die durch die Baumwipfel fielen.
„ Ein Schläfchen, dass Kummer und Sorgen vertreiben soll?“.
Im ersten Moment dachte die Elbe es wäre wieder Radagast, der ihr gefolgt war, um sie mit weiteren seiner Weisheiten zu verwirren, doch die Stimme die dort sprach kam ihr nicht bekannt vor. Sie war seltsam dunkel, als hätte sie lange kein Westron gesprochen und dennoch auf eine Weise anziehend und magisch, dass Galadriel voll Neugier die Augen öffnete.
Sie hätte aufgeschrien, wären ihre Augen nicht im ersten Moment von den Sonnenstrahlen geblendet worden, sodass sich ihr Gegenüber nur schemenhaft offenbarte.
Nach und nach trugen ihre hellblauen Augen die Informationen zusammen. Ein Mann, ungefähr in ihrer Größe mit langem gräulichem Haar, vollkommen in einem aquamarinblauen Mantel gekleidet saß ihr gegenüber. Seine Gesichtszüge waren schwer und irgendwie wirkte er müde. Seinen verwitterten, ebenfalls blauen Hut, hatte auf die Spitze seines Stabes gelegt, der an seinem Stuhl lehnte.
Der erste Gedanke, der Galadriel durch den Kopf schoss, als sich das Bild des Mannes vor ihren Augen verdeutlichte war, dass Gandalf ihr gegenüber saß. Jener jedoch lag schlafend, von Saruman betäubt, ein paar Räume weiter neben an.
„ Man hat viel über dich erzählt, Galadriel, Elbenkönigin des goldenen Waldes. Nichte Feanors. Bis in die äußersten Winkel des Ostens, hört man Geschichten und Sagen über die Macht, die Wut und die Schönheit deinerseits“.
Die Worte des Mannes schmeichelten Galadriel im selben Maß, wie sie sie verschreckten und ängstigten, doch sie war nicht in der Lage aufzustehen oder zu sprechen.
„ Aber ich bin nicht nach Lórien gekommen, um mit dir zu plaudern, obwohl es mir Aiwendil nicht gerade leicht gemacht hat. Er redet immer noch gerne und viel“, er machte eine kurze Pause und lachte, „…wenn auch nicht immer sinnvolles.“
Allmählich dämmerte es Galadriel und sie erinnerte sich an Erzählungen Mithrandirs und Curunírs über zwei weitere Istari, die noch Mittelerde entsandt worden waren, mit derselben Mission.
Galadriels Stimme klang seltsam trocken und belegt und so fragte sie: „ Ihr seid einer der Ithryn Luin, nicht wahr?“.
„ Pallando“, sagte der Istari, räusperte sich und machte eine gespielte Verbeugung vor Galadriel.
Die folgende Stunde verbrachten die beiden und Radagast damit über die Geschehnisse zu reden und zu diskutieren, die seit der verlorenen Schlacht am schwarzen Tor vor sich gegangen waren. Immer wieder versuchte Galadriel Informationen zu Pallandos Aktivitäten vor und während des Ringkriegs in Erfahrung zu bringen, doch geschickt wusste der blaue Zauberer das Thema zu wechseln und zu verdeutlichen, dass dies nicht Gegenständ und Thema dieses Gesprächs sein würde.
„ Aber nun sagt, warum seid ihr hier in Lórien? Was ist euer Begehr?“, sagte Galadriel und musterte Pallando scharf. Jener lächelte, lehnte sich zurück und legte die Fingerspitzen aneinander.
„ Nun denn, wenn die Herrin des goldenen Waldes nach dieser Antwort verlangt, werde ich sie ihr geben. Doch ob sie ihr gefällt, dessen bin ich mir nicht sicher.
Wie ihr sicherlich wisst ist Olórin von Saruman betäubt worden, er hat ihn seinen Stab gestohlen und somit fast gänzlich seine magische Macht zurückerlangt!“
Galadriel nickte, während Radagast sich den Spatzen zugewandt hatte, die auf den Balkon herum pickten.
„ Aber wir wissen nicht, was er vorhat. Seit jener Nacht gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihm“, ergänzte die Elbe mit Nachdruck. Wieder huschte ein neckisches Lächeln über Pallandos Lippen, welches den alten Zauberer etwas ungemein Jugendliches verlieh.
„ Da komme ich ins Spiel. So begab es sich, dass Saruman im Dezember letzten Jahres zu mir und Alatar nach Gortharia kam. So energisch und mit solchem Wahnsinn versehen, hatte ich ihn noch nie gesehen. Er forderte mich und Alatar auf sich seinem Plan anzuschließen.“
Er machte eine dramatische Pause und trank etwas Wasser, dass ihn Galadriel bereit gestellt hatte.
„ Er wollte, dass wir uns mit ihm verbünden. Wir sollten Rhûn aufwiegeln und Saurons Diener aus dem Land vertreiben. Im Gegenzug würde er sich an den freien Völkern rächen, für die Demütigung, die sie ihn in Helms Klamm zugefügt hatte und später Olórin, als er ihn aus den Orden verstieß und seinen Stab zerbrach. Gemeinsam sollten wir drei uns dann gegen Sauron stellen, um endgültig über Mittelerde zu herrschen.“
Galadriel stockte der Atem und in ihren Augen las Pallando die Frage, die ihr auf der Zunge brannte.
„ Wie er das anstellen will? Er hat sich tief in die Schächte und Gänge Khazad-Dums zurückgezogen und versucht dort die Orks und sonstigen Kreaturen des Nebelgebirges für sich zu gewinnen.“
„WAS?!“, entfuhr es Galadriel, die entsetzt aufgesprungen war, sodass die Spatzen aufschreckten und davonflogen.
„ Ruhig Galadriel. Alatar und Ich haben ihn nicht unterstützt, er drohte uns zwar, schien sich aber nicht siegessicher genug seine Drohungen in die Tat umzusetzen. Ich glaube kaum, dass er mit seinem Plan schon sonderlich viel Erfolg hat, sonst hätte er uns mehr unter Druck setzen können. Aber dennoch müsst ihr auf der Hut sein. Die Gefahr droht jetzt nicht nur aus Süden. Sie wuchert mitten in eurem Herzland.“
Galadriel ließ sich auf den Stuhl sinken und plötzlich umfing sie Dunkelheit.
Schweißgebadet wachte sie auf und merkte, dass es finstere Nacht war. Nur einzelne Lampions, die im Wald leuchteten, trugen Licht in ihr Gemach hinein.
Das war alles nur ein Traum., kam es Galadriel in den Sinn und erleichtert stieg sie aus dem Bett. Sie wanderte in ihrem Zimmer auf und ab, sich immer sicher werdend, dass sie das Gespräch mit einen der blauen Zauberer nur geträumt hatte.
Gerade als sich die Gewissheit in ihr Gehirn eingeschlichen hatte, sah sie die Simbelmyne, die in einer Vase auf ihren Nachttisch stand und die Erkenntnis traf sie wie ein Pfeil im Herzen.
„Herrin was ist los?“, ertönte die Stimme des braunhaarigen Elben Antien, nach dem Galadriel hatte rufen lassen.
„ Mein Junge, du musst nach Lindon reisen. Du musst dorthin reisen und die Überbringung Gandalfs überwachen. Es ist hier nicht mehr sicher für ihn“, antwortete sie niedergeschlagen.
„ Nicht mehr sicher, aber…was meint ihr. Ich verstehe nicht“, entgegnete der Elb, der sichtlich verwirrt zu sein schien.
„ Glaub mir. Tu es für mich, Tu es für ihn!“
Antien nickte und machte sich auf seine Sachen zu schultern.
Noch nie hatte sie sich so allein gefühlt, wie in dieser Nacht. Sie eilte pfeilschnell durch die kühle Nacht und hatte sie gestern noch den Hauch des Sommers gespürt, so lachte die hämischen Ausläufer des Winters diese Nacht über sie. Die Stufen hinab zu ihrem Spiegel waren eisig kalt.
Die Sterne funkelten im stillen Wasser der silbrigen Schale und als Galadriel hineinblickte, flossen bittere Tränen als sie das flammende Rot sah.