Zarifa und Cyneric aus Esgaroth auf dem Langen See„Wir sind doch gerade erst vier Stunden unterwegs“, meinte Cyneric mit leicht genervter Stimme. Zarifa konnte förmlich hören, wie er seine Augen verdrehte.
„Ich kann nunmal nicht so lange auf diesem garstigen Hengst sitzen. Wir sind viel zu schnell, mir ist schlecht, mir tut alles weh und ich bin müde. Wenn wir jetzt keine Pause machen, falle ich gleich vom Pferd. Aber nicht bevor ich mich übergeben habe.“
„Na schön!“ Cyneric seufzte und brachte sein treues Kriegsross bei einer gemütlich aussehenden Wiese zum Stehen. „Aber wie kann es sein, dass du jetzt schon wieder müde bist? Hast du letzte Nacht nicht gut geschlafen?“, wunderte sich der Gardist, der es offenbar sehr eilig hatte und diese Verzögerung gar nicht gebrauchen konnte. Zarifa konnte ihn auch durchaus verstehen – immerhin ging es hier darum, die Spur von Cynerics Tochter wiederzufinden. Da konnte potenziell jede Stunde zählen. Aber Zarifa musste auch an sich selber denken und es ging ihr wirklich nicht gut. Sie vertrug das Reiten einfach nicht.
„Doch, das habe ich“, entgegnete die junge Frau. „Aber irgendwie bin ich in letzter Zeit ständig müde. Entweder das Reiten erschöpft mich oder ich werde langsam alt.“
„Eher Ersteres, schätze ich“, meinte Cyneric mit einem leichten Schmunzeln. Er schien sich ein wenig beruhigt zu haben. Aber dennoch blickte er immer wieder ungeduldig die Straße entlang. „Ich verspreche dir, es wird nicht lange dauern“, versuchte Zarifa Cyneric zu beruhigen.
„Schon in Ordnung. Leg dich hin und ruh dich aus. Ich werde währenddessen ein wenig was zu Essen zubereiten und Wache halten.“
Das ließ sich Zarifa nicht zweimal sagen. Sie legte sich hin, atmete tief ein und aus und genoss, wie die Sonne auf ihren Körper schien. Nachdem es die letzten Tage etwas kälter gewesen war, war heute wieder ein angenehm milder Tag. Jetzt, wo sie nicht mehr in Bewegung war, merkte sie erst so richtig, wie sehr sie das Reisen zu Pferde belastete. Zarifa hatte Schmerzen an Stellen, von denen sie nicht einmal gewusst hatte, dass diese überhaupt schmerzempfindlich waren. Zwar war sie körperliche Schmerzen durchaus gewohnt, aber angenehm war das Ganze definitiv nicht.
Nachdem die junge Frau eine Weile im Gras gelegen hatte, stellte sie sich mehr und mehr die Frage, warum sie Cyneric überhaupt hatte begleiten wollen – und wieso zum Teufel Cyneric ihr angeboten hatte, mitzukommen. Sie war es nicht gewohnt zu reisen und war dem rohirrischen Gardist, der so verzweifelt versuchte, seine Tochter zu finden, lediglich ein Klotz am Bein. Sie sah Cyneric vor sich, wie er genervt mit den Augen rollte und versuchte Zarifa irgendwie klarzumachen, dass sie weiter mussten. Dass sie sich beeilen mussten. Dass er außer seiner Tochter seine ganze Familie verloren hatte und nicht zulassen würde, dass er auch noch sie verlor. Doch Zarifas Körper schien die Nachricht nicht wahrzunehmen. Ihr Kopf verstand und sie wollte dem Mann helfen, der ihr in Gorak so bereitwillig geholfen hatte. Doch ihr Körper schien zu rebellieren. Es war, als ob zwei Herzen gleichzeitig in ihrer Brust schlugen. Eines wollte Cyneric begleiten, doch dass andere wollte nichts sehnlicher, als die Reise abzubrechen und sesshaft zu werden.
Der verzweifelt aussehende Cyneric verwandelte sich nun in die entschlossen wirkende Salia, die Zarifa am Handgelenk packte und versuchte sie mitzuzerren. Zarifa versuchte sich zu wehren und Salia argumentativ davon zu überzeugen, dass sie im Moment nicht weiter konnte, als sie plötzlich bemerkte, dass es nicht Salia war, der sie festhielt, sondern Alvar. Bei genauerem hinsehen fiel ihr auf, dass Alvar einen Dolch im Hals stecken hatte. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, nach Zarifas Kleidern zu grapschen. „GEH WEG VON MIR!“, schrie Zarifa ihn an. „CYNERIC WIRD DICH FÜR DAS HIER TÖTEN. ER HAT ES VERSPROCHEN!“ „Ich bin bereits Tod“, erwiderte Alvar lachend. „Aber ich werde dich trotzdem weiter verfolgen. So wie wir alle. In deinem Kopf leben wir weiter.“ Und während er diese Worte sprach, tauchten hinter Alvar drei weitere Gestalten auf. Zarifa erkannte Kazimir und Radomir, doch die dritte Gestalt mit kurzen braunen Haaren erkannte sie nicht. „NEIN, IHR SEID TOT! IHR SEID ALLE TOT! ICH HABE EUCH GETÖTET, ALSO VERSCHWINDET GEFÄLLIGST AUS MEINEM LEBEN!“ Zarifa fuchtelte wild mit den Armen und schrie verzweifelt, während die drei immer näher kamen, und wie Verrückte an ihrem Kleid zerrten, bis es schließlich zerriss.
Zarifa erwachte schweißgebadet auf einer grünen Wiese. Ein Mann beugte sich vorsichtig über sie. „GEH WEG VON MIR!“, schrie Zarifa und schlug dem Mann ins Gesicht, der vollkommen überrascht zurücktaumelte. „Hey, wofür war das denn jetzt?“ In diesem Moment erkannte Zarifa den Mann. „Oh Gott, Cyneric. Tut mir leid. Ich habe geträumt und...
und...“ Ihre Stimme brach ab. „Und du hast gedacht, du würdest
immer noch träumen, als du mich geschlagen hast?“, ergänzte Cyneric den Satz, während er sich langsam wieder aufrappelte. „So ungefähr“, meinte Zarifa niedergeschlagen. „Du hast im Schlaf um dich geschlagen und geschrien. Da wollte ich nach dir sehen“, grummelte Cyneric missmutig. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich dafür direkt einen Schlag abbekomme.“ „Tut mir leid. Tut es sehr weh?“ „Ich werds überleben“ „Na immerhin. 'Auf der Suche nach seiner Tochter von einer untergewichtigen, entflohenen Sklavin erschlagen'wäre kein guter Grabsteinspruch“, versuchte Zarifa ein wenig Humor in die Situation zu bringen. Auch wenn
ihr nach ihrem Traum eigentlich überhaupt nicht nach Lachen zumute war. Aber immerhin schien Cynerics Laune sich wieder aufzuheitern. Er hatte aufgrund ihres Albtraums schon körperlichen Schaden genommen. Da musste sie ihm nicht noch ihren seelischen Ballast aufhalsen. Zumindest nicht jetzt. „Es gäbe in der Tat ruhmreichere Tode“, gluckste Cyneric. „Und apropos Untergewicht...
du solltest was Essen. Hier, ich hab was für dich zubereitet.“ „Ich kann im Moment nichts Essen. Das würde während des Ritts alles nur auf deinem Rücken landen und das wäre doch schade“, entgegnete Zarifa und verschwieg damit den wahren Grund, weshalb sie im Moment keine Nahrung zu sich nehmen wollte. „Nun gut, wenn du meinst. So dünn bist du ja inzwischen auch nicht mehr, da wird es schon nichts ausmachen, einmal das Mittagessen zu versäumen.“ „Ist das deine Art mir zu sagen, dass ich fett werde?“, grinste Zarifa und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Ähm... wir sollten jetzt weiter. Und ich werde versuchen, deinen Magen diesmal ein wenig mehr zu schonen“, wechselte Cyneric rasch das Thema. Die nächsten Stunden auf dem Pferd fürchtend, stieg Zarifa mit Cynerics Hilfe auf das große Kriegsross und die beiden machten sich wieder auf den Weg.
Zarifa und Cyneric zu Thranduils Hallen