Antien, Finelleth und Irwyne vom Hohen Pass23. Juli 3022Aus der Sicht Irwynes"Du musst stillhalten, sonst tut es mehr weh," sagte Irwyne mit unterdrückter Frustration.
Wieso versteht sie nicht, dass die Wunde Zeit braucht, um richtig zu heilen?Finelleth gab ein schmerzerfülltes Geräusch von sich als Irwyne den blutdurchtränkten Verband abzog. Eine dünne Kruste klebte daran. Schnell legte sie so sanft wie möglich den neuen Verband darum, den sie von Elrond erhalten hatte und der mit einem Sud aus abgekochten Heilkräutern getränkt war.
"Das wird ein bisschen brennen," sagte sie und presste die Binde fester an die Wunde.
Antien, der auf der anderen Seite des Bettes stand, sagte etwas, doch aufgrund Finelleths lautstarkem Schrei konnte Irwyne es nicht verstehen.
"Was hast du gesagt?" fragte sie, während sie der Elbin den Mund zuhielt. Gedämpfte Geräusche drangen zwischen ihren Fingern hervor und Finelleths Hände krallten sich ins Bettlaken.
"Ich sagte: Das ist wohl leicht untertrieben," wiederholte Antien seelenruhig. "Wie du sehen kannst, hatte ich Recht. Ich denke, dies wird helfen."
Damit ließ er sich auf einem Stuhl neben dem Bett nieder und nahm eine kleine Harfe zur Hand. Die Töne, die er damit erzeugte waren nicht sehr laut, ließen aber dennoch alles andere im Raum in den Hintergrund treten.
Der Klang des Flusses spricht zu mir, die Worte hell und klar
Von Wasser, Regen, Licht und Meer, von vielem, was einst war
Vergangenheit und Gegenwart, die Reise endet nicht
Selbst wenn der Strom sein Ziel erreicht, im Meer sich dort verflicht
Kehrt er als Regen doch zurück, getragen von den Wolken
Und nimmt erneut den Lauf der Zeit, dem wird er ewig folgen!
Irwyne war wie verzaubert von der Musik und Antiens Gesang. Sie sah deutliche Bilder vor sich: Wolken, die am Himmel vorbeizogen, ein weites, rauschendes Meer, und strömender Regen über einem grünen Wald. Mit einem mal war es ihr, als stünde sie selbst am Ufer des Flusses aus dem Lied, umgeben vom Tiefgrün unzähliger Weidenbäume. Ein Pfad lief am Fluss entlang und sie folgte ihm, bis zu einem kleinen Haus neben einem Wasserfall. Die Tür öffnete sich, und helles Licht strahlte daraus hervor. Irwyne machte einen Schritt vorwärts, doch in diesem Moment wechselte Antien in die Elbensprache, und das Bild verblasste. Sie war wieder in Bruchtal, in Finelleths Krankenzimmer, wo es nach Kräutern und Tee duftete.
A Elbereth Gilthoniel
o menel palan-diriel
le nallon sí di'nguruthos
A tiro nin, Fanuilos!
So sang Antien an jenem Juliabend, während die Sonne hintern ihm im Westen versank.
Sie hatten Bruchtal drei Tage nach dem Kampf am Hohen Pass erreicht. Irwyne hatte mit Staunen das verborgene Tal betreten und mit Demut und Ehrfurcht war sie vor Meister Elrond getreten.
"Eine ausgezeichnete Heilerin, wie ich sehe," hatte der Herr von Imladris anerkennend gesagt als er erfuhr, wer Finelleths Wunden verbunden hatte. Der Meister selbst hatte sich der Verletzten angenommen, und mit wachsender Sorge hatte er die Nachrichten aus Dol Guldur vernommen. Als er von Glorfindels Entschluss erfuhr, Thranduil nach Norden zu folgen nickte der Herr von Imladris anerkennend.
"Eine mutige Tat war dies," sagte Elrond zu Antien, der von den Ereignissen berichtet hatte. "Er gibt den Kampf gegen das Böse also weiterhin nicht auf. Es ist gut, dass wir jemanden in Sarumans Nähe haben."
Erestor, der oberste Berater Elronds, warf ein: "Dennoch sind dies nicht die einzigen Erkenntnisse. Der Fall Dol Guldurs zeigt, dass Saurons Streitmacht im Norden nicht so stark ist, wie wir annahmen. Und die Entdeckung, die Antien und Finelleth im Gebirge gemacht haben weist darauf hin, dass die Orks der Hithaeglir miteinander im Streit liegen. Es scheint als ob Sauron und Saruman weniger souverän sind als sie vorgeben zu sein."
"Einige Zeit schon vermutete ich, dass die Orks von Gundabad nicht Saruman dienen," sagte Elrond. "Wahrscheinlich sind sie es, die nun in der Abwesenheit von Sarumans Heer am Hohen Pass Wanderern und anderen Orks auflauern."
"So scheint es wohl," bestätigte Erestor.
Bereits am nächsten Tag erlaubte Elrond Finelleth, das Krankenbett zu verlassen. "Deine Wunden verheilen nun, nachdem das Gift, mit dem die Waffen deiner Feinde beschmiert waren, aus deinem Körper geschwunden ist. Irwyne hat gute Erste Hilfe geleistet. Du wirst dich in einigen Tagen erholt haben." Damit verließ der Herr von Imladris den Raum. Die Elbin lächelte Irwyne dankbar zu und stand langsam auf. Gemeinsam traten sie an eines der Geländer des Hauses und genossen den Blick über die Wasserfälle Bruchtals. Es war Nachmittag, und eine kühle Brise strich erfrischend über ihre Gesichter, versprühten Wasserdampf mit sich tragend. So standen sie einen Augenblick dort und genossen die Ruhe, bis sie von mehreren Stimmen unterbrochen wurden. Eine gehörte Elrond, und sie kam näher.
"...ich entsandte ihn gen Norden, vor mehreren Wochen schon."
"Pallando wird seine Gründe gehabt haben," sagte eine neue Stimme, alt und voller Wärme.
"Nun, es ist gut zu wissen, dass der Orden der Istari zum Großteil weiterhin seinem Auftrag folgt," antwortete Elrond. "Saruman hingegen... Ich befürchte, er könnte Glorfindel auf seine Art und Weise benutzen. Direkt kontrollieren kann er ihn vielleicht nicht - doch durch dessen Sorge um Thranduil übt der Zauberer trotzdem Kontrolle auf Glorfindel aus. Die Macht seiner Stimme ist nach wie vor groß."
Irwyne drehte den Kopf in Richtung der Sprechenden. Dort war Elrond, begleitet von einem alten Mann in brauner Kleidung, einen großen Stab in der Rechten. Als der Zauberer - den um nichts anderes konnte es sich handeln - sie sah, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.
"Es sind also nicht nur Elben hier," stellte er geradezu fröhlich fest. "Wie lautet dein Name, junge Dame? Ich bin Radagast, und wenn mich nicht alles täuschst, stammst du als dem selben Land wie Gamling, einer meiner Reisegefährten auf dem Weg hierher."
"Ich heiße Irwyne," sagte sie. "Wer ist Gamling?"
"Ein schlechtgelaunter Mann aus Rohan," antwortete Radagast. "Er und der Junge ruhen sich in einem der freien Zimmer in den unteren Stockwerken aus."
Elrond, der vieles sah und noch mehr erahnen konnte, legte die Hände zusammen und sagte: "Du solltest nach ihnen sehen, Irwyne. Ich denke, du wirst eine Überraschung erleben."
Sie bedankte sich ordentlich und eilte die Treppen hinunter, verwundert darüber, was Elronds Worte wohl zu bedeuten hatten. Finelleth war bei Radagast geblieben, und so fragte Irwyne einen der Elben den sie auf dem Weg nach unten traf nach Gamlings Aufenthaltsort. Man schickte sie zu einem der kleineren Zimmer nahe der Halle des Feuers. Gespannt öffnete sie die Tür, spähte hinein - und riss erschrocken die Augen auf, als sie Amrothos dort liegen sah, in einem großen Bett, leichenblass und schlafend. Ein müder alter Krieger lehnte auf einem Stuhl neben dem Bett, die Augen geschlossen. Sie stürzte in den Raum, Tränen in den Augen.
"Amrothos, Amrothos! Was ist nur mit dir geschehen?"
Zuerst kam keine Reaktion, doch dann öffneten sich flatternd die Augenlider des jungen Mannes. Verwirrt versuchte er, Irwyne zu fixieren. Schließlich klärte sich sein Blick, und er setzte sich im Bett auf.
"Irwyne? Die kleine Irwyne aus Rohan? Kann es denn wahr sein?" fragte er mit leiser Stimme.
"Ich bin es, Amrothos," presste Irwyne hervor und umarmte den verdutzten Amrothos. "Hat Oronêl dich gefunden? Wo ist er? Er ist doch nicht etwa..."
"Nein, nein," antwortete Amrothos. "Es geht ihm gut, schätze ich. Er blieb in Dunland, mit Orophin, um auf etwas zu warten. Mehr weiß ich auch nicht. Ich denke er... er hat ihn noch. Er versteckt ihn vor mir, der Dieb!"
Irwyne prallte zurück. Amrothos hatte die Hände zu Fäusten geballt und sein Gesicht war zu einer Maske der Wut verzerrt. Doch der Augenblick verging so schnell wie er gekommen war, und eine Träne stahl sich die Wange des Prinzen hinab. "Irwyne, verzeih! Es ist... es geht mir nicht so gut. Ich muss ruhen, und ich muss vergessen. Oronêl wird es dir erklären, wenn er kommt."
"Wird er kommen?" fragte Irwyne hoffnungsvoll.
"Ich vermute es," sagte Amrothos. "Aber ich weiß nicht wann das sein wird."
"Ich bin froh, dass er dich gefunden hat und dass du jetzt hier bist," meinte Irwyne leise. "Du wirst wieder gesund werden, denn Meister Elrond ist der beste Heiler, den ich kenne. Er weiß bestimmt, was zu tun ist."
Amrothos blickte ihr lange in die Augen, und sie glaubte, einen blassen Schimmer der Hoffnung dort zu erhaschen.
"Vielleicht," sagte er leise. "Vielleicht eines Tages."
Dialog zwischen Elrond, Erestor und Radagast angepasst