Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Eregion

Tal des Sirannon

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Thorondor the Eagle:
Elea und Brianna von der Wildnis nahe Imladris


Unentwegt marschierten die beiden Frauen den schmalen Pfad entlang des Nebelgebirges. Die weißen Dornen die sich zu ihrer Linken in den Himmel bohrten waren von der abendlichen Sonne in ein sattes Rot getaucht. Der Schnee zeigte sich im Winter in vielen Farben. Morgens war er dunkelgrau im Schatten der Berge, gegen Mittag verwandelt er sich in ein strahlendes Goldgelb, im Dämmerlicht war er so weiß wie er einst vom Himmel fiel und am Abend leuchtete er so rot wie Feuer.
Tag für Tag beobachtete Elea dieses Spektakel während sie einen Schritt vor den nächsten setzte um ihr Ziel zu erreichen. Mehrmals mussten sie einen Halt machen um wieder zu Kräften zu kommen.
Elea und Brianna sammelten ein bisschen Reisig in der Umgebung, um ein Feuer zu entzünden. Er war feucht und so dauerte es dementsprechend, bis die Funken auf das dünne Holz übersprangen.
Brianna war in eine dicke Wolldecke gewickelt und sah Elea zu wie sie immer wieder die Steine gegeneinander schlug.

„Elea. Hier hast du etwas zu essen“, sagte sei und reichte ihrer Wegbegleiterin ein Stück elbisches Brot.
„Danke. Leg es dorthin, ich will zunächst das Feuer entzünden.“
„Warst du schon einmal in dieser Gegend?“
„Nein. Soweit südlich bin ich noch nicht gewesen. Ich war früher oft in Bruchtal und seltener in Mithlond und Bree. Ein einziges Mal durchschritt ich das Auenland.“
„Auenland? Ich sah es auf der Karte die mich in die Elbenstadt führte, aber ich war noch nie dort. Was ist das Auenland?“
„Ein wunderschöner Fleck von Mittelerde. Grüne Hügel übersäht mit hunderten von Blüten, Büschen und von Bäumen die älter sind als alle Hobbits die dort wohnen.“
„Hobbits? Halbling nicht wahr. Ich habe schon Geschichten über dieses kleine Volk gehört. Wenige nur aber doch genug um zu wissen, dass es sie gibt.“
„Ja, ein eigenbrötlerisches Volk. Sie leben in ihren vier Vierteln vor sich hin. Sie sind stur und weltenfremd, aber auch treu und freundlich, wenn man sie kennt. Hobbits mögen jeden der die Natur genauso schätzt wie sie, denn kein anderes Volk liebt Dinge dich wachsen so sehr wie sie.“
„Klingt so, als ob dies ein Ort ist an dem man gerne lebt.“
„Ja, doch als 'Großer' von Außen, bist du dort kein willkommener Gast.“

Elea nahm das Brot und begann es genüsslich zu essen. Währenddessen starrte Brianna in die lodernde Flamme vor sich. Sie legten beide die Füße zum Feuer, denn sie waren kalt. Die beiden Frauen waren nun schon weitab von Imladris und der wärmenden Sitten und Einflüsse der Elben. Dunland war nicht mehr weit entfernt.


Elea und Brianna zur Pforte von Rohan

Eandril:
Oronêl, Mathan, Halarîn und Orophin aus Rohan...

Den Abend des siebten Tages nach ihrem Aufbruch verbrachten die Elben auf einem Hügel am Rand des Gebirges, der auf das flache Tal des Sirannon herabblickte. Zwar waren sie auf ihrer Reise zuvor häufig die Nacht durchgewandert um der Aufmerksamkeit der Dunländer zu entgehen, doch jetzt, kurz vor ihrem vorläufigen Ziel, hatten sie beschlossen das Tageslicht abzuwarten. Trotz ihrer Elbenaugen wäre es im Dunkeln deutlich schwerer geworden, nach Amrothos' Spuren zu suchen, und Oronêl wollte ungern das Risiko eingehen, etwas zu übersehen.


Nach ihrem nächtlichen Aufbruch von den Isenfurten waren sie zunächst ein Stück weit den Resten der alten Nord-Süd-Straße gefolgt und dann nach Norden entlang des Nebelgebirges abgebogen. Oronêl hatte das Land mit großen Interesse betrachtet, denn hier waren vor dem ersten Aufgang der Sonne seine Vorfahren unter Lenwes Führung nach Westen gewandert und hatten sogar eine Zeit lang am Fuße der Berge gelebt.
Auf dem Weg entlang der Berge mussten sie mehrfach Siedlungen der Dunländer ausweichen - zwar hatten diese zuletzt auf Sarumans Seite gestanden und dürften ihnen also nicht feindlich gesinnt sein. Doch selbst wenn sie nach wie vor Saruman folgten: Oronêl traute auch dessen Absichten nach wie vor nicht, und so wichen sie jeglichem Kontakt mit den Dunländern aus.


Während Orophin die erste Wache übernahm hatten sich Mathan und Halarîn nebeneinander auf dem von Heidekraut und weichem Moos bedeckten Boden ausgestreckt und blickten in den nächtlichen Sternenhimmel. Ab und zu flüsterte Halarîn Mathan etwas ins Ohr, der daraufhin meistens leise lachen musste.
Oronêl betrachtete die beiden und war sich seiner Gefühle nicht im klaren. Einerseits freute er sich für sie, dass ihre Liebe nach so langer gemeinsamer Zeit noch immer so frisch zu sein schien, doch andererseits beneidete er sie auch darum. Gedankenverloren strich er über das Kästchen, dass er am ersten Tag ihrer Reise in seinem Beutel gefunden hatte.  Er wusste, dass Mithrellas es dort hineingetan hatte, und er ahnte auch, was sich darin befand - eben darum fürchtete er sich auch davor, das hölzerne Kästchen zu öffnen.

"Öffne es endlich.", hörte er plötzlich Orophin hinter sich sagen und wandte ihm den Kopf zu. Der Grenzwächter stand mit dem Rücken zu ihm und blickte wachsam über das Tal des Sirannon. Oronêl stand auf und steckte das Kästchen schnell in seinen Beutel. "Was soll ich öffnen?"
Orophin drehte sich zu ihm um und sah ihm in die Augen. "Stell dich nicht dumm. Ich meine natürlich das Kästchen, dass du jedes Mal wenn wir lagern anstarrst. Vielleicht hast du geglaubt niemand würde es bemerken, aber da irrst du dich, mein Freund."
Oronêl nahm das Kästchen wieder aus seinem Beutel. "Was weiß du davon?" Orophin zuckte mit den Schultern. "Nichts - außer dass es vermutlich etwas enthält, was sehr wichtig für dich ist. Ein Andenken vielleicht."
"Wie kommst du darauf?", fragte Oronêl scharf. "Du hast weder eine Tochter noch eine Frau. Was kannst du also davon wissen?"
"Ich hatte zwei Brüder.", erwiderte der Grenzwächter und zog seinen Dolch aus dem Gürtel. "Hier, dieser Dolch gehörte meinem Bruder Haldir, der in der Schlacht gegen Saurons Truppen gefallen ist. Manchmal sehe ich ihn mir an und denke an meinen Bruder. Und wenn du dieses Kästchen ansiehst erkenne ich diesen Blick bei dir wieder."
Oronêl senkte für einen Moment den Blick und sah Orophin dann wieder an. "Verzeih mir. Meine Worte waren unbedacht und zu hart."
Orophin nickte, sagte aber: "Es gibt nichts zu verzeihen. Aber vielleicht nimmst du meinen Rat nun an: Hör auf die zu quälen und öffne dieses Kästchen. Was kann schon schlimmes darin sein?"
Oronêl sagte nichts darauf, sondern öffnete das Kästchen. "Erinnerung.", sagte er leise. "Fehler. Bedauern." Und er erzählte.


Nach der Schlacht auf der Dagorlad blieb Oronêl nicht beim Heer des Letzten Bundes. Zusammen mit den anderen Überlebenden aus Lórinand brachte der die Leichen Amdírs und aller anderen, die sie finden konnten - und das waren leider nicht viele - nach Hause und begruben sie dort unter den Bäumen. Nach dem Begräbnis floh Oronêl, ohne noch ein einziges Wort mit seiner Frau oder Tochter zu wechseln. Sein Schmerz, seine Trauer und seine Schuldgefühle über Amdírs Tod überwältigten ihn und so zog er sich an die Nordgrenze das Landes zurück. Er floh vor jedem der nach ihm suchte, selbst vor Mithrellas und Calenwen - besonders vor Calenwen, denn Amdír war ihr Onkel gewesen und er konnte es nicht ertragen, ihr in die Augen zu sehen.
Doch über seinen eigenen Schmerz vergaß er den Schmerz zu sehen, den er seiner Familie mit seinem Verhalten zufügte, und der schließlich Calenwen dazu brachte Lórinand und Mittelerde zu verlassen.
Als er schließlich im ersten Jahr des Dritten Zeitalters nach Caras Galadhon zurückkehrte war Calenwen nicht mehr dort, doch sie hatte ihm etwas hinterlassen.


In dem Kästchen lag ein Medaillon aus dem Holz eines Mallornbaumes, auf dem ein eben solcher eingeritzt war. "Das hatte sie mir hinterlassen - und einen Brief." Oronêl schluckte, denn die Erinnerung daran war immer noch schmerzhaft. "Sie schrieb, dass sie mir eines Tages verzeihen würde. Und dass sie hoffte, dass ich ihr ebenfalls eines Tages verzeihen könnte. Wenn soweit wäre und ich nach Westen führe, dann sollte ich dieses Medaillon tragen zum Zeichen, dass ich ihr verziehen habe."
"Und was hast du getan?", fragte Orophin. "Was schon?", erwiderte Oronêl müde. "Ich habe es weggeschmissen. Ich konnte mir nicht vorstellen ihren Verrat - denn so sah ich es damals - jemals zu verzeihen. Mithrellas muss es gefunden und aufgehoben haben... bis heute."
"Warum hat sie es dir mitgegeben, wenn es solche Erinnerungen bei dir hervorruft?", wunderte Orophin sich. "Ich weiß es nicht. Es sei denn..." Oronêl zögerte. "Es sei denn, sie vermutete, dass ich bereit war mich auf dieser Reise zu opfern um Amrothos zu retten und den Ring zu zerstören. Dass ich keinen Sinn mehr sehe nach der Zerstörung Lóriens weiterzuleben. Sie weiß, dass ich Calenwen längst verziehen habe, und auf diese Weise erinnert sich mich daran, dass es doch etwas gibt für dass es sich lohnt weiterzumachen." "Und?", fragte Orophin. "Hatte sie Recht?"
Oronêl atmete tief ein. "Ich... weiß es nicht. Möglich. Aber zumindest hat sie mit deiner Hilfe erreicht was sie erreichen wollte."

Curanthor:
Nach mehreren Tagen des Wanderns und auf dem Boden starren, machte die Gruppe an einem kleinen Kiefernwäldchen Rast. Bislang gab es keine Spuren von den Ring oder seinem Träger. Unterdessen waren sie schon recht nahe der alten Hauptstadt von Eregion. Mathan zog ein unwilliges Gesicht dieser Tage, da er es vermeiden wollte noch näher an seine alte Heimat zu kommen.
Oronêl und Orophin sprachen öfters miteinander, aber meistens nur dann, wenn sie hinter ihnen gingen. Ihm war es aber egal, da es wohl offensichtlich private Themen waren.
Glücklichweise konnten sie bishher einen Kampf vermeiden, dank Mathans Ortskenntnisse und Halarîns guten Sinn für Veränderungen konnten sie sich gut zurrechtfinden. Bis auf eine Horde Warge die gefährlich nah an sie herankam blieb es ruhig. Die Dunländer mieden diese Gegend offenbar, dagegen fanden sie hin und wieder Spuren von Lagerfeuer, Stiefelabdrücken und anderen Zeichen von Zivilisation. Oronêl mutmaßte, dass es Flüchtlinge sein mussten. Gewissheit gab es dann, als sie eine Puppe fanden die eindeutig aus Rohan stammte. Offenbar waren einige Flüchtlinge nach dem katastrophalen Rat in Aldburg weiter nach Norden gezogen. Mathan konnte es ihnen nicht verübeln und hätte an ihrer Stelle ebenfalls so gehandelt.

Nach ein paar weiteren Tagen der erfolglosen Suche stießen die Elben auf eine kleine Familie aus Rohan. Orophin war es, der sie ausfindig machte, als sie einen der vielen Hügel erklommen hatten. Ein hagerer Mann mit blonden Stoppelbart stützte eine Frau, deren Beine sie wohl nicht mehr tragen konnte. Mathan schätzte beide auf etwa 30 Jahre, ihre Kleidung war an einigen Stellen dreckig und eingerissen aber den Umständen entsprechend gut. Ein kleiner, blondhaariger Junge lief den beiden auf etwa zehn Schritte hinterher und fragte ständig nach Wasser. Halarîn war es, die sich als Erste in Bewegung setzte und zu winken begann. Wie es der Zufall wollte, setzten die Eltern sich auf einen alten Baumstamm um zu rasten, sodass der Junge sie erblickte. Aufgeregt zupfte er an den Kleidern der Eltern und deutete in ihre Richtung.
"Denkt ihr, dass ist eine gute Idee?", fragte Orophin in die Runde.
"Nun, wir sind schon seit einer Weile unterwegs. Vielleicht haben sie Neuigkeiten.", antwortete Oronêl nachdenklich.
Mathan brummte zustimmend und schritt voraus, Halarîn an seiner Seite.
Inzwischen lief ihnen der hagere Mann entgegen, seine Augen glänzten. Schon vom weiten begann er zu rufen und fragte nach Wasser. Orophin, der die Vorräte überwachte blickte zu Oronêl, dann zu Mathan. Als beide nickten gab er Halarîn eine Flasche mit Wasser. "Mehr können wir nicht geben." sagte er dabei und nickte dem Mann zu. Der verstand sie natürlich nicht und nahm dankbar die Flasche entgegen, die Halarîn ihm gab.
"Es ist ein Wunder hier draußen auf Elben zu treffen!", rief er und verneigte sich tief. "Ich stehe tief in euerer Schuld.
Mathan winkte ab und fragte warum er in dieser gefährlichen Gegend mit seiner Familie reiste. Ein Schatten legte sich auf das Gesicht des Mannes und die Fröhlichkeit erlosch schlagartig.
"Nun da die Schlange Saruman mit unseren Soldaten gegen Sauron zieht kann er mit der anderen Hand erneut unser Land verwüsten. Da laufe ich lieber in der Wildniss umher als meiner Familie den Orks auszuetzten."
"Und warum gerade nach Norden?", fragte Orophin, der leicht irritiert wirkte.
"Habt ihr es noch nicht gehört? Es heißt, dass sich dort Widerstand regt und Saruman Vergeltung üben will.", erklärte der Mann empört und starrte die Elben an.
Mathan und Oronêl wechselten einen schnellen Blick. Das hieß, dass Merry und Pipin, die sie beim Rat gesehen haben wohl Erfolge verzeichneten. Halarîrn wirkte auf einmal gefasst.
"Was wisst ihr von dieser "Vergeltung"?", fragte sie leise, doch der Mann zuckte mit den Schultern.
"Ich weiß es nicht, aber es ist überall dort besser wo sich Widerstand regt als vor der Tür der Orks.", antwortete der Mann aufgeregt und
Sorge hatte sich auf das Gesicht seiner Frau gelegt und Mathan dachte ebenfalls, dass ein Schlag gegen den Norden auch Mithlond treffen könnte, immerhin ist es neben Bruchtal einer der letzten Zufluchtsorte der Elben.
Nach einer mehr weniger belanglosen Unterhaltung trennten sich die Gruppen wieder. Mathan hatte sich mehr erhofft, doch der Mann war nur ein einfacher Händler gewesen und nicht sonderlich informiert.
"Diese Sache mit dem Widerstand bereitet mir Sorgen.", gestand Oronêl nachdenklich, während sie durch das Tal Schritten.
"Nicht nur dir, immerhin sind im Norden hunderte, vielleicht ein paar tausende Flüchtlinge. Und auch die Grauen Anfurten.", ergänzte Mathan.
"Und deine Tochter.", fügte Orophin hinzu.
"Ich weiß.", antwortete Halarîn angespannt und warf sich ihr Haar über die Schulter.
Mathan grübelte lange und war mehr als abgelenkt, bis Oronêl stehen blieb.
"Ich denke, wir sollten uns aufteilen.", sagte er direkt und erntete drei verdutzte Blicke.
"Mathan, Halarîn, ihr kennt Amrothos nicht und ich möchte euch nicht mit dem Wissen dabei haben, dass ihr vielleicht eure Tochter verlieren könntet."
Orophin nickte, als er verstand was Oronêl meinte und bekräftigte das Argument mit der Begründung, dass sie sich mittlerweile gut genug auskannten und er auch Spurenlesen kann. Das Paar blickte sich eine Weile lang an und nickte langsam.
"Vielleicht kann man dort ein paar helfende Klingen gebrauchen.", stimmte Mathan zu und Halarîn atmete erleichtert auf.

Als dies beschlossen war, setzten sie sich ins weiche Grass und besprachen eine ganze Weile das weitere Vorgehen. Mathan erkärte den beiden ausführlich die ungefährlichen Wege, beschrieb wo man Wasser finden kann und alles, was man wissen musste, damit man sich in Eregion zurecht finden konnte. "Und passt auf Warge auf, die sind hier leider sehr aktiv geworden.", sagte er am Schluss seiner Ausführungen.
"Oh keine Sorgen, mit denen werden wir schon fertig.", antwortete Orophin und strich über sein Schwert, dass er neben sich gelegt hatte.
Oronêl nickte dagegen ernst und bedankte sich. Die Sonne stand hoch am Zenit als sie sich erhoben und einander viel Glück wünschten. Mathan überreichte Oronêl eine seiner Karten und nahm ihn das Versprechen ab, dass er sie ihm zurückgeben würde. Mit einem Schmunzeln nahm er Mathans Karte und vertraute sie Orophin an. 
"Mögen die Sterne euren Weg erleuchten.", verabschiedte sich Halarîn mit ihren Akzent und deutete eine Verneigung an.
"Mögen sie auch euch wohl gesonnen sein.", erwiderte Oronêl und Orophin nickte zustimmend.
"Bis zum nächsten Wiedersehen.", sagte Mathan frech und zwinkerte den beiden Elben, denen sich ein leichtes Schmunzeln auf die Lippen schlich.

Nachdem sie sich veabschieden, gingen die jeweils zwei Elben getrennte Wege. Mathan und Halarîn schlugen eine nord-westliche Richtung ein, während Oronêl und Orophin am Fuße der Berge weiter nach Spuren suchten.

Sie verließen das Gebiet um Eregion und Dunland nach ein paar Tagen und gelangten ohne besondere Zwischenfälle an die große Oststraße, die deutlich belebter war, als die ganze Strecke zuvor. Mathan fand viele Spuren, hauptsächlich von Menschen und ein paar wenige Elbenabdrücke. Halarîn erfuhr von einem gesprächigen Hobbit, dass ein geheimnissvoller Bund von Menschen im Norden lebe und dort Saruman die Sirn bieten würde. Mathan erklärte ihr, dass es ungewöhnlich sei, soweit außerhalb des Auenlandes einen Hobbit zu treffen. Je weiter sie wanderten, umso mehr Gerüchte kamen ihnen zu Ohren. Hauptsächlich ging es um Saruman und was er plante. Vieles davon war nur um Angst zu verbreiten, allerdings war schon öfters die Rede davon, dass es bald vielleicht einen größeren Angriff geben kann, weil der Norden sich langsam im Aufruhr befindet.

Als die beiden Elben in der Nähe von Bree gelangten, mischten sie sich unauffällig unter die Leute, auch wenn sie durch ihre ungewöhnliche Kleidung, Waffen und Statur sich deutlich von der Menge abhoben. Trotzdem ließ man sie in Ruhe und Mathan belauschte ein Gespräch, indem es um einen geheimnissvollen Bund von Vagabunden ging, der sich in den nördlichen Ruinen versteckt hielt. Neugierig geworden verfolgte er diese Spur und schlich sich Nachts in Richtung Bree und stieß vor dem Tor auf eine Gruppe übel aussehender Männer. Scheinbar Schergen Sarumans, wie ihm die Weiße Hand auf den Schilden zeigte. Sie maulten über mangelnde Pausen und wirkten alles andere als diszipliniert. Sie verstummten, als eine vermummte Gestalt in einem dunkelgrünem Mantel zu ihnen trat. Mathan hatte schon von den verräterischen Waldläufern gehört, jedoch noch nie einen von ihnen im Norden gesehen. Der Mantelträger bellte ein paar Befehle und unterhielt sich mit einem zweiten Vermummten, der gerade zu ihm trat. Seine elbischen Ohren konnten das Gespräch gut verfolgen und so erfuhr er von einer Gruppe rebellischer Waldläufer, die sich womöglich in Fornost aufhielten. Nach einer Weile zog er sich zurück.

Rasch war er wieder bei Halarîn im Lager und berichtete ihr, was er belauscht hatte. Sie kamen zu dem Schluss, dass sie am besten sofort losziehen sollten und schlugen den Weg zum Grünweg ein. Vorsichtig folgten sie dem Weg und vermieden es gesehen zu werden und liefen stellenweise lange Abschnitte abseits der Straße. Hin und wieder machten sie kleine Pausen weil Halarîn nicht Mathans Ausdauer besaß. Auf Lagerfeuer verzichteten sie, da Mathan in dem Gespräch etwas von ständigen Wachen gehört hatte. Nach ein paar Tagen und einem Gewaltmarsch durch das alte Arnor erreichten sie die Umgebung von Fornost.

Mathan und Halarîn nach Fornost

Eandril:
Nach ihrer Trennung von Mathan und Halarîn wandten Oronêl und Orophin sich am Fuß der Berge hinab ins Tal des Sirannon - oder zumindest in dessen Nähe, denn auf der Straße, die entlang des Baches angelegt worden war, marschierten immer wieder kleine Gruppen von Menschen und Orks mit dem Zeichen der Weißen Hand.
"Wie sollen wir dort die Spur eines einzelnen Mannes finden?", flüsterte Orophin, der neben Oronêl im hohen Gras auf einem Hang südlich der Straße lag, gut versteckt vor den Augen von Sarumans Dienern. Oronêl berührte mit einer Hand das Mallorn-Medaillon, dass er nun um den Hals trug. "Das können wir nicht." Die Erkenntnis machte ihm zu schaffen.
"Die Straße ist gut gepflastert und es wird darauf keine Spuren geben. Und selbst wenn, wird jede Spur inzwischen zerstört sein." Er kroch ein Stück zurück, einen kleinen Abhang hinunter sodass eine Kuppe zwischen ihnen und der Straße saß und setzte sich auf. Orophin folge ihm und setzte sich zu ihm. "Was können wir also tun?", fragte der jüngere Elb.
"Ich glaube nicht, dass Amrothos westlich der Tore auf der Straße geblieben ist.", meinte Oronêl, und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dabei berührte er die Narbe auf seiner linken Wange, das Andenken an die Kämpfe um das alte Lórinand. Der Gedanke an Lórien machte ihn traurig, und er verdrängte ihn so schnell wie möglich. "Auch wenn er von dem Ring beherrscht wird, ist er vermutlich klug genug sich von Sarumans Dienern fernzuhalten. Wir könnten also..."
Er unterbrach sich, denn von der Straße drangen Stimmen hinauf. Beide Elben krochen schnell wieder auf die Kuppe von der sie eben die Straße beobachtet hatten. Unten im Tal marschierte etwa ein Dutzend Männer in südwestlicher Richtung den Weg entlang, die einen Ochsenkarren mit sich führten, und unterhielten sich gut gelaunt. Obwohl er ihre Sprache nicht verstand konnte Oronêl einige Worte verstehen, denn sie ähnelten Wörtern aus anderen Menschensprachen. "Es sind Dunländer.", flüsterte er, so leise dass nur der direkt neben ihm liegende Orophin mit seinen Elbenohren es hören konnte. "Offenbar haben sie irgendetwas nach Moria gebracht, ich weiß nicht..." Er beendete den Satz nicht, denn er glaubte das Wort "Forgoil" und etwas dass wie "Süd-Mensch" klang, gehört zu haben, und lauschte angestrengt.
"Sie scheinen sich auf etwas zu freuen, was ihr Anführer mit einem Forgoil, so nennen sie die Menschen von Rohan, und einem Süd-Menschen, die bei ihnen im Kerker sitzen, vorhat. Vielleicht sollen sie gegeneinander kämpfen?"
"Denkst du, es wäre möglich dass sie Amrothos meinen?", gab Orophin leise zurück. "Vielleicht." Oronêl spürte, wie sein Herz schneller schlug. "Er muss hier entlang gekommen sein, vielleicht haben sie ihn gefangen genommen."
Inzwischen hatten sich die Dunländer in Richtung Westen entfernt, und die Elben zogen sich wieder hinter die Hügelkuppe zurück. "Auf jeden Fall sollten wir ihnen folgen, denn selbst wenn es nicht Amrothos ist, würde es Saruman zumindest schaden die Gefangenen zu befreien."

Oronêl und Orophin nach Dunland

Fine:
Córiel, Jarbeorn, Sabri und Calanto aus Ost-in-Edhil


Je weiter sie nach Osten kamen, desto leerer wurde das Land und erinnerte Córiel daran, wie Eregion vor der Ankunft der Avari ausgesehen hatte. Bewachsen war es von den für die Region typischen Hulstbäumen, doch abgesehen davon gab es kaum Vegetation. Ähnlich wie der Norden Dunlands war es in diesem Landstrich felsig und uneben. Kleine Büsche und verstreute Ansammlungen von Gras wuchsen zwischen den Steinen und hin und wieder sah Córiel vereinzelte Blumen mit hellblauen Blüten herausstechen. Sie ließen die Pferde inzwischen im raschen Trab gehen, sodass sie sich nicht allzu rasch verausgaben würden, aber die Gruppe auch nicht zu langsam vorankommen würde.
Córiel war schweigsam während des Rittes nach Osten, während sich ihre drei Gefährten schon bald blendend miteinander verstanden und sich angeregt unterhielten. Der Elbin gelang es zum Glück gut, den Großteil dieser belanglosen Unterhaltungen auszublenden. Sie ritt meist an der Spitze der Gruppe, denn Calanto hatte ihnen den Weg nicht groß erklären müssen. Ihr Ziel waren die Berge, die mit jeder Meile höher vor ihnen aufragten. Es war schier unmöglich, vom Weg abzukommen.
Es wird Zeit für ein paar Antworten, dachte Córiel grimmig. Wenn wir Veca gefunden haben, wird sie unsere Fragen beantworten... dafür werde ich sorgen. Sie hatte kein Problem damit, notfalls auch Gewalt anzuwenden. Während der Audienz bei der Avari-Königin hatte sie sich dabei ertappt, dass ein kleiner, dunkler Teil in ihrem Inneren einem Krieg zwischen Dunland und Eregion nicht ganz abgeneigt gewesen war. Wider jeder Vernunft gab es dort, tief drinnen etwas, das sich nach Blutvergießen sehnte, auch wenn es ihr bislang noch gelungen war, dieses Verlangen zu unterdrücken. Ein Krieg würde niemandem helfen, sagte sie sich und versuchte, diese Wahrheit bis in die hintersten Winkel ihrer Seele dringen zu lassen. Doch noch gelang es ihr nicht vollständig.

"Ein Leben zu nehmen ist niemals leicht, selbst wenn schon Hunderte unter deiner Klinge gefallen sein mögen," erklang Sabris angenehme Stimme neben Córiel und riss die Hochelbin aus ihren düsteren Gedanken. Sie musterte ihn nachdenklich und fragte sich, woher ein Mensch wie er, der wahrscheinlich jünger als Jarbeorn war, solche Sprüche aufgeschnappt hatte.
"Wie poetisch. Hat dir das deine Mutter eingeflüstert, kurz bevor sie dir Schlaflieder gesungen hat?" gab sie schnippisch zurück.
Sabri schien nicht beleidigt zu sein, sondern hob nur die Schultern, ehe er sagte: "Meine Mutter hat mir keine Lieder gesungen. Sie besitzt... nicht ganz die richtige Persönlichkeit dafür."
"Was meinst du damit?"
Der Südländer rieb sich nachdenklich über den Unterarm, während er sein Pferd noch näher an Córiels Elbenross lenkte, damit sie sich besser unterhalten konnten. "Mein Vater mag ein Falke sein, doch meine Mutter... ist eine Schlange. Ich habe sie seit Jahren nicht gesehen, und ich fürchte, bei einem Wiedersehen werden wir uns als Feinde gegenüberstehen. Deswegen ist es vorm größter Wichtigkeit, dass ich meinen Auftrag hier im Norden so bald wie möglich erfolgreich abschließe und zu meinem Vater und seinen Kriegern zurückkehre."
Im Hintergrund lachten Jarbeorn und Calanto gerade über einen derben Witz. Córiel ignorierte die beiden und beschloss, mehr über das, was Sabri ihr erzählte, herauszufinden. "Worum geht es dabei? Vielleicht kann ich helfen," sagte sie.
"Nun, das wird sich zeigen, wenn wir Veca gefunden haben," antwortete Sabri mit einem schwachen Lächeln. Dann seufzte er leise, ehe er fortfuhr. "Vielleicht sollte ich ganz von vorne beginnen. Ich stamme aus dem Land, das hier im Norden als Harad bezeichnet wird. Mein Vater führt dort einen Bund von Kriegern an, die für das Wohl des Landes kämpfen. In letzter Zeit mussten wir einen schweren Rückschlag hinnehmen und vermuten jetzt, dass niemand anderes als Saruman dahinter stecken könnte. Deshalb kam ich mit dem Auftrag in den Norden, einen Diener Sarumans gefangen zu nehmen und herauszufinden, ob es tatsächlich eine Verbindung nach Harad gibt."
"Und deshalb bist du mit Veca aneinandergeraten," schlussfolgerte Córiel.
"Gut aufgepasst," lobte Sabri. "Ärgerlicherweise gelang es dieser Frau, mir meinen wichtigsten Besitz zu stehlen: eine Karte, die die verborgenen Stützpunkte meiner Verbündeten in Harad zeigt, und insbesondere mir den Weg zum Aufenthaltsort meines Vaters weisen soll, wenn ich nach Süden zurückkehre. Ohne diese Karte kann ich nicht heimkehren. Zu groß wäre die Schande."
"Wenn wir Veca gefunden haben, werden wir auch deine Karte zurückholen."
"Darauf zähle ich. Ich würde es nämlich wirklich gerne vermeiden, in Schande zurückzukehren."
"Weshalb?"
Diese einfache Frage schien Sabri etwas aus dem Konzept zu bringen, was bei ihm offenbar nur sehr selten geschah. Er brauchte einen Moment, ehe er antwortete: "Nun, wenn du es genau wissen willst..."
"Es geht natürlich um ein Mädchen," mischte sich Jarbeorn ein. "Das sieht selbst ein Blinder." Córiel warf dem Beorninger einen vernichtenden Blick zu, doch er tat die Geste wie immer mit einem herzlichen Lachen ab. "Hab' ich recht? Ich habe Recht, stimmt's?"
Sabri hatte seine anfängliche Verlegenheit rasch überwunden und sagte auftrumpfend: "Genauer gesagt geht es sogar um zwei Mädchen."
"Wie bitte?" wiederholte Jarbeorn ungläubig. "Das nimmt kein gutes Ende, Freund."
"Wir werden sehen. Sobald ich mich für eine der beiden entschieden habe, wird es einfacher werden. Aber gerade diese Entscheidung ist es, die mir den Schlaf raubt. Sie sind so unterschiedlich wie Sonne und Mond. Wie weiß und schwarz. Was übrigens ihre Haarfarben sind. Jedenfalls kann ich es mir nicht leisten, mich vor ihren Augen zu blamieren."
Córiel wurde das Thema langsam leid. "Vielleicht solltest du sie einfach fragen. Dann hast du deine Antwort und kannst wieder ruhig schlafen."
"Wenn ich nur die Zeit gehabt hätte, mit einer der beiden zu sprechen! Doch ich hatte kaum die Gelegenheit, mehr als einen Blick auf sie zu werfen. Kurz nach meiner Ankunft im Stützpunkt meines Vaters wurde dieser von den Schlangen angegriffen. Nachdem dieser Angriff überstanden war, gab mir mein Vater meinen Auftrag, und ich brach in aller Eile auf."
"Die Schlangen? Willst du sagen, dass deine Mutter..."
Sabri zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Sie ist die Anführerin der Assassinen."
"Oh verdammt, bei den sieben Toren von Gondolin," stieß Córiel frustriert hervor. "Können wir bitte wieder dazu übergehen, schweigend nach Osten zu reiten? Oder hat noch jemand hier unglaubliche Enthüllungen parat?"
"Ich bin der Enkel der Königin und soll euch auf eurer Reise genau im Auge behalten," platzte Calanto heraus, der alles mitangehört hatte.
Den Fluch, den Córiel nun von sich gab, verstand zum Glück niemand der Anwesenden.

Sie schlugen ihr Nachtlager auf der Spitze eines Hügels auf, der alleine inmitten der leeren Ebene des östlichen Eregions stand und von einem kleinen Wäldchen aus Hulstbäumen bewachsen war. Rasch teilten sie sich für die Nachtwache ein, und alle außer Córiel legten sich schlafen.
Die Hochelbin starrte gedankenverloren in den von Sternen übersäten Himmel. Der Mond war nicht mehr als eine schmale, kaum sichtbare Sichel, die über den weiten Ebenen im Westen hing. Es waren kaum Wolken zu sehen, was das Sternenlicht ungetrübt erstrahlen ließ. Und für einen Augenblick fand Córiel Frieden in diesem Anblick. Sie war viele Jahre nach dem ersten Aufgang von Sonne und Mond geboren, und hatte von den Zeitaltern der Sterne nur einige Geschichten gehört. Doch nun bot sich ihr ein Eindruck, wie es damals gewesen sein musste.
Ein seltener Anflug von Ehrfurcht überkam sie, und sie wisperte: "Elbereth, Gilthoniel, ó menel palan-díriel..."

Ein Knacken im Unterholz zu ihrer Linken ließ Córiel aufspringen und nach ihrem Speer zu greifen. Sie blickte sich wachsam um, doch außer dem leisen Rauschen des Windes in den vertrocknenden Blättern des Herbstwaldes war nichts zu hören. Córiel hielt den Atem an. Dann, wenige Augenblicke später, erklang ein ähnliches Knacken von der anderen Seite. Sie fuhr herum. Trotz des wenigen Lichtes, das die Sterne spendeten, erkannte sie die Gestalten sofort, die aus dem Unterholz hervorbrachen.
"Orks!" rief sie warnend und weckte damit Sabri, der sich sofort aufrappelte und Jarbeorn und Calanto wachrüttelte. Derweil war Córiel den Orks entgegengetreten, die mit jeder Sekunde mehr wurden. Sie wartete nicht darauf, dass sie angegriffen wurde, sondern ging mit stummem Zorn selbst zum Angriff über. Mit einem großen Sprung legte sie die letzten beiden Meter zurück, kam vor ihren Feinden wieder auf die Beine, und ließ ihren Speer in Halshöhe durch die Nachtluft rauschen. Zwei Orks brachen mit geöffneten Kehlen zusammen; der Rest brüllte und stürzte sich auf Córiel und ihre Gefährten.
Die Hochelbin duckte sich unter einem gegen ihren Kopf geführten Hieb weg und trat ihrem Feind nach einer flinken Drehung gegen die Schläfe. Noch in derselben Bewegung schnellte ihr Speer um ihre Achse und fand zielsicher die schwache Stelle der Rüstung eines weiteren Orks, unter der Achsel. Neben ihr griff nun Jarbeorn in den Kampf ein, dessen Großaxt blutige Ernte unter den Orks einfuhr. Ein rascher Blick hinter sich zeigte Córiel, dass auf der anderen Seite ihres kleinen Lagers Sabri und Calanto kämpften, denn die Orks hatten die vier Gefährten vollständig umzingelt. Calanto schwang seinen schweren Hammer mit großer Kraft und Geschick und schien den Kampf auf eine Art ähnlich wie Córiel selbst zu genießen. Sabri führte ein leicht gebogenes Schwert in der Rechten und einen langen Dolch in der Linken und war ein sehr beweglicher und flinker Kämpfer, der seine Feinde mit gut gezielten Stichen und präzisen Treffern außer Gefecht setzte.
Córiel ließ ihren Speer nach vorne schnellen und durchbohrte den Kopf eines weiteren Orks. Dann zuckte die Speerspitze nach unten, fegte zwei Gegnern die Beine weg, und sie fanden ihr Ende unter Jarbeorns Axt. Córiel geriet mehr und mehr in einen echten Kampfrausch und spürte, wie ihr Herz laut und deutlich in ihren Ohren pochte. Schon bald hatte sie alle Übersicht über das Gefecht verloren und tötete Feind um Feind, ohne dass die Orks weniger wurden. Córiel schlug eine blutige Schneise in die anstürmenden Orks, hielt jedoch nicht ihre Stellung sondern sprang und rannte vorwärts, in die entstandene Lücke, auf der Suche nach dem Anführer der Horde. So entfernte sie sich von ihren Gefährten, bis sie sie nicht mehr sehen konnte. Aus einiger Entfernung dran ein warnender Ruf Jarbeorns an Córiels Ohr, als sie gerade mit der stumpfen Seite ihres Speeres den brüchigen Schild eines Orks zerschmetterte. Sie hatte keine Zeit, um sich nach dem Beorninger umzusehen, denn sie wurde von allen Seiten von Feinden bedrängt. Rasch ließ sie den Speer in einem vernichtenden Halbkreis um sich herum rauschen, der zwei Orks sofort tötete und mehrere Gliedmaßen abtrennte. Dann sprang sie über die Leichen hinweg, verteilte einen heftigen Tritt gegen einen taumelnden Ork und rollte sich geschickt ab. Als sie wieder auf die Beine kam, traf sie ein heftiger Keulenhieb in den Rücken und schleuderte sie gegen den eisernen Brustpanzer des nächsten Orks. Benommen versuchte sie, ihr Gleichgewicht wieder zu erlangen, als sie aus den Augenwinkeln sah, wie die Kante eines Schildes auf ihr Gesicht zu rauschte. Etwas explodierte an ihrer geschundenen Schläfe, und sie sah erst rot, und dann nur noch schwarz.

Als Córiel wieder zu sich kam, war alles dunkel. Sie konnte nichts sehen. Der Schmerz hingegen war nur allzu präsent, und sie musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht schreien zu müssen. Ihr Kopf brannte wie Feuer und ihr Rücken fühlte sich an, als wäre eine ganze Reiterhorde darüber hinweg getrampelt. Sie bekam nur schlecht Luft und konnte sich kaum bewegen. Ihre Hände waren hinter ihrem Rücken zusammengebunden. Zwar stand sie auf ihren Füßen, doch ihr Oberkörper war fest an einen Pfahl gebunden worden.
Jemand zog den Sack weg, der über ihrem Kopf gestülpt gewesen war, und endlich konnte Córiel etwas sehen. Sie befand sich auf einer Lichtung inmitten eines Waldes aus Hulstbäumen, jedoch nicht mehr dort, wo ihr Nachtlager gewesen war. Mehrere Feuer brannten in der Nähe. Es war noch immer dunkel, doch erste Anzeichen für den nahenden Sonnenaufgang waren am Himmel zu erkennen.
Orks streiften auf der Lichtung hin und her und lungerten an den Feuern herum. Der, der Córiel den Sack weggezogen hatte, ließ ihn achtlos zu Boden fallen und stellte sich neben die Elbin, als würde er auf etwas oder jemanden warten.
Mehrere Minuten vergingen. Von ihren Gefährten sah Córiel keine Spur. Die Orks unterhielten sich lautstark in ihrer Sprache, doch mit einem Mal verstummten sie.
Veca betrat die Lichtung. Und mit ihr kam der Elb, den Córiel an den Furten des Glanduin gesehen hatte. Sie warf ihm einen wütenden Blick zu und stellte fest, dass ihr erster Eindruck korrekt gewesen war: er glich dem Attentäter, den Córiel getötet hatte, beinahe bis zum Verwechseln.
"Ah, du bist wach, meine Liebe," sagte Veca gut gelaunt und kam näher. Die Frau betastete Córiels Schläfe beinahe zärtlich, was dennoch große Schmerzen verursachte. "Nun, das sieht zwar übel aus, aber du hast es verdient. Immerhin hast du Kivan getötet."
Bei diesen Worten bedachte der elbische Begleiter Vecas Córiel mit einem hasserfüllten Blick, sagte jedoch nichts. Auch Córiel verfiel in ein zorniges Schweigen.
"Hat es dir die Sprache verschlagen? Ich sagte dir doch schon, dass wir uns bald wiedersehen würden. Und hier sind wir nun. Also, soll ich dir diese Fesseln abnehmen? Das sieht wirklich unbequem aus."
"Nimm sie mir ab, und ich töte dich und all deine Orks," fauchte Córiel. "Wo sind Jarbeorn und die anderen? Was hast du mit ihnen gemacht?"
"Sie sind unwichtig. Du solltest dich lieber anderen Fragen widmen. Wie wäre es damit: Wo kommen so plötzlich all diese Elben her, die Eregion neu besiedeln?"
"Ich weiß es nicht," musste Córiel wahrheitsgemäß zugeben.
"Aber ich weiß es," gab Veca zurück. "Die meisten kamen aus dem Osten Mittelerdes hierher, um sich hier zu verstecken. Sie sind geflohen, anstatt ihre Heimat zu verteidigen, wie echte Feiglinge. Und jetzt haben sie sich dieser... Königin unterworfen, die Verräterblut in ihren Adern hat. Genau wie du. Doch im Gegensatz zu ihr, hast du noch die Wahl. Du kannst dich noch abwenden von den Schandtaten deines Volkes."
Córiel war so verblüfft, dass sie keine Worte fand. Hier stand eine einfache Dunländerin vor ihr, die von Dingen sprach, von denen der Großteil der Menschen Mittelerdes noch nie gehört hatte.
"Wer bist du?" stieß sie hervor.
Veca betrachtete sie einen langen Augenblick, ehe sie sich das dunländische Kopftuch abstreifte, das sie seit ihrer ersten Begegnung mit Córiel getragen hatte. Darunter kamen lange, dunkelbraune Haare zum Vorschein... und zwei auffallend spitze Ohren. Córiel fühlte sich schmerzlich an den Moment erinnert, als sie die Identität des Attentäters in Corgans Haus aufgedeckt hatte.
"Mein Name ist Vaicenya von den Avari. Merke dir diesen Namen gut, meine Liebe. Schon bald wird ihn jeder Elb in Eregion entweder voller Ehrfurcht aussprechen... oder voller Furcht flüstern."
"Warum tust du das? Einen Krieg zwischen deinem Volk und den Dunländern anzetteln?" Córiel verstand die Welt nicht mehr und fühlte sich verletzlich und ihrer Feindin vollständig ausgeliefert. Sie rüttelte an ihren Fesseln, doch diese lockerten sich nicht.
"Sie sind nicht mein Volk. Nicht mehr. Sie haben sich selbst zu Verrätern gemacht, als sie sich dem Verräterblut unterworfen haben." Vaicenya legte Córiel die linke Hand auf die Wange, beugte sich leicht vor, kam näher, und flüsterte: "Schließ dich mir an, Córyeldë. Beweise mir, dass es noch Noldor gibt, die keine Verräter sind. Gemeinsam können wir viel erreichen." Es klang wie ein Versprechen, doch es lag noch etwas anderes in Vaicenyas Stimme; etwas, womit Córiel kaum Erfahrung hatte. Die andere Elbin sprach mit ihr wie mit einer fehlgeleiteten, aber geliebten Tochter, oder wie mit einer...
"Nein," sagte Córiel mit fester Stimme. "Ich werde mich dir nie anschließen. Ich werde dich aufhalten."
Vaicenya richtete sich wieder auf. Für einen Augenblick flackerte Enttäuschung über ihr Gesicht, dann nahm sie wieder die Haltung an, die sie in ihrer Rolle als Veca stets gewahrt hatte: Frohsinn und Überlegenheit. "Ich sehe, dass du noch Bedenkzeit brauchst, Mädchen. Dann sei es so. Wäge sorgfältig ab! Wenn ich zurückkehre, werden wir uns erneut unterhalten. Komm, Altan - wir haben viel zu tun." Sie drehte sich um und verschwand von der Lichtung, gefolgt von dem Elben, den sie Altan genannt hatte.

Córiel blieb gefesselt zurück. Die Orks schienen sich nicht für sie zu interessieren - offenbar hatte Vaicenya ihnen genaueste Befehle gegeben. Langsam wurde es heller, als die Sonne über die Gipfel des nahen Nebelgebirges kletterte.
Ich muss irgendwie diese Fesseln loswerden, dachte Córiel und versuchte es erneut. Doch anstatt sich zu lockern schienen die Knoten nur noch enger zu werden.
Da gerieten die Orks plötzlich in Aufruhr. Mehrere der grobschlächtigen Gestalten waren mit gezogenen Waffen auf die Lichtung gestürzt und stifteten nun große Aufregung unter Córiels Bewachern. Ein fernes Grollen erklang, und Kampfgeräusche näherten sich von links. Chaos brach unter den Orks aus und einige ergriffen die Flucht in die Richtung, in der Vaicenya verschwunden war. Und dann brach mit einem furchterregenden Brüllen ein gewaltiger, schwarzer Bär aus dem Unterholz hervor und riss die Orks mit Gewalt auseinander. Keiner von ihnen hielt vor der Bestie Stand, die die wenigen Überlebenden von der Lichtung vertrieb und die Verfolgung aufnahm. Gleichzeitig tauchte Sabri aus den Schatten auf und durchtrennte Córiels Fesseln mit seinem Dolch. "Komm," raunte er der Elbin aufgeregt zu. "Wir müssen hier verschwinden, solange die Orks abgelenkt sind!"
Córiel fiel auf die Knie als die Fesseln sich lösten. Sabri nahm ihren Arm, legte ihn sich über die Schulter und hievte sie rasch hoch. "Keine Zeit für Fragen! Es gibt ein Versteck in der Nähe, bis dorthin musst du durchhalten. Komm!"
Córiel biss die Zähne zusammen und griff auf ihre letzten Kraftreserven zurück. Mit Sabris Hilfe verließ sie die Lichtung, während in ihrem Rücken noch immer die Todesschreie der Orks und das drohende Brüllen der Bestie zu hören waren.

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