Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Rohan
Aldburg - In der Stadt
Eandril:
Narissa, Aerien, Aragorn, Gandalf, Gimli und Aino vom Mering-Strom
Die Pferde, die Gandalf ihnen besorgt hatte, trugen Narissa und die anderen rasch über die Ebene nach Westen. Auf Gandalfs Rat hin mieden sie auch innerhalb Rohans die Straße, sondern suchten sich ihren Weg ein wenig südlich davon direkt am Fuße des Gebirges, das schwarz und schneegekrönt im Süden aufragte, und an deren Anblick Narissa sich kaum sattsehen konnte - ebenso wenig wie an den satten grünen Ebenen nördlich davon. In Gandalfs Gesellschaft und nun im einigermaßen sicheren Rohan konnte sie sich endlich ein wenig entspannen und die Schönheit des Landes genießen. Nie zuvor hatte sie solche Berge gesehen wie die weißen Gipfel der Ered Nimrais. Und die meisten Ebenen in Harad waren trockene Steppen oder Savannen, wo das Wasser knapp war.
Durch die Pferde kamen sie auch deutlich schneller voran als zu Fuß, und noch am gleichen Tag, an dem sie den Firienwald verlassen hatten, erblickte Narissa kurz vor Sonnenuntergang die Mauern einer Stadt am Horizont.
"Aldburg", stellte Gandalf fest, der Schattenfell angehalten hatte. Die übrigen hielten neben ihm. "Die Hauptstadt Rohans - zumindest für den Moment. Ihr werdet feststellen, dass ihr deutlich willkommener sein werdet als damals bei unserer Ankunft in Edoras", fügte er an Aragorn und Gimli, die sich das kräftigste der Pferde teilten, gewandt hinzu.
Aragorn lächelte leicht, als erinnerte er sich an vergangene Tage. "Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit", stellte er fest. "Obwohl weniger Zeit vergangen ist, als es mir vorkommt. In Barad-Dûr werden die Tage lang." Narissa entging nicht, dass Aerien bei diesen Worten unbehaglich auf dem Pferderücken hin und her rutschte.
"Die Königin von Rohan - Frau Éowyn - wird uns mit Sicherheit willkommen heißen", ergriff Gandalf wieder das Wort. "Dennoch sollten wir kein unnötiges Risiko eingehen, der Feind hat mehr Augen und Ohren als ihr glaubt. Meine Gegenwart in Rohan ist allgemein bekannt, doch er wird glauben, das ihr auf direktem Weg nach Gondor geflohen seid. Je länger er über euren Weg im Unklaren ist, desto besser. Setzt eure Kapuzen auf, und verbergt eure Gesichter."
Narissa bezweifelte, dass die Ankunft fünf vermummter Gestalten, von denen eine auch noch auffällig klein war, besonders unauffällig wäre, doch sie zog sich gehorsam die Kapuze ihres Ostling-Mantels über den Kopf. Die anderen taten es ihr gleich, nur Aragorn zögerte kurz.
"Früher oder später wird er ohnehin herausfinden, wohin ich gegangen bin", meinte er. "Es liegt in unserer Hand, ob es früher oder später ist", erwiderte Gandalf. "Sein Angriff auf Gondor ist unvermeidlich. Doch verhindern, dass seine Aufmerksamkeit sich erneut auf Rohan richtet... Es könnte uns zum Vorteil gereichen."
"Du hast vermutlich Recht, mein Freund." Aragorn zog seine Kapuze tief ins Gesicht, sodass nicht viel mehr als sein Kinn mit dem staubigen, struppigen Bart zu sehen war. "Dieses Mal will ich mich noch heimlich in die Stadt schleichen. Doch wenn ich nach Gondor gehe, soll alle Welt sehen, dass ich dort bin."
Das letzte Stück nach Aldburg legten sie größtenteils schweigend zurück, während die Sonne immer tiefer sank und ihre Gestalten lange Schatten über die Ebene hinter ihnen warfen. Gandalf und Aragorn ritten voran, gefolgt von Narissa und Aerien, während Aino alleine den Schluss bildete.
"Meinst du, du könntest diese Spione erkennen, von denen Gandalf geredet hat?", fragte Narissa Aerien schließlich leise. Aerien schüttelte den Kopf, und warf einen nervösen Blick nach vorne auf Gandalfs Hinterkopf. "Wahrscheinlich nicht. Er wird kaum jemanden, den ich kenne als Spion nach Rohan schicken - dazu sind sie alle miteinander zu wertvoll. Aber er hat viele Wesen in seinen Diensten. Nicht nur Menschen und Orks."
"Großartig", murmelte Narissa in sich hinein. Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, als würde die ganze Umgebung sie mit unfreundlichen Augen beobachten.
Das Tor von Aldburg war noch geöffnet, und sie betraten die Stadt ohne Zwischenfälle. Alles unterschied sich stark von dem, was Narissa aus Harad gewöhnt war. Die Straßen waren weniger staubig, die Häuser hatten oben in einem Giebel auslaufende, strohgedeckte Dächer, und die Menschen waren fast alle blond und hellhäutig. Auch so kurz vor Sonnenuntergang war noch einiger Betrieb auf den Straßen, doch die meisten Gesprächsfetzen, die Narissa aufschnappen konnte, waren in einer ihr vollkommen unbekannten, ein wenig singenden Sprache gesprochen.
Sie erregten weniger Aufmerksamkeit als Narissa befürchtet hatte. Die meisten Blicke schienen sich auf Gandalf, der in seinen weißen Gewändern und auf seinem prächtigen Pferd auch wirklich auffällig war, zu richten, und nur wenige schenkten seinen Begleitern mehr als einen flüchtigen Blick. Während sie Gandalf durch die Straßen zu der großen Halle, die sich im Zentrum der Stadt erhob, folgten, entspannte Narissa sich wieder etwas. Am Fuße einer breiten Steintreppe, die zum Palast hinaufführte, hielt der Zauberer an und stieg vom Pferd.
"Lasst die Pferde hier", sagte er. "Es sind kluge Tiere. Sie werden bei Schattenfell bleiben."
Narissa ließ sich vom Rücken ihres Pferdes gleichen, und klopfte ihm sanft auf den schwarzen Hals. Sie wusste, dass die Rohirrim ein Reitervolk und ihre Pferde in der nördlichen Welt berühmt waren, und dieses Tier hatte gehalten, was das versprach. Es hatte sie den ganzen Weg vom Firienwald mit ruhigem Tritt getragen und schien dabei noch kein bisschen erschöpft zu sein. Narissa strich noch einmal über das glatte, schwarze Fell, bevor sie den anderen die Treppe hinauf folgte.
Am oberen Ende der Treppe wurden sie von mehreren Wächtern, deren Anführer ein alter Mann mit einem struppigen blonden, von Grau durchsetztem Bart war. "Wer begehrt Einlass in die Halle Éowyns, der Königin von Rohan?", fragte der Alte feierlich, und Gandalf seufzte. "Ihr kennt mich, Gamling. Müsst ihr das jedes Mal fragen?"
"Es gehört zu meiner Pflicht, diese Frage zu stellen", erwiderte Gamling. "Euch kenne ich, Gandalf, doch was ist mit euren Begleitern? Ich kann nicht einfach jemanden in die Halle einlassen ohne zu wissen, wer er ist."
"Ich bürge für sie", sagte Gandalf ein wenig ungeduldig. "Doch fürs erste sollten ihre Gesichter geheim bleiben."
Gamling zögerte, doch bevor er sprechen konnte war Aragorn vor getreten, hatte den Kopf gehoben und blickte ihm ins Gesicht.
"Ihr kennt mich, Gamling. Wir haben gemeinsam auf der Hornburg gekämpft." Für einen Augenblick spiegelte sich pure Verwirrung auf dem Gesicht des Alten, bevor sich freudiges Erkennen ausbreitete.
"Ihr seid es! Ich habe doch geahnt, dass ihr nicht so leicht unterzukriegen seid, auch wenn alle gesagt haben, ihr wärt tot." "Er ist nicht tot, und damit genug", mischte sich Gandalf mit einem warnenden Seitenblick auf die übrigen Wachen ein. "Versteht ihr nun, Gamling?"
Gamling nickte eifrig. "Ja, ja, natürlich. Welch eine Freude..." Lauter fügte er hinzu: "Lasst sie eintreten!"
Die Wächter öffneten die großen Türflügel hinter ihnen, und Gandalf trat als erster ein. "Ich wünschte, Éowyn hätte einen anderen Weg gefunden, den alten Narren zu ehren, als ihn zum Wächter ihrer Halle zu machen", hörte Narissa ihn leise vor sich hin schimpfen. Da die dämmrige Halle beinahe menschenleer war, wagte sie Gandalf zu fragen: "Wer ist dieser Gamling eigentlich?"
Gandalf seufzte, und bevor er antwortete war nur das Klacken seines Stabes auf dem Steinfußboden zu hören. "Er hat eine gewisse Rolle gespielt, als Saruman Helms Klamm, die große Festung Rohans, angriff. Später wurde er gefangen genommen und nach Dunland verschleppt. Seine Befreiung ist eine recht interessante Geschichte, für die wir jetzt keine Zeit haben. Als er schließlich vor kurzem nach Rohan zurückkehrte, verlieh die Königin ihm ein ehrenvolles Amt in ihrer Garde, und er nimmt diese Aufgabe sehr ernst."
"Eine kluge Entscheidung", meinte Aragorn, der offenbar aufmerksam zugehört hatte, anerkennend. "Sie ehrt einen Helden vergangener Kämpfe, und gibt einem alten Krieger eine sinnvolle Aufgabe, die sonst von jemand jüngerem, der anderswo dringender gebraucht wird, übernommen werden müsste. Es scheint, als sei Rohan in guten Händen."
Gerade bei diesen Worten öffnete sich eine Tür im hinteren Teil der Halle, und ein hochgewachsener Mann mit schulterlangen, rabenschwarzen Haaren trat heraus. Er trug sichtlich hochwertige, wenn auch einfache, Kleidung. Bei Gandalfs Anblick stockte er, und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
"Mithrandir! Ihr seid zurück. Bringt ihr Neuigkeiten?" Hinter ihm trat eine ebenso hochgewachsene Frau mit langen, blonden Haaren in einem grün-weißen Kleid in die Halle, und Gandalf neigte den Kopf.
"Verzeiht mein spätes Eindringen in eurer Halle, Éowyn, Königin", begann er. "Und auch ihr, Faramir. Doch ich komme mit einer Sache von höchster Wichtigkeit zu euch." Er lächelte leicht. "Oder vielmehr... mit jemandem."
In diesem Augenblick trat Aragorn hervor, und warf seine Kapuze ab. Einen Moment lang herrschte Stille, und Narissa ertappte sich dabei, wie sie den Atem anhielt. Dann schlug Éowyn eine Hand vor den Mund, und zugleich keuchte Faramir auf und fiel auf die Knie.
"Wie ist das möglich?", fragte Faramir leise. Schließlich schien Éowyn sich ein wenig gefangen zu haben, und sagte mit schwach bebender Stimme, ohne den Blick auch nur um ein weniges von Aragorns Gesicht zu lösen: "Sei erneut willkommen in Rohan... Aragorn. Möge... möge deine Rückkehr ein gutes Zeichen für uns alle sein."
Thorondor the Eagle:
Start Helluin:
Als sie Aldburg erreicht hatten, war die Abenddämmerung bereits hereingebrochen. Da die Soldaten nicht wussten wie über Helluin entschieden wurde, beschlossen sie sein Gesicht zu verbergen als sie in die Stadt ritten. Manche Bewohner der Stadt, allen voran die wenigen verbliebenen Elben, würden vermutlich eine gerechte Strafe fordern für die Zerstörung Lothloriens. Sie zogen ihm die Kapuze weit über das Gesicht.
Unsanft zogen sie ihn von seinem Pferd und führten ihn fest am Oberarm gepackt zu den Verliesen. Dort wurde er einem Wächter übergeben und in eine Zelle geworfen. Sie wissen wohl nicht, dass ich mit Saruman gebrochen habe, dass Kerry mich von seinem Zauber befreit hat. Ich muss sie davon überzeugen, ich schaffe das! Aber, was wenn sie es wissen? Ist es denn nicht egal ob ich noch zu Saruman’s Gefolge gehöre oder nicht… Ich habe trotzdem all diese Verbrechen begangen.
Die Zweifel plagten den jungen Dúnadan.
Mit seinen Händen streifte er etwas Stroh zusammen, das am Boden lag. Er legte sich seitwärts auf den Boden und bettete seinen Kopf darauf. Als seine Zweifel langsam leiser wurde, fiel ihm ein, dass er genau hier in Aldburg erstmals offen als Anhänger Saruman’s aufgetreten war. Und genau hier traf er nach all den Jahren der Abstinenz von seiner Familie auf seine Mutter. „Mama“, murmelte er leise vor sich hin. Die Erinnerungen an sie bei diesem Treffen waren sehr blass, umso deutlicher sah er den entsetzten Blick als sie just in seine Arme fiel. Er erinnerte sich auch seine Stimme im Kopf gehört zu haben, er möge stark sein wie seine Ahnen und nicht emotional und schwach – so wie sie es war. All die Jahre der Trauer und der Verbitterung haben sie dazu gemacht. Er bemerkte, dass die Zähne aufeinander malmten und sein Kiefer angespannt war.
Es vergingen mindestens zwei Stunden, bis Helluin zu vermuten begann, dass er vor dieser Nacht niemanden mehr zu Gesicht bekommen würde, also versuchte er einzuschlafen.
Die Nacht verlief sehr unruhig, sodass er am nächsten Morgen das Gefühl hatte kein Auge zugetan zu haben. Er entdeckte eine Schüssel mit Brotbrei und einen Krug voll Wasser und schlang alles gierig hinunter.
Gleich darauf wurde er aus dem Kerker in einen kleinen Raum geführt, darin befand sich nur ein Stuhl auf den er hingesetzt wurde. Helluin wurde nervös, sein Herz klopfte.
Plötzlich öffnete sich die Tür und ein Mann mittleren Alters trat herein. Sein Haar war rötlich blond und kraus. Seine Augen ungewöhnlich dunkel und seine Haut recht unrein.
„Wie ist dein Name?“, fragte er direkt und seine Stimme klang forsch.
„Helluin“, antwortete der junge Mann „Helluin von den Dunedain.“
„Unsere Männer sagten, dass du nach Aldburg reisen wolltest. Was zum Henker willst du hier?“
„Ich bin auf der Suche nach jemandem.“
„Nach wem?“
„Kerry. Kennt ihr sie? Sie ist so alt wie ich und hat blondes langes Haar.“
„Blondes langes Haar? Haha, da musst du dich schon ein bisschen genauer ausdrücken“, dann überlegte er einen Moment: „Was will der weiße Verräter von Kerry? Wozu benötigt er sie?“
„Saruman?“
„Ja, Saruman diese elende, verräterische Fratze. Wir haben nicht vergessen, dass du zu seinen verdammten Schergen gehörst, besser gesagt zu seinen ganz persönlichen Lieblingen.“
Helluin rechnete mit dieser Aussage, hatte aber noch keine passende Antwort darauf gefunden.
„Wenn ich euch sage, dass ich Saruman nicht mehr diene, würdet ihr mir glauben?“
Ein gemeines Grinsen lag auf seinen Lippen: „Also dienst du ihm nicht mehr?“
„Nein!“ bestätigte Helluin und versuchte so überzeugend und selbstbewusst wie möglich aufzutreten.
„Hmmm.“
Der Soldat musterte ihn nochmal von oben bis unten.
„Ihr glaubt mir nicht…“
„Warum sollte ich? Ich habe viele Geschichten gehört über den Eisblauen, ohne jegliches Gefühl oder gar Mitgefühl soll er geboren worden sein. Mordend und brandschatzend zieht er durch die Welt, tötet Freund und Feind gleichermaßen. Würde ich nur die Hälfte dieser Geschichten glauben, ich würde dich in das dunkelste Verlies unter den weißen Bergen stecken, dort wo selbst der König der Toten dich nicht finden kann. Dort könntest du verrecken oder sonst was tun.“
Beschämt schaute Helluin zu Boden.
„Aber du hast Glück, denn vor mir sitzt so ein Jungchen, schwach und weinerlich. Du kannst das nicht sein, nicht der aus den Geschichten.“
Der Dúnadan wusste nicht was er sagen sollte. Der Kerkermeister hatte recht, sowohl mit dem ersten als auch mit dem zweiten Teil den er sagte. Es kostete ihn Mühe seine Tränen zu unterdrücken.
„Also glaubt ihr mir nicht?“
„Ha, es kann dir egal sein, denn es tut nichts zur Sache was ich glaube oder nicht. Ich sage nur meinem Marschall, dass wir einen wertvollen Gefangenen haben. Ich entscheide nicht über dich, ob das nun gut oder schlecht ist für dich."
Der Rohirrim drehte sich zur Tür und klopfte dreimal kräftig. Anschließend murmelte er ein paar Worte auf rohirrisch.
„Wann wird das sein?“, fragte Helluin noch hastig hinterher.
„Das wirst du noch rechtzeitig erfahren.“
Mit diesen Worten verließ er wieder den Raum. Andere nahmen den gefesselten Dúnadan und schleiften ihn zurück in seine Zelle. Warum sollten sie mir glauben? Es gibt niemanden der bezeugen kann was im Düsterwald passiert ist und schon gar nicht im Sternenwald. Und selbst wenn, was nützt es denn. Sie hassen mich, die Rohirrim, die Elben, die Dunedain,… alle einfach alle.
In dieser Sackgasse gefangen, legte sich Helluin einfach wieder auf den Boden und kauerte sich zusammen. Er bezweifelte, dass es eine kluge Entscheidung war hierher zu kommen. Vielleicht wäre es doch besser gewesen im Osten zu bleiben und dort ein neues Leben zu beginnen. Weit ab von seiner Vergangenheit und seinem Namen. Aber er konnte es nicht mehr ändern.
Fine:
Aerien blickte sich staunend in der Halle um. Sie verfügte über ein schwach glühendes, mit gemauerten Steinen begrenztes Feuer im Zentrum der Halle und über hohe Fenster im oberen Drittel der Wände, durch die schwaches Tageslicht hinein fiel. Schwere Banner hingen von der hinteren Wand, an deren Fuße zwei schlichte Throne standen. Die Säulen der Halle waren mit bemalten Schnitzereien verziert und es gab hier und dort große Wandteppiche, die berühmte Szenen aus der Geschichte der Menschen von Rohan zeigten.
Die Stille, die nach Aragorns Enthüllung eingetreten war, verhallte, als Gimli schallend zu lachen begann. „Ist das alles? Seid willkommen? Da kehren wir nach all den Jahren endlich wieder in zivilisierte Lande zurück und alles was Ihr zu sagen habt, Herrin von Rohan, ist seid willkommen?“
„Gimli!“ entfuhr es der Königin. Sie klang, als wüsste sie nicht recht, ob sie lachen oder weinen sollte. Der Zwerg breitete die Arme aus und schloss Éowyn in eine innige Umarmung. Und da hörte Aerien die Erleichterung in der Stimme der Königin, als sie sagte: „Ihr seid es wirklich!“
„Steh‘ auf, Faramir,“ sagte Gandalf. „Dein König bedarf deiner Dienste.“
Der Gondorer - Faramir - erhob sich, noch immer einen Ausdruck des Unglaubens im Gesicht. „Mithrandir.... was ist geschehen? Wie... kann es sein, dass sich unsere unwahrscheinlichste Hoffnung nun erfüllt hat? Wenn dies dein Zauber ist, so ist er wahrlich mächtig.“
„So mächtig bin selbst ich nicht,“ erwiderte Gandalf schmunzelnd. „Aber es gibt noch andere Mächte, die in dieser Welt am Wirken sind.“
Aerien behielt Aragorn aufmerksam im Auge. Der Dúnadan stand mit lockerer Haltung einige Schritte von Éowyn entfernt, die sich gerade von Gimli gelöst hatte. Narissa stand neben ihm, die Arme vor der Brust verschränkt. Sie blickte sich aufmerksam um und schien erpicht darauf, kein Detail zu verpassen.
„Es bedurfte großen Mutes und einer gehörigen Portion Glück, um dies zu vollbringen,“ fuhr Gandalf gewichtig fort. „Und gerade zur rechten Zeit! Schon bald werden so manche wichtige Angelegenheiten ins Rollen geraten, die die Anwesenheit des Königs von Gondor erfordern.“
Aragorn blickte nacheinander Éowyn und Faramir an. „Ich verstehe,“ murmelte er leise. „Ihr wart gemeinsam in den Häusern der Heilung, als wir zum Schwarzen Tor ritten.“
Faramir nickte. „Wir flohen aus Minas Tirith und fanden Zuflucht im Goldenen Wald, bis Mithrandir zu uns kam. Er war es, der die Befreiung Rohans vorantrieb und der Saruman im Norden getrotzt hat.“
„Der Norden?“ hakte Aragorn nach. „Wie steht es um Eriador?“
Gandalf erhob die Hand. „Eines nach dem Anderen. Zunächst sollten wir erklären, wie dir die Flucht aus dem Dunklen Turm gelungen ist.“ Der Zauberer drehte sich zu Aerien um und musterte sie mit einem durchdringenden Blick. „Aerien. Stell dich dem Herrn und der Herrin von Rohan vor und beantworte ihre Fragen.“
„Aerien?“ wiederholte Faramir, eine Mischung aus Vorsicht und Interesse in der Stimme. „Stammt Ihr aus Gondor, junge Dame?“
Aerien schloss für einen kurzen Moment die Augen. Da spürte sie Narissas beruhigende Hand, die über ihren Rücken strich. Sie atmete durch und erwiderte Faramirs Blick. „Nein, Herr. Ich wuchs in Durthang auf.“
Faramir reagierte überraschend. Anstatt sein Schwert zu ziehen kam er einen Schritt näher und schien Aeriens Gesichtszüge zu studieren. „Ich verstehe. Dann... seid Ihr die Tochter der Geißel von Ithilien, habe ich Recht?“
„Mein Vater besaß viele Titel,“ erwiderte Aerien. „Vermutlich gehörte auch dieser dazu.“
Éowyn trat neben Faramir. „Sie kommt... aus Mordor? Dabei... sieht sie nicht wie ein Feind aus.“
„Aerien ist kein Feind,“ erklärte Aragorn. „Sie war es, die mir zur Flucht verholfen hat.“
„Nicht alleine,“ stieß Aerien hervor. „Ohne Narissa hätte ich es niemals geschafft.“ Und endlich konnte sie klar genug denken, um zu erkennen, in welcher Situation sie sich gerade befand. Rasch vollführte sie einen akkuraten Knicks vor dem Herrscherpaar Rohans. „Einst war ich Azruphel von Durthang, bis ich den Weg meiner Vorfahren hinter mir ließ und Aragorn mir den Namen Aerien gab. Ich stehe Euch zu Diensten, Eure Gnaden.“ Sie zerrte Narissa mit einer kleinen, aber kräftigen Bewegung am Arm neben sich. „Und dies ist Narissa vom Turm, aus dem ehrenvollen Haus der Turmherren von Tol Thelyn.“
„Erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen,“ murmelte Narissa mehr oder weniger überzeugend.
„Nun, dies sind bedeutungsvolle Namen,“ sagte Faramir. „Und für gewöhnlich würde ich Euch einer Prüfung unterziehen, Aerien. Doch es steht nicht zu leugnen, dass Aragorn wahrhaftig zu uns zurückgekehrt ist, und Ihr keinen geringen Anteil daran hattet. Deshalb will ich Euch vertrauen, und Eurer Freundin ebenfalls.“
„Alles andere wäre grober Unfug, wenn ihr mich fragt,“ mischte Gimli sich ein. „Müsst ihr Menschen wirklich zu jedem Anlass so viele Worte machen? Hier ist ein Zwerg, dem der Magen knurrt!“
Diesmal war es Éowyn, die lachte, und Gandalf, Aragorn und Narissa stimmten rasch mit ein. „Gimli!“ rief Éowyn. „Ihr hättet früher etwas sagen sollen. Wir sollten... wir werden ein Festmahl feiern, zur Feier eurer Rückkehr, noch heute Abend!“
Faramir nickte. „Und bevor mir jemand bis dorthin noch vor Hunger stirbt, werde ich euch persönlich in die Speisekammer führen. Vielleicht wird es mir dann dort vergönnt sein, die Geschichte eurer Flucht aus Mordor zu hören.“
Faramirs Wunsch erfüllte sich. Alle gemeinsam folgten sie dem Gondorer in einen Nebenraum der Halle, wo die Bediensteten der Königin ihnen ein einfaches, aber reichhaltiges Mahl auftischten. Zwar hatte Éowyn ihnen ein Festmahl versprochen, doch auch wenn das Essen für ihre Verhältnisse nichts Besonderes war, kam es für Aerien und Narissa dennoch einer großartigen Feier gleich. Denn zum ersten Mal seitdem sie die Weiße Insel verlassen hatten, fühlten sie sich wieder in relativer Sicherheit. Sie waren umgeben von Freunden und neuen, freundlichen Bekanntschaften und die Stimmung war ausgelassen.
Gimli übernahm den Großteil der Erzählung. Der Zwerg war bei bester Laune, nachdem er seinen Hunger gestillt hatte. Ausschweifend berichtete er davon, wie er Aerien und Narissa in Nurn vor dem Karagâth gerettet und sie auf geheimen Pfaden bis zur Hochebene von Gorgoroth geführt hatte. Und wie sie später über den verborgenen Pass von Durthang nach Ithilien und schließlich Anórien gereist waren.
Insbesondere Faramir schien ein ehrliches Interesse an Aerien zu haben und erzählte ihr, dass er während des Krieges in Ithilien einmal die Klingen mit ihrem Vater gekreuzt hatte. „Ich erkannte seine Gesichtszüge in Euren,“ sagte der Gondorer. „Doch ich wollte sehen, ob Ihr auch seine Überzeugungen teilt. Ich bin froh, dass dem nicht so zu sein scheint.“
Narissa verbrachte die meiste Zeit damit, sich mit Gandalf zu unterhalten. Der Zauberer ließ sich von ihr die Weiße Insel im Detail beschreiben und gab sogar zu, bis zu diesem Abend nichts von Tol Thelyn gewusst zu haben. Umso erstaunter war er, als er erfuhr, dass Aragorn hingegen die Insel kannte und sogar selbst schon dort gewesen war.
„Es war während des Angriffes auf Umbar,“ erklärte der Dúnadan. „Die Turmherren leisteten mir unschätzbare Hilfe. Und ich habe es nicht vergessen. Narissa, wenn ich auf den Thron Gondors zurückkehre, soll dein Volk für ihre Taten entlohnt werden.“
Narissa nickte dankbar. Dann erzählte sie davon, wie sie Arandirs verborgenen Pfad in Harondor entdeckt hatte und wie sie den Weg nach Mordor hinein beschritten hatten, ehe sie sagte: „Wie wir Aragorn aus dem Turm befreiten, sollte am besten Aerien selbst erzählen.“
Aerien hatte befürchtet, dass dieser Augenblick kommen würde, denn sowohl Gimli als auch Narissa hatten bislang das entscheidende Kapitel ihrer Reise ausgelassen. Doch es war Éowyns aufmunterndes Lächeln, dass Aeriens Zurückhaltung verfliegen ließ. Hier ist es sicher, sagte sie sich. Hier kann ich davon sprechen.
Noch etwas zögerlich begann sie damit, von ihrer Herkunft zu erzählen und davon, wie ihr Vater sie nach Barad-dûr gebracht hatte. Wie sie dort nach einem halben Jahr herausgefunden hatte, um wen es sich bei dem Gefangenen auf der Spitze des Turmes handelte und wie es ihr gelungen war, ungestört mit Aragorn zu sprechen. Wie sie ihm versprochen hatte, eines Tages wiederzukehren. Und wie sie ihr Versprechen schließlich eingelöst hatte.
„Eine Art Vorsehung schien bei all dem am Werk zu sein,“ schlussfolgerte sie am Ende ihres Berichts. „Als wäre es mir bestimmt gewesen, Aragorn zu finden. Ich weiß nicht, wieso es mich ausgesucht hat, denn zu keinem Zeitpunkt fühlte ich mich... all dessen würdig.“
„Vorsehung,“ wiederholte Gandalf bedeutungsvoll. „Ein seltsames Wort für ein Mädchen wie dich, das sich nicht als jemand Besonderen betrachtet.“ Der Zauberer schien sie mit dem strengen Blick unter den buschigen Brauen schier zu durchbohren. „Und doch... bist du besonders. Ihr beide seid es.“ Er wandte Narissa den Blick zu. „Gegensätzlich wie Dunkelheit und Licht. Wie... Nachtigall und Schwalbe.“
„W-was sagst du da?“ wisperte Narissa.
„Du hast dich überhaupt nicht verändert, Gandalf,“ lachte Gimli. „Du sprichst immer noch gerne in Rätseln.“
„Eine Eigenschaft der Alten,“ sagte der Zauberer mit einem Lächeln.
„Schon gut,“ unterbrach Aragorn. „Ich denke, für heute ist genug gesagt worden. Ich bin müde, und ich denke, meinen Gefährten geht es ebenso.“
Éowyn erhob sich. „Eine Angelegenheit wäre da noch, Herr Aragorn.“ Sie warf Faramir einen bedeutungsvollen Blick zu. „Ihr habt gefragt, wie es dem Norden ergangen ist.“
Faramir breitete die Arme aus. „In Eurer Abwesenheit wählten die Dúnedain Arnors einen neuen Stammesführer. Ihre Wahl fiel auf den jungen Helluin.“
„Helluin?... Eleas Jungen?“ Aragorn wirkte äußerlich gefasst, doch Aerien spürte, dass etwas nicht stimmte. Sie erinnerte sich an den Namen Elea - Aragorn hatte ihr während seiner Gefangenschaft von seiner Cousine erzählt, und sie hatte Eleas Namen verwendet, um den Partisanen Ithiliens ihre guten Absichten zu beweisen.
„Was ist geschehen?“
„Saruman fand ihn,“ sagte Gandalf überraschend düster. „Und führte ihn auf den schlimmsten Abweg. Aragorn... es waren Dúnedain unter jenen, die Anteil am Fall Lothlóriens hatten.“
Aragorn schien erschüttert zu sein. „Wie konnten sie das tun,“ presste er tonlos hervor.
„Die Macht von Sarumans Stimme war zu viel für den jungen Helluin,“ sagte Gandalf. „Aber: nicht alle schenkten ihr Gehör. Ich kam in den Norden und fand eine kleine Gruppe von Getreuen, die mir halfen, das Auenland und Fornost von Sarumans Schergen zu befreien.“
„Dann ist Eriador wieder sicher?“ wollte Aragorn wissen. „Und Imladris?“
„Die Macht, die in Imladris innewohnt, schützte das Tal bis jetzt. Noch streifen einige Diener der Weißen Hand durch Eriador, doch der größere Teil des Nordens ist wieder frei.“
„Und Saruman zog in den Osten, nach Dol Guldur,“ ergänzte Faramir. „Späher berichten, dass er dort von Orks aus Mordor belagert wird. Ihr sagtet, seine Diener streifen weiterhin durch die Lande, Mithrandir... doch uns ist einer von ihnen in die Hände gefallen. Er beteuert, dass der Zauber Sarumans der auf ihm lag, gebrochen wurde.“
„Helluin ist hier, Aragorn,“ sagte Éowyn leise.
Selbst Gandalf, der bislang beinahe immer so gewirkt hatte, als wüsste er über alles längst Bescheid, wirkte bei diesen Worten überrascht. „Tatsächlich? Wie steht es um ihn? Hat er sonst irgendetwas gesagt?“
„Er erwähnte einen Namen. Kerry.“
Die Augenbrauen des Zauberes hoben sich. „Ist das so?“
Aerien verstand an jenem Abend nur wenig von dem, was zwischen Aragorn und den anderen gesprochen wurde. So viele fremde Namen und Orte ließen ihr schier den Kopf schwirren. Sie hielt Narissas Hand umklammert und wartete ab, was geschehen würde.
„Du solltest mit ihm sprechen,“ sagte Gandalf.
„Nein,“ erwiderte Aragorn heiser. „Ich... will ihn nicht sehen. Ich kann es nicht.“
Er stand ruckartig auf und eilte aus dem Raum.
„Wie unhöflich,“ brummte Gimli. „Einige von uns waren noch nicht fertig mit dem Essen.“ Demonstrativ stopfte er sich ein Stück Brot in den Mund und kaute lautstark darauf herum.
Éowyn erhob sich ebenfalls. „Ich sollte...“
„Bleibt, Herrin von Rohan,“ sagte Gandalf. „Ihr werdet jetzt nichts erreichen können. Sagt mir, wo Ihr Helluin gefangen haltet.“
„Er ist in den Verliesen der Königsgarde,“ antwortete Faramir. „Gamling kann Euch den Weg zeigen, Mithrandir.“
Etwas ratlos blieben Aerien und Narissa bei Gimli und Éowyn in der Speisekammer sitzen, während Faramir und Gandalf hinausgingen. „Reichlich Aufruhr für einen einzelnen Abend,“ flüsterte Narissa Aerien ins Ohr, woraufhin diese nur nicken konnte und sich fragte, ob es wohl Antworten auf all die Fragen geben würde, die sich ihr nun stellten...
Thorondor the Eagle:
Helluin erinnerte sich an den Tag als sie Caras Galadhon eroberten und das Herz des Elbenreiches zerstört hatten. Er schritt durch die aufsteigenden Rauchschwaden und stieg über die Leichen der Orks, Elben und Menschen hinweg. Er fühlte den Stolz den er auch damals gefühlt hatte und die Genugtuung, dass die Elben ihre gerechte Strafe erhalten hatten, dafür dass sie die Dunedain im Stich gelassen hatten.
„Dein Vater wäre stolz auf dich gewesen“, sagte Forgam der gleich hinter ihm stand „Lange nannten uns die Elben ihre Freunde und Verbündeten, doch sie benutzten uns. Sie trugen uns auf das Auenland zu beschützen in dem Wissen, dass die wertvollste und mächtigste Waffe Mittelerde’s dort verborgen lag. Längst könnte Arnor wieder im Lichte der Welt erstrahlen, aber sie vergönnten es uns nicht.“
Er stieg über den noch rauchenden Fluss an dem sich der Weiße mit dem Blauen gemessen und der Blaue die Flucht ergriffen hatte und erreichte nach einem kurzen Marsch eine größere Lacke am Boden, gerade einmal so tief, dass die Fingerkuppe unter dem Wasserspiegel verschwinden würde.
„Geh und gib dem Herrn Bescheid. Caras Galadhon ist gefallen, die Herren des Waldes sind geflohen. Hab und Gut haben sie mitgenommen“, befahl Helluin seiner rechten Hand.
„Natürlich.“
Bei jedem Schritt spürte er wie seine Stiefel im weichen Moos versanken. Er beugte sich ein Stück nach vorne, sodass sich sein Gesicht im Wasser spiegelte. Die kalten, blauen Augen starrten ihn an. Es dauerte keine Minute ehe er sich mit der Krone eines Herrschers am Kopf sah, stattlich und erhaben. Auch wenn er stolz war, erfüllte der Anblick ihn auch mit Unbehagen, denn es war eine große Aufgabe der er vielleicht noch nicht gewachsen war. Plötzlich wandelte sich sein Spiegelbild in das Antlitz seines Onkels. „König Elessar“, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf.
Wütend ging er in die Knie und schlug auf die Wasseroberfläche damit das Bild verschwand. Er schnaubte.
„Was ist los Helluin“, hörte er eine vertraute, weiche Stimme und im Augenwinkel sah er zwei weiße Schuhe und das Ende eines weißen Stabes.
Helluin krampfte leicht zusammen, als er im Kerker vor sich dasselbe Bild sah. Zwei weiße Schuhe und das Ende eines Gehstockes. Saruman schoss es ihm durch den Kopf.
„Der Verräter ist also wirklich hier“, sagte eine Stimme und als er ihrer Herkunft folgte, blickte der junge Dúnadan in glasklare blaue Augen. Der Mann hatte dasselbe Auftreten wie Saruman früher und doch war er es nicht. Er wusste, dass es mehrere Zauberer gab. Ein weiterer war des Öfteren im Auenland und den Dunedain bekannt, aber damals war Helluin noch zu klein um ihn zu kennen.
„Wer seid ihr?“, fragte er unsicher „Seid ihr Mithrandir?“
Der alte Mann musterte ihn genau.
„Ja der bin ich. Hat dir unser alter Freund Saruman also von mir erzählt?“
„Saruman sprach von euch, viele Male. Aber ich kenne euch noch aus den alten Geschichten unserer Heimat.“
„Du erinnerst dich daran?“
Helluin nickte: „Aber es fühlt sich an als wäre es vor ewigen Zeiten gewesen. Blasse Erinnerungen aus einem früheren Leben.“
„Das höre ich nicht zum ersten Mal“, antwortete der Zauberer „Wo beginnen deine Erinnerungen aus diesem Leben?“
Helluin dachte nach, er begann zu murmeln: „Manches erscheint mir heute wie ein Traum, aber ich weiß, dass es wahr ist. Ich… immer wieder sagte ich mir: ‚Sei nicht so ein Schwächling, du bist aus dem Hause Isildur, verhalte dich auch so; herrschen bedeutet hart zu sein und manchmal auch gnadenlos‘. Alle vor mir waren gescheitert und nach mir gab es niemanden mehr.“
Helluin kämpfte mit den Worten und seinen Erinnerungen.
„Und was denkst du heute?“
„Ob es Gerechtigkeit gibt und wie sie über mich richten würde. Ob ich den Tod verdiene für das was ich den Elben und Menschen angetan habe.“
Seine Stimme wurde zittrig: „Und ob ich sie fordern würde für jemanden der meine Verbrechen begangen hat.“
Der Zauberer hatte Mitleid mit dem jungen Dúnadan.
„Gerechtigkeit ist niemals absolut, sie hängt immer von dem ab der richtet. Deine Taten waren zweifelsohne grausam und sie haben tiefe Wunden und sogar Tode verursacht. Dies aber trifft auf viele von uns zu. Dies zu erkennen und auch anzuerkennen ist nicht sehr einfach.“
Stille legte sich in den Raum.
Dann begann der Zauberer wieder zu sprechen: „Ich sehe deine Reue und welch Verunsicherung der Zauber Saruman’s in dir hinterlassen hat. Es wird kein einfacher Weg für dich werden, aber mit der Vergebung der anderen und vielmehr mit der Vergebung dir selbst gegenüber wirst du den Weg zurück in das Licht finden.“
Es war nicht viel Hoffnung die der Zauberer ihm mit diesen Worten schenkte, aber ein Funken reichte bereits aus.
„Wieso helft ihr mir?“
„Weil dieser Tage vieles geschieht und nichts davon ohne Grund. Es war Zufall, dass mich meine Reise hierhergeführt hat, also kann es kein Zufall sein hier auf dich zu treffen.“
Helluin, der sich aufgesetzt hatte und an der Wand lehnte antwortete stirnrunzelnd: „Das klingt aber nicht besonders logisch.“
„Wenn man es genau nimmt, tut es das.“
„Eigentlich habe ich es bereut hierher zu kommen. Ich hätte in den Osten gehen sollen, dorthin wo mich niemand kenn. Dort hätte ich ein neues Leben beginnen können, abseits meiner Herkunft und meines Namens.“
„Und wieso bist du dann hier?“
„Nunja, wegen Kerry. Ich muss mich bei ihr bedanken.“
„Erstaunlich, ich wollte es nicht glauben“, antwortete der Zauberer und Helluin schaute ihm überrascht in die Augen. Ein freches Lächeln lugte hinter dem Bart des Zauberers hervor.
„Ihr kennt sie!“
„Ja, ich kenne sie in der Tat.“
Helluin vergaß für einen Moment seine aussichtslose Lage, sprang auf und eilte voll Hoffnung zu den Gitterstäben: „Wisst ihr wo sie ist?“
„Zweifellos geht sie gerade irgendjemandem auf die Nerven, aber dieser jemand hatte nie eine Wahl damit sie in ihr Herz zu schließen.“
„Ich weiß. Es ist nicht erklärbar für mich, aber sie war es die den Zauber Sarumans brach. Ich habe es ganz deutlich gespürt.“
Mithrandir’s Augen glänzten im trüben Licht dieses Ortes: „Es gibt Kräfte auf dieser Welt die stärker sind als die Macht Sarumans, Saurons oder die der Herren des Westens. Niemand wird sie je verstehen und niemand wird sie je beherrschen.“
Der Augenblick der Hoffnung verflog wieder und die Düsternis dieses Ortes wurde Helluin wieder bewusst: „Aber selbst, wenn ich wüsste wo sie ist, keine dieser Kräfte wird mich hieraus befreien.“
„Der Zauber Saruman’s haftet nicht mehr an dir, davon habe ich mich nun überzeugt. Ich werde mit der Königin sprechen und wir werden sehen. Aber ich kann dir kein Versprechen geben.“
„Ich danke euch“, entgegnete der Junge trübsinnig.
Er kauerte sich wieder in eine Ecke seiner Zelle und Gandalf verschwand. Der Weiße; wieder einmal hängt mein Schicksal an seinem Tun. Aber er kennt Kerry, er kennt sie. Vielleicht kann er mir einen Hinweis geben wo ich sie finde. Aber zuerst muss ich hier raus, hoffentlich kann er die Königin überzeugen.
Fine:
Sie saßen noch eine ganze Weile beisammen. Anfangs erzählte Gimli eine unterhaltsame Geschichte aus seiner Heimat, den Blauen Bergen, die Éowyn und Narissa zum Lachen brachte und auch Aerien ein kleines Grinsen entlockte. Die Geschichte endede damit, dass Gimlis Mutter ihn zum wiederholten Mal fragte, warum er noch immer nicht verheiratet war, und er wie jedes Mal darauf antwortete, ihm sei bislang einfach noch nicht die Richtige über den Weg gelaufen.
"Wie kann ich mir einen Zwergenfrau überhaupt vorstellen?" wollte Narissa neugierig wissen.
Gimli leerte gerade seinen Krug, weshalb überraschenderweise Éowyn an seiner Stelle antwortete: "Sie sind den männlichen Zwergen an Stimme und Erscheinung so ähnlich, dass viele glauben, es gäbe überhaupt keine Frauen unter den Zwergen."
Gimli ließ seinen Krug laut polternd auf den Tisch niederfahren. "Was natürlich vollkommener Unsinn ist! Ich habe schon wahre Schönheiten erblicken dürfen, mit seidenweichen Bärten und strahlenden Augen. Und doch..." Er wurde still und starrte nachdenklich in die Ferne, dann tastete er an seinen Taschen herum, schien jedoch nicht zu finden, wonach er gesucht hatte.
"Und doch?" hakte Narissa nach, was ihr einen Schubser in die Seite von Aerien einbrachte.
"Ich glaube nicht, dass er davon sprechen möchte," raunte sie ihrer Freundin zu.
Tatsächlich war Gimli schweigsam geworden und erhob sich kurz darauf. "Ich... werde ein paar Schritte gehen. Alleine," sagte er kurzangebunden, ehe er verschwand.
Aerien und Narissa blieben bei der Königin Rohans zurück. Éowyn begann, sich lebhaft mit Narissa zu unterhalten, während Aerien mehr und mehr eigenen Gedanken nachhing, sodass sie das Gespräch größtenteils ausblendete.
Weshalb wollte Aragorn denn nur nicht mit dem Gefangenen sprechen? fragte sie sich wieder und wieder. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, denn ein solches Verhalten passte einfach nicht zu dem Mann, den sie kennengelernt hatte. Wenn dieser Helluin der Sohn Eleas ist, dann wäre Aragorn sein Onkel - nein, nicht ganz, überlegte Aerien weiter. Standen sie sich etwa nicht nahe? Ist etwas zwischen ihnen vorgefallen?
Die Fragen ließen ihr keine Ruhe. Schließlich stand sie auf, als sie es nicht länger aushielt. Éowyn und Narissa schienen es gar nicht mitzubekommen, als Aerien aus dem Speisesaal eilte.
Etwas orientierungslos streifte Aerien durch das königliche Anwesen, das längst in nächtlicher Stille lag. Hier und da begegnete ihr einer der Wächter, die sie jedoch wortlos passieren ließen. Einer Eingebung folgend nahm sie eine der Treppen nach oben in die höher gelegenen Stockwerke, die sie in einen langen Gang führte. Am Ende des Ganges lag eine halb offen stehende Tür, durch die schwaches Licht drang. Als Aerien näher kam, hörte sie zwei Stimmen, die ihr gut bekannt vorkamen:
"Ich habe mir den Jungen angesehen. Ich sah keine Lüge in seinen Augen, Aragorn. Der Zauberbann Sarumans ist verflogen und seine Reue ist echt." Das war Gandalf: streng, und doch einfühlsam redete er auf jemanden ein, bei dem es sich um Aragorn handeln musste.
Vorsichtig kam Aerien näher. "Ich kann es nicht, Gandalf. Er erinnert mich an mein eigenes Versagen. Wäre ich nicht gescheitert, hätte Saruman ihn niemals in die Finger bekommen." Aragorns Stimme klang völlig verändert - sie gehörte einem gebrochenen Mann.
"Es war nicht deine Schuld, dass das Wagnis am Schwarzen Tor scheiterte," erwiderte Gandalf. "Wenn jemand die Schuld daran trägt, dann bin ich das. Ich war es, der Frodo auf diese Fahrt gschickt hat. Ich bin verantwortlich. Und ich habe mich dieser Verantwortung gestellt. Sarumans Griff über den Norden hat sich gelockert. Die meisten Dúnedain sind wieder frei."
"Das wissen wir erst sicher, wenn ich die Antworten erlangt habe, die ich suche. Gandalf, die Zeit drängt. Ich kann mich jetzt nicht mit Helluin befassen. Der Vandassar-"
"Leise!" unterbrach Gandalf scharf. "Selbst hier mag es unfreundliche Ohren geben, für die solche Worte wahrlich nicht bestimmt sind."
Aerien war neben der Tür stehen geblieben und bei Gandalfs Worten erstarrte sie. Sie hatte gar nicht vorgehabt, zu lauschen. Und doch stand sie nun hier, wie ein Spitzel in der Nacht. Sie schloss die Augen und rang sich zu einer Entscheidung durch. Gerade wollte sie sich aus den Schatten lösen und offen durch die Türe treten, wie als wäre sie gerade erst angekommen, als sich etwas Schweres auf ihre Brust legte. Aerien riss die Augen auf. Neben ihr, im Türrahmen, stand der Weiße Zauberer. Er ragte bedrohlich über ihr auf, die Spitze seines Stabes lag genau auf Aeriens sternförmigem Anhänger ihrer Halskette. Der Blick Gandalfs schien sie geradezu zu durchbohren.
Gandalf packte sie und zerrte sie in den Raum. "Was?" entfuhr es Aragorn überrascht. "Aerien? Was tust du hier?"
"Ich wollte euch nicht belauschen," beteuerte Aerien sofort. "Ich wusste nicht einmal, dass ihr hier seid, bis ich vor der Tür stand!"
Gandalf starrte sie misstrauisch an. Dann legte er eine Hand auf ihre Wange, ohne den Blick abzuwenden. Aragorn hatte sich erhoben und kam näher, einen fragenden Blick im Gesicht. Aerien wagte nicht, sich zu bewegen, bis der Zauberer die Hand fortnahm. Sie sah, wie sich Gandalfs Schultern entspannten. "Sie sagt die Wahrheit," murmelte er. "Und dennoch muss sie mitangehört haben, worüber wir gesprochen haben. Diese Dinge sind nicht für deine Ohren bestimmt gewesen, Mädchen."
"Vergebt mir... Mithrandir," rief Aerien. "Ich... hatte mich nur gefragt, wieso... wieso du nicht mit Helluin sprechen willst, Aragorn. Ist er... ist er nicht von deinem Blut? Was hat er getan, dass du dich von ihm fernhältst?"
Gandalf hob die Augenbrauen, sagte jedoch nichts. Aragorn hingegen ließ ein Seufzen hören. "Ich sehe sein Versagen als das Meine an, Aerien."
"Wieso?" fragte sie verwegen.
Aragorns Blick blieb an Aerien hängen. "Die Bürde, die man ihm auferlegte, war zuviel für Helluin. Sein Vater... sein Vater ritt mit mir in der Grauen Schar, folgte mir bis zum Schwarzen Tor, wo er den Tod fand. Dafür gebe ich mir die Schuld."
"Dann ist es deine Verantwortung, jetzt für ihn da zu sein," sagte Aerien.
Gandalf und Aragorn blickten sie an - Aragorn mit Unglauben, Gandalf mit Interesse. "Nun, das kommt unerwartet," brummte der Zauberer. "Sie hat recht, Aragorn. Du bist Helluins Vorbild, und du bist sein König. Geh' zu ihm, ehe es zu spät ist."
Aragorn schwieg. Da fasste Aerien sich ein Herz und sagte: "Wenn es dir eine Hilfe ist... dann werde ich mit dir gehen, Aragorn."
Der alte Gamling führte Aragorn und Aerien wenig später zu der Unterkunft der königlichen Gardisten, einem großen Gebäude auf halbem Wege zwischen den Stallungen Aldburgs und der Residenz der Königin gelegen. Der gesamte, weitläufige Keller der Kaserne bestand aus einem großen, einfachen Kerker. Hier unten spendeten nur die Fackeln etwas Licht. Gamling brachte sie zu einer der hinteren Zellen, in der eine Gestalt an der hinteren Wand lehnte.
"Helluin," sagte Aragorn leise, und der Gefangene blickte auf.
"Onkel?" fragte Helluin ungläubig. "Du... du bist hier?" Rasch räusperte er sich und kam unbeholfen auf die Beine, um sich vor Aragorn zu verneigen. "Ich glaubte, du wärest... nein, Ihr wäret noch immer ein Gefangener des Dunklen Herrschers, König Elessar."
"Es besteht kein Grund für diese Förmlichkeiten, Helluin," sagte Aragorn. "Erzähl mir, was du getan hast."
"Ich... ich versuchte anfangs, es dir nachzutun, meinem Vorbild," sagte Helluin leise. "Nachdem sie mich zum Stammesführer ernannt hatten, hielt ich die Wacht der Dúnedain über den Norden aufrecht, bis..."
"Bis Saruman kam," sagte Aragorn.
"Bis Saruman kam," bestätigte Helluin. "Er versprach uns... den Glanz Arnors wiederherzustellen. Und ich... ich glaubte ihm."
"Das war töricht," meinte Aragorn sanft.
"Ich weiß, Elessar," erwiderte Helluin niedergeschlagen. "Ich habe in seinem Namen schreckliche Dinge getan. Und so wäre es mit mir weitergegangen, wenn das Schicksal nicht andere Pläne gehabt hätte."
"Was ist geschehen?" wollte Aerien wissen.
Helluin blickte zu ihr und schien sie zum ersten Mal wahrzunehmen. Dabei erhaschte Aerien einen Blick auf sein Gesicht. Eisblaue Augen voller Zweifel und Schuld starrten ihr entgegen. Die Haare waren ebenso lang und dunkel wie Aragorns und um den Mund herum sprießte ein kurzer Bart. Er sah seinem Onkel ähnlich, wie Aerien feststellte.
"Wer seid Ihr?" wollte Helluin wissen.
"Dies ist Aerien," erklärte Aragorn. "Sie verhalf mir zur Flucht aus Mordor."
Helluin ließ den Kopf sinken. "Ich verstehe."
"Gandalf sagte, Sarumans Zauber wäre gebrochen worden, und ich glaube ihm," fuhr Aragorn fort. "Wie kam es dazu?"
Als Helluin den Kopf wieder hob, stand ein schwaches Funkeln in seinen Augen, das zuvor nicht da gewesen war. "Ich traf jemanden. Und ob absichtlich oder nicht - es gelang ihr, den Zauber zu brechen."
"Wer wäre zu so etwas in der Lage?" wollte Aragorn wissen.
"Ihr Name... ist Kerry. Ich bin auf der Suche nach ihr," erklärte Helluin leise.
Aragorn schwieg einen langen Augenblick. Dann begann er, zu sprechen. "Dass Sarumans Zauber nicht länger auf dir liegt sehe ich nun mit eigenen Augen. Und die Reue, die du fühlst, ist ebenfalls nicht zu übersehen. Deshalb... werde ich dir deine Taten vergeben, Helluin. Wenn ich Éowyn darum bitte... wird man dich freilassen."
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