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Autor Thema: Aldburg - In der Stadt  (Gelesen 85512 mal)

Eandril

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Re: ALDBURG - In der Stadt
« Antwort #60 am: 6. Aug 2015, 10:55 »
Mathan schüttelte lächelnd den Kopf und erwiderte: "Nein, tatsächlich waren wir auf der Suche nach dir."
Oronêl zog skeptisch eine Augenbraue hoch, sodass Mathan hinzufügte: "Nunja... wir haben uns gedacht dass du früher oder später hier vorbeikommen würdest, also haben wir hier auf dich gewartet."
Oronêl konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, auch wenn der Anblick des so offenkundig glücklichen Paares ihn unangenehm an Calenwen erinnerte. "Nun, da habt ihr richtig gedacht. Und wie es der Zufall will, wollte ich mich gerade auf die Suche nach euch machen. Es ist Eile geboten, und ich wollte vorschlagen, dass wir heute noch nach Westen aufbrechen."
Mathan zwinkerte Halarîn zu und antwortete: "Das trifft sich gut - eben das wollte ich dir vorschlagen."
"Dann ist es wohl beschlossene Sache, wenn ihr euch bereits einig seid ohne vorher darüber gesprochen zu haben.", meinte Halarîn.
"Gut.", sagte Oronêl, und warf einen Blick die Straße herunter in Richtung des Lagers. Er atmete einmal tief durch und fuhr dann fort: "Ich muss zurück ins Lager. Ich werde Orophin suchen und ihm Bescheid geben, und mich dann verabschieden... Ich schlage vor, wir treffen uns in einer Stunde am Westtor der Stadt wieder."
Mathan nickte und antwortete: "Einverstanden."

Oronêl ins Lager der Elben...
Mathan und Halarîn treffen letzte Vorbereitungen für ihre Reise und treffen sich danach am Westtor...



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« Letzte Änderung: 7. Aug 2015, 16:20 von --Cirdan-- »

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

--Cirdan--

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ALDBURG - In der Stadt
« Antwort #61 am: 6. Aug 2015, 23:06 »
Aus der Sicht des Halblings:

Pippin und Merry aus der Stadt.
Oronêl aus dem Lager der Elben.
Mathan und Halarîn aus der Stadt.


„Merry!“, rief eine helle Stimme den beiden Hobbits die Straße hinauf hinterher. Ein junges Mädchen in einfacher Tracht kam auf Pippin und Merry zu gerannt. „Kennst du sie?“, fragte Pippin erstaunt. „Ich bin Irwyne“, erklärte das Mädchen aus Rohan, als sie vor ihnen zum Stehen gekommen war. Pippin merkte deutlich, wie Merry aufatmete und sich offensichtlich freute, dass Irwyne ihren Namen genannt hatte. Wahrscheinlich hatte Merry ihn vergessen, überlegte Pippin.
„Hallo Irwyne“, antwortete ihr Merry mit einem Zwinkern zu Pippin, „wohin willst du denn so eilig?“ „Zum Westtor“, erklärte Irwyne rasch und fügte leiser und trauriger hinzu, „Oronêl bricht doch jetzt auf. Begleitet ihr mich?“
Für Pippin und Merry war schnell klar, dass sie die kleine Irwyne nicht alleine gehen lassen würden und so begleiteten die Beiden das junge Mädchen zum westlichen Stadttor von Aldburg. Weit war es nicht und auf dem kurzem Stück Weg durch die engen Gassen lernten sie Irwyne besser kennen.

Viel treiben herrschte nicht auf dem Platz vor dem Tor. Den zum Aufbruch bereiten Trupp erkannte Pippin sofort und wenn er richtig zählte, bestand er aus nur vier Mann. Irwyne korrigierte Pippin jedoch. „Es ist auch eine Frau dabei!“, sprach sie freudig.
Einige Elben waren versammelt, die sich von der Gruppe verabschiedeten. Elrond war der Einzige, den Pippin näher kannte oder überhaupt schon einmal gesehen hatte.
„Wohin brechen sie auf?“, fragte Merry seinen alten Freund. Doch auch Pippin hatte dazu keine Antwort. Es waren einfach zu viele Gesichter in Aldburg. Ein ständiges Kommen und Gehen, besonders seitdem die Flüchtlinge aus Lothlorien eingetroffen waren.

Interessiert beobachteten Pippin und Merry die Verabschiedung und die Vorbereitungen in letzter Sekunde. Nach einigem Zögern ging auch Irwyne zu Oronêl, Orophin, Mathan und Halarîn und wünschte ihnen viel Erfolg bei ihrer Suche. Kurz darauf löste sich Elrond aus der kleinen Menge und begrüßte die beiden Hobbits freundlich. „Nur noch einige Tage und dann werden auch wir gemeinsam nach Westen Richtung Auenland aufbrechen“, sprach Elrond.  „Und wohin reist diese Gruppe“, stellte Merry selbige Frage an Elrond, die Pippin zuvor nicht beantworten konnte.
„Sie werden gehen, wohin sie ihre Fuße tragen und sie dem Ziel ihres Auftrages näher kommen“, antwortete der Halbelb in elbischer Manier. Nach einigen scharfen Blicken der Hobbits, die Elrond in seiner Sanftheit zum Glück nicht missverstand, erklärte er genauer: „Die Vier reisen zunächst nach Dunland, wo wir den verlorengegangenen Ring des Nazgûls vermuten. Sie haben den Auftrag den Ring im Geheimen zu finden und in den Schmieden Eregions zu zerstören. Weder Sauron noch Saruman dürfen davon etwas erfahren.“ Pippin und Merry verstanden und erinnerten sich an die Berichte der Schlacht von Dol Amroth, wo der Ring dem Nazgûl abgenommen wurde und der Erzählung, wie später in Lothlorien Amrothos den Ring an sich nahm und verschwand. Doch noch mehr baten sie Elrond zu erklären.

„Neun Ringe gab Sauron den Menschenkönigen“, holte Elrond aus, „und alle Neun wurden seine Diener und ihm hörig. Unsterblich wurden sie durch dunkle Zauberei. Durch Zeit konnten sie nicht sterben und erlagen sie dem Schwerte ihrer Feinde, kehrten sie in Geisterform zu ihrem Herrn zurück, der sie durch ihre Ringe wiederbeleben konnte. Die neun Ringe selbst wird Sauron verwahrt haben in den tiefsten Hallen seiner schwarzen Festung in Mordor. Die Nazgûl, wie die einstigen Könige heute genannt werden, waren jedoch schwach, solange ihnen ihr eigener Ring fehlte. Immer noch ein beängstigender und tödlicher Feind, aber nur ein Abbild ihrer selbst. Sauron hatte lange vor, so wird es gesagt, den Nazgûl ihre ganze Stärke zu geben, doch er brauchte die neun Ringe um die Kontrolle über seine obersten Diener zu behalten. Als er den Einen, seinen Meisterring zurückgewann, da war er in der Lage die Nazgûl auch ohne die neun Ringe zu beherrschen. Er rief die Neun zu sich und gab ein Jedem seinen Ring zurück. –Ich spürte es ganz deutlich.“ Elrond sah kurz seine Hand hinunter und fuhr dann fort: „Wie viel stärker die Nazgûl nun tatsächlich sind, mag niemand zu sagen. Der Hexenkönig  konnte unter großen Mühen in Lothlorien bezwungen werden. Auch seinen Ring erlangten wir, aber er wurde Maethor später wieder abgenommen bevor er zerstört werden konnte.“
 
„Aber auch der Nazgûl in Dol Amroth ist besiegt wurden“, sprach Merry weiter, „es gibt also durchaus die Hoffnung, dass die Nazgûl nicht viel stärker geworden sind.“
„Die gibt es“, bestätigte Elrond, „außerdem haben sie jetzt eine große Schwäche, denn Sauron kann die Nazgûl ohne ihren Ring nicht wiederbeleben. Wenn also Oronêl und seine Begleiter Erfolg haben und den Ring finden und zerstören können, kann der Nazgûl nie wieder erwachen und die freien Völker haben einen Feind weniger.“
„Ihre Aufgabe ist wichtiger als ich vermutet hatte“, sprach Pippin, „aber woher wisst ihr dies alles Meister Elrond?“
„Nicht Weniges stammt von Saruman, der lange die Ringe der Macht studiert hat“, antwortete der Halbelb und ließ Pippin und Merry das Gesicht verziehen. Dies war nicht die Antwort, die sie hören wollten.

„Oh, seht“, rief Irwyne aus, die unbemerkt zu ihnen zurückgekehrt war, „sie steigen auf ihre Pferde.“ Tatsächlich schwangen sich die vier Elben grade in die Sattel. Elrond ging noch ein letztes Mal zu ihnen und dann verließen Oronêl, Orophin, Mathan und Halarîn Aldburg durch das Westtor.

„Sollen wir ein Horn zum Aufbruch blasen“, fragte Merry scherzhaft und Pippin antwortete lachend: „Dann können wir auch gleich ein Feuerwerk anzünden.“


Ein paar Tage vergingen in Aldburg. Wie viele es waren, das wusste Pippin nicht. Er beobachtete die Vorbereitungen der Elben und erwartete mit Spannung den Tag ihres Aufbruches.


Oronêl, Orophin, Mathan und Halarîn in Richtung Dunland auf die Furten der Isen.
Pippin und Merry begeben sich am Tag der Abreise der Elben ins Lager der Elben.


« Letzte Änderung: 12. Aug 2015, 22:39 von --Cirdan-- »

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Die Worte der Königin
« Antwort #62 am: 12. Sep 2016, 14:59 »
13. Juli 3022
Aus der Sicht Éowyns


Éowyn stand auf dem großen Balkon der Königsresidenz Aldburgs, allein und in Gedanken versunken. Die Nachmittagssonne beschrieb langsam einen Bogen nach Westen während die Schatten in der Stadt mit jeder Minute länger wurden. Seit dem Aufbruch des Heeres war es ruhig geworden in Aldburg. Kaum ein Tag verging an dem nicht einige Menschen in Richtung ihrer Heimat aufbrachen, nun da der Friede in Rohan so gut gesichert schien. Viele kehrten zurück in ihre Dörfer und zu ihren Höfen, wo sie dringend gebracht wurden. Noch immer waren die Nahrungsvorräte knapp auch wenn eine Hungersnot vorerst abgewendet zu sein schien. Éowyn hoffte jedoch, dass die beiden Hobbits, die nach Norden gezogen waren, schon bald Unterstützung in dieser Sache bringen konnten. Bisher hatte man jedoch in Rohan noch kein Wort von der Lage in Eriador vernommen seitdem Meister Elrond mit großem Gefolge die Furten des Isen überquert hatte.

Eine sanfte Brise strich durch Éowyns Haar und einige blonde Strähnen verdeckten ihr die Sicht auf die Stadt. Nachdenklich strich sie die widerspenstigen Haare beiseite. Ihre Gedanken waren bei Faramir, der am Vortag in Richtung Helms Klamm geritten war um dort Streitigkeiten zu schlichten zwischen den Rohirrim und den Dunländern, denen man nach der Befreiung der Festung wegen ihrer Hilfe erlaubt hatte, dort zu bleiben. Sie fragte sie, ob es Neues von den Zwergen gab, die zu den Glitzernden Grotten am Ende der Klamm gezogen waren. Durins Volk war auf der Suche nach einer neuen Heimat gewesen, doch Éowyn wusste nicht, ob die Höhlen dort ihnen zusagen würden.

"Herrin," riss sie eine zarte Stimme aus ihren Gedanken. Es war eine der Bediensteten, die in dem großen Haus arbeiteten, ein Mädchen von neunzehn Jahren.
"Was gibt es, Lúfa?" fragte die Königin sanft.
"Ein Bote ist eingetroffen," beantwortete Lúfa die Frage und machte eine artige Verbeugung. "Er bringt Nachricht von Erkenbrands Feldzug."
Eilig stand Éowyn auf. "Schicke ihn herauf," bat sie. "Und lass' Speisen und Wasser bringen. Sicherlich ist er erschöpft vom langen Ritt."
Lúfa nickte und rannte davon. Éowyn blieb angespannt alleine zurück. Welche Neuigkeiten würde der Bote bringen? Sie wünschte, Faramir wäre bereits wieder in Aldburg.

Ein Reiter in der Rüstung der königlichen Garde betrat den Balkon. Den Helm hatte er abgenommen und unter den linken Arm geklemmt. Schwert, Schild und Speer hatte er bereits am Eingang des Hauses abgelegt.
"Willkommen zuhause, Sigefrith," begrüßte Éowyn den müde wirkenden Gardisten. "Setz' dich, es wird gleich eine Erfrischung für dich geben. Doch sprich, welche Kunde bringst du?"
Sigefrith schlug mit der Faust leicht gegen seinen Brustpanzer und neigte das Haupt, eine Geste des Respekts. Dann ließ er sich auf dem hölzernen Stuhl gegenüber der Königin nieder.
"Gute Nachrichten, Herrin!" berichtete er. "Die feindliche Festung ist genommen und der Feldzug ein Erfolg."
Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf Éowyns Gesicht aus. Doch der Bote hatte noch mehr zu erzählen.
"Erkenbrand entsandte mich gleich nach dem Ende der Kämpfe, um die Botschaft zu überbringen. Aber es gibt noch mehr zu berichten. Marschall Elfhelm ist gefallen, und mit ihm viele tapfere Eorlingas. In den entscheidenden Gefechten war es ihr Mut, der uns zum Sieg führte."
"Sie werden nicht vergessen werden," sagte Éowyn entschieden. "Und weder vergessen wir ihr Opfer, das diesen Triumph ermöglichte. Ich werde die Barden anweisen, ein Lied über die Schlacht zu verfassen."

Lúfa kehrte mit zwei weiteren Bediensteten zurück, die einen gut gedeckten Tisch herbeitrugen und vor dem Meldereiter abstellten. Dieser begann zu essen, beantwortete jedoch währenddessen die Fragen, die Éowyn ihm stellte. So erfuhr sie vom überraschenden Angriff der Ostlinge im Rücken der Uruk-hai, vom Fall der großen geflügelten Bestie und der Befreiung König Bards. Doch vor allem erfuhr sie von den Worten Sarumans und vom Ende der Allianz.
"Dies ist wahrlich nicht überraschend," kommentierte sie. "Saruman war von jeher ein Feind der Menschen Rohans. Mein Herz sagte mir, dass er bald seine wahren Absichten enthüllen würde. Er will herrschen und Befehle geben, und teilt seine Macht nicht gerne. Nun müssen unsere Augen wachsam zu den Furten des Isen und nach Dunland blicken."
Und sie gab den Befehl, Reiter nach Westen zu entsenden um dem Kommandanten von Helms Klamm entsprechende Anweisungen zu überbringen.

Die traurige Nachricht über den Tod so vieler Rohirrim blieb Éowyn noch einige Zeit im Gedächtnis, doch gab es etwas, das sie wieder fröhlicher stimmte. Etwas, wovon sie selbst erst seit einem Tag wusste, und das alles verändern würde. Als sie hörte, dass Faramir sich Aldburg näherte, begab sie sich zum großen Tor am Nordrand der Stadt um auf ihn zu warten. Begleitet von Lúfa und drei wachsamen Gardisten stand sie dort, ihr weißes Kleid rötlich schimmernd im Licht der Abendsonne. Auf der Straße vor ihr tauchten Reiter auf, die schnell näher kamen. Ganz vorne ritt ein Mann mit einem grünen Umhang und stattlicher Gestalt. So kehrte Faramir nach Aldburg zurück und wurde herzlich empfangen. Lange umarmte er seine Frau und lauschte ihren Worten, die vom Erfolg bei Dol Guldur berichteten. Éowyn jedoch hielt das Wichtigste zurück, bis sie sich schließlich zu zweit auf den großen Balkon wiederfanden, die letzten Sonnenstrahlen auf ihren Gesichtern. Sie legte ihre Hand in seine und drückte sie. So standen sie einen Augenblick dort, zwei hochgewachsene Gestalten vor dem Sonnenuntergang. Schließlich wandte sich Éowyn Faramir zu, ein strahlendes Lächeln im Gesicht.

"Ich bin schwanger," sagte sie leise und sah zu, wie sich Überraschung und Freude in Faramirs Gesicht abwechselten.
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Der Herr und die Herrin von Rohan
« Antwort #63 am: 9. Mai 2018, 13:48 »
Valion und Rinheryn aus Firnharg


Nach einem mehrstündigen Ritt erreichten die beiden Gondorer das Tor von Aldburg am Mittag desselben Tages, an dem sie von Firnharg aufgebrochen waren. Valion fiel auf, dass außerhalb der Stadt eine große freie Fläche zwischen den Bäumen eingeebnet worden war, die ihn an ein Kriegslager erinnerte. Doch weder Zelte noch Holzbauten waren dort zu sehen. Wer auch immer dort einst gelagert hatte, war offenbar bereits weitergezogen.
Vor dem Tor saßen sie ab und teilten den Wachen ihre Absichten mit. Die in schwere Rüstungen und grüne Umhänge gekleideten Wächter waren zu Anfang skeptisch, doch als sie erfuhren, um wen es sich bei Rinheryn handelte, hellten sich die Mienen rasch auf.
„Die Stormhére kommt nach Aldburg? Dann sind die Geschichten also wirklich wahr?“
„Wir haben hier keine Probleme mit den Orks im Gebirge - vielmehr bereiten uns die Orks jenseits des Grenzflusses Schwierigkeiten,“ sagten sie.
Rinheryn und Valion gaben den Wachen eine kurze Beschreibung des Mannes, den sie suchten. Die beiden Rohirrim warfen einander einen vielsagenden Blick zu.
„Ihr solltet mit dem Heermeister sprechen,“ sagte einer der beiden. „Am besten geht ihr direkt zu ihm. Ihr findet ihn in den königlichen Unterkünften im oberen Distrikt der Stadt.“

Mehr wollten sie dazu nicht sagen, was Valion misstrauisch werden ließ. Irgendetwas stimmt hier nicht, dachte er sich, während er Rinheryn durch die belebten Straßen der Hauptstadt Rohans folgte. Duinhirs Tochter kannte sich hier gut aus, denn sie war seit der Öffnung der Pfade der Toten mehrmals als Meldereiterin hier gewesen. So fanden sie rasch das große Haus, in dem Faramir und seine Frau, die Königin von Rohan wohnten. Auch dort wurden sie von den Gardisten rasch hereingebeten, nachdem sie ihnen den Grund ihres Besuches genannt hatten.
Faramir, Prinzgemahl Éowyns und Heermeister von Rohan und Anórien, war bereits über ihre Ankunft unterrichtet worden. Er erwartete Valion und seine Begleiterin auf einer großen Terasse, die nach Norden hin einen ausgezeichneten Ausblick über die darunter liegenden Stadt bot. Es war nicht Valions erste Begegnung mit dem Sohn des verstorbenen Truchsessen Denethor, doch direkt mit Faramir gesprochen hatte er nie.
„Willkommen in Aldburg, Valion, Amlans Sohn, und Rinheryn, Duinhirs Tochter., begrüßte sie der Heermeister und erhob sich von dem Stuhl, in dem er gesessen hatte. Er bot Valion die Hand an, und sie schlugen ein.
„Ich habe schon viel von deiner Tapferkeit gehört, Stormhére,“ fuhr Faramir fort, an Rinheryn gewandt. „Und ich bin dir dankbar für das, was du für Rohan getan hast. Die Eorlingas stehen in deiner Schuld.“
Rinheryn schien dieses Lob etwas peinlich zu sein, denn die junge Frau trat verlegen von einem Bein aufs Andere und schaute Faramir nicht in die Augen. „Ach, das war doch nichts Besonderes,“ brachte sie hervor.
„Meinen Dank hast du dennoch,“ erwiderte Faramir lächelnd. „Doch habe ich gehört, dass ihr beiden nicht hier seid, um eine Belohnung einzufordern.“ Auffordernd blickte er Valion an.
„Ganz recht,“ antwortete dieser. „Ich jage einen Mann, der vielerlei Verbrechen gegen Gondor begangen hat und nun auch Leben in Rohan auf dem Gewissen hat.“ Rasch fasste er Gilvorns Taten zusammen, und Faramir nickte.
„Der, den du suchst, ist hier gewesen und hat mit mir gesprochen. Ich wünschte, ich hätte damals schon gewusst, was du mir nun berichtest, Valion. Er bot an, in meinem Namen nach Anórien zu gehen und die Orks in Aufruhr zu versetzen, damit sie unsere Streitmacht nicht kommen sehen und wir sie überraschend können.“
„Eure Streitmacht?“ fragte Rinyheryn.
„Vor wenigen Wochen schlugen wir einen großen Angriff auf unsere östliche Grenze zurück. Immer wieder bedrohen die Horden Mordors die Ostfold von Anórien aus. Glücklicherweise sind wir in diesem Kampf nicht alleine, denn Meister Elronds Krieger standen uns bei. Sie lagerten außerhalb der Stadt. Wir kamen gestern überein, dass der Zeitpunkt für einen Gegenschlag reif sei. Gestern Nachmittag gaben wir Gilvorn das schnellste Pferd, das in den Stallungen zu finden war, und entsandten ihn mit den besten Wünschen nach Anórien. Und im Schutze der Dunkelheit brachen die Elbenkrieger auf, um ihm zu folgen und Mordor einen schweren Schlag zu versetzen.“
„Mir gefällt nicht, wohin das führt,“ murmelte Valion.
„Nun, da ich weiß, dass Gilvorn ein Verräter ist, befürchte ich, dass die Elben in eine Falle geraten werden, wenn sie den Mering-Strom nach Osten überschreiten. Wir haben also keine Zeit mehr zu verlieren. Uns bleibt keine Wahl - wir müssen so schnell wie möglich alle verfügbaren Reiter zu ihrer Rettung entsenden.“
Er klatschte in die Hände, und die Gardisten, die vor der Tür gewartet hatten, kamen herein und verbeugten sich. „Geht und ruft Marschall Elfmar herbei,“ befahl Faramir. „Und lasst in der Stadt verkünden, dass sich jeder kampffähige Mann bei Sonnenuntergang kampfbereit vor dem Tor einfinden soll.“
Die Wachen eilten davon, während Faramir sich wieder an Valion und Rinheryn wandte. „Ich bedaure, dass ich Gilvorns wahre Absichten nicht rechtzeitig erkannt habe.“
„Mich hat er zunächst ebenfalls getäuscht,“ erwiderte Valion. „Deswegen ist es so wichtig, dass wir ihn endgültig aufhalten.“
„Ich verstehe,“ sagte Faramir. „Du erweist Gondor einen großen Dienst, indem du den Verräter aufhältst. Ehrlich gesagt hätte ich dich so nicht eingeschätzt, jedenfalls nicht dem Ruf nach, der dir voraus eilt.“ Faramir bedachte Valion mit einem wissenden Blick.
Das brachte Valion ein wenig in Verlegenheit und er sagte: „Schätze ich habe mich seit meiner Zeit in Umbar zumindest ein klein wenig gebessert...“
„Eigentlich... liegt mir sogar eine Anweisung vor, dich zu ergreifen und  in Ketten nach Dol Amroth zu bringen,“ gestand Faramir ein. „Wenige Tage vor deiner Ankunft kam eine Brieftaube aus der Schwanenstadt. Doch als ich hörte, dass du auf dem Weg zu mir warst, beschloss ich, zunächst deine Version der Ereignisse anzuhören und bin der Meinung, dass ich diesmal ein Auge zudrücken könnte - sofern Duinhirs ehrenhafte Tochter für dich bürgt.“
Rinheryn, die bis zu diesem Moment auf die Stadt hinab gestarrt hatte und offensichtlich eigenen Gedanken nachgehangen war, schreckte auf und gab ein undamenhaftes „Hm?“ von sich, ehe sie sagte: „Oh, ähm... tja, ich würde sagen, der Bursche geht schon in Ordnung. Immerhin schulde ich ihm mein Leben. Ich hoffe nur, er ist wirklich so gut mit dem Schwert wie die Leute sagen, sonst muss ich meine Meinung vielleicht revidieren.“
Faramir lachte. „Dann ist es beschlossen. Reitet mit mir nach Anórien, und wir werden sehen, was es dort zu sehen gibt. Wir werden die Elben von Imladris nicht dem sicheren Tod überlassen und Gilvorn einen Strich durch die Rechnung machen. Und wenn uns das Glück gewogen ist, werden wir den Verräter seiner gerechten Strafe zuführen.“
Valion nickte enthusiastisch. „Das nenne ich mal einen Plan, der meine vollste Zustimmung hat!“
„Und du, Stormhére? Meine Reiter wären gewiss froh, wenn du dich uns ebenfalls anschließen würdest,“ sagte Faramir, an Rinheryn gerichtet.
„Ich habe noch eine Rechnung mit dieser miesen Betrüger-Ratte offen,“ erwiderte Duinhirs Tochter kampflustig. „Selbstverständlich komme ich mit.“
„Dann ist es beschlossen,“ sagte Faramir zufrieden.
„Was ist beschlossen, Liebster?“ erklang eine weibliche Stimme hinter ihn, und Faramirs Miene wurde weich. Valion drehte sich um und sah zwei Frauen auf sich zukommen. Eine der beiden trug einen königlichen Reif auf ihrem geflochtenen, blonden Haar und ein dunkelrotes, prunkvolles Kleid. Die zweite war offensichtlich eine Bedienstete, was an der schlichten Kleidung gut zu erkennen war. Auch sie war blond. Und jede der beiden Frauen trug einen Säugling auf dem Arm.
„Die Reiter Rohans werden nach Anórien gehen, Éowyn,“ sagte Faramir und trat zu seiner Ehefrau. „Ich habe erfahren, dass die Streitmacht der Elben womöglich in eine Falle laufen wird. Das darf nicht geschehen.“
Éowyn, Königin von Rohan, nickte zustimmend und entschlossen sagte sie: „Ich würde mit euch reiten, doch mein Platz ist in diesen Tagen hier. Kämpfe tapfer, Geliebter, doch vergiss nicht, dass ich auf dich warten werde... dass wir auf dich warten werden.“ Ihr Blick ging hinab zu dem schlafenden Kind in ihrem Arm. Es hatte dieselben blonden Haare wie seine Mutter, während das zweite Kind die dunklen Haare Faramirs hatte.
„Dies sind Valion und Rinheryn, zwei Edle Gondors, die sich uns anschließen werden,“ stellte Faramir sie vor. „Ihr steht vor Éowyn Éomundstochter, Herrin der Mark und Königin von Rohan.“
Rasch verbeugten sie sich, doch Éowyn hob lächelnd die Hand. „Aus Gondor stammt ihr? Dann seid ihr die ersten aus jenem Land, die meine Kinder zu Gesicht bekommen. Dies sind Stéorric und Westhild aus dem Hause Eorl.“
„Und in Gondor sollen sie als Elboron und Adúnien aus der Linie Húrins bekannt sein,“ ergänzte Faramir, der die dunkelhaarige Adúnien auf den Arm genommen hatte, während seine Frau noch immer den Zwillingsbruder des kleinen Mädchens hielt.
Der Anblick der Kinder machte Valion sehr nachdenklich. Erst vor wenigen Tagen hatten er und Lóminîth über dieses Thema gesprochen und damals hatte er sich bereit dafür gefühlt, selbst Vater zu werden. Faramirs Kinder nun zu sehen, die erst wenige Monate alt ware, ließ ihn diese Entscheidung wieder anzweifeln. Er wusste nicht, ob er mit einer so gewaltigen Verantwortung zurecht kommen würde.
Rinheryn packte ihn am Arm und riss Valion aus seinen Gedanken. „Na komm schon, mein Großer. Wir sollten uns kampfbereit machen. Die Sonne wird in wenigen Stunden untergehen, und bei Nacht werden wir gewiss ins Gefecht kommen. Da bleibt mir gerade noch genug Zeit für ein Nickerchen, wie ich finde. Danach werde ich gut ausgeruht in die Schlacht ziehen werden. Kommst du mit?“

In einer der Scheunen nahe des Tores gelang es den beiden tatsächlich, für eine Stunde die Augen zuzumachen und etwas Schlaf und Erholung zu finden. Als die Sonne schließlich unterging wurden vor dem Tor die Kriegshörner geblasen, und hastig sattelten Valion und Rinheryn ihre Pferde, um sich den Reitern von Rohan auf ihrem Ritt nach Anórien anzuschließen.


Faramir, Valion, Rinheryn und Elfmar mit den Reitern von Rohan nach Anórien
« Letzte Änderung: 28. Mai 2018, 15:06 von Fine »
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Die Weiße Herrin von Rohan
« Antwort #64 am: 6. Feb 2019, 16:14 »
Cyneric, Zarifa und Kerry aus dem Hargtal


Es war erst das zweite Mal, dass Kerry die Stadt Aldburg mit eigenen Augen sah. Als sie zuletzt hier gewesen war, war sie noch ein Kind gewesen und hatte ihre Eltern dorthin begleitet. Nun kehrte sie als junge Frau zurück. Erneut kamen sie zu dritt an das Tor der Stadt, doch anstelle von Kerrys Mutter war diesmal die Südländerin Zarifa die Dritte im Bunde.
Erstaunlicherweise lachten die Wachen, als sie Kerrys Vater erkannten. "Sieh mal einer an. Der Rumtreiber kehrt zurück," sagte der erste Wächter.
"Die Gerüchte, die wir aus Edoras gehört haben, waren also wahr," meinte der Zweite mit einem breiten Grinsen.
"Hast dir ganz schön Zeit gelassen, alter Knabe," sagte der dritte Gardist. "Hat dir eine der Ostling-Frauen schöne Augen gemacht?"
Zu Kerrys Verwunderung ging ihr Vater kaum auf die Sprüche seiner Gefährten ein. "Ich erzähle euch nach Schichtende alles in Ruhe," erklärte er. "Wir treffen uns im Gasthof "Zur Alten Straße", die erste Runde geht auf mich."
"Hört, hört!" riefen die Wächter und ließen die Gruppe passieren.

Im Inneren der Stadt herrschte ein ziemliches Gedränge. Überall waren Menschen unterwegs. Die Dächer und Straßen Aldburgs waren mit einer dünnen Schicht Schnee bedeckt und die Luft war kalt genug, dass Kerrys Atem bei Ausatmen als weiße Wolke entwich. Sie hatte Zarifas Hand genommen, die sich warm anfühlte, und bahnte der Südländerin einen Weg durch die Menschenmassen, während sie ihrem Vater die Hauptstraße entlang folgte. Es ging bergauf.
"Wohin gehen wir, Vater?" fragte Kerry.
"Wir suchen Marschall Erkenbrand auf. Er wird meinen Bericht hören wollen, und darüber hinaus wird er wissen, zu wem wir Zarifa bringen können."
Zarifa hatte seit ihrer Ankunft in Aldburg noch kein Wort gesagt. Staunend blickte sie sich um und schien die neuen Eindrücke wie ein Schwamm aufzusaugen.
"Mach dir keine Sorgen, Zarifa. Alles wird gut werden," sagte Kerry. Das entlockte Zarifa ein zaghaftes Nicken, und Kerry freute sich darüber. Sie wollte Zarifa helfen, und sie wusste, dass ihr Vater diesen Wunsch teilte. Auf dem Weg nach Aldburg hatte sie sich rasch an Cynerics beruhigende Gegenwart gewöhnt, was den Schmerz und die Trauer über Oronêls Abschied etwas leichter zu ertragen gemacht hatte.
Sie erreichten ein großes Gebäude aus dunklem Holz, das Cyneric ihnen als Rüstkammer der Königsgarde vorstellte. Dort hoffte er, Herrn Erkenbrand vorzufinden.
"Erkenbrand? Nein, der ist gerade nicht hier. Wir hörten, er hielte sich in der Residenz der Königin auf," erklärte man ihm auf seine Frage hin. Weitere Gardisten erkannten Cyneric wieder und wurden ebenfalls auf einen Umtrunk im Gasthof zu späterer Stunde eingeladen, ehe er die Rüstkammer wieder verließ.
"Cyneric," sagte Zarifa, während sie einer der kleineren Straßen in die höher gelegenen Viertel der Stadt folgten. "Kennst du die Königin, von der die Männer gesprochen haben?"
"Ich habe viele Jahren in ihren Diensten gestanden," antwortete Kerrys Vater.
Zarifa gab ein Schnauben von sich, das wohl Belustigung ausdrücken sollte. "Erst die Königin der Waldelben, und jetzt die Königin von Rohan. Wenn du mir als Nächstes die Königin der Zwerge vorstellst, würde mich das nicht im Geringsten wundern."
Kerry lachte. "Ich glaube kaum, dass die Zwerge überhaupt so etwas wie eine Königin haben. Hast du schon jemals eine Zwergenfrau gesehen?"
"Ich habe noch gar keinen Zwerg in meinem Leben gesehen," erwiderte Zarifa.
"Da hast du nicht sonderlich viel verpasst," meinte Kerry grinsend.

Vor der Königsresidenz stand ein weiterer Gardist, der Cyneric aufgeregt begrüßte. Er war kaum älter als Kerry und Zarifa, schien daher wohl noch recht neu bei der Königsgarde zu sein.
"Ihr sucht den Herrn Erkenbrand? Ja, er ist hier, im Kartenraum im Obergeschoss. Ich bringe euch gleich zu ihm."
"Ist schon gut, mein Junge. Wir finden den Weg selbst. Bleib du besser auf deinem Posten, wenn du dir keinen Ärger einhandeln willst," erwiderte Cyneric. Und so betraten sie das Haus, das einst der erste Sitz der Könige Rohans gewesen war, ehe die Goldene Halle von Meduseld erbaut worden war. Cyneric führte die Mädchen die Treppe hinauf ins Obergeschoss. Zielstrebig brachte er sie zu einer Tür, hinter der ein Raum lag, dessen Fenster nach Süden auf das Weiße Gebirge hinaus blickten. Ein gerüsteter Krieger stand über einen Kartentisch gebeugt in der Mitte des Raumes. Als er Cyneric bemerkte, drehte er sich um.
"Ah, Cyneric. Willkommen, mein Freund. Ich hatte deine Ankunft bereits erwartet," sagte Erkenbrand, der nicht sonderlich überrascht wirkte.
"Hat Dunstan dir aus Edoras Bericht erstattet?" wollte Cyneric wissen.
"Das hat er, doch mein Wissen über dein bevorstehendes Eintreffen stammt nicht von ihm," entgegnete Erkenbrand mit einem Lächeln.
"Sondern von mir," erklang eine Kerry wohl bekannte Stimme. Sie schob sich an ihrem Vater vorbei, um besser in den Kartenraum hinein blicken zu können. Dort stand Gandalf, in weiße Gewänder gehüllt und auf seinen Stab gestützt. Der Zauberer lachte. "Hallo, Kerry. Wie schön dich zu sehen, meine Liebe."
Kerry konnte nicht anders, sie musste ihn einfach umarmen. "Gandalf!" brachte sie hervor. "Ich dachte, du wärest noch immer in Mithlond, bei den Elben."
"Ihr kennt dieses Mädchen, Herr Gandalf?" wunderte sich Erkenbrand.
"Und ob ich sie kenne," entgegnete Gandalf. "Und auch ihrem Vater bin ich bereits begegnet."
"Jetzt wird mir klar, wen wir vor wenigen Tagen in der Wold getroffen haben," murmelte Cyneric. "Ihr wart es also, der Zarifa geholfen habt. Vielleicht... könntet Ihr ihr erneut behilflich sein?" fragte er mit Vorsicht in der Stimme.
"Worum geht es denn?" wollte Gandalf wissen.
Zarifa blickte beschämt zu Boden. Kerry konnte sie gut verstehen. Wäre sie selbst schwanger gewesen, wäre das nichts, was sie vor wildfremden Menschen herausposaunen wollen würde. Also beschloss sie, Zarifa zur Hilfe zu eilen. Rasch flüsterte sie Gandalf ins Ohr, wobei er Zarifa behilflich sein könnte. Der Zauberer lächelte und nickte. Dann wandte er sich der Südländerin zu, die instinktiv vor ihm ein Stück zurückwich.
"Du brauchst keine Angst zu haben," sagte Gandalf mit warmer Stimme. "Lass mich sehen, wie es um dich bestellt ist. Es wird nicht lange dauern." Er nahm Zarifas Hand, und als sie hilfesuchend Kerry anblickte, nickte diese ermutigend. Zögerlich ließ Zarifa sich von Gandalf etwas beiseite führen, während der Zauberer mit leisen, beruhigenden Worten auf sie einredete.

Cyneric hatte derweil begonnen, Erkenbrand seinen Bericht zu erstatten. Kerry hörte einige Minuten interessiert zu, doch da sie den Großteil der Geschichte bereits kannte, wurde ihr rasch langweilig. Nachdem einige Minuten verstrichen waren, kehrte Gandalf mit Zarifa zurück. "Dem Kind geht es gut," stellte der Zauberer klar. "Es ist gesund und wächst stetig heran."
"Da bin ich froh," sagte Kerry und umarmte Zarifa. "Ich habe dir ja gesagt, dass alles gut werden wird."
Zarifa blickte ihr in die Augen. "Das hast du gesagt, aber..." Sie hielt inne und blinzelte. Dann nickte sie. "Ich bin dankbar, Kerry."
Kerry grinste. "Während mein Vater den Rest seines Berichts ablegt, sollten wir uns etwas zu Essen suchen. Ich bin am Verhungern, und unsere Vorräte sind aufgebraucht."
"Nun, womöglich findet ihr in den Küchen noch ein paar Reste," sagte Erkenbrand. "Die Königin und der Herr Faramir haben ihr Abendessen bereits beendet und sprechen derzeit mit dem König der Dunländer..."
Kerry riss die Augen auf. "Sagtet Ihr König der Dunländer? Er ist hier?"
Erkenbrand blickte sie verwundert an, während Gandalf schmunzelte. "Der Wolfskönig bat um eine Audienz, die ihm auf dem oberen Balkon gewährt wurde, und..."
Kerry ließ ihn mitten im Satz stehen und rannte los. Zarifa, Erkenbrand, Gandalf und Cyneric blieben zurück, und Kerry hörte noch, wie sie sich über ihr Verhalten wunderten. Doch es war ihr egal. Sie brauchte nicht lange, um den Balkon zu finden, der nach Norden hinaus ging und einen Ausblick über die weißen Dächer der Stadt bot. Vor dem Eingang standen zwei Wachen: ein Gardist der Königin mit Speer und Schild, und ein Dunländer mit Pelzumhang und einem langen Zweihänder auf dem Rücken.
"Déorwyn?"
"Kerry?"
Beide hatten gleichzeitig gesprochen und blickten einander überrascht an. Beide hatten Kerry erkannt; der Gardist kam ihr vage bekannt vor und musste ihr wohl einst in Edoras bei einem ihrer vielen Besuche dort begegnet sein, und der Dunländer war einer aus Aéds "Wolfsrudel", wenngleich sich Kerry gerade nicht an seinen Namen erinnern konnte. Sie nutzte die Verwirrung der beiden Wachen und schlüpfte zwischen ihnen hindurch.

"Wir kommen mit dem Wiederaufbau gut voran. Domnall schätzt, dass die große Halle auf der obersten Ebene von Edoras in wenigen Wochen fertiggestellt sein wird. Die Stadtmauer hingegen wird wohl noch..."
Da war er. Aéd! Er saß auf einem Stuhl ohne Lehne nahe des Geländers des Balkons und hatte mitten im Satz inne gehalten, als er Kerry bemerkt hatte.
"Wer bist du, Kind?" Aéds Gesprächpartnerin blickte Kerry freundlich, aber eindeutig verwundert an. Sie - eine dunkelblonde Frau in einem tiefgrünen, bestickten Kleid - wandte sich Kerry zu. Sofort fiel Kerry auf, was sie hier eigentlich tat, und sie erkannte Königin Éowyn, die Herrin von Rohan.
Kerry gab einen halbwegs akzeptablen Knicks von sich und senkte errötend den Kopf. "Ich heiße Déorwyn, Tochter Cynerics, und ich..."
"Cyneric?" fragte die Königin.
"Kerry?" rief Aéd gleichzeitig. "Ich dachte, du wärest im Düsterwald..."
"Das war ich auch," begann Kerry zu erklären, ehe ihr wieder bewusst wurde, in welcher Art von Situation sie sich befand. "Es tut mir Leid, Euer Majestät. Ich hätte nicht stören dürfen."
Zu ihrem Erstaunen lächelte Éowyn sie freundlich an. "Dein Vater hat hin und wieder von dir erzählt. Er leistet gute Arbeit. Es stimmt also, dass er aus Rhûn zurückgekehrt ist?"
Kerry nickte und blickte mehrfach zwischen Aéd und Éowyn hin und her. "Er spricht gerade mit Herrn Erkenbrand und..."
Aéd war aufgestanden. Ehe Kerry reagieren konnte, hatte er ihre Hand genommen. Er war ganz nahe, ohne dass sie darauf vorbereitet gewesen war. Und dann küsste er sie.
"Ihr beiden kennt euch wohl ebenfalls schon," sagte Königin Éowyn, halb erstaunt, halb belustigt.
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Es bleibt nicht viel Zeit
« Antwort #65 am: 9. Apr 2019, 07:06 »
Die Königin  - Éowyn von Rohan - hatte darauf bestanden, die ganze Geschichte zu hören, die hinter der ungewöhnlichen Unterbrechung ihrer Verhandlungen mit dem Wolfskönig von Dunland steckte. So kam es, dass Kerry, ihr Vater, Zarifa, Aéd und auch Gandalf mit der Königin Rohans ein ausgedehntes Abendessen zu sich nahmen und ihr dabei - in Kerrys Fall teilweise mit vollem Mund - alles erzählten. Éowyn war eine aufmerksame Zuhörerin, die viele Zwischenfragen stellte und sich besonders für die Kriegszüge Sarumans sowie den Verbleib Gríma Schlangenzunges zu interessieren schien. Als die Geschichte schließlich zu Ende erzählt worden war, klatschte die Weiße Herrin Rohans in die Hände und sagte: "Da seid ihr alle ja ziemlich herumgekommen in der Welt - und habt ein Abenteuer nach dem Anderen erlebt." Die Art und Weise, wie sie das Wort Abenteuer erwähnte, ließ Kerry glauben, dass die Königin sich vielleicht an so manchem Tage in ihrer Stadt eingeegt fühlen mochte.
Gandalf schien ähnliche Gedanken zu haben. "Auch hier in der Heimat gibt es viele Dinge zu erleben," sagte er lächelnd. "Ich würde meinen, dass Ihr gerade ein nicht minder spannendes Abenteuer in Eurer Familie zu bestehen habt."
Éowyn lachte herzlich. "Du hast selbstverständlich Recht, Gandalf. Kinder bringen vieles durcheinander, und Zwillinge tun dies gleich zweimal mehr. Doch ich würde nicht tauschen wollen."
Wie aufs Stichwort brachten zwei Bedienstete die drei Monate alten schlafenden Kinder der Königin herbei, die in dicke, weiße Decken gehüllt waren. Éowyn nahm die Zwillinge entgegen und nannte ihren Besuchern ihre Namen: Adúnien und Elboron hießen sie nach der Art Gondors, wie sie ihr Vater Faramir genannt hatte, doch in Rohan waren sie als Westhild und Stéorric bekannt.
Kerry staunte. Nur selten war sie so kleinen Kinder so nahe gekommen. Zarifa schien es ganz ähnlich zu gehen. Die junge Südländerin hielt etwas Abstand und betastete unterbewusst ihren Bauch. Kerry ging zu ihr hinüber und nahm Zarifas Hand. Sie sagte kein Wort, doch sie hoffte, dass die Berührung deutlicher als alle Worte sprechen würde, und Zarifa Trost spenden würde.

Als die Sonne unterging, verabschiedete sich die Königin von ihnen und brachte ihre Kinder nach drinnen. Auch Gandalf, Cyneric und Zarifa verschwanden kurz darauf, um sich nach einer Übernachtungsmöglichkeit umzusehen. Aéd blieb mit Kerry zurück und küsste sie erneut, als sie sich unbeobachtet glaubten.
"Ich habe dich vermisst," flüsterte Kerry ihm ins Ohr.
Aéd blickte verlegen zu Boden. "Ich habe jeden einzelnen Tag an dich gedacht," gestand er ihr. "Und gehofft, dass du wider Erwarten zu mir zurückkehrst."
"Jetzt hat sich diese Hoffnung ja erfüllt," meinte Kerry verliebt. "Und ich habe auch nicht vor, so schnell wieder weg zu gehen," fügte sie hinzu.
Doch Aéd seufzte und sah ihr in die Augen. "Wenn wir nur mehr Zeit hätten..." sagte er niedergeschlagen.
"Wie meinst du das?" wollte Kerry erschrocken wissen.
"Ich bin jetzt schon drei Wochen hier in Rohan," erklärte Aéd. "Es gibt viele in meinem Volk, die mir die Annäherung an die Rohirrim übel nehmen. Der alte Hass auf Rohan sitzt bei einem Großteil der Dunländer noch immer tief. Nur der Stamm des Schildes, die Leute meines Vaters, stehen uneingeschränkt hinter mir. In allen anderen Stämmen gibt es Uneinsichtige. Einige leisten selbst jetzt offen Widerstand, allen voran Yven vom Stamm des Messers. Schon zweimal ist er mir knapp entwischt. Gestern erst haben mich Nachrichten aus Tharbad erreicht, dass Yven wieder aufgetaucht ist. Ich fürchte, diesmal wird er es nicht bei Sabotageakten belassen. Diesmal wird Blut fließen, wenn ich nichts unternehme."
Er atmete tief durch. "Kerry - ich muss noch heute nach Hause aufbrechen."
Das hatte Kerry bereits befürchtet. "Ich werde dich also nicht zum Bleiben überreden können?"
"So schwer es mir fällt, das zu sagen, aber - nein." Aéd ließ den Kopf hängen.
Da traf Kerry ihre Entscheidung. "Dann werde ich mit dir gehen," sagte sie leise, aber entschlossen.
Überrascht blickte Aéd auf. "Aber... dein Vater, was wird er dazu sagen?"
"Er wird es akzeptieren müssen," meinte Kerry. "Ich weiß, dass auch er nicht vorhatte, lange in Rohan zu bleiben. Irgendetwas - oder irgendjemand - zieht ihn zurück nach Rhûn, das spüre ich. Ich hätte mich schon bald wieder von ihm verabschieden müssen."
"Bist du dir sicher?"
"Ich bin mir sicher," bestätigte sie. "Mein Vater wird es verstehen. Wir werden uns wiedersehen, wenn er das erledigt hat, was auch immer er in Rhûn zu erledigen hat. Außerdem hatte ich sowieso vor, nach Eregion zu gehen. Und da liegt Dunland ja praktischerweise auf dem Weg." Sie zwinkerte Aéd zu und lächelte.
Aéd nickte erleichtert. "Ich bin froh, das zu hören. Aber vergiss nicht, dass dir in Dunland Gefahr droht."
"Der Wolfskönig wird schon auf mich aufpassen, oder etwa nicht?" Kerry grinste frech.
"Worauf du dich verlassen kannst." Aéd küsste sie - fest und innig.
Als sie sich voneinander lösten, sprang Kerry auf. "Komm, suchen wir Vater - ich bin mir sicher, er wird einverstanden sein."

"Ich bin damit nicht einverstanden," sagte Cyneric, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte. "Solange Dunland nicht sicher ist, bin ich nicht gewillt, dich weiteren Gefahren auszusetzen." Bereits seit mehreren Minuten stritten sie nun darüber.
Kerry stemmte die Arme in die Hüften. "Was hast du also nun vor, Vater? Willst du mich hier in Aldburg wegsperren lassen, damit mir ja kein Leid geschehen kann? Du wusstest doch schon, dass ich früher oder später nach Eregion gehen wollte."
"Ich hatte gehofft, dass..." Cyneric brach ab und seufzte. "Nun, es macht keinen Unterschied. Du bist erwachsen und wirst deine eigenen Entscheidungen treffen, ob es mir nun gefällt, oder nicht."
"Worauf hattest du gehofft?" bohrte Kerry nach.
"Darauf, dass du hier auf ihn wartest, damit ihr gemeinsam nach Eregion gehen könnt," antwortete Zarifa an Cynerics Stelle.
Cynerics Schweigen war für Kerry Bestätigung genug. Sie schickte sich an, ihrem Vater eine wütende Antwort zu geben, als sich eine sanfte Hand auf ihre Schulter legte.
"Lass es gut sein, meine Liebe. Du hast deine Entscheidung getroffen und Cyneric wird sich dir nicht in den Weg stellen. Es ist nicht gut, im Streit auseinander zu gehen." Gandalfs ruhige Stimme sorgte dafür, dass Kerrys Ärger dahinschmolz wie der Schnee im Hargtal wenn es Frühling wurde. Sie sah ihrem Vater in die Augen. Dann umarmte sie ihn fest.
"Bitte gib in Rhûn auf dich Acht," sagte sie leise. "Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit, aber..."
"Es ist gut, Déorwyn. Es war wichtig für mich, dies zu erkennen. Du bist kein Kind mehr, und aus meinem kleinen Mädchen ist eine Frau geworden, die ihren eigenen Weg gehen wird. Wer wäre ich, dir das zu verweigern?"
"Ich..." begann Kerry, doch der Rest des Satzes blieb ihr im Hals stecken. Sie weinte und drückte ihren Vater an sich. "Ich hab dich lieb," brachte sie leise hervor."
"Und ich werde dich immer lieben," antwortete er. Sie lösten sich voneinander und er küsste sie sanft auf die Stirn. "Jetzt geh," sagte er liebevoll. "Pass auf dich auf, bis zu unserem Wiedersehen."
"Das werde ich," antwortete sie. "Ich verspreche es."
"Und auch ich verspreche es," sagte Aéd, der bislang etwas betreten im Hintergrund gestanden hatte. "Ihr wird kein Leid geschehen."
Cyneric warf ihm einen Blick zu, wie ihn nur ein Vater einem jungen Mann zuwerfen konnte, der Interesse an seiner Tochter zeigte. "Ich verlasse mich darauf, Junge," sagte er.
Für einige Sekunden herrschte eine unangenehme Stille, die von Gandalfs ansteckende, Lachen durchbrochen wurde. "Dann wäre das ja geklärt!" sagte der Zauberer. "Ich bin froh, dass die Vernunft gesiegt hat."

Der Abschied fiel Kerry nicht leicht. Zarifa, Cyneric und Gandalf begleiteten die Gruppe, die aus Kerry, Aéd und zwölf weiteren Dunländern auf Pferden bestand zum nördlichen Tor Aldburgs. Cyneric trug eine Fackel in der Hand, denn es war inzwischen längst Nacht geworden.
"Ich kenne dich jetzt erst wenige Tage," sagte Kerry zu Zarifa, "aber dennoch bist du meine Freundin. Ich wünsche dir und deinem Kind alles Glück der Welt - du verdienst es. Hab' ein Auge auf meinen Vater, hörst du?"
Zarifas Blick war schwer zu deuten. Kerry glaubte, unterdrückte Tränen in den Augen der jungen Frau zu sehen. "Ich danke dir," flüsterte Zarifa. "Und ich hoffe, wir sehen uns eines Tages wieder."
"Das werden wir," sagte Kerry.
Von ihrem Vater verabschiedete sie sich mit einer langen Umarmung. Gesprochen wurde nicht - es war bereits alles gesagt worden. Sie waren beide froh, dass sie wussten, dass der Andere noch am Leben war, und sie würden wieder zueinander finden, wenn die Zeit reif war.
Gandalf gab Kerry noch einen letzten Rat mit auf den Weg. "Du solltest nichts überstürzen, Mädchen," sagte der Zauberer mit einem etwas merkwürdigen Unterton. "Bleibe genau die, die du bist und bringe den Menschen und Elben Hoffnung, wenn du kannst!"
Kerry nahm seine Hand und drückte sie. Sie hoffte, dem alten Zauberer nicht zum letzten Mal begegnet zu sein. "Auf Wiedersehen, Gandalf."
"Sichere Wege, kleine Kerry." Gandalf nickte ihr zu, dann drehte er sich um und verschwand in der Stadt.
Sie saßen auf und während Kerry noch zurück zum Tor blickte, wo Cyneric und Zarifa standen, setzte sich ihr Pferd schon in Bewegung. Sie wandte den Blick nicht ab, bis Aldburg in den Schatten der Nacht verschwunden war und der Lichtpunkt von Cynerics Fackel nicht mehr zu sehen war.


Kerry und Aéd zu den Furten des Isen
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Re: Aldburg - In der Stadt
« Antwort #66 am: 31. Mai 2019, 23:52 »
Mit gemischten Gefühlen machte Cyneric sich auf zu dem Gasthof, in dem er sich zusammen mit Zarifa einquartiert hatte. Zu viel war innerhalb der letzten Tage passiert und viel zu wenig Zeit war gewesen, um über alles nachzudenken. Er hatte nach all den Jahren und wochenlanger Reise endlich seine Tochter wiedergefunden, nur um sich jetzt, ein paar Tage später, wieder von ihr verabschieden zu müssen. Er wusste nicht ganz, was er davon halten sollte. Einerseits war er froh, dass Déorwyn inzwischen so erwachsen und selbstständig war, doch andererseits konnte er einfach nicht anders, als sich Sorgen um sie zu machen. Was, wenn ihr etwas zustieß? Was, wenn er all die Jahre nach ihr gesucht hatte, nur um sie dann nach ein paar Tagen des Wiedersehens endgültig zu verlieren? Und als wäre das alles nicht genug, hatte Zarifa zwischendurch noch von ihrer Schwangerschaft berichtet. Es war fast, als läge ein Fluch auf diesem Mädchen. Als Sklavin nach Gorak verkauft, schwer misshandelt und jetzt auch noch schwanger? Cyneric gingen so langsam wirklich die Ideen aus, Zarifa zu trösten. Er wollte ihr so gerne helfen, doch wie? Wie hilft man einem Mädchen, dass in ihrem Leben fast nichts anderes als Leid erfahren hatte?
Cyneric erreichte den Gasthof „Zur alten Straße“ und begab sich mit all den Sachen, die er für das Abendbrot besorgt hatte, direkt auf sein Zimmer. Er wollte rasch zu Abend Essen und dann unten mit seinen alten Kollegen etwas trinken, wie er es versprochen hatte. Er war schon fast bei der Tür angekommen, als er innehielt. Aus dem Zimmer drang ein Schluchzen an seine Ohren. Er wusste, was das bedeutete. Er war es inzwischen fast schon gewöhnt, Zarifa weinen zu hören. Sie gab sich zwar stets Mühe, ihre Gefühle zu verbergen, doch insbesondere nachts hörte Cyneric sie immer wieder schluchzen. Er seufzte. Eigentlich hatte er gerade wenig Lust auf ein solches Gespräch, doch  es half nichts. Nun, da Déorwyn fort war, hatte Zarifa niemanden zum Reden außer ihm. Cyneric erinnerte sich an die starken Stimmungsschwankungen zurück, die seine Frau teilweise bei der Schwangerschaft durchgemacht hatte und versuchte sich vorzustellen, wie schlimm diese gewesen wären, wenn seine Frau dasselbe durchgemacht hätte, wie Zarifa. Und dann wurde ihm bewusst, dass er ja genau das in den letzten Monaten hatte beobachten können.
Cyneric öffnete die Tür. Wie erwartet, saß Zarifa weinend in ihrem Bett. Als die Tür sich öffnete, hob sie kurz den Kopf und verbarg ihn dann ganz schnell wieder in ihren Armen. Cyneric legte seine Einkäufe kurz ab und setzte sich dann langsam neben ihr auf das Bett. Zarifa sagte kein Wort, sondern schluchzte weiter in ihre Arme. Behutsam legte Cyneric seine Hand auf ihre Schulter und beschloss, zunächst nichts zu sagen. Er deutete es als gutes Zeichen, dass Zarifa bei der Berührung nicht wie so oft zusammen zuckte. Sie schien ihm inzwischen zu vertrauen. Nach einer Weile brachte Zarifa schließlich die ersten Worte heraus.

„Tut mir leid. Ich wollte nicht, dass du mich so siehst. Ich weiß, du machst dir schon genug Sorgen wegen Kerry“, schluchzte sie, ohne Cyneric dabei in die Augen zu sehen.
„Schon gut, Zarifa“, versuchte Cyneric die junge Frau zu beruhigen. „Es ist vollkommen okay, zu weinen. Es ist definitiv besser, als seine Gefühle einfach in sich hineinzukehren.“
Zarifa schien nicht so recht zu wissen, was sie darauf erwidern sollte, und Cyneric war froh darüber, denn er selbst wusste ebenfalls nicht genau, was er als Nächstes hätte sagen können. Er saß neben einer Frau, die in 9 Monaten ein Kind gebären würde, dessen Vater sie vergewaltigt hatte. Was konnte er in einer solchen Situation schon sagen? Er stellte sich vor, wie Déorwyn ein ähnliches Schicksal ereilte und ihm wurde schlecht. Er verwarf den Gedanken so schnell wie möglich und beschränkte sich weiterhin darauf, Zarifa behutsam über den Rücken zu streichen. Das schien zumindest in der Hinsicht zu wirken, dass das Schluchzen der jungen Frau allmählich weniger wurde. Schließlich blickte sie auf und sah Cyneric blickte Cyneric fest in die Augen.
„Es tut mir leid, dass Déorwyn fort ist. Du hast so viel auf dich genommen, um sie wiederzufinden, und jetzt ist sie schon wieder fort. Das muss hart für dich sein.“
Cyneric war von diesen Worten überrascht. Er war es gewohnt, Zarifa trösten zu müssen, doch nun tat sie genau das für ihn. „Danke, Zarifa. Aber mir geht es gut. Déorwyn ist erwachsen geworden und das muss ich akzeptieren. Das ist wohl eines der schwersten Dinge am Elternsein.“
Noch während er diese Worte aussprach, bereute er sie. Zarifa fing erneut heftig an zu weinen.
„Tut mir leid, ich wollte nicht... wollte nicht...“ Cyneric fielen keine passenden Worte dafür, dass er Zarifa nicht daran hatte erinnern wollen, dass sie bald Mutter eines ungewollten Kindes werden würde.
„Schon gut... du kannst ja nichts dafür. Ich muss einfach nur ständig darüber nachdenken, doch ich weiß einfach nicht was ich denken soll. Es ist mein Kind, das gerade in mir heranwächst, aber gleichzeitig fühlt es sich auch an, wie ein Teil von ihm. Als würde ein Teil von ihm auch in diesem Kind weiter existieren und dieser Gedanke verfolgt mich jeden Tag.“ Cyneric bekam bei diesen Worten nun selbst Tränen in die Augen und er schämte sich bei dem Gedanken, dass er Zarifa nicht geholfen hatte, Alvar zu töten. Er wollte etwas sagen, doch Zarifa begann nun so heftig zu schluchzen, dass er ohnehin kaum dagegen angekommen wäre. Stattdessen beobachtete er, wie die weinende junge Frau neben ihm versuchte, die folgenden Worte herauszubekommen:
„Es ist... Es ist... Es ist einfach so unfair, dass Tekin sein Kind niemals kennenlernen wird“
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Char Zarifa in Rhûn

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Der wahre Grund
« Antwort #67 am: 28. Jun 2019, 08:34 »
An jenem Abend hatten Cyneric und Zarifa lange miteinander gesprochen. Er hatte sich die Zeit genommen, herauszufinden, was für ein Mensch dieser Tekin gewesen war. Ein Junge aus Umbar, aus ähnlichen Umständen wie Zarifa selbst kommend, und ihr Schicksal als Sklave teilend. Es hätte eine wunderbare Liebesgeschichte sein können, wenn nicht das fatale Ende gewesen wäre. Radomir, der gefallene Fürst von Gorak, hatte Tekins Leben und damit auch Zarifas Hoffnung auf eine glücklichere Zeit blutig beendet.
Als es Zarifa gelungen war, die Hemmschwelle zu überwinden, hatte es nicht lange gedauert, bis die Worte nur so aus ihr hervorsprudelten. Sie erzählte davon, wie Tekin ihr ein Gefühl von Sicherheit gegeben hatte und wie sie mit ihm über alles hatte sprechen können, sowohl über große als auch kleine Dinge. Und wie sie echte Liebe erfahren und zum ersten Mal gespürt hatte, wie schön es sein konnte, eine Frau zu sein.
Cyneric war erleichtert, dass das Kind, das in Zarifa heranwuchs, nicht von einem ihrer Vergewaltiger stammte. Vollständig sicher sein konnte man sich in dieser Angelegenheit selbstverständlich nicht, doch er machte nich den Fehler, die junge Südländerin darauf hinzuweisen. Wenn sie der Meinung war, dass das Kind Tekins Liebe entstammte, dann würde Cyneric es nur zu gerne dabei belassen. Er wollte nicht, dass das Kind seine Mutter ständig an die Untaten erinnerte, die ihr widerfahren waren. Stattdessen würde es Zarifa an Tekin erinnern und ihr dabei helfen, ihn nicht zu vergessen.

Zarifa bekam schließlich, nachdem sie bis tief in die Nacht hinein geredet hatten, großen Hunger bekommen - eine weitere Eigenschaft, die Cyneric an Déorwyns verstorbene Mutter erinnerte. Seine Frau hatte während der Schwangerschaft ebenfalls immer wieder urplötzlich Appetit bekommen, selbst wenn es schon spät war. Cyneric ging nach unten, in die Gaststätte, um eine kleine Mahlzeit zu besorgen, doch als er mit einem gefüllten Teller zurückkehrte, fand er Zarifa schlafend vor. Sie lag auf dem Rücken und musste wohl eingeschlafen sein, während sie auf Cynerics Rückkehr gewartet hatte.
Cyneric stellte den Teller behutsam auf das Fensterbrett. Er schmunzelte, als er daran denken musste, wie Zarifa einst im Gasthof in Gorak beinahe aus dem Fenster geklettert war. Damals hatte sie ihm noch nicht vertraut. Seitdem hatte sich viel verändert.
Vorsichtig bugsierte er die schlafende Zarifa in eine seitliche Lage. Dabei fiel ihm auf, wie gewölbt ihr Bauch inzwischen geworden war. Lange hätte sie ihre Schwangerschaft wohl nicht mehr geheim halten können. Cyneric war froh, dass das Mädchen sich ihm damit anvertraut hatte. Sachte zog er Zarifas Decke bis über ihre Schulter. Draußen waren dicke Schneeflocken zu sehen, die über Aldburg hinabrieselten und die Dächer mit einer weißen Schicht aus fester Kälte verzierten. Noch einen langen Augenblick betrachtete er die schlafende Zarifa, dann legte Cyneric sich ebenfalls zur Ruhe, in seinem eigenen Bett auf der anderen Raumseite.

Einige Tage vergingen, ohne dass sich die Situation veränderte. Cyneric wurde ohne große Zeremonie wieder in die Reihen der Königsgarde aufgenommen und schon bald war es, als wäre er nie fort gewesen. Er erhielt einen kleinen Beutel voll Münzen für seinen erfolgreich abgeschlossenen Auftrag in Rhûn von der Königin, doch dabei blieb es. Nicht dass er sich mehr erhofft hätte. Er war zufrieden - oder glaubte es zumindest zu sein. Tagsüber schob er die ihm zugeteilten Wachschichten und abends leistete er Zarifa Gesellschaft. Hin und wieder klagte das Mädchen darüber, dass sie sich tagsüber ein wenig einsam fühlte, doch auf Cynerics Vorschlag, sich unter den Bewohnern Aldburgs Freunde zu suchen, ging sie nicht ein. Nur selten verließ sie das Gasthaus. Und auch wenn ihre Laune nicht länger von einer dauerhaften Trübsal dominiert zu sein schien, sah Cyneric sie trotzdem nur selten lächeln.

Mitten in der Nacht fuhr Cyneric aus dem Schlaf hoch. Er hatte einen wirren Traum gehabt, an den er sich - bis auf einige, verschwommene Eindrücke - kaum noch erinnern konnte. Das Fenster stand offen und einige Schneeflocken wehten herein. Der Wind musste das Fenster aufgestoßen haben, vermutete Cyneric. Noch etwas träge stieß er sich hoch und schloss das Fenster, um es dann fest zu verriegeln. Ein rascher Blick zu Zarifa hinüber zeigte ihm, dass sie fest schlief. Mit einem leisen Seufzen kehrte Cyneric in sein eigenes Bett zurück und versuchte, weiterzuschlafen.
Doch es gelang ihm nicht. In den vergangenen Tagen hatten sich Gedanken in seinem Hinterkopf zu formen begonnen, die nun langsam Gestalt annahmen. Inzwischen waren sie so deutlich geworden, dass sie ihn in jener Nacht nicht schlafen ließen. Er verstand nicht weshalb, doch mehrere Stimmen riefen ihn dazu auf, Aldburg hinter sich zu lassen und dorthin zurückzukehren, wo er gebraucht wurde. Einige Gedanken vermittelten ihm ein Gefühl von Eile, als dränge die Zeit und er liefe Gefahr, zu spät zu kommen. Andere zeigten auf, dass Cynerics Leben in Rohan ohne seine Tochter leer sei und er hier keinen Zweck mehr erfüllen würde. Tatsächlich hatte er sich während einer der Wachschichten dabei ertappt, Langeweile zu verspüren. Früher war so etwas nicht vorgekommen. Doch jetzt fragte er sich, ob das wirklich alles war, was er tun konnte.
Du hast bereits etwas bewirkt, sagte ein Gedanke. Du hast dafür gesorgt, dass Zarifa den Klauen Radomirs entkommen ist.
Und wie konnte das gelingen? fuhr eine zweite Stimme fort. Indem du die Kontakte, die du dir in Rhûn erworben hast, genutzt hast, um die Welt etwas besser zu machen.
Rhûn, dachte er. Nein, dorthin kann ich nicht zurück. Ich müsste Zarifa zurücklassen. Und das kann ich ihr nicht antun.
Das weißt du nicht, entgegneten seine tiefen Gedanken. Du hast sie nicht einmal gefragt.
Sie ist schwanger. Und Rhûn wird sie nur daran erinnern, was man ihr angetan hat.
Es ist ihre Entscheidung, oder etwa nicht? Sie ist kein Kind mehr.
Vergiss nicht, was du dort noch zu erledigen hast, erinnerte ihn eine Stimme, die weiblich klang. Du hast gesehen, was die Schattenläufer sind. Und du weißt, was sie tun werden, wenn du nichts unternimmst. Was sie Salia antun werden. Oder Ryltha.
Es war Rylthas Stimme, die darauf antwortete, mit einem Satz, den sie einst an einem regnerischen Tag in Gortharia selbst so gesagt hatte: Es geht nicht darum, was ich will oder was ich nicht will. Es ist mein Schicksal, ein Schatten zu sein. Ich wurde auserwählt. Du kannst mich nicht retten oder umstimmen, Cyneric.
Aber für Salia ist es noch nicht zu spät, hielt etwas in Cynerics Innerem dagegen. Und dann ist da noch Milva...
Ein goldblonder Haarschopf tauchte in Cynerics Vorstellung auf. Milvas Gesicht wirkte nachdenklich und ihre braunen Augen sahen in die Ferne. Er stellte fest, dass er sie auf eine ungeahnte Art und Weise vermisste.
Dann verflog der Gedanke und er kehrte zu seinem Dilemma zurück. Ich kann nicht einfach gehen. Ich habe hier eine Aufgabe zu erfüllen. Ich bin Gardist der Königin und darüber hinaus sorge ich für Zarifa.
Sprich mit ihr, wisperte es zur Antwort. Sage ihr, dass du nach Rhûn zurückkehren willst. Aber erzähl ihr keine Lügen über den wahren Grund dafür.
"Den wahren Grund..." wisperte er leise. Kenne ich ihn denn selbst wirklich? fragte er sich, während er langsam in einen traumlosen Schlaf abdriftete.
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Eandril

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Re: Aldburg - In der Stadt
« Antwort #68 am: 7. Jul 2019, 23:59 »
Oronêl, Amrothos und Irwyne aus Dol Amroth

"Da wären wir also wieder", stellte Oronêl fest, als sie unter dem Stadttor von Aldburg hindurchritten. Keiner der Wächter am Tor schenkte ihnen in der Menschenmenge auch nur einen zweiten Blick, denn sie alle waren in die blauen und silbernen Farben Dol Amroths gekleidet - mit Ausnahme von Irwyne, die ihr übliches grün und weiß, die Farben Rohans, trug. Das letzte Mal, dass Oronêl in Aldburg gewesen war, war allerdings Sommer gewesen. Jetzt bedeckte eine dünne Schicht Schnee die Dächer der Stadt, und der Atem von Menschen und Pferden dampfte in der kalten Luft.
"Ich bin nur einmal in Edoras gewesen", meinte Amrothos, und lenkte sein Pferd zur Seite, um einem Karren auszuweichen. "Vor dem Krieg. Aldburg scheint ihm allerdings ziemlich den Rang abgelaufen zu haben."
"Als Mordors Truppen Edoras niederbrannten, flüchteten viele Rohirrim hierher", erwiderte der Anführer der kleinen Wachtruppe, die Imrahil ihnen mitgegeben hatte. Der Fürst hatte darauf bestanden, seinen Sohn nicht ohne eine Garde von wenigstens fünf Mann nach Rohan ziehen zu lassen, sowohl zum Schutz als auch zum Zeichen seines Standes. Oronêl wäre lieber mit Amrothos und Irwyne alleine unterwegs gewesen, doch Imrahil hatte sich durchgesetzt. Dennoch hatte Oronêl die Reise genossen. Die Gardisten hatten sich größtenteils abseits gehalten, sodass Oronêl einige kostbare Zeit allein mit Irwyne und Amrothos verbringen konnte - und erst währenddessen hatte er wirklich verstanden, wie sehr ihm die Gesellschaft von Freunden gefehlt hatte. Und jede Minute, die er mit dieser Erkenntnis gelebt hatte, hatte ihn mehr bedauern lassen, wie seine Reise mit Kerry vom Waldlandreich nach Rohan verlaufen war.
"Und dass später ein großer Rat hier abgehalten wurde, hat die Bedeutung Aldburgs noch einmal gestärkt", fügte Oronêl den Worten des Gardisten hinzu. Er presste die Lippen aufeinander, als er an jene Tage zurückdachte. Sarumans Auftritt während des Rates hatte viele Hoffnungen zerschlagen, und hatte letzten Endes zu Thranduils - und Mírwens - Tod geführt. Doch die Vergangenheit war geschehen, sagte er sich. Es hatte keinen Sinn, darüber nachzugrübeln, was damals schief gelaufen war, sondern man musste versuchen, die Gegenwart besser zu machen. Er wandte sich an Amrothos. "Reitet ihr vor zum Palast, und versuche, schon einmal mit der Königin zu sprechen." Es konnte Amrothos nicht schaden, alleine mit Éowyn zu verhandeln, und Oronêl glaubte fest daran, dass der Prinz dazu in der Lage wäre.
Amrothos nickte, wirkte aber verwundert. "Und was hast du vor?" Oronêl lächelte, und ließ von seiner erhöhten Position aus den Blick über die Menge schweifen. "Ich werde nach jemandem suchen."

Nachdem er sich vom Rest seiner Gruppe getrennt hatte, lenkte Oronêl sein Pferd an den Straßenrand, saß ab, und führte das Pferd am Zügel weiter. Er brauchte nicht lange, bis er auf zwei bewaffnete Stadtgardisten stieß, die an einer großen Kreuzung das geschäftige Treiben aufmerksam beobachteten.
"Verzeiht", sprach er einen der Männer an. "Vielleicht könnt ihr mir weiterhelfen." Er wusste, dass Cyneric früher in der Armee Rohans gedient hatte, also hoffte er, dass irgendjemand unter den Gardisten ihn kannte und Oronêl sagen konnte, ob er und Kerry noch in der Stadt waren.
Der Gardist wandte sich zu ihm um, und nickte. "Wenn es in meiner Macht steht. Was benötigt ihr?" Er sprach respektvoll, aber ohne die verwunderte Ehrfurcht, die Oronêl früher, im Zweiten Zeitalter, bei den wenigen Menschen erlebt hatte, denen er begegnet war. Inzwischen waren die Menschen Rohans, und die Bewohner Aldburgs umso mehr, daran gewöhnt, mit Elben zu sprechen. "Ich suche nach einem Mann namens Cyneric. Er hat früher in Königin Éowyns Diensten gestanden, und müsste vor einiger Zeit nach Aldburg gekommen sein?"
"Cyneric? Selbstverständlich kenne ich ihn, ich habe mit ihm gemeinsam gedient, bevor er nach Rhûn gesandt wurde."
Nun, das war leichter als Oronêl sich erhofft hatte, aber er würde sich nicht beschweren. "Wisst ihr, wo ich ihn finden kann?"
"Er hat seinen Dienst in der Königinnengarde wieder aufgenommen. Wenn er nicht gerade im Palast Dienst hat, solltet ihr ihn im Gasthof "Zur Alten Straße" finden können", erklärte sein Gegenüber. "Ihr folgt einfach dieser Straße noch ein Stück weiter, biegt bei der zweiten Möglichkeit nach links ab, und dann liegt der Gasthof auf der rechten Seite."
Oronêl bedankte sich, und machte sich auf den Weg zum Gasthof, denn die Sonne neigte sich bereits dem westlichen Horizont zu.

Er fand den fraglichen Gasthof ohne größere Schwierigkeiten. Nachdem er sein Pferd an einem Pfahl vor dem Haus angebunden hatte, betrat er den ein wenig verrauchten, stickigen und sehr lauten Schankraum, und blickte sich suchend um. Der Wirt, ein geschäftig aussehender, hochgewachsener Mann mit einem blonden Bart, stand hinter einer niedrigen Theke, und war damit beschäftigt, leere Bierkrüge aufzufüllen. Oronêl kämpfte sich zwischen den vollbesetzten Tischen zu ihm durch, und sagte: "Ich bin auf der Suche nach einem Mann namens Cyneric. Stimmt es, dass er hier wohnt?" Der Wirt sah von seinem Bierfass auf, und blickte Oronêl misstrauisch an. "Ich gebe grundsätzlich keine Informationen über meine Gäste heraus", erwiderte er, und fügte ein wenig entschuldigend hinzu: "Nicht einmal für Angehörige eures edlen Volkes, bitte verzeiht."
Bevor Oronêl etwas erwidern konnte, hatte der Wirt sich bereits wieder abgewandt, und seine Arbeit fortgesetzt. Oronêl wandte sich von der Theke ab, ließ einen Blick über den Schankraum schweifen, und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Er war sich sicher, dass der Gardist ihn nicht belogen hatte, und Cyneric tatsächlich hier wohnte. Doch da der sturköpfige Wirt sich weigerte, ihm Auskunft zu geben, und er schlecht zu den Zimmern schleichen und alle durchsuchen konnte, blieb ihm vermutlich nur über, sich einen Tisch zu suchen und die Tür im Auge zu behalten. Die Aussicht behagte ihm gar nicht, denn die Gesellschaft war ihm entschieden zu laut und betrunken - und vermutlich würde der Wirt ihn nur bleiben lassen, wenn er ebenfalls etwas bestellte. Er warf den schaumbedeckten Bierkrügen einen misstrauischen Blick zu.
Andererseits konnte er natürlich auch zum Palast hinaufgehen. Mit ein bisschen Glück würde Cyneric noch ihm Dienst sein. Allerdings würde Kerry sicherlich nicht ebenfalls dort sein, also...
Bevor Oronêl eine Entscheidung treffen konnte, sprach ihn eine ihm vage bekannt vorkommende Stimme von hinten an: "Wolltest du nicht längst nach Westen gefahren sein, oder so?" Oronêl drehte sich um, und am Fuß einer dunklen Treppe, die ihm zuvor nicht aufgefallen war, saß ein braunhaariges, sehr dünnes Mädchen, dass interessiert zu ihm aufblickte. "Zarifa", stellte er fest, und verspürte eine Erleichterung, die er nicht erwartet hatte. Nicht unbedingt ihretwegen, denn er hatte sie als ein wenig anstrengend in Erinnerung, sondern weil ihre Gegenwart bedeuten musste, dass er tatsächlich am richtigen Ort war. Sie nickte bedeutsam. "So heiße ich, allerdings. Also?"
"Ist Cyneric hier?" Zarifa kam auf die Füße, und verschränkte die Arme vor der Brust. Dabei fiel Oronêl ihr merkwürdig gewölbter Bauch auf. Schwanger, dachte er. Davon war bei ihrer Begegnung im Hargtal noch nichts zu sehen gewesen. Mit Schwangerschaften bei Menschen kannte er sich nicht aus, wusste nicht, ob sie anders verliefen als bei Elben, doch konnte es bedeuten, dass... "Hallooooho", riss Zarifas Stimme ihn aus seinen Gedanken. "Selbst wenn ich nicht die Person bist, wegen der du hier bist, könntest du trotzdem die Höflichkeit besitzen, mir meine Frage zu beantworten, bevor ich deine beantworte. Und da hört man immer wieder davon, wie edel und höflich Elben sein sollen..." Sie biss ein Stück von einem Kanten Brot ab, den sie in der Hand gehalten hatte, und blickte Oronêl erwartungsvoll an.
"Ich... habe mich anders entschieden", antwortete er. "Du hättest wenigstens den Anstand haben können, dich anders zu entscheiden, bevor du abgehauen bist, ohne dich wenigstens von Kerry zu verabschieden." Oronêl blickte zu Boden, und musste trotz der schmerzhaften Erinnerung ein Lächeln unterdrücken. Zarifas Entrüstung über den Schmerz, den er Kerry zugefügt haben musste, nahm ihn auf der Stelle für sie ein.
"Das hätte ich wohl", erwiderte er. "Und ich würde mich gerne bei ihr dafür entschuldigen. Ist sie noch hier?" Zarifa schüttelte den Kopf, zu Oronêls Enttäuschung. "Sie ist schon vor einiger Zeit aufgebrochen, mit, äh... dem König von Dunland?" Aéd, dachte Oronêl. Er freute sich, dass er und Kerry sich wiederbegegnet waren, doch gleichzeitig wunderte er sich, dass Cyneric seine Tochter, die er gerade erst wieder gefunden hatte, mit einem Dunländer hatte gehen lassen. Hoffentlich hatte es keinen Streit gegeben...
"Sie und Cyneric haben sich ein bisschen deswegen gestritten", erzählte Zarifa weiter, als hätte sie seine Gedanken gelesen. "Aber dann haben sie sich wieder vertragen."
"Und wo ist Cyneric jetzt?", fragte Oronêl. Zarifa wirkte ein wenig traurig. "Oben am Palast, er hat noch Wachdienst. Ich glaube nicht, dass er vor Mitternacht kommen wird. Deshalb sitze ich ja hier, und schaue den Leuten zu." Oronêl nickte nur. Wenn er in den Schankraum blickte, glaubte er, sie zu verstehen. Alleine in ihrem Zimmer zu sitzen war vermutlich nicht gerade angenehm, doch sich zu der lauten, betrunkenen Gesellschaft im Schankraum zu gesellen war nicht viel besser. Dieses Mädchen brauchte Freunde, die ihr Gesellschaft leisten konnten, doch im Augenblick schien sie nur Cyneric zu haben - und dieser hatte andere Pflichten.
"Ich muss zum Palast hinauf und mit Cyneric sprechen. Und danach... vielleicht komme ich wieder her, und vielleicht kannst du mir ein wenig über das Land erzählen, aus dem du kommst."
Zarifas Augen weiteten sich verwundert. "Ich dachte, Elben wären tausende von Jahren alt und schon überall in der Welt gewesen."
Oronêl lächelte. "Das mit dem Alter stimmt. Doch für den größten Teil meines Lebens habe ich meine Heimat nicht wirklich verlassen, und ich bin nie in Harad oder Rhûn gewesen."
"Bei unserer ersten Begegnung hast du mir ein Messer an die Kehle gesetzt", meinte Zarifa misstrauisch. "Warum willst du dich jetzt mit mir unterhalten?"
Weil ich vermute, dass du einsam bist, dachte Oronêl. Und dass du in dieser Stadt niemanden hast, dem du vertraust, und mit dem du reden kannst - außer Cyneric. Und auch wenn ich das nicht auf Dauer tun kann, wenigstens für einen Abend kann ich es versuchen. Aber er sprach nichts von dem aus, sondern zuckte nur mit den Schultern und sagte: "Letztes Mal waren meine Gedanken auf mich selbst gerichtet, aber ich habe das Gefühl, dass du einer der interessantesten Menschen bist, denen ich bislang begegnet bin. Und vielleicht habe ich auch die ein oder andere interessante Geschichte zu erzählen... Also, abgemacht?"
Zarifa blickte ihm forschend ins Gesicht, als befürchtete sie eine verborgene Absicht hinter seinen Worten. Doch was sie sah, stellte sie offenbar zufrieden. "Gut. Abgemacht."

Oronêl zum Palast

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

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Ein unerwartetes Wiedersehen
« Antwort #69 am: 10. Jul 2019, 18:01 »
Der Vormittag zog sich in die Länge, wie es an ereignislosen Tagen im Wachdienst allzu oft seine Eigenart war. Cyneric stand am Haupteingang der königlichen Residenz und ließ das rege Treiben der Stadtbewohner Aldburgs an sich vorbeiziehen. Nur selten versuchte jemand, Einlass zu erlangen. Die meisten Angelegenheiten des Volkes regelte die Königin, ehe es zu Unzufriedenheit kommen konnte, denn sie wusste sehr genau, wie es den Rohirrim ging und welche Sorgen das Volk umtrieben.
Als sich der Mittag langsam ankündigte und die Sonne ihren höchsten Stand erreichte, geriet Cynerics träger Alltag endlich in Bewegung. Schneeflocken wirbelten durch die Luft, als ein heftiger Windstoß aus dem Gebirge südlich der Stadt hinabstieß. Und als hätte der Wind sie mit sich gebracht tauchte aus dem Schneetreiben eine Gruppe Fremder auf, die entschlossenen Schrittes auf die Königsresidenz zu marschierten. Sie trugen die Farben Dol Amroths: Blau und Silber, und wurden von einem jungen Reiter angeführt, der Cyneric an den Prinzen Erchirion erinnerte, der während der Ratsversammlung von Aldburg bei den Hohen Herrschaften der Elben und Menschen vorgesprochen hatte.
Doch selbst ein hochrangiger Gesandter, so wie dieser es ohne Zweifel war, hatte sich an das Prozedere zu halten. Cyneric und der zweite Gardist, der ihm bei der Bewachung der Eingangspforte Gesellschaft leistete, hielten die Gondorer an. "Halt, Freunde. Ihr steht vor den Hallen der Herrscher der Riddermark. Wer seid Ihr, und was ist Euer Begehr?" fragte Cyneric.
"Ich bin Amrothos von Dol Amroth," sagte der Reiter. Er hätte noch weiter gesprochen, doch in diesem Augenblick sprang hinter ihm eine Gestalt aus dem Sattel, die Cyneric gut kannte, aber niemals in der Gesellschaft der Gondorer erwartet hatte.
"Cyneric!" rief Irwyne und umarmte den etwas verdutzten Gardisten, ohne sich um Gondorer oder Rohirrim zu scheren.
"Irwyne?" wunderte er sich. "Ich hörte, dass du in Lindon wärest, bei den Elben jenes Landes. Was tust du hier?"
"Hat Kerry dir das erzählt?" wollte Irwyne wissen. "Nun, seither ist viel geschehen. Sieh nur, ich habe Amrothos gefunden, und es geht ihm wieder gut - Oronêl hat ihn gerettet, so wie du es damals immer gesagt hast!"
Cyneric erinnerte sich daran, wie Irwyne ihm während ihrer gemeinsamen Zeit in Aldburg und im Feldzug gegen Dol Guldur von Amrothos erzählt hatte, dem jüngsten Sohn des Fürsten Imrahil von Dol Amroth, der nach dem Fall von Lothlórien in großer Gefahr geschwebt hatte.
"Nun, mein Herr Amrothos, ich bin froh zu hören, dass Ihr den Gefahren, in denen Ihr Euch befandet, entrinnen konntet," sagte Cyneric noch immer etwas verwundert.
"Dies ist also Cyneric, von dem Irwyne schon viel erzählt hat," sagte der Prinz freundlich und stieg von seinem Pferd. "Eine angenehme Überraschung. Ich bin erfreut, Euch kennenzulernen."
"Gewiss seid Ihr nicht meinetwegen hierher gekommen, mein Prinz," sagte Cyneric mit gebührendem Respekt.
"Amrothos muss dringend mit der Königin sprechen," mischte Irwyne sich ein. "Ist sie zuhause?"
"Ihr werdet sie in ihren Gemächern finden, Prinz Amrothos," sagte Cyneric. "Cúthred, führe die Gondorer bitte dorthin," wies er den zweiten Gardisten an. Sogleich folgten die Menschen Dol Amroths dem Wächter, doch Irwyne blieb bei Cyneric stehen.
"Ich bin so froh, dass du wieder sicher nach Hause gefunden hast," sagte das Mädchen strahlend. Doch dann hob sie warnend den Finger. "Aber sag, wann hattest du vor, dein Versprechen einzulösen, das du mir in Dol Guldur gegeben hattest?"
Cyneric erinnerte sich. Er hatte Irwyne versprechen müssen, sie nach seiner Reise nach Rhûn in Imladris zu besuchen. "Das ist nicht gerade fair, Irwyne," verteidigte er sich. "Wäre ich nach Imladris gekommen, wärst du doch längst fort gewesen. Außerdem... habe ich nach der Rückkehr aus dem Osten nach meiner Tochter gesucht. Du musst das verstehen."
"Ich weiß, ich weiß," beruhigte Irwyne ihn. "Oronêl sagte mir, dass du sie gefunden hast. Sie ist eine gute Freundin von mir, kannst du dir das vorstellen?"
"Davon hat sie mir erzählt," sagte Cyneric. "Doch wie ist es dir ergangen? Wie bist du nach Dol Amroth gelangt?"

Irwyne stürzte sich in einen ausführlichen Bericht ihrer Erlebnisse seit ihrer Trennung von Cyneric nach der Belagerung von Dol Guldur. Sie schien kein großes Interesse an Amrothos' Unterredung mit der Königin Rohans zu haben. So erfuhr Cyneric, wie Irwyne mit Finelleth über den Hohen Pass nach Imladris gereist und dort auf Oronêl und Amrothos getroffen war. Wie sie Oronêl nach Fornost gefolgt und dort Déorwyn kennengelernt hatte. Wie sie anschließend weiter nach Lindon gezogen und dort ihre Freundschaft zu Amrothos vertieft hatte. Und wie Oronêls Tochter Mithrellas aus Dol Amroth per Schiff in den Grauen Anfurten eingetroffen war und Amrothos und Irwyne angeboten hatte, sie zurück zur Stadt Imrahils zu bringen.
"Und nun sind wir hier, um Rohan um Unterstützung im Krieg zu bitten," schloss Irwyne ihren Bericht.
"Dann solltest du den Prinzen dabei wohl besser nicht alleine lassen, nicht wahr?" meinte Cyneric mit einem Schmunzeln, denn ihm war der gewisse Unterton in Irwynes Stimme, wenn sie von Amrothos sprach, nicht entangen.
"Vielleicht hast du Recht. Er hat hin und wieder die Angewohnheit, sich zu Dummheiten hinreißen zu lassen. Ich glaube, das hat er von Oronêl," meinte Irwyne. Dann umarmte sie Cyneric erneut. "Wir müssen später in Ruhe über alles reden. Pass auf dich auf, Cyneric!" Und damit verschwand sie im Inneren der Residenz.

Kaum fünf Minuten vergingen, bis eine weitere Überraschung Cyneric ereilte. Diesmal jedoch war er besser vorbereitet. Denn Irwyne, die ja aus Dol Amroth kam, hatte mit keinem Wort erwähnt, dass Oronêl seinen Plan, in den Westen zu fahren, in die Tat umgesetzt hatte. Und tatsächlich stand der Waldelb unversehens vor den Stufen, die zur Königsresidenz hinaufführten und wirkte, als käme er ganz zufällig hier vorbei, was Cyneric nicht einen Augenblick lang glaubte.
"Sieh mal einer an," sagte er und musste lächeln. "Hat es dir in den unsterblichen Landen etwa nicht gefallen, Meister Oronêl?"
Oronêl blickte auf und legte den Kopf schief. "Ich verstehe langsam, woher Kerry ihre scharfe Zunge bekommen hat," meinte er gelassen und kam die Stufen hinauf. "Es ist gut, dich zu sehen, Cyneric. Ich habe bereits nach dir Ausschau gehalten."
"Nun, hier bin ich. Und da du ebenfalls hier bist, gehe ich davon aus, dass es jemandem gelungen ist, dich von deiner Entscheidung abzubringen, in den Westen zu fahren."
"Es bedurfte der Überzeugungskraft Vieler," sagte Oronêl, dem keinerlei Verlegenheit anzumerken war. "Kerry, Mithrellas, Amrothos, und nicht zuletzt Siniel."
"Siniel?"
"Oh, ich meinte damit Irwyne," erklärte Oronêl. "Ich gab ihr diesen Namen als wir uns wiederbegegnet sind."
Cyneric nickte. "Ich verstehe," sagte er. "Schön, dass Irwyne wieder mit dir reist. Auch wenn ich fürchte, dass sie schon bald keinen Bedarf mehr für uns beide haben wird."
Oronêl lachte leise. "Es ist dir also aufgefallen. Nun, ich kann nicht sagen, dass mir ihre Wahl missfällt."
"Er scheint ein guter Mann zu sein, dieser Amrothos," meinte Cyneric.
"Das ist er," bekräftigte Oronêl. Er machte eine Pause und blickte über die geschäftigen Straßen der Stadt hinaus. "Ich hatte gehofft, Kerry wäre noch bei dir," fuhr der Waldelb schließlich fort.
"Sie ist wieder aufgebrochen," sagte Cyneric. "Ich habe es ihr nicht verbieten können."
"Ja, Zarifa erzählte mir davon. Ich bin ihr unten im Gasthof begegnet."
"Oh? Das ist erstaunlich. Für gewöhnlich schläft sie zu dieser Tageszeit."
"In ihrem Zustand ist das kein Wunder," sagte Oronêl. "Doch ich denke, sie schlägt sich ganz gut. Für den Augenblick..."

Noch während sie miteinander sprachen, zog eine Bewegung auf der Treppe Cynerics Aufmerksamkeit auf sich. Er warf Oronêl einen entschuldigenden Blick zu und nahm Haltung an. Dort auf den Stufen stand eine junge Frau mit zerzaustem schwarzen Haar, die sich unsicher umblickte. Sie trug fremdartig aussehende Kleidung, die ganz und gar nicht nach Rohan zu gehören schien. Sie erinnerten Cyneric stattdessen an einige der Ostlinge, die er in den Straßen Gortharias gesehen hatte.
"Halt, junge Dame. Dies ist die Residenz der Herrin von Rohan. Wie lautet Euer Name und was ist Euer Begehr?" fragte er, ohne dabei unfreundlich zu klingen. Ihm fiel auf, dass Oronêl die Szene mit etwas Abstand aufmerksam beobachtete.
"Ich bin Irri, die Prin... die Fürstin von Balanjar," antwortete die Fremde, zuerst etwas stockend, dann mit entschlossener Stimme. Sie sprach mit einem deutlichen rhûnischen Akzent. "Ich verlange, mit der Königin Rohans zu sprechen."
"Balanjar?" wiederholte Cyneric. "Das südlichste Fürstentum von Rhûn meint Ihr?"
"Nein," widersprach Irri. "Balanjar ist wieder ein freies Land. Doch mein Volk braucht Hilfe gegen den Schatten Mordors. Deshalb bin ich hier."
"Wenn das so ist, biete ich meine Hilfe gerne an," sagte Oronêl. "Ich habe ebenfalls vor, mit Königin Éowyn zu sprechen. Begleitet mich zu ihr."
"Wer... seid Ihr?" wollte Irri misstrauisch wissen.
"Man nennt mich Oronêl Galion. Wollt Ihr meine Hilfe nun, oder nicht?"
Irri dachte einen Augenblick über das Angebot nach. Dann nickte sie zögerlich. "Also gut. Gehen wir."
Cyneric öffnete die Eingangspforte der königlichen Residenz und gab Oronêl eine Wegbeschreibung zu den Gemächern der Königin. "Irwyne und Amrothos sollten noch dort sein," fügte er hinzu, ehe die beiden hineingingen.
Während wieder Ruhe auf seinem Wachposten einkehrte, fragte Cyneric sich, was die heutigen Ereignisse wohl zu bedeuten hatten, und was Zarifa wohl davon halten würde...
« Letzte Änderung: 15. Jul 2019, 14:32 von Fine »
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Im Dunkel der Nacht
« Antwort #70 am: 29. Jul 2019, 15:45 »
"Oronêl ist wieder da," sagte Zarifa mit vollem Mund.
"Ich weiß. Er ist mir vorhin begegnet," antwortete Cyneric, ehe er einen Schluck aus dem Krug neben seinem Teller nahm.
"Wieso ist er zurückgekommen? Mir hat er nur gesagt, er hätte sich... umentschieden."
"Ich hörte, es bedurfte der guten Zurede durch einige Personen, die ihm sehr am Herzen liegen," mutmaßte Cyneric. "Genaueres weiß ich leider auch nicht."
"Er hat nach Kerry gefragt," meinte Zarifa und griff nach dem Brot, das in einem Korb zwischen ihnen auf dem Tisch lag. "Und sich einige Zeit lang mit mir unterhalten. Das war seltsam, aber..."
"Aber?" hakte Cyneric nach.
"Es hat mir gefallen, ihm ein wenig von mir zu erzählen," sagte die junge Südländerin leise, als würde sie diese Tatsache gerade erst selbst feststellen.
"Du hast ihm deine Geschichte erzählt?"
"Einen Teil davon. Und er hat mir etwas von sich berichtet. Dass er über tausend Jahre in Gondor im Exil gelebt hat, aber ursprünglich aus dem... "Goldenen Wald" stammt, was auch immer das sein mag."
"Er hat es wohl nicht für nötig gehalten, dies genauer zu erklären?" fragte Cyneric belustigt.
"Nein, wohl nicht. Was ist denn der Goldene Wald?" wollte Zarifa wissen.
"Ein Elbenwald, der ungefähr auf halbem Weg zwischen Rohan und dem Düsterwald liegt. Wir sind auf unserer Reise nach Süden daran vorbeigekommen, haben aber einen sicheren Abstand dazu gehalten."
"Wieso? Spukt es dort etwa?"
"Das nicht, aber heute leben dort leider keine Elben mehr. Sarumans Orks hausen nun im Goldenen Wald, nachdem sie ihn erobert haben."
"Saruman..." murmelte Zarifa nachdenklich. "Hmm. Man hört nichts Gutes über diesen Kerl."
Cyneric musste schmunzeln. "Nein, ich schätze, das tut man wirklich nicht."
Damit schienen Zarifas Fragen für den Augenblick beantwortet zu sein und sie widmete sich dem Rest ihrer Abendmahlzeit.

Cyneric war nach dem Ende seiner Schicht, kaum eine halbe Stunde nachdem er Oronêl und der geheimnisvollen Irri den Weg zu Königin Éowyn gewiesen hatte, zu Zarifa in das Gasthaus "Zur Alten Straße" zurückgekehrt. Inzwischen war es Abend geworden und sie hatten ein gemeinsames Abendessen zu sich genommen, das sie nicht wie gewohnt auf ihrem Zimmer aßen, sondern unten, in der großen Schankstube. Je später es wurde, desto voller wurde der Raum, weshalb Zarifa nach dem Essen schon bald vorschlug, auf das Zimmer zurückzukehren.
Dort angekommen setzte sie sich auf ihr Bett und starrte einige Augenblicke nachdenklich aus dem Fenster hinaus. Die Sonne war bereits untergegangen. An ihrer Stelle hing der Mond voll und schwer über den Wäldern östlich von Aldburg, die sich als schemenhafte Silhouetten jenseits der strohgedeckten Hausdächer der Stadt erhoben.
Zarifa seufzte tief und schien einen inneren Gedanken abzuschütteln. Sie riss ihren Blick vom Fenster los und sagte: "Es geht das Gerücht um, das eine fremdländische Prinzessin in der Stadt ist. Hast du schon davon gehört?"
Cyneric wunderte sich ein wenig über die Neugierde der jungen Frau, während er sich auf der Kante seines eigenen Bettes niederließ. "Es ist wahr, zumindest wenn man diesem Ostling-Mädchen Glauben schenken kann. Sie kam kurz vor Ende meiner Wachschicht ganz allein zur Residenz der Königin und bat um eine Audienz. Oronêl bot ihr an, sie zu Herrin Éowyn zu begleiten. Ihr Name lautet Irri und sie stammt aus Balanjar, dem südlichsten Fürstentum Rhûns."
"Mhmm," machte Zarifa, die sich mittlerweile hingelegt hatte. "Was sucht eine Ostlingprinzessin bloß hier in Rohan?"
"Sie sprach davon, dass ihr Volk Unterstützung gegen den Schatten Mordors sucht. Balanjar liegt ungefähr zwischen Gortharia und dem Schwarzen Land, wenn ich mich recht entsinne. Weshalb die Menschen, die dort leben, sich gegen Mordor auflehnen, weiß ich nicht. Ich vermute, da stecken wieder irgendwelche der zahllosen Intrigen dahinter, die den Königshof Rhûns wie Fliegen umschwirren."
Zarifa gähnte. "Naja, es ist ja nicht unser Problem," sagte sie und verkroch sich unter ihrer Decke. "Wenn du morgen in der Königsresidenz bist, kannst du dich ja mal umhören, was aus dieser Irri geworden ist. Es würde mich interessieren."
"Ich werde mich nach ihr umhören," versprach Cyneric.

Zarifa war schon bald darauf fest eingeschlafen. Cyneric hingegen lag noch einige Zeit lang wach und dachte über die Ereignisse des Tages nach. Oronêls unerwartete Rückkehr hatte in Cyneric Vorwürfe ausgelöst, dass er seine Tochter so leicht hatte gehen lassen. Wenn Déorwyn doch nur einige wenige Tage länger gewartet hätte! Sicherlich hätte sie nur allzu gerne gewusst, dass Oronêl von seinem Vorhaben, in den Westen zu fahren, abgesehen hatte. Cyneric fragte sich, ob Déorwyn Dunland sicher erreicht hatte und wie es ihr ging. Er hoffte, sie würde gemäß ihren Beteuerungen gut auf sich aufpassen und keine Dummheiten anstellen. Der junge Aéd hatte zwar einen soliden Eindruck bei Cyneric hinterlassen, aber als Mensch von Rohan fiel es ihm trotzdem schwer, sein angeborenes Vorurteil den Dunländern gegenüber einfach so abzulegen. Er fragte sich, ob er nicht härter hätte durchgreifen sollen...

Ein kühler Windstoß kitzelte Cynerics Nase und er öffnete die Augen. Er stellte fest, dass er wohl eingeschlafen sein musste, denn der Vollmond war verschwunden und das Zimmer war in tiefe Finsternis gehüllt. Cynerics Augen gewöhnten sich nur sehr langsam an die Dunkelheit, doch schließlich konnte er erkennen, dass das Fenster einen Spalt offen stand.
Muss sich wohl durch den Wind geöffnet haben, dachte er sich und schlug die Bettdecke zurück, um aufzustehen.
"Du solltest besser liegenbleiben, wenn dir dein Leben etwas wert ist, Cyneric," sagte jemand direkt neben dem Bett. Es war eine vertraute Stimme, die Cyneric seit seinem Aufbruch aus Gortharia nicht mehr gehört hatte...
"Ryltha? Bist du das?" flüsterte er ungläubig.
Ein Licht sprang urplötzlich in der Finsternis auf, eine winzige Flamme, die von einem kurzen Holzstäbchen ausging. Rylthas sonnengebräuntes Gesicht und ihre dunkelblonden Haare schälten sich aus der Dunkelheit. Das Flackern des Feuers spiegelte sich unheilvoll in den dunklen Augen der Schattenläuferin.
"Wirklich, Cyneric, ich bin enttäuscht. Uns weis zu machen, dass du mit Salia zurück zur Stadt Varek gingst, nur um in Wahrheit in die entgegengesetzte Richtung zu fliehen."
Ryltha stand in einer fließenden Bewegung auf und entzündete eine Lampe, die sie offenbar mitgebracht hatte. Das trübe Glas der Öllampe dunkelte das Licht in ihrem Inneren so stark ab, dass das Zimmer sich nur so weit erhellte, dass man sich darin bewegen konnte, ohne an Betten oder andere Möbel zu stoßen. Ryltha wandte sich wieder Cyneric zu und er sah, wie die Schattenläuferin einen Dolch geschickt in der Hand kreisen ließ.
"Du weißt, warum ich mich in eure Dienste begab," erklärte er leise, während er einen Blick hinüber zu Zarifa riskierte.
"Keine Sorge. Das arme Ding schläft - tief und fest. Dafür habe ich gesorgt." Ryltha sprach nun mit normaler Lautstärke und ihre weißen Zähne blitzten auf, als sie boshaft lächelte. "Natürlich weiß ich, dass du doch nur deine Tochter retten wolltest. Aber musstest du uns dafür anlügen und hintergehen?"
"Ich hatte damals keine Zeit für eure endlosen Intrigen, und ich habe sie auch jetzt nicht," entgegnete Cyneric mit fester Stimme. "Als ich erfuhr, wo meine Tochter zuletzt gesehen worden war, konnte ich nicht länger warten. Die Täuschung war notwendig, damit ich sofort aufbrechen konnte."
Ryltha legte den Kopf leicht schief. "Du hättest mit uns darüber sprechen können. Wir hätten dafür sorgen können, dass du deine kleine Déorwyn bereits am Erebor getroffen hättest - oder sie sogar zu dir nach Gortharia bringen können."
"Ich hoffe, sie wird diese verfluchte Stadt ihr Leben lang niemals betreten müssen," sagte Cyneric. "Ich tat, was ich für richtig hielt, Ryltha. Wenn du mich töten willst, dann tu', was du tun musst. Ich werde meine Entscheidung nicht bereuen."
"Sieh mal einer an. Das Rückgrat steht dir gut, Cyneric," säuselte Ryltha. "Dich zu töten wäre... Verschwendung. Auch wenn es natürlich Spaß machen und für ein wunderbares Durcheinander hier in dieser rückständigen Stadt sorgen würde. Ein Gardist der Königin, ermordet von der wilden Südländerin, für deren Schutz er sich eingesetzt hatte? Tragisch. Dramatisch! Wie wird die Weiße Königin damit umgehen? Entscheidet sie sich für Gerechtigkeit - ein Leben für ein Leben? Oder lässt sie Gnade vor Recht ergehen?"
"Genug davon," unterbrach Cyneric die Schattenläuferin unwirsch. "Wenn du nicht hier bist, um mich zu töten, dann komm' zum Punkt, oder lass' mich schlafen."
Ryltha kicherte. "Du hast dich verändert, Cyneric. Hat es damit zu tun, dass du deine Tochter gefunden hast? Wo ist sie denn?"
"Das geht dich überhaupt nichts an," knurrte Cyneric. "Raus mit der Sprache - was, verdammt noch mal, willst du von mir?"
"Oh, nicht viel. Nur deine überaus nützlichen Talente, die du uns ungefragt entzogen hast. Wir mussten so einige Pläne verschieben oder sogar ganz abbrechen, und das war nicht sonderlich erfreulich. Außerdem hast du dir mit deinem Streich im Bezug auf Zarifa die Stahlblüten zu Feinden gemacht, was auf uns zurückgefallen ist. Ich musste in einer ärgerlichen nächtlichen Aktion diesen Geldsack Castav um genügend Gold erleichtern, um Lilja für das Mädchen zu entschädigen, das da so friedlich neben dir schläft."
"Lass Zarifa aus dem Spiel. Sie hat genug Leid erdulden müssen."
"Das werde ich, wenn du brav bist und genau tust, was ich sage," forderte Ryltha.
"Und was wäre das?"
"Pack deine Sachen und triff mich morgen Mittag an der Wegkreuzung der Großen Weststraße eine Meile nördlich von Aldburg. Wir haben einen langen Ritt vor uns."
"Aber..." wagte Cyneric einzuwenden.
"Kein aber, Cyneric," schnitt Ryltha ihm das Wort ab. "Wenn du es nicht um Zarifas Willen tun wirst, dann tu es für Milva."
"Milva? Was hat sie mit der Sache zu tun?"
"Mehr als du denkst. Aber genug geredet. Du solltest versuchen, noch etwas Schlaf zu finden. Die Reise wird anstrengend werden."
"Wohin gehen wir?" fragte Cyneric, der Böses ahnte.
"Zurück nach Gortharia natürlich. Dorthin, wo alles angefangen hat..."
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Re: Aldburg - In der Stadt
« Antwort #71 am: 5. Aug 2019, 12:27 »
Während des kurzen Weges durch den Palast betrachtete Oronêl die angebliche Fürstin von Balanjar verstohlen aus dem Augenwinkel. Sie sah wirklich nicht wie eine Fürstin aus, mit abgetragener, teilweise zerfetzter Kleidung und zerzausten Haaren - ohnehin war sie nicht gerade das sauberste Wesen, dass Oronêl unter die Augen gekommen war. Dennoch zweifelte er nicht an ihren Worten, denn er hatte keine Lüge in ihren Augen gesehen und keine Falschheit an ihr gespürt. Diese Sache versprach interessant zu werden, doch sein Weg würde ihn zuerst weiter nach Norden führen...
"Hattet ihr eine schwierige Reise?", fragte er höflich, und erntete zuerst einen misstrauischen Blick. Dann seufzte Irri, schien sich an ihre Würde als Fürstin zu erinnern und sich zusammenreißen. "Sie war nicht leicht. Ich verlor mein Pferd als ich den großen Fluss überquerte, und musste den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen." Vom Anduin nach Aldburg alleine und zu Fuß. Sie musste doppelt so lange wie erwartet gebraucht haben, dachte Oronêl. Kein Wunder, dass sie glaubte keine Zeit zu haben, sich vor einer Audienz mit der Königin von Rohan frisch zu machen.
Sie erreichten die Tür zu den Privatgemächern der Königin, wo ein etwas gelangweilt wirkender Gardist Wache hielt.
"Ich wünsche, die Königin Rohans zu sprechen", sagte Irri, und Oronêl stellte zu seiner Belustigung fest, dass sie sich aufgerichtet hatte um ein wenig größer zu wirken als sie eigentlich war. "
"Königin Éowyn ist beschäftigt", erwiderte der Gardist. "Ihr seid...?"
"Irri, Fürstin von Balanjar. Ich ver... erbitte eine Audienz."
"Mein Name ist Oronêl Galion", ergänzte Oronêl mit einem Lächeln über die verwirrte Miene des Wächters. "Ich bin mit Amrothos von Dol Amroth gereist, der sich im Augenblick vermutlich in diesem Raum befindet." Der Wächter machte keine Anstalten sich zu bewegen, sondern blickte lediglich verwirrt zwischen ihnen hin und her, also fuhr Oronêl fort: "Ich schlage dringend vor, dass ihr hineingeht und uns ankündigt."
"Natürlich, natürlich." Der Wächter verschwand durch die hölzerne Tür, und kam lediglich einen Augenblick später wieder heraus. "Königin Éowyn wird euch empfangen. Folgt mir."
Oronêl reihte sich freiwillig hinter Irri ein, um der Fürstin den Vortritt zu lassen, und hinter dem Wächter traten sie durch die Tür.
"Irri, die Fürstin von Balanjar, und Oronêl Galion, Begleiter des Prinzen Amrothos", kündigte der Gardist sie gewichtig an. Oronêl nutzte den Augenblick, um einen raschen Blick durch den Raum zu werfen. Der Boden war aus Steinfliesen, aber bedeckt mit verschiedensten Fellen und Teppichen. An der Wand gegenüber der Tür brannte ein munteres Feuer in einem Kamin, und vor dem Kamin stand ein länglicher Tisch um den mehrere Stühle gruppiert waren. Nur einer dieser Stühle, der eine höhere, geschnitzte Lehne aufwies, war besetzt. Éowyn saß in der Mitte der Längsseite des Tisches, einen schlichten Goldreif auf dem blonden Haar und wie üblich ganz in weiß gekleidet. Faramir, in grün und schwarz, stand schräg hinter ihrem Sitz, eine Hand locker auf die Rückenlehne gelegt. Zur linken, ein wenig abseits an der Wand, standen Amrothos und Irwyne. Amrothos verzog keine Miene, betrachtete Irri jedoch intensiv, während Irwyne Oronêl verstohlen zuwinkte.
Als sie ungefähr die Mitte des Raumes erreicht hatten, sank Oronêl hinunter auf ein Knie, während Irri einfach stehen blieb.
"Erhebt euch, Oronêl", begann Éowyn. "Ihr braucht vor mir nicht zu knien, schließlich hat die Herrin Galadriel euch die Herrschaft über das Volk Lóriens übertragen und ihr seid mir im Rang ebenbürtig. Seid willkommen in Rohan."
"Ich fühle mich nicht gerade als Fürst, und ich möchte es auch nicht besonders gerne sein", erwiderte Oronêl, kam jedoch wieder auf die Füße. "Ich danke euch für euer Willkommen." Éowyn schenkte ihm ein kurzes Lächeln, bevor sie sich an Irri wandte. "Und auch euch heiße ich willkommen in Rohan, Fürstin. Ich werde mir anhören, was ihr zu sagen habt."
Irri entspannte sich spürbar, und neigte ein wenig den Kopf. "Ich danke euch."
"Danke, Dúnfred, du kannst gehen", ergriff Faramir, an den Gardisten gerichtet, das Wort. Dúnfred verbeugte sich tief, und verließ den Raum.
"Ich hoffe, ihr habt nichts dagegen, euer Anliegen vor den Anwesenden vorzutragen", fuhr Faramir an Irri gewandt fort. "Prinz Amrothos vertritt in diesem Fall Gondor, das unser Verbündeter ist, und Herr Oronêl vertritt die Elben von Lórien, die ebenfalls an unserer Seite stehen."
"Ihr könnt ihnen allen bedingungslos vertrauen", ergänzte Éowyn. "Denn ich tue es auch." Bei dem Wort Elben hatte Irri Oronêl einen verwirrten Seitenblick zugeworfen, doch jetzt nickte sie zustimmend.
"Also gut. Das Volk von Balanjar hat lange für die Könige Rhûns an der Seite Mordors gekämpft, doch ich bitte euch, unsere Feindschaft zu begraben. Wir haben den Fürsten, der uns in den Krieg geführt hat, gestürzt und den Göttern geopfert, und wir werden nicht länger für den Schatten Mordors in den Krieg gegen den Westen ziehen." Éowyn und Faramir tauschten einen nicht zu deutenden Blick. "Da Mordor direkt an unserer Südgrenze liegt und der Schatten Verrat nicht milde behandelt... bitte ich euch im Namen meines Volkes außerdem um Hilfe. Allein werden wir der Rache des Schattens nicht widerstehen können."
"Gerne stimme ich einem Frieden zwischen unseren Völkern zu", erwiderte Éowyn, erhob sich, ging um den Tisch herum und streckte Irri, die mehr als einen Kopf kleiner war als sie, eine Hand entgegen. Irri ergriff sie zögerlich, und Éowyn fuhr fort: "Möge es nie wieder Feindschaft zwischen uns geben, solange das Volk von Balanjar nicht erneut unter den Schatten fällt." Bei den letzten Worten fixierten Éowyns graue Augen Irris schwarze, doch die junge Fürstin hielt dem Blick stand.
"Balanjar wird nicht wieder unter den Schatten fallen. Nicht, wenn ihr uns helft."
In Éowyns Gesicht zuckte ein einzelner Muskel, und in diesem Augenblick erkannte Oronêl die Anspannung, die die immer noch junge Königin beherrschte. "Das können wir nicht."
Irri machte einen Schritt zurück, und Éowyn hob die Hände. "Ich schwöre, dass ich euch helfen würde, wenn es uns möglich wäre. Doch Rohan hat im Krieg gegen den Schatten schwere Verluste hinnehmen müssen. Ausreichend Männer nach Balanjar zu schicken um dem Angriff Mordors vielleicht kurzzeitig zu widerstehen würde bedeuten, unsere eigenen Grenzen zu entblößen. Mordor könnte aus dem besetzten Gondor eine Armee schicken, die unser Land besetzt, während wir im Osten Krieg führen um euer Volk zu retten. Mein Volk würde sterben um das eure zu retten, und deswegen... können wir euch nicht helfen."
"Dann ist mein Volk verloren", stellte Irri mit Bitterkeit in der Stimme fest. "Wir hätten überlebt, wären wir einfach weiter für den Schatten in den Kampf gezogen. Ich glaubte, mein Volk zu retten."
"Euer Volk hätte nicht überlebt", ergriff Oronêl das Wort. "Sauron hasst die Menschen, ohne Ausnahme. Er hätte euch weiterhin benutzt, um die Herrschaft über ganz Mittelerde zu erlangen, und sobald er sein Ziel erreicht hätte, wärt ihr an der Reihe gewesen."
"Also werden wir so oder so sterben." Oronêl kannte die Verzweiflung und Ratlosigkeit, die sich in ihre Stimme geschlichen hatten.
"Nicht unbedingt. Lasst mich euch einen Ratschlag geben - wenn ihr erlaubt, Königin", ergänzte er an Éowyn gewandt. "Nur zu", erwiderte diese mit einem Funken Belustigung in der Stimme. "Ihr sprecht ja ohnehin schon." Oronêl lächelte verstohlen, bevor er sich wieder an Irri wandte. "Flieht", sagte er schlicht. "Euer Volk ist ohnehin zum größten Teil nomadisch, nicht war?" Die Fürstin nickte. "Sammelt so viel ihr könnt von eurem Volk, und dann zieht nach Norden, an den Rand des großen Waldes. Kennt ihr Saurons Festung, die Dol Guldur genannt wird?" Irri nickte erneut, und beobachtete Oronêl konzentriert.
"Ein wenig südwestlich von Dol Guldur liegt eine Lichtung, die man Rhosgobel nennt. Dort lebt der Zauberer Radagast, ihn müsst ihr aufsuchen. Richtet ihm Grüße von mir aus, erzählt ihm, was geschehen ist, und bitte ihn, euer Volk durch den Wald ins nördliche Tal des Anduin zu führen. Folgt dem Fluss weiter nach Norden, und ihr werdet nahe seiner Quellen ein Land finden, in dem ihr für einige Zeit in Sicherheit wärt. Zumindest so viel Sicherheit, wie es dieser Tage in Mittelerde gibt."
"Oronêls Vorschlag ist gut", meinte Éowyn, bevor Irri etwas sagen konnte. "Die Vorfahren meines Volkes sind einst selbst aus den Ländern östlich des Waldes dorthin geflüchtet, und haben einige Zeit dort in Frieden gelebt, bevor mein Urahn Eorl sie nach Rohan führte."
"Ich... werde darüber nachdenken müssen", sagte Irri. Es war deutlich, dass der Gedanke an eine Flucht nach Norden ihr nicht sonderlich behagte, doch gleichzeitig musste ihr klar sein, dass ihr Volk keine andere Chance hatte.
"Es ist spät, also seid ihr eingeladen, zumindest die Nacht hier zu verbringen", ergriff jetzt Faramir das Wort. "Vielleicht könnten wir Boten entlang des Anduin aussenden - nicht mehr viele Menschen leben entlang des Flusses, doch wir könnten sie darauf vorbereiten, die Balanjari auf dem Weg nach Norden passieren zu lassen und ihnen zu helfen soweit es geht."
Éowyn nickte zustimmend, und klatschte in die Hände. Sofort steckte Dúnfred den Kopf zur Tür herein, und Éowyn sagte: "Geleite die Fürstin von Balanjar zu einem der freien Gästezimmer und gib den Dienern Bescheid, dass sie sich um sie kümmern sollen. Danach gehst zu zu Elfhelm, er soll... vier Männer suchen, die bereit sind einen längeren Botenritt anzutreten." Dúnfred schlug sich mit der rechten Faust gegen die linke Brust, und wandte sich an Irri: "Wenn ihr mir bitte folgen würdet, Herrin?" Oronêl lächelte der Fürstin, die ein wenig überrumpelt wirkte, zu. "Ihr gewinnt nichts, wenn ihr im Dunkeln und Schneetreiben wieder aufbrecht. Verbringt eine Nacht in einem richtigen Bett und brecht morgen mit neuen Kräften wieder auf."
Irri nickte langsam. "Ich danke euch... allen." Sie wandte sich Éowyn zu. "Ich werde nicht lügen, ich hatte mir mehr erhofft. Doch ich verstehe, warum diese Hoffnung vergebens war, und ich danke euch für das, was ihr dennoch für mein Volk tut."
"Jeder, der gegen Mordor steht, ist unser Verbündeter in diesen Tagen", erwiderte Éowyn ernst. "Ich wünschte, ich könnte mehr tun, und ich danke euch, für das Verständnis, dass ihr unserer Lage entgegenbringt. Wir werden unser Gespräch morgen fortsetzen."

Sobald Irri mit Dúnfred den Raum verlassen hatte nahm Éowyn den goldenen Reif ab und ließ sich mit einem Seufzer in ihren Sessel sinken. "Genug der Förmlichkeiten", sagte sie mit einem nachlässigen Wink. "Amrothos, Irwyne, hört auf euch an der Wand herumzudrücken und setzt euch. Du auch, Oronêl - ich hoffe, dich stört die Vertraulichkeit nicht. Immerhin bist du etwas wie ein Urgroßvater meiner Kinder, wie ich höre."
Oronêl schmunzelte, und setzte sich ihr gegenüber. Irwyne saß zu seiner Linken, Amrothos wiederum links von ihr an der Kopfseite des Tisches und Faramir ließ sich neben seiner Gemahlin wieder. "Ich glaube, dass können jede Menge Kinder von sich behaupten", meinte er. "Man mag kaum glauben, wie viele Generationen von Menschen in gerade etwas über tausend Jahren vorüberziehen."
Im gleichen Moment ertönte aus einem Nebenzimmer, zu dem eine Tür neben dem Kamin führte, ein gedämpftes Weinen. Éowyn seufzte. "Und dort hört man die nächste Generation. Würdest du...?", fragte sie an Faramir gewandt, der sanft ihre Hand drückte und sich erhob. "Natürlich." Irwyne sprang so plötzlich auf, dass sie beinahe ihren Stuhl umgestoßen hätte. "Ich würde gerne mitkommen, wenn... ich darf..."
Faramir und Éowyn tauschten ein Lächeln, und Faramir nickte. "Nur zu gerne, edle Irwyne. Schließlich kann man nie früh genug anfangen für später zu lernen." Er zwinkerte Amrothos zu, der ein wenig errötete, und verließ mit Irwyne im Schlepptau den Raum.
"Natürlich wäre es einfacher, sie einer Amme zu übergeben... und vielleicht auch schicklicher", meinte Éowyn ein wenig verlegen. "Aber in der Zeit in der wir leben... möchte ich so viel Zeit wie möglich mit meinen Kindern verbringen, solange es geht. Auch wenn es manchmal ein wenig anstrengend sein kann." Sie tauschte einen wissenden Blick mit Oronêl, der an die ersten Jahre mit Mithrellas zurückdachte. "Daran ist nichts falsch oder unschicklich", sagte er. "Ich... manchmal habe ich mir mehr Zeit mit meiner Tochter gewünscht. Am Ende... ist es aber jede Anstrengung wert, selbst in Zeiten wie diesen."

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

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Re: Aldburg - In der Stadt
« Antwort #72 am: 13. Aug 2019, 12:22 »
Der nächste Morgen dämmerte klar und kalt. Im Osten erhob sich eine bleiche Sonne über den Horizont, und ließ den Schnee auf Dächern und Mauern glitzern. Oronêl hatte den Morgen vor dem Eingang des Palastes erwartet, dort, wo er am Abend zuvor Cyneric begegnet war. Zu seinem Bedauern war jener nirgends zu sehen, und ein anderer Gardist hatte seinen Platz eingenommen.
Er hörte leise Schritte hinter sich, und nur wenige Herzschläge später stand Irwyne neben ihm. Heute trug sie ein komplett weißes Kleid, dass ihr vermutlich Éowyn geliehen hatte, und ihre blonden Haare waren noch vom Schlaf zerzaust. "Du bist früh auf", meinte Oronêl, ohne den Blick vom Sonnenaufgang abzuwenden. Irwyne schlang einen Arm um seinen. "Ich hatte befürchtet, du würdest dich still und heimlich davonstehlen."
Oronêl musste lächeln. Trotz allem. "Das habe ich hinter mir, Siniel. Ich hätte mich auf jeden Fall von dir verabschiedet."
"Aber verabschieden wirst du dich", stellte Irwyne bedauernd fest.
"Ja." Einen Augenblick lang beobachteten sie schweigend den Sonnenaufgang. "Ich... hatte einen Traum. Er war seltsam, und durcheinander, doch eindeutig eine Warnung. Kerry kam darin vor, und Aéd. Sie sind beide in Gefahr, fürchte ich. Und... da war noch mehr. Ich glaube, ich habe Eregion gesehen, und dunkle Wolken, die sich darüber sammelten. Irgendetwas geht vor sich."
"Dann musst du gehen." Irwyne ergriff seine Hände. "Kerry ist meine Freundin ebenso wie deine. Also verstehe ich es."
Oronêls Erleichterung war größer als erwartet. Auf keinen Fall hatte er eine weiteren Abschied wie den von Kerry gewollt.
"Hast du von einem bestimmten Ort geträumt?", fragte Irwyne. "Das wäre doch ganz praktisch, wenn du wüsstest, wohin du gehen musst."
Oronêl dachte nach, versuchte sich zu erinnern. Die Bilder in seinem Traum waren durcheinander gewirbelt, verwirrend, verzerrt gewesen. Und doch... "Da war ein Turm. Ein sehr hoher Turm aus schwarzem Stein, in... in der Mitte eines zerstörten Mauerrings."
"Isengard", flüsterte Irwyne. "Das ist Isengard."

Bei den Ställen trafen sie auf Amrothos, bereits vollständig angezogen und frisiert, und Irri, die heute deutlich erholter und gepflegter wirkte als am Abend zuvor.
"Ihr brecht auf?", fragte Oronêl sie mit einer leichten Verbeugung.
"Ja. Königin Éowyn war so freundlich, mir ein Pferd zu schenken, und ich will nicht mehr Zeit verlieren als nötig", erwiderte die Fürstin.
"Habt ihr über meinen Vorschlag nachgedacht?"
"Das habe ich, und... ich werde sehen, wie die Lage in meiner Heimat ist. Doch ich fürchte, wenn Mordor kommt wird uns keine andere Wahl bleiben."
Aus einem Impuls heraus ergriff Oronêl ihre Hand. "Möget ihr euer Volk in Sicherheit führen. Und mögen wir uns wiedersehen, ehe die Tage dunkler werden." Irri befreite ihre Hand mit einem sanften Ruck, lächelte aber. "Ich danke euch für eure Worte. Mögen die Götter des Grases, des Windes und des Himmels euch auf euren Wegen beschützen."
Mit einer fließenden Bewegung schwang sie sich aufs Pferd. "Lebt wohl. Ihr lasst mich glauben, dass unsere Wahl die richtige gewesen ist."

Nur wenig später war auch für Oronêl die Zeit des Abschieds gekommen. Er schwang sich auf den Rücken seines Pferdes, eines Grauschimmels den die Elben aus Lindon hier zurückgelassen haben und der besser an die Reitart der Elben gewöhnt war als das Pferd, dass er auf dem Weg von Dol Amroth nach Rohan geritten hatte. Er blickte auf Irwyne und Amrothos, die nebeneinander standen, herab. "Lebt wohl, meine Freunde. Es mag einige Zeit vergehen, bis wir einander wiedersehen, doch ihr werdet in meinen Gedanken sein."
"Und du in unseren", erwiderte Amrothos, und legte einen Arm um Irwynes Schultern. Ihre Augen glitzerten verdächtig, und je länger Oronêl die beiden anblickte, desto schwerer fiel ihm der Abschied. "Sei anständig zu ihr", sagte er an Amrothos gewandt. "Denn wenn du es nicht bist, wird dich keine Verwandschaft der Welt vor mir retten können."
Amrothos grinste. "Wenn ich nicht anständig zu ihr bin, wird mich nichts in der Welt vor ihr selbst retten können."
"Das ist wahr", meinte Irwyne, und legte den Kopf auf seine Schulter. "Und jetzt reite, Oronêl. Rette Kerry, und diesen Aéd. Und dann die Welt."

Oronêl nach Isengard
« Letzte Änderung: 13. Aug 2019, 14:31 von Fine »

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Re: Aldburg - In der Stadt
« Antwort #73 am: 14. Sep 2019, 19:26 »
Zarifa saß noch eine ganze Zeit lang im Zimmer und wunderte sich über Cynerics merkwürdiges Verhalten. Sie waren beide ganz normal aufgestanden und hatten gefrühstückt, doch aus irgendeinem Grund war Cyneric an diesem morgen sehr schweigsam gewesen. Normalerweise war es Cyneric, der versuchte die morgendliche Konversation am Laufen zu halten, während Zarifa versuchte, ihre Übelkeit und ihre Sorgen zu vergessen. Doch heute morgen waren ihre Rollen aus irgendeinem Grund vertauscht gewesen. Zarifa hatte gut geschlafen, während Cyneric müde, gestresst und vor allem besorgt wirkte. Er hatte sich jedoch nicht erklären wollen und war ganz normal zu seinem Wachdienst aufgebrochen und hatte Zarifa wie üblich im Gasthaus zurückgelassen.

Allmählich gingen Zarifa diese immer gleichen Tagesabläufe ziemlich auf die Nerven. Bis auf ihr kurzes Zusammentreffen mit Oronêl war seit der Abreise von Kerry nichts spannendes mehr passiert und Zarifa verbrachte ihre Tage mehr oder weniger nur damit zwischen Langeweile und schmerzlichen Erinnerungen hin und her zu schwanken. Sie war zwar einige Male über den Markt der Stadt geschlendert, doch wirklich genießen hatte sie das auch nicht können. An sich war die Stadt zwar schön (wenn man mal von dem Pferdegestank absah), aber dennoch ging es ihr schlecht. Sie kannte niemanden, hatte keine Gesellschaft abgesehen von Cyneric, der stets früh zu seinem Wachdienst antrat und abends früh ins Bett ging, um am nächsten morgen wieder fit zu sein. Und außerdem schaffte sie es nach wie vor nicht, ihre Gedanken bei sich zu behalten. Immer wieder schweifte sie ab, musste anfangen zu weinen, ohne dass es irgendeinen konkreten Anlass dafür gab. Zarifa wünschte sich nichts sehnlicher, als ihr Leben aus Umbar zurück. Ihr Leben in Armut, aber dafür in kompletter Freiheit.
„Aber ich bin doch frei“, überlegte Zarifa. „Niemand in dieser Stadt sagt mir, was ich tun kann und was nicht. Ich kann jetzt in diesem Moment machen was ich will. Zumindest theoretisch“

Sehnsüchtig dachte Zarifa daran zurück, wie sie bei strahlendem Sonnenschein in ihrem selbst zusammengebauten Zelt saß und eine Mahlzeit zu sich nahm, die sie sich von dem Geld irgendeines reichen Arschlochs gekauft hatte und wurde dabei immer trauriger. Würde diese Zeit jemals zurückkehren? Würde sie jemals wieder frei und unbeschwert Leben können? Oder war sie dazu verdammt auf ewig an ihren Erinnerungen zu leiden? Zarifa konnte einfach nicht aufhören darüber nachzudenken. Sie wollte wieder das unbeschwerte junge Mädchen von früher sein, doch wie sollte ihr das gelingen, wenn ihre Gedanken immer wieder abschweiften? Wenn sie den ganzen Tag über nichts zu tun hatte, außer über ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart und ihre Zukunft nachzugrübeln? Sie brauchte eine Beschäftigung. Sie hielt nicht noch einen weiteren Tag aus, an dem sie darauf wartete, dass Cyneric vom Wachdienst nach Hause kam, ihnen etwas zu Essen machte und dann schlafen ging. Sie musste etwas tun. Irgendetwas. Doch was genau wollte sie eigentlich machen? Was waren die Dinge, die sie gern tat? Was hatte sie früher getan, um sich zu beschäftigen? Damals in Umbar? Zarifa musterte das Bettlaken, auf dem sie gerade saß und ihr kam eine Idee. Wenn sie wieder so frei und unbeschwert leben wollte wie früher, musste sie einfach wieder mehr so werden wie früher.



Zufrieden betrachtete Zarifa sich selbst im Spiegel. Dieses weiße zu einem Kleid umfunktionierte Bettlaken stand ihr wesentlich besser, als der Krempel, den sie von Cyneric erhalten hatte. Während die junge Frau so da stand, konnte sie ihrem Spiegelbild förmlich dabei zusehen, wie es anfing, immer breiter zu lächeln. Sie sah es vor sich, wie sie mit einem solchen „Kleid“ in ihrem „Zelt“ in Umbar saß, während die Sonne auf sie herabschien und sie eine leckere Mahlzeit zu sich nahm. Bis auf ein paar zusätzliche Narben und einen inzwischen etwas runderen Bauch, sah ihr Spiegelbild dem Mädchen von damals erstaunlich ähnlich. Nichts würde sie jetzt noch davon abhalten, ihren Plan in die Tat umzusetzen und zu dem Mädchen zu werden, das sie früher einmal war.

Bereits zehn Minuten später musste sie feststellen, dass sie bei ihrem Plan ein entscheidendes Detail übersehen hatte: In Rohan war es um diese Jahreszeit eiskalt. Matschiger Schnee bedeckte die Straßen und Zarifa fror sich in ihrem Kleid fast zu Tode. Widerwillig stapfte Zarifa wieder in ihr Zimmer, um sich doch etwas wärmeres anzuziehen. Doch das sollte sie jetzt nicht aufhalten. Ein paar Minuten später war Zarifa am Marktplatz angekommen und blickte sich um. Zunächst hatte sie Schwierigkeiten, sich in ihre neue Rolle einzufinden, doch schon sehr bald kam ihr alles sehr vertraut vor. Sie lauerte hinter einer Ecke, während sie das Treiben auf dem Markt beobachtete. Sie sah ehrliche, hart arbeitende Händler, die ihre Ware selbst bei dieser Kälte anboten. Sie sah Leute die an den Ständen vorbei liefen, hin und wieder anhielten, um etwas zu kaufen und ansonsten kaum miteinander redeten. Das schlechte Wetter schien die Stimmung im Vergleich zum Markt in Umbar zu drücken. Doch die Rollenverteilung war genau die selbe, wie damals. Reiche Leute, die auf die Armen runter schauten. Händler, die allen Widrigkeiten trotzten, um Geld zu verdienen. Arme Leute, die versuchten Preise herunterzuhandeln, um sich eine Mahlzeit leisten zu können. „Es ist wohl überall das Selbe“, dachte Zarifa traurig. Doch gleichzeitig machte ihr dieser Gedanke auch Mut. Sie erinnerte sich daran, wie sie damals gemeinsam mit vielen anderen Angehörigen der Unterschicht Umbars einen Aufstand angezettelt hatte – einen Aufstand gegen die Reichen. Einen Aufstand gegen die ungerechten Verhältnisse. Und alles begann mit einem einfachen Diebstahl.

Zarifa analysierte die Situation genauer. Ein reich aussehender Mann machte gerade einen Händler zur Schnecke, weil dieser sein Gemüse nicht schnell genug verpackte. Zarifa sah die verlockend prall gefüllt aussehende Geldbörse des Mannes. An anderer Stelle beobachtete sie, wie ein schüchtern aussehender, pickliger Junge in seinen Händen einen Ball aus Schnee formte. Dieser Anblick faszinierte Zarifa. Und brachte sie prompt auf eine Idee. Ihre Gedanken rasten so schnell, dass sie gar nicht bemerkte, wie ein auffällig gut aussehender Mann an ihr vorbei lief und sie interessiert musterte.
Zarifa kniete sich hin und tat es nun dem schüchtern aussehenden Jungen gleich. Sie formte in ihren Händen einen Schneeball und musste dabei schnell feststellen, dass das schwieriger, als sie es sich vorgestellt hatte. Der Schnee war eiskalt und schmolz in ihren Fingern viel zu schnell dahin, um einen vernünftigen Ball hinzubekommen. Doch mit ein bisschen Mühe gelang es ihr schließlich. Ihr Auge fiel wieder auf den reichen Mann, der den armen Händler offenbar immer noch nicht in Ruhe lassen wollte. Sie atmete tief ein, zielte und...
„HEY!“

Der Schneeball traf den reichen Mann genau am Hinterkopf. Erschrocken fuhr dieser herum und schimpfte laut stark vor sich hin. Zarifa konnte durch den Wind Wörter wie „Unverschämtheit“ „Wer wagt es?“ und „Wenn ich den erwische“ auf. Vorsichtig schlich sie sich näher ran und beobachtete den reichen Mann dabei ganz genau. Sie musste den richtigen Moment abpassen. „Sir, hier ist ihr Gemüse!“ „Was?“ Der reiche Mann drehte sich schlagartig zurück zu dem Händler. Genau darauf hatte Zarifa gewartet. Blitzartig schlug sie zu, schnitt dem Mann seine Geldbörse ab und zog sich so schnell sie konnte wieder zurück. Sie hatte nur ein paar Sekunden, bis der Mann seinen Verlust bemerken würde. Zarifa versuchte zu rennen, doch plötzlich bemerkte sie einen heftigen Schmerz in ihrem Bauch.

„Verdammt, Verdammt, Verdammt!“, dachte Zarifa, während sie sich unter Schmerzen so schnell wie möglich vom Ort des Geschehens entfernte. Früher wäre ein solcher Rückzug ein leichtes für sie gewesen. Sie war einmal sehr schnell und kaum zu fassen gewesen. Doch jetzt machte sich ihre Schwangerschaft auf einmal bemerkte. Sie betete, dass der Mann noch etwas brauchte, bevor er bemerkte was geschehen war. Sie musste so schnell wie möglich zum Gasthaus. Völlig in Gedanken versunken bemerkte Zarifa erneut nicht, dass sie beobachtet wurde.


Etwa zwei Stunden später war Zarifa damit beschäftigt den Tisch in ihrem Zimmer für ein leckeres Abendessen zu decken. Sie hatte es geschafft, sich in den Gasthof zurückzuziehen, bevor jemand sie erwischen konnte und anschließend abgewartet, bis sie sich in Sicherheit gewogen hatte, und mit dem gestohlenen Geld einkaufen gegangen war. Sie freute sich schon darauf, Cynerics Gesicht zu sehen, wenn sie ihm diese Mahlzeit präsentierte. Schließlich hatte er in den letzten Tagen ständig angeregt, dass Zarifa sich unter die Leute mischen sollte. Und endlich hatte sie es getan.

Zehn Minuten später kam Cyneric von seinem Wachdienst zurück. Bei seinem Gesichtsausdruck erinnerte sich Zarifa schlagartig wieder daran, wie merkwürdig sich Cyneric am Morgen verhalten hatte. Er wirkte viel angespannter als sonst und realisierte zunächst gar nicht, was in dem Zimmer vor sich ging. „TADA!“, sagte Zarifa und präsentierte stolz das angerichtete Abendessen. Cyneric erstarrte und blickte grimmig von Zarifa, die inzwischen wieder in ihr Bettlakenkleid geschlüpft war, und dem angerichteten Esstisch hin und her. Es schien, als würde er im Kopf zwei und zwei zusammenzählen.

„Also bist du für den Vorfall heute auf dem Markt verantwortlich?“, fragte Cyneric und runzelte dabei die Stirn
„Was für ein Vorfall? Und wie kommst du darauf, dass ich etwas damit zu tun hatte?“, wollte Zarifa grinsend wissen.
„Du weißt genau wovon ich spreche. Ich habe während meiner Schicht davon gehört. Und wo sonst solltest du das Geld für all das herhaben? Ich habe dir längst nicht so viel hiergelassen.“
„Okay, erwischt!“, meinte Zarifa immer noch grinsend. „Wirst du mich jetzt verhaften?“
Cyneric schien nicht so recht zu wissen, ob er wütend oder belustigt sein sollte. Er versuchte ein strenges Gesicht aufzusetzen, konnte sich ein flüchtiges Grinsen jedoch nicht verkneifen.
„Wie kommt es denn, dass dich niemand verdächtigt hat, als du die Sachen gekauft hast? Eine junge Südländerin mit so viel Geld? Da muss doch jemand skeptisch geworden sein.“
„Man darf niemals das gesamte Geld beim gleichen Händler ausgeben. Immer portionsweise ein bisschen hier und ein bisschen dort. Alles andere wäre ein Anfängerfehler“, entgegnete Zarifa immer noch grinsend. Cyneric seufzte und atmete tief durch.
„Hör zu, Zarifa! Ich weiß, dass du dich früher auf der Straße mit Diebstählen durchschlagen musstest und habe vollstes Verständnis dafür. Aber diese Zeiten sind vorbei. Du musst nicht mehr andere Leute bestehlen, um dich über Wasser zu halten. Dafür sorge ich schon.“

Jetzt war es an Zarifa, die Stirn zu runzeln. Cyneric verstand manchmal wirklich keinen Spaß. Aber wenn sie ehrlich war, hätte sie mit so einer Reaktion rechnen müssen.
„Ich hatte einfach keine Lust mehr, jeden Tag nur rumzuhängen und nichts zu tun. Du hast doch selber gesagt, ich solle mich unter die Leute mischen und versuchen Spaß zu haben. Und den hatte ich heute. Und nebenbei bemerkt, wenn man ein reiches Arschloch bestiehlt, dass gerade einen armen Händler unnötig fertig macht, geht es nicht nur darum, sich selbst zu bereichern. Es geht darum ein Zeichen zu setzen und dem Arschloch eins auszuwischen“, erklärte sie. „Und außerem habe ich keine Lust mehr, von dir abhängig zu sein. Früher war ich von niemandem anhängig. Ich war frei. Und jetzt muss ich immer darauf hoffen, dass jemand anderes mir etwas zu Essen vorsetzt. So kann es doch nicht weitergehen. Insbesondere, wenn in ein paar Monaten mein Kind geboren wird. Was, wenn dein Lohn für drei Personen nicht mehr ausreicht? Was wenn du einmal nicht mehr da bist?“

In diesem Moment wurde Cyneric auf einmal kreidebleich. Sein Gesichtsausdruck erinnerte Zarifa an den von heute morgen, als sich der Gardist vor seinem Wachdienst so seltsam verhalten hatte. Würde Zarifa jetzt endlich erfahren, was ihn den ganzen Tag so bedrückte? Cyneric schien etwas sagen zu wollen, doch er brachte es nicht über die Lippen. Zarifa musterte ihn. Nach einer kurzen, unangenehmen Stille, bohrte Zarifa schließlich nach: „Was ist denn? Du willst mir doch irgendetwas sagen, oder? Du benimmst dich schon den ganzen Tag so seltsam.“
Cyneric senkte den Blick. Er konnte Zarifa anscheinend nicht mehr in die Augen sehen.
„Heute Nacht hatten wir Besuch.“
„Besuch? Wer war es? Und warum hast du mir nicht Bescheid gesagt?“
Cyneric berichtete von dem nächtlichen Besuch von Ryltha und vermied es dabei, Zarifa in die Augen zu sehen. Dieses Verhalten war äußerst ungewöhnlich. Ihm schien das ganze ziemlich unangenehm zu sein. Gegen Ende seiner Erzählung fasste er sich jedoch und blickte der jungen Frau tief in die Augen: „Und das bedeutet, dass ich weggehen muss. Zurück nach Rhûn. Zurück nach Gortharia. Zurück in die Fänge der Schattenläufer.“

Während Cyneric diese Worte sagte, stießen Tränen in die Augen der Südländerin. Das durfte einfach nicht war sein. Langsam begrub sie ihr Gesicht in den Händen und fing dann heftig an zu schluchzen. Cyneric legte beutsam seine Hand auf ihre Schulter, doch Zarifa schlug sie weg. Dass schien den Gardisten ziemlich zu verunsichern. Er sagte nichts, sondern betrachtete Zarifa besorgt und wartete bis sie das Wort ergriff. Zarifa wusste jedoch gar nicht wo sie anfangen sollte. Ihre Gedanken rasten hin und her, ohne Ziel und ohne echten Zusammenhang. Sie wusste nur eines: Sie wollte auf keinen Fall zurück nach Rhûn. Nach einer Weile blickte sie schließlich auf und die folgenden Worte sprudelten nur so aus ihrem Mund, ohne dass sie selbst so richtig wusste, wo sie mit ihren Ausführungen eigentlich hin wollte.

„Das ist es dann also? Erneut lässt du mich allein? Genau wie damals in Gortharia? Wie zum Teufel soll ich denn klarkommen, schwanger und ohne Geld?“ „Komm doch einfach mit“, versuchte Cyneric sie zu beschwichtigen, doch unwissentlich machte er damit alles nur noch schlimmer. Zarifa redete sich nun richtig in Rage. „Mitkommen? Ich kann nicht mitkommen und das weißt du auch. In Rhûn habe ich die schlimmste Zeit meines Lebens verbracht. Und außerdem bin ich schwanger, verdammt nochmal! Mich bekommen keine zehn Pferde zurück nach Rhûn!“ „Okay, Okay... Ich sorge dafür, dass man sich um dich kümmert. Ich...“ „Jaja, schon klar. Das letzte mal, als du mir sowas versprochen hast, war ich kurz darauf in einem Haus voller überpriviligierter Frauen, die meine Fähigkeiten ausnutzen wollten. Ständig, sagst du, dass du mir helfen willst. Doch in Wahrheit denkst du immer nur an dich selbst. Du nimmst mich aus Gorak mit nach Gortharia, nur um festzustellen, dass du nicht weißt wohin mit mir und dass ich deinen Plänen eigentlich nur im Weg stehe. Du nimmst mich mit aus Gortharia, doch anstatt auch nur eine Sekunde daran zu denken, wie es mir dabei geht, schwanger und traumatisiert durch völlig fremde Länder zu reiten, denkst du nur daran, so schnell wie möglich deine Tochter wiederzufinden. Auf dem Weg begegnen wir Alvar, doch anstatt ihn wie versprochen zu töten, siehst du nur zu, wie Salia mich festhält. Schließlich finden wir endlich deine Tochter, gehen nach Aldburg und dann weißt du nichts besseres, als mich den ganzen Tag hier versauern zu lassen und wenn ich einmal eigenständig versuche Spaß zu haben, maßregelst du mich. Und jetzt sagst du mir, dass du abhaust und mich hier alleine, mittellos und ohne eigene Unterkunft zurücklässt? Na toll, danke für nichts, Cyneric, oh hochwohlgeborener Gardist von Rohan!“

Cyneric wich das letzte bisschen Farbe aus dem Gesicht und nun schossen ihm die Tränen in die Augen. Hatte er bei dem Versuch, Zarifa zu helfen in Wahrheit alles nur noch schlimmer gemacht. Hilflos, fast flehend blickte er Zarifa an, unfähig ein Wort zu sagen. Zarifa betrachtete den Gardisten und sah ihm tief in die Augen. Es war das erste mal, dass sie Tränen aus seinen Augen kommen sah. Diese Augen, die sie so stark an die von Ziad  erinnerten. Sie erinnerte sich, wie sie zum ersten mal in diese Augen geblickt und in ihm den Mann wiedererkannt hatte, der ihr als kleines Kind das Leben gerettet hatte. Das war vor dem brennenden Haus von Fürst Radomir von Gorak gewesen. Vor dem Haus, aus dem Cyneric sie gerettet hatte, nachdem sie den Fürsten umgebracht und anschließend in ihrer Panik beinahe ums Leben gekommen war. Er hatte sich selbst in Gefahr gebracht, um sie zu retten. Und das, obwohl er sie zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht gekannt hatte. Anschließend hatte er sie weg von dem Ort gebracht, an dem sie nichts als Leid erfahren und sich fast das eigene Leben genommen hatte. Hatte sie stets vor Konsequenzen geschützt, die sie ohne sein Eingreifen sicher hätte erfahren müssen. Er hatte immer versucht sie zu trösten, wenn sie wiedereinmal traurig war. War immer nett gewesen, auch wenn sie auf ihrer Reise manchmal echt nervig gewesen war. Hatte stets für sie gesorgt, auch wenn er selber seine eigenen Sorgen hatte. Er hätte sie einfach zurücklassen können. Er hätte Déorwyn viel schneller wiederfinden können, wenn Zarifa ihn nicht so oft aufgehalten hätte. Doch darüber hatte er nie auch nur nachgedacht. Dank Cyneric, konnte sie zum ersten mal in ihrem Leben regelmäßige Mahlzeiten, ein warmes Bett und ein nahezu sorgenfreies Leben führen.

Zarifa war auf einmal selbst davon überrascht, wie schnell die Worte vorhin aus ihrem Mund gesprudelt waren. Sie blickte in Cynerics immer noch tränende Augen und umarmte den Mann, dem sie nahezu alles zu verdanken hatte. „Tut mir Leid, so habe ich das nicht gemeint“, meinte Zarifa entschuldigend und drückte Cyneric dabei so fest, wie sie es noch nie zuvor getan hatte. „Du hast mir das Leben gerettet. Obwohl du mich überhaupt nicht gekannt hast. Hast immer für mich gesorgt, und das obwohl ich oft sehr anstrengend war und du eigentlich einfach nur Kerry wiedersehen wolltest. Danke für alles. Ohne dich wäre ich schon lange tot. Und mit mir mein ungeborenes Kind.“
Nach einem kurzen Zögern, erwiderte Cyneric schließlich die Umarmung und erklärte: „Es tut mir Leid, dass ich zurück nach Rhûn muss und dich hier zurücklassen muss. Ich weiß, dass du dicht mitkommen kannst. Aber es geht leider nicht anders.“ „Ich weiß. Danke für alles, Cyneric. Du warst für mich da in einer Situation, in der niemand sonst für mich da war und in dem ich mehr denn je jemanden brauchte. Aber du kannst nicht dein ganzes weiteres Leben aufgeben, um weiterhin für mich zu sorgen. Ich muss es schaffen auf eigenen Beinen zu stehen.“

Die beiden so ungleichen Menschen umarmten sich noch eine ganze Weile und ließen schließlich voneinander ab. „Also dann, ich habe nicht mehr viel Zeit. Ich...“ Erneut schien Cyneric um Worte verlegen zu sein. „Schon gut. Ich werde dich vermissen. Und grüß Milva von mir. Die Alte kann jemanden wie dich gebrauchen. Aber pass auf, dass du sie nicht aus Versehen schwängerst. Sonst wird sie noch anstrengender als ich“, meinte Zarifa grinsend und machte sich über das Essen her. Cyneric blickte verdutzt und schüttelte dann den Kopf, bevor er sich selbst einen Happen zu Essen genehmigte.
« Letzte Änderung: 20. Sep 2019, 00:51 von Rohirrim »
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Char Zarifa in Rhûn

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  • Ich hab da ein ganz mieses Gefühl bei der Sache...
Die Schildmaid
« Antwort #74 am: 18. Sep 2019, 15:12 »
Nach dem Essen saßen sie noch den ganzen Abend beisammen und unterhielten sich so frei wie noch nie zuvor. Beide schienen einander nun besser zu verstehen und insbesondere Zarifa hatte einen Teil ihrer Zurückhaltung abgelegt. Cyneric erfuhr in diesen Stunden viel davon, wie Zarifa einst in der fernen Stadt Umbar gelebt hatte und was sie durchgemacht hatte. Es machte ihm seinen Abschied nicht gerade einfacher, doch er war dennoch froh, Zarifa noch besser kennenlernen zu können. Seinerseits erzählte er der jungen Südländerin Geschichten aus der Zeit vor dem Krieg, von dem ruhigen Familienleben in Hochborn und von seinem jüngeren Bruder. Bis kurz vor Mitternacht verbrachten sie einen geradezu unbeschwerten Abend miteinander und trotz des Abschiedes, der ihnen beiden bevorstand, schlief Cyneric in dieser Nacht außerordentlich gut und ungestört.

Am darauffolgenden Tag war Zarifa früh auf den Beinen und öffnete lautstark die Fensterläden des kleinen Zimmers, das Cyneric für sie beide gemietet hatte. Längst schon hatte er dafür Sorge getragen, dass der Gastwirt das Mädchen aus Umbar mindestens für einige Wochen nicht mit Geldforderungen behelligen würde - so lange die von Cyneric im Voraus bezahlten Münzen eben reichen würden. Gemeinsam nahmen sie unten in der Schankstube ein Frühstück ein; danach packte Cyneric seine Habseligkeiten zusammen.
"Was wirst du den anderen Gardisten denn nun sagen?" fragte Zarifa neugierig. "Werden sie nicht Fragen stellen, wenn du plötzlich verschwindest?"
"Ehrlich gesagt weiß ich es nicht," entgegnete Cyneric, als sie gerade den Gasthof verließen. Obwohl er sich bereits lange den Kopf darüber zerbrochen hatte, war ihm einfach keine schlüssige Erklärung dafür eingefallen, dass er kaum einen Monat nach seiner Rückkehr nach Rohan erneut in Richtung Rhûn aufbrechen würde. Er hatte sich letzten Endes dafür entschieden, mit der Königin darüber zu sprechen, falls Éowyn dafür Zeit hatte.
Auf dem Weg zur königlichen Residenz begegneten Cyneric und Zarifa mehrere Gardisten, die Cyneric zum Großteil amüsierte Blicke zuwarfen. "Sei bloß vorsichtig!" sagte einer der Männer. "Wenn du nicht aufpasst, wird sie bald über dein ganzes Leben bestimmen!"
Cyneric warf Zarifa einen verwunderten Blick zu, doch diese antwortete nur mit einem ebenso ahnungslosen "Hä?"
Vor den Toren des Palastes angekommen offenbarte sich ihnen die Lösung des Rätsels. Vier Gardisten standen dort im Halbkreis um eine vertraut wirkende Frau herum, die dem Aussehen nach eine Schildmaid Rohans zu sein schien. Das hellbraune Haar war zu einem breiten Zopf geflochten, der Cyneric an die Lieblingsfrisur seiner Tochter erinnerte und der unter dem Helm der Kriegerin hervorragte. Sie trug eine schwere Rüstung aus Leder und war mit Schild und Speer bewaffnet. Ein dunkelgrüner Umhang nach Art der Rohirrim der Ostfold vervollständigte die Ausrüstung.
"Ich muss schon sagen, Cyneric," sagte einer der Gardisten, als sie näher gekommen waren. "Das hätte ich dir nach all der Zeit gar nicht zugetraut. Firalda scheint ja wirklich ein bodenstädiges Mädchen zu sein."
Firalda - bei der es sich natürlich um niemand anderen als Ryltha handelte, die nahezu perfekt in die Rolle einer Schildmaid der Riddermark geschlüpft war - lächelte strahlend. "Ich hoffe, ich lerne seine Tochter bald kennen," sagte sie und beeindruckte Cyneric mit ihrem akzentfreien Rohirrisch.
"Wer hätte gedacht, dass es in der Wold noch solche Frauen gibt?" mischte sich ein anderer Wächter ein. "Wenn du dort angekommen bist, solltest du ihnen ausrichten, dass es in Aldburg so manche tapfere Recken gibt, die noch zu haben sind."
Cyneric konnte sich inzwischen relativ gut denken, was hier gespielt wurde. Zarifa hingegen...
"Ich versteh's nicht," sagte sie, glücklicherweise leise genug, dass nur Cyneric sie hören konnte.
"Da bist du ja, mein Held," sagte "Firalda" und fiel Cyneric um den Hals. Dabei zischte sie ihm beinahe unhörbar ins Ohr: "Spiel mit, sonst bereust du es..."
"Äh... Ja. Wie schön, dich zu sehen," stotterte er etwas betreten. "Du... hast dich also bei den Gardisten vorgestellt?"
"Sie hat uns von euren Plänen erzählt," beantwortete einer der Soldaten die Frage. "Zu schade, dich jetzt schon wieder zu verlieren."
"Nun, ich denke, es ist für uns so am Besten," meinte Cyneric, der Böses ahnte.
"Die Grenze am Ostwall ist seit dem Feldzug gegen Dol Guldur ruhig geblieben," meinte ein anderer Gardist. "Ich glaube, wir müssen uns um euch beiden keine Sorgen machen, wenn ihr euch den Reitern der Grenzpatrouille anschließt."
"Wir würden alles tun, um unser Volk in Sicherheit zu wissen," sagte Ryltha zuckersüß. "Deshalb werden wir Aldburg verlassen und in die Wold zurückkehren, um im Haus meiner verstorbenen Eltern zu leben und unsere Tage mit dem Schutz der Grenzen verbringen."
Die Gardisten nickten und ihre Blicke zeugten von Respekt und Bewunderung. Auch ein klein wenig Neid war dabei. Cyneric konnte die Männer zu einem gewissen Grad verstehen - Ryltha war durchaus hübsch anzusehen und konnte eine charismatische Aura an den Tag legen, wenn es ihr von Nutzen war. Gleichzeitig war er zutiefst angewidert von der Leichtigkeit, mit der die Schattenläuferin ihrer Betrügereien über die Bühne brachte.
"Ihr beiden... sollt ein Paar sein?" platzte es aus Zarifa heraus, die mittlerweile offenbar verstanden hatte, was "Firalda" andeutete.
"Ist das nicht offensichtlich?" sagte Ryltha und klammerte sich verliebt an Cynerics Arm.
"Äh... naja..." stammelte Zarifa, bis Cyneric ihr mit einer versteckten Geste zu verstehen gab, dass er ihr alles später in Ruhe erklären würde.
"Jetzt sollten wir uns auf den Weg machen, mein Geliebter," säuselte Ryltha und begann, an Cynerics Hand zu ziehen. "Du hast deine Sachen ja bereits zusammengepackt, wie ich sehe. Unsere Pferde warten an den Stallungen schon auf uns."

Notdürftig verabschiedete Cyneric sich von den Gardisten und gemeinsam mit Zarifa folgte er Ryltha durch die vollen Straßen Aldburgs bis zum großen Tor im Norden der Stadt, wo sich die Stallungen befanden. Unterwegs flüsterte Cyneric Zarifa die Lösung des Rätsels namens "Firalda" ins Ohr - Ryltha gab ihm einen triftigen Grund, die Stadt zu verlassen, indem sie sich als Cynerics Geliebte ausgab, die aus der Wold stammte und dorthin zurückkehren wollte. Zarifa hatte mit Skepsis reagiert, jedoch keine Einwände erhoben.
Wie selbstverständlich führte Ryltha sowohl Cynerics Schlachtross Rynescéad als auch eine hellbraune Stute heraus, welche die Schattenläuferin rasch mit dem wenigen Gepäck belud, das sie mit sich führte. Ohne noch länger zu warten kletterte sie in den Sattel.
"Ich schätze, jetzt heißt es Abschied nehmen," sagte Cyneric bedrückt zu Zarifa, die etwas verloren am Ausgang der Stallungen gewartet hatte.
Er sah, wie die junge Südländerin tief durchatmete. Dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck und sie nahm Cynerics Hand zwischen ihre beiden Hände. "Pass auf dich auf," sagte sie mit fester Stimme.
"Du ebenfalls," war alles, was Cyneric zur Antwort einfiel. Er wusste nicht, was er Zarifa sagen sollte. Natürlich wünschte er sich, sie würde bald jemanden finden, der ihr half, ihr Leben in Frieden zu leben, doch genauso gut wusste er, dass Zarifa es sich mehr als alles andere wünschte, unabhängig und frei zu sein, und für sich selbst sorgen zu können.
"Solltest Aldburg verlassen, ehe ich aus Rhûn zurückkehre, richte jemandem aus, wohin du gehst," sagte er. "
"Immer noch in Sorge um mich, was?" stichelte Zarifa. Doch dann nickte sie. "Ich werde schon nicht spurlos verschwinden. Wir sehen uns bestimmt wieder."
"Ja, bestimmt. Bis dahin - lebewohl, einstweilen, Zarifa."
"Leb' wohl!"
Mit schwerem Herzen schwang Cyneric sich in den Sattel und folgte Ryltha, die bereits am Tor ungeduldig wartete, auf die Straße jenseits von Aldburg hinaus.


Cyneric und Ryltha in die Wold
« Letzte Änderung: 30. Sep 2019, 15:42 von Fine »
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