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Autor Thema: Anfalas  (Gelesen 7682 mal)

PumaYIY

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Anfalas
« am: 18. Aug 2010, 18:08 »
Karthulls Start:
Karthull, kommend von seinem Zuhause:


Unterwegs
Seit Karthull von zu Hause aufgebrochen war, waren schon einige Tage vergangen, er hatte nicht so recht gewusst ob er zuerst in Richtung Süden zum Meer und an der Küste entlang nach Osten laufen sollte oder einfach so gerade nach Osten wie er es an der Sonne auszumachen vermochte zu laufen. Er entschied sich für eine Rute die ihn langsam zur Küste, also in süd-östliche Richtung, führte.  Schnell fand er einen recht passierbaren Trampelpfad, der das Wandern um einiges erleichterte. In den teilweise dichten Sträuchern in denen er zuvor unterwegs war hatten Dornen seine Haut aufgekratzt und ein paar Kletten hatten sich an seinem Beutel festgehakt.
Als es auf die Dämmerung zuging hatte er das Gefühl eine ordentliche Strecke geschafft zu haben und erinnerte sich als er mit seinem Vater als er selber noch ein Junge gewesen war, über die Nützlichkeit von Schiffen bei langen Strecken philosophiert hatte. Allerdings hatte er sich einen solchen Fußmarsch nicht im geringsten vorstellen können, geschweige denn erwarten können, dass seine Schuhe derart unbequem auf lange Strecken seien.
Er hielt Ausschau nach einem Unterschlupf für die Nacht, denn falls es zu regnen beginnen sollte wollte er nicht wie letzte Nacht aus dem Schlaf gerissen werden und seinen Gesicht im Schlamm wiederfinden.
Aber als er auch nach ausgiebigen Suchen nichts fand, das ihn bedachen oder auf das er sich drauflegen hätte können, legte er sich mit dem Kopf aus seinen Lederbeutel und versuchte einzuschlafen, was einige Zeit dauerte, da er immernoch nicht an so zahlreiche nächtliche Tiergeräusche gewöhnt war.

Am nächsten Morgen wurde er vom schrillen Singen der Vögel und der Sonne geweckt. Karthull suchte in der Umgebung nach etwas zu essen und fand ein paar Knollen und Beeren, die aß er und machte sich wieder weiter auf den Weg.
Zur Mittagsstunde war er jedoch erstaunt, denn das Gelände begann hügeliger zu werden Können das die Weißen Berge sein?, dachte er sich: Aber nein die sind doch viel größer und haben weiße Spitzen. Er kannte die Hügel- und Bergkette nicht doch er vertraute seinem Verstand der ihm sagte, dass er sich doch an der Sonne orientiert hatte.
Als es steiler wurde machte er eine Rast und aß etwas Brot aus seinem Beutel, trank etwas Wasser das sich an einem kleinen Teich zusammen gesammelt hatte und trottete weiter. Er schaffte bis zum Abend auch noch eine für ihn ausreichende Strecke und fand diesesmal einen felsigen Unterschlupf für die Nacht. Am nächsten Morgen ging er weiter, doch nach und nach verlor sich sein Trampelpfad und so musste er diesmal über eine weite Wiesenfläche laufen. Dahinten war eine Kante, von der aus es bergab zu gehen schien also beeilte sich Karthull, doch als er dort ankam hielt er vor Staunen den Atem an: Vor ihm lag der unvergleichbare Anblick der langen Küste, Anfalas genannt. Die frische Meerluft wurde vom Wind bis an den Hügel getragen und er hörte Möwen aus der ferne Kreischen, hinter dem Wald am Fuße des Hügels  mussten die Wellen auf den Strand brausen. Er konnte sich garnicht genug beeilen näher ans Meer zu kommen, doch im Moment hielt ihn der Ausblick gefesselt.
Halt! Was war das? Hab ich nicht auf dem Meer eben was leuchten sehen? Da schon wieder. Jetzt erkannte Karthull das das Lodern von einem Boot kam. Er sah es nicht genau denn es war zu weit weg, aber eine ängstliche Gewissheit plagte ihn: Da war noch was, irgend ein anderes Boot habe ich noch im Wasser gesehen, dachte er sich und voll unbehagen begann er den Hügel hinunter in Richtung Meer zu laufen.
« Letzte Änderung: 16. Aug 2016, 15:37 von Fine »

PumaYIY

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Zurück zum Meer
« Antwort #1 am: 26. Aug 2010, 16:24 »
Doch der Weg war länger als es von dem Hügel aus ausgesehen hatte und erst jetzt bemerkte er die anderen Hügel die ihm nach einigen Höhenmetern die Sicht auf das Meer versperrten. Er lief bergab, dannach bergauf, nur um wieder bergab zu laufen und es war immernoch ein Hügel vor ihm. Viele Pausen wollte er seit er das Flackern im Meer gesehen hatte nicht mehr machen, auch lief er jetzt gerade auf den Strand dort zu wo er das Schiff oder was es war vermutete, statt zusätzlich noch etwas nach Osten zu gehen.
Am Abend hatte er es bis zum Rand des Waldes der in der am Strand aufhörte erreicht, doch er beschloss nicht noch weiter zu gehen, da ihm mit anfänglicher Dämmerung mulmig zumute wurde. Auch wusste er noch nicht was auf dem Meer passiert war und es ließ ihm keine Ruhe.
Als er am nächsten Morgen erwacht war hatte er wieder das Gefühl etwas geträumt zu haben, an das er sich aber nicht erinnern konnte. Einige Zeit blieb er liegen und versuchte sich zu erinnern, doch als ihm das immernoch nicht gelingen wollte und sein Magen murrte aß er etwas und zog weiter durch den Wald.
Er hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass der Wald so groß sein würde und so kam es gegen der Mittagsstunde dazu das er sich selbst gestehen musste, dass er sich wohl oder übel verlaufen hatte. Das blöde war natürlich, dass die Sonne nahezu ganz über ihm am Himmel stand und er keine Ahnung hatte wo es lang gehen könnte. Er trotte in irgendeine Richtung, da es ihm das Gefühl gab nicht so zeitverschenderisch zu warten und nichts zu tun. Karthull schaute immer wieder in Richtung Sonne um eine mögliche Veränderung und somit die Himmelsrichtungen ausmachen zu können. Doch als er in den Himmel guckend durch einen Busch lief und plötzlich den Sand unter seinen Füßen spürte war es nicht mehr nötig. Es lichtete sich auch das Blätterdach über seinem Kopf, die wohlig warme Sonne schien ihm ins Gesicht und die frische Brise kühlte ihn. Endlich war er wieder am Meer. Seine Augen waren nun geschlossen und gen Himmel gerichtet, langsam öffnete er sie, doch der strahlende Anblick blendete ihn noch ein wenig. Er atmete tief ein und schaute sich um: Das Meer war nur einige Meter vom Wald entfernt, ein paar grüne Algen lagen herum und das nähere Wasser schien auch voll mit ihnen zu sein.
Während er so das Meer betrachtete achtete er nicht auf die Umgebung die Geräusche um ihn und erinnerte sich auch nicht an das Schiff von gestern. Vater, warum haben sie dich getötet? Warum?!, schrie er innerlich, denn das Meer erinnerte ihn immer auch, außer an die Schönheit die er sah, an seinen Vater und wie er starb.
In diesem Zwist seiner Gefühle geschah es, dass er wie aus dem nichts einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf spürte und sein Bewusstsein verlor.
« Letzte Änderung: 14. Sep 2010, 20:45 von PumaYIY »

PumaYIY

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Der Überfall
« Antwort #2 am: 3. Sep 2010, 17:15 »
Mit einem Mal erwachte Karthull, er zuckte hoch und das Salzwasser brannte in seinem Gesicht, jemand drückte ihn wieder in den Sand und sein Kopf wurde nur leicht abgefedert als er aufprallte. "Sprich schnell! Wer bist du und was machst du hier?" , zwang ihn eine forsche Stimme. Er öffnete seine Auge einen Spalt, wurde jedoch so heftig geblendet, dass er nichts erkennen konnte außer einem verschwommenem Gesicht, das zwischen ihm und der Sonne war. "Verdammt wir haben keine Zeit für so etwas, sie sind vermutlich noch in den Nähe", flüsterte eine andere Stimme: "Er ist eindeutig keiner von uns und es ist zu gefährlich ihn etwas wissen zu lassen. Töte ihn, wenn er nicht redet!"
"Halt!" , stammelte Karthull und spuckte dabei etwas Salzwasser aus seinem Mund: "Was auch immer ist, ich bin unschuldig." , "Wer bist du und was machst du hier?!" , wiederholte die erste Stimme die Forderung und er spürte eine Klinge an seinem Hals. "Karthull, ich bin Karthull, ich bin auf dem Weg zu Verwandten weiter im Osten Gondors."
"Beweis es!" , fauchte die zweite Stimme, nun deutlich näher.
"Kann ich nicht!"
"Töte ihn!"
"Nein wir wissen nicht ob er einer ist!"
"Ein was?!", unterbrach Karthull die beiden.
"Wir können ihm nicht trauen er steckt mit den Korsaren unter einer Decke, schau auf seine Haut, er ist niederen Geschlechts. Ich sage dir er ist ein Schiffsjunge der Korsaren von gestern! Ein Köder! Ein Spion. Wer traut sich sonst so offen an den Strand ? Ich töte ihn wenn du es nicht tust!"
"Ach lass ihn doch in Ruhe. Wir können uns nicht sicher sein..."
"Du hast recht, verdammt lassen wir ihn einfach liegen!"
"Ich bin kein Kos...", doch da spürte Karthull schon den Griff eines Schwerts, die an seine Schläfe donnerte.

"Habe ich geträumt?!" , dachte Karthull, doch wenige Momente später setze der Schmerz ein und er öffnete seine Augen. Es musste inzwischen Nacht geworden sein. Sein Schädel brummte heftig und sein Mund war voll mit dem Geschmack von Salzwasser und Sand. "Ich muss unbedingt etwas trinken!" , dachte er sich und versuchte aufzustehen, doch seine Arme gaben nach als er sich abstütze. Beim zweiten Versuch klappte es und er stand schwankend am Strand und schaute sich um. Er fand Spuren im Sand folgte ihnen ein paar Schritte und sah seinen Beutel auf dem Boden, bückte sich, öffnete ihn und trank etwas Wasser aus der Flasche die darin war.
Aber halt. "Wo ist mein Stein? Kann es sein, dass die diese Leute ihn mitgenommen haben? Wofür wollen sie ihn? Wer sind diese Leute und warum haben sie mich angegriffen?" Fragen über Fragen schossen ihm in den Kopf und Karthull musste sich setzen, um nicht zu überwältigt zu werden.
« Letzte Änderung: 26. Aug 2011, 21:15 von PumaYIY »

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Die andern Leute
« Antwort #3 am: 5. Sep 2010, 17:43 »
Was war passiert? Es war inzwischen tiefste Nacht geworden und Karthull beschloss trotz des Überfalls seine Route beizubehalten, denn selbst wenn er die Angreifer finden würde wäre er wohl doch nicht in der Lage diese zu überwältigen oder er wäre ihnen vermutlich schon wieder ausgeliefert. Einzig wollte er fortan nicht mehr offen am Strand laufen sondern mindestens in Waldnähe.
Da er wusste, dass es sinnlos war zu versuchen jetzt zu schlafen, da es immernoch zu gefährlich war, beschloss er aufzubrechen. Während er so am Strand entlag ging grübelte er über die Worte der Beiden: "Er ist eindeutig keiner von <uns> was kann das bedeuten" oder "Wer sind <sie> von denen die zwei gesagt haben das sie noch in der Nähe sind? Glauben die wirklich ich könnte ein Korsarenschiffsjunge sein?" Plötzlich raschelte etwas im Gestrüp neben ihm. Karthull blickte auf und sah durch die Morgendämmerung ein Säbel das aus dem Busch herausragte. "Jetzt haben wir dich du Rumtreiber" , rief eine Stimme und ein Mann rannte aus dem Busch und schwang bedrohlich seine Waffe.
Karthull war wie erstarrt, sein Herz begann wie wild zu schlagen und als der Mann mit jedem Schritt näher kam und zu Stoß ausholte, rammte Karthull plötzlich instinktiv seine Ellenbogen gegen die Brust des Mannes auf den er auf einmal doch zugerannt war. Keuchend fiel dieser zu Boden. Doch es schien ihm nicht sonderlich viel ausgemacht zu haben denn er rappelte sich schon wieder auf. Da rannte Karthull los. Aus dem Augenwinkel konnte er zwei oder drei Männer aus den Büschen kommen sehen, die dem ersten hochhalfen und ihm nachzulaufen schienen, doch Karthull rannte und rannte.
Er verlor das Gefühl für die Zeit doch es war schon ein bisschen her, seit er vom offenen Strand in den Wald geflüchtet war. Noch immer rannte er parallel zum Meer, seine Verfolger hörte er schon einige Minuten nicht mehr... oder war es schon eine Viertelstunde? Karthull wurde langsamer und suchte sich ein Versteck in Büschen und hinter großen Baumstümpfen und nach einer Weile fand er ein gutes Versteck in einem kleinen Loch, gerade groß genug für ihn, unter einem Busch. Dort blieb er liegen und wartete.
Es dauerte nicht lange da hörte er barsche Stimmen die langsam näher kamen, sie fluchten immer wieder und es schienen seine Verfolger zu sein. Als sie ganz nahe waren hielt Karthull den Atem an und versuchte sie zu belauschen. Es waren fünf Korsaren und nach dem was sie sagten zu urteilen sollten sie Rudersklaven für ein Schiff suchen. Sie schienen Karthull schon einige Zeit auf den Fersen gewesen zu sein. Er hörte genau hin was sie sonst noch sagten: "Der Komandeur wird überhauptnicht erfreut sein, wenn er erfährt das uns die zwei Burschen die von dem Schiff gesprungen sind das wird gestern gekapert..." "Vorgestern!", korrigierte ihn eine andere Stimme. "Sei du blos still, hast dich von einem unbewaffneten halbstarken Jungen überwältigen lassen, du Landratte!"
Karthull sah wie der große Mann der zuerst gesprochen hatte dem, der ihn mit einem Säbel bedroht hatte einen Schlag auf die Stelle an der Brust verpasste, an der sich Karthull zuvor gegen ihn gewehrt hatte. Die andern lachten und dann waren sie schon weitergezogen.
Als Karthull sich sicher war das seine Verfolger ihm einige Schritte vorraus waren, stellte er sich auf, äugte aus dem Busch heraus und begann von der Küste weg zu gehen. Er lief relativ schnell, gleichzeitig noch langsam genug, um dem Feind erneut entkommen zu können.
Doch die nächsten zwei Tage traf er niemanden. Nachdem er seiner Einschätzung nach weit genug von der Küste entfernt war, begann Karthull wieder Richtung Osten zu laufen. Nach den besagten zwei Tagen lichtete sich der Küstenwald an dessen inländischem Rand er gelaufen war und der Wald wurde schmaler, war näher an der Küste.


Karthull nach Edhellond und Umgebung
« Letzte Änderung: 17. Aug 2016, 08:26 von Fine »

Fine

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Der Sohn Golasgils
« Antwort #4 am: 16. Okt 2017, 15:19 »
Valion, Valirë, Lóminîth, Erchirion und Veantur über den Seeweg aus Dol Amroth


Die Überfahrt war ohne Probleme verlaufen, und bereits einen Tag nach ihrem Aufbruch aus Dol Amroth erreichte Kapitän Veanturs Schiff die Anlegestellen von Revaillond, dem größten Hafen westlich der Schwanenstadt. Noch während die Besatzung der Súlrohír damit beschäftigt war, das Schiff zu entladen, gingen Valion und seine Gefährten bereits von Bord. Am Kai wurden sie von einer kleinen Gruppe Soldaten erwartet, auf deren Schilden und Brustpanzern das Siegel von Anfalas prangte: ein springender, blauer Fisch auf weißem Feld. Einer von ihnen, der eine besonders prunkvolle Rüstung und einen weißen Umhang trug, trat vor und nahm seinen Helm ab.
"Willkommen in Anfalas, edle Herrschaften," begann er mit einer Stimme, die Valion sofort auf die Nerven fiel: selbstgefällig und stolz. Und wer ist dieser aufgeblasene Wichtigtuer? dachte Valion.
Erchirion erwiderte die Begrüßung mit einem Nicken und nahm die angebotene Hand des Mannes. "Ich wusste nicht, dass wir erwartet werden," sagte der Prinz.
"Wundert Euch nicht, mein Prinz. Ihr segelt unter dem silbernen Schwan von Dol Amroth, und bereits von Ferne haben die scharfen Augen meiner Wachposten ihn erspäht. Sicherlich könnt Ihr verstehen, dass sie stets Ausschau halten, falls entgegen jeglicher Hoffnung erneut die schwarzen Segel von Umbar am Horizont auftauchen."
Anfalas war schon immer eines der Lehen Gondors gewesen, das am meisten unter den Überfällen und Raubzügen der Korsaren von Umbar zu leiden gehabt hatte. Der alte, von númenorischen Kolonisten erbaute Hafen von Revaillond war oft Ziel der schwarzen Flotte gewesen, weshalb die Lehnsherren von Anfalas Mitte des Dritten Zeitalters in einigen Meilen Entfernung im Landesinnern eine starke Burg errichtet hatten, in die sich das Volk flüchten konnte. Mit der Zeit war eine neue Stadt vor den Mauern dieser Burg angewachsen, die den Namen Maerost trug und heute Sitz Golasgils, des Herrn von Anfalas war.
"Nun, Toradan, ich danke dir für deine Begrüßung," sagte Erchirion. "Lass mich dir meine Begleiter vorstellen. Dies sind Valion und Valirë vom Ethir, und Lóminîth von Um..."
"Von Tolfalas," verbesserte Lóminîth rasch. "Ihr müsst Herrn Golasgils Sohn sein, richtig?"
Toradan, Golasgils Sohn und Erbe, nickte stolz. "Da mein Vater im Rat des Fürsten von Dol Amroth gebraucht wird, führe ich in seiner Abwesenheit die Regierungsgeschäfte in Anfalas."
Valion erinnerte sich schließlich an Toradan, dessen Schwester Tírneth Imrahils Sohn Elphir geheiratet hatte. Ihm fiel wieder ein, dass er Golasgils Sohn schon bei ihrem ersten Zusammentreffen im Rahmen der Hochzeit Tírneths und Elphirs recht unausstehlich gefunden hatte. Diese Erinnerung trug nicht gerade dazu bei, Valions Laune zu heben.
"Dürfte ich den Grund für Euer Eintreffen erfahren? Mir scheint, als kämt ihr mit einem wichtigen Auftrag an meine bescheidenen Gestade."
"Nicht wirklich," warf Valion ein und betrachtete mit demonstrativem Desinteresse die Finger seiner rechten Hand, ehe er Toradan fixierte. "Wir sind wegen einer Familienangelegenheit hier. Meine Schwester und ich haben unsere zukünftigen Ehepartner mitgebracht, um sie unserer Mutter vorzustellen."
"Und deshalb werden wir nach Nan Faerrim gehen," ergänzte Valirë.
"Nan Faerrim?" wiederholte Toradan, eine misstrauische Miene machend. Doch so rasch wie der Gesichtsausdruck gekommen war, war er auch schon wieder verschwunden. "Nun, ich werde euch  gewiss dabei nicht aufhalten. Doch ebensowenig werde ich es mir nehmen lassen, euch alle heute Abend in meiner Burg zu beherbergen, zur Feier eurer beider Verlobungen."
"Das ist wirklich nicht notwendig," versuchte Erchirion nach einem raschen Blickwechsel mit Valirë abzulehnen.
"Ich insistiere," gab Toradan fröhlich zurück.
"Ja, wenn du insistierst..." Valion hob die Schultern. "Also gut. Aber nur für eine Nacht."

Toradan stattete sie mit Pferden aus, auf deren Rücken sie die wenigen Meilen bis nach Maerost zurücklegten, nachdem sie sich von Kapitän Veantur verabschiedet hatten. Die Súlrohír kehrte nach Dol Amroth zurück, denn dort gab es genügend Arbeit, die auf die fleißige Mannschaft wartete.
"Ist dir aufgefallen, dass der Hafen nahezu ausschließlich von Soldaten bevölkert ist?" raunte Valirë ihrem Bruder zu, als sie Toradan entlang der gut ausgebauten, mit breiten Steinen gepflasterten Straße nach Norden folgten.
"Die meisten Stadtbewohner sind schon seit Jahren nach Maerost gezogen," antwortete Valion. "Wegen der Bedrohung durch die Korsaren. Ich frage mich zwar auch, weshalb die Herren von Anfalas sich dazu entschlossen haben, eine ganz neue Burg im Landesinneren zu bauen, anstatt ihren existierenden Hafen mit besseren Verteidigungsanlagen zu versehen, aber diese Entscheidung wurde schon vor vielen Jahrzehnten getroffen. Und die einfachen Leute sind ihren Herren mit der Zeit eben gefolgt, und haben sich vor den Mauern der Burg angesiedelt."
"Ich weiß, wie Maerost entstanden ist, du Idiot," zischte Valirë. "Aber ich weiß ebenfalls, dass selbst zu unseren Lebzeiten noch nicht alle Bewohner Revaillonds den Hafen verlassen hatten. Erinnerst du dich nicht mehr an unsere erste Reise in Mutters Heimat? Damals haben wir mit den Straßenkindern am Hafen Fangen gespielt."
Valion nickte, als er sich die Erinnerung ins Gedächtnis rief. Die Zwillinge waren damals acht Jahre alt gewesen. Valire hatte recht: Damals hatten in der Hafenstadt normale Stadtbewohner gelebt, und auch bei allen weiteren Besuchen in Anfalas war das ebenso gewesen. "Merkwürdig," murmelte er. "Dabei sind die Korsaren doch schon seit vielen Monaten keine Bedrohung mehr."
"Eben. Ich sag' dir, das ist irgendetwas faul. Ich hab ein mieses Gefühl bei der Sache."
"Denkst du, unser guter Freund Toradan hat etwas damit zu tun?"
"Ich denke, wir sollten vorsichtig sein. Die Gerüchte, die Fürst Imrahil aus dem Westen gehört hat, könnten sich als gefährlicher herausstellen, als wir erwartet haben."
"Halten wir einfach die Augen offen," entschied Valion.

Maerost tauchte am Horizont vor ihnen auf. Die Burg stand auf einer künstlichen Anhöhe, die die Baumeister Gondors im Auftrag der Herren von Anfalas inmitten der grünen Ebenen von Anfalas aufgetürmt hatten. Die Mauern und Türme waren aus dem hellgrauen Stein der Felsen erbaut, die sich im Norden des Lehens an der Grenze zu den Pinnath Gelin fanden. An die hohen Mauern der Zentralburg drängten sich viele kleinere Häuser nach gondorischer Bauart, sodass der ganze künstliche Hügel von einer mit blauen Ziegeln bedeckten Stadt umgeben war. Eine kleinere, niedrigere Mauer umschloss die Stadt. Die Burg selbst besaß fünf hohe Türme, von denen der zentrale der höchste und stärkste war. Dies war der Sitz Golasgils, des Herrn von Anfalas. Maerost hatte niemals eine Belagerung erdulden müssen, doch wenn es dazu kommen würde, würde die Burg es den Angreifern nicht leicht machen. Die Tore waren mit Eisen verstärkt und wiesen stählerne Fallgatter auf, die in Friedenszeiten offen standen. Als Toradan ans südliche Stadttor ritt, wurden die Gatter rasch hochgekurbelt und die Gruppe folgte Golasgils Sohn in die Enge der Stadt.
Selbst in den geschäftigen Straßen Dol Amroths hatte Valion selten so viele Menschen auf einem Haufen gesehen. Die Menge erinnerte ihn an Umbar, wo kein Tag vergangen war, an dem er sich nicht den Weg durch die Menschenmassen hatte freimachen müssen. Und auch jetzt hatten es die Pferde, auf denen sie ritten, nicht leicht, die Hauptstraße entlang zu kommen. Eine halbe Stunde verging, bis sie endlich das große Tor der Burg erreichten und im Innenhof absaßen.
"Ziemlich viel los hier," merkte Valion an.
"Nun, die Sicherheit dieser Stadt lockt in diesen schwierigen Zeiten nun einmal viele Menschen an," erwiderte Toradan. "Doch wir in Anfalas schicken sie nicht fort. Von uns erhalten sie Schutz und Frieden."
Der Blick, den seine Schwester Valion zuwarf, sprach eine allzu deutliche Sprache: Ich traue seinen freundlichen Worten nicht. Der führt doch etwas im Schilde. Valion nickte nahezu unmerklich, denn auch er war sich nicht sicher, was wirklich in Maerost vor sich ging. Anfalas war ein großes, weites Land, das an vielen Stellen wild und leer war. Genug Platz für viele Menschen. Und dennoch waren sie nun alle hier, auf engstem Raum versammelt. Weshalb? Er fand keine Antwort darauf.
"Kommt. Meine Diener bereiten das Festmahl zu. Ich werde dafür sorgen, dass man euch angemessene Unterkünfte bereitstellt," sagte Toradan und führte die Gruppe zum Bergfried.
Wenige Zeit später fanden sie sich im großen Saal Golasgils wieder. Eine merkwürdige Stimmung lag in der Luft, wie Valion fand. Die Zwillinge waren schweigsam und aufmerksam, auf der Suche nach Anzeichen für Ärger. Toradan, der am Kopfende des großen Tisches im Stuhl seines Vaters saß, schien sich prächtig zu amüsieren. Erchirion und Lóminîth schienen beschlossen zu haben, als vollendete Gäste aufzutreten und unterhielten sich mit höflichem Interesse mit dem Gastgeber und dessen Gefolge, das aus Offizieren, dem Burgvogt und einigen weiteren, höher gestellten Bediensteten bestand.
Vielleicht ist er ja tatsächlich einfach nur ein aufgeblasener Wichtigtuer, dachte Valion, während er sich mehr und mehr dem Abendessen widmete. Offenbar hatte Toradan bei der Auswahl der Speisen keine Kosten gescheut, denn sie waren exzellent. Ich frage mich, ob unser Aufhalt in Umbar uns einfach etwas paranoid gemacht hat, und wir deshalb jetzt hinter jedem seltsamen Ereignis oder Verhalten eine Verschwörung sehen. Oder vielleicht ist auch Edrahil daran schuld, der alte Schattenschleicher.
Valirë schien es ähnlich zu gehen, denn sie wirkte inzwischen deutlich weniger angespannt und warf Toradan nicht mehr ständig misstrauische Blicke zu. Stattdessen hatte sie Erchirions Hand in ihre genommen und spielte verliebt mit den Fingern des Prinzen, was Valion ein frustriertes Seufzen entlockte. Ich glaube, ich werde Frauen niemals verstehen, dachte er.
Ein Blick auf seine Verlobte, die ihn wütend anblickte, bestätigte seinen Gedanken - und machte ihm klar, dass er offenbar laut gedacht hatte...
« Letzte Änderung: 17. Okt 2017, 07:00 von Fine »
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Lóminîths Einschätzung
« Antwort #5 am: 20. Okt 2017, 14:59 »
Der Rest des Abends verlief ähnlich unangenehm für Valion. Toradan besaß die anstrengende Angewohnheit, unermüdlich von sich und seinen Taten zu erzählen, wobei Valion sich fragte, wieviele der Geschichten, die Golasgils Sohn von sich gab, wirklich wahr waren. Toradan war in Valions Alter, hatte aber nicht wie sein Vater in den Schlachten des Ringkriegs gekämpft, sondern das Lehen von Anfalas beaufsichtigt. Immer wieder betonte ihr Gastgeber, wie großzügig er und seine Leute doch waren, indem sie den Flüchtlingen aus den eroberten Gebieten Gondors Schutz und Zuflucht boten. Außerdem schien er sich der Wichtigkeit, die die Nahrungslieferungen aus Anfalas und den Pinnath Gelin nach Dol Amroth und an die Front besaßen, nur allzu bewusst zu sein, und wurde nicht müde, darauf hinzuweisen, dass er einen ebenso großen Teil zur Verteidigung des Reiches von Gondor beitrage, wie jene, die es mit Schwert und Schild schützten. Valion konnte darüber nur still den Kopf schütteln. Golasgils Sohn mochte sich in eine prunkvolle Rüstung hüllen, doch er war kein Kämpfer. Er verwendete stolze und ausschweifende Worte, doch es steckten keine echten tapferen Taten dahinter. Valion war froh, als das Abendessen endlich für beendet erklärt wurde und man den Gästen ihre Unterkünfte zeigte.

Valion legte sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf das große Bett, das inmitten des Zimmers stand, das man Lóminîth und ihm zur Verfügung gestellt hatte. Durch das offen stehende Fenster drangen kühle Luft und einige wenige Mondstrahlen herein. Der Mond selbst war nicht mehr als eine hauchdünne Sichel, die sich knapp über den fernen Hügeln der Pinnath Gelin erhob.
Lóminîth, die in dem kleinen Raum auf- und abgegangen war und dabei eine nachdenkliche Miene gemacht hatte, blieb schließlich stehen und brach das Schweigen. “Ich denke, er stellt keine Bedrohung dar.”
“Wer?” fragte Valion, auch wenn er sich die Antwort denken konnte.
“Der Herr dieser Burg. Toradan. Ich habe sorgfältig über sein Auftreten und seine Worte nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass wir von ihm keinen Verrat befürchten müssen.”
“Und wie begründest du diese Aussage?”
“Ich kenne Männer wie ihn. Auch in Umbar gab es sie zuhauf. Du musst wissen; es gab zwei Wege, sich die Gunst des herrschenden Fürsten von Umbar zu sichern. Man konnte ein erfolgreicher Korsar sein, und die Küsten Gondors und anderer Reiche überfallen. Die Beute und die Sklaven, die man davon zurückbrachte, führten zu Ruhm und Wohlstand. Und beides wiederum führt zu Einfluss. Dies ist der Weg, den du wählen würdest, Valion. Du würdest dein Schwert sprechen lassen.”
“Ich würde die Küsten Gondors sicherlich nicht überfallen,” warf Valion ein, doch seine Verlobte brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen, ehe sie fortfuhr.
“Es gab jedoch auch jene, die sich eher auf ihren Namen und ihren Reichtum verließen, um an Einfluss zu gelangen. Söhne uralter Adelshäuser oder neureiche Kaufleute und Händler. Auch sie gelangten immer wieder in den inneren Kreis der Berater des Fürsten und stiegen in wichtige Positionen innerhalb der Gesellschaft Umbars auf. Ohne dass sie jemals auch nur einen Fuß auf eines der Schiffe der Schwarzen Flotte gesetzt hätten.”
“Hinterhältige Bastarde.”
“Einige von ihnen, ja. Aber nicht alle. Toradan ist der einzige Sohn Golasgils, es gibt also niemanden, der ihm sein Erbe streitig machen kann. Er ist kein Krieger, aber ein guter Verwalter - zumindest in den Augen seines Hofstaates. Das einfache Volk mag das wohl anders sehen. In Umbar war das ähnlich, wie du selbst mitbekommen hast. Jedenfalls denke ich, dass unser freundlicher Gastgeber selbstgefällig ist, aber nicht gefährlich.”
“Noch kann er sich das erlauben, doch was denkst du, wird er tun, wenn der Krieg eines Tages an seine Haustür klopft? Es muss in seinem besten Interesse liegen, Dol Amroth und die Front im Osten zu unterstützen, damit der Frieden, der hier im tiefen Westen Gondors herrscht, ihm weiterhin erhalten bleibt,” überlegte Valion.
“Ich bin mir nicht sicher, ob ihm das vollständig bewusst ist,” meinte Lóminîth und setzte sich auf die Kante des Bettes. “Nun, vielleicht ist es auch nicht wichtig. Morgen werden wir diese Burg hinter uns lassen, und unseren Gastgeber ebenfalls.”

Ein Geräusch am Fenster ließ sie aufschrecken, doch es war nur Valirë, die wie selbstverständlich hineingeklettert kam, obwohl das Zimmer Lóminîths und Valions in den oberen Ebenen des Bergfriedes von Maerost gelegen war. Das Ende eines starken Seils war durchs Fenster zu sehen. Offensichtlich war Valions Zwillingsschwester daran hinabgeklettert.
“Ich sag’ euch, hier ist eindeutig etwas faul,” sagte sie. “Ist euch aufgefallen, dass eine ganz bedrückte Stimmung unter den Dienern hier in der Burg geherrscht hat? Als gäbe es da etwas, das Toradan uns verheimlicht. Er will uns vorgaukeln, dass in Anfalas alles in Ordnung ist, aber mein Gefühl sagt mir, dass da mehr dahintersteckt.”
“Welches Gefühl?” fragte Valion. “Wie kannst du dir sicher sein, dass Toradan etwas verbirgt?”
“Ich weiß es einfach,” antwortete Valirë und blinzelte. “Die Lage hier fühlt sich nicht richtig an. Denkt ihr, wir sollten noch ein paar Tage länger in Maerost bleiben, und der Sache auf den Grund gehen?”
Valion und Lóminîth schüttelten beide gleichzeitig den Kopf, und Lóminîth sagte: “Nein, Valirë. Deine Mutter erwartet uns in Nan Faerrim. Bis dorthin ist es ein Ritt von drei Tagen nicht wahr? Ich sage, wir sollten keine Zeit verlieren.”
“Drei Tage, richtig,” bestätigte Valion. “Wir verschwinden morgen früh von hier, Schwester. Ein Abend mit Toradan und seinem Gefolge reicht mir für die nächsten Jahre vollends aus.”
Valirë blieb einen Augenblick unschlüssig neben dem Bett stehen, ehe sie schließlich nickte. “Also gut. Aber wenn sich mein Gefühl trotzdem als wahr erweist, habe ich bei euch beiden etwas gut.”
Ehe Valion protestieren konnte, riss seine Zwillingsschwester die Türe des kleinen Raumes auf und stürmte hinaus.
“Es geht selten gut aus, wenn Valirë etwas bei dir gut hat,” erklärte Valion seiner Verlobten mit einem schwachen Lächeln.

Am Tag darauf verließen sie Maerost durch das West-Tor der Stadt. Toradan hatte sie erneut mit Pferden ausgestattet und ihnen eine fünf Mann starke Eskorte mitgegeben, die unter dem Banner Haus Faerhírs von Anfalas ritten. Die gut ausgebaute Straße, die einige Meilen im Landesinnern relativ parallel zur Küste verlief, sorgte dafür, dass sie rasch voran kamen. Die Landschaft, durch die sie kamen, veränderte sich nur wenig. Zur Linken lag der schier endlose, goldgelbe Strand, der dem Land seinen Namen gegeben hatte, gesäumt von den hellblauen Wassern der Bucht von Belfalas. Zur Rechten ragten die fernen Pinnath Gelin grün schimmernd auf. Und vor ihnen tauchte nach einiger Zeit der südwestliche Abschnitt des Weißen Gebirges auf, das hier einen langen Arm in Richtung der Landzunge von Andrast ausstreckte, die den südwestlichsten Punkt von Gondor und Anfalas markierte. Das Tal von Nan Faerrim, das am Fuße dieses Gebirgszugs lag, war nun nicht mehr weit.


Valion, Valirë, Lóminîth und Erchirion nach Nan Faerrim
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Regeln, die man brechen muss
« Antwort #6 am: 7. Mär 2018, 12:01 »
Valion, Valirë, Erchirion und Lóminîth von den Pinnath Gelin


Der gut ausgebaute Straße von Arandol in Richtung Westen war die Reisegruppe einige Zeit entlang des Südrandes des Weißen Gebirges gefolgt, bis sie nach einer Tagesreise an eine Wegkreuzung gekommen waren, an der eine aus Süden kommende Straße nach Anfalas endete. Diesem Weg folgend hatten sie das Hügelland der Pinnath Gelin am Tag darauf hinter sich gelassen und waren in südwestlicher Richtung entlang der Straße gereist, noch immer in Begleitung der Soldaten, die ihnen Herrin Nengwen mitgegeben hatte.

Während die nur von vereinzelten Bäumen bewachsene grüne Landschaft des nördlichen Teils von Anfalas langsam an Valion vorbeizog, dachte er darüber nach, wie seine Reise in den Westen Gondors verlaufen war. Er stand nun nur wenige Tage vor der erneuten Rückkehr nach Dol Amroth und erneut hatte er einen Auftrag des Fürsten der Schwanenstadt abgeschlossen. Doch im Gegensatz zu seiner heldenhaften Rückkehr aus Umbar konnte er diesmal keine vergleichbaren Ergebnisse vorweise. Ja, der Anführer der Separatisten war tot, doch war Maegond lange genug an der Macht gewesen, um die Stimmung in West-Gondor nachhaltig zu beeinflussen. Viele hatten seinen Worten Glauben geschenkt und hielten die Prinzen von Dol Amroth für torhaft und arrogant. Die Probleme, mit denen Herrin Nengwen sich nun in ihrem Amt als Herrscherin der Pinnath Gelin befassten musste, hatten gerade erst begonnen. Darüber hinaus musste sich Valion bei seiner Rückkehr in Dol Amroth mit den Umständen von Maegonds Tod befassen und hatte dafür zu sorgen, dass man seine Verlobte nicht hinrichtete und sie ihre Stellung am Hofe behalten konnte.
Lóminîth, die neben ihm ritt, wirkte ebenfalls nachdenklich. Sie hatte seit dem Aufbruch von Arandol kaum ein Wort gesprochen und hatte abends darauf bestanden, ein Zelt für sich allein zu bekommen. Valion, der kein Problem damit hatte, draußen zu schlafen, hatte ihr diesen Wunsch gewährt, sich jedoch gewundert. Dieses Verhalten sah Lóminîth nicht ähnlich. Normalerweise suchte sie abends, in einer privaten Umgebung eher körperliche Nähe als Abstand.
Die Straße vor ihnen überquerte einen sanften Hügel, und als sie dessen Spitze erreicht hatten, kam am dahinter liegenden Horizont das ferne blaue Band des Meeres in Sicht. Sie hatten sich dazu entschieden, in einem kleineren Hafen etwas weiter östlich von Revaillond, dem Haupthafen von Anfalas, an Bord eines der Schiffe zu gehen, die dort vor Anker lagen. Keiner von ihnen hatte große Lust darauf, sich noch einmal mit Golasgils Sohn Toradan zu befassen, auch wenn sie sich inzwischen sicher waren, dass der großspurige Jüngling wohl kaum etwas mit den Separatisten zu tun haben könnte.
„Alles in Ordnung?“ fragte Valion seine Verlobte, die ihn mit einem schwer zu deutenden Blick bedachte.
„Ich bin mir nicht sicher, wie der Fürst von Dol Amroth auf all dies reagieren wird,“ antwortete Lóminîth nach einer längeren Pause. „Ich dachte, ich hätte mittlerweile verstanden, wie die Herrschaftsstrukturen in Gondor funktionieren. Aber diese unbedingte Festhalten an Regeln und Gesetzen, bis hin zur Lächerlichkeit, überrascht mich nun doch.“
„Ich dachte einst auch, dass Regeln nur dazu da sind, damit man sie bricht,“ erwiderte Valion. „Doch inzwischen glaube ich, dass die meisten Gesetze dieses Landes nur zu unserem Besten sind. Ich habe gesehen, wie es im Umbar zugeht. Dort würde ein Mord an einer hochgestellten Persönlichkeit vermutlich keine so großen Wellen schlagen wie hier.“
„Das kommt ganz auf die Umstände an,“ sagte Lóminîth.
„Und von welchen Umständen reden wir hier?“ Valion sah ihr direkt in die Augen als er fortfuhr: „Hast du Maegond vorsätzlich erstochen? Oder war es wirklich Notwehr?“
Lóminîth hielt seinem Blick stand. Sie verzog keine Miene als sie antwortete: „Die Antwort darauf kennst du ganz genau. Ich habe eine Möglichkeit gesehen und sie genutzt, und die Bedrohung für Gondor mit einem Schlag beseitigt.“
Valion nickte, auch wenn ihm dabei das Herz ein wenig schwerer wurde. Diese Antwort hatte er erwartet, und doch gleichzeitig auch gefürchtet. „Ich verstehe,“ sagte er leise. „Du hast getan, was getan werden musste, schätze ich.“
„Ganz genau. Wieso fällt es euch Gondorern nur so schwer, das einzusehen?“
Weil wir keine Diener des Schwarzen Landes sind, wollte Valion schon antworten, doch er beherrschte sich und sagte stattdessen nichts.
„Ich hoffe, die Wogen in Dol Amroth bald glätten zu können. Ich habe mir bereits einen Plan für meine Rückkehr an den Hofe des Fürsten gemacht. Ich werde einige Gefallen einfordern müssen, wobei mir meine Mädchen sehr von Nutzen sein werden,“ fuhr Lóminîth fort. „Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen. Ich werde zurechtkommen... so wie ich immer zurechtgekommen bin.“
„Ich schätze, das wirst du,“ antwortete Valion.

Nur wenigen Minuten nach diesem Gespräch geschah etwas, das die Monotonie der Reise durch das friedliche Anfalas jäh durchbrach. Valirë war die Erste, die es bemerkte, und rasch alarmierte sie den Rest der Reisegruppe.
„Seht doch, dort im Osten steigt Rauch auf!“
Alle blickten sie in die gezeigte Richtung, linker Hand zu ihrer Reiserichtung entlang der Straße durch Anfalas. Tatsächlich hing dort eine dichte Rauchwolke über dem Flachland, deren Ursprung weniger als eine Meile entfernt zu liegen schien.
„Es kommt von einem kleinen Dorf, wenn mich meine Augen nicht täuschen,“ sagte Erchirion. „Reiten wir hinüber und sehen es uns an.“
Der Kommandant der Soldaten aus Arandol schien nicht besonders glücklich darüber zu sein, dass sie den geplanten Weg verließen, denn technisch gesehen waren Valion und Lóminîth seine „Gefangenen“. Doch er widersetzte sich nicht, denn das Wort des Prinzen von Dol Amroth wog schwer genug, um seine Einwände zu überstimmen. Und so lenkten sie alle ihre Pferde von der Straße ab und preschten rasch über die flache Ebene auf das Dorf zu.
Die Brände, die dort gelegt worden waren, waren bereits am Ersterben, als Valion die vordersten Häuser erreichte. Der Rauch hatte nachgelassen und das Ausmaß der Verwüstung war sichtbar geworden. Mehrere erschlagene Gondorer lagen zwischen den Ruinen des Dorfes verstreut, doch es gab auch einige Überlebende, die nun zwischen den schwer beschädigten Häusern hervorkamen, als sie die Soldaten sahen.
„Was ist hier geschehen? Wer hat dies angerichtet?“ wollte Erchirion von ihnen wissen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ihnen jemand diese Fragen beantworten konnte, denn viele der Überlebenden standen noch unter Schock. Es war schließlich eine ältere Frau, die Erchirion erzählte, was geschehen war.
„Es waren Männer, die weder Banner noch Insignien mit sich führten,“ sagte sie. „Sie kamen vor weniger als zwei Stunden in unser Dorf und griffen ohne Vorwarnung an. Dabei riefen sie immer wieder, dass uns die Prinzen von Dol Amroth nicht retten könnten und dass Gondor dem Widerstand gegen Mordor aufgeben müsse. Ich verstehe einfach nicht, wieso sie das getan haben.“
Valion trat hinzu. „Wer war ihr Anführer? Könnt Ihr ihn beschreiben?“
Die Frau dachte einen Moment nach, ehe sie antwortete. „Er war jung, hatte dunkles Haar und führte einen großen Bogen mit sich.“
Das bestätigte Valions Verdacht. „Das muss Gilvorn sein. Dieser Verräter ist ganz in der Nähe, weit kann er noch nicht gekommen sein.“
„Sie ritten nach Nordosten davon, nur wenige Minuten vor Eurer Ankunft.“
„Wir können sie noch einholen! Lasst uns rasch die Pferde satteln, und...“
„Warte, Valion. Diese Menschen brauchen unsere Hilfe,“ antwortete Erchirion. „Außerdem stehst du unter Arrest, bis die Angelegenheit mit deiner Verlobten geklärt ist. Ich verstehe, dass du Rache willst, aber...“
„Erchirion, das ist doch Wahnsinn. Wir haben die einmalige Gelegenheit, den Bastard der meinen Großvater ermordet hat und beinahe einen Aufstand gegen Dol Amroth ausgelöst hat, zu stoppen, und du willst mir sagen, dass ich abwarten und nichts tun soll?“
„Du kannst nicht einfach davonreiten als würden die Gesetze Gondors für dich nicht gelten. Wir werden Gilvorn aufhalten, aber nicht hier und heute. Bis mein Vater sich nicht mit der Angelegenheit befasst hat, sind uns die Hände gebunden, so Leid es mir tut.“
Valion konnte es nicht fassen. Er ließ Erchirion stehen und kehrte zu seinem Pferd zurück, das nur wenige Meter entfernt stand. Valirë und Lóminîth, die alles mitangehört hatten, blickten ihn erwartungsvoll an.
„Du weißt, was du zu tun hast, kleiner Bruder,“ sagte Valirë. „Geh und schnapp dir den Bastard. Ich will seinen Kopf.“
„Wir halten dir in Dol Amroth den Rücken frei,“ fügte Lóminîth hinzu. Es kam nur selten vor, dass Valions Verlobte einer Meinung mit seiner Zwillingsschwester war, doch in diesem Augenblick hatten sie beide dieselbe entschlossene Miene im Gesicht. „Einige Gesetze müssen gebrochen werden, für das Wohl des Volkes. Gib auf dich acht, und bleib nicht zu lange fort! Ich werde deine Rückkehr in der Schwanenstadt erwarten.“
Sie gab ihm einen raschen Kuss. Und da hatte er seine Entscheidungen getroffen.

Valion schwang sich in den Sattel, ehe die Soldaten ihn aufhalten konnten, denn die meisten von ihnen waren damit beschäftigt, den Verletzten unter den Überlebenden zu helfen. Er ritt an den Nordrand des Dorfes.
„Wenn du jetzt gehst, bist du ein gejagter Mann,“ erklang Erchirions Stimme hinter ihm. Valion blickte über die Schulter zurück und sah den Prinzen, der in einiger Entfernung dort stand und ihn streng musterte.
„Ich habe es schon immer nicht so genau mit den Spielregeln genommen,“ gab Valion zurück und schenkte Erchirion ein schiefes Lächeln. „Richte deinem Vater meine besten Grüße aus. Ich werde meinen Auftrag zu Ende bringen, und Gondor retten.“
„Wir werden sehen, wie du bei deiner Rückkehr empfangen wirst, doch ich fürchte, es wird als gesuchter Verbrecher in Ketten sein,“ antwortete Erchirion.
„Du sagst es, alter Freund. Wir werden es sehen.“
Damit richtete Valion sich im Sattel auf und sein Pferd preschte vorwärts, in einen Galopp verfallend. Die Spur war frisch und im flachen Gras der Ebene kaum zu übersehen. Sie führte in einer geraden Linie nach Nordosten, in Richtung der an Anfalas angrenzenden Lehen im zentralen Teil Gondors.


Valion ins Schwarzgrundtal
« Letzte Änderung: 22. Mär 2018, 15:46 von Fine »
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