Hilgorn saß gerade mit Faniel bei einem recht späten Frühstück, als Belegorn in den Raum trat, und sich artig verbeugte. "Mutter, Onkel - da ist jemand an der Tür."
Hilgorn warf Faniel einen über das Verhalten seines Neffen verwunderten Blick zu, und sie zwinkerte ihm verstohlen zu und formte stumm das Wort
Später. Dann fragte sie an ihren Sohn gewandt: "Hat derjenige dir auch seinen Namen gesagt?"
Belegorn biss sich auf die Lippen, und erwiderte dann langsam: "Das war... Valion vom... vom Ethir glaube ich. Und... eine Frau. Irgendetwas mit A."
"Das wirst du noch ein bisschen üben müssen, fürchte ich", meinte Faniel mit erhobenen Augenbrauen. "Führ sie bitte herein."
Sobald Belegorn den Raum verlassen hatte, erklärte sie: "Belegorn wünscht sich, als Page an den Hof des Fürsten zu gehen. Und meine Bedingung war, dass er zuerst für ein paar Wochen versucht, sich hier entsprechend zu benehmen."
Hilgorn nickte ein wenig abwesend, denn seine Gedanken waren im Augenblick eher auf Valion gerichtet. Was konnte er hier wollen?
Bevor Hilgorn weiter darüber nachgrübeln konnte, trat Valion auch schon in das kleine Esszimmer hinein, gefolgt von einer ganz in Leder gekleideten, schwarzhaarigen Frau. Hilgorn stand auf, und auch Faniel erhob sich, allerdings sichtlich mit ein wenig Mühe.
"Ich hatte gehört, dass man euch aus dem Kerker entlassen hat", sagte Valion direkt an Hilgorn gerichtet. "Also konnte euch die Herrin Mithrellas von diesem... Zauber heilen?" Valions graue Augen betrachteten Hilgorn mit Neugierde, und gleichzeitig einem Hauch Kälte.
Hilgorn zuckte mit den Schultern. "Ich nehme es an. Doch wir bräuchten vermutlich einen Zauberer, um das mit Sicherheit sagen zu können."
"Hm", machte Valion unbestimmt. "Nun, eigentlich sind wir nicht deswegen gekommen, sondern euretwegen." Die letzten Worte hatte er an Faniel gerichtet, die überrascht wirkte.
Valions Begleiterin trat ein wenig vor, und sagte: "Mein Name ist Areneth, aus dem Haus Maratar. Meine Familie stammt ursprünglich aus Arnor, doch einige meines Hauses sind vor fast dreihundert Jahren nach Süden gekommen."
"Meine Vorfahren stammen aus Arnor", sagte Faniel langsam, und machte dann eine einladende Geste. "Bitte, setzt euch. Es gibt keinen Grund, im Stehen zu sprechen."
Valion und Areneth ließen sich nebeneinander auf den zwei freien Stühlen nieder, und auch Hilgorn und Faniel setzten sich wieder - letztere mit sichtbarer Erleichterung.
"Wir hatten herausgefunden, dass ein Mann namens Glórin aus dem Haus Maratar nach Gondor gekommen war, und ein Lehen im Tal Tum-en-Dín erhalten hatte - eurer Heimat, Hilgorn", erklärte Valion weiter. "Deswegen wären wir ohnehin gekommen, doch gestern Abend erfuhr ich zufällig, dass es sich bei der letzten Nachfahrin dieses Glórin ausgerechnet um eure Frau handelt."
Faniel nickte. "Glórin der Begünstigte wurde er genannt, nachdem er Tugobel erhalten hatte. Ich wusste nicht, dass ich Verwandte in Arnor habe - es hieß, Glórin wäre der einzig Überlebende seines Hauses gewesen."
"Das glaubte er, sonst wäre er vermutlich nach dem Fall von Gilgroth nicht nach Gondor geflüchtet", erwiderte Areneth, und lächelte. "Nach dem was mein Bruder mir erzählt hat, habt ihr dort oben nicht wenig Verwandtschaft." Auf Faniels fragenden Blick hin fügte sie hinzu: "Ich selbst bin in Gondor geboren, da mein Vater einige Zeit hier gelebt hat, und bin nur kurze Zeit in Arnor gewesen."
"Ich freue mich jedenfalls, euch kennenzulernen", meinte Faniel. "Allerdings..."
"Ist das vermutlich kein reiner Höflichkeitsbesuch, nicht wahr?", beendete Hilgorn den Satz für sie, und erntete einen strafenden Blick für seine Direktheit. Auch Valion und Areneth wechselten einen Blick, und Areneth schüttelte den Kopf.
"Gilgroth, der alte Sitz meiner - unserer - Familie, ist seit seinem Fall verschlossen. Mein Bruder und seine Freunde wollen ihn allerdings wieder in Besitz nehmen, doch sie brauchen die Schlüssel."
"Und ihr vermutet, dass Glórin einen dieser Schlüssel bei sich hatte, als er nach Gondor geflohen ist", schloss Faniel.
"Ja. Wir wissen, dass Glórin einen Schlüssel besaß."
Faniel tippte ein wenig nervös mit dem Zeigefinger auf dem Holz des Tisches herum. "Es gibt kaum Erbstücke aus der Zeit, bevor Glórin Tugobel bekommen hat. Es... Ist das der einzige Weg? Gibt es keine andere Möglichkeit?"
"Gilgroth ist keine Burg oder Festung", erklärte Areneth. "Es ist ein System aus Höhlen, das teilweise von den alten Dúnedain angelegt wurde. Der Haupteingang ist eingestürzt und unpassierbar, und so ist ein geheimer Nebeneinang der einzige Weg hinein - und um ihn zu öffnen, brauchen wir die Schlüssel."
Faniel schwieg einige Zeit, und Hilgorn legte unauffällig unter dem Tisch eine Hand auf ihr Bein. Er spürte, dass sie mit sich rang, doch er wollte sie nicht bedrängen.
Schließlich sagte sie: "Das einzige Stück von dem ich weiß, dass Glórin es aus dem Norden mitgebracht hat, ist ein Amulett, auf dem eine geflügelte Krone und darüber sieben Sterne eingraviert sind."
Areneth holte scharf Luft. "Das muss es sein. Es passt zu den anderen Schlüsseln."
"Mein Vater hat es oft getragen", erwiderte Faniel leise. "Es ist eines der wenigen Erinnerungsstücke, die ich noch an ihn habe."
Die Begeisterung schwand aus Areneths Gesicht. "Ich kann verstehen, wenn ihr es mir nicht überlassen wollt, doch..."
"Das habe ich nicht gesagt", unterbrach Faniel sie, und stand dann auf. "Begleitet mich einen Augenblick, Areneth. Bitte." Areneth folgte ihr mit einem etwas unsicheren Blick zu Valion aus dem Raum, und ließ Hilgorn und Valion allein zurück.
Als Areneth die Tür hinter sich geschlossen hatte, beugte Hilgorn sich ein wenig vor, und sagte: "Ich fürchte, bei unserer letzten Begegnung war ich nicht... in der Verfassung, euch zu danken. Also: Danke, Valion. Ich weiß nicht... was ich tun kann, um diese Schuld zu begleichen."
Valion winkte ein wenig unbehaglich ab. "Lasst uns nicht von Schuld sprechen. Außerdem... habe ich es eher für Gondor getan. Obwohl ich eure unerträgliche Steifheit sicher nicht vermisst hätte."
Er hielt Hilgorns Blick einen Augenblick stand, bevor er plötzlich grinste, und Hilgorn konnte nicht anders, als das Grinsen zu erwidern. Mit einem Mal fühlte er sich, als wäre eine unsichtbare Last von ihm abgefallen.
Valion beugte sich ein wenig über den Tisch, und sagte leise in einem verschwörerischen Tonfall: "Wir müssen dringend etwas daran ändern. Und da ich von uns beiden der höher gestellte bin - zumindest wenn mein Fürstentum nicht gerade von Mordor besetzt wäre - beschließe ich hiermit, diese unerträglichen Förmlichkeiten abzuschaffen. Kein
ihr mehr, kein
Herr mehr."
Hilgorn atmete tief durch. "Es wäre mir eine Ehre", sagte er schließlich, und Valion verdrehte die Augen. "Mit Ehre hat das nicht viel zu tun. Also, du hast sicher irgendwo einen guten Wein versteckt, nicht wahr?"
Hilgorn hob eine Augenbraue. "Um diese Tageszeit?" Valion gab einen unwilligen Laut von sich. "Ja, meine Verlobte wäre vermutlich nicht begeistert wenn ich mich schon am Vormittag betrinke."
"Und meine Frau sicherlich ebenfalls nicht."
"Hm. Als verheirateter Mann hat man es sicher nicht leicht", brummte Valion, und Hilgorn lächelte schwach. "Ich kann nicht sagen, dass ich es bereue."
Valion blickte nachdenklich vor sich hin. "Nun, in einem Monat werde ich mir selbst ein Urteil darüber bilden können." Er schien noch etwas sagen zu wollen, es sich dann aber doch anders zu überlegen. Allerdings konnte Hilgorn sich denken, dass die Aussicht auf seine Hochzeit seltsam für den berüchtigten Valion vom Ethir sein musste.
Im selben Augenblick öffnete sich die Tür, und Faniel und Areneth kamen zurück ins Zimmer.
"Ich habe mich entschieden, Areneth das Amulett zu überlassen", sagte Faniel. Valion schob seinen Stuhl zurück und erhob sich. "Hervorragend."
Areneth wirkte überaus erleichtert. "Ich fürchte, ich kann nicht länger in Dol Amroth bleiben - mein Bruder wird den Schlüssel haben wollen."
"Dann wünsche ich euch Glück für euer Vorhaben", meinte Hilgorn, und Faniel ergänzte: "Wenn ihr je wieder nach Dol Amroth kommt, seid ihr in unserem Haus jederzeit willkommen - dein Bruder und du." Areneth lächelte. "Ich werde es mir merken." Sie nickte Hilgorn zu. "Auf bald, General."
Hilgorn und Valion zum Palast des Fürsten