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Autor Thema: Anórien  (Gelesen 10106 mal)

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Anórien
« am: 28. Mai 2018, 15:05 »
Faramir, Valion, Rinheryn und Elfmar mit den Reitern von Rohan von Aldburg


Das Reiterheer, bestehend aus fünf Abteilungen, die éoreds genannt wurden, war im Schutze der Dunkelheit durch die Ostfold entlang der Straße nach Minas Tirith geritten und hatte nach mehreren Stunden schließlich die bewachte östliche Grenze Rohans erreicht. Die éored, mit der Valion und Rinya ritten, war ungefähr einhundertfünfzig Reiter stark, ähnlich wie die anderen vier Kompanien. Angeführt wurde sie von Elfmar, dem Marschall der Ostmark, einem langhaarigen, blonden Krieger in Valions Alter, dessen Bart kunstvoll geflochten war. Elfmar war ein Mann nach Valions Geschmack. Als die beiden Gondorer sich neben ihm eingereiht hatte, hatte er sie aufmerksam gemustert, dann genickt und nur gesagt: „Ihr seht aus, als könntet ihr auf euch aufpassen. Seht zu, dass ihr nicht sterbt, und tötet ein paar Orks für mich. Ihr werdet schon sehen, es ist gar nicht so schwer.“
Daraufhin hatten sie gelacht und ihm versprochen, jeder mindestens ein Dutzend Orks zu erlegen, um sich Elfmars Respekt zu verdienen. Der junge Marschall schien wenig auf Titel und Ämter zu geben. Ihm war es wichtiger, sich auf die Reiter unter seinem Kommando verlassen zu können.

Jenseits des Mering-Stromes, der Anórien von der Ostfold trennte, ließ Faramir seine Streitmacht anhalten und schickte einige berittene Späher voraus. Sie rasteten eine Stunde lang in der Finsternis. Einige der Männer nutzten die Rast für ein Nickerchen unter den dichten Bäumen des Firienwaldes, der südlich der Straße wuchs. Andere kümmerten sich um allerletzte Schlachtvorbereitungen und prüften den Sitz ihrer Sättel oder schärften die Klingen ihrer Waffen.
Rinheryn hingegen saß auf dem Rücken ihres Rosses, still und schweigsam, und starrte aufmerksam nach Osten, als würde sie auf etwas warten. Als Valion neben das Pferd trat und dem Tier gedankenverloren über den Hals strich, hörte er Duinhirs Tochter leise und tief ausatmen.
„Ich liebe diese schönen ruhigen Momente, kurz bevor der Sturm losbricht,“ sagte sie, ohne sich zu ihm umzudrehen. „Ich fühle mich immer so, als würde ich in diesen Augenblicken viel mehr wahrnehmen als sonst. Hörst du dein Herz in deiner Brust schlagen und das Blut durch deine Venen passieren? Siehst du das fahle Licht, das sich im fernen Osten am Himmelsrand andeutet? Riechst du den würzigen Geruch der alten Bäume jenseits der Straße, und spürst du die Anspannung, die von den Reitern ausgeht? Ich nehme sie alle wahr, und ich liebe es.“
„Jetzt werd‘ bloß nicht sentimental,“ meinte Valion schmunzelnd. „Sonst muss ich meine Meinung über dich doch noch ändern.“
„Was denn für eine Meinung?“ fragte sie neugierig nach.
„Ich dachte, du bist hart im Nehmen und sagst immer das, was du denkst. Direkt und vielleicht ein bisschen frech, aber das gefällt mir. Oder täusche ich mich da?“
„Ich zeige dir gleich, wie hart im Nehmen ich bin,“ hielt sie dagegen. „Die Schlacht ist nicht mehr fern. Bleib einfach in meiner Nähe, dann kannst du dir ein Bild davon machen, wie ich an meinen rohirrischen Namen gekommen bin.“
„Na, da bin ich mal gespannt,“ sagte Valion.

In diesem Moment kehrten die Späher zurück, und nur wenige Minuten später kam der Befehl zum Aufbruch. Das Reiterheer setzte sich wieder in Bewegung und nahm Formation an. Sie ließen die Straße hinter sich und bogen nach Nordwesten ab, auf die flachen, sanft in Richtung der Mündung der Entwässerung abfallenden Ebenen Anóriens. Das Land lag still und verlassen vor ihnen. Die meisten seiner Bewohner waren bereits vor dem Fall von Minas Tirith nach Rohan geflohen.
Faramirs éored ritt an der Spitze, flankiert von jeweils zwei weiteren Abteilungen, sodass das Heer nun eine breite Angriffslinie bildete. Elfmars éored war am linken Rand der Formation positioniert. Und als sie über einen flachen Hügel hinweg preschten, sahen sie ihr Ziel vor sich. Fackeln in der Finsternis, die von drei Seiten auf eine in schwaches, bläuliches Licht getauchte befestigte Stellung einrannten. Dort flatterte das rotsilberne Banner von Imladris im fahlen Sternenlicht, und die Elben unter dem Kommando ihres Anführers Calachír hielten verzweifelt die Stellung gegen eine vierfache Übermacht. Zusätzliche Streitkräfte waren aus Mordor herangezogen worden, wie Valion später erfuhr, um die vollständige Vernichtung der Elben zu gewährleisten. Und hier, in der ungeschützten Ebene, hatten die Orks ihre Beute eingekreist.
Kriegshörner wurden geblasen, und die Pferde zum Galopp angetrieben. Speere und Lanzen senkten sich zum Sturmangriff herab und Valion wünschte sich, ebenfalls eine Waffe mit größerer Reichweite erhalten zu haben. So blieb ihm nichts anderes übrig, als es Rinya gleichzutun und sein Schwert zu ziehen, als sie schon beinahe die Stellung der Elben erreicht hatten. Die Rohirrim teilten sich auf, um die Position ihrer Verbündeten an beiden Seiten zu umrunden und die Umzingelung zu brechen. Mit lautem Getöse krachten die vorderen Reihen auf die überraschten Orks südlich und nördlich der Elben.
Valions Pferd schleuderte einen Ork-Bogenschützen brutal beiseite und trampelte einen unglücklichen Krieger Mordors nieder, ehe er es zum Stehen brachte. Der Schwung des ersten Angriffes war zum Erliegen gekommen, und Valion kämpfte sowieso lieber zu Fuß. Er sprang aus dem Sattel und landete inmitten von Feinden, die sogleich auf ihn eindrangen. Also ließ er sich fallen und zog sein zweites Schwert. Nach den Füßen der Orks stechend musste er nur wenige Augenblicke warten, bis seine Feinde von heranstürmenden Reitern beiseite gefegt worden waren und er wieder auf die Beine springen konnte.

Doch mehr Orks als erwartet waren nach Anórien gekommen. Zwar war die Umkreisung der Elben verhindert worden, und Faramir gelang es, sich mit Kommandant Calachír zu treffen, doch noch immer hielten die Orks im Osten stand, wo das Gelände unwegsamer wurde und den Angriff der Rohirrim zum Stehen gebracht hatte. Beide Streitkräfte waren nun ungefähr gleich groß. Da der Morgen noch ungefähr zwei Stunden entfernt war, besaßen die Orks den Vorteil der besseren Nachtsicht; darüber hinaus kämpften die Diener Mordors für gewöhnlich nur ungern unter der Sonne, die noch lange nicht aufgegangen war. Es gab noch viele Kämpfe für Valion und Rinheryn zu bestreiten, die inzwischen Rücken an Rücken an der südlichen Front der Schlacht fochten. Beide hatten sie leichte Stichverletzungen erlitten, doch ihr Mut war ungebrochen. Die Stormhére führte ihren runden Schild wie eine zweite Waffe, die sie ihren Feinden ins Gesicht rammte und sie dann mit einem Schwerthieb erledigte. Dabei blieb sie ständig in Bewegung und wirbelte von einem Ork zum Nächsten, sodass Valion mitunter Schwierigkeiten hatte, ihr zu folgen. Während die Schlacht eine Stunde lang hin und her wogte, spürte er mehr und mehr die Strapazen der letzten Tage. Seit seinem Aufbruch aus Nan Faerrim hatte es keine wirkliche Pause für Valion gegeben. Aus Maerost waren sie in aller Eile aufgebrochen, und Valions Ritt auf Gilvorns Spuren war ebenfalls von Hastigkeit geprägt gewesen. Er ließ sich ein wenig zurückfallen, als sie den Elben gelang, eine Lücke in die Schlachtreihe der Orks wenige Meter nördlich von Valions Position zu schlagen. Die silbern glänzenden Rüstungen der Krieger von Imladris waren an vielen Stellen vom schwarzen Blut ihrer Feinde verunstaltet, doch noch immer wehte ihr Banner standhaft über den Reihen der Elben, die zwar einige Verluste erlitten hatten, ihre Feinde jedoch teuer für jede Verletzung hatten bezahlen lassen.
Nach einer kurzen Verschnaufpause kehrte Valion ins Gefecht zurück Dort fand er Rinheryn vor, die noch keinerlei Anzeichen von Ermüdung zeigte. Aus einem Schnitt, der quer über ihre Stirn lief, tropfte etwas Blut, und ihr Schild wies mehrere tiefe Kerben auf, doch der Kampfgeist von Duinhirs Tochter schien ungebrochen zu sein. Valion sprang vorwärts und köpfte einen Ork, der sich von hinten an Rinya herangeschlichen hatte. Sie nickte ihm aufmunternd zu und begann dann erneut ihr blutiges Werk. Während Valion sich ihr wieder anschloss, fragte er sich, ob die Sonne, die in ungefähr einer Stunde aufgehen würde, über ihrem Sieg oder ihrer Niederlage scheinen würde...
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Durch das Dickicht
« Antwort #1 am: 28. Jun 2018, 19:25 »
Noch ehe die letzte Stunde der Dunkelheit verstrichen war, kam Nachricht aus den hinteren Reihen, dass der Feind Verstärkung aus Osten erhalte. Verunsicherung machte sich unter den Rohirrim breit. Valion, der noch immer Rücken an Rücken mit Duinhirs Tochter kämpfte, spürte, dass dies ein entscheidender Moment war. Der Ritt Faramirs und seiner Reiter von Rohan war zur Rettung der Elbenstreitmacht geführt worden, und dieses Ziel hatten sie erreicht. Doch wenn sie diese Schlacht nicht nur überlebten, sondern den Feind schlagen konnten, wäre der erste Schritt zur Rückeroberung des von Mordor besetzten Anóriens getan, und Saurons nördliche Flanke wäre bedroht. Dies würde womöglich dazu führen, dass der Druck auf die Grenze bei Linhir nachließ...
Ehe Valion sich noch weiter darüber Gedanken machen konnte, trug man den Befehl zum geordneten Rückzug an die Einheit heran, bei der der Gondorer sich gerade aufhielt. Faramir hatte beschlossen, das Risiko nicht länger einzugehen.  Die Rohirrim und die Hochelben würden sich durch die Lücke zwischen den beiden Hügeln im Westen zurückziehen und dabei feindliche Vorstöße zurückschlagen. Der Sonnenaufgang zeichnete sich bereits am Firmament im Osten ab und das aufsteigende Licht würde dafür sorgen, dass die Orks einen Teil ihres Kampfeswillens verlieren würden.
Rinya packte Valion am Arm. „Wir können nicht mit ihnen gehen,“ stieß sie hervor, während schwarzes Orkblut von ihrem Schwert auf den von vielen Füßen zertrampelten Erdboden tropfte. „Wir haben eine Aufgabe, schon vergessen?“
Valion nickte. Sie hatte natürlich recht. Der Ausgang der Schlacht hatte nichts daran geändert, dass der Verräter Gilvorn noch immer auf freiem Fuß war und weiteres Unheil stiften konnte. Also bedeutete er der Stormhére, ihm zu folgen, und begab sich an die Stelle, wo er den rohirrischen Marschall Elfmar zuletzt gesehen hatte. Im Südosten der Front waren die Kämpfe teilweise zum Erliegen gekommen, da das flache Gelände hier in einer steilen Böschung endete, die von dichtem Gestrüpp bewachsen war. Elfmar, der noch immer beritten war, befehligte bereits den geordneten Rückzug und sorgte dafür, dass so viele Reiter wie möglich zurück in ihre Sättel steigen konnten.
„Elfmar!“ rief Valion dem Marschall zu, als er nur noch wenige Meter entfernt war.
„Was gibt es? Ist dir die Lust auf‘s Kämpfen vergangen?“
Rinya schüttelte heftig den Kopf. „Davon können wir beide nie genug bekommen.“
„Stormhére? Ich hätte dich inmitten der heftigsten Kämpfe erwartet, aber nicht hier,“ meinte Elfmar etwas verwundert.
„Du weißt doch, weshalb wir mit euch geritten sind,“ erklärte Valion. „Unser Ziel ist nicht mehr in Rohan, sondern ist unterwegs nach Osten. Ich muss ihm folgen.“
„Und ich ebenfalls,“ stellte Rinheryn klar. "Ich kann seine Taten nicht ungesühnt lassen."
Elfmar zögerte einen kurzen Augenblick, dann nickte er. „Also gut. Dann geht, und seht zu, dass ihr den Bastard diesmal auch wirklich erwischt. Zu zweit sollte es euch gelingen, zwischen den Büschen hindurch und durch die feindlichen Linien zu schlüpfen.“
„Wollen wir es hoffen. Auf bald, Elfmar,“ sagte Valion zum Abschied.
Elfmar hob die Hand zum Abschiedsgruß, dann wendete er sein Ross und trabte davon, geradezu beiläufig einen Ork mit seinem langen Speer aufspießend.

Da sich die gesamte Streitmacht der Freien Völker in Bewegung befand, richtete sich die Aufmerksamkeit der Orks mehr auf die sich zurückziehenden Reihen der Elben und Rohirrim als auf zwei einzelne Menschen, die sich mühsam bergauf durch die von Dornen besetzten Büsche nach Südosten kämpften. Zweimal entdeckte sie ein herumirrender Ork, und jedesmal war Rinyas Klinge schnell genug, um die Kreaturen zum Schweigen zu bringen, ehe der Rest von Mordors Heer auf sie aufmerksam werden konnte. Als sie schließlich zerstochen und zerkratzt das Gestrüpp hinter sich gelassen hatten, bot sich ihnen von der Spitze des bewaldeten Hügels ein hoffnungsvoller Anblick. Den Elben und Rohirrim unter dem Befehl Faramirs schien es gut gelungen zu sein, sich aus dem Kampfgeschehen zu lösen und den Rückzug nach Westen, zur Grenze Rohans anzutreten. Dennoch konnte sich Valion nicht wirklich darüber freuen. Dies war noch immer eine Niederlage im Kampf gegen Mordor, und auch wenn die Verluste aufseiten der Orks vermutlich höher waren, würde dieser Ausgang der Kämpfe nicht dafür sorgen, dass der Druck auf die Grenze Gondors bei Linhir nachließ. Valion hoffte, dass das Heer Dol Amroths den Angriffen, die zweifellos kommen würden, standhalten würde. Er fragte sich, ob Hilgorn bereits in Linhir das Kommando übernommen hatte, und ob der General die Verteidigung aufrecht erhalten konnte...

Sie eilten weiter nach Südosten, auf die im Licht der aufgehenden Sonne rötlich schimmernden Gipfel des Weißen Gebirges zu, das sich jenseits der Ebenen von Anórien vor ihnen erhob. Beide Menschen waren erschöpft und mehr als müde, doch es galt, so viel Abstand zwischen sie und das Heer Mordors zu bringen, wie nur irgend möglich war.
Am späten Vormittag knickte Rinya schließlich auf ein Knie ein. „Ich kann nicht mehr weiter, Valion,“ stieß sie angestrengt hervor. „Diese verdammte Verletzung aus dem Hargtal... ich spüre sie erneut. Es tut mir Leid, aber... für mich geht es heute nicht weiter.“
Valion nahm ihren linken Arm und legte ihn sich um die Schulter. „Komm schon, Rinya. Noch ein kleines bisschen. Siehst du das Wäldchen da drüben?“ Er deutete nach Süden, wo das Land begonnen hatte, zu den ersten Ausläufern des Gebirges hin anzusteigen. Das gesamte Gebiet war leicht bewaldet, doch direkt vor ihnen lag eine Ansammlung von dichter stehenden Bäumen. Soweit Valion erkennen konnte, handelte es sich dabei zum Großteil um Eichen, mit vereinzelten Tannen dazwischen. „Dort werden wir vor unfreundlichen Blicken besser geschützt sein als hier mitten im Freien.“
Duinhirs Tochter biss die Zähne zusammen und mühte sich vorwärts. Sie war zu erschöpft, um etwas zu sagen. Mit Valions Hilfe schleppte sie sich bis unter die vordersten Baumkronen, wo sie im weichen Laub des Spätherbstes zusammenbrach und keuchend liegenblieb.
„Bist du verletzt“? fragte Valion besorgt.
„Nein. Machst du dir etwa Sorgen um mich?" Sie brachte ein schwaches Lächeln zustande. "Es geht schon. Nichts, was etwas Schlaf nicht wieder in Ordnung bringen würde.“
Und endlich erlaubte Valion es sich selbst, seine Anspannung und Wachsamkeit aufzugeben. Entkräftet sank er neben Rinya auf den weichen Waldboden. Die Strapazen der Nacht und die Schlacht hatten ihm alle Kraftreserven abverlangt.
Für einen kurzen Augenblick schloss der die Augen und stellte sich vor, zurück in Dol Amroth zu sein und einen entspannten, sorgenfreien Nachmittag mit Lóminîth zu verbringen. Er sah sie vor sich stehen, auf einem der Balkone des Prinzenpalastes, von dem sich ein atemberaubender Ausblick über das Meer bot. Lóminîth lachte über etwas, das Valion nicht hören konnte, und ihr strahlendes Lächeln war schöner als alles, was er sich in diesem Augenblick vorstellen konnte...

Rinya zog scharf die Luft durch ihre Zähne ein, und Valion schlug die Augen auf. Er brauchte einen Augenblick, um sich zu orientieren. Die Sonne stand hoch am Himmel und ihr Licht sickerte träge zwischen den Baumkronen hindurch. Es war Mittag, oder sogar noch später. Valion musste eingeschlafen sein, ohne es recht mitbekommen zu haben. Er verfluchte sich für seine Unachtsamkeit und blickte sich hastig um. Und musste feststellen, dass sie nicht mehr alleine in dem kleinen Wäldchen waren...
Am Waldrand waren zwei Gestalten aufgetaucht. Es waren Menschen, ein Mann und eine Frau. Die Frau hielt sich im Hintergrund, ein gezogenes Schwert in der Hand, während der Mann bedrohlich näher kam. Er war in grün und in Grautöne gekleidet und trug einen langen Umhang mit Kapuze. Bewaffnet war er mit einem Langschwert und einem Bogen, den er schussbereit hielt. Auf die Sehne hatte er einen Pfeil gelegt, dessen Spitze genau auf Valions Gesicht zielte.
Valion versuchte sich vorsichtig aufzurichten. Er stieß sich in eine sitzende Position hoch und hob die leeren Hände, damit die Situation nicht außer Kontrolle geriet. Rinya hätte vermutlich nach ihrem Schwert gegriffen, doch sie schien noch nicht wieder in der Lage zu sein, aus eigener Kraft aufzuspringen. Sie keuchte und mühte sich ab, doch es hatte keinen Zweck. Schon war die Frau, die feste Reisekleidung aus Leder mit hohen hellbraunen Stiefeln trug, bei ihr, und setzte ihr das Schwert an die Kehle.
Ihr Begleiter stand nun direkt vor Valion, den Bogen noch immer gespannt.
„Wer seid Ihr, und was tut Ihr hier?“ fragte er misstrauisch.
„Dasselbe könnte ich Euch fragen,“ erwiderte Valion vorsichtig. „Wir sind nicht mehr als zwei einfache Wanderer, die dieses Wäldchen für eine wohlverdiente Pause ausgewählt haben.“
„Wie einfache Wanderer seht ihr nicht aus,“ meinte der Fremde. „Ihr seid bewaffnet nach der Art Gondors und wirkt, als kämt ihr direkt aus dem Gefecht. Sprecht - habt ihr an den Kämpfen teilgenommen, die meine Schwester und ich gestern Nacht von Ferne beobachteten?“
Valion war nicht bereit, so einfach alles preiszugeben, solange er nichts über die Neuankömmlinge wusste. Gab er zu, dass Rinya und er zu Gondor gehörten, und erwiese sich der Fremde als Diener Mordors, war sich Valion sicher, dass der Mann nicht zögern würde, sie beide zu töten.
„Ich wüsste nicht, was Euch das angeht. So wie es sich anhört, habt Ihr die Schlacht, von der Ihr sprecht, nur beobachtet, anstatt einzugreifen.“
„Ich habe wichtigere Angelegenheiten, um die ich mich kümmern muss,“ erwiderte der Fremde.
„Bruder,“ mischte sich die Frau ein. „Wir haben keine Zeit dafür. Triff eine Entscheidung! Bleiben sie am Leben, oder gehen wir auf Nummer sicher?“
Da wusste Valion, dass er das Risiko eingehen musste, wenn er sich und Rinheryn retten wollte. „Wenn Ihr auf Gondors Seite steht, tätet Ihr gut daran, uns in Frieden zu lassen,“ sagte er daher. „Dies ist Rinheryn, Tochter des Duinhir vom Schwarzgrundtal. Und ich bin Valion, Herr des Ethir Anduin. Wir sind in wichtiger Mission in Anórien unterwegs.“
Mehrere Sekunden verstrichen, ohne dass eine Reaktion erfolgte. „Bruder,“ drängte die Frau erneut, und dann endlich ließ der Fremde den Bogen sinken.
„Auch wir stammen aus Gondor,“ sagte er und half Valion auf die Beine. „Unser Weg führt meine Schwester und mich zur Weißen Stadt, wo wir eine Familienangelegenheit zu klären haben. Mein Name ist Ardóneth, Sohn des Argóleth.“
„Und ich bin Areneth von Haus Maratar... seine Schwester.“ Die Art und Weise, wie Areneth das Wort Schwester aussprach, ließ Valion für einen Augenblick verwundert drein blicken. Es klang beinahe so, als wären die Geschwister noch nicht sehr lange miteinander vertraut. Vielleicht wurde sie vor Kurzem adoptiert, und es ist noch ganz neu für sie, einen Bruder zu haben, dachte er.
„Wir haben in der Schlacht mitgekämpft, doch in Wahrheit jagen wir einen Verräter, der für große Probleme in Gondor gesorgt hat. Er war von Anórien aus nach Osten unterwegs,“ erklärte Rinheryn, die langsam wieder etwas zu Atem kam.
„Nach Osten?“ überlegte Areneth. „Es mag sein, dass auch Euer Weg Euch nach Minas Tirith führen wird. Mein Bruder und ich fingen gestern Nacht einen orkischen Boten ab, der einen Brief für den Kommandant Mordors in Minas Tirith mit sich trug. Darin war von einem gewissen Gilvorn die Rede, der ein Treffen mit besagtem Kommandanten erbat.“
„Gilvorn!“ riefen Valion und Rinya gleichzeitig aus.
„Er ist derjenige, den wir jagen,“ fügte Valion rasch hinzu. „Also ist er auf dem Weg nach Minas Tirith...“
„Dann werden wir diese Ratte dort einholen,“ sagte Rinheryn entschlossen.
„In Eurem jetzigen Zustand wird Euch das wohl kaum gelingen,“ überlegte Ardóneth, der seinen Bogen inzwischen auf seinen Rücken gehängt hatte. „Ihr werdet noch ein paar Stunden Erholung benötigen. Lasst mich Euch daher einen Vorschlag machen. Legt Euch zur Ruhe, während meine Schwester über Euch wacht. Derweil werde ich ausreiten, und nach versprengten Pferden der Rohirrim Ausschau halten. Selbst eines wäre schon genug, um uns alle vier schnell nach Minas Tirith zu tragen, denn Areneth und ich brachen mit drei Pferden aus Imladris auf.“
„Wir wären Euch zu großem Dank verpflichtet,“ erwiderte Rinheryn.
„Es genügt uns, wenn Ihr uns nach der Ankunft in der Weißen Stadt dabei unterstützt, ungesehen in unser Elternhaus im vierten Ring zu gelangen,“ sagte Ardóneth. „Dort befindet sich ein für uns außerordentlich wichtiger Gegenstand, den wir um jeden Preis in Sicherheit bringen müssen.“
Valion reichte Ardóneth die Hand und sie schlugen ein. „So sei es, mein Freund. Wir helfen euch, und ihr helft uns.“
Ardóneth nickte zufrieden. „So sei es.“
« Letzte Änderung: 5. Nov 2018, 15:35 von Fine »
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Re: Anórien
« Antwort #2 am: 13. Jul 2018, 19:18 »
Nachdem sich Ardóneth noch kurz mit seiner Schwester abgesprochen hatte, sattelte er widerspenstig sein Pferd und ritt vorsichtig zurück zum Schlachtfeld. Der Geruch von Blut fuhr ihm in die Nase. Dutzende Leichen konnte er links und rechts von sich entdecken. Die Orks aus Mordor hatten erneut eine Schlacht für sich entscheiden können. Und Rohan war nun von Gondor abgeschnitten. Verzweifelt suchte der Dúnedan nach einem lebenden, reiterlosem Ross, das er mitnehmen konnte. Erst einige Zeit später entdeckte er eine Gruppe Orks, die ein Pferd in eine schnell gebaute Koppel gefangen hielten. Langsam glitt er von seinem Ross und versteckte es hinter einem großen Gebüsch, während er durch das hohe Gras der Steppe schlich. Gruzend und jubelnd standen mehrere Orks um ein größeres Feuer und feierten ihren Sieg gegen die Truppen des Lichts.
Ardóneth wusste das er gegen alle auf einmal kaum eine Chance hatte und so versuchte er sich vorsichtig zur Koppel zu schleichen,  das Pferd zu befreien und so schnell wie möglich zum Gebüsch zu fliehen. Vorsichtig schlich er über die trockenen, abgebrochenen Halme die auf dem Boden verteilt lagen. "Hoffentlich kommt dieser Menschling in Minas Tirith an." grunzte einer. "Was willst du von dem? Denen kann man nicht trauen." Ardóneth lauschte kurz dem Gespräch der Orks als er in einem Moment der Unachtsamkeit auf einen Stock trat, der mit einem lauten krachen in zwei kleinere zerbrach. Ardóneth kniff impulsiv seine Augen fest zusammen Verdammt dachte er sich und griff zu seinem Schwert.
Er wartete einen kurzen Augenblick und nutzte schließlich seine Chance als ein Reh am Lager der Orks vorbei rannte. Wie Tiere  sprangen die Orks auf und versuchten das Reh zu fangen. Ardóneth hingegen kletterte durch die Absperrung der Koppel und ging vorsichtig auf das Pferd zu. Schüchtern ging es wenige Schritte zurück doch dann blieb es schließlich stehen. Ardan schwang sich schnell auf den Rücken des Pferds und brachte es mit einem tritt in die Leistengegend zum galoppieren. Er konnte von weitem hören wie die Orks furchtbar fluchten als sie bemerkten das ihre Beute ihnen gestohlen wurde.
Erst vor dem Gebüsch ließ er das Pferd wieder traben, er band beide aneinander und beschloss den restlichen Weg zu Fuss zu gehen. Erst spät am Abend kehrte er im Lager zurück. Areneth hielt immer noch Wache, während die beiden neuen Gefährten sich ausruhten. " Ha, hast du es doch geschafft?" fragte Areneth die ihm half die Pferde an die Bäume zu binden. "Ich dachte ja nicht das du noch zurück kommst." spottete sie mit einem schelmischen Lächeln im Gesicht. " Ich musste mich ja auch um ein Orklager schleichen um das Pferd zu bekommen." verteidigte er sich. "Oh, ich dachte du ziehst einen Kampf dem schleichen vor?" warf sie ein. "Ich wollte ja nicht in Stücken zurück kommen." Ardóneth rieb sich die Hände. "Geh schlafen, ich übernehme nun. " Areneth nickte mehrmals und zog sich schließlich zurück, während Ardóneth sich an einen Baum gegenüber seinen schlafenden Gefährten lehnte.
« Letzte Änderung: 13. Jul 2018, 20:03 von Fine »
Er hat noch gezuckt weil ich ihm meine Axt in seine Nervenstränge getrieben habe.

-Gimli Gloinssohn zu Legolas, Schlacht bei Helms Klamm-

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In die Schatten
« Antwort #3 am: 16. Jul 2018, 15:09 »
Es war stockfinster, als Valion von Ardóneth geweckt wurde. „Wie spät ist es?“ murmelte der Gondorer, als er sich langsam aufsetzte und mit der Hand den Schlaf aus den Augen rieb.
„Kurz nach Mitternacht,“ antwortete der Waldläufer mit gedämpfter Stimme. „Wir sollten nicht vor Sonnenaufgang weiterreiten. Noch immer sind Orks in der Umgebung unterwegs, und nachts werden sie uns leichter bemerken, während wir kaum etwas sehen können. Ich habe bis jetzt gewacht... jetzt bist du an der Reihe.“
„Also gut,“ gab Valion sich geschlagen. Er fühlte sich einigermaßen erfrischt durch den langen, ungestörten Schlaf und starrte ein Weilchen in die Dunkelheit hinein, die unter den Bäumen ringsherum herrschte, während Ardóneth sich nun seinerseits schlafen legte. Als sich Valions Augen so gut es ging an die Finsternis gewöhnt hatten, ließ er seinen Blick über die Lagerstätte wandern, die die vier Gefährten notdürftig errichtet hatten. Rinya lag zusammengerollt in einer von Moos gefüllten Mulde, gehüllt in ihren schmutzigen Umhang und gab regelmäßige Atemgeräusche von sich. Die beiden Dúnedain hatten sich einige Meter weiter entfernt zurückgezogen. Zur Linken war hin und wieder ein Schnauben von den Pferden zu hören. Vier Tiere waren es, die unter den Bäumen angebunden waren und die dort geduldig ausharrten. Zwei von ihnen hatten sich ebenfalls hingelegt, während die anderen beiden etwas unschlüssig zwischen den Baumstämmen standen und den Waldboden nach etwas Gras absuchten.

Valion war froh, dass sie den Verräter Gilvorn nicht zu Fuß verfolgen mussten, und dass sie nun durch etwas Glück sein Ziel kannten. Minas Tirith lag noch mindestens zwei Tagesritte entfernt, doch immerhin kannte Valion sich in der weißen Stadt einigermaßen gut aus. Er wusste allerdings nicht, wie die Lage vor Ort war. Als er mit seiner Zwillingsschwester zuletzt in der Hauptstadt Gondors gewesen war, hatte sie gerade eine gewaltige Belagerung durch die Horden Mordors überstanden. Doch nach der Niederlage Gondors am Schwarzen Tor war Minas Tirith nicht lange frei geblieben. Im Frühjahr hatte es dort, wie Valion gehört hatte, einen Aufstand der Bevölkerung gegeben, die bis zu diesem Zeitpunkt mit einigen Einschränkungen ihr Leben so wie vor dem Krieg fortgesetzt hatte. Doch nun hieß es, dass Minas Tirith von den meisten Gondorern verlassen war und dass dort nun Orks und noch schlimmere Dinge ihr Unwesen trieben.

Am Waldrand knackte es, und Valion verbannte seine Gedanken an die Zukunft. Er durfte seine Wachsamkeit nicht ruhen lassen. Der Gondorer hielt den Atem an und lauschte angestrengt in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Zunächst blieb alles still, bis auf die nächtlichen Geräusche des Wäldchens, die auch zuvor schon da gewesen waren. Doch dann raschelte es auffällig laut, als würde jemand sich seinen Weg durch ein Gebüsch bahnen, und dann knackte es erneut. Und nun hörte Valion eindeutig die schweren Schritte von mit Eisen beschlagenen Stiefeln, die über den weichen Waldboden stapften. Rasch zog er sein Schwert und pirschte sich so lautlos er es vermochte in Richtung der Schritte. Er hielt den Kopf unten und kam nahe genug heran, um eine in Schatten gehüllte Silhouette zu entdecken, die sich gemächlich näherte. Anhand des Geruches, der Valion in die Nase stieg, war er sich sicher, dass es sich um einen Ork handelte. Er fluchte lautlos über das Pech, das ihn ereilt zu haben schien, und versteckte sich hinter einem breiten Baumstamm, der den wahrscheinlichsten Weg des Orks flankierte. Eine Hand auf seinen Mund gelegt, die andere fest am Griff eines seiner beiden Schwerter, so wartete er dort ab, während der Ork sich Schritt für Schritt seiner Position näherte. Und dann war die Kreatur heran und würde den Baumstamm sogleich passieren. Valion spannte seine Muskeln an, bereit, sich auf seinen Feind zu stürzen und ihn zu überraschen. Doch da hörte er, wie der Ork stehen blieb und schnüffelte. Das Geschöpf zog die nächtliche Luft durch die Nase ein und hielt inne. Eine tastende Hand legte sich auf den Baumstamm und verfehlte nur um Haaresbreite Valions Gesicht. Rasch ließ er sein Schwert los und warf es mehrere Schritte entfernt von sich. Der Ork grunzte und machte einen Schritt nach vorne, vom Baum weg. Sofort war Valion bei ihm und legte der Kreatur seinen Arm um den Hals. Mit dem linken Fuß trat der dem Ork die Beine weg, während er seinem Feind die Luft abdrückte. Die behandschuhte rechte Hand presste er auf Mund und Nase des Orks, sodass dieser ohne einen Laut erwürgt wurde. Denn Valion wusste, dass ein Ork nur selten alleine unterwegs war. Selbst ein einzelner alarmierender Schrei der Kreatur konnte binnen weniger Minuten eine ganze Horde von Saurons Geschöpfen herbeirufen. Als der Ork sich nicht mehr regte, ließ Valion seinen Gegner langsam zu Boden gleiten.

Er nahm einen tiefen Atemzug. Der Gestank des Orks hatte ihm beinahe den Verstand geraubt. Sicherheitshalber schnappte er sich sein Schwert und durchbohrte der Kreatur damit das Herz. Danach verbarg er den Kadaver unter einem Haufen Laub, um den üblen Geruch fernzuhalten.
Glücklicherweise schienen die Pferde durch die Zwischenfall nicht verschreckt geworden zu sein. Valion tätschelte ihnen beruhigend über den Hals, ehe er zu seinen Gefährten zurückkehrte.
Rinya war inzwischen erwacht und blickte wachsam in die Finsternis jenseits der Bäume, als Valion zu ihr trat.
„Was ist passiert?“ flüsterte Duinhirs Tochter, als er sich neben sie auf einen alten Baumstumpf gesetzt hatte. „Ich hatte davon geträumt, dass wir hier überfallen wurden, und als ich erwachte, glaubte ich, im Dunkeln die Gestalt eines Orks zu erkennen. Ich wusste für einen Augenblick nicht recht, ob ich noch immer träumte.“
„Da war tatsächlich ein einzelner Ork,“ antwortete Valion mit gedämpfter Stimme. „Ich hab‘ mich um ihn gekümmert... so leise es ging.“
Rinya rümpfte die Nase. „Das riecht man,“ meinte sie. „Hättest du ihn nicht aus sicherer Entfernung erstechen können?“
„Ich konnte nicht riskieren, dass er dabei brüllt,“ verteidigte Valion seine Vorhergehensweise. „Wir wissen nicht, wie viele Orks hier noch in der Umgebung unterwegs sind. Wir können nur hoffen, dass dieser eine uns nur per Zufall gefunden hat, und dass nicht noch mehr in der Nähe sind.“
„Hm,“ machte Rinheryn nachdenklich. „Ich vermute, dass sich die Überlebenden der Schlacht im freien Feld sammeln, ehe sie in Richtung der Grenze Rohans marschieren. Hätten die Rohirrim doch nur einen Sieg errungen - dann wäre Anórien jetzt vielleicht frei von Mordors Besatzung. So wird der Krieg am Mering und in der Ostfold nun wie zuvor weitergehen.“
„Und Gondors Verteidigungslinie am Gilrain wird nicht entlastet werden,“ ergänzte Valion niedergeschlagen. „Falls sie inzwischen überhaupt noch stand hält.“
„Ach komm schon, Kopf hoch. Die Soldaten Gondors geben sich nicht so leicht geschlagen, und ein Fluss wie der Gilrain lässt sich gut verteidigen,“ versuchte Rinya Valion aufzumuntern. „Ich bin mir sicher, die Heerführer in Linhir und den anderen Grenzfestungen haben alles im Griff.“
„Ich hoffe es,“ wisperte Valion. „Sonst waren all unsere Bemühungen umsonst.“
Rinheryn legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: „Na komm schon. Es bringt doch nichts, sich Dinge auszumalen, über deren Verlauf wir keinen Einfluss haben. Lass uns lieber auf das schauen, was wir verändern können. Wir haben unseren Auftrag, und wir werden ihn erfüllen. Danach können wir uns Sorgen um die östliche Verteidigungslinie machen.“
„Du hast Recht,“ pflichtete Valion ihr bei. „Wir geben nicht auf. Wir schnappen uns Gilvorn und bringen ihn zur Strecke.“
„Am liebsten würde ich ihn lebendig in die Finger bekommen und dem Truchsess in Dol Amroth vor die Füße schleudern, damit er aus diesem miesen Verräter ein Beispiel für all jene machen kann, die auch nur daran denken, Gondor die Treue zu entsagen,“ knurrte Rinheryn leise. „Er soll hängen, vom höchsten Turm der Schwanenstadt, damit alle gut sehen können, wie man in Gondor mit Verrätern umgeht.“
„Nachdem ihm der öffentliche Prozess gemacht wurde,“ ergänzte Valion, und Duinhirs Tochter nickte zustimmend.
„Ganz genau. Wir haben Gesetze in Gondor, und auf Hochverrat steht der Tod. Eidbruch in seiner schlimmsten Form erfordert nun einmal auch die höchste Strafe.“
„Ich hoffe nur, es gelingt uns, ihn aus Minas Tirith herauszuschaffen.“
„Darüber können wir uns Gedanken machen, wenn wir dort angekommen sind.“ Rinheryn erhob sich und streckte sich. „Ich übernehme den Rest der Nachtwache. Die Sonne geht in zwei Stunden auf, schätze ich. Dann sollten wir uns auf den Weg machen.“

Valion gelang es tatsächlich, die zwei verbliebenen Stunden mit einem Nickerchen zu verbringen, bis ihn der erste Sonnenstrahl weckte, der durch das Geäst über ihm drang. Die Dúnedain waren bereits wach und sattelten ihre Pferde. Es vergingen nur wenige Minuten, bis die vier Gefährten abreisefertig waren und die Rösser aus dem Wald heraus führten. Beinahe gleichzeitig schwangen sie sich auf die Rücken ihrer Pferde und ritten los.
Sie schlugen einen parallel zu den Vorgebirgen der Ered Nimrais verlaufenden Weg ein, der sie stetig ostwärts durch Anórien führte. Die gut ausgebaute Straße zu verwenden, die nördlich von ihnen von Minas Tirith nach Isengard und von dort weiter nach Arnor führte, wagten sie nicht. Sie waren sich einig, dass der Feind die Straße überwachen ließ. Zwar kamen sie dadurch etwas langsamer voran, doch Valion war sich sicher, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatten.
Eines nach dem anderen zogen die nördlichen Leuchtfeuer Gondors an ihnen vorbei. Alle waren erloschen - seit dem Ritt der Rohirrim vor mehr als drei Jahren, hatten sie nicht gebrannt. Je weiter sie nach Osten kamen, desto bedrückter wurde die Stimmung, und sie sprachen nur wenig miteinander. Das Land, das einst von freien Menschen bewohnt gewesen war, lag nun zum größten Teil verlassen vor ihnen. Auch von Orks war kaum etwas zu sehen. Und obwohl ihnen niemand begegnete, spürten sie dennoch alle, dass sie sich nun im Herrschaftsgebieten des Meisters von Mordor befanden. Eine ungute Anspannung lag in der Luft.
Sie rasteten in der nächsten Nacht in einer Mulde zwischen zwei felsigen Ausläufern des Gebirges, wo sie vor dem Wind und vor bösartigen Blicken geschützt waren. Dennoch schliefen sie alle nur wenig und hielten stets zu zweit Wacht. Obwohl sie gut vorangekommen waren, war Valion von einem Gefühl der Dringlichkeit ergriffen und hatte den Eindruck, dass sie nicht rechtzeitig in Minas Tirith eintreffen würden. Er schlief in jener Nacht unruhig und träumte von Dingen, die er nicht zuordnen konnte. Er sah einen einsamen Wanderer, der sich einer großen Meeresfestung näherte, die Schultern von Schuld schwer beladen, das Haupt von einem tiefgrünen Umhang verdeckt. In der Hand hielt er eine schartige Axt. Als der Unbekannte an das Tor der Stadt kam, konnte Valion sein Gesicht erkennen und stellte fest, dass es sein eigenes war... doch die spitzen Elbenohren, die das Antlitz einrahmten, wollten nicht dazu passen. Ehe er weiter darüber nachdenken konnte, verblasste der Traum und ließ Valion voller unbeantworteter Fragen zurück.
Am folgenden Tag trieben sie ihre Pferde noch zu größerer Eile an und legten das letzten Stück bis zur Weißen Stadt innerhalb des Tages zurück. Als die Sonne unterging, schlugen sie ihr Nachtlager in Sichtweite von Minas Tirith auf, verborgen in dichtem, hoch wachsendem Gestrüpp, das an den unteren Hängen der Berge zwischen Mindolluin und Amon Dín wuchs. Am nächsten Morgen würden sie versuchen, ins Innere der ehemaligen Hauptstadt zu gelangen.


Ardóneth, Valion, Rinheryn und Areneth nach Minas Tirith
« Letzte Änderung: 3. Aug 2018, 11:27 von Fine »
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Eandril

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Re: Anórien
« Antwort #4 am: 12. Nov 2019, 22:33 »
Narissa, Aerien, Aragorn, Gimli und Aino aus dem Drúadan-Wald

Die Sonne stand hoch am Himmel, als sich die Gruppe allmählich dem Wald näherte, der sich seit einiger Zeit als dunkle Linie am Horizont abgezeichnet hatte. Anórien war hier so flach, dass man selbst Bäume bereits auf große Distanzen sehen konnte.
Sechs Tage hatten sie für den Weg vom Drúadan-Wald bislang gebraucht, deutlich länger als Narissa lieb war. Auf der offenen Ebene Anóriens fühlte sie sich ungeschützt und beobachtet, auch wenn seit ihrer Überquerung des Anduins kein Nazgûl mehr über ihre Köpfe hinweg geflogen war. Vielleicht war ihr Plan tatsächlich aufgegangen, und Saurons Schergen erwarteten, dass sie direkt durch Gondor nach Dol Amroth fliehen würden. Dennoch, mit jedem Tag der vergangen war, war Narissa unruhiger geworden. Was, wenn Sauron an der Grenze zu Rohan eine Falle gestellt hatte, in die sie zwangsläufig tappen würden? Zeit dazu hätte er jedenfalls genug gehabt. Den ersten Tag nach dem Drúadan-Wald waren sie noch recht langsam voran gekommen, weil Aerien trotz Hilfe durch einen der geheimnisvollen Bewohner des Waldes noch nicht richtig bei Kräften gewesen war. Ihr Zustand hatte sich inzwischen deutlich gebessert, doch dafür wirkte Aragorn von Tag zu Tag schwächer und kam immer schlechter voran. Es war, als verflöge der kräftigende Effekt seiner unverhofften Befreiung immer mehr, und die Spuren seiner langen Gefangenschaft zeigten sich immer deutlicher. An den letzten Tagen hatte Narissa ihn sogar dabei beobachtet, wie er ab und an mit der Hand nach etwas unsichtbarem schlug, das vermutlich nur er spüren konnte.

"Der Firienwald", stellte Aragorn fest, die Hände in die Seiten gestützt. Seine Stimme klang rau und erschöpft, wie immer seit Tagen. "Durch ihn fließt der Fluss Mering, seit altersher die Ostgrenze Rohans. Ich hoffe, dass sich daran in letzter Zeit nichts geändert hat." Darauf konnten weder Narissa noch Aerien ihm eine Antwort geben, denn beide wussten über die aktuelle Lage in Rohan ebenso wenig wie Aragorn selbst. Narissa nutzte die kurze Pause, um einen Blick über die Umgebung schweifen zu lassen. Unter anderen Umständen hätte sie die Reise durch Anórien vermutlich genossen, so sehr unterschied sich das Land von dem, was sie aus Harad gewohnt war. Das ganze Land war von Gras bewachsen, das allerdings jetzt im Winter eher braun als grün war, und zu ihrer Linken ragte immer die gezackte Kette des Weißen Gebirges auf - weißes, schwarzes und graues Gestein, an den Spitzen weiß von Schnee gekrönt. Nur an die Kälte, die in diesem Land immer zu herrschen schien, würde Narissa sich vermutlich nicht so schnell gewöhnen können.
Sie hatten es nicht gewagt, auf der Großen Weststraße, die Minas Tirith und Edoras verband, zu wandern, sondern hatten sich stattdessen immer am Nordrand der Berge entlang nach Westen geschlichen - noch ein Grund, weshalb sie langsamer vorangekommen waren, als Narissa es sich gewünscht hätte. Auf dem Weg waren sie an mehreren Pfaden vorbei gekommen, die ins Gebirge hinauf führten, zu den alten Leuchtfeuern Gondors. Narissa hatte sich ihre Namen nicht gemerkt, doch Aerien hatte jedes bisschen, das Aragorn mit der Zeit erzählt hatte, geradezu aufgesogen.
"Gibt es eine Brücke über diesen Fluss?", brummte Gimli. "Ich habe keine große Lust zu schwimmen." Dem Zwerg hatte die Wanderung sichtlich das geringste ausgemacht. Als Narissa ihn danach gefragt hatte, hatte er nur gelacht und gesagt, er hätte an Aragorns Seite bereits ganz andere Wanderungen hinter sich gebracht.
"Es gibt... eine Furt", erwiderte Aragorn langsam, und rieb sich über die Stirn. "Dort durchquert die Straße den Fluss, doch wir sollten uns davon fernhalten. Sie wird stark bewacht sein, von beiden Seiten. Ich hatte... hatte einen Plan, aber..." Er wirkte verwirrt, und Aerien kam ihm zur Hilfe.
"Du hast von einem Weg zum Leuchtfeuer auf dem Halifirien-Berg erzählt", sagte sie. "Dem Amon Anwar. Und dann..."
Aragorn blickte sie dankbar an, doch in seine Miene mischte sich Besorgnis. "Das ist der Weg, den ich meinte. Es gibt einen Pfad, um den kaum jemand weiß, der vom Gipfel des Berges auf der Nordseite weiter in die Berge führt, hinauf zur Quelle der Mering-Stromes, und dann wieder hinunter in die Fennmark, nach Rohan. Diesen Weg sollten wir gehen, denn dort werden die Grenzwachen Mordors und nicht bemerken." Der Grund erschien plausibel, und dennoch hatte Narissa das Gefühl, das dies nicht der einzige Grund war, aus dem Aragorn diesen Weg gewählt hatte.

Die Bäume des Firienwaldes waren zu dieser Jahrezeit bereits fast ganz kahl, und dennoch dämpften sie den schneidenden Ostwind, der sie das letzte Stück bis zum Wald angetrieben hatte, um einiges, und im Wald war es still. Aragorn seufzte. "Im Sommer, wenn die Bäume in vollem Grün stehen und der Wind durch den Wald fährt hört es sich an, als flüsterten die Bäume - daher wird er auch Flüsterwald genannt. Ich wünschte, es wäre jetzt Sommer." Das wünschte Narissa sich ebenfalls, und zog ihren Ostlingsmantel enger um sich. Niemand unter den anderen schien die Kälte so zu spüren wie sie. Aino stammte vermutlich ohnehin aus irgendeiner Eiswüste hoch im Nordosten Mittelerdes, Aerien war die Kälte Mordors im Winter gewohnt, und Aragorn und Gimli kamen ebenfalls beide aus Gegenden, in denen es im Winter vermutlich noch weitaus kälter wurde.
Schon bald stießen sie aus dem dichten Unterholz heraus auf einen kaum sichtbaren, nach Süden den Berghang hinauf verlaufenden Pfad. "Ah", machte Aragorn sichtlich zufrieden. "Das ist unser Weg. Geh du voran, Aerien. Ich glaube, oben wird es dir gefallen..."
Aerien folgte Aragorns Aufforderung und setzte sich an die Spitze, Narissa dicht hinter hier. Ihr folgten Aragorn, Gimli und zum Schluss der junge Ostling Aino, schweigsam und ein wenig schüchtern wie immer. Der Pfad wand sich immer höher den Berghang hinauf, und schon bald spürte Narissa die Kälte deutlich weniger. Sie blickte besorgt zu Aragorn zurück, der zwar erschöpft wirkte, aber sich trotzdem gerade hielt, als würde ihm irgendetwas an diesem Ort Kraft verleihen. Sie wandte sich wieder nach vorne, und flüsterte Aerien von hinten ins Ohr: "Was glaubst du, ist an diesem Ort so besonders?" Aerien zuckte im Gehen mit den Schultern. "Ich weiß es nicht. Aber irgendetwas muss es sein. Es fühlt sich... wichtig an." Narissa glaubte zu verstehen, was sie meinte. Eine tiefe Stille lag über dem Berg, doch sie war nicht unangenehm oder beunruhigend, sondern von eher ehrfürchtig und von eine gewissen Spannung erfüllt - als hielte der Berg selbst den Atem an.
Schließlich kamen sie zu einem Gürtel weißer, schlanker Bäume, die Narissa nicht kannte. Von hier führte eine steinerne, moosbewachsene Treppe das letzte Stück zum von grünem, niedrigen Gras bewachsenen Gipfel hinauf. Am Fuß der Treppe öffnete sich in der Bergwand eine Höhlung mit niedrigen, flachen Rasenbänken, und auf einer dieser Rasenbänke saß eine zusammengesunkene Gestalt in grauen Gewändern. Neben der Gestalt lehnte eine Art Wanderstab an der Felswand, und an der Seite trug er ein Schwert.
Narissa wäre beinahe gegen Aerien geprallt, als diese plötzlich wie angewurzelt stehen blieb. "Irgendwo habe ich das schon gesehen..." hörte sie ihre Freundin flüstern, mehr zu sich selbst als zu jemand anderem. Hinter sich hörte sie Gimli drängeln: "Was gibt es denn da zu sehen? So geht schon weiter."
Beim Klang von Gimlis Stimme hob die Gestalt abrupt den Kopf. Unter buschigen Augenbrauen blitzten dunkle, durchdringende Augen auf, und ein weißer Bart fiel ihm auf die Brust. Als der Mann viel geschmeidiger, als Länge und Farbe seines Bartes es vermuten ließen, auf die Füße kam und nach seinem Stab griff, drängte Narissa sich neben Aerien, und legte eine Hand auf den Dolchgriff. "Wer seid ihr, und was tut ihr hier? Seid ihr ein Diener Mordors?", fragte sie rasch und heftig, und die Augen des Alten funkelten, beinahe belustigt.
Hinter Narissa sog Aragorn scharf die Luft ein. "Ich bin kein Diener Mordors", erwiderte der Alte sanft. "Vielmehr bin ich ein alter Freund... für zumindest einige von euch. Namen habe ich viele, von Land zu Land. Du, meine Liebe, darfst mich allerdings Gandalf nennen."

Narissa kam nicht dazu, zu antworten, denn sie wurde unsanft von Gimli zur Seite gestoßen, der mit einem ganz und gar untypischen Jubellaut an ihr vorbei auf die Ebene am Fuß der Treppe stürzte. Aragorn folgte ihm ein wenig gemessener, doch auf seinem Gesicht leuchtete ein Lächeln, wie Narissa es bei ihm noch nie zuvor gesehen hatte.
"Der König von Gondor kehrt zurück", stellte Gandalf gewichtig fest, doch Narissa glaubte seine Stimme ein wenig zittern zu hören, und seine Augen glänzten verdächtig. "Es hat eine Zeit gegeben, da ich jede Hoffnung verloren hatte, dich lebendig wieder zu sehen." Er warf Gimli einen Blick zu, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. "Und auch dich, Gimli, Glóins Sohn."
Gimli schüttelte nur den Kopf, dass sein Bart wackelte, und wischte sich mit der Hand über die Augen.
"Es gab eine Zeit, da ich ebenfalls beinahe die Hoffnung aufgegeben hätte, und damit mein Leben", erwiderte Aragorn, dem seine Rührung deutlich anzuhören war. Er warf einen kurzen Blick zu Aerien. "Doch jemand hat mir geholfen, sie am Leben zu erhalten - vielleicht haben wir uns auch gegenseitig geholfen. Und dann... nun, dann geschah ein Wunder, könnte man sagen."
Gandalf ließ den Blick von Aerien zu Narissa schweifen, und unter diesem Blick ergriff Narissa unwillkürlich Aeriens Hand. Gandalf lächelte. "Es wird vieles zu erzählen geben, denke ich. Ein denkwürdiger Tag an einem denkwürdigen Ort." Er wandte sich wieder Aragorn zu. "Es ist doch kein Zufall, dass du diesen Ort aufgesucht hast, mein Freund."
Aragorn schüttelte den Kopf. "Die Zeit im Dunklen Turm hat Spuren zurückgelassen, das ist nicht zu leugnen. Ich hatte gehofft, hier, an Elendils letzter Ruhestätte, Hilfe zu finden." Er lächelte schwach. "Diese Begegnung hatte ich allerdings nicht erwartet."
"Nun, man könnte sagen, es war reiner Zufall, der mich hierher führte", erwiderte Gandalf munter. "Doch du, König Elessar, solltest auf die Spitze des Berges steigen. Allein, denke ich."
Aragorn schüttelte den Kopf, und blickte zuerst Aerien, dann Narissa an. "Ich werde hinaufsteigen. Doch nicht allein. Dieser Ort ist den Dúnedain heilig - und was mich betrifft, so seid ihr dieses Volkes mehr als würdig, durch Abstammung, doch vor allem durch Taten. Kommt mit mir, meine Retterinnen, an den Mittelpunkt des Reiches meiner Vorfahren."
« Letzte Änderung: 25. Nov 2019, 10:38 von Fine »

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

Fine

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Elendils Grab
« Antwort #5 am: 25. Nov 2019, 16:06 »
Sie ließen Gimli und Aino mit dem Fremden, der sich als Gandalf vorgestellt hatte, am Fuße der steinernen Treppe zurück und machten sich daran, auf den Gipfel des Berges zu erklimmen. Die Stille des Waldes litt ein wenig unter Gimlis Stimme - offenbar hatte er Gandalf, der ein alter Freund des Zwerges zu sein schien, so manches zu erzählen - doch dann hörte Aerien, wie Gandalf etwas sagte, was Gimli zur Beruhigung brachte, und sie kehrten zurück in die schweigende Aura der Ehrfurcht, die über dem Wald lag.
Sie mussten nicht allzu weit gehen. Die Treppe führte in recht steilem Anstieg bis zum Gipfel hinauf, der aus einer abgeflachten, grünen Wiese bestand. Weiße, verblühte Blumen waren hier und dort im Gras zu sehen. Am jenseitigen Rand der Wiese erhob sich eine Konstruktion aus Stein, die aus vier schmalen Säulen bestand, die sich ungefähr in doppelter Mannshöhe zum Zentrum hin im rechten Winkel beugten um sich mittig zu vereinen. Darunter lag eine gemauerte Plattform, deren Oberfläche schwarz wie von einer dichten Schicht Ruß verschmiert war.
"Dies ist das Leuchtfeuer von Halifirien," erklärte Aragorn. "Vier Jahre ist es her, dass es zuletzt in Brand gesetzt wurde, um die Reiter von Rohan zur Erfüllung ihres Eides aufzurufen."
"Und weshalb sind wir hier?" wollte Narissa wissen. "Sicherlich hast du uns nicht mitgenommen, um ein ausgebranntes Leuchtfeuer zu besichtigen."
"Nein," bestätigte Aragorn. Ein seltsamer Ton schwang in seiner Stimme mit.
Auch Aerien verspürte etwas in ihrem Inneren, das sie dazu brachte, den Atem anzuhalten. Sie vermutete, dass es Aragorn ganz ähnlich ging. Selbst Narissa hatte ihre Frage in einem leiseren Ton anstatt in ihrer üblichen Lautstärke gestellt.
"Bevor man das Leuchtfeuer auf dem Halifirien errichtete, war dieser Berg als Amon Anwar bekannt," fuhr Aragorn fort. "Hier befand sich das Grab Elendils, des Hochkönigs der Dúnedain."
Narissa, die diesen Namen vermutlich aus den Lektionen ihres Großvaters kannte, blickte interessiert auf. "Wieso ist es heute nicht mehr so?" fragte sie.
"Truchsess Cirion ließ die Gebeine nach Minas Tirith bringen, als das Königreich von Rohan gegründet wurde. Denn von diesem Tag an war der Amon Anwar nicht länger das Zentrum Gondors."
"Weshalb... sind wir hierher gekommen?" wollte Aerien leise wissen. Ihr Blick ging zum Himmel hinauf. Wie auf ein geheimes Zeichen hin begannen just in diesem Augenblick hauchdünne Schneeflocken aus dem weißen Himmel zu fallen, langsam und träge wie Blätter in einer sanften Brise. Sie landeten hier und dort zwischen den Grashalmen, wo sie sich zu den verblühten Blumen gesellten.
"Die Alfirin erinnern sich noch immer an ihn," murmelte Aragorn wie im Traum.
"Aragorn?" fragte Aerien behutsam.
"Ich... habe Gondor viele Jahre lang bereist," erwiderte der Dúnadan zögerlich. "Doch obwohl ich von diesem Ort wusste, bin ich niemals hier gewesen. Kein Geringerer als der Truchsess oder der König Gondors hat das Recht, ihn zu betreten, sagte ich mir. Nun weiß ich, dass ich damals Angst davor hatte, mich der übermächtigen Präsenz zu stellen, die von Elendil geblieben ist. Ich habe euch beide hierher gebracht, um euch... meinen Dank auszusprechen. Narissa... Aerien... ich verdanke euch mein Leben. Hier, an diesem heiligen Ort sage ich dies: Ob durch Tat oder Wort, durch Gaben oder Opfer, durch Leben oder Tod: ich werde euch diese Schuld begleichen. Dies sage ich als König von Gondor, als Stammesführer der Dúnedain des Nordens und als Elendils Erbe."
Aerien keuchte erschrocken auf, als Aragorn sein Haupt vor ihnen beiden neigte - eine Geste tiefen Dankes und eine größere Ehre, als Aerien es jemals vermutet hätte. Auch Narissa schien es die Sprache für den Moment verschlagen zu haben, auch wenn sie sich deutlich besser unter Kontrolle hatte.
Als Aragorn wieder aufblickte, lächelte er. "Sicherlich wüsstest du gerne mehr über diesen Ort, nicht wahr, Aerien?"
Dankbar dafür, die für die hochgradig unangenehme Situation hinter sich zu haben, nickte Aerien. Während Narissa sich neugierig auf dem Gipfel umsah, erklärte Aragorn Aerien, wie der Amon Anwar einst von Elendils Sohn Isildur als Heiligtum der Dúnedain angelegt worden war und weshalb Truchsess Cirion sich entschieden hatte, das Grab schließlich zu verlegen.
"Als Cirion Eorl, den ersten König Rohans hierher brachte, schwuren beide einen Eid, sich in Kriegszeiten gegenseitig beizustehen. Und seit diesem Tag erfüllten Gondor und Rohan ihre Pflicht gegenüber. Als das Leuchtfeuer des Halifirien brannte, brachte sein Ruf die Speere der Reiter Rohans nach Minas Tirith, und die Stadt wurde gerettet... einstweilen."
"Und Rohan... ist nun unser Reiseziel?" fragte Aerien.
"Dort werden wir für einige Zeit sicher sein. Aber sobald ich wieder bei Kräften bin und mir der Lage in Rohan bewusst bin, werde ich nach Dol Amroth gehen," stellte Aragorn klar. "Es gibt viele Angelegenheiten, die in Gondor nun zu regeln sind, nicht zuletzt die Frage, wie ich mit dir verfahren soll."
Aerien prallte zurück. "Was...?"
"Streng genommen bist du ein Feind Gondors, als Tochter deines Vaters, dem Fürsten von Durthang," sagte Aragorn. "Einige Würdenträger werden dich als wertvolle Geisel betrachten, wenn ich nichts unternehme. Man wird dir mit großem Misstrauen begegnen, selbst wenn deine Beteiligung an meiner Befreiung bekannt wird. Es wird nicht einfach für dich werden, wenn du mit mir nach Gondor gehst. Und doch... ist es genau das, worum ich dich bitte, Aerien."
"Ich..." Sie hatte große Schwierigkeiten, die Fassung zu wahren. Nichts schien mehr einen Sinn zu ergeben.
"Vertraust du mir?"
Daran konnte Aerien sich festhalten. "Das tue ich... mein König."
"Ein König mag ich sein, doch hier, an diesem Ort sind wir beide einander ebenbürtig," sagte Aragorn. "Gondor ruft nach uns."
"Dann werde ich dir folgen," sagte Aerien mit fester Stimme. "Aragorn."
"Gut. Das ist gut. Dein Anblick gibt mir Kraft. So wie er es in den vergangenen Monaten meiner Gefangenschaft tat, als ich mit Asche meiner Hoffnung mit der Erinnerung an deine Worte am Leben hielt. Es wird... einfacher werden, wenn ich darauf zählen kann, dich an meiner Seite zu wissen - in dem, was kommen mag."
Es war beinahe zu viel für Aerien. Ihre Knie zitterten. Doch wie schon so oft war es Narissa, die sie rettete.
"Ich habe hier drüben etwas gefunden!" rief sie und winkte Aragorn und Aerien zu sich hinüber. Narissas Ärmel waren hochgekrempelt, und ihre Arme über und über mit Erde verschmiert.
"Äh, 'Rissa?" wunderte sich Aerien, als sie näher kam.
"Seht doch nun," sagte Narissa stolz. Am Fuße des flachen, gemauerten Fundaments auf dem das Leuchtfeuer ruhte, hatte sie einen dünnen Streifen Erde freigelegt und dort ein ungefähr faustgroßes Loch aufgetan. Als Aragorn neben sie trat, kniete Narissa sich hin und griff in das Loch, in dem ihr Arm bis zur Schulter verschwand. Mit einem angestrengten Laut beförderte sie einen Gegenstand hervor, der die Form einer kleinen Flasche besaß.
"Wie hast du das denn entdeckt?" wollte Aerien wissen.
"An der unteren Kante des Fundaments war ein loser Mauerstein," erzählte Narissa gut gelaunt. "Ich bin mit dem Fuß wie zufällig dagegen gestoßen, als ich mir das Mauerwerk des Leuchtfeuers genauer angesehen habe. Als ich den Stein vorsichtig löste, entdeckte ich den Hohlraum darunter. Mit etwas Geschick gelang es mir, dieses Ding freizulegen." Sie reichte den Gegenstand an Aragorn weiter, der ihn interessiert betrachtete.
"Es muss dort versteckt worden sein, als das Leuchtfeuer angelegt wurde," murmelte der Dúnadan. Mit seinem Umhang befreite er die Flasche vom Dreck und entkorkte sie. Darin war ein kleines Stück Pergament eingerollt worden. Vorsichtig öffnete Aragorn das Schriftstück und las vor:

Ich entbinde den Amon Anwar von seiner Pflicht als Hüter der Gebeine Elendils. Mit der Abtretung Calenardhons bildet er nicht länger den Mittelpunkt des Südlichen Königreiches und soll uns nun stattdessen als Leuchtfeuer dienen. Die Gebeine, die so lange nun im Licht des Vandassars ruhten, mögen nun in die Gesellschaft von Elendils Erben einkehren.

Cirion
Truchsess des Königreichs Gondor

"Das passt zu dem, was du mir erzählt hast," meinte Aerien zu Aragorn. "Truchsess Cirion hat diese Botschaft hier hinterlassen, als das Grab Elendils fort gebracht wurde."
Aragorns Blick war noch immer auf die alten Zeilen gerichtet. "Etwas daran wundert mich," sagte er nachdenklich. "Ich weiß, dass die Gebeine damals in der Höhlung ruhten, vor der Gandalf auf uns gewartet hat. Aber..."
Narissa und Aerien wechselten einen Blick. Sie konnten sich keinen Reim darauf machen, was Aragorn wohl meinen konnte. Doch ehe sie sich darüber Gedanken machen konnte, steckte der Dúnadan die Schriftrolle zurück in die Flasche. "Wir sollten zu den anderen zurückkehren," sagte er.

Und das taten sie. Sie nahmen die Treppe zurück nach unten, wo Gimli, Aino und der Alte - Gandalf - bereits auf sie warteten.
"Eines frage ich mich, alter Freund," sagte Aragorn. "Woher wusstest du, dass ich hierher kommen würde?"
"Ich habe es nicht gewusst," entgegnete Gandalf. "Ich habe nichts weiter getan, als Augen und Ohren offen zu halten und auf den Wind zu achten. Als ich Aldburg verließ, wusste ich nicht, wer mir am Halifirien begegnen würde. Oh - da fällt mir ein: du hast mir deine Begleiter noch gar nicht vorgestellt. Meinen Namen habe ich den beiden genannt, aber wie lauten ihre?"
"Ich bin Narissa," sagte Narissa, an deren Stimme und Körperhaltung Aerien erkannte, dass sie Gandalf noch nicht vertraute. "Und das ist Aerien."
Aerien schüttelte innerlich den Kopf. Hat sie noch immer nichts darüber gelernt, wie man mit Respektpersonen umgeht? Sie machte einen Knicks - so gut es in ihrer Reisekleidung nun einmal ging und sagte demütig: "Narissa, die Enkelin des Hador vom Haus der Turmherren, und... Aerien, einst Azruphel Balákarneth von Durthang. Ich freue mich, Eure Bekanntschaft zu machen, Meister Gandalf."
Zu ihrer Überraschung lachte Gandalf. Auch Gimli schloss sich der Heiterkeit rasch an. "So förmlich, meine Liebe," sagte der Alte belustigt und sah dann zu Narissa. "Von der Weißen Insel habe ich gehört, und sie einst von Ferne gesehen - du scheinst einen weiten Weg hinter dir zu haben, Narissa." Er lächelte, doch als er nach Narissa nun Aerien musterte, blitzte unter seinen buschigen Brauen ein durchdringender Blick auf, der Aerien erstarren ließ. "Förmlich, sagte ich. Und... mutig. Deinen wahren Namen einem erklärten Feind Saurons gegenüber auszusprechen ist ein Risiko, das nur die Wenigsten eingehen würden."
Von einer Sekunde auf die andere hatte sich Gandalfs Ausstrahlung vollkommen verändert. Bedrohlich ragte er über Aerien auf und seine Gewänder erschienen nun nicht mehr grau, sondern funkelten stechend weiß. Da wurde es ihr klar, wen sie vor sich hatte.
"Ihr seid... Incánus!" keuchte sie. Ein Name aus ihrem einstigen Leben. Incánus war den Schwarzen Númenorern verhasst: ein Mächtiger unter den Feinden Mordors, der immer dann auftauchte, wenn entscheidende Ereignisse bevorstanden, um die Pläne des Dunklen Herrschers zu vereiteln. Ein furchterregender Zauberer, der selbst dem Verhängnis vor dem Morannon entkommen war und für das Ende Dolguzagars, des Mundes des Großen Gebieters, verantwortlich war. Er war hier! Aerien verlor das Gleichgewicht und landete unsanft auf ihrem Hintern - und da endlich erinnerte sie sich wieder, wo sie war; und wer sie nun war.
"Der bin ich," sagte Gandalf, nun wieder freundlich. "Und nun, da ich dich gesehen habe, weiß ich, dass Aragorns Vertrauen in dich gerechtfertigt ist. Du musst keine Angst vor mir haben, Mädchen."
"Wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst -" drohte Narissa, deren Hände auf den Griffen ihrer Dolche lagen.
"Was soll denn dieser Unsinn," brummte Gimli lautstark. "Niemand wird hier irgendwem ein Haar krümmen. Wir sind alte Freunde, Gandalf, Aragorn, und ich. Und diese beiden dort, Aerien und Narissa, haben ihr Leben riskiert, um uns aus Mordor zu retten. Haben das alle inzwischen mitbekommen? Nicht, dass hier noch jemand auf dumme Gedanken kommt." Er warf Narissa einen stechenden Blick zu.

Aragorn nahm Gandalf beiseite, und beide entfernten sich einige Schritte von der Gruppe in Richtung des Eingangs des leeren Grabes. Derweil leerte Aerien ihren Wasserschlauch, um wieder klare Gedanken fassen zu können.
"Wieso hast du dich denn so erschreckt?" wollte Narissa besorgt wissen.
"Ich habe von diesem... Gandalf gehört, doch unter einem anderen Namen. In Mordor ist er gefürchtet."
"Aber du gehörst nicht mehr nach Mordor," stellte Narissa entschieden klar.
"Ich weiß... es war nur..."
"Ich lasse nicht zu, dass er dir etwas antut," fuhr Narissa fort.
Das erweckte Gimlis Aufmerksamkeit. "Das wird er auch nicht. Gandalf tut nichts ohne Grund. Hast du nicht zugehört? Er vertraut Aragorns Urteil über die Kleine."
"Ist er wirklich ein alter Freund von dir?" wollte Aerien zaghaft wissen.
"Das ist er," bestätigte Gimli. "Und ein Freund meines Vaters vor mir."
In diesem Augenblick kehrten Aragorn und Gandalf zur Gruppe zurück. Aerien sah noch, wie Aragorn die von Narissa gefundene Flasche einsteckte, ehe der Dúnadan sich ihnen zuwandte und sagte: "Wir sollten hier nicht verweilen. Wir nehmen den Pfad zur Mering-Quelle. Wenn wir uns beeilen, können wir bei Einbruch der Dämmerung in Rohan sein."
Niemand erhob Einwände, als sich Gandalf ihnen wie selbstverständlich anschloss. Der Zauberer (wie Aerien nun wusste) ging mit Aragorn voran, und beide unterhielten sich leise miteinander, während sie dem Weg den Berg hinab durch den Flüsterwald folgten. Aerien, die einige Schritte Abstand hielt, war bemüht, die offenbar private Unterhaltung nicht zu belauschen, was ihr einigermaßen gut gelang. Nur das Wort Vandassar drang hin und wieder zu ihr durch, doch seine Bedeutung blieb Aerien an diesem Tag verschlossen...


Narissa, Aerien, Gandalf, Aragorn, Gimli und Aino nach Rohan
« Letzte Änderung: 12. Dez 2019, 13:13 von Fine »
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