Brianna von den Straßen Minas TirithsDas Grölen und Schreien der Menge hörte Brianna nur in gedämpfter Lautstärke. Ihre Ohren waren wie mit Watte ausgestopft und ohne bewusst darüber nachzudenken wurde sie mit der Masse, junger, rebellierender Königstreuer mitgeschleift.
Sie bekam nichts von den Hasstiraden, Beschimpfungen und kleinen Scharmützeln mit, in welche die Gruppe verwickelt war. Immer mal wieder spürte sie ganz leicht, wie ihr jemand auf die Schulter klopfte oder vernahm leise die Gratulation eines Königstreuen für die Hinrichtung Lucius‘.
Das einzige worauf sie achten konnte war das klebrige, rostrote Zeug, das ihre Hände und Arme bedeckte. Für einen Moment war sie sich sicher, dass es wie damals auf den Hof mit ihrer Freundin Rhia war. Gemeinsam hatten sie kiloweise Tomaten von ihren Topfpflanzen abgenommen und daraus Tomatensuppe gekocht. In diesen Tagen, die so weit weg schienen, als wäre ein ganzes Menschenleben an Briannas kastanienbraunen Augen vorbeigezogen, schien alles noch gut und glücklich zu sein.
Aber hier? Wie sah es hier aus? Verwüstung, Feuer und flammender Hass, der ihr aus allen Seiten gegen das Gesicht schlug und nun wie eine Mahnung an ihren Händen klebte.
Noch immer fixierte sie die Hände, welche früher Kräuter geschnitten und Wunden versorgt hatten, als Brianna unsanft gegen etwas Hartes lief. Sie prallte zurück und wären hinter ihr nicht so viele Leute gestanden, so wäre sie auf den gepflasterten Boden geknallt.
„ Pass doch auf“, grummelten die Leute bissig um sie herum und langsam kehrten Briannas Sinne zurück.
Der faulige Atem des Mannes gegen den sie gerannt war ätzte in ihrer Nase. Der Qualm und die Hitze der lodernden Fackeln um sie herum trieben ihr die Tränen in die Augen. Zu guter Letzt waren da noch die Worte. Worte voll von Abneigung und blinden Zorns gegen den einzigen Feind gerichtet, den sie finden konnten: Herumor.
„…Verräter!“
„ Feigling…dreckiges Schwein…“
„ Hängen sollst du wie die edlen Dol Amroths….“
„ Du und deine vermaledeite Frau…diese Hure aus dem Norden!“
Elea…ELEA!Die Gedanken an ihre ehemalige Freundin schmerzten Brianna, denn voll Zorn war sie auf sie gewesen, weil sie Herumor heiraten wollte. Und doch war sie Briannas Freundin gewesen.
Gemeinsam verließen wir Imladris‘, ohne ein wirkliches Ziel. Gemeinsam erblickten wir die verkohlten Ruinen Edoras, des Königssitzes der Pferdeherren. Gemeinsam waren wir in den Verließen Minas Tiriths gefangen. Gemeinsam standen wir den Schmerz durch, als sie erfuhr, dass die Suche nach ihren Gatten vergebens war….und…und gemeinsam befreiten wir Araloth. Vielleicht hatte Paola recht. Vielleicht ist sie immer noch meine Freundin.„ Sprengt das verfluchte Tor wenn nötig“, schrie die Frau dicht neben Brianna, die sie auch ermutigt hatte Lucius zu töten.
Stimmengewirr erhob sich und Brianna wusste nicht genau was vor sich ging. Sie befand sich zu weit hinten und war zu klein, um irgendetwas zu sehen. Immerhin hatte sie aus den Stimmengewirr endlich verstanden, dass sie am Brunnenhof bei der Zitadelle waren.
„NA LOS!“, brüllte ein anderer Mann und plötzlich ging ein Ruck durch die Menge und Brianna wurde hin und her geschubst.
Kühle Winde um wirbelten Brianna und plötzlich sah sie sich selbst wieder auf der schmalen Brücke in den westlichen Gebieten Eriadors. Die fernen Wasserfälle rauschten wieder und das Herbstlaub hatte sich in seiner vollen Farbpalette über die Landschaft gelegt. Rostbraune Flecken jagten den seltenem aber schimmernden Gold hinterher, während sie vom neidisch glühenden Rot sehnsuchtsvoll beäugt wurden.
Nie hatte Brianna etwas Schöneres gesehen. Ihre schokoladenbraunen Haare spielten im Wind und obwohl es Ende Oktober war, fror es Brianna in ihr mit Goldfäden besticktes, violettes Kleid nicht. Sie war barfuß und genüsslich schloss sie Augen, um diesen Moment für immer in ihren Herzen zu bewahren.
„
Brianna“, flüsterte eine Stimme und die Kräuterfrau aus Thal dachte schon es wäre der Wind oder das Wasser, welches ihr zuflüstern würde, doch als sie die Augen öffnete , erblickte sie eine Frau von wundersamer Schönheit.
Sie hatte schulterlanges ebenholzschwarzes Haar und war in reinste Seide gehüllt, die sie mit einem cremefarbenen Band um die Taille festgebunden hatte.
Meergraue Augen, voll Trauer und Kummer, aber auch Willensstärke und Mut, musterten die ihren.
Ein Böe frischte auf und umspülte die beiden Frauen, die rund zwei Meter auf der schmalen, gebogenen Steinbrücke standen, die über die Bruinenfälle führte.
„ Es…es tut mir…“, setzte Brianna an, aber Tränen füllten ihre Augen und sie schluchzte.
„ Schh“, flüsterte die Frau, ging mit offenen Armen auf sie zu und wollte die Arme um sie legen. Doch bevor sie sie erreichte, zerriss die Szenerie, die Brücke stürzte ein und die Frau mit rabenschwarzem Haar, fiel vor ihren Augen in die Tiefe.
Brianna blinzelte erschrocken die Augen und hauchte ein leises
Elea, aber niemand hörte es.
Die Kräuterfrau hatte gar nicht mitbekommen, wie das Tor aufgebrochen worden war und die wütende Menschenmenge sie in den Innenhof mitgerissen hatte.
Wild tobend hatten sie viele Wachen erschlagen und wahllos mit den Brandfackeln geworfen und laut Herumors Kopf gefordert.
Die Menge verstummte, als sie Elea, die das Schwert fallen gelassen hatte, erblickten, bevor sie erneut anfing zu brüllen.
„ Feigling! BRINGT UNS DIE HURE!“, johlten die Stimmen. Doch da war erneut die Frau, die die Stimme erhob und wie ein Wunder übertönte sie die übrigen.
„ Wertlose Braut, nimm dir ein Beispiel an ihr, die einen der Tyrannen kaltblütig hinrichtete für unsere Zwecke.“
Brianna reckte den Kopf in die Höhe, um zu sehen wen sie meinte, bis sie plötzlich einen Ruck spürte und sie nach vorne gestoßen wurde. Sie stolperte aus der Menge nach vorne und stand nun wenige Meter von Elea entfernt.
„ Nimm dir ein Beispiel an ihr!“, rief die Frau mit voller Verachtung und funkelte Elea böse an.
Irritiert wanderten Briannas Augen von der Menge zu Elea, die sie ebenso verwirrt, aber mit einer gewissen Kühnheit, anblickte, und wieder zurück.
Etwas warmes streichelte Briannas Nacken und im ersten Moment dachte sie erschrocken eine Fackel hätte sie im Genick getroffen, doch es war die Morgensonne die durch die Berggipfel hereinbrach. Etwas bizarreres hätte sich Brianna in diesen Moment kaum vorstellen können. Das es nach dieser Nacht noch einen Morgen geben würde, erschien ihr vollkommen surreal. Dennoch holte sie die Gegenwart schneller ein, als sie es gewünscht hätte und so standen sich die beiden Frauen, wie in ihren Tagtraum gegenüber. Von durchkämpfter Nacht und Angst deutlich heruntergekommen, aber die Situation war die gleiche. Wie gern wäre Brianna jetzt auf ihre alte Freundin zugegangen und hätte sie um Verzeihung gebeten.