Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Minas Tirith

Der Brunnenhof und die Zitadelle

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Vexor:
Brianna von den Straßen Minas Tiriths


Das Grölen und Schreien der Menge hörte Brianna nur in gedämpfter Lautstärke. Ihre Ohren waren wie mit Watte ausgestopft und ohne bewusst darüber nachzudenken wurde sie mit der Masse, junger, rebellierender Königstreuer mitgeschleift.
Sie bekam nichts von den Hasstiraden, Beschimpfungen und kleinen Scharmützeln mit, in welche die Gruppe verwickelt war. Immer mal wieder spürte sie ganz leicht, wie ihr jemand auf die Schulter klopfte oder vernahm leise die Gratulation eines Königstreuen für die Hinrichtung Lucius‘.
Das einzige worauf sie achten konnte war das klebrige, rostrote Zeug, das ihre Hände und Arme bedeckte. Für einen Moment war sie sich sicher, dass es wie damals auf den Hof mit ihrer Freundin Rhia war. Gemeinsam hatten sie kiloweise Tomaten von ihren Topfpflanzen abgenommen und daraus Tomatensuppe gekocht. In diesen Tagen, die so weit weg schienen, als wäre ein ganzes Menschenleben an Briannas kastanienbraunen Augen vorbeigezogen, schien alles noch gut und glücklich zu sein.

Aber hier? Wie sah es hier aus? Verwüstung, Feuer und flammender Hass, der ihr aus allen Seiten gegen das Gesicht schlug und nun wie eine Mahnung an ihren Händen klebte.
Noch immer fixierte sie die Hände, welche früher Kräuter geschnitten und Wunden versorgt hatten, als Brianna unsanft gegen etwas Hartes lief. Sie prallte zurück und wären hinter ihr nicht so viele Leute gestanden, so wäre sie auf den gepflasterten Boden geknallt.

„ Pass doch auf“, grummelten die Leute bissig um sie herum und langsam kehrten Briannas Sinne zurück.
Der faulige Atem des Mannes gegen den sie gerannt war ätzte in ihrer Nase. Der Qualm und die Hitze der lodernden Fackeln um sie herum trieben ihr die Tränen in die Augen. Zu guter Letzt waren da noch die Worte. Worte voll von Abneigung und blinden Zorns gegen den einzigen Feind gerichtet, den sie finden konnten: Herumor.
„…Verräter!“
„ Feigling…dreckiges Schwein…“
„ Hängen sollst du wie die edlen Dol Amroths….“
„ Du und deine vermaledeite Frau…diese Hure aus dem Norden!“
Elea…ELEA!
Die Gedanken an ihre ehemalige Freundin schmerzten Brianna, denn voll Zorn war sie auf sie gewesen, weil sie Herumor heiraten wollte. Und doch war sie Briannas Freundin gewesen.

Gemeinsam verließen wir Imladris‘, ohne ein wirkliches Ziel. Gemeinsam erblickten wir die verkohlten Ruinen Edoras, des Königssitzes der Pferdeherren. Gemeinsam waren wir in den Verließen Minas Tiriths gefangen. Gemeinsam standen wir den Schmerz durch, als sie erfuhr, dass die Suche nach ihren Gatten vergebens war….und…und gemeinsam befreiten wir Araloth. Vielleicht hatte Paola recht. Vielleicht ist sie immer noch meine Freundin.

„ Sprengt das verfluchte Tor wenn nötig“, schrie die Frau dicht neben Brianna, die sie auch ermutigt hatte Lucius zu töten.
Stimmengewirr erhob sich und Brianna wusste nicht genau was vor sich ging. Sie befand sich zu weit hinten und war zu klein, um irgendetwas zu sehen. Immerhin hatte sie aus den Stimmengewirr endlich verstanden, dass sie am Brunnenhof bei der Zitadelle waren.
„NA LOS!“, brüllte ein anderer Mann und plötzlich ging ein Ruck durch die Menge und Brianna wurde hin und her geschubst.


Kühle Winde um wirbelten Brianna und plötzlich sah sie sich selbst wieder auf der schmalen Brücke in den westlichen Gebieten Eriadors. Die fernen Wasserfälle rauschten wieder und das Herbstlaub hatte sich in seiner vollen Farbpalette über die Landschaft gelegt. Rostbraune Flecken jagten den seltenem aber schimmernden Gold hinterher, während sie vom neidisch glühenden Rot sehnsuchtsvoll beäugt wurden.
Nie hatte Brianna etwas Schöneres gesehen. Ihre schokoladenbraunen Haare spielten im Wind und obwohl es Ende Oktober war, fror es Brianna in ihr mit Goldfäden besticktes, violettes Kleid nicht. Sie war barfuß und genüsslich schloss sie Augen, um diesen Moment für immer in ihren Herzen zu bewahren.
„ Brianna“, flüsterte eine Stimme und die Kräuterfrau aus Thal dachte schon es wäre der Wind oder das Wasser, welches ihr zuflüstern würde, doch als sie die Augen öffnete , erblickte sie eine Frau von wundersamer Schönheit.
Sie hatte schulterlanges ebenholzschwarzes Haar und war in reinste Seide gehüllt, die sie mit einem cremefarbenen Band um die Taille festgebunden hatte.
Meergraue Augen, voll Trauer und Kummer, aber auch Willensstärke und Mut, musterten die ihren.
Ein Böe frischte auf und umspülte die beiden Frauen, die rund zwei Meter auf der schmalen, gebogenen Steinbrücke standen, die über die Bruinenfälle führte.
„ Es…es tut mir…“, setzte Brianna an, aber Tränen füllten ihre Augen und sie schluchzte.
„ Schh“, flüsterte die Frau, ging mit offenen Armen auf sie zu und wollte die Arme um sie legen. Doch bevor sie sie erreichte, zerriss die Szenerie, die Brücke stürzte ein und die Frau mit rabenschwarzem Haar, fiel vor ihren Augen in die Tiefe.
Brianna blinzelte erschrocken die Augen und hauchte ein leises Elea, aber niemand hörte es.

Die Kräuterfrau hatte gar nicht mitbekommen, wie das Tor aufgebrochen worden war und die wütende Menschenmenge sie in den Innenhof mitgerissen hatte.
Wild tobend hatten sie viele Wachen erschlagen und wahllos mit den Brandfackeln geworfen und laut Herumors Kopf gefordert.
Die Menge verstummte, als sie Elea, die das Schwert fallen gelassen hatte, erblickten, bevor sie erneut anfing zu brüllen.
„ Feigling! BRINGT UNS DIE HURE!“, johlten die Stimmen. Doch da war erneut die Frau, die die Stimme erhob und wie ein Wunder übertönte sie die übrigen.
„ Wertlose Braut, nimm dir ein Beispiel an ihr, die einen der Tyrannen kaltblütig hinrichtete für unsere Zwecke.“
Brianna reckte den Kopf in die Höhe, um zu sehen wen sie meinte, bis sie plötzlich einen Ruck spürte und sie nach vorne gestoßen wurde. Sie stolperte aus der Menge nach vorne und stand nun wenige Meter von Elea entfernt.
„ Nimm dir ein Beispiel an ihr!“, rief die Frau mit voller Verachtung und funkelte Elea böse an.

Irritiert wanderten Briannas Augen von der Menge zu Elea, die sie ebenso verwirrt, aber mit einer gewissen Kühnheit, anblickte, und wieder zurück.
Etwas warmes streichelte Briannas Nacken und im ersten Moment dachte sie erschrocken eine Fackel hätte sie im Genick getroffen, doch es war die Morgensonne die durch die Berggipfel hereinbrach. Etwas bizarreres hätte sich Brianna in diesen Moment kaum vorstellen können. Das es nach dieser Nacht noch einen Morgen geben würde, erschien ihr vollkommen surreal. Dennoch holte sie die Gegenwart schneller ein, als sie es gewünscht hätte und so standen sich die beiden Frauen, wie in ihren Tagtraum gegenüber. Von durchkämpfter Nacht und Angst deutlich heruntergekommen, aber die Situation war die gleiche. Wie gern wäre Brianna jetzt auf ihre alte Freundin zugegangen und hätte sie um Verzeihung gebeten.

Thorondor the Eagle:
Es war ein Moment indem die Zeit still zu stehen schien. Die drohend roten Flammen wurden grau, die namenlosen Gesichter der Menschen verschwammen, die Situation quasi bedeutungslos. Elea schaute in Brianna’s Augen. Der Ausdruck der Trauer in ihnen war tiefer geprägt als jemals zuvor; nur noch eine Spur aus Tränen zu erahnen. Ihr Kleid war von Blut befleckt und ihr Gesicht von Rußspuren übersät.

Sind diese Anschuldigungen die die Menschen brüllen wahr? Brianna einen Mann getötet? Brianna, jene die Leben heilt und nicht nimmt? Lucius – kann Hass jemanden so weit bringen? Ich habe Herumor Gnade gewährt, aber warum? Vielleicht weil ich weiß, dass andere in richten werden?

Ein Stein flog knapp an ihrer Stirn vorbei und landete klangvoll auf dem Marmorboden der Halle. Elea wurde aus ihren Gedanken gerissen. Die letzten Soldaten die den Eingang verteidigt haben waren nun von den tobenden Mengen verschlungen worden. Beregond und seine Männer hielten drohend ihre Klingen auf die Eindringlinge, doch sie wussten, dass sie nichts erreichen würden. Die Gruppe lies sich immer weiter in Richtung Thron zurückdrängen. Herumor kniete auf derselben Stelle wo ihn Elea zurück gelassen hatte. Er hatte sich seinem hoffnungslosen Schicksal gebeugt.

Die Ersten preschten aus dem Gemenge heraus und attackierten die Soldaten um Elea. Immer wieder hieben sie mit ihren stumpfen Schwertern auf die Rüstungen und die Klingen. „Herrin!“, schrie plötzlich eine Stimme von hinten „Herrin!“.
Die Dunedain drehte sich erschrocken um und blickte in die aufgeregten Augen Doreals. Er und ein paar Wächter der Feste kamen über einen kleinen Nebeneingang in die Halle: „Kommt mit uns. Wir müssen fliehen.“
Elea nickte erleichtert und legte ihre rechte Hand in seine. Er zog kräftig an, um sie durch die Tür zu führen, doch die Frau blockierte mit der Linken einen Moment.
Ihr suchender Blick fixierte die braunen Augen in der sich schließenden Menge. Vor einigen Monaten noch hätte Elea sie bedenkenlos aufgefordert mitzukommen, doch nun; Brianna hatte sich von ihr entfremdet, aus Freundschaft wurde Hass, solch großer Hass der sie dazu veranlasste einen Menschen zu töten.

Nein, sie kann es nicht getan haben. Sie kann keinen Menschen töten; nicht Brianna. Wenn du mir doch nur verzeihen könntest; wenn du nur deinen Schmerz überwinden könntest. Komm mit mir…

Sie streckte ihre linke Hand fordernd in Richtung Brianna, doch in dem Moment drängte Doreal sie weiter und sie verschwand aus dem Thronsaal. Herumor wurde von der tobenden Menge verschluckt. Ohne auch nur einmal zurück zu blicken liefen sie zum Ratshaus, die Treppen hinauf und durch den großen Innenhof. Der Brunnen plätscherte noch leise vor sich hin. Als sie den gegenüberliegenden Ausgang des Hofes erreichten befanden sie sich an der westlichen Mauer der Zitadelle. Wie schon früher an jenem Abend kletterten sie mithilfe eines Seiles in den unteren Ring.

Gezielt liefen sie durch ein paar enge Gassen, überquerten dann die Hauptstraße und blieben schließlich vor einem großen, hölzernen, mit massiven Eisen verstärkten Toren stehen.

„Was machen wir hier?“, frage Elea verwundert.
„Euch an einen sicheren Ort bringen!“, antwortete Doreal.
„Hierher?“
„Ja. Selbst das einfache Volk von Gondor hält diesen Ort in Ehren. Sie würden nicht wagen ihn zu betreten.“
„Ich wage es auch nicht!“
„Obwohl ich dies nicht gut heißen möchte, glaube ich, dass Doreal Recht hat“, mischte sich nun Beregond ein, der schweratmend an der Tür angekommen war.
Einer der Wächter nahm einen schmiedeisernen Schlüssel von seinem Gürtel und öffnete das robuste Schloss.
„Es ist nur für die nächsten Tage. Wenn sich die Menschen beruhigt haben, werden wir euch woanders unterbringen!“

Der Soldat stemmte sich gegen die Tür. Das Licht der aufgehenden Sonne durchflutete die dunkle Straße. Es war ein merkwürdiges Gefühl, als die Dunadan Fen Hollen durchschritt. Sie war in den Grabkammern ihrer Vorfahren.


Elea, Beregond, Doréal und einige Soldaten in die Stille Straße und die Grabkammer der Könige

Vexor:
Einen Moment blickte Brianna in die grau-blauen Augen Eleas bevor sie von einem jungen Mann beiseite gedrängt wurde und sie die tosende Menge verschluckte. Sie verschwand in dem gierigen Schlund aus Stoff, Haut und Haaren.
Etwas Heißes streifte Briannas Wange und die aufgehende Sonne strahlte so gleißend hell, dass Brianna blinzeln musste. Eine einzelne Träne kullerte bebend ihre Wange hinab.
Als hätte jemand ein Stundenglas wieder umgedreht, verlief für die Kräuterfrau aus Thal nun wieder alles rasend schnell. Menschengedränge, Geschrei und Waffengeklirre. Doch sie rührte sich nicht. Verharrte in ihrer Erstarrung und ignorierte es, wenn man sie unsanft anrempelte oder anbrüllte. Ihre Trance wurde erst gelöst als etwas Kleines ihr Bein packte. Entsetzt blickte sie zu Boden und erkannte den rötlichen Schopf eines Mädchens. An ihrer Schläfe klebte getrocknetes Blut und mit verquollenen Augen blickte sie zu Brianna hoch.
„Mami?!“. Es war erst ein lautloses Schluchzen, aber für Brianna war es ein Orchester aus Trompeten, das in ihren Ohren tobte.
Mit weit aufgerissenen Augen schob sie das Kind von sich weg und überließ es dem gierigen Höllenschlund, während sie selbst dahin taumelte. Vorbei an hunderten, für sie ausdruckslosen, Gesichtern.

Die Spielmannsgasse war leer. Es rührte sich keine Menschenseele. Keine Spielfrau erfüllte die kleine Gasse mit ihren lieblichen Gesang. Kein Akrobat tanzte über den Dächern der Stadt auf einer dünnen Wäscheleine. Und keine Kinder spielten Räuber und Gendarm. Da war nur Brianna. Hände und Arme in rote Farbe getränkt. Das Haar schmutzig und verfilzt.
Sie stand bereits vor ihrer Türe, als ein dumpfes Geräusch ihre Sinnesorgane reizte. Der Ton wurde von einem hellen peitschenartigen Geräusch begleitet, gefolgt von leisen Gewimmer.
„Sei still meine Kleine. Ich will dir nicht weh tun“.
Die Stimme war süßlich und spielte Besorgnis und Einfühlungsvermögen vor.
„ Komm, seit still sonst muss ich dafür sorgen, dass du schweigst. Es ist auch gleich vorbei, du musst nur ruhig daliegen.“

Der Tonfall war nun bestimmter und hatte einen bitteren Beigeschmack.
Einen Moment war Brianna versucht einfach die Türe aufzuschließen. Einfach die Nacht und ihre Geschehnisse auszublenden. In ihr Bett zu kriechen und nie mehr aufzuwachen. Zu schlafen bis der stille Tot auf dem Bettvorleger stand und seine knochige Hand zum Gruße ausstreckte.
Doch der erstickte Schrei und das atemlose Gestöhne der süßlichen Stimme, löste ihre Starre und so lugte sie mit pochenden Herzen um die Steinmauer in die glitzernde Gasse.
Ihr Atmen setze aus und bevor sie wirklich darüber nachdenken konnte, ergriff sie einen Besen, der an der Hauswand lehnte, und schlug damit den jungen Mann ins Genick. Er sackte zusammen und rollte auf die Seite. Dabei offenbarte er ein kleines Mädchen, höchstens sieben Jahre, dessen Rock heruntergerissen war und die leise wimmernd mit blutunterlaufenem Auge, reglos am Boden lag.

Unsanft zerrte sie das Mädchen auf die Beine, aber sie konnte es nicht trösten. Sie war innerlich leer und schroff packte sie es am Arm und schüttelte es leicht.
„Worauf wartest du noch? LAUF!“, brüllte sie das Mädchen an, welches verstört nickte und davon hechtete.

Briannas emotionslose haselnussbraune Augen wanderten zu dem Mann am Boden, der sich langsam wieder regte. Sie hatte währenddessen den Dolch aus ihren Stiefeln gezogen und trat dem Mann hart in die Seite, sodass er sich wieder auf den Rücken drehte.
Seine stahlblauen Augen musterten sie und Brianna ekelte es, als sie spürte, dass sie den jungen Mann attraktiv fand.
Sie beugte sich nun zu ihm herunter, sodass ihre Gesichter nur wenige Zentimeter entfernt waren und nun genoss Brianna das Gefühl der Macht, dass ihren vorher emotionslosen Körper durchströmte. Das Gefühl absoluter Überlegenheit und die Entscheidung über ein Menschenleben.
Ihre Stimme war gefasster und kälter, als es sich Brianna in dieser Situation je hätte vorstellen können.

„Sag mir du widerlicher kleiner Scheißkerl. Was soll ich mit deinen Leben anstellen?“.
Sie flüsterte die Worte und währenddessen fuhr sie mit der Klinge des Dolches über seinen Adamsapfel.
„Wenn ich jetzt zusteche ist dein Leben schneller vorbei als du denken kannst, oder…“
Sie genoss die Panik in seinen Augen und ihre klinge ritzte die Stelle an seiner Kehle leicht ein, sodass heidelbeergroße Bluttropfen daraus hervorquollen.
„…oder soll ich die Klinge direkt in dein nicht vorhandenes Herz stoßen?“
Die Klinge fuhr zu seinem Herzen, nicht ohne leicht über die Haut zu ritzen. Sie entdeckte, dass seine Hose offen war und sein Glied zu sehen war und lächelte leicht.
„Oder soll ich deiner jämmerlichen Männlichkeit ein Ende bereiten, so wie du diesem Mädchen ihrer Jungfräulichkeit ein Ende bereiten wolltest?“
Er keuchte als die Klinge über Brust und Bauch bis hin zu seiner Scham ritzte. Er winselte nun und Tränen quollen aus den stahlblauen Augen und Briannas Machtgier erlosch so abrupt, wie sie aufgelodert war.
„Steh auf!“, sagte sie vehement und der Mann tat wie geheißen. Sofort wich er einige Schritte von Brianna weg.
„Geh! Rette dein jämmerliches Leben. Heute ist genug Blut vergossen worden“, erwiderte sie resigniert und sah zu, wie der Mann davon stürzte. Nach einigen Metern blieb er inne und brüllte mit solch hasserfüllter Stimme, dass es Brianna das Mark in den Knochen gefrieren ließ:
„ DAS WIRST DU BÜSSEN KLEINES MISTSTÜCK!“.


Ihre Wohnung war unglaublich still. Feine Staubpartikel wirbelten durch die hereinfallenden Sonnenstrahlen. Eine fast bedrohliche Ruhe und ein beängstigender Frieden lagen in diesen vier Wänden, die Brianna ihr Zuhause nannte.
Die Müdigkeit übermannte Brianna so schnell, wie sie über die Türschwelle getreten war. Doch bevor sie sich in ihr weiches Bett legen konnte, führte sie ihr Weg in die Küche wo ein Eimer mit Wasser stand.
Sie packte einen alten Lappen und fing an ihre Hände und Arme so heftig zu schruppen, dass es schmerzte. Als sie fertig war glühten ihre Hände fast so rot, wie eine halbe Stunde zuvor, als sie noch blutbefleckt waren.

Der Schlaf, welchen sie daraufhin suchte, war kurz und unbefriedigend und musste am frühen Nachmittag sein, als sie sich mit schmerzenden Gliedern aus dem Bett erhob.


Brianna zu ihrer Wohnung in der Spielmannsgasse

Eandril:
Balkazîr, Gimlâns Sohn

06. August 3022

Balkazîrs Schritte hallten auf den Steinen des wie leergefegten Brunnenhofes und von den Mauern des Palastes wider. Seine Rüstung aus schwarzem Stahl klirrte bei jedem Schritt, den er über den weißen Marmor zurücklegte. Die Hitze lastete brütend auf der Stadt und eigentlich war die Rüstung nicht dazu geeignet, um sie bei solchen Temperaturen den ganzen Tag zu tragen. Doch Balkazîr war an die Hitze Mordors im Sommer gewöhnt und hatte auch dort seine Rüstung selten abgelegt, und nun spürte er sie kaum.
Von Osten zogen wie so häufig gegen Abend schwarze Wolken heran, und würden die einstige Hauptstadt Gondors in eine frühe Dunkelheit hüllen. Stolz betrachtete Balkazîr die schwarzen Banner mit dem Zeichen des roten Auges, die überall auf den Wällen und auf den Türmen des Palastes flatterten. Lange hatte die Weiße Stadt, wie sie damals genannt worden war, sich dem Zugriff Mordors widersetzt, doch nun waren sie hier. Gondor, das Reich der Schwachen und der Verräter, lag am Boden, doch es war noch nicht besiegt, und dieses Bewusstsein nagte an Balkazîr. Die Menschen Gondors waren erbärmlich und blind, dachte er verächtlich. Sie erkannten nicht die Macht des Gebieters, und so waren sie zum Untergang verdammt - und vielleicht war es besser so. Ihre Vorfahren mochten Verwandte und Brüder gewesen sein, doch die Vorfahren Gondors hatten das stolze Westernis und seinen König verraten, und sich stattdessen den Elben angebiedert. Elben!
Balkazîr schnaubte verächtlich, während er den Brunnen in der Mitte des Hofes umrundete. Einst hatte hier ein weißer Baum als Zeichen der Könige von Gondor gestanden, doch sie hatten ihn gefällt und verbrannt. Balkazîr war dabei gewesen, und als der Baum brannte hatte er gespürt, dass Gondors Zeit zu einem Ende kommen würde. Einst war der Brunnen mit Wasser gefüllt gewesen, doch nun war es Blut - das Blut von Verrätern und Feiglingen. Gestern war auf diesem Platz Aglarîl hingerichtet worden, der den Befehl über alle Streitkräfte Mordors im besetzten Gondor gehabt hatte, und sein Blut hatte sich mit dem der anderen, die vor ihm gestorben waren, vermischt.
Balkazîr hatte der Hinrichtung beigewohnt.

Er erreichte sein Ziel, einen Nebeneingang der Zitadelle auf der Nordseite des Hofes. Die Tür wurde von zwei Männern in grauen Rüstungen bewacht, die Balkazîr keines Blickes würdigte. Diese Männer waren als Sklaven in Mordor geboren worden, und ihr ganzes Leben lang zu diesem Zweck ausgebildet und geformt worden. Sie waren gute Kämpfer, und doch nicht mehr Wert als der Dreck unter Balkazîrs Stiefeln. Sie hatten keine Verwandtschaft mit den wahren Erben Númenors, und hatten das Wort nicht an einen ihrer Herren zu richten oder überhaupt zu sprechen, solange sie nicht dazu aufgefordert wurden.
Balkazîr betrat den Raum, nahm den Helm ab und klemmte ihn sich unter den Arm. Dann ging er vor dem am Fenster stehenden Mann auf die Knie und neigte respektvoll den Kopf. "Ihr wolltet mich sprechen, Herr."
Der Mann wandte sich zu ihm um, doch Balkazîr wagte es nicht, unaufgefordert den Blick zu heben. Er hatte am Schwarzen Tor gekämpft, an dem Tag als sie ihren größten Sieg errungen hatten. Er hatte in Pelargir gekämpft und dort einen mächtigen Adligen Gondors erschlagen, und er war nach dem Aufstand in Minas Tirith bei dem Heer gewesen, dass die Stadt zurückerobert hatte. Es gab nur wenig, was Balkazîr Angst machen konnte, doch Arnakhôr, Sohn Abrazîrs, gehörte dazu.
"Erhebt euch, Balkazîr", sagte Arnakhôr schließlich, und Balkazîr stand ohne Zögern auf. Er mied Arnakhôrs Blick nicht länger, denn er wusste, der andere spürte jedes Zeichen von Schwäche sofort.
Arnakhôr war einige Jahre jünger als Balkazîr, doch er hatte sich im Dienst des Auges einen großen Namen gemacht. Einige Jahre vor dem Krieg war er verantwortlich für die Niederschlagung eines Sklavenaufstands in Nurn gewesen, und hatte dies so gründlich und mit solcher Grausamkeit getan, dass die Sklaven seitdem nichts mehr gewagt hatten. Im Krieg schienen die Heere Mordors zu siegen, wo immer er auftauchte. Er war bei der Eroberung des Einsamen Berges im Norden dabeigewesen, und war aus Dol Guldur nach Gondor abkommandiert worden, kurz bevor die Festung vom Verräter Curunír erobert worden war, sodass der Hauch der Niederlage ihm nicht anhing.
Arnakhôr war derjenige gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass Aglarîl vor zwei Tagen seines Amtes als Oberbefehlshaber enthoben und des Verrats und der Feigheit angeklagt worden war. Und Arnakhôr hatte dafür gesorgt, dass Aglarîl sofort zum Tode verurteilt und hingerichtet worden war, und hatte den Befehl über die Streitkräfte Mordors selbst übernommen.
Es war Arnakhôr nicht schwer gefallen, sein Ziel zu erreichen, denn er entstammte einem weit edleren Haus als Aglarîl und war im Gegensatz zu diesem eng mit dem Fürstenhaus von Durthang verwandt. Er war ein Vetter dritten Grades von Fürst Varakhôr selbst, und sogar ein Vetter zweiten Grades von dessen Frau Lôminzil. Arnakhôr selbst war ein aussichtsreicher Kandidat für die Hand von Varakhôrs Tochter Azruphel gewesen - jedenfalls vor Azruphels merkwürdigem Verschwinden aus Mordor, bei dem immer öfter von Verrat die Rede war.
"Ihr habt den Befehl über eine Einheit von Orks, die bei Pelargir und in Lossarnach gekämpft hat." Es war weniger eine Frage als eine Feststellung, und trotzdem nickte Balkazîr. "Das ist richtig, Herr."
"Und wie es aussieht, weint ihr Aglarîl keine Träne nach", sagte Arnakhôr. Seine Stimme war kühl und leidenschaftslos, doch seine schwarzen Augen fixierten Balkazîr intensiv und prüfend.
Balkazîr schüttelte den Kopf. "Nein, Herr. Aglarîl war schwach, zögerlich und unfähig. Seine Entscheidung, den Haradrim die Südhälfte des besetzten Gebietes zu überlassen, war falsch und feige. Die Niederlagen am Mering-Strom waren seine Schuld, weil er zu zögerlich und zu schwach gehandelt hat. Die Niederlage in Linhir hätte verhindert werden können, wenn er den Haradrim weniger Macht eingeräumt hätte. Und er hat sich als unfähig erwiesen, den Widerstand in Ithilien mit einem raschen und heftigen Schlag zu beseitigen. Stattdessen hat er sich in endlose kleine Gefechte verwickeln lassen, und zugelassen, dass sie immer wieder unsere Nachschubrouten überfallen konnten. Mit ihm hätten wir nie einen Sieg errungen, und ich bin froh, dass er tot ist."
Arnakhôrs blasses Gesicht verzog sich zu einem unschönen Lächeln. "Ihr scheint ihn wirklich gehasst zu haben, Balkazîr. Warum habt ihr nie selbst versucht, ihn zu ersetzen?"

Balkazîr zögerte für einen Augenblick. Wenn Arnakhôr ihm sein Handeln als Schwäche auslegte, war seine Laufbahn in diesem Moment vorüber, und er hätte Glück mit dem Leben davonzukommen. Schließlich entschloss er sich, dass ihm die Wahrheit hier nur helfen und nicht weiter schaden konnte. "Ich habe mit dem Gedanken gespielt", erwiderte er. "Doch mir fehlte es an Macht und Einfluss, ohne einen direkten Befehl aus Mordor hätte ich nicht handeln können."
Arnakhôr nickte, und wandte sich wieder dem Fenster zu. Die Wolken aus dem Osten hatten inzwischen die Stadt erreicht, und die schwachen Sonnenstrahlen aus dem Westen tauchten sie in ein fahles Licht. "Ihr wisst, dass Aglarîl ein Heer durch die Berge nach Erech entsandt hat, als einen seiner letzten Befehle."
"Das weiß ich, Herr." Auch wenn Balkazîr diesen Vorstoß für sinnlos und zum Scheitern verurteilt hielt, hatte die Demütigung, dass er nicht daran teilnehmen durfte, an ihm genagt. Selbst der Verräter aus Gondor, Imradon, war dorthin geschickt worden, während Balkazîr zurückgeblieben war.
"Dieses Heer wird vermutlich scheitern", bestätigte Arnakhôr seine Befürchtungen. "Es marschiert tief ins Feindesland, ohne Hilfe und Unterstützung. Doch wir werden die Gelegenheit nutzen, die sich nun bietet."
"Linhir?", wagte Balkazîr zu fragen, doch Arnakhôr schüttelte den Kopf und wandte sich ihm wieder zu. "Nein - zumindest noch nicht. Aber ihr erwähntet den Widerstand in Ithilien. Dem Gebieter sind diese Waldläufer ebenfalls aufgefallen", sagte er. Er ging zu dem einzelnen Tisch, der in der Mitte des Raumes stand, und auf dem eine Karte des östlichen Gondors lag. "Wir werden keinerlei Widerstand in unseren Gebieten mehr dulden." Er deutete auf das südliche Ithilien, und ließ seinen Finger nach Westen, zu den Mündungen des Anduin wandern. "Ihr werdet eine Truppe zusammenstellen, die diese Banditen ein für alle Mal vernichtet. Ich selbst werde mich um den Widerstand am Ethir kümmern."
"Ja, Herr", antwortete Balkazîr. Er spürte sein Herz schneller schlagen bei der Aussicht, endlich wieder richtig in den Krieg zu ziehen und die Feinde Mordors zu vernichten. Sein Schwert sehnte sich nach dem Blut seiner Feinde.
"Gut. Ihr werdet keine Gnade walten lassen. Tötet sie alle, und schreckt dabei vor keiner Grausamkeit zurück. Wir müssen ein Beispiel für das restliche Gondor geben..." Arnakhôr klang nachdenklich, und in diesem Augenblick war Balkazîr sich sicher, dass dieser Mann Mordor zum Sieg in Gondor führen würde.
"Bevor der zweite Monat um ist, wird der Widerstand in Ithilien für immer gebrochen sein", sagte er, und verneigte sich.
"Ich verlasse mich darauf", erwiderte Arnakhôr ohne Regung, doch in seiner Stimme schwang eine versteckte Drohung mit. Wenn er Erfolg hatte, konnte Balkazîr höher aufsteigen, als er jemals zu träumen gewagt hatte. Doch wenn er scheiterte, würde ihn das selbe Ende erwarten wie Aglazîr.

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