Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Dunland
Die Hügellande von Dunland
Eandril:
3. August 3022
Aus der Sicht von Forath
Die einzige Eisenmine Dunlands lag im Süden des Landes, an den Hängen des Nebelgebirges. Nördlich davon bildete sich zwischen der Hauptkette und einer Nebenkette der Berge ein langes, immer schmaler werdendes, Tal, das als Tal der Messer bezeichnet wurde und passender Weise vom Stamm des Messers beherrscht wurde. Durch seine Vorherrschaft über die Eisenmine war dieser Stamm einer der mächtigsten Dunlands, und die meisten Wolfsfürsten waren aus seinen Reihen gekommen. Heute war der Stamm des Messers nur noch ein Schatten seiner selbst, und Saruman dennoch weiterhin treu ergeben - ein Umstand, den Forath zu ändern gedachte.
Nach Bórans Tod hatte er Boten an alle anderen Stämme Dunlands gesandt, mit der Bitte, sich ihm anzuschließen. Die Stämme des Reifes und des Gewandes, die beide im Westen lebten und eher friedlich gesonnen waren, waren dieser Bitte als erstes nachgekommen, denn sie beide Häuptlinge waren mit Forath einer Meinung, dass das Bündnis mit Saruman ihnen inzwischen mehr schadete als nützte. Auch der Stamm des Stabes, der dem Stamm des Schildes am nächsten lag, hatte sich ihnen angeschlossen. Ihr Häuptling Wulfrat war mit vielen seiner Gefolgsleute nach Norden gezogen und dort in Sarumans Diensten erschlagen worden, und sein gerade erst gewählter Nachfolger und Verwandter Corgan hatte sich von Forath überzeugen lassen, das Bündnis mit Saruman zu beenden. Doch die übrigen Stämme hatten nicht auf ihn gehört, und nun standen sich zu Foraths Leidwesen seine Gefolgsleute auf der einen und die Stämme des Messers, des Ringes und der Kette auf der anderen Seite gegenüber. Das war ohne Zweifel Sarumans Botschafter Angbaug zuzuschreiben, auch wenn diese Stämme schon immer die kriegerischsten und Rohan am feindlichsten gesinnten gewesen waren.
Beim Gedanken an Angbaug verzog Forath, der auf einer bewaldeten Anhöhe östlich der Mine stand, das Gesicht, und rieb sich die kaum verheilten Wunden, die Angbaug ihm zugefügt hatte. Neben ihm fragte Corgan zum wiederholten Mal: "Was genau wollen wir eigentlich hier? Unsere Feinde sind weiter im Norden, haben meine Späher berichtet."
Forath seufzte. "Dies ist die einzige Eisenmine in ganz Dunland, und deshalb müssen wir sie erobern." Der Stamm des Reifes hatte ihre Feinde nach Norden gelockt, während Forath mit dem Hauptteil ihrer Krieger einen Bogen nach Süden geschlagen hatte, um die Mine besetzen zu können. Obwohl er mit vier Stämmen gegen drei stand waren sie was Waffen anging deutlich im Nachteil, und diesen musste er ausgleichen, bevor die eine offene Schlacht suchen konnten.
"Aber wozu?", fragte Corgan nach, und Forath musste sich mühsam beherrschen, nicht genervt aufzustöhnen und seinen Verbündeten zu verärgern. Er vertraute sowieso schon nicht auf Corgans Treue, und ihn herablassend zu behandeln wäre die sicherste Methode, in wieder Saruman in die Arme zu treiben.
"Aus Eisen macht man Waffen."
"Wir haben Waffen." Überflüssigerweise hob Corgan seine schwere, doppelschneidige Axt.
"Aber unsere Gegner haben mehr", erwiderte Forath. "Und solange sie diese Mine kontrollieren, können sie immer mehr Waffen herstellen und mehr Männer bewaffnen. Wenn wir aber die Mine besetzen..."
"... können wir mehr Waffen herstellen und sie mit ihrem eigenen Eisen in den Tod schicken." Corgan grinste, und ließ dabei schiefe Zähne sehen. "Der Plan gefällt mir."
Die beiden Häuptlinge wurden unterbrochen als Foraths ältester Sohn Aéd durch die Büsche trat. Forath betrachtete seinen Sohn stolz, denn obwohl er erst zwanzig Jahre alt war, hatte Aéd sich bereits als hervorragender Krieger, der nicht nur kämpfen sondern auch denken konnte, ausgezeichnet.
Neunzehn Jahre zuvor war Forath verbannt worden. Er hatte damals dem Stamm des Messers, ebenjenem Stamm, dessen Mine sie nun angreifen wollten, angehört, und im Streit einen anderen Mann getötet. Er war betrunken gewesen, und deswegen nicht auf der Stelle getötet, sondern lediglich aus dem Stamm verstoßen worden. Er hätte sich einem der anderen Stämme anschließen können, doch dazu war er zu stolz gewesen und außerdem hatte die Verbannung in ihm das seltsame Bedürfnis geweckt, die Welt zu sehen. Nach Osten konnte er nicht gehen, denn die Rohirrim hassten die Dunländer - und umgekehrt - und im Norden gab es den Erzählungen der anderen Stämme zufolge nichts als Ruinen und wilde Tiere. Also war Forath nach Westen gewandert, bis an das große Meer, und an dessen Küste entlang nach Süden. So war er schließlich nach Anfalas in Gondor gekommen, wo er sich einige Zeit als Knecht auf Bauernhöfen verdingte, und dort hatte er sie getroffen - Eryn, die jüngste Tochter eines reichen Bauern, und sich in sie verliebt. Ihre Beziehung war allerdings nicht lange unbemerkt geblieben, und da Eryns Vater sie nicht mit einem dahergelaufenen Knecht aus dem Norden verheiraten wollte, war er gegangen. Sein Weg hatte ihn dann weit nach Osten geführt, bis an den großen Strom und sogar zur Mundburg nach Minas Tirith. Er schloss sich der Armee Gondors an, die den Anduin bewachte, und diente dort über zwei Jahre. Doch irgendwann wurde Foraths Sehnsucht nach Eryn zu groß, und er verließ die Armee heimlich bei Nacht und Nebel, und kehrte nach Anfalas zurück.
In Anfalas wartete allerdings nicht mehr Eryn auf ihn, sondern nur ihr kleiner Sohn - sein Sohn - den sie Aedír genannt hatte, und bei dessen Geburt sie gestorben war. Gegen den Willen von Eryns Vater hatte Forath seinen Sohn mitgenommen, und war nach Dunland zurückgekehrt, wo sie sich dem Stamm des Schildes weit im Norden angeschlossen hatten. Doch auch wenn Forath inzwischen wieder geheiratet hatte und seine Frau liebte, hatte er Eryn nie vergessen, und in Aéds Gesicht sah er immer die Erinnerung an sie.
"Die Männer sind bereit, Vater", sagte Aéd, und Forath nickte. "Gib das Signal zum Angriff", meinte er zu Corgan, und der andere Häuptling setzte sein mächtiges Horn an die Lippen. Der Ton hallte von den Berghängen wieder, und aus den Wäldern um die Mine herum brachen ihre Krieger hervor und griffen wie völlig überrumpelten Wachen, die nur wenige waren, von allen Seiten an. "Mir gefällt das nicht, nicht mitzukämpfen", sagte Corgan mürrisch, während er beobachtete wie ihre Männer die letzten Verteidiger niedermachten.
"Mir auch nicht", erwiderte Forath, obwohl es nicht stimmte. Er hatte nie große Freude am Kampf gefunden. "Aber das ist das Schicksal der Heerführer." Die zwei Jahre in der Armee Gondors hatten ihre Spuren bei ihm hinterlassen, und er hatte den Wert eines Kommandanten, der nicht selbst mitkämpfte, begriffen.
"Aber es sieht so aus, als hätten sie auch ohne uns gesiegt."
Die Mine war noch genauso dunkel und stickig wie Forath sie aus seiner Jugend in Erinnerung hatte, und sie wurde noch immer überwiegend von Sklaven betrieben. Der Anführer der Sklaven war ein alter Schmied namens Dúnwald, der dem Namen nach aus Rohan stammte, und den Foraths Männer von seiner Arbeit in der Schmiede geholt hatten.
"Werdet ihr uns nun freilassen?", fragte der Schmied, und Forath sah in seinen tiefliegenden Augen einen Funken Hoffnung aufblitzen. Er schüttelte bedauernd den Kopf. "Nein, auch wenn ich gerne würde."
"Was hindert euch?", fragte der Rohir ohne viel Emotion in der Stimme, doch Forath bemerkte die Anzeichen der Wut - die verengten Augen, die zusammengepressten Lippen. "Wir brauchen Waffen", erklärte er, und nahm einen Brocken Eisenerz in die Hand. "Dies hier ist der Stoff des Krieges, doch in dieser Form können wir ihn nicht verwenden. Und keiner von uns weiß, wie man das Eisen aus dem Erz herausholt und wie man es zu Waffen schmiedet. Dafür brauchen wir euch Sklaven."
"Und warum sollten wir euch helfen?", fragte Dúnwald, und einer der anderen Sklaven in der Nähe schnappte nach Luft, erschreckt über diese Dreistigkeit. Doch weder schlug Forath zu, noch befahl er einem seiner Krieger, den Schmied zu töten.
"Wir wollen Frieden mit Rohan", sagte er stattdessen. "Und wir müssen Krieg gegen die anderen Stämme führen um das zu erreichen, und dazu brauchen wir Waffen."
Eandril:
29. August bis 2. September 3022
Aus der Sicht von Forath und Aéd
~~Aéd - Auf dem Wasser laufen~~
Der Abend zog bereits herauf und die ersten Sterne leuchteten im Westen, als Aéd und seine Männer das Dorf erreichten, das er seine Heimat nannte. Für die meisten seiner Männer galt das nicht, denn die Gruppe junger Krieger, die sich nach ihrem Anführer selbst als das "Wolfsrudel" bezeichnete, setzte sich aus Angehörigen aller Stämme Dunlands zusammen. Natürlich kamen die meisten aus Stämmen, die Aéds Vater gegen Saruman folgen, doch zu Aéds Stolz hatten sich ihnen auch einige wenige Mitglieder aus den anderen drei Stämmen angeschlossen.
"Also dann, sucht euch einen Platz zum Schlafen", sagte Aéd. Diejenigen, die keine Verwandten im Dorf hatten, würden bei jenen Gefährten unterkommen, die diesen Vorteil genossen. Aéd sah zu, wie seine Männer sich langsam in kleinen Gruppen zerstreuten, und legte dabei die Hand auf den weißen Wolfshelm, den er locker am Gürtel trug. Das Wolfsrudel hatte sich nach der Eroberung der Messermine zusammengefunden, alles junge Krieger in Aéds Alter, die für die Unabhängigkeit Dunlands vom weißen Zauberer eintraten und notfalls dafür sterben würden. Auch wenn sie nicht viele waren - nur etwas über dreißig - hatten sie sich in den Kämpfen während der letzten Wochen als schlagkräftige Einheit erwiesen.
Während er langsam zwischen den einfachen Hütten des Dorfes hindurchging, erinnerte Aéd sich an die erste größere Tat ihrer Gruppe, die ihnen bei den Häuptlingen viel Respekt eingebracht hatte. Kurz nach der Einnahme der Messermine hatte der Stamm des Messers versucht, seine Mine mit einem heftigen Angriff zurück zu erobern, doch während des Kampfes hatte Aéd einen Schwachpunkt in den Reihen der Feinde erkannt. Er und seine Gefährten hatten die steilen Hänge der Berge im Rücken der Verteidiger erklommen, und waren in einem Bogen nach Süden in den Rücken der Angreifer gelangt. Dort hatten sie den Wald, der nach einer langen Periode der Trockenheit leicht zu entzünden war in Brand gesetzt, und die Männer aus dem Stamm des Messers in der allgemeinen Verwirrung hinterrücks angegriffen. Dies hatte den Verteidigern einen Ausfall ermöglicht, der die Angreifer wiederum zur Flucht gezwungen hatte.
Hinterher war Aéd von seinem Vater gelobt worden, doch gleichzeitig hatte Forath ihn gescholten, mit dem Entfachen des Waldbrandes sein eigenes Leben in Gefahr gebracht zu haben.
Aéd erreichte das große Haus im Nordwesten des Dorfes, das bis vor zwei Monden von Bóran bewohnt gewesen war. Eigentlich hatte sein Vater nicht in das Haus einziehen wollen, doch seine Frau hatte sich durchgesetzt. Aéd lächelte bei dem Gedanken an Brigid, denn seine Stiefmutter war eine der wenigen, die es regelmäßig wagten, seinem Vater die Stirn zu bieten - und damit auch noch Erfolg hatten. Er klopfte an die Tür und rief leise, falls seine Geschwister bereits schliefen: "Mutter? Ich bin es, Aéd."
Die Tür wurde schwungvoll geöffnet, und Aéd fand sich sofort in Brigids Armen wieder. Seine Stiefmutter war eine relativ kleine Frau, die mit der Zeit etwas rundlich geworden war und dennoch ihr gutes Aussehen bewahrt hatte, und Aéd liebte sie, als wäre sie seine leibliche Mutter - obwohl sie nur etwas mehr als ein Jahrzehnt älter war als er. Er strich ihr sanft über den Rücken, bevor sie ihn entließ und sagte: "Aedir, ich habe mir Sorgen um dich gemacht."
Das war eine von Brigids Eigenarten: Sie nannte ihn nie bei dem Namen, mit dem alle anderen ihn ansprachen, sondern benutzte seit er denken konnte, nur den Namen den seine leibliche Mutter Eryn ihm vor ihrem Tod gegeben hatte. "Ich habe schreckliche Sachen geträumt, von Kämpfen, Feuer und Tod."
"Kämpfe hat es gegeben", erwiderte Aéd ernst, und folgte ihr nach links durch den Gang in die Küche, in der zu Bórans Zeiten mehrere Diener gearbeitet hatten. "Ein Feuer gab es auch", fuhr er fort, ließ sich auf einem Hocker nahe dem Ofen nieder, und legte seinen weißen Wolfspelz ab. Obwohl es Sommer war, waren die Nächte in Dunland kühl. "Und Tote gab es mehr als genug, aber weder Vater noch ich sind darunter - so schrecklich können deine Träume also nicht gewesen sein." Den letzten Teil sagte er halb im Scherz, obwohl er genau wusste, dass man über Brigids Träume nicht scherzte. Sie war eine weise Frau, und es hieß, dass ihre Träume öfter die Wahrheit zeigten als logen. Und seit Aéd vor dem Gottesurteil der Elben von Bórans Tod geträumt hatte, hatte er eigentlich noch weniger Lust über die Träume zu scherzen als zuvor, doch nun war er wenigstens für eine Nacht zu Hause.
Wie erwartet gab Brigid ihm einen Klaps auf die Schulter, als wäre er kein Krieger von zwanzig Sommern, sondern nur ein aufmüpfiger Knabe.
"So froh ich auch bin dich zu sehen, weiß ich doch auch, dass dich nur ein Auftrag deines Vaters hierher führt und du ansonsten bei ihm geblieben wärst", meinte Brigid, und sah Aéd aufmerksam an.
"Ich hätte ihn nicht einen Augenblick alleine gelassen", antwortete Aéd. "Aber wenn wir unsere Feinde zu einer Entscheidungsschlacht zwingen wollen, brauchen wir jeden Mann."
In dieser Nacht hatte Aéd einen Traum. Er fand sich am Ufer eines Sees, über den der Mond eine silbrige Spur warf, wieder. Sanft fiel Regen vom Himmel, und tropfte leise von den Ästen der Tannen hinter ihm. Am anderen Ufer des Sees, wo die Lichtspur des Mondes endete, erblickte er eine Gestalt, eine weiß gekleidete Frau mit langen, blonden Haaren, die in der Nacht zu leuchten schienen. Und dann schritt sie hinaus auf den See, über die die Lichtbrücke auf Aéd zu, und er konnte ihre Stimme in seinem Kopf hören. In der Ferne grollte leiser Donner.
"Eine Dunkelheit liegt über Mittelerde. Eine Dunkelheit, die größer ist als der Feind, den ihr bekämpft." Vor Aéds Augen blitzten Bilder in rascher Folge auf: Reiter, die über eine Ebene preschten, eine weiße Stadt unter schwarzen Bannern, ein Heer, das von einem Mann mit einem goldenen Helm angeführt wurde, und auf dem Helm die Gestalt eines Drachen. Dann senkte sich Finsternis über das Land, und Aéd sah eine Ebene aus Asche vor sich, über die eine riesige schwarze Gestalt schritt. An der Hand der Gestalt brannte ein Ring aus Feuer, und sie erschlug ihre Feinde links und rechts mit einer gewaltigen Keule. Als sie ihn anblickte, glaubte Aéd ein riesiges, flammendes Auge zu sehen, und er wollte vor Entsetzen aufschreien - doch in diesem Moment endete das Bild, und er war wieder an dem friedlichen, nächtlichen See, über den die weiß gekleidete Frau weiter langsam auf ihn zuschritt. Inzwischen konnte Aéd sehen, dass sie wunderschön war.
"Du hast die Dunkelheit und die Funken der Hoffnung gesehen", sprach ihre Stimme in seinem Kopf weiter, ohne dass sie die Lippen bewegte. "Alle Völker Mittelerdes werden unter den Schatten fallen, wenn sie nicht vereint handeln." Verwirrte Gedanken schossen Aéd durch den Kopf, doch er konnte nicht sprechen. Weiter Bilder blitzten auf, zu schnell um sie zu erkennen.
"Dein Vater handelt richtig und gut, doch ohne deine Hilfe wird es nicht ausreichen. Hüte dich vor dem Roten Raben." Inzwischen hatte die Frau ihn erreicht, und legte ihm eine weiße Hand auf die Schulter. "Wenn die Winde des Winters heulen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt. Die Menschen müssen das beherzigen. Vereinige sie."
Ihr Bild, der See und alles andere begannen in einem weißen Nebel zu verschwinden, und bevor der Traum endete, hörte Aéd noch ihre letzten Worte: "Erwartet eure Feinde hier. Am Silbersee."
Am nächsten Morgen wurde Aéd unsanft geweckt, als sich seine jüngste Schwester Eryn neben ihm auf das Strohlager warf, und ihn mit ihrer kleinen Hand gegen die Schulter boxte. "Warum hast du mir nicht nicht gestern Abend gesagt, dass du gekommen bist?"
Aéd grinste, und richtete sich betont ausführlich gähnend auf. Dann kitzelte er ihre Seite, und erwiderte: "Weil Prinzessinnen ihre Schlaf brauchen." Eryn kicherte und wand sich, blickte ihn dann aber ernst aus braunen Augen an und fragte: "Und musst du auch gleich wieder fort?" Aéd stand auf, streckte sich, und zog dann seine Schwester auf die Füße. Auch wenn er alle drei seiner Halbgeschwister liebte, hatte Eryn doch irgendwie einen besonderen Platz in seinem Herzen erobert - nicht nur, weil sie nach seiner leiblichen Mutter benannt war.
"Ja, leider muss ich heute noch zu Vater zurück."
"Aber, kann er nicht noch ein bisschen länger auf dich warten? Morgen vielleicht?" Aéd musste wieder lachen, und strich Eryn über den braunen Schopf. "Nein, das kann er leider nicht. Ich bin nämlich ganz besonders wichtig, weißt du?" Eryn kicherte, und folgte ihm durch das Haus hinunter in die Küche. Das große Haus hatte sich seit Bórans Zeiten stark verändert. Damals war es düster und verräuchert gewesen, doch Brigid hielt nichts davon und hatte für Licht und frische Luft gesorgt. In Aéds Abwesenheit war es geradezu zu einem Zuhause geworden.
Als Aéd die Küche betrat, fand er sich sofort in einer kräftigen Umarmung seiner zweiten Schwester wieder. Lynet war jetzt vierzehn Sommer alt und damit sechs Jahre älter als Eryn, und wuchs zur Freude ihrer Eltern zu einem äußerst hübschen Mädchen heran. "Du hättest sagen sollen, dass du wieder da bist", sagte sie gedämpft gegen seine Brust, und Aéd tauschte ein rasches Lächeln mit Brigid, die am Herd stand und in einem großen, über dem Feuer hängenden Kessel rührte. Neben ihr am Tisch saß Henwas, Aéds einziger Halbbruder, der Aéd mit seinen zwölf Jahren als eine Art Helden betrachtete.
"Das ist schon das zweite Mal, dass ich das heute höre." Eryn, die sich an ihm und Lynet vorbei quetschte, kicherte erneut.
"Und eigentlich bin ich auch nicht wirklich wieder da, sondern muss sofort wieder weg. Vater hat mir aufgetragen, alle übrigen Männer zu holen, bevor wir uns den anderen zur Schlacht stellen." Es hatte keinen Sinn, irgendetwas über den Krieg vor seinen Geschwistern zu verheimlichen, denn sie wussten sowieso schon zu viel. "Nimmst du mich dann auch mit?", fragte Henwas bittend. Für Aéds Bruder war der Krieg ein Abenteuer, und er hatte kein Vorstellung, wie schrecklich der Krieg in Wirklichkeit war. Aéd war selbst einmal so gewesen, vor sechs Jahren...
"Du bist noch zu jung", antwortete er entschlossen, während er sich aus sanft aus Lynets Umarmung befreite, und auf Henwas' Gesicht malte sich kindliche Enttäuschung. "Krieg ist kein Spiel, Bruder", fuhr Aéd fort, und setzte sich Henwas gegenüber an den hölzernen Tisch. "Und wenn ich könnte, würde ich selber nicht gehen." Kaum hatte er ausgesprochen, warf Brigid ihm über den Tisch einen scharfen Blick zu.
"Ist etwas geschehen?" Aéd zwang sich zu lächeln, und erwiderte: "Dir entgeht auch nur wenig, oder? Ich habe einen Traum gehabt, der mich beschäftigt." Er erzählte, an was er sich erinnern konnte, während seine Geschwister andächtig lauschten, und Brigid ihn aufmerksam beobachtete. Als er fertig war, seufzte seine Stiefmutter, und sagte: "Nun, in diesem Fall solltest du so schnell wie möglich aufbrechen."
"Dann denkst du, dass der Traum wahr gewesen ist?", fragte Aéd. Obwohl sich alles unglaublich wirklich angefühlt hatte, hatte er bis jetzt daran gezweifelt, dass der Traum wirklich etwas zu bedeuteten hatte.
"Mein lieber Aedir, ich träume seit Jahren von einer Dunkelheit, die versucht die Welt zu verschlingen." Während sie sprach, sah Aéd zum ersten Mal in seinem Leben Spuren der Müdigkeit und der Angst in Brigids Gesicht, und es erschreckte ihn. Irgendein Teil in ihm hatte geglaubt, dass sie nichts jemals erschüttern könnte, doch nun sah er, dass er falsch gelegen hatte. "Du musst zu deinem Vater gehen, und ihm erzählen was du gesehen hast, ihn warnen. Und sag ihm... Sag ihm, dass er das richtige tut, aber dass er damit versucht, auf dem Wasser zu laufen. Am Anfang geht es noch gut, doch irgendwann versinkt man plötzlich."
Weniger als eine Stunde später trat Aéd hinaus auf den Platz vor dem großen Haus, wo sich bereits das Wolfsrudel und die übrigen Krieger versammelt hatten. "Sind wir bereit?"
"Alles bereit, Vetter", antwortete Domnall, ein großer Mann in Aéds Alter, der sein Stellvertreter als Anführer des Wolfsrudels war. Eigentlich waren Aéd und Domnall nicht wirklich verwandt, denn Domnall war Brigids Neffe, doch über diesen Umstand sahen sie beide hinweg. "Also gut", meinte Aéd, und hob die Stimme: "Es geht los!"
So zogen sie davon, in die Ruhe vor dem Sturm.
~~Forath - Der Rote Rabe~~
Das Lager der Rebellen erstreckte sich zu beiden Seiten der alten Südstraße - oder ihren Resten, denn viel war nicht von ihr übrig. Die Zeit hatte an ihr genagt, und seine Landsleute hatten viele Steine herausgeklaubt und zum Bau ihrer Häuser und Hütten verwendet. "Vielleicht sollte man sie irgendwann wieder aufbauen... eines Tages... in friedlicheren Zeiten...", murmelte er vor sich hin, während er langsam und gleichmäßig den Schleifstein über die Klinge seines Schwertes zog. Seit er seine Krieger zur einem großen Heer vereinigt hatten, hatten sie ihre Feinde einige Tage nach Norden gelockt, in vertrauteres Gelände. Doch am Tag zuvor waren seine Späher im Süden, die die feindlichen Stämme beobachtet hatten, nicht zurückgekehrt, und nun waren Forath und sein Heer blind. Dennoch erwartete er seine Feinde weiterhin aus dem Süden, und seine momentane Position war in dieser Richtung gut zu verteidigen.
"Es gefällt mir nicht, hier herumzusitzen", sagte Corgan, der an einen Felsen gelehnt neben Forath saß, und auf einem Stück Speck herumkaute. Seit der Eroberung der Messermine hatte Forath den Häuptling des Stamms des Stabes als eine zwar nicht unbedingt klugen, aber doch dafür umso verlässlicheren Kampfgefährten und Verbündeten schätzen gelernt.
"Mir ebenfalls nicht", gab er zu, und legte den Schleifstein beiseite. "Aber solange wir nicht wissen wo unsere Feinde sind, können wir nicht einfach losmarschieren."
"Die Sache stinkt doch", knurrte Corgan zur Antwort. "Wieso sind unsere Späher plötzlich verschwunden? Ich sag dir, Forath, die wollen uns in eine Falle locken."
Forath stand auf, stieß das Schwert in die Scheide und schüttelte den Kopf. "Das ist nicht die Art der Dunländer." Auch Corgan erhob sich.
"Nicht die Art der Dunländer? Hast du vergessen, wie wir die Mine eingenommen haben? Wie wir unseren Feinden seitdem ausgewichen sind und sie verwirrt haben?"
"Vielleicht hast du Recht... Aber ich habe in Gondor gelernt, und nicht in Dunland", gab Forath zurück. Corgan wollte offensichtlich widersprechen, doch in diesem Moment ertönte von Nordosten ein Hornsignal. Gespannt lauschten beide Häuptlinge, doch es blieb bei einem Signal.
"Nur ein Horstoß", meinte Forath erleichtert. "Das wird mein Sohn sein."
"Und seine Wolfswelpen", fügte Corgan spöttisch hinzu. Diese Haltung hatte Forath schon mehrfach unter den älteren Kriegern beobachtet, seit Aéd sein Wolfsrudel gegründet hatte: Sie begegneten der Gruppe junger Krieger mit Spott und nahmen sie nicht ernst, ganz gleich was sie leisteten. Doch inzwischen hatte Forath sich Aéds gleichgültige Haltung zu eigen gemacht und ging auf derlei Spott nicht mehr ein. Er wunderte sich dennoch, woher sein Sohn diese Ruhe nahm, denn er selbst hätte in dessen Alter jeden einzigen der Spötter zum Zweikampf gefordert.
Nur wenig später erreichten die beiden Häuptlinge die Hügelkuppe im Nordosten, von der der Hornstoß ertönt war. Aéd und seine Männer waren bereits herangekommen, und Forath schloss seinen Sohn kurz in die Arme. "Ich sehe, du hast deine Aufgabe erfüllt", meinte er mit Blick auf die Krieger, die dem Wolfsrudel folgten. "Ja...", antwortete Aéd, wirkte aber auf irgendeine Weise abgelenkt, als ob ihn etwas anderes beschäftigen würde. "Vater, ich muss mit dir sprechen."
"Dann sprich." Forath bemerkte den Blick, den sein Sohn Corgan zuwarf, und fügte hinzu: "Wir sind Verbündete, und sollten keine Geheimnisse voreinander haben."
Aéds Gesichtsausdruck verriet keine Zustimmung, doch dann seufzte er und sagte: "Ich hatte einen Traum, indem ich vor dem roten Raben gewarnt wurde." Corgan schnaubte. "Einen Traum, pah. Und es gibt keine roten Raben, nur schwarze. Hattest du vielleicht ein wenig zu viel getrunken, hä?" Aéd schüttelte den Kopf, doch Forath sah den stählernen Ausdruck in seinen Augen.
"Ich habe mit Brigid über den Traum gesprochen, und sie hält ihn für wahr."
"Was verstehen Frauen schon von solchen Dingen. Träume sind Träume", meinte Corgan spöttisch, und Forath spürte in sich die Wut auf den anderen Häuptling aufsteigen. "Ein wenig mehr Respekt, wenn du über meine Frau sprichst", zwang er sich ruhig zu sagen. "Ich glaube Aéd, dass der Traum irgendeine Bedeutung hat, aber ich weiß nicht, was ein roter Rabe sein soll."
"Da war noch etwas", mischte Aéd sich wieder in das Gespräch ein. "Wir sollen den Feind am Silbersee erwarten."
In diesem Moment erklangen aus dem Norden zwei lange Hornstöße. "Feinde", sagte Forath, und dann rannten sie los.
Auf der Straße im Nordwesten rückte eine große Gruppe Männer heran, von denen einige ein schwarzes Banner mit einem roten Zeichen trugen - einem Raben.
"Vater...", sagte Aéd langsam, der zwischen Forath und Corgan stand. "Ich sehe es", erwiderte Forath. "Aber kann jemand das Banner der Weißen Hand erkennen?" Während er sprach eilten um ihn herum seine Krieger hin und her, und stellten sich zur Schlacht auf. Die Feinde rückten näher, allerdings in gemäßigtem Tempo, und zeigten keine Anstalten sich in Schlachtformation zu bringen.
Aéd schien zu wissen, worauf Forath mit seiner Frage hinweisen wollte, und schüttelte den Kopf. "Nein, ich kann keines von Sarumans Bannern sehen. Glaubst du, sie wollen..."
Ein Funke der Erregung durchfuhr Forath, als er den vordersten der nahenden Männer erkannte. "Das ist Gleryon."
"Der Stamm des Ringes?", fragte Corgan misstrauisch. "Wieso kommen die alleine?"
"Habt ihr weitere Feinde gesichtet?", fragte Forath an den Anführer der Späher, der hinter ihnen stand, gerichtet, und dieser verneinte. "Keine weiteren Feinde, zumindest nicht in der nächsten Umgebung." Die Antwort erleichterte Forath, denn sie ließ darauf schließen dass es sich tatsächlich nicht um eine Falle handelte.
Nur kurz darauf waren Gleryon und seine Krieger in Hörweite herangekommen, und niemand hatte die Waffen gezogen.
"Forath!", rief der andere Häuptling ihnen entgegen. "Es gibt doch keinen Grund für solche feindseligen Gesichter. Wir sind gekommen, um euch zu warnen."
"Um uns zu warnen?" Gleryon hatte sie erreicht, und streckte Forath die Hand entgegen. Forath ergriff sie zögerlich, und Gleryon sagte: "Ein Bier wäre jetzt nicht schlecht, denn wir sind schnell marschiert."
"Und warum?", fragte Corgan misstrauisch, und Gleryon zog eine buschige Augenbraue in die Höhe. "Um an eurer Seite zu kämpfen, natürlich", gab er zurück. Forath spürte seine Hände vor Aufregung zittern. Bislang war er sich nicht sicher gewesen, ob sie die Schlacht tatsächlich gewinnen könnten, aber jetzt, mit Gleryon und seinen Kriegern an ihrer Seite...
"Und um euch zu warnen", fügte Gleryon hinzu. "Ihr erwartet eure Feinde aus dem Süden, aber sie werden die Straße von Norden herunterkommen und euch in den Rücken fallen, wenn ihr nicht herumschwenkt."
"Warum sollten wir das glauben?", fragte Aéd, bevor Forath seinen Sohn aufhalten konnte. Doch Gleryon lachte nur. "Du hast einen sehr misstrauischen Sohn, Forath. Aber junger Aéd, wenn ich mich euch anschließen will sollte ich vielleicht irgendetwas haben, um meine Treue zu beweisen. Schließlich habe ich noch kürzlich gegen euch gekämpft. Und was wäre da besser als euch zu erzählen, dass ihr in Kürze alle hinterrücks abgeschlachtet werdet, wenn ihr nicht auf mich hört?"
Forath konnte Aéd ansehen, dass er noch nicht vollends überzeugt war, doch er konnte es sich nicht leisten, seinen neuen überraschenden Verbündeten so schnell wieder zu verlieren.
"Wie lange noch, bis die Feinde eintreffen?", fragte er.
"Ein paar Stunden, höchstens. Wir sollten sie Position wechseln, denn dieser Ort lässt sich nicht gut nach Norden verteidigen. Es gibt da einen See mit ein paar Hügeln in der Nähe..."
~~Aéd - Die Ruhe vor dem Sturm~~
"Gewand und Reif werden den östlichsten der Hügelkämme besetzen. Passt auf, dass niemand im Osten um uns herumschleicht", sagte Forath, und die Häuptlinge der beiden Stämme nickten zustimmend. Aéd wartete angespannt die weiteren Befehle seines Vaters ab, die diese vermutlich entscheidende Schlacht bestimmen würden. "Ich werde mit meinen Kriegern den mittleren Hügel halten, und Corgan mit seinen Männern den westlichen Hügel am Seeufer. Dazwischen auf der Straße und den Hängen der Stamm des Ringes." Erleichtert erkannte Aéd, dass sein Vater Gleryon anscheinend nicht vollständig vertraute, denn diese Aufstellung erlaubte ihm und Corgan, ein Auge auf den Überläufer zu haben.
"Was ist mit mir und dem Wolfsrudel?", fragte er, denn sie waren in Foraths Plänen bislang nicht vorgekommen.
"Ihr werdet die Nahtstelle zwischen Gleryon und Corgan halten", erwiderte sein Vater, und Corgan schnaubte verächtlich. "Diese Welpen sollen meine Flanke decken? Ich hätte da lieber ein paar wirklich erfahrene Krieger, auf die ich mich verlassen kann."
Bislang hatte Aéd jeden Spott des älteren Häuptlings ohne Widerworte ertragen, denn er wollte ihm mit Taten widersprechen. Doch was er und seine Männer auch leisteten, es schien nichts zu bewirken, und so stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: "Diese Welpen haben in diesem Krieg mehr geleistet, als du, alter Mann."
Bevor Corgan wütend auffahren konnte, warf Gleryon, der bislang aufmerksam gelauscht hatte, ein: "Um ehrlich zu sein, würde ich auch ungern neben einem Mann kämpfen, der mir so offen misstraut... selbst wenn er dein Sohn ist, Forath."
In Foraths steinernem Gesicht rührte sich kein Muskel, doch Aéd erkannte, dass sein Vater wütend war - und gleichzeitig Angst hatte, das Bündnis so kurz vor der Schlacht zu zerbrechen.
"Ihr werdet dort kämpfen, wo ich es euch befohlen habe. Alle."
"Wohl eher davonlaufen...", sagte Corgan gerade laut genug, dass Aéd ihn hören konnte, vor sich hin. Aéd wusste, dass er am besten nichts sagen sollte, dass er dem Befehl seines Vaters gehorchen sollte... Doch er konnte es nicht.
"Vater, ich werde nicht an der Seite von Männern kämpfen, die mich so offen missachten", sagte er zornig, und blickte Forath, in dessen Gesicht es nun arbeitete, offen an. "Ich werde auf der linken Flanke kämpfen, weit weg von diesen... angeblichen Häuptlingen."
Nun sprühten auch Corgans Augen Funken vor Zorn, doch Forath kam ihm zuvor. "Du hast die Wahl: Entweder du kämpfst dort wo ich es dir befohlen habe, oder... du bewachst das Südufer des Sees, damit uns niemand im Westen umgeht. So oder so, wir haben genug Männer um die Schlacht auch ohne dich und deine Wölfe zu gewinnen."
Für einen Moment blickte Aéd seinem Vater weiterhin in die Augen, doch dann wandte er bitter seinen Blick ab und bemerkte dabei den Ausdruck leichter Belustigung auf Gleryons und den offenen Hohn auf Corgans Gesicht. Er verstand, dass sein Vater klug handelte, und das Bündnis über Aéds Gefühle stellte - und dennoch konnte Aéd nicht anders, als wütend und enttäuscht über ihn zu sein.
"Wie du befiehlst... Vater", brachte er mühsam hervor, und wandte sich dann ab. Während er den Hang zu seinen Männern herunterging, glaubte er die ganze Zeit, Gleryons Blick in seinem Rücken zu spüren.
Als Aéd zu seinen Männern trat, schienen sie ihm sofort anzusehen, dass etwas nicht stimmte. "Was ist los, Vetter?", fragte Domnall, und Muird, der aus dem Stamm des Gewandes kam und sich in dieser Gegend auskannte, fügte hinzu: "Wo werden wir kämpfen?"
"Am Südufer des Sees", erwiderte Aéd knapp, und nahm den Schild entgegen, den Domnall ihm entgegenstreckte. Es schmerzte ihn, dass seine Männer seinetwegen nicht in der Schlacht kämpfen konnten, die vermutlich das Schicksal Dunlands entscheiden würde, und für die sie seit der Messermine gekämpft hatten. Er dachte an Henwas, und wie enttäuscht sein Bruder sein würde, wenn er ihm keine Geschichten dieser Schlacht erzählen konnte. Und auch wenn er selbst weder seinen Stolz noch seinen Gehorsam gegenüber seinem Vater aufgeben konnte, sollten seine Männer doch nicht darunter leiden.
"Wer von euch kämpfen will, sollte mich jetzt verlassen und sich dem Hauptheer anschließen", sagte er mühsam. "Ich werde das Südufer bewachen, und dort wird vermutlich kein einziger Feind zu sehen sein."
Einen Augenblick lang herrschte Stille unter seinen Männern, die betretene Blicke tauschten, während um sie herum die anderen Krieger zu ihren Stellungen eilten, doch kein Mitglied des Wolfsrudels rührte sich vom Fleck. Dann sagte Domnall mit einem Schulterzucken: "Du bist unser Anführer, und wir folgen dir wohin auch immer."
Bei seinen Worten glaubte Aéd, den Eisklumpen, der sich bei seinen eigenen Worten in ihm gebildet hatte, schmelzen zu spüren.
"Die anderen Krieger haben sich dafür entschlossen, deinem Vater bedingungslos zu folgen", fügte Muird erneut hinzu. "Aber wir haben beschlossen, dir zu folgen." Unter den anderen Männern erhob sich ein zustimmendes Murmeln, und Aéd verspürte mit einem Mal eine unglaublichen Stolz auf seine Wölfe. Leider wussten die Häuptlinge, und selbst sein Vater, nicht wirklich, was sie an diesen Männern haben könnten. Er hob den Kopf, und erwiderte ihre entschlossenen Blicke.
"Also gut...", sagte er langsam, und dann lauter: "Wolfsrudel, Abmarsch!"
Aéd erkannte die Stelle am Südufer des Sees sofort wieder. Die Hügel am nördlichen Ufer, die Tannen in seinem Rücken im Süden, und das sanfte Plätschern des Sees... Alles war wie in dem Traum, den er im Großen Haus gehabt hatte. Während seine Männer Aufstellung annahmen, winkte er Muird, der sich in dieser Gegend am besten von seinen Kriegern auskannte, zu sich heran.
"Hat dieser See einen Namen?"
Muird verengte die Augen während er nachdachte, und erwiderte dann: "Mein Familie lebt weiter im Westen, aber ich glaube, ich erinnere mich. Die Leute von hier nennen ihn den Silbersee, weil er im Licht des Mondes silbern aussehen soll. Er soll allerdings flacher sein, als er aussieht."
Ohne dass Aéd darauf viel Einfluss gehabt hatte, waren sie also an dem Ort angekommen, an dem sie seinem Traum zufolge ihre Feinde erwarten sollten. Und auch wenn ihn diese Tatsache hoffnungsvoll stimmte... Der Anblick der Banner mit dem roten Raben über den Hügeln machte Aéd Sorgen. Denn wenn sein Traum über den Silbersee recht behielt, war es wahrscheinlich, dass auch die Warnung vor dem roten Raben bedeutsam war. Er hoffte, dass er sich irrte, oder dass Forath die Warnung ernster genommen hatte, als es schien.
Bevor Aéd weiter über seinen Traum nachgrübeln konnte, erhob sich von den Hügeln ein gewaltiger Lärm, als das Heer seines Vaters begann, Waffen und Schilde aneinander zu schlagen. Der Feind war gekommen.
~~Forath - Der Sturm bricht los~~
Forath sah seinem Sohn hinterher, wie er den Südhang des Hügels heruntereilte und sich zu seinen Männern gesellte. Aéd tat ihm leid, aber er hatte keine andere Wahl gehabt. Mit Gleryon und dem Stamm des Ringes an seiner Seite war dieser Krieg beinahe vorüber, und Forath hatte das Bündnis auf gar keinen Fall aufs Spiel setzen wollen - obwohl er Aéd verstehen konnte.
"Es tut mir Leid für deinen Sohn", hörte er Gleryon hinter sich sagen, und wandte sich wieder nach Norden. "Aber vielleicht ist es so besser, denn so wird er wenigstens nicht in Gefahr geraten."
"Vermutlich...", erwiderte Forath, keineswegs überzeugt. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, Aéd fortzuschicken, doch er konnte es jetzt nicht mehr ändern. Er wandte sich nach Norden um, und fragte den anderen Häuptling: "Also, der rote Rabe. Was hat es damit auf sich?" Gleryon zuckte die Achseln. "Wir brauchten ein neues Zeichen, und dieses ist ebenso gut wie jedes andere."
"Und warum brauchtet ihr ein neues?", fragte Forath abwesend nach, in Gedanken eher bei den Feinden, die irgendwo hinter den Anhöhen im Norden heranrückten, als bei Gleryons neuem Banner.
"Ringe sind... eine gefährliche Sache in diesen Tagen." Gleryon sprach nur leise, und unwillkürlich musste Forath an den Ring denken, der Bórans Untergang gewesen war. Er fragte sich, ob vielleicht noch etwas größeres dahintersteckte, und wo der Elb Oronêl und seine Freunde inzwischen sein mochten - und ob Gleryon etwas von diesem Ring wusste. Doch bevor er seine Gedanken ordnen oder weiter nachforschen konnte, erschienen im Norden über den kahlen Hügelkämmen und auf der Straße dazwischen bewaffnete Männer.
"Sie sind da", sprach Gleryon das Offensichtliche aus. "Ich sollte zu meinen Leuten gehen."
Forath hielt ihn zurück: "Es sind mehr, als ich erwartet hätte." Mit dem Stamm des Ringes an ihrer Seite hatte er sich mindestens doppelt in der Überzahl geglaubt, doch dort auf der anderen Seite der Senke sammelten sich deutlich mehr Feinde. Sie waren Foraths eigenen Kräften zwar immer noch zahlenmäßig unterlegen, aber längst nicht so wie gedacht. "Wo haben sie all diese Männer her?"
"Söldner. Irgendwo lässt sich immer jemand auftreiben, der für Geld kämpft, und der Zauberer bietet viel Geld."
Mit diesen Worten wandte Gleryon sich endgültig ab, und eilte nach Osten in Richtung seiner Krieger davon.
Forath atmete tief durch, und zog mit dem Gesicht dem Feind zugewandt, sein Schwert aus der Scheide. Als seine Hand sich um den vertrauten Schwertgriff schloss fühlte er, wie so oft vor einem Kampf, wie die Unsicherheit von ihm abfiel, und nur Konzentration auf seine Aufgabe blieb: Den Krieg hier und jetzt zu beenden. Er dachte nicht mehr daran, dass in den Reihen der Feinde seine Verwandten und ehemaligen Freunde aus dem Stamm des Messers standen. Für solche Gedanken wäre nach der Schlacht noch Zeit, wenn es darum ging, die Wunden zu heilen die er und Saruman Dunland geschlagen hatten, doch jetzt zählte nur der Sieg.
Forath stieß seine Klinge hoch in die Luft, und sein Männer antworteten, in dem sie rhythmisch ihre Waffen gegen ihre Schilde schlugen. Der Lärm breitete sich über den gesamten Hügelkamm aus, und schließlich stieg über der Senke ein einziger Kriegsschrei auf, als die Feinde auf dem anderen Hang wie ein Mann aufschrien und Forath und seinen Männern entgegen stürmten.
~~Aéd - Das Gesicht des Feindes~~
Aéd ging langsam am Ufer des Sees hin und her, den Blick immer auf den Hügelkamm im Nordwesten gerichtet, über dem die Banner ihrer Verbündeten wehten: Gewand und Ring, der Schild seines Vaters, und dann Gleryons roter Rabe, bei dessen Angriff sich Aéds Herz zusammenkrampfte, östlich von Corgans Stab. Er lauschte aufmerksam den Geräuschen der Schlacht, die von seiner Position hinter den Höhen verborgen war: Dem Kriegsschrei der Feinde, dem Ansturm und schließlich dem Zusammenprall der feindlichen Heere.
Er lauschte und beobachtete, und irgendetwas schien falsch. "Stimmt etwas nicht?", fragte Domnall, dem die Besorgnis seines Anführers offensichtlich aufgefallen war. Aéd hob die Schultern, stieß mit dem Fuß einen kleinen Stein in den See, wandte den Blick allerdings nicht von den Hügeln ab. "Ich weiß nicht", erwiderte er. "Irgendetwas macht mir Sorgen, aber ich weiß nicht..."
Er wurde unterbrochen, als Muird einen Ruf ausstieß, und auf den westlichen Hügel, auf dem Corgan und der Stamm des Stabes standen, deutete. "Seht nur! Was macht Corgan dort?" Sofort folgten alle Blicke seinem Arm, und Aéd spürte, wie ihm ein eisiger Schauer den Rücken hinunter lief. Corgans Männer wichen nach Westen zurück, den Hügelkamm hinunter und am nördlichen Seeufer entlang, getrieben von den Feinden auf ihrer linken Flanke - dem Stamm des Ringes.
Der Feind hatte sein wahres Gesicht offenbart, dachte Aéd. Und er hatte Recht gehabt, Gleryon nicht zu trauen... obwohl er sich lieber geirrt hätte.
~~Forath - Ein kalter Wind~~
Forath beobachtete, wie die Feinde auf die vorderste Reihe der Verteidiger prallten. Er selbst kämpfte nicht - noch nicht - denn in dieser Phase der Schlacht war es für ihn wichtig, die Übersicht über das Schlachtfeld zu behalten. Im Westen hatte der Stamm der Kette wie erwartet auf breiter Front angegriffen, und auch wenn die Verteidiger stand hielten, schien der Angriff doch gerade die Männer vom Stamm des Reifes hart getroffen zu haben. Mit zusammengezogenen Augenbrauen wandte Forath den Blick nach Osten, und eine eisige Faust schloss sich um sein Herz. Der Stamm des Messers hatte sich zwar zunächst auf ebenso breiter Front wie der Stamm der Kette bewegt, aber inzwischen sah die Situation deutlich anders aus: Das Zentrum hatte nicht den Stamm des Ringes angegriffen, sondern war nach Westen umgeschwenkt und attackierte nun ebenfalls Foraths eigene Krieger, die unter der Wucht des Ansturms begannen, den Hügel hinauf zurück zu weichen.
Auch wenn es besorgniserregend war, konnte doch der Gleryon mit seinen Männern dem Feind nun in den Rücken fallen, während der Stamm des Stabes die restlichen Feinde auf der rechten Flanke abwehrte, doch dazu würde es nicht kommen. Forath erschauerte unter einer kalten Windböe, die aus dem Westen heranfegte, und schwere Regenwolken mit sich brachte. Er musste hilflos mit ansehen, wie der Stamm des Ringes sich nach Westen wandte und Corgans Männern in die ungeschützte Seite fiel. Zum Glück schien Corgan klug genug zu sein, seine Männer herumschwenken zu lassen und nach Nordwesten am Seeufer zurückzuweichen, doch das würde die Schlacht nicht retten. Mit einem Mal standen sie einer ebenbürtigen Anzahl Gegnern gegenüber, denen es im Handstreich gelungen war, Foraths Truppen auseinander zu reißen - weil Forath seinem Sohn nicht geglaubt hatte und Gleryon unbedingt vertrauen wollte.
"Lass die Männer herumschwenken und sichert auch den Hang zur Straße hinunter", sagte er zu Angos, seinem stellvertretenden Kommandanten, während er die Hände so stark zu Fäusten ballte, dass sie zu schmerzen begannen. Jetzt würde sich zeigen, ob sich die Erfahrungen, die er in Gondor gesammelt hatte und versucht hatte, seinen Kriegern ein wenig beizubringen, auszahlen würden. Forath glaubte nicht daran, dass sie die Schlacht noch gewinnen konnten, doch sie würden Sarumans Dienern einen harten Kampf liefern.
Brigids Gesicht stand ihm vor Augen. Er wusste, dass seine Frau stark war, vielleicht stärker als er selbst, und dennoch... er wollte nicht wissen, was das Schicksal nach seinem Fall für sie und seine Kinder bereithalten würde. Auch an Aéd dachte er und hoffte, dass sein Erstgeborener klug genug war, mit seinen Anhängern zu fliehen bevor es zu spät war. In Dunland würde es nach dem heutigen Tag keine Hoffnung mehr für ihn geben, doch vielleicht konnte er anderswo eine Heimat finden - zum Beispiel in Gondor, dem Land seine Mutter.
Forath zog sein Schwert, dass er nach Beginn der Schlacht wieder in die Scheide gesteckt hatte, erneut, betrachtete die Klinge einen Augenblick, und küsste sie dann. "Heute ist also der Tag gekommen, da wir gemeinsam unsere letzte Schlacht ausfechten... von Gondor bis zu den Hügeln von Dunland hast du mich treu begleitet. Lass uns unseren Feinden ihren Triumph möglichst schmerzhaft machen."
~~Aéd - Das Heulen der Wölfe~~
Das Entsetzen, dass Aéd beim ersten Anblick von Gleryons Verrat gepackt hatte, lähmte ihn noch immer, während er beobachtete, wie auf den Hügeln die Schlacht verloren ging. Die Männer seines Vaters hatten sich inzwischen beinahe bis auf die Hügelkuppe zurückgezogen, und wurden von Norden und Westen hart bedrängt. Corgans Rückzug war ein Stück nach Westen am Nordufer des Sees ins Stocken geraten, und er war nun von drei Seiten eingeschlossen, mit dem See im Rücken.
"Was tun wir jetzt?", fragte Domnall, und riss Aéd so aus seiner Starre. Das ganze Wolfsrudel hatte sich nun am Ufer des Sees versammelt, und blickte entsetzt nach Norden auf die Katastrophe, zu der der vor der Schlacht sicher scheinende Sieg geworden war.
"Fliehen, solange es noch geht?", schlug einer der Männer vor, doch Aéd schüttelte entschieden den Kopf. "Nein. Wer gehen will, soll gehen. Aber dort drüben kämpfen unsere Brüder, Väter und Freunde für unsere Freiheit und das Überleben unserer Welt. Ich werde bleiben und kämpfen."
"Nur zu gerne, Vetter", meinte Domnall mit grimmiger Miene, und löste seine Axt vom Gürtel, obwohl keine Feinde in der unmittelbaren Nähe waren. "Nur wie? Im Osten können wir nicht viel bewirken, auf dem Hügel westlich der Straße wimmelt es von Feinden, und dann kommt auch schon der See."
Aéd ließ den Blick über das Schlachtfeld schweifen und musste einsehen, dass sein Freund recht hatte. Doch dann erinnerte er sich, was Muird über diesen See gesagt hatte, und sagte: "Muird... wie flach genau soll dieser See sein?"
Der Mann erwiderte verwirrt seinen Blick, doch einen Augenblick später schien er zu begreifen, als sich ein Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete. "Nun... ziemlich flach, vor allem im westlichen Teil."
"Sehr gut", meinte Aéd, doch Domnall warf ein: "Würdet ihr mir vielleicht auch erklären, was genau daran sehr gut ist?" Trotz der ernsten Lage musste Aéd lächeln. "Wir gehen über den See, und fallen dem Verräter Gleryon direkt in den Rücken." Er deutete nach Norden. "Wir kommen in der Lücke zwischen dem Hügel und Gleryons Leuten ans Ufer, und können ihn angreifen, ohne dass er etwas bemerkt."
Auch auf Domnalls Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. "Bei allen Göttern, Vetter. So etwas dämliches habe ich noch nie gehört, aber es könnte tatsächlich funktionieren."
Nun wieder entschlossen zog Aéd sein Schwert, und sage laut: "Also dann, Männer. Lasst sie den Biss der Wölfe spüren."
Das Wasser des Sees war tatsächlich nur etwas über knöchelhoch, und das Wolfsrudel kam schneller voran als Aéd zu hoffen gewagt hatte - und das war auch nötig, denn die Schlacht stand mit jedem Augenblick mehr auf der Kippe. Aéd trat ans erster am Nordufer und schüttelte das Wasser von seinen Stiefeln, während ihm seine Männer einer nach dem anderen folgten.
Nun sind wir tatsächlich auf dem Wasser gelaufen...
Er warf einen prüfenden Blick auf die Hügel, doch niemand aus den Reihen der Feinde schien ihr Nahen bemerkt zu haben. Ohne große weitere Worte packte Aéd seine Waffe fester als der letzte seiner Männer das Ufer erreicht hatte, und rief: "Wolfsrudel, vorwärts!"
Auch wenn sie nur wenige waren, ihr Angriff in den Rücken der Feinde war hart und stürzte ihre Gegner, die anscheinend kein bisschen mit einem Angriff aus dieser Richtung gerechnet hatten, in vollständige Verwirrung und Unordnung. Aéd führte das Wolfsrudel von der Spitze an, flankiert von Domnall und Muird. Er rammte einem der ahnungslosen Männer aus dem Stamm des Ringes sein Schwert in den Rücken, und zog es wieder hinaus, während er sich mit dem Fuß auf der Leiche des Mannes abstützte. Im Gegensatz zu seinen vorherigen Kämpfen fühlte er keinen Funken Mitleid oder Verständnis mit seinen Feinden. Diese Männer hatten alle Funken Ehre, die sie als Dunländer besessen haben mochten, verloren und ihre Verwandten betrogen und verraten - für einen Zauberer, für den sie nur entbehrliche Werkzeuge waren.
Er duckte sich unter dem unbeholfenen Schlag eines überraschten Mannes weg, und sah zu, wie Domnall ihm mit seiner großen Breitaxt den Kopf nahezu vollständig zerschmetterte.
"Wir teilen uns auf und schlagen eine Bresche", rief er Domnall und Muird zu, und parierte aus der Drehung einen feindlichen Schwerthieb. "Dom führt die Hälfte nach Norden, Muird drängt mit der anderen die Feinde in den See."
Beide Männer hoben die Hände zum Zeichen, dass sie verstanden hatten, und stürzten sich dann wieder in den Kampf. Zwischen dem Wolfsrudel und dem See stand nur ein schmaler Streifen Männer, was auch der Grund für Aéds Taktik gewesen war. Denn auf diese Weise würde er zumindest diese Feine frühzeitig aus der Schlacht nehmen, und sich so einen Vorteil verschaffen können.
Es bereitete dem Wolfsrudel keine großen Schwierigkeiten, die Bresche zu verbreitern, denn der Stamm des Ringes hatte noch keine Zeit gehabt, sich auf den neuen Feind in ihrem Rücken einzustellen, und Corgan und seine Männer schienen ihnen noch immer einen guten Kampf zu liefern. Aéd wischte sich mit der freien Hand einige Blutspritzer aus dem Gesicht, und stellte fest, dass ihm Blut über den linken Arm lief. Offenbar hatte er eine kleine Wunde davon getragen, spürte aber in der Aufregung des Kampfes noch keine Schmerzen. Dann lief er auf die Stelle zu, wo er die Krieger vom Stamm des Stabes kämpfen sah.
"Halt, Freund!", rief Aéd laut ob der drohend auf ihn gerichteten Waffen, während links und rechts von ihm die Schlacht weiter tobte. "Ich bin Aéd Forathsson. Wo ist euer Häuptling, Corgan?"
"Kämpft weiter vorne", stieß einer der erschöpft aussehenden Männer, und senkte seine stachelbesetzte Keule. "Wird dein Vater Verstärkung schicken?"
"Wir sind die Verstärkung", sagte Aéd knapp, drängte sich an dem Mann vorbei, und deutete hinter sich auf die Stelle, an dem das Wolfsrudel kämpfte und die Bresche offenhielt. "Und wenn ihr wollt, dass es etwas nützt, geht und unterstützt sie."
Er fand Corgan nur wenige Meter weiter, wo der Häuptling in mitten seiner Männer stand und sich die Seite hielt. Als er Aéd sah, weiteten sich Corgans Augen, und er sagte: "Du? Was treibst du denn hier, Junge?"
"Ich komme um euch zu retten, alter Mann", gab Aéd zurück, und blickte dem Häuptling fest in die Augen. "Meine sogenannten Welpen halten gerade eine Bresche für deine Leute offen."
"Sie... tun was?", fragte Corgan langsam, und richtete sich ein wenig auf. Aéd packte ihn an der Schulter. "Sie kämpfen um deine Männer und dein erbärmliches Leben zu retten, also los, zeigt mir was!"
Corgan ließ seine Seite los, und Aéd sah, dass seine Handfläche blutig war. "Du willst also was sehen, junger Aéd? Ha!" Corgan richtete sich zu voller Größe auf, und packte das Schwert, das neben ihm im niedergetrampelten Gras gesteckt hatte. "Dann sperr die Augen auf, Junge, denn jetzt bekommst du das zu sehen."
"Stamm des Stabes!", rief er mit lauter Stimme, und deutete in die Richtung, aus der Aéd gekommen war. "Hier kämpfen tapfere Männer gegen uns. Doch damit ist jetzt Schluss, also lasst sie uns umbringen gehen! Vorwärts!"
Bis vor einem Augenblick hatte Aéd geglaubt, diese Männer wären am Ende. Doch nun nahmen sie den Kriegsschrei ihre Häuptlings auf, und griffen an. Während sie eben noch auf allen Seiten gekämpft hatten, drängten sie nun nach Westen, und setzten das Werk fort, dass das Wolfsrudel begonnen hatte.
"Beeindruckt?", fragte Corgan, und grinste Aéd müde an, und wider Willen musste Aéd das Grinsen erwidern.
"In der Tat", gab er zu. "Bis eben hätte ich es einen Erfolg genannt, wenigstens ein paar von euch lebendig hier heraus zu bekommen."
"Wir sind der Stamm des Stabes", gab Corgan zurück, und hob das Schwert. "Und nicht so leicht zu brechen."
Der Kampf war immer noch hart, doch Aéd spürte, dass sich das Blatt zumindest für den Moment gewendet hatte. Er betete zu allen Göttern die er kannte, dass es ausreichen würde um die gesamte Schlacht wieder zu ihren Gunsten zu wenden. Und mit einem Mal wurde es leichter, als von einem Moment auf den anderen der Wille des Gegners zu brechen schien, und der Stamm des Ringes zurückwich. Das Banner mit dem roten Raben fiel zu Boden und wurde niedergetrampelt, und Aéd sah sich mit einem Mal Gleryon gegenüber.
"Verräter", spie er dem Häuptling entgegen, und spuckte verächtlich aus. "Ihr seid die wahren Verräter an allem, was uns immer ausgemacht hat", gab Gleryon zur Antwort, und griff Aéd ohne weiteres an.
Gleryon wollte ihn unbedingt töten, und das spürte Aéd. Er begriff, dass Gleryon nichts weiter geblieben war als Rache an denen zu nehmen, die ihn besiegt hatten, und das machte ihn umso gefährlicher. Und außerdem war er gut, und Aéd gelang es nicht, selbst in die Offensive zu gehen. Stattdessen verteidigte er sich nur, wehrte einen Schwerthieb nach dem anderen ab, und wich langsam zurück. "Ich werde dich töten, und deinem Vater deinen Wolfskopf schenken, Welpe", zischte Gleryon, doch Aéd ging nicht darauf ein. Er war vollauf damit beschäftigt sich gegen Gleryon zu verteidigen und hoffte, dass ihm bald einer seiner Männer zur Hilfe kommen würde.
Es kam niemand, und dennoch wurde Aéd gerettet. Ein kräftiger Hieb von Gleryon trieb ihn einen weiteren Schritt zurück, doch als Gleryon einen Schritt nach vorne machte trat er auf einen vom Blut rutschigen Stein, stolperte und strauchelte. Mehr brauchte Aéd nicht, er sprang vor, rammte dem Häuptling seine Schulter gegen die Brust und brachte ihn damit endgültig zu Fall. Sofort kniete Aéd sich auf Gleryons Brust, und hielt ihm die Schwertspitze an die Kehle.
"Du... hattest Glück, Welpe", stieß Gleryon hervor. "Du kannst mich nicht in einem ehrlichen Kampf besiegen."
Mit der linken Hand winkte Aéd zwei seiner Männer herbei, die in der Nähe standen, und sagte zu Gleryon: "Wenn man nicht gut sein kann, muss man eben Glück haben. Fesselt ihn, und passt auf den Verräter auf", fügte er an seine Männer gewandt hinzu. "Ich muss eine Schlacht gewinnen."
~~Forath - Die Gezeitenwende~~
Rings um Foraths Hügel herum wüteten Kämpfe. Der Stamm des Messers hatte den Hügel inzwischen beinahe ganz eingeschlossen, und der Stamm des Ringes hatte Corgan vollständig von seinem Hügel und vermutlich nach Nordosten am See entlang getrieben. Im Westen hatte Forath beobachtet, wie der Stamm der Kette den Stamm des Reifes beinahe hinter die Hügelkuppe getrieben hatte, und alle Hoffnung hatte ihn verlassen.
"Da kommen noch mehr!", brüllte Angos ihm über das Getöse der Schlacht hinweg zu, und Forath schickte seinen Gegner mit einem gezielten Hieb mit dem alten Schwert aus Gondor zu Boden. Dann blickte er nach Osten, und sah weitere Krieger über den östlichen Hügel und die Straße kommen. Sie trugen kein Banner mit sich, doch es mussten Gleryon und der Stamm des Ringes sein, die Corgan in den See getrieben und vernichtet hatten. Forath löste sich aus dem Getümmel, und sagte keuchend zu dem neben ihm stehenden Angos: "Nun, es war mir eine Ehre an eurer Seite zu kämpfen. Aber ich denke, jetzt haben die Hundesöhne uns endgültig. Es tut mir Leid, dass ich versagt habe."
Angos sagte nichts, sondern nickte nur. Ein einzelner Sonnenstrahl fiel durch die Wolken, die inzwischen den gesamten Himmel bedeckten, und auf dem anderen Hügel blitzte etwas weißes auf, bei dessen Anblick Forath der Atem stockte. "Das ist Aéd."
"Und Corgan neben ihm", sagte Angos, mit wie immer unbewegter Miene. "Wie es scheint, sind wir doch noch nicht am Ende." Und im selben Moment fielen die Neuankömmlinge dem Stamm des Messers in den Rücken.
Forath lächelte, und spürte wie die Hoffnung die Düsternis vertrieb. "Stamm des Schildes!", rief er, so laut er konnte, und für einen Herzschlag erstarben die Kämpfe rund um den Hügel, als die Angreifer allmählich den Feind in ihrem Rücken bemerkten. "Lasst uns diese Schlacht gewinnen! Angriff!" Sie griffen an, und unter ihrem Angriff wankte der Stamm des Messers, und begann zurückzuweichen.
"Vielleicht solltest du einen Blick nach Westen werfen", sagte Angos ruhig, und dort sah Forath, wie der Stamm des Gewandes dem Stamm der Kette in die rechte Flanke fiel, und sich auch dort die Formation der Feinde aufzulösen begann. Anscheinend hatten die beiden Häuptlinge klüger gehandelt als Forath erwartet hätte, und den Feind in eine Falle gelockt. Ein einziger Triumphschrei erhob sich über dem Schlachtfeld, als die Rebellen ihre Feinde von den Hügeln hinab trieben.
Forath spürte, wie sich ein idiotisches Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete, hörte sich selbst einen Schrei ausstoßen, und dann stürzte er sich selbst in den Kampf.
~~Aéd - Der Preis des Verrats~~
Die Schlacht war vorüber, als Aéd inmitten der Gefallenen auf seinen Vater traf. Forath schien etwas sagen zu wollen, brachte aber kein Wort heraus sondern schloss Aéd einfach in eine feste Umarmung. Als er Aéd losgelassen hatte, sagte Forath zu Corgan, der ebenfalls herangekommen war: "Hast du meinem Sohn etwas zu sagen?"
Für einen Augenblick herrschte Stille, doch dann sah Aéd zu seinem Erstaunen, wie Corgan grinste. "Ich habe mich ziemlich zum Narren gemacht, nicht war? Er und seine Männer scheinen tatsächlich für etwas gut zu sein - und sei es nur, jemanden wie mich aus einer bösen Klemme zu befreien. Also vergib mir meine Worte wenn du kannst, Aéd."
"Mit Freuden", erwiderte Aéd leise, aber bestimmt, und ergriff Corgans angebotene Hand. Er bemühte sich, nach außen weiterhin ruhig und entspannt zu wirken, obwohl er innerlich beinah platzte vor Freude und Stolz. Sie hatten nicht nur die Schlacht gewonnen, sondern das Wolfsrudel hatte auch dem letzten Mann im Heer seinen Wert bewiesen.
"Weißt du, Forath, dein Sohn würde eines Tages einen ziemlich guten Häuptling abgeben", meinte Corgan.
"Das mag schon sein." Aéd spürte, wie sein Vater ihn nachdenklich betrachtete. "Aber noch bin ich am Leben, und habe vor, es noch einige Jahre dabei zu belassen."
"Ha, gut gesprochen." Corgan schlug Aéd auf die Schulter, und Aéd zuckte unwillkürlich vor Schmerz zusammen, denn einer seiner Gegner hatte ihn dort mit einer Keule getroffen. Äußerlich waren zwar keine Verletzungen zu sehen, aber Aéd wusste, dass er die Schulter einige Tage nur unter Schmerzen bewegen können würde. Corgan, der offenbar nichts bemerkt hatte, fuhr fort: "Wir haben allerdings einen Häuptling, dessen Leben man durchaus um ein paar Jahre verkürzen sollte, nicht wahr, Aéd?"
Forath warf einen prüfenden Blick zwischen den beiden hin und her, und fragte dann: "Gleryon?"
Aéd nickte, und winkte Muird und Domnall, die einige Meter entfernt am Hang des östlichen Hügels mit dem Rest des Wolfsrudels standen. Beide Männer hatte kleinere Wunden davongetragen, und zogen jetzt auf Aéds Zeichen hin den gefesselten Gleryon zwischen sich her. "Ich habe ihn am Leben gelassen, weil du über ihn urteilen solltest", sagte Aéd, und Forath nickte mit zusammengebissenen Zähnen. Aéd konnte den Zorn und den Hass in den Augen seines Vaters aufleuchten sehen, als Muird und Domnall Gleryon vor ihm auf die Knie zwangen.
"Gleryon, Häuptling vom Stamm des Ringes", sagte Forath langsam, und legte die Hand an den Schwertgriff. Immer wenn Aéd dieses Schwert sah, standen ihm eigentlich vergessene Bilder vor Augen: Eine Kette Weißer Gipfel, eine unendliche Wasserfläche, und das undeutliche Gesicht einer schwarzhaarigen Frau.
"Du hast dich gegen alles gewandt, was uns als Männer Dunlands ausmacht", fuhr Forath fort, und riss Aéd damit aus seinen Erinnerungen. "Du hast uns deine Freundschaft vorgespiegelt, und uns in dem Moment, als wir dich am nötigsten brauchten, verraten. Hast du etwas zu sagen?"
"Ihr... ihr wisst nicht, welche Macht der Zauberer besitzt", stieß Gleryon hervor, und kämpfte gegen den Griff der Männer an, die ihn festhielten. "Ihr seid sowieso verloren, egal was ihr tut."
"Das erklärt nicht, was du getan hast - und nichts könnte diese Tat jemals entschuldigen. Du bezahlst nun den Preis für deinen Verrat." Mit einer einzigen Bewegung zog Forath das Schwert und stieß es dem vor ihm knienden Gleryon in die Kehle.
Als Gleryon aufgehört hatte, sich zu bewegen und vergeblich gegen den Tod anzukämpfen, sagte Corgan: "Verdammt, erinnere mich daran, dich niemals zu verraten." Forath fuhr sich mit der blutigen Hand über die Stirn, und Aéd hatte den Eindruck, als würde sein Vater gerade aus einem merkwürdigen Traum erwachen.
"Es war notwendig", erklärte Forath. "Wir können nicht zusammen stehen, wenn wir nicht lernen uns gegenseitig zu vertrauen - und dazu müssen wir zeigen was passiert, wenn dieses Vertrauen missbraucht wird. Ansonsten könnten wir gleich versuchen, auf dem Wasser zu laufen."
Bei Foraths Worten blitze vor Aéds inneren Augen das Bild der wunderschönen Frau auf, die über das Wasser des Silbersees auf ihn zukam, und er gleichzeitig glaubte er ihre Stimme zu hören: "Vereinige sie."
"Wir müssen die Stämme vereinen, zu einem Volk", hörte Aéd sich sagen. Die Augen seines Vaters blitzten, doch Corgan schnaubte: "Und wozu das? Wir sind immer gut klar gekommen, als wir dem alten Weg gefolgt sind."
"Und dennoch haben wir in Zeiten der Not einen Wolfsfürsten gewählt, der uns alle anführte", widersprach Forath ruhig, und Aéd erkannte, dass sein Vater diesen Gedanken schon lange Zeit mit sich herumtrug. "In Zeiten der Not, ja", erwiderte Corgan. "Doch dieser Krieg ist bald gewonnen, die Diener des Zauberers aus Dunland vertrieben und das Böse besiegt."
"Nein." Aéd schüttelte den Kopf, und spürte den aufmerksamen Blick seines Vaters auf sich. "Die wahre Dunkelheit liegt weiter im Osten, doch sie streckt ihre Finger auch in diese Lande aus."
"Aéd hat Recht", sagte Forath. "Ich habe diese Dunkelheit gesehen als ich in Gondor war. Es war dieser Schatten, der für Bórans Fall verantwortlich war, und wenn wir nicht dagegen kämpfen, wird Mordor die ganze Welt verschlingen."
Aéd hatte diesen Namen aus fernen Geschichten gehört, und dennoch lief ihm bei der Erwähnung ein Schauer über den Rücken, und auch auf Corgan schien er eine nicht geringe Wirkung zu haben.
Der Schatten wich erst, als Forath weiter sprach: "Doch zuerst müssen wir uns um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern. Die überlebenden Feinde sind in Richtung Nordwesten auf der Straße geflohen, also nach...
"Tharbad", beendete Aéd den Satz seines Vaters.
"Ganz genau." Forath nickte grimmig. "Tharbad."
Curanthor:
Mathan, Oronêl, Kerry, Halarîn, Adrienne, Finelleth, Celebithiel, Forath und Aéd aus Tharbad
Die Abreise aus Tharbad fiel Mathan nicht sonderlich schwer, denn die ganzen neugierigen Bewohner am Hafen waren ihm doch etwas unangenehm. Zwar wurden die Manarîn mit deren Schiffen am meisten gestaunt, doch auch ihnen wurden einige Blicke zugeworfen. Sobald sie das Stadttor hinter sich gelassen hatten, war Halarîn an ihn herangetreten und sich wortlos bei ihm eingehakt. Sie liefen an der Spitze und führten die Gruppe auf einer breiten Straße südlich des Sumpfes, der direkt an die Stadt grenzte.
"Ist das hier schon das Dunland?", fragte Adrienne plötzlich, die zu ihnen aufgeschlossen hatte.
Mathan nickte und das Mädchen verschwand wiede nach hinten um mit Kerry zu plaudern, deren Laune sich wenig besserte. Dennoch schienen die beiden Mädchen sich gut zu verstehen, dann Adrienne redete aufgeregt auf seine Tochter ein, deren Mundwinkel sich ab und zu hoben. Er ahnte, dass Etwas schief gelaufen sein musste, aber er hielt sich erstmal zurück. Kerry musste auch selbst mit den Dingen fertig werden und er konnte auch nicht seine Aufgaben vernachlässigen. Sein Blick fiel auf Oronêl, der mit Celebithiel und Finelleth hinter den beiden Menschenmädchen ging. Die Elben drei sprachen miteinander ruhig und überlegt. Seine guten Ohren schnappten ein paar Vermutungen auf, die Finelleth gerade anstellte. Halarîn zupfte ihm an Ärmel und ließ ihn nach vorn Blicken. Mittlerweile waren sie schon außer Sichtweite der Stadt, was ihm erst gar nicht aufgefallen war. Rasch blickte er auf die Karte, die er zuvor herausgeholt hatte. Zufrieden stellte er fest, dass sie auf dem richtigen Weg lagen. Vor ihnen breiteten sich die Nîn-in-Eilph aus, oder auch Schwanenfleet. Trübe war das Wasser, das von der Sonne beleuchtet wurde und man konnte dutzende Mückenschwärme über den Sümpfen erkennen. Fiese kleine Biester, dachte Mathan sich und schüttelte sich. Zwar war er noch nie gestochen worde, doch Erzählungen reichten ihm, diese Dinger zu meiden. Kurz fragte er sich, ob Elben überhaupt auf der Speiserkarte der Blutsauger standen, verwarf den Gedanken jedoch rasch und beschloss es auch nicht auszuprobieren. Grübeln stapfte er weiter, die plaudernde Gruppe hinter ihm, die sich ebenfalls in Bewegung setzte. Seit etwas mehr als einem Monat reiste Mathan schon fast ohne Pause umher, seine Muskeln haben sich bereits nach einer Woche wieder an die alte Belastung gewöhnt. So bekam er nicht mit, dass nach einem längeren Marsch die Menschen etwas zurückfielen. Adrienne war die Erste, die sich zu Wort meldete, woraufhin sie eine Pause einlegten. Kerry schien auch erschöpft, denn sie setzte sich auf einen Stein, der etwas weiter weg von der Straße war. Daneben lag ein großer, umgestürzter Baumstamm, der relativ einladend aussah. Kurz darauf saßen sie auf dem Stamm und verschnauften etwas, wobei die Elben nur kurz Platz nahmen. Mathan setzte sich neben Kerry und drückte ihr wortlos die Hand, dann wandte er sich an sie und Adrienne, da sie nebeneinander saßen. "Ihr hab lange durchgehalten. Ich bin in meine alten Gewonheiten gerutscht, da ich damals tagelang unterwegs war und kaum Pausen brauche. Sobald ihr müde werdet, meldet euch bitte.", bat er sie mit einem freundlichen Lächeln und nickte, ehe er sich erhob, "Der nächste Abschnitt geht abseits der Straße, wir laufen parallel zu den Schwanenfleet nördwärts.", sprach er nun so laut, dass jeder ihn verstand. Die übrigen Elben nickten und schulterten ihre wenigen Habseligkeiten, was sogleich der Rest ihnen gleichtat. Adrienne stand als letzte auf, woraufhin Mathan sie fragend anblickte. "Der Kampf war anstrengend auf mehreren Ebenen", erklärte sie rasch und wollte schon gehen, doch er hielt sie zurück. "Adrienne, du musst mir nichts erklären. Du bist meine Schülerin und ich werde dich trainieren. Ich möchte, dass dein Schwert ziehst und damit in der Hand weiterwanderst. Du wirst es die ganze Zeit in der Hand halten", sagte er mit einem ernsten Blick. Sie zögerte kurz, ihre Hand zitterte etwas, als sie sie um den Knauf des Schwerts legte. Er konnte sehen, wie die Erinnerungen sie zurückhielten. Ihr Stolz siegte und das Mädchen zog die Waffe. Mathan lächelte und drückte die Klinge von ihr mit einem Finger nach unten, da sie zwischen ihnen stand. "Sehr gut. Das wird dir helfen ein Gefühl für das Gewicht und die Reichweite der Klinge zu geben. Das Schwert ist dein verlängerter Arm und du musst den Arm trainieren und nicht immer nur dann, wenn du ihn brauchst.", erklärte er, woraufhin sie eifrig nickte. Er hob eine Augenbraue, doch sie lächelte nur scheu. Mathan hatte eine Frage erwartet, doch Adrienne nickte und schloss zu den Anderen auf, die schon etwas vorgegangen waren. Er beschleunigte seine Schritte und setzte sich wieder an die Spitze, wo ihn Halarîn wieder mit einem warmen Lächeln begrüßte. Sie wirkte noch immer etwas blass und ihr Bauch wölbte sich schon bemerkbar. Als sie seinen Blick bemerkte grinste sie. "Ich weiß noch, wie das ging, keine Sorge. Ich werde kein Hindernis sein, das weißt du.", sprach sie mit einem schelmischen Lächeln.
Mathan lachte leise und neckte sie am Hals und Nacken, woraufhin sie lachte und sich schüttelte. Er wusste sehr wohl, dass sie keine Belastung ist, schließlich war sie bereits schwanger gewesen und die Situation war so ähnlich. Nur, dass sie sich damals im tiefsten Süden Mittelerdes befanden, weit ab der üblichen Wege und Reiche. Sie folgten einen verwachsenen Pfad und nach einger Zeit schloss Forath auf, der sich ebenfalls etwas in dem Gebiet auskannte. Gemeinsam führten sie die Gruppe durch das unwegsame Gelände, zwischen größeren Hügeln und vereinzelten Aufläufern der Schwanenfleet, ohne jedoch irgendwelche Insekten zu treffen. Zur allgemeinen Erleichterung hatten sie nach einem halben Tagesmarsch die Schwanenfleet hinter sich gelassen und marschierten durch eine etwas trockenere Einöde, in der hohe Gräser zwischen Geröll lag. Forath warnte die Gefährten, sich nicht den Fuß zu brechen, indem man zwischen Felsen trat. So arbeiteten sie sich vorsichtig vor und verloren mehr Zeit als zuvor bei den Schwanenfleet. Nach einigen Pausen und einer nervenraubender Zeit legten sie ihre erste große Pause zur Nacht ein. Mathan bestand darauf die erste Wache zu übernehmen, während sich die Gefährten in ihre Umhänge oder Decken hüllten. Zur Sicherheit verzichteten sie auf ein Feuer um keine Feinde auf sich aufmerksam zu machen. Halarîn erwachte etwa in der Hälfte der Nacht und löste ihn ab, doch auch sie bemerkte nichts verdächtiges.
Am nächsten Morgen brachen sie früh auf und mehr oder weniger ausgeruht. Adrienne wirkte etwas frischer und schon bald kicherte sie leise mit Kerry, die immer wieder die Köpfe zusammensteckten. Mathan wechselte einige Worte mit Oronêl und informierte den Sindar darüber, dass die Karte Eregions, die er ihm ein paar Monate zuvor gausgeliehen hatte einige Runen besaß, die man nicht erkennen konnte. Auf den fragenden Blick hin musste Mathan schmunzeln.
"Eigentlich darf ich nicht darüber reden, da es nur den Schmiedemeistern vorbehalten war... aber wenn es soweit ist, erkläre ich es.", erklärte er und bemerkte den Blick von Finelleth, die ihn aufmerksam musterte, "Ist etwas?", fragte er an sie gewandt.
"Nein... ich habe mich nur gefragt, woher du das weißt. Wenn es nur den Schmiedemeistern vorbehalten war.", antwortete sie und konnte dabei nicht ganz ihre Neugierde verbergen.
Mathan lachte leise und wedelte mit der Karte umher, "Ich war selbst oft genug in den Schmieden und habe dort auch selbst gearbeitet. Da sollte man den Ort doch gut kennen, oder?" Zwar war die Frage nur rethorisch, doch Finelleth schien eine Spur zu erröten.
"Das kann sie ja nicht wissen, so lange kennt sie dich ja auch nicht", verteidigte Oronêl sie und Mathan hob abwehrend die Hände. "Stimmt auch wieder", entgegnete er grinsend und warf einen Blick auf seine Karte. Mit einem Seufzen verstaute er sie und schloss zu Forath auf, der nun mit seinem Sohn an der Spitze lief. Halarîn war hinter den beiden und danach kam Adrienne. Er lächelte den Drei im vorbeigehen zu und lauschte schließlich einigen Erzählungen von dem Häuptling über dess Stamm, während sie sich weiter in Richtung Norden begaben.
Sie legten noch zwei Pausen ein, bis die Nacht anbrach, welche aber auch ereignislos verlief. Abgesehen davon, dass Halarîn einmal übel wurde aber ansonsten schliefen alle durch. Am nächsten Morgen zogen sie weiter, wobei das Gelände nicht weniger unwegsam wurde und ihnen viel Zeit kostete. Am vierten Tag ihrer Reise erreichten sie die nördlichen Gebiete des Dunlands, wo Forath sich bestens auskannte. Mathan kamen die groben Strukturen nur wage bekannt vor, da er sich damals nur selten im Dunland aufgehalten hatte. Aéd wurde immer redseliger, je näher sie dessen Heimat kamen, was Mathan leicht nervte, dennoch war es interessant etwas über die neuen potentiellen Nachbarn zu erfahren. Nachdenklich betrachtete er die Umgebung und ergriff Halarîns Hand, die neben ihm ging. Mit einem schelmischen Lächeln raubte er sich einen Kuss von ihr und stapfte weiter.
Eandril:
Die breite, offenbar erst relativ kürzlich angelegte Straße, machte einen Bogen nach Norden um einen Hügel herum, und führte durch die Senke zwischen den Hügeln geradewegs auf das Dorf zu, das vor ihnen lag. Oronêl erinnerte sich an die Stelle, hier hatten er und Orophin vor Monaten die Straße überquert, bevor er sich ins Dorf geschlichen hatte. Beim Anblick des Dorfes, das zwischen den Hügeln nahe des Glanduin-Ufers in der Sonne lag, war Forath stehengeblieben und hatte seinem Sohn einen Arm um die Schulter gelegt.
"Es ist schön, nach Hause zu kommen - und sei es nur so kurz", sagte er, und erklärte an die Elben gewandt: "Es ist jetzt über zwei Monde her, dass ich zuletzt hier war. Aéd hat es besser, er war erst vor ungefähr einem Mond hier um unsere verbliebenen Krieger in die Schlacht zu rufen."
"Und trotzdem kommt es mir vor wie eine Ewigkeit", meinte Aéd. Sein Blick fiel kurz auf Kerry, die ihm entschieden auswich, und auch Aéd sah schnell wieder woanders hin. Oronêl unterdrückte einen Seufzer - beide hatten seit ihrem Aufbruch aus Tharbad kein Wort gewechselt, und Kerry hatte auch mit ihm selbst nur das nötigste gesprochen. Oronêl war nicht zufrieden mit der Situation, doch er hatte wichtigeres im Kopf, als sich um die Launen eines jungen Mädchens zu kümmern - der Ring in seiner Tasche schien immer schwerer zu wiegen, je näher sie Eregion kamen, und Oronêl musste immer mehr Willenskraft aufwenden, nicht ständig an ihn zu denken. Finelleth schien es ähnlich zu gehen, denn auch sie wurde schweigsamer, je geringer der Abstand zu ihrem Ziel wurde.
Sie folgten der Straße bis zum Dorf, wo nur zwei alte, mit rostigen Speeren bewaffnete Männer Wache standen, und Forath freudig begrüßten. Auf dem Weg durch das Dorf sammelte sich eine kleine Menschenmenge hinter ihnen, fast ausschließlich Frauen, Kinder und Alte, die vor allem die Elben neugierig betrachteten. Oronêl war die Aufmerksamkeit ein wenig unangenehm, und beinahe wünschte er sich, wie bei seinem ersten Besuch über die Dächer der Hütten springen zu können, verborgen vor den Augen der Bewohner. Schließlich erreichten sie den freien Platz vor dem großen Haus, das Forath anscheinend seit Bórans Tod bewohnte. In der Tür des Hauses standen eine kleine, ein wenig rundliche Frau, und drei Kinder, zwei Mädchen und ein Junge. Sobald sie Forath und Aéd erblickten, stürmten die beiden Mädchen los, während der Junge sich einen Teil seiner Würde bewahren wollte und ihnen etwas langsamer folgte.
Das jüngere Mädchen prallte so heftig gegen Aéd, dass der junge Krieger ein wenig schwankte, während das ältere Forath in eine feste Umarmung zog.
Der Häuptling lächelte, strich seiner Tochter durch die langen braunen Haare, und sagte an die Elben gewandt: "Meine Töchter, Lynet und Eryn." Er deutete zuerst auf das ältere Mädchen, dann auf das jüngere. Eryn stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte ihrem älteren Bruder etwas ins Ohr, dass ihn zum Lächeln brachte, während Lynet ihren Vater losließ, einen Knicks machte, und hauchte: "Es ist mir eine Ehre." Dabei betrachtete sie vor allem Kerry und Adrienne mit wachem Interesse.
Auch Eryn löste sich von Aéd, deutete eine Verbeugung an und murmelte etwas unverständliches.
Forath deutete auf die beiden übrigen Mitglieder seiner Familie, die inzwischen herangekommen waren, und sagte: "Henwas, mein zweiter Sohn - und meine Frau, Brigid." Henwas verneigte sich ernst, während Brigid die Gruppe nur aufmerksam betrachtete. "Derjenige, dem wir Bórans Ende verdanken, kehrt zurück", sagte sie schließlich, während ihr Blick auf Oronêl lag. Dann wanderten ihre Augen über Mathan und Halarîn, Finelleth, Celebithiel, und blieben zuerst an Adrienne und zuletzt an Kerry hängen. "Das Mädchen aus Gondor mit der dunklen Vergangenheit, und das Mädchen aus Rohan. Ich habe von euch geträumt, denke ich."
Beide Mädchen wechselten einen unbehaglichen Blick, und Forath verzog das Gesicht. "Nun komm schon, Frau. Reicht es nicht, dass die beiden in einem Dorf voller Leute stehen, die vor wenigen Monaten womöglich ihre Feinde gewesen wären?"
Brigid blinzelte rasch, als würde sie aus einem Traum erwachen, und schüttelte dann den Kopf. "Natürlich", meinte sie entschuldigend. "Kommt alle herein, wenn ihr mögt, und ruht euch von eurer Reise aus. Und du..." Sie wandte sich ihrem Mann zu. "Du erzählst mir alles, was geschehen ist, und Aedir wird darauf achten, dass du nichts auslässt."
Nach einem Moment der Stille grinste Forath, und zog seine Frau in seine Arme. "Ha, ich würde lügen wenn ich sagen würde, ich hätte dich nicht vermisst."
Trotz Brigids Einladung hatte sich noch keiner der Elben vom Fleck gerührt, und es war Eryn, die das Schweigen brach. Sie quetschte sich plötzlich zwischen Oronêl und Mathan hindurch, blieb vor Adrienne stehen und sagte: "Du hast ein Schwert. Ich darf kein Schwert haben." Dabei warf sie ihren Eltern über die Schulter einen empörten Blick zu. Auf Adriennes Gesicht verwandelte sich der überraschte Ausdruck langsam in ein Lächeln, als sie sich zu dem Mädchen herunterbeugte und leise sagte: "Das liegt daran, dass ich schon viel älter und größer als du bin."
Eryn stellte sich auf die Zehenspitzen, und erwiderte kichernd: "Aber ich bin schon fast genauso groß!" Das brachte alle zum Lachen, und selbst Kerrys Mundwinkel zuckten kurz. Dann stand auch schon Lynet, die ihrer jüngeren Schwester langsamer gefolgt war vor ihr, und fragte ein wenig atemlos: "Wenn du aus Rohan kommst... hast du mal ihre Königin gesehen, oder eine Prinzessin? Wie sahen sie aus, und was haben sie für Kleider getragen? Und hast du eine Elbenkönigin gesehen?" Bei den letzten Worten sah sie kurz zu den Elben hinüber.
"Eins nach dem anderen, meine lieben Töchter", sagte Forath lächelnd, bevor Kerry antworten konnte. "Unsere Freunde haben einen weiten Weg hinter sich, und sollten sich erst einmal ein wenig ausruhen können, bevor ihr sie weiter mit Fragen zuschüttet."
Ernster fügte er hinzu, an den Rest der Gruppe gewandt: "Einige von euch mögen schlechte Erfahrungen mit Dunländern gemacht haben, vielleicht habt ihr sogar Freunde oder Verwandte im Kampf gegen uns verloren haben." Auch er sah dabei Kerry an, die seinem Blick im Gegensatz zu dem Aéds nicht auswich. "Ich erwarte von niemandem, dass er uns mag oder lieb gewinnt." Bei diesen Worten fiel sein Blick auf Mathan und Celebithiel, die beide bislang wenig Zuneigung zu den Dunländern gezeigt hatten. "Ich hoffe nur, dass uns die Gelegenheit gegeben wird zu beweisen, dass wir uns ändern und an eurer Seite stehen können anstatt gegen euch zu kämpfen. Solange ihr hier seid, droht euch keine Gefahr, also ruht euch aus und entspannt euch ein wenig, bevor... wir weiterziehen müssen."
Fine:
Kerry saß neben Lynet auf einem gefällten Baumstamm, dessen Oberfläche abgeschliffen worden war, um als bequeme Sitzfläche zu dienen. Der Ort, an den Foraths Töchter Kerry und Adrienne gebracht hatten, lag unter einem mächtigen Baum, der auf einem kleinen Hügel am Rand des Dorfes stand und einen guten Überblick über Foraths Heimatort gab. Und Kerry stellte fest, dass zumindest einige Dunländer wohl gar nicht so übel waren.
Eryn unterhielt sich hauptsächlich mit Adrienne, die ihr nach einiger Zeit sogar erlaubt, das Schwert in die Hand zu nehmen. Lynet hingegen schien sich viel mehr für Kerry zu interessieren und erstaunte sie damit, dass es sie nicht im geringsten zu stören schien, dass ihre neue Freundin aus Rohan kam.
"Ich habe diese seltsame Feindschaft sowieso nie richtig verstanden," sagte das Mädchen und zuckte mit den Schultern. "Die Alten sagen, dass die Menschen Rohans unseren Vorfahren ihre Heimat weggenommen und sie nach Dunland vertrieben haben. Aber es ist doch alles schon so lange her. Und außerdem mag ich es hier."
"Es stimmt, es ist wirklich schön hier," gab Kerry zu. Das Dorf des Stamms des Schildes strahlte Frieden und Ruhe aus und die Mittagssonne ließ Kerry sogar etwas schläfrig werden. Sie erinnerte sich daran, dass es in Hochborn ähnlich gewesen war. Als sie noch ein Kind gewesen war, hatte sie oft mit ihrem Onkel Cynewulf gespielt, der ihr unter anderem das Reiten beigebracht hatte und ein sonnigeres Gemüt als sein älterer Bruder besessen hatte. Kerry fragte sich, ob er wohl ebenfalls noch am Leben war. Gemeinsam mit seinem Bruder - Kerrys Vater - war Cynewulf mit den Rohirrim des Königs nach Gondor geritten, ehe der Sturm aus dem Osten über das Land hereingebrochen war.
"Um auf meine Fragen von vorhin zurückzukommen," sagte Lynet und riss Kerry aus ihren Gedanken. "Es tut mir Leid, dich dort ein wenig aus der Fassung gebracht zu haben: du hattest ja nicht einmal Zeit, richtig anzukommen. Aber jetzt finde ich, dass du entspannt genug aussiehst." Sie zwinkerte Kerry zu und fragte: "Ich habe gehört, dass Rohan von einer Königin regiert wird, deren Schönheit geradezu sagenhaft ist. Stimmt das? Und was hat sie so für Sachen an? Kennst du sie?"
"Ihr Name ist Éowyn, die Weiße Herrin von Rohan," erzählte Kerry. "Ich habe sie nur einige Male in der Hauptstadt Edoras gesehen, wenn ich meinen Vater besucht habe. Damals war sie aber noch nicht Königin. Das geschah irgendwann nachdem ich Rohan verlassen habe. Ich kann dir also leider nicht sagen, wie sie sich heutzutage kleidet, aber früher hatte sie eine Vorliebe für edle weiße Kleider, daher auch ihr Beiname." Sie beschrieb Lynet die Gelegenheiten, bei denen sie Éowyn zu Gesicht bekommen hatte und beantwortete geduldig die Zwischenfragen, die Foraths Tochter stellte. Als Kerry zwischendurch einen Seitenblick zu Adrienne warf, sah sie, dass die junge Gondorerin auf der an den Hügel angrenzenden Wiese neben Eryn stand und ihr vormachte, welche unterschiedlichen Deckungs- und Paradehaltungen ihr Schwert ihr ermöglichte.
"Wenn du möchtest, kann ich dir auch ein bisschen über die Elben erzählen," bot Kerry freundlich an. Sie stellte fest, dass sie Lynet wirklich mochte. Sie war nicht aufdringlich, wie ihr ältester Bruder, sondern herzlich und besonnen.
"Da fragst du noch? Na los, ich will alles wissen!" antwortete Lynet strahlend.
"Also zunächst zu deiner letzten Frage: Ja, ich habe eine Elbenkönigin gesehen - erst vor wenigen Tagen, in Tharbad. Dein Vater hat sie auch gesehen."
"Ist das wirklich wahr? Was hat sie dort gemacht? Und was hat sie getragen?"
Kerry beschrieb Faelivrins silbernes Kleid und die königliche Ausstrahlung, die ihre Adoptivschwester an diesem Tage getragen hatte. Sie erzählte Lynet von der Schlacht um Tharbad und von der Rolle, die die Elben dabei gespielt hatten und deutete an, dass Faelivrin eines baldigen Tages ganz in der Nähe vorbeikommen würde, um nach Eregion zu ziehen.
"Diese Gelegenheit werde ich mir nicht entgehen lassen," meinte Lynet freudenstrahlend. "Meinst du, sie würde... sie würde mir eine Audienz gewähren?"
Kerry grinste. "Natürlich würde sie das. Sie ist immerhin meine Schwester."
Lynets Gesichtszüge zeigten großes Erstaunen. "Deine Schwester? Aber wie ist das möglich?"
Fröhlich erzählte Kerry Foraths Tochter von ihrer Adoption und wie es dazu gekommen war. Als sie geendet hatte, nickte Lynet beeindruckt.
"Das bedeutet, wir sind bald Nachbarn! Wenn du bei deinen Eltern in Eregion wohnen wirst, können wir uns oft besuchen!"
"Ja," bestätigte Kerry. "Das wäre schön."
Eine halbe Stunde später stand Kerry mit Lynet in dem kleinen Raum in Foraths Haus, das seine beiden Töchter sich teilten und hielt ein hellblaues, elbisches Kleid in den Händen. Es war nur eines von dreien, die Nivim ihr geschenkt hatte, und Kerry war stets aufs Neue darüber erstaunt, wie klein es sich zusammenrollen ließ und somit kaum Platz in ihrer Tasche wegnahm. "Das müsste dir bestimmt passen," sagte sie zu Lynet und reichte dem Dunländermädchen das Kleid. Kerry drehte sich um und wartete, bis es hinter ihr aufgehört hatte, zu rascheln. Das elbische Kleid passte Lynet recht gut, auch wenn es vielleicht an einer Stelle noch etwas zu weit war. Lynet strahlte und drehte sich um die eigene Achse. "Das fühlt sich wirklich schön an," schwärmte sie.
"Du darfst es gerne behalten," sagte Kerry großzügig.
"Wirklich? Oh Kerry, das wäre einfach wunderbar!"
Kerry nickte. "Ja, wirklich." Es tat ihr gut, Lynet diese Freude zu machen. Als das Mädchen stehenblieb, fiel Kerry etwas ein. "Lynet, du hast doch gefragt, ob ich mal eine Prinzessin gesehen habe. Ich hatte es zwischendurch vergessen, aber die Antwort lautet Ja. Ich habe eine gesehen, und sie ist sogar mit mir in dieses Dorf gekommen," sagte sie lächelnd.
"Jetzt sag' nicht, dass du..." gab Lynet staunend von sich.
"Was, ich?" wunderte sich Kerry und lachte. "Nein, nein, ich könnte niemals eine Prinzessin sein. Und die Elbin, von der ich spreche, sieht auch nicht wirklich nach einer Prinzessin aus - sie will nämlich gar keine sein. Aber ihr Vater ist ein König und das bedeutet nun mal - "
"Du solltest wirklich lernen, deine flinke Zunge im Zaum zu halten," sagte Finelleths Stimme, und Kerry und Lynet fuhren herum. Thranduils Tochter lehnte in der Tür, ein Wurfmesser auf ihrem Zeigefinger balancierend. "Also, was mache ich nun mit euch? Ich kann nicht zulassen, dass ihr mein Geheimnis im ganzen Land verbreitet." Ihre Augen glitzerten gefährlich. "Ich denke, ich werde euch einfach die Zungen herausschneiden - das tut nur ein bisschen weh, und verheilt schnell. Komm, Kerry, am besten fangen wir mit dir an..." Sie machte drei schnelle Schritte auf Kerry zu und packte sie am Arm. Kerry schrie auf, das Messer schnellte auf ihren offenen Mund zu und... verharrte kurz davor. Lynet hatte entsetzt die Hände vor den Mund geschlagen und war bleich geworden, und Kerry stellte fest, dass sie für einen kurzen Augenblick tatsächlich geglaubt hatte, Finelleth würde ihr wirklich die Zunge herausschneiden. Doch dann zog die Elbin das Messer weg und kicherte laut drauflos, was Oronêl anlockte, der den Kopf zur Tür hereinsteckte.
"Was geht denn hier vor?" fragte er neugierig.
"Gar nichts" rief Lynet schnell und man hörte, dass sie nicht recht wusste, was sie von der Sache halten sollte.
"Ich bringe den jungen Leuten etwas Benehmen bei, gwador," sagte Finelleth ungerührt. "Möchtest du mitmachen?"
"Vielleicht sollte ich das," erwiderte Oronêl und stellte sich neben die Waldelbin. "Hat Kerry etwa geplaudert?"
"Ich werde es niemandem erzählen," versprach Lynet.
"Was wirst du niemandem erzählen?" hakte Oronêl nach.
"Dass deine Freundin die unheimlichste Prinzessin der Welt ist," stieß das Mädchen hervor.
"Das ist sie," bestätigte Kerry. Und als sie Oronêl ansah, und sich ihre Augen für einen Moment trafen, stellte Kerry fest, dass sie gar nicht auf ihn wütend gewesen war... sondern auf sich selbst. Er schien das Verstehen in ihren Augen zu sehen und nickte ihr freundlich zu. "Es tut mir..." setzte Kerry an, doch Oronêl hob die Hand.
"Es ist gut. Du hast es eingesehen, und das reicht mir." Lächelnd klopfte er Kerry auf den Rücken, während Finelleth bewundernd über das Kleid strich, das Lynet noch immer trug.
"Das steht dir gut, kleine Forathstochter. Kerry sollte es dir schenken... zur Wiedergutmachung für den Schrecken, den ich dir eingejagt habe."
"Habe ich bereits gemacht," warf Kerry ein.
"Umso besser," meinte Finelleth.
"Wie schön, seid ihr schon Freunde geworden?" sagte Foraths Frau Brigid, die gerade hereinkam. Als sie ihre Tochter sah, entfuhr ihr ein überraschter Laut. "Oh, Lynet, davon habe ich geträumt... kurz vor deiner Geburt. Wie schön. Wie schön meine Tochter geworden ist!" Sie umarmte ihre Tochter freudig. Als sie Lynet wieder freigab, sagte Bridig: "Es wird bald ein Festmahl geben; zur Feier der Rückkehr des Häuptlings und seines Sohnes, und ihres Sieges. Und ihr alle seid herzlich eingeladen, mir bei den letzten Vorbereitungen zu helfen!" Ihr Ton machte klar, dass sie keine Widerrede duldete. Doch Kerry nahm es Foraths Frau nicht übel. Sie freute sich darauf, beim Kochen zu helfen; denn dazu hatte sie seit Fornost keine Gelegenheit mehr gehabt.
"Mal sehen, ob Oronêl scharfe Gewürze verträgt," wisperte sie Finelleth zu, während sie Brigid durch die Häuptlingshütte folgte...
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