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Autor Thema: Die Hügellande von Dunland  (Gelesen 49619 mal)

Fine

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Die Entscheidung des Wolfskönigs
« Antwort #30 am: 15. Sep 2017, 14:51 »
Die schwere Tür wurde von draußen mit Gewalt aufgebrochen, und Aéds Männer stürzten hinein. Die meisten waren ungefähr im selben Alter wie der Wolfskönig selbst. Als sie die Leiche sahen und erkannten, dass die Gefahr für den Augenblick gebannt war, wurden sie ruhiger, doch dann fiel einem der Krieger auf, um was es sich bei dem Toten tatsächlich handelte.
Ein lautstarkes Stimmengewirr brach aus. "Die Elben haben uns verraten!" lautete die Hauptaussage. Aéd gelang es nur mit größter Anstrengung, die Männer zum Schweigen zu bringen und ihm zuzuhören.
"Bewahrt die Ruhe! Wir wissen nicht, warum dieser Elb versucht hat, mich zu töten," rief er. "Ich glaube nicht, dass er aus Eregion kam, und solange wir keine Beweise dafür haben, werde ich das Bündnis mit der Königin der Avari nicht ohne guten Grund brechen."
Die meisten Dunländer schienen Aéd zu vertrauen und beruhigten sich, doch einige blieben stur. Córiel sah, wie sie ihr hasserfüllte Blicke zuwarfen. Das Misstrauen der Dunländer gegenüber den Erstgeborenen saß tief und war viele Jahrhunderte alt. Selbst Aéd würde weitaus mehr als ein paar Wochen benötigen, um dieses Misstrauen in seinem Volk verschwinden zu lassen.
"Diese Frau hat den Angreifer getötet und mir das Leben gerettet," verkündete der Wolfskönig und deutete auf die Hochelbin. "Beruhigt euch also! Die Gefahr ist für den Augenblick gebannt. Und würde sich bitte jemand um ihre Verletzungen kümmern?"
Eine Heilerin von Corgans Stamm wurde gerufen, und brachte ihren Häuptling gleich mit. Corgan polterte zunächst laut drauflos, außer sich vor Zorn, dass es jemand gewagt hatte, die Gäste, die er in seinem eigenen Heim beherbergt hatte, anzugreifen. Als er jedoch sah, dass Córiel kurzen Prozess mit dem Attentäter gemacht hatte, legte er ihr anerkennend seine Hand auf die Schulter, während die Heilerin die Schnitte verband, die sie im Kampf erlitten hatte.
"Er hat bekommen, was er verdient hat, dieser Haufen Abschaum. Zu schade, dass ich es nicht selbst tun konnte. Doch wie ich sehe, habt Ihr Euch wirklich sehr gut gegen ihn geschlagen." Er zog das Messer aus dem Hals des Toten und wog es abschätzend in der Hand. "Diese Waffe stammt vom Stamm des Messers. Die meisten ihrer Krieger tragen es," stellte Corgan fest.
"Wahrscheinlich sollte es so aussehen, als ob einer von Yvens Gefolgsleuten den Wolfskönig umgebracht hat," überlegte einer von Aéds Gefährten.
"Zu schade, dass du ihn töten musstest, Stikke," meinte Jarbeorn. "Er hätte uns vielleicht viele interessante Dinge verraten können, wenn wir ihn zum Reden gebracht hätten."
Córiel blickte entschuldigend zwischen dem Beorninger und Aéd hin und her, doch der Wolfskönig winkte ab. "Ihr habt um Euer Leben und um meines gekämpft. Wir werden schon noch herausfinden, was hinter dieser Sache steckt. Verdoppelt für heute Nacht die Wachen," wies er seine Leute an. "Ich für meinen Teil bin zu müde, um mich heute mit der Angelegenheit weiter zu befassen."

Der Morgen kam und die Sonne ging blutrot über dem fernen Nebelgebirge im Osten auf. Córiel und Jarbeorn hatten sich nach einem kurzen Frühstück zu Aéd und seinen engsten Vertrauten und Beratern gesellt, die sich ein Stück außerhalb des Dorfes unter einer mächtigen, uralten Eiche versammelt hatten. Der Baum war mehr als einen Meter dick und seine Krone war breiter als viele Häuser. In die Rinde des Stammes waren seltsame, fremdländisch wirkende Zeichen und Runen eingeritzt.
"Dies ist die Gebrannte Eiche," erklärte Corgan. "Hier versammeln sich die Ältesten vom Stamm des Stabes, um wichtige Entscheidungen zu treffen."
"Sie soll uns heute für den selben Zweck dienen," meinte Aéd, dem Sorge, aber auch Entschlossenheit ins Gesicht geschrieben standen. Nachdem er einen prüfenden Blick auf den Baum geworfen hatte, drehte er sich um und wandte sich an die Gruppe. "Ihr alle wisst inzwischen, was gestern Nacht geschehen ist. Jemand hat versucht, mich zu töten. Es gelang ihm, sich als einer meiner Männer zu verkleiden, doch in Wahrheit war er ein mir unbekannter Elb. Wir sind jetzt hier, um zu entscheiden, was wir wegen dieser Angelegenheit unternehmen werden."
"Ein Angriff auf den Wolfskönig kann nur eines bedeuten," rief einer der Berater, ein älterer Mann mit dichtem, buschigen Bart. "Die Elben wollen Krieg!"
"Er hat recht!" stimmte ein zweiter Dunländer zu. "Jetzt, wo sie sich in Eregion sicher fühlen, wollen sie uns führerlos machen, um selbst die Herrschaft über Dunland zu übernehmen."
"Das wisst ihr nicht," entgegnete Corgan. "Nur weil ein einzelner Elb versucht hat, Aéd Forathssohn zu töten, heißt das nicht, dass sich plötzlich alle Avari gegen uns gewendet haben. Wir wissen nicht, woher der Angreifer kam. Vielleicht ist er gar keiner der Elben, die in Eregion leben."
"Vielleicht steht er mit ihr im Bunde," rief der Bärtige und zeigte anklagend auf Córiel. "Sie kommt aus Rohan, oder nicht? Wie wir gehört haben, leben dort nun viele Elben."
"Es kann dennoch sein, dass der Attentäter auf eigene Faust gehandelt hat," überlegte Jarbeorn.
"Gibt es unter den Elben bezahlte Mörder?" fragte Aéd, an Córiel gerichtet, doch sie schüttelte den Kopf. Zumindest unter ihrem eigenen Volk, den Noldor, hatte sie noch nie davon gehört. Aéd ließ den Blick in die Ferne schweifen. "Wir dürfen nicht voreilig handeln. Denkt nach: Wer würde etwas von meinem Tod haben? Ich weiß, dass es viele Feinde gibt, die mich mit Freuden tot sehen würden, doch eines haben die meisten von ihnen gemeinsam...."
"Sie dienen der Weißen Hand," ergänzte Corgan. "Saruman ist es, der am meisten von deinem Tod hat. Dunland würde erneut ins Chaos stürzen und die Stämme würden sich wieder gegenseitig bekriegen. Das will niemand hier. Was hätten die Elben davon? Ich denke nicht, dass sie dahinter stecken."
"Und doch ist es äußerst ungewöhnlich, dass es Saruman oder Yven gelungen sein könnte, einen elbischen Attentäter anzuheuern," sagte ein Mann, der bisher noch nichts zur Diskussion beigesteuert hatte. "Ich denke, wir sollten dennoch die Möglichkeit nicht ganz ausschließen, dass die Elben Eregions dahinterstecken. Erinnerst du dich, wie kalt der Abschied ihrer Königin war?" fragte er, an Aéd gewandt.
Aéd schüttelte langsam den Kopf. "Ich weiß nicht, Domnall. Sie kam mir nicht wie eine  Herrscherin vor, die ihr Volk vor dem Untergang ihrer Heimat rettet, nur um einen Krieg mit den Menschen anzufangen."
Domnall schlug nachdenklich die Hände zusammen. "Ich meine nur, dass wir vorsichtig sein sollten und alle Möglichkeiten im Auge behalten sollten."
Nun nickte der Wolfskönig. "Also gut. Dann hört nun meine Entscheidung. Wir werden wachsam sein, und unsere Anstrengungen verdoppeln, Yven und seine fehlgeleiteten Anhänger zu erwischen. Wenn wir ihn haben, wird er uns sagen, ob er hinter dem Angriff steckt." Leises Gemurre erhob sich, doch Aéd brachte die Dunländer mit einer Geste zum Schweigen. "Außerdem werden wir die Grenze zu Eregion aufmerksam beobachten und versteckte Wachposten am Südufer des Glanduin aufstellen. Ich will wissen, wer den Fluss überquert, und aus welchem Grund. Sollten die Elben wider Erwarten etwas damit zu tun haben, werden wir sie zur Rede stellen. Wir werden nun umso dringender das Bündnis mit Rohan benötigen und ich bin froh, dass mein Bote bereits nach Aldburg unterwegs ist."

Nicht alle Dunländer waren mit Aéds Entscheidung zufrieden und als sich die Gruppe zerstreute, sah Córiel einige Gesichter, die ihr gar nicht gefielen. Unterdrückte Wut lag in der Luft und die Elbin hoffte, dass der Wolfskönig seine Gefolgsleute unter Kontrolle halten konnte.
Aéd und Domnall standen noch immer unter der Eiche und unterhielten sich leise miteinander. Jarbeorn trat hinzu, und Córiel folgte ihm.
"Es gibt da noch etwas, das ich euch noch nicht erzählt habe," sagte der Wolfskönig. "Während des Krieges reisten mein Vater und ich einige Zeit mit einer kleinen Gruppe von Elben. Ich wollte es schon gestern ansprechen, doch der Angreifer hat sich eingemischt, ehe ich dazu kam. Ihr hattet gesagt, ihr wäret auf der Suche nach einer Elbengruppe, richtig? Könnte es sich dabei womöglich um eben jene Gruppe handeln, mit der ich einige Tage unterwegs war?"
Er beschrieb in einigen kurzen Sätzen die Elben, mit denen er gereist war. Es waren fünf gewesen, drei Frauen und zwei Männer. Vier von ihnen waren Córiel unbekannt, doch der fünfte passte auf Lasserons Beschreibung. Aéd fügte hinzu, dass diese Gruppe zwar ebenfalls nach Eregion gegangen war, doch bereits Pläne gehabt hatte, nach Imladris und von dort in den Düsterwald weiterzureisen.
"Nun, das ist trotzdem eine gute Spur," befand Jarbeorn. "Auch wenn dies nicht die einzige Gruppe von Elben ist, die wir suchen. Ihr habt von Imladris gesprochen, Aéd..."
"Wir suchen den Herrn dieses verborgenen Tals, der vor einigen Monaten aus Aldburg aufbrach, um in seine Heimat zurückzukehren. Wahrscheinlich kam er noch vor dem Beginn des Stammkrieges durch Dunland.
"Dabei kann ich euch leider nicht behilflich sein," sagte Aéd entschuldigend.
"Nun, ich denke, wir werden erst einmal selbst nach Eregion gehen und uns dort ein Bild der Lage machen," sagte Córiel. "Falls wir etwas über den geheimnisvollen Angreifer herausfinden, werden wir es Euch wissen lassen, Wolfskönig."
"Ich danke Euch. Besonders dafür, dass Ihr mein Leben bewahrt habt."
Sie verabschiedeten sich von Aéd und sattelten rasch die Pferde. Dabei entging ihnen nicht, dass in Corgans Dorf noch immer eine angespannte Stimmung herrschte. Córiel hoffte, Aéd würde rasch für Beruhigung sorgen können.

Jarbeorn und Córiel trieben ihre Pferde zur Eile an, denn sie wollten Dunland rasch hinter sich lassen. Jetzt, wo das Gerücht umging, dass ein elbischer Attentäter den Wolfskönig angegriffen hatte, wollte Córiel kein Risiko eingehen. Sie verbarg ihre verräterischen Ohren unter ihrer Kapuze und hielt den Kopf bedeckt.
Die Landschaft veränderte sich langsam, während sie weiter nach Norden kamen. In diesem Teil Dunlands wuchsen mehr Bäume, und das Gras färbte sich grün, im Gegensatz zu dem braunen Gras der Ebene. Immer wieder überquerten sie kleine Bäche, die vom Gebirge nach Westen zum Gwathló flossen. Dennoch war das Land noch immer recht steinig und übersät von großen und kleinen Felsen. Es wurde hügeliger, je weiter sie kamen, und das bremste ihren eiligen Ritt mehr und mehr aus.
Gegen Mittag des selben Tages machten sie eine Pause in einer kleinen Mulde, die am Fuß eines besonders hohen Hügels lag. Aéd hatte ihre Vorräte aufstocken lassen, weshalb sie noch immer kein Feuer entzünden mussten. Jarbeorn hatte sich der Länge nach ins weiche Moos gelegt, das am Boden der Mulde wuchs, und blinzelte träge ins helle Licht der Mittagssonne, die zwischen den Ästen der nahen Bäume hindurchblitzte. Auch Córiel fühlte sich schläfrig. Um bei voller Wachsamkeit zu bleiben, stand sie auf und ging auf und ab. Seltsamerweise spürte sie, wie sie dennoch mehr und mehr das Verlangen überkam, die Augen zu schließen. Regelmäßiges, lautstarkes Schnaufen zeigte ihr, dass Jarbeorn das bereits getan hatte. Córiel schüttelte den Kopf, um die Müdigkeit abzuschütteln, doch davon wurde ihr nur schwindlig. Taumelnd stützte sie sich auf ihren Speer, als sich ein Schatten über ihr Gesicht legte.
"Du siehst aber gar nicht gut aus," sagte eine Stimme. "Ein Mittagsschläfchen würde dir bestimmt gut tun. Danach fühlst du dich erfrischt und gestärkt für die Weiterreise."
Córiel riss die Augen auf. Jemand beugte sich über sie. Sie brachte einen Moment, um die Dunländerin Veca zu erkennen. Córiel versuchte, sich aufzuraffen, doch dabei verlor sie das Gleichgewicht und landete auf ihrem Hinterteil.
"Wie seid ihr so schnell hierher gelangt?" stieß sie hervor.
"Widerspenstig gegen den guten Rat einer alten Freundin, was? Tsssk." Die merkwürdige Frau setzte sich neben Córiel und musterte sie.
"Was wollt Ihr von uns? Steht Ihr in Sarumans Diensten?" Córiel gelang es nun etwas besser, gegen die Müdigkeit anzukämpfen.
"So viele Fragen. Neugier steht dir nicht gut, meine Liebe. Ich sagte doch, du solltest lieber ein wenig schlafen."
"Antwortet mir," forderte Córiel, doch stattdessen erhob sich die Dunländerin und drohte ihr mit dem Finger. "Du hättest Kivan nicht töten sollen. Das war äußerst unhöflich von dir."
"Wovon... von wem sprichst du?" Córiel gelang es, aufzustehen.
Die Frau deutete anklagend auf Córiels Umhang, an dem noch Blutflecken zu sehen waren. "Du hast es nicht einmal für nötig gehalten, sein Blut abzuwaschen. Dabei hat er nur getan, was ich ihm aufgetragen habe."
"Du steckst hinter dem Angriff auf den Wolfskönig?"
"Ich sagte doch bereits bei unserer letzten Begegnung, dass ich nicht allzu viel von ihm halte." Veca klang, als würde sie über etwas so Belangloses sprechen wie die Sonne oder den Wind, und nicht über Mord und Blutvergießen. "Immerhin werden nun einige denken, dass der Angriff aus Eregion kam. Vielleicht hat Kivan am Ende doch nicht versagt."
Córiel packte ihren Speer. "Spuckt endlich aus, was das zu bedeuten hat, oder ich muss euch wehtun."
Veca schien unbeeindruckt zu sein. "Nun werd' aber nicht unfreundlich, Mädchen." Mit einer raschen Bewegung fegte sie die Speerspitze beiseite und traf Córiel mit der flachen Hand an der Schläfe, wo sie am Abend zuvor der Attentäter mit dem Knauf seines Dolches erwischt hatte. Und ihre Augen sahen nichts mehr als Schwärze.
« Letzte Änderung: 15. Sep 2017, 23:58 von Fine »
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Der Sohn des Falken
« Antwort #31 am: 15. Sep 2017, 22:37 »
Als Córiel erwachte, kniete Jarbeorn gerade mit besorgtem Gesichtsausdruck über ihr und presste ihr ein kühles Stück von feuchtem Stoff an die Schläfe, wo sie nun bereits zweimal getroffen worden war. Der Beorninger schien unverletzt zu sein. Vorsichtig setzte die Hochelbin sich auf. Von Veca war keine Spur zu sehen. Doch sie war nicht alleine mit Jarbeorn in der Mulde, in der die Dunländerin sie überrascht hatte. Ein Mensch lehnte an einem der Bäume und blickte mit scheinbaren Desinteresse zur Seite. Er war kleiner als Jarbeorn, aber dennoch muskulös gebaut. Er trug eine hellbraune, ärmellose Jacke, die seine nackte Brust zeigte, sowie eine feste Hose aus dunklem Leder und hohe Stiefel, die bis zu seinen Knien reichten. Um den Hals lag ein weißer Schal, der ihm über den Rücken fiel und bis zu seinen Oberschenkeln reichte. Die braunen Haare trug er offen und knapp schulterlang, und ein wohlgepflegter, kurzer Bart rundete sein Aussehen ab. Córiel musste zugeben, dass sie den Unbekannten auf eine gewisse Art ziemlich attraktiv fand. Seine Haut war sehr braungebrannt, als käme er aus dem Süden Mittelerdes.
"Wieder wach, was?" meinte er und warf ihr einen beiläufigen Blick zu. Seine Stimme war angenehm klingend, wenngleich sie nicht so tief wie Jarbeorns war. Er sprach Westron ohne jeglichen Akzent.
Córiel kam auf die Beine. "Wer seid Ihr? Und wo ist dieses Miststück hin, das mich niedergeschlagen hat?"
Jarbeorn hob ahnungslos die Schultern. "Als ich erwachte, hat er dich gerade auf den Rücken gerollt und ins weiche Moos gebettet," erklärte der Beorninger. "Ich glaube, wenn er ein Feind wäre, hätte er uns schon etwas angetan, ehe ich erwacht bin."
"Seht ruhig bei euren Sachen nach. Es ist alles noch da," meinte der Fremde. Er stieß sich von dem Baum ab, an den er sich gelehnt hatte, und schlenderte zu ihnen hinüber. Dann stützte er die Hände in die Hüften und sagte: "Wenn ihr diesem Weib begegnet seid, dann bin ich zu spät gekommen. Ich hatte gehofft, sie dieses Mal endlich zu erwischen. Als ich vor zwei Wochen nach Dunland kam, hat sie mir etwas gestohlen... etwas Wichtiges. Seitdem jage ich sie. Doch immer wieder entwischt sie mir, wie ein Schatten. So etwas habe ich noch nie erlebt."
Er schien nicht sonderlich verärgert zu sein, sondern erzählte Jarbeorn und Córiel im Plauderton davon, als würden sie sich schon lange kennen.
"Ich habe uns bereits vorgestellt," warf Jarbeorn ein. "Dies ist Sabri, der auch der Sohn des Falken genannt wird."
Sabri machte eine wegwerfende Handbewegung. "Sabri genügt." Er beugte sich vor und fragte: "Hat Veca irgendetwas zu euch gesagt, das vielleicht auf ihren nächsten Schritt hinschließen lässt? Was wollte sie von euch?"
"Wenn ich das wüsste," antwortete Córiel und rieb sich vorsichtig die Schläfe. Rasch fasste sie zusammen, was Veca zu ihr gesagt hatte, ehe sie sie niedergeschlagen hatte und verschwunden war. "Sie hat... zugegeben, hinter dem Mordversuch auf den Wolfskönig zu stecken."
"Das passt zu ihr," meinte Sabri verdrossen. "Sie stiftet Chaos, wo immer sie nur kann."
"Ihr Ziel scheint zu sein, dass ein Krieg zwischen Dunland und Eregion ausbricht," fuhr Córiel fort.
"Und wer hätte etwas davon?" überlegte Jarbeorn, und beantwortete seine Frage gleich darauf selbst: "Natürlich. Saruman. Sie muss in seinen Diensten stehen."
"Gut möglich," meinte Córiel. "Ich denke jedenfalls, dass wir so bald es geht nach Eregion weiterreiten sollten, und mit den Elben dort sprechen sollten. Wir müssen verhindern, dass aus diesem Missverständnis tatsächlich ein blutiger Krieg entsteht. Außerdem können uns die Elben von Eregion sagen, wohin Lasseron und seine Gruppe gegangen sind, und sie haben vielleicht auch etwas von Meister Elronds Gruppe gehört."
"Missverständnis?" wiederholte Sabri fragend.
"Der Angreifer, der den Wolfskönig ermorden wollte, war ein Elb," erklärte Jarbeorn.
"Hmm. Interessant," kommentierte Sabri. "Ich schätze, ich werde mitkommen. Wenn Veca tatsächlich einen Krieg anzetteln will, kann ich das nicht zulassen. Ihre Pläne zu durchkreuzen wird sie vielleicht zu mir locken, und sich am Ende als erfolgreicher erweisen als eine schier endlose Jagd durch die Ödnis dieses Landes."
Jarbeorn stimmte erfreut zu, doch Córiel war vorsichtiger. Sabri schien es sofort zu bemerken. "Mach dir keine Sorgen, große Elbenkriegerin. Ich habe nicht vor, dich oder deinen Kumpanen zu verraten. Ich bin ebenso fremd in diesem Land wie ihr beide und werde hier so bald ich meinen Auftrag erledigt habe, wieder verschwinden."
"Was für einen Auftrag?" wollte Córiel wissen. "Was willst du hier, und in wessen Diensten stehst du?"
Sabri schüttelte den Kopf. "Das kann ich nicht verraten. Noch nicht. Ich sage nur so viel: Es hängt mit Saruman zusammen. Doch Veca hat mir einen wichtigen Gegenstand gestohlen, den ich zur Erfüllung meines Auftrages benötige. Gelingt mir das nicht, muss ich in Schande zu meinem Vater und seinen Kriegern zurückkehren."
"Wir haben einen gemeinsamen Feind," stellte Jarbeorn klar. "Selbstverständlich kannst du uns begleiten."
"Hmpf," machte Córiel. "Also gut. Aber wenn er am Ende doch ein Verräter ist, kümmerst du dich um ihn. Und du schuldest mir dann einen Honigkuchen."
"Ha!" rief Jarbeorn. "Es sei!" Die Honigkuchen der Beorninger waren berühmt, doch Córiel war es in all der Zeit, in der sie Jarbeorn kannte, noch nie gelungen, ihn dazu zu überreden, ihr eine solche Köstlichkeit zu backen.
"Ich fürchte, auf diesen Kuchen wirst du lange warten müssen, meine Liebe," meinte Sabri mit einem schiefen Lächeln. "Ihr könnt mir nämlich vertrauen."

Rasch machten sie sich aufbruchsbereit. Die Pferde waren zum Glück noch an Ort und Stelle, und es hatte sich ein drittes Ross zu Córiels und Jarbeorns Reittieren gesellt; eines, wie es es Córiel noch nie gesehen hatte. Sein Fell war tiefschwarz und glänzte in der hellen Mittagssonne. Es war ein kräftiger, feuriger Hengst, der freudig wieherte, als Sabri in den Sattel stieg.
Voller Drang, die durch den unfreiwilligen Mittagsschlaf verlorene Zeit wieder aufzuholen, trieben die drei Gefährten ihre Pferde zur Höchstgeschwindigkeit an. Die nördlichen Hügellandschaften Dunlands flogen nur so an ihnen vorbei, bis schließlich in der Ferne das blaue Band des Glanduins auftauchte, das die Grenze des Reiches des Wolfskönigs markierte. Als der Fluss in Sichtweite kam, wurden die drei Reiter etwas langsamer. Sie ritten zwischen zwei großen Hügeln hindurch, und das Land wurde abschüssig zum Ufer des Flusses hin. Direkt vor ihnen, noch ungefähr eine Meile entfernt, lag eine breite Furt. Und dahinter erstreckte sich ein großes und leeres, grünes Land.
"Eregion", rief Córiel, und sie hielten ihre Pferde an. "Dort liegt es, das ehemalige Reich meines Volkes."
Keiner der beiden Menschen sagte etwas. Jarbeorn und Sabri hatten sich unterwegs hin und wieder einige Minuten lang über dies und das ausgetauscht, doch nun blickten sie beide aufmerksam nach Norden. Córiels scharfe Elbenaugen hingegen fingen im Osten eine Bewegung auf, und sie drehte den Kopf nach rechts. Dort, auf der Spitze des Hügels, war eine Gestalt zu sehen, die in dunkle Gewänder gehüllt war. Ein frischer Wind war aufgezogen und verwirbelte Córiels Haar. Als sie genauer hinsah, erkannte sie, dass es sich bei der Gestalt um einen Elb handelte. Sein Gesicht glich dem Angreifer, den sie in Corgans Dorf getötet hatte, so sehr, dass sie fast schon glaubte, er wäre von den Toten auferstanden. Sie keuchte überrascht auf, und warf ihren Gefährten einen besorgten Blick zu. Doch als sie wieder nach oben blickte, war der geheimnisvolle Elb verschwunden.
"Das klingt gar nicht gut," befand Jarbeorn, nachdem Córiel rasch erzählt hatte, was sie gesehen hatte.
"Es klingt nach Veca," brummte Sabri verdrossen. "Sie lässt uns beobachten."
Mehrere Minuten verharrten sie an Ort und Stelle, die Waffen wachsam griffbereit haltend. Der Wind rauschte über ihre Köpfe hinweg und riss das braune, rote und goldene Laub von den Blättern der wenigen Bäume, die hier wuchsen. Córiel hielt den Atem vor Anspannung an. Doch nichts geschah.
"Wir sollten hier nicht verweilen," sagte Jarbeorn. "Lasst uns weiterreiten."

Eilig durchquerten sie die breite Furt. Gerade als Córiels Pferd das vorderste Bein auf das jenseite Ufer setzte, schoss ein Pfeil haarscharf an ihrem Gesicht vorbei, und eine Stimme rief ihr auf Quenya zu: "Keinen Schritt weiter, wenn Euch das Leben lieb ist!" Der Sprecher hatte die Sprache mit einem seltsamen Akzent gesprochen, und als Córiel sich überrascht umblickte, sah sie eine große Gruppe von gut gerüsteten Elben auf sich zukommen, die sich hinter den großen Felsen verborgen hatten, die am nördlichen Ufer der Glanduin-Furt lagen. Dies mussten die neuen Bewohner Eregions sein, die sie aufsuchen wollten.
"Wer seid ihr, und was habt ihr in Eregion zu schaffen?" fragte der Sprecher, ein hochgewachsener Elb in schwerer Rüstung, der sein Schwert gezogen hatte.
Córiel antwortete ihm in ihrer Muttersprache. "Wir kommen aus Rohan mit einer Nachricht der Heerführer des Westens," sagte sie. "Und bringen eine Warnung an eure Königin. Es gab ein Attentat auf den Wolfskönig von Dunland, und wir glauben, dass es so aussehen sollte, als wären die Elben von Eregion verantwortlich. Denn der Attentäter war ein Elb. Ich selbst habe ihn getötet. Jemand will einen Krieg zwischen euch und den Dunländern auslösen."
"Ihr habt gut daran getan, die Wahrheit zu sprechen. Wir hörten bereits verschiedene Gerüchte, die Ähnliches besagen. Dennoch sind dies finstere Zeiten, und wir Manarîn können es uns nicht erlauben, jetzt unvorsichtig zu werden. Ihr werdet uns eure Waffen übergeben, und uns zu unserer Hauptstadt begleiten, wo unsere Königin sich eurer annehmen wird."
Córiel gefiel das zwar nicht, doch sie sah ein, dass dies der schnellste Weg war, die Königin der Avari zu erreichen und mit ihr zu sprechen. Also willigte sie ein und übergab ihren Speer an die Elben. Auch Jarbeorn und Sabri ließen sich entwaffen. Dann ritten die drei Gefährten in Begleitung ihrer neuen Eskorte am Fluss entlang nach Nordwesten, um mit der Königin zu sprechen...


Córiel, Jarbeorn und Sabri mit den Manarîn-Wachen nach Eregion
« Letzte Änderung: 6. Feb 2021, 17:37 von Fine »
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Auf dem Weg durch das Marschland
« Antwort #32 am: 2. Nov 2019, 21:44 »
Kerry und Oronêl aus Enedwaith


Dichte Nebelschwaden zogen über den südwestlichen Teil Dunlands, der von einer Vielzahl von kleinen Moorfeldern durchzogen war. Dank Oronêls Erfahrung gelang es dem Elb, für sich und Kerry einen sicheren Weg durch das tückische Gelände zu finden. Immer wieder war Kerry über ihre Kindheit froh, in der sie wie die meisten Kinder Rohans bereits sehr früh das Reiten erlernt hatte. Es war ihr Onkel gewesen, der sie zum ersten Mal in den Sattel gesetzt hatte. Und wie die meisten Kinder Rohans hatte es nicht lange gedauert, bis aus der kleinen Déorwyn eine geborene Reiterin geworden war. Die langjährige Erfahrung half ihr nun, sicher auf dem Rücken ihres Pferdes sitzen zu bleiben, selbst wenn das Tier hin und wieder ins Straucheln geriet und den Sattel ins Schwanken brachte.
Der Abschied von Gwŷra war kurz , aber herzlich gewesen. Kerry und Oronêl hatten versprechen müssen, den Glannau Môr auf jeden Fall einen erneuten Besuch abzustatten und Gwŷra hatte die beiden mit dem höchsten Feuersegen des Blutmondes belegt, was auch immer das bedeuten musste. Aelwyd hatte Kerry ein listiges Grinsen geschenkt und Oronêl geraten, sich von seinen Instinkten leiten zu lassen. Der Häuptling des Küstenstammes hatte sich im Hintergrund gehalten. Kerry hoffte, dass das Volk Enedwaiths nun zumindest für einige Zeit von den Machenschaften Sarumans Ruhe haben würde.
Die Sumpflandschaft zog vorbei, ohne sich groß zu verändern. Oronêl hatte geschätzt, dass es noch zwei Tagesritte dauern würde, ehe sie wieder das vertrautere Hügelgebiet erreichen würden, in dem Aéds Volk, der Stamm des Schildes lebte. Immer wieder ertappte Kerry sich dabei, wie sie sich das Wiedersehen mit Aéd vorstellte. Endlich würden sie Zeit haben, wirklich miteinander zu reden und sich besser kennen zu lernen. Weil Oronêl seinen eigenen Gedanken nachzuhängen schien - der Großteil schien um das schimmernde Ding zu kreisen, das der Waldelb geradezu eifersüchtig wie einen Schatz hütete - hatte auch Kerry viel Zeit, um nachzudenken. Und dabei war ihr aufgefallen, dass sie Aéd gar nicht so gut kannte, wie sie immer gedacht hatte.
Wie oft haben wir uns überhaupt getroffen? dachte sie. Da war unsere erste Begegnung, im Kriegslager der Dunländer vor Tharbad. Der gemeinsame Marsch nach Eregion - bei dem ich sauer auf ihn war und kein Wort mit ihm gewechselt habe. Die Aussprache im Dorf des Schildes. Und dann - Danach hatte Mathan Kerrys Aufmerksamkeit auf sich gezogen, denn damals hatten sie die Grenze zur ehemaligen Heimat des Elben überschritten, was ihn auf gewisse Weise belastet hatte und somit Kerrys Neugierde und Einfühlsamkeit geweckt hatte. Nach der Schlacht in der Schmiede war Kerry mit Aéd in dessen Heimatdorf zurückgekehrt und hatte - sie erötete, als sie sich daran erinnerte - ihn geküsst. Aber... das war es auch schon gewesen. Sie hatten ein bisschen miteinander geredet, ehe Oronêl und Finelleth sie unterbrochen hatten. Und danach war Kerry nach Norden aufgebrochen und hatte Abenteuer über Abenteuer erlebt, bis...
Eigentlich hatte sie an das Wiedersehen mit Aéd in Aldburg denken wollen, doch als Kerrys Gedanken ihre Reise durch den Düsterwald Revue passierten, blieb Kerrys inneres Auge am schweigsamen Gesicht Helluins hängen. Seine dunklen Haare fielen ihm unordentlich zu beiden Seiten bis auf die Wangen herab und die Stirn war in grüblerische Falten gelegt. Doch darunter brannten die beiden Augen wie zwei Eissterne und zogen Kerrys Blick unwiderstehlich an und nahmen sie für sich gefangen.
Sie blinzelte heftig. Nein, dachte sie. Er ist fortgegangen. Und er war ein Diener Sarumans! Doch am Ende hatte er Oronêl gerettet, und er hatte Kerry vor dem Zauberer gerettet, und... sein Abschied war beinahe schon wie der Abschied eines Freundes gewesen. Oder gar eines...
Kerry musste bei diesem Gedanken ein Geräusch von sich gegeben haben, denn Oronêl, der vor ihr ritt, hielt sein Pferd an und blickte über die Schulter zu ihr zurück. "Ist etwas, Kerry?" wollte der Waldelb verwundert wissen.
Peinlich berührt schlug Kerry die Augen nieder. "Nein, nichts," druckste sie herum.
Zu ihrer wachsenen Beklommenheit wendete Oronêl sein Pferd und kam heran, bis er ihr direkt in die Augen sehen konnte. Ein belustigtes Lächeln spielte über sein Gesicht. "Du kannst mit mir darüber reden, wenn du willst," bot er an.
"I-ich..." Kerry schluckte. Verdammte Elben und ihre übermenschliche Auffassungsgabe! "Oronêl," begann sie vorsichtig. "Wie... wie war das einst bei dir, äh..."
"Ja?"
"Als du... deine Frau kennengelernt hast."
Oronêl zog die linke Augenbraue in die Höhe. "Oh?"
"W-wann warst du dir... sicher?"
"Sicher?"
Kerry raufte sich die Haare. "Oronêl!" schrie sie frustriert. "Hast du etwa die Fähigkeit verloren, vollständige Sätze zu bilden? Muss ich dir jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen?"
"Kerry, beruhige dich," lachte Oronêl. "Komm schon, ich beiße nicht. Stell deine Frage. Ohne weiteres Drumherum."
Kerry seufzte verärgert. Also gut. Also gut.... "Wann warst du dir sicher, dass du Calenwen liebst?"
Oronêl verschränkte die Arme vor der Brust. "Wirklich Kerry, du überraschst mich immer wieder mit deiner..."
"Beantworte die Frage!"
Der Waldelb hob abwehrend die Hände. "Ruhig Blut, ruhig Blut..." Er schmunzelte. "Es gab bei uns nicht diesen einen entscheidenden Augenblick, in dem mir klar wurde, dass ich Calenwen liebe. Es war ein Prozess. Je mehr ich sie kennenlernte, desto mehr fiel mir an ihr auf, das mir gefiel - nein, das meine Hingezogenheit zu ihr stärker werden ließ. Und ihr ging es ähnlich."
"Wie lange... hat das gedauert?"
"Oh, viele hunderte von Jahren."
"Verstehe," murmelte Kerry.
Oronêl sah aus, als wäre er drauf und dran, eine Bemerkung zu machen, die Kerry im Augenblick keinesfalls hören wollte. Also warf sie ihm einen warnenden Blick zu und der Elb zwinkerte ihr stattdessen nur zu.
"Kopf hoch, Kerry. Du stehst erst ganz am Anfang. Mach' dir nicht zu viele Gedanken! Alles wird sich zu seiner Zeit ergeben."
"Du hast gut reden," maulte Kerry leise. "Von Zeit hast du mehr als genug."
Statt einer Antwort stupste ihr Oronêl gegen die Nase, ehe er sein Pferd wieder nach vorne wendete. "Komm schon, kleine Geheimniskrämerin. Wir haben heute noch einen weiten Weg vor uns."
Der Waldelb presste dem Ross sanft die Innenschenkel gegen die Flanken und das Tier gehorchte, in einen raschen Trab verfallend. "Bald werden wir diesen Sumpf hinter uns gelassen haben!" rief Oronêl Kerry zu und sie musste sich beeilen, um ihm zu folgen.

In der folgenden Nacht konnte Kerry lange nicht schlafen. Entgegen Oronêls Rat hatte sie den ganzen Tag mit brütender Grübelei verbracht. Und obwohl sie so viel Zeit investiert hatte, hatte sie das Gefühl, nicht einen Schritt weiter gekommen zu sein.
Wann wird es klar werden, ob ich Aéd wirklich liebe? dachte sie und starrte in den finsteren Himmel über ihr. Der Nebel war durch dichte Wolken ersetzt worden, die die Sterne über ihnen verhüllten. Er ist heldenhaft und liebenswert, und gutaussehend, und er scheint mich wirklich zu mögen, aber... eigentlich kenne ich ihn gar nicht wirklich. Wir haben selbst während dem Ritt durch Rohan kaum geredet, stattdessen eher... Sie wurde rot und drehte sich auf die linke Seite. Mit einem Mal fürchtete sie sich vor dem Wiedersehen mit Aéd. Was, wenn ich feststelle, dass er... dass er gar nicht der Richtige für mich ist? Sie wünschte sich, sie wäre bereits in Eregion und könnte mit Halarîn über alles reden - die Elbin erschien Kerry die Einzige zu sein, die sie wirklich verstehen würde. Ich wünschte, alles wäre einfacher, dachte sie frustriert. Wieso kann es nicht einfach alles ganz klar sein? Wieso halten mich diese Gedanken so gefangen? Und... jetzt, da ich mich an ihn erinnert habe... weshalb kann ich Helluin nicht vergessen?
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Eandril

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Re: Dunland
« Antwort #33 am: 20. Nov 2019, 22:32 »
Das Dorf des Stammes des Schildes hatte sich seit Oronêls letztem Besuch kaum verändert, und beim Anblick der Hütten, die sich zwischen die Hügel schmiegten, fragte er sich, ob er jemals nicht unter dramatischen Umständen oder drängender Zeit an diesen Ort kommen würde. Beim ersten Mal waren er und Orophin gekommen, um Amrothos zu befreien, das zweite Mal hatten sie hier Halt auf dem Weg nach Eregion gemacht, und beim dritten Mal hatte sich Aéd sein Amt als Wolfskönig verdient. Und nun drängte die Zeit erneut, und Oronêl und Kerry würden nicht lange verweilen können.
Im Gegensatz zu früher hielt sie niemand auf, als sie zwischen den Hütten hindurch zum zentralen Platz im Nordwesten des Dorfes ritten, auch wenn sie den ein oder anderen neugierigen Blick auf sich zogen. Die meisten davon schienen auf Oronêl gerichtet zu sein, doch auch Kerry bekam mehr Aufmerksamkeit als ihr lieb zu sein schien. Vor dem großen Haus, das Aéd mit seiner Familie seit Bórans Tod bewohnte, ließ Oronêl sich vom Pferd gleiten, und Kerry tat es ihm kaum weniger elegant gleich.
"Ob Aéd wohl zu Hause ist?", fragte sie mit gespielter Leichtigkeit, und Oronêl seufzte innerlich. Nach ihrem Gespräch vor zwei Tagen ahnte er, was sie beschäftigte, und er würde es nicht wagen, auf einen bestimmten Ausgang zu setzen. Bei Kerry wusste man nie.
Bevor er an die dicke Holztür klopfen konnte, öffnete sich diese bereits, und ein braunhaariges Mädchen trat schwungvoll und strahlend über die Schwelle. "Du bist wieder da!", sagte sie aufgeregt an Kerry gewandt. "Aéd hat gesagt, dass du kommen würdest, aber er wusste nicht wann. Er hat überhaupt viel von dir geredet." Sie senkte ihre Stimme zu einem vertraulichen Flüstern, und ergänzte: "Ich glaube, er ist furchtbar verliebt in dich." Kerry biss sich bei diesen Worten auf die Unterlippe, und schien unschlüssig zu sein, was sie darauf antworten sollte. Zu ihrem Glück trat eine kleine, rundliche Frau, Aéds Stiefmutter Brigid, aus dem dunklen Flur heraus auf die Schwelle, und legte ihrer Tochter eine Hand auf die Schulter. "Lynet...", schalt sie leise. "Es gehört sich wohl kaum, unsere Gäste auf der Türschwelle mit solchen Themen zu überfallen." Sie lächelte warmherzig, und Oronêl entging die stumme Erleichterung, die Kerry ausstrahlte, nicht. "Seid beide in unserem Haus willkommen. Ich fürchte, Aedir ist noch nicht hier, doch er sollte vor dem Abend zurück sein." Sie warf Kerry einen Seitenblick zu, und ihre Augen funkelten verdächtig.
"Wir nehmen deine Gastfreundschaft gerne an", erwiderte Oronêl. Er hatte befürchtet, sich beim Anblick Brigids und ihrer Kinder schuldig wegen Foraths Tod zu fühlen, doch sie schienen den Verlust einigermaßen überwunden zu haben. "Doch ich fürchte, wir werden nicht allzu lange bleiben können", fügte er ernst hinzu. "Wir haben in Enedwaith Gerüchte über einen Angriff auf Eregion gehört."
"Morgen", sagte Kerry leise. "Wir brechen morgen früh wieder auf." Sie wich Oronêls Blick aus. Er hob eine Augenbraue, sagte aber nichts.
Stattdessen ergriff Brigid das Wort: "Nun, für diese Nacht werdet ihr froh sein, ein Dach über dem Kopf zu haben. Es wird Schnee geben." Sie sagte es in einem Tonfall, als gäbe es keine Zweifel an ihrer Vorhersage, und Oronêl war geneigt, ihr zuzustimmen. Die letzte Stunde hatte er den kommenden Schnee im Wind gerochen.

Sie folgten Brigid durch den dunklen Flur, an den Oronêl sich gut erinnerte, in die warme Küche hinein. Im Ofen brannten munter einige Holzscheite, und die Fensterläden waren fest geschlossen und sperrten die heraufziehende Dunkelheit und die Kälte aus. Oronêl wäre es lieber gewesen, ein wenig vom Himmel sehen, doch als Gast beklagte er sich nicht. Kerry war inzwischen von Lynet in ein Gespräch verwickelt worden, und gab sich dabei betont unbeschwert, doch offenbar bemerkte selbst Brigid, dass ihr etwas auf dem Herzen lag. Aéds Mutter betrachtete Kerry einen Augenblick nachdenklich, bevor sie den Kopf schüttelte und ein wenig traurig lächelte. Sie stellte jedoch keine Fragen - ganz im Gegensatz zu Lynet, die Kerry mit Fragen geradezu überschüttete, als sie erfuhr, dass Kerry nicht nur im Waldlandreich gewesen und den Erebor - wenn auch nur von außen - gesehen hatte, sondern auch ihren Vater wieder gefunden hatte.
"Gibt es Neuigkeiten aus Enedwaith?", fragte Brigid, während Oronêl sich auf einem der hölzernen Stühle niederließ und die Beine ausstreckte. Vermisste er auch den Himmel, zu dieser Jahreszeit war ein warmer Raum nach mehreren Tagen im freien trotzdem sehr willkommen. "Gute", antwortete er knapp. "Ich werde mit der Erzählung warten, bis Aéd hier ist. Ihn dürften die Nachrichten sehr interessieren."
"Das denke ich auch", erwiderte Brigid, und rührte gedankenverloren in einem großen Kessel, der über dem Feuer hing, und von dem sich ein angenehmer Duft ausbreitete. Oronêl fühlte sich ein wenig an Aelwyd und ihren Kessel zurückerinnert, doch gleichzeitig dachte er, dass Aelwyd und Brigid sich im Grunde nicht unähnlicher sein konnten. "Der arme Junge - Mann, sollte ich eher sagen - hat alle Hände voll zu tun, denn die meisten Männer unseres Volkes sind nicht weniger stur und willensstark als mein armer Forath." Sie musste Oronêls Gesichtsausdruck bemerkt haben, denn sie lächelte und fügte hinzu: "Ich gebe dir keine Schuld an seinem Tod, Oronêl, ebenso wenig wie den anderen, die nach Eregion gegangen sind. Forath hatte seinen Weg gewählt, und ich wusste immer, dass er eines Tages für das sterben würde, woran er glaubt. Gibt es denn einen besseren Trost als den Gedanken daran, dass sein Tod eine besser Welt für seine Kinder ermöglich hat?"
Wie gerufen kamen ihre jüngeren Kinder, Henwas und Eryn, in die Küche - besser gesagt kam Eryn in die Küche gestürmt und Henwas folgte ihr mit Leidensmiene, die besagte, dass er, der er fast schon ein Mann war, sicherlich besseres zu tun hatte, als sich für die Spiele seiner kleinen Schwester einspannen zu lassen. Bei Oronêls Anblick stockte Eryn, und warf einen Blick zu ihrer Mutter, die beruhigend lächelte. "Es ist nichts geschehen, meine Kleine", sagte Brigid. "Oronêl und Kerry sind nur während ihrer Reise durch unser Dorf gekommen und machen hier Rast." Offenbar erinnerte Oronêls Anblick das Mädchen daran, dass ihr Vater tot war, und nun konnte er die Schuldgefühle doch nicht unterdrücken.
Kaum dass Brigid ausgesprochen hatte, öffnete sich die Tür zum nächsten Mal, und Aéd selbst trat in die nun ziemlich ausgefüllte Küche. Als sein Blick auf Kerry fiel, strahlte er, und Kerry unterbrach ihre Erzählung mitten im Satz.
"Wie schön, dass ihr hier seid", stellte er fest, und gab dann Brigid einen Kuss auf die Wange. "Und wie ich sehe, ist die ganze Familie bereits hier versammelt." Er lächelte, und schien seinen Blick nicht wirklich von Kerry losreißen zu können. Kerry jedoch hatte sichtlich Mühe, seinen Blick zu erwidern, und sah dann verlegen weg. Oronêl räusperte sich. "Ich hoffe, deine Wunden sind gut verheilt."
Aéd riss sich von Kerrys Anblick los, und antwortete etwas verlegen: "Äh, ja, das sind sie. Und Domnall auch, er... ist schon fast wieder ganz der Alte." Er schwieg einen Moment, und sagte dann ein wenig gezwungen: "Nun... was gibt es neues aus Enedwaith? Hattet ihr Erfolg?"
Oronêls Antwort wurde durch das Geräusch eines umfallenden Stuhls verhindert. Kerry war so abrupt aufgesprungen, dass der Stuhl nach hinten umgekippt war. Sie errötete, und sagte dann: "Aéd können... können wir uns... unterhalten? Ich meine... allein?" Lynet kicherte unterdrückt, und wurde von einem finsteren Blick ihrer Mutter zum Schweigen gebracht, während Eryn Kerry mit offenem Mund anstarrte und Henwas den Blick angestrengt auf das geschlossene Fenster gerichtet hielt. "Ich, äh... natürlich können wir, aber was...", erwiderte Aéd stockend, bevor Kerry ihn am Arm packte, und in Richtung der Tür zog. "Erkläre ich dir dann. Jetzt komm mit."
Aéd hinter sich her gezogen, verließ sie den Raum. Lynet schob sich unauffällig hinter ihnen in Richtung Tür, wurde allerdings von ihrer Mutter aufgehalten. "Es wird nicht gelauscht, junges Fräulein. Das ist eine Sache zwischen Aéd und Kerry - was auch immer es ist." Doch sie konnte ihre eigene Neugierde offenbar selbst nicht vollkommen bezähmen, sondern warf einen fragenden Blick in Oronêls Richtung. Er hob die Schultern, und lächelte. "Wie du sagtest. Das ist eine Sache allein zwischen ihnen - und ich weiß ohnehin nicht, worum es geht." Er wusste tatsächlich nichts. Dass er ziemlich genau zu ahnen glaubte, was in Kerry vor ging, war eine andere Sache...
« Letzte Änderung: 2. Dez 2019, 15:11 von Fine »

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

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« Antwort #34 am: 2. Dez 2019, 15:11 »
Im Dorf des Stammes des Schildes gab es nur wenige Pferde. Das hügelige Land ringsum eignete sich nicht besonders gut für die Aufzucht solcher Tiere, und unter den Dorfbewohnern kannte sich ohnehin kaum jemand richtig mit Pferden aus. Einige konnten reiten, nur wenige beherrschten es gut. Aéd und die Wolfskrieger gehörten dazu, weshalb es nun seit einigen Monaten einen kleinen Stall am Dorfrand gab, der hauptsächlich von den reitenden Boten des Wolfskönigs verwendet wurde. Dort hatten Oronêl und Kerry ihre Pferde untergebracht, und dorthin hatte Kerry Aéd nun geführt. Nebeneinander saßen sie auf einem Heuhaufen und ließen die Beine baumeln.
"Worüber wolltest du dich... unterhalten?" wollte Aéd wissen.
Kerry versuchte, ihr Unbehagen beiseite zu schieben. "Ich will einfach... reden. Ich will wissen, was in dir vorgeht. Was dich beschäftigt. Wie dein Tag war."
Aéd musterte Kerry verwundert. "Und deswegen dieser dramatische Abgang? Meine Geschwister werden glauben, wir werden... wir..." Er hustete verlegen.
Kerry wurde tiefrot bei seinen Worten. "W-was?" stammelte sie.
Aéd ließ sich rückwärts ins Heu sinken und starrte nachdenklich auf das hölzerne Dach der Stallungen über ihnen. Ein schmales Lächeln umspielte seine Mundwinkel. "Lynet kann gar nicht genug von dem Thema bekommen," meinte er und warf Kerry einen Blick zu. "Aber... zurück zu deiner Frage. Was in mir vorgeht, wolltest du wissen? Es war ein langer Tag heute. Ich habe mit drei Häuptlingen gesprochen und es mit Mühe und Not geschafft, keinem der drei etwas zu versprechen, was den Wünschen der übrigen Stämme widerspricht. Dunland ist nun einmal kein klassisches Königreich wie Rohan. Ein Wolfskönig muss sich jeden Tag aufs Neue beweisen. Meine Vorgänger... hatten es leichter. Sie traten ihre Herrschaft im Krieg an, wo es einen gemeinsamen Feind aller Stämme gab, und sie taten das Einzige, was von ihnen erwartet wurde: sie kämpften gegen diesen Feind. Doch wer ist unser gemeinsamer Feind hier und heute? Yven ist tot - möge seine Seele niemals Frieden finden - und Saruman ist jenseits unserer Reichweite. Seine Diener sind noch immer unter uns, hier und dort, um uns Nadelstiche zu versetzen, wo sie können, aber... sie sind kein Feind, gegen den ich meine Krieger in die Schlacht ziehen kann. Der neue Häuptling vom Stamm des Messers spricht davon, Rohans Lage auszunutzen und Isengard und die Furten zu erobern. Andere Stimmen wollen mich dazu bringen, die reichen Lande der Elben oder der Menschen von Bree zu plündern. Dabei ist alles, was ich für mein Volk jemals wollte, ein dauerhafter Frieden." Er seufzte und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. "Ich hatte mir die Position als Wolfskönig anders vorgestellt, Kerry. Aber ich bin froh, dass du jetzt hier bei mir bist."
Aéds Arm legte sich um Kerrys Schulter. Sie ließ sich neben ihn sinken, ihr Kopf an seiner Schulter ruhend. In ihrem Inneren stritten unterschiedliche Gedanken miteinander. Aéd hatte Kerrys Frage beantwortet, das stimmte. Aber... die politischen Probleme Dunlands interessierten sie im Augenblick nicht. Sie hatte ihn eigentlich nach seinen Gefühlen fragen wollen, es aber offensichtlich nicht deutlich genug in Worte fassen können. Ihr war klar geworden, dass sie ihre eigenen Gefühle Aéd gegenüber nur dann besser verstehen würde, wenn sie sich mehr mit ihm austauschen und ihn besser kennenlernen würde. Dies war ihr erster Versuch... und bis auf Aéds letzten Satz war dabei nur wenig herausgekommen, wie Kerry fand.
"Ich bin froh, dass es dir gut geht," sagte sie und nahm seine Hand in ihre. "Und dass Yven dir nicht mehr gefährlich werden kann. Aber was ist mit dem Donnerer?" Sie erinnerte sich an den Häuptling vom Stamm der Kette, dem Aéd sich im Duell stellen würde.
Aéd winkte ab. "Er ist stark, aber ich bin schnell. Mach' dir wegen Marchod keine Sorgen. Ehrlich gesagt ist er sogar das kleinste meiner Probleme. Erst gestern habe ich erfahren, dass es in Tharbad Unruhen gegeben hat. Bis jetzt weiß niemand, was in der Stadt so wirklich vor sich geht - mein Vater hatte damals nur eine kleine Garnison zurückgelassen. Ich denke, ich werde mir selbst ein Bild der Lage machen müssen."
"Aéd..." begann Kerry vorsichtig. "Was... gefällt dir an mir?"
Die Frage schien den jungen Wolf vollkommen zu überrumpeln. Er starrte angestrengt in Richtung des Ausgangs der Stallungen. "Nun also zuallerersteinmal bist du, ähm, wunderschön?" beeilte Aéd sich zu sagen. "Und du bist witzig. Ich mag es, mit dir über Dinge zu lachen. Und ich mag deine Art, die Welt zu sehen. Dass du immer treu zu denen bist, die dir wichtig sind und dass du tapfer für deine Freunde einstehst. Und ich mag... dass du... kitzlig bist!"
Kerry schrie erschrocken auf als Aéds Finger sich in ihre Seite bohrten und wirbelte das Heu auf, als sie sich verzweifelt aus seinem Griff zu befreien versuchte. Der Kampf endete damit, dass Kerry schließlich völlig außer Atem auf dem Boden des Stalls zum Liegen kam und der Heuhaufen in seine Einzelteile ringsum zerstreut war. Aéd saß neben ihr und grinste frech.
"Stopp, bitte," flehte Kerry schwach. Sie konnte kaum klar denken, weshalb sie einfach liegen blieb. Ihr Pferd betrachtete das blonde Mädchen mit einem kritischen Blick. Doch dann schnaubte es nur, anstatt etwas zu der peinlichen Situation zu sagen. Kerry war inzwischen wieder zu Atem gekommen. Aéds Worte hatten sie berührt aber... ihr war nicht entgangen, wie schnell dem Dunländer die Komplimente ausgegangen waren und er handgreiflich geworden war. Hat er mich nur gekitzelt, weil ihm nichts mehr eingefallen ist? dachte Kerry.
"Also," sagte Aéd und strich sanft durch Kerrys verwuscheltes Haar. Selbst ihr fest geflochtener Zopf hatte sich inzwischen gelöst. "Was ist los mit dir, Kerry? Woher kommen auf einmal all diese tiefgründigen Fragen?"
Kerry setzte sich auf und betrachtete ihn. Sein Bart war gewachsen, wie ihr jetzt auffiel. Und seine Augen waren auf ihre Lippen gerichtet. "Ich... wollte wissen, wie du über mich denkst," sagte sie leise. "Um einordnen zu können, wo wir... wo wir stehen."
"Ist es denn so kompliziert?" wunderte sich Aéd schmunzelnd. "Ich will, dass wir zusammen sind."
"Also liebst du mich?"
Aéd schwieg. Dann stand er langsam auf. "Das ist ein großes Wort, Kerry. Ich liebe meine Mutter und meine Geschwister. Und ich liebe meine Brüder von den Wolfskriegern - nein, ich liebe das ganze Land, Dunland, in dem wir hier gerade sind. Ich dachte, auch du könntest Teil meines Lebens werden, wenn wir mehr Zeit für einander hätten."
"Mehr Zeit..." wiederholte Kerry. Auch sie stand nun auf. "Das ist genau das Problem, das ich ebenfalls sehe. Ich... glaube nicht, dass ich dafür geschaffen bin, ewig an einem Ort zu verweilen, Aéd."
"Wie meinst du das?"
"Ich glaube... es wird immer neue Abenteuer geben, die nach mir rufen werden. Ferne Länder, die ich bereisen möchte. Freunde, die meine Hilfe brauchen." Je mehr Kerry sagte, desto klarer wurden ihre Gedanken. "Du wirst immer mit Dunland, deiner Heimat verbunden sein, nicht wahr?"
"Ich denke schon," erwiderte Aéd, der inzwischen die Arme vor der Brust verschränkt hatte.
Kerry seufzte leise. Sie wandte sich dem Ausgang des Stalles zu. "Dann..."
Ehe sie gehen konnte, ergriff Aéd ihre Hand und zog sie zurück, in eine enge Umarmung, die er mit einem Kuss vollendete. "Ich denke, du machst dir zu viele Gedanken, Kerry," sagte er, als sie sich voneinander lösten. "Lass die Zukunft bringen, was sie bringen mag. Für heute sollten wir den Frieden genießen, der uns geschenkt worden ist."

Die Sterne waren in dieser Nacht kaum zu sehen, denn eine dichte Wolkenschicht bedeckte den Himmel über dem Dorf. Aéd war bereits zum Haus seiner Familie zurückgekehrt, doch Kerry war unter dem Vorwand geblieben, sich ein wenig um ihr Pferd zu kümmern. Während sie das Tier striegelte, versuchte sie, die Gedanken in ihrem Kopf zur Ruhe zu bringen. Doch es gelang ihr nicht. Sie konnte einfach keinen Frieden im Bezug auf Aéd finden.
Schließlich verließ sie den Stall und wanderte ein Stück entlang des ausgetretenen Weges, der aus dem Dorf hinaus führte. Ungefähr eine halbe Meile von den Hütten der Dunländer entfernt fand Kerry einen kleinen Teich, der ringsum mit hohem Schilf bewachsen war. Eine dünne Eisschicht lag auf dem Gewässer und ließ es geheimnisvoll schimmern, als sich ein Loch in der Wolkendecke auftat und silbernes Sternenlicht hindurch drang. Kerry blickte wie verzaubert auf das Eis hinab und für einen kurzen Augenblick gelang es ihr, an überhaupt nichts mehr zu denken.
Der Moment verging, als das Sternenlicht wieder verblasste. Kerry seufzte und wandte langsam den Blick zurück in Richtung des Dorfes - als sie erschrocken feststellte, dass da jemand kaum zwei Schritte entfernt neben ihr stand. Es war eine schlanke Gestalt, einen halben Kopf größer, gehüllt in einen grauen Umhang mit Kapuze und einem dunklen, langen Gewand darunter. Kerry befürchtete schon, die Priesterinnen Enedwaiths hätten sie gefunden, als sie eine vertraute Stimme hörte.
"Die Sterne führten dich hierher, Schwester."
"Wer bist du?" fragte Kerry alarmiert. Die Schatten der Kaupze gaben keine Gesichtszüge preis, selbst als sich die Gestalt ihr bis auf einen Schritt näherte. Kerry erkannte den Klang der Stimme, aber sie konnte ihn nicht recht zuordnen. Sie war weiblich und jung... und auch wieder nicht jung.
Die Gestalt schien amüsiert zu sein. "Viel Zeit ist seit unserer letzten Begegnung veronnen. Ich habe mich verändert... an Körper und Geiste." Sie setzte die Kapuze ab. Im Dunkeln konnte Kerry ihre Haarfarbe nicht erkennen. Doch was sie sah, war genug, um ihre letzten Zweifel auszuräumen. Zwei spitze Ohren zeichneten sich gegen den dunklen Himmel ab, und zwei Augen gaben einen unbestreitbar silbernen Schimmer von sich. Und obwohl es dunkel war, konnte Kerry die Gesichtszüge dennoch erkennen. Sie entsprachen denen einer jungen Frau ungefähr in Kerrys Alter. Wäre sie ein Mensch gewesen, hätte man sie für siebzehn oder achtzehn halten können.
"Wie ist das möglich?" stammelte Kerry. "Bist du es wirklich... Farelyë?"
"Ich bin es, Schwester," antwortete Farelyë und nahm Kerrys Hand. Die Berührung war überraschend warm.
"Aber... aber..."
"Es war an der Zeit für mich, meinen Körper vollends meinem Geist zu unterwerfen," erklärte Farelyë. Ihre Art zu sprechen hatte sich verändert - sie sprach wie es die meisten Hochelben nun taten, in akzentfreiem Westron, jedoch in altertümlichem Ton. "Ich habe viel gelernt, seitdem du fortgingst. Und nun entspricht mein Äußeres dem Stand meines Wissens."
"Und wieso... wieso bist du nun hier?"
"Ich kam, um dich zu sehen, Schwester, ehe die Wogen des Krieges über Eregion hereinbrechen. Und um dich zur Umkehr zu bewegen."
"Zur Umkehr?" wiederholte Kerry verwundert.
"Viel Leid steht jenem Land bevor," warnte Farelyë. "Hier, unter den Menschen, wird es für dich sicherer sein."
"Aber..."
"Ich werde dich nicht dazu zwingen. Dies ist nurmehr der Rat einer Schwester. Mut und Tapferkeit werden sich der Bedrohung stellen, die nun heraufzieht. Doch mein Herz fände Frieden, wenn ich dich weitab jener Schrecken wüsste, die Eregion bedrohen."
Kerry drückte die schlanke Hand Farelyës. "Ich kann jetzt nicht umkehren. Oronêl und ich müssen nach Eregion gehen, um die Elben zu warnen. Und ihnen zur Seite zu stehen."
Farelyë blieb einen langen Augenblick stumm. "Dann sei es so," sagte sie schließlich. "Doch eile dich, Schwester. Ich werde an den Furten des Sirannon auf dich und Oronêl warten."
Sie drehte sich um und verschwand, ehe Kerry noch etwas erwidern konnte, im Dunkel der Nacht. Kerry blieb stehen und fragte sich mehr und mehr, ob sie nicht gerade geträumt hatte. Voller unbeantworteter Fragen kehrte sie schließlich in das Dorf zurück.
« Letzte Änderung: 8. Jan 2020, 20:21 von Fine »
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Eandril

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Re: Dunland
« Antwort #35 am: 18. Dez 2019, 23:24 »
Der Morgen dämmerte klar und kalt. Oronêl hatte noch bis tief in die Nacht hinein mit Aéd und Brigid über vieles, was sich seit ihrer letzten Begegnung in Dunland und der Welt ereignet hatte. Schließlich hatte die Menschen jedoch die Müdigkeit überwältigt, und Oronêl waren die Räume des großen Hauses mit der Zeit eng und stickig erschienen, sodass er den Rest der Nacht unter freiem Himmel verbracht hatte. Die Wolken des Vortages hatten sich schließlich verzogen und ihm einen Blick auf die Sterne gewährt, doch von den Bergen pfiff ein kalter Wind hinunter und die Gipfel waren verhüllt.
Gerade als die Sonne sich über die Berge im Osten schob und die ersten blassen Sonnenstrahlen nach Dunland hinunter fielen, öffnete sich die Tür des Hauses und Kerry trat heraus, bereits vollständig zum Reisen angezogen. Oronêl hob eine Augenbraue. "Du bist früh auf."
"Ich dachte, wir wollten keine Zeit verlieren, und so schnell wie möglich nach Eregion gelangen. Und..." Sie brach ab, und wandte sich rasch ihrem Pferd zu. Oronêl beschloss, sie nicht weiter zu bedrängen, sondern befestigte ebenfalls schweigend sein weniges Gepäck auf dem Rücken seines Pferdes.
"Glaubst du, wir werden Eregion bis heute Abend erreichen können?", fragte Kerry schließlich, als sie ihr eigenes Gepäck fest verstaut hatte. Ihr Atem stand ihr in Wölkchen vor dem Gesicht, und sie rieb sich die Hände. "Es ist kälter als gestern." Oronêl hatte keinen großen Unterschied wahrgenommen, doch er nahm an, dass sie recht hatte. "Um deine Frage zu beantworten - wenn das Wetter sich hält wie es jetzt ist und wir unterwegs nicht in Schwierigkeiten geraten, vermutlich schon."
"Rechnet nicht zu sehr damit", mischte sich Brigid ein, die, ebenfalls bereits vollkommen angekleidet, aus dem Haus gekommen war, und Oronêls letzte Worte offenbar gehört hatte. "Ich spüre Schnee von den Bergen herabkommen. Vielleicht wäre es besser, ihr ginget nicht heute."
"Wir müssen", erwiderte Kerry, bevor Oronêl auch nur den Mund öffnen konnte. "Wenn Eregion angegriffen wird, sind meine Freunde - meine Familie - in Gefahr. Vielleicht wissen sie noch gar nicht, dass ein Angriff bevorsteht, und wir können sie warnen." In diesem Moment trat Aéd aus dem Haus, und die dünne Schneeschicht, die den Boden bedeckte, knirschte unter seinen Stiefeln.
"Dann hoffe ich, dass ihr rechtzeitig dorthin gelangt", begann er, und ergriff Kerrys Hände. "Auch wenn es mich traurig macht, dass du bereits wieder gehst."
"Vielleicht kreuzen sich eure Wege eher wieder, als du glaubst", sagte Oronêl, und schwang sich mühelos auf den Rücken seines Pferdes. In letzter Zeit hatte er einige Erfahrung im Reiten gesammelt, und es fiel ihm um einiges leichter als noch vor wenigen Monaten. "Wenn Eregion tatsächlich angegriffen wird, wird den Manarîn jede Hilfe willkommen sein."
Aéd kreuzte die Arme vor der Brust, wirkte aber nachdenklich. "Ich will keine Versprechen geben, die ich am Ende nicht halten kann. Doch einen gemeinsamen Feind zu bekämpfen, kann der Freundschaft zwischen unseren Völkern nur nützen... Ich werde darüber nachdenken. Schickt mir einen Boten, wenn es soweit ist."
Oronêl neigte den Kopf, und blickte dann abwartend zu Kerry hinüber. Jene atmete tief durch, die Hand auf den Hals ihres Pferdes gelegt, und saß dann rasch auf.
"Auf Wiedersehen", sagte sie zu Aéd hinab. "Ich... habe mich gefreut, dich zu sehen."
"Und ich mich auch." Aéd ergriff ihre Hand, und drückte einen leichten Kuss darauf. "Bis zum nächsten Mal, Kerry aus Rohan."

Die ersten paar Meilen, die sie in östlicher Richtung dem Lauf des Glanduin folgten, legten sie schweigend zurück. Der Weg war hier breit genug, dass sie die meiste Zeit nebeneinander reiten konnten, doch Kerry schien der Sinn nicht nach Unterhaltung zu stehen. Sie hatten etwa die Hälfte der Strecke bis zur Einmündung des Sirannon zurückgelegt, als Kerry abrupt ihr Pferd zügelte und anhielt.
"Ich habe es vergessen", sagte sie, schlug sich mit der Hand vor die Stirn. "Wie konnte ich es vergessen?" Auch Oronêl hatte angehalten. "Was hast du vergessen?"
"Gestern Abend... Nachdem Aéd wieder ins Haus gegangen ist, bin ich noch etwas draußen umher gegangen, und dabei ist mir Farelyë begegnet - oder vielleicht habe ich es nur geträumt?" Sie massierte sich die Stirn mit den Fingern, als dächte sie angestrengt nach. "Irgendwie fällt es mir schwer, mich zu erinnern."
Oronêl schwieg einen Moment, und saß dann ab. Kerry warf ihm einen verwunderten Blick zu. "Was tust du?"
"Farelyë ist die einzige der Ersten, die mir begegnet ist. Ich weiß nicht viel über sie, doch ich nehme an, wenn sie gestern Nacht mit dir gesprochen hat, auf welche Weise auch immer, wird sie einen triftigen Grund dazu haben", erklärte Oronêl, und führte sein Pferd in Richtung des Flusses, dessen Ufer hier von mächtigen Weiden bestanden war. Er fand einen umgestürzten, kräftigen Baumstamm, und setzte sich darauf. In der Zwischenzeit war Kerry ebenfalls abgesessen. "Und was genau tun wir jetzt hier?"
Oronêl lächelte, und deutete auf den freien Stamm neben sich. "Ich werde versuchen, deiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen."
Ein wenig zögerlich kam Kerry seiner Aufforderung nach, und setzte sich auf den Baumstamm. "Wenigstens bieten die Pferde ein bisschen Schutz vor diesem fürchterlichen Wind."
"Sieh mich an, Kerry", sage Oronêl. "Und erzähl mir alles, woran du dich von gestern Abend erinnern kannst."
"Nun ich... war mir Aéd im Pferdestall, und wir haben geredet. Über..." Oronêl unterbrach sie, indem er eine Hand hob. "Nein. Vergiss Aéd für den Augenblick. Vergiss deine Zweifel, und vergiss deine widerstreitenden Gefühle."
Kerry blickte ihn an als wollte sie etwas erwidern, nickte dann aber nur stumm. "Als du alleine warst. Was hast du gemacht?"
"Ich bin ein wenig umher gelaufen... ein Stück vom Dorf entfernt habe ich einen zugefrorenen Teich gefunden, auf dem sich das Sternenlicht gespiegelt hat." Oronêl konnte sich gerade noch zurückhalten, sie zu unterbrechen. Die Ersten unter den Elben waren unter den Sternen erwacht und hatten lange unter ihnen gelebt. Es erschien ihm nur logisch, dass sich ihre Macht besonders im Licht der Sterne äußerte.
"Gerade als ich zurück gehen wollte, stand Farelyë neben mir", erzählte Kerry weiter. "Wie aus dem Boden gewachsen. Sie... ich weiß wieder! Sie war beinahe erwachsen, obwohl es doch gar nicht lange her ist, dass sie noch ein Kind war. Sie sagte, ihr Äußeres würde nun dem Ausmaß ihres Wissens entsprechen. Und... und sie sagte, dass sie an der Furt auf uns warten würde. Sie weiß also, dass wir kommen."
Oronêl wartete einen Augenblick ab, bevor er das Wort ergriff. "Mehr hat sie nicht gesagt?" Kerry nickte, wich aber seinem Blick aus. "Mehr nicht."
"Es erscheint mir merkwürdig, dass Farelyë ihre Kraft zu einem solch... unbedeutenden Zweck einsetzen sollte." Kerry blickte stur geradeaus und weigerte sich, ihn anzusehen. Oronêl seufzte. "Kerry..."
"Also schön. Sie hat mich davor gewarnt, nach Eregion zu gehen. Sie wollte nicht, dass ich komme, weil... weil ich unter den Menschen sicherer wäre." Kerry verschränkte die Arme, vermied aber weiterhin Oronêls Blick.
"Ich nehme an, du hast ihre Warnung in den Wind geschlagen."
"Ich habe ihr gesagt, dass wir trotzdem nach Eregion kommen werden", gab Kerry zurück. "Und darauf hat sie nur geantwortet, dass sie an der Furt auf uns warten würde."
Als Oronêl daraufhin schwieg, warf sie ihm einen verwunderten Blick zu. "Was denn? Willst du mich nicht überreden, doch auf sie zu hören, und in Dunland zu bleiben? Oder am besten nach Rohan zurückzukehren? Das könntest du dir ohnehin aus dem Kopf schlagen."
Oronêl lächelte schwach und schüttelte den Kopf. "Ich glaube nicht, dass er mir zusteht, dir zu sagen, wohin und wohin du nicht gehen sollst. Natürlich wäre es mir lieber, du wärst in Sicherheit und würdest vielleicht Farelyës Warnung ein wenig ernster nehmen... Doch diese Entscheidung ist deine eigene. Und ich denke, ich verstehe deine Beweggründe, warum du nach Eregion gehen willst."
Kerry blickte zu Boden, und zog mit der Stiefelspitze kleine Kreise im Schnee. "Nicht alle", sagte sie leise. Oronêl wartete ab, ohne weiter nachzufragen. Er glaubte zu ahnen, was Kerry zu schaffen machte - er hatte Jahrtausende lang beobachtet, wie seine Tochter an etwas Unmöglichem festhielt, unfähig, eine klare Entscheidung zu treffen.
"Ich komme mir ganz selbstsüchtig vor", gestand Kerry schließlich leise. "Die ganze Welt ist in Gefahr, die Manarîn müssen vielleicht bald um ihr Leben kämpfen. Und ich kann die ganze Zeit nur an mein verdammtes Liebesleben denken. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, was Farelyë zu mir gesagt hatte, weil ich nur darüber nachgegrübelt habe, was ich eigentlich will!"
Oronêl legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Jeder von uns ist hin und wieder ein wenig selbstsüchtig, wenn es danach geht. Ich nehme an, du hast unsere letzte Reise nicht vergessen?"
Kerry gab eine Mischung aus Schniefen und verächtlichen Schauben von sich. "Natürlich nicht. Ich habe nicht vergessen, was ich dir an den Kopf geworfen habe. Und sieh mich jetzt an."
"Ich fürchte, ich kann dir keine große Hilfe sein", meinte Oronêl. "Aber jeder Zweifel geht irgendwann vorüber. Ich kann dir nur einen Rat geben, von dem ich nicht weiß, ob er dich tröstet - manche Entscheidungen sollte man nicht hinauszögern. Mithrellas hat sich Jahrtausende nach etwas verzehrt, was sie nicht haben konnte. Mache nicht den gleichen Fehler."
"Ich werde wohl kaum Jahrtausende Zeit haben", erwiderte Kerry, und grinste schwach, was Oronêl mit Erleichterung zur Kenntnis nahm. "Also. Können wir dann jetzt weiter?" Oronêl warf einen besorgten Blick nach Osten, wo der Ostwind schwere Wolken von Osten heran trieb.
"Ja, wir sollten weiterreiten. Ich fürchte Brigid hatte recht, und vom Nebelgebirge kommt Schnee herunter."

Nicht lange, nachdem sie erneut aufgebrochen waren, bewahrheitete sich Oronêls Befürchtung. Die dunklen Wolken schoben sich vor die Sonne, und es begann rasch heftig zu schneien. Je länger sie ritten, desto dichter wurde der Schneefall, und desto stärker wurde der Wind, bis selbst Oronêl nicht weiter als einige Meter nach vorne sehen konnte.
"Das ist ein richtiger Schneesturm geworden", rief Kerry über das Heulen des Windes hinweg. "Was tun wir jetzt?"
"Wir reiten weiter", erwiderte Oronêl, und deutete nach rechts in Richtung des Flusses. "Wir halten uns immer am Flussufer, früher oder später werden wir die Furt erreichen." Wie um seine Zuversicht zu dämpfen durchschnitt in diesem Augenblick ein dünnes, langgezogenes Heulen den Sturm.
"Das war nicht der Wind, oder?", stellte Kerry fest. Oronêl lenkte sein Pferd ein wenig näher an sie heran, damit sie sich besser verstehen konnten.
"Nein. Aber ich glaube nicht, dass sich ein Wolf an uns heran wagen wird. Sie haben lieber leichtere Beute als Menschen oder Elben."
"Es sei denn, sie haben Hunger." Kerry schauderte ein wenig, und zog die Kapuze auf ihrem Kopf zurecht. "Es gibt Geschichten in Rohan über einen Winter, als das ganze Land von Schnee und Eis bedeckt wurde, und die Dunländer uns beinahe besiegt hätten. Ich habe gehört, dass damals auch wilde Wölfe durch das Land gezogen sind, und die Menschen angegriffen haben."
Wie auf ein Stichwort hin heulte ein zweiter Wolf, diesmal nicht hinter, sondern links von ihnen. Die Pferde wieherten nervös und zogen an den Zügeln. "Glaubst du, sie kreisen uns ein?", fragte Kerry unruhig.
Oronêl prüfte mit einer Hand den Sitz von Bogen, Axt und Schwert, sagte aber gleichzeitig: "Gewöhnliche Wölfe werden uns nicht angreifen oder zumindest leicht zu vertreiben sein. Ich denke nicht, dass der Arm des Feindes so weit reicht, um die Wölfe Dunlands zu beherrschen. Lass uns weiter reiten."
Während sie sich langsam einen Weg durch den Schneesturm bahnten, lauschte Oronêl aufmerksam auf alle Laute, die er über das Geräusch des Windes hinweg zu hören vermochte - das leise Tappen von Pfoten im Schnee, und das Hecheln gieriger Raubtiere. Die Wölfe folgten ihnen, doch er sagte nichts.
Schließlich hörte er ein zorniges Knurren links von sich, und riss mit einer raschen Bewegung den Bogen vom Rücken. "Flieh, Kerry! Die Wölfe sind über uns!" Aus dem wirbelnden Schnee vor ihm tauchte ein großer, grauer Schatten auf, der genau in seine Richtung sprang, doch Oronêl hatte bereits einen Pfeil auf die Sehne gelegt. Vom Wind beflügelt traf der Pfeil den Wolf genau in das aufgerissene Maul, und mit einem erstickten Jaulen stürzte das Tier zu Boden. Oronêl ließ den Bogen fallen und sprang vom Pferd. In der selben Bewegung löste er Hatholdôr von seinem Gürtel, denn die nächsten Wölfe näherten sich bereits von der Seite. Er wich einem der Tiere im letzten Moment aus und traf es mit der Klinge in den Nacken. Blut färbte den Schnee rot. Sofort warf er sich in einem Wirbel von Schnee zur Seite und entging so einem ihn anspringenden Wolf. Bevor das Tier an ihm vorüber war trat er ihm mit aller Kraft in die Rippen, was den Wolf zu Boden schleuderte. Das schmerzerfüllte Jaulen brach ab, als Oronêl Amrûns Schwert zog und dem Wolf die Klinge von oben ins Herz trieb. Er warf einen flüchtigen Blick auf den Kadaver - die Schnauze war ein wenig kürzer und stumpfer als bei einem gewöhnlichen Wolf, das Fell deutlich dunkler und das Tier insgesamt massiger und weniger elegant. "Warge", murmelte er vor sich hin, und blickte dann zu Kerry, die gerade ihr beinahe panisches Pferd wieder unter Kontrolle gebracht und Oronêls Pferd am Zügel gefasst hatte.
"Ich habe gesagt, flieh!", rief er über das Heulen des Sturms hinweg, und versetzte beiden Pferden mit der flachen Seite des Schwertes einen Schlag auf die Hinterseite, woraufhin sie wiehernd nach Westen davon stürmten, Kerry mit sich tragend. Oronêl blickte nach Osten, dem Sturm entgegen, wo sich mehrere glühende Augenpaare in einem Halbkreis versammelte.
"Hört, Hunde Saurons!", rief er, Amrûns Schwert vor sich gestreckt. "Ich bin Oronêl Galion, Ardirs Sohn, und ihr werdet nicht weitergehen. Kehrt in eure Höhlen zurück, und ihr werdet überleben." Zur Antwort warf ein großer Wolf in der Mitte des Rudels den zottigen Kopf in den Nacken, und stieß ein tiefes Heulen aus. Oronêl stieß das Schwert in den Schnee vor sich, und packte Hatholdôrs Griff mit beiden Händen. "Also schön. Das bedeutet wohl Nein", sagte er zu sich selbst, und dann griffen die Wölfe an.
Sie kamen von allen Seiten, umkreisten ihn, und sprangen ihn dann plötzlich an. Mehr als nur einmal spürte Oronêl den heißen Atem eines Wolfs in seinem Gesicht, doch immer wich er ihnen noch rechtzeitig aus und schlug dann blitzartig mit der Axt zu. Viele Wölfe zogen sich schon bald mit blutigen Wunden zurück, und mehr als nur einer blieb tot auf dem Kampfplatz liegen. So ging es einige Zeit, bis es einem der Tiere gelang, Hatholdôrs Griff mit den Zähnen zu packen, sodass Oronêl nur die Wahl blieb, loszulassen, oder gemeinsam mit dem Wolf zu Boden zu gehen.
Er entschied sich dazu, die Axt loszulassen, sprang aus dem Weg eines zweiten Wolfs, und zog dann Amrûns Schwert aus dem Schnee. Inzwischen waren die Warge deutlich vorsichtiger geworden, und griffen ihn öfter zu zweit oder dritt von mehreren Seiten an. Schließlich konnte Oronêl nicht mehr rechtzeitig ausweichen, als ein besonders großer Wolf auf ihn zusprang, doch es gelang ihm noch gerade rechtzeitig, das Schwert auf das Tier zu richten. Der Warg spießte sich durch seinen eigenen Schwung selbst auf der Klinge auf, doch er stieß auch Oronêl zu Boden und riss ihm das Schwert aus der Hand.
Der Wolf war genau auf ihm zu liegen gekommen und versperrte Oronêl die Sicht, doch während er sich noch abmühte, das schwere Tier von sich zu schieben, hörte er ein drohendes Knurren direkt neben seinem Ohr. Doch der erwartete Schmerz kam nicht, denn auf einmal durchbrach eine gleißende Helligkeit die Dunkelheit des Sturms, und Oronêl hörte ängstliches, ja panisches Jaulen, das sich entfernte und schon bald vollkommen verklang, bis nur noch der Wind zu hören war.

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

Fine

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Das Licht der Ersten
« Antwort #36 am: 23. Dez 2019, 17:29 »
Widerstrebend trieb Kerry ihr Pferd an. Der Schneesturm war heftiger geworden und nahm ihr die Fernsicht, weshalb sie immer wieder plötzlich aus dem Weiß auftauchenden Bäumen ausweichen musste. Wie es ihr gelungen war, auch Oronêls Pferd bei sich zu behalten, konnte sie später nicht sagen. Irgendetwas schien das Tier dazu gebracht zu haben, dicht bei Kerrys Ross zu bleiben.
Kerrys Gedanken rasten. Oronêl hatte ihr befohlen zu fliehen, doch was war sein Plan? Alleine konnte er gegen das Wargrudel nicht bestehen, das musste ihm klar sein.
Dieser Idiot, dachte sie, als ihr klar wurde, was Oronêl vorhatte. Er will sich opfern, damit ich entkommen kann. Wütend ballte sie die Hände zu Fäusten. Und dabei waren wir so kurz davor, nach Eregion zu kommen. Dort wären wir in Sicherheit gewesen.
Die Pferde suchten sich ihren Weg durch den Wald, der immer dichter zu werden schien. Kerry bemerkte, dass es bergab ging, steiler und steiler, bis die Pferde schließlich an einer Böschung stehen bleiben mussten. Ein Knurren hinter ihnen machte Kerry klar, dass ein Teil der Warge sie bis jetzt verfolgt hatte. Doch anstatt Angst fühlte sie nur wachsenden Zorn. Sie ließ die Zügel ihres Pferdes los und zog ihr Schwert. Kleine Schneeflocken landeten auf der Klinge und ließen sie schwach glitzern.
Aus dem Schneesturm schälten sich die zottigen Gestalten dreier Warge, deren Augen unheilvoll glühten. Sie hielten inne, als sie Kerry entdeckten und beobachteten sie lauernd. Oronêls Pferd wieherte ängstlich, doch Kerry rief ihm ein beruhigendes Wort auf Rohirrisch zu. Dann gab sie ihrem eigenen Reittier das Zeichen zum Angriff. Erst zögerlich, dann immer schneller preschte das Pferd direkt auf die Wölfe zu, die, soweit Kerry es erkennen konnte, überrascht wirkten. Im richtigen Augenblick führte Kerry ihre Klinge in einem tiefen Bogen aus dem Sattel heraus und versetzte dem vordersten Wolf einen tiefen Schnitt am Kopf, der ein Ohr abtrennte. Jaulend verschwand die verwundete Bestie in östlicher Richtung im Schneesturm. Die beiden verbliebenen Warge begriffen rasch, dass ihre Beute beschlossen hatte, sich zu wehren und begannen, Kerry zu umkreisen, die zum Stehen gekommen war.
Diese Mistviecher sind geschickt, dachte sie grimmig, denn die Warge pirschten so, dass Kerry immer nur einen der beiden Angreifer gleichzeitig im Auge behalten konnte. Ihr Pferd hatte zwischen den Bäumen nicht genug Platz, um sich rechtzeitig zu drehen. So kam es, dass sie den entscheidenen Angriff nicht kommen sah. Ein dunkler Schatten tauchte ohne Vorwarnung vor Kerrys Gesicht auf und mit einem schweren Prankenhieb wurde sie aus dem Sattel gefegt. Sie landete einigermaßen sanft im Schnee und es gelang ihr, ihr Schwert festzuhalten und sich wieder aufzurappeln. Gerade noch rechtzeitig, denn schon kam der zweite Warg herangestürmt. Kerry riss ihre Klinge hoch und der Wolf spießte sich beinahe selbst daran auf. Empfindlich getroffen trat das Tier ebenfalls den Rückzug an, eine blutrote Spur im Schnee hinterlassend.
Schwer atmend blickte sich Kerry nach dem letzten der drei Warge um. Doch außer Schnee und Wind war nichts zu sehen oder zu hören. In einiger Entfernung entdeckte Kerry schließlich den Schemen ihres Pferdes, das unschlüssig auf der Stelle trippelte. Vorsichtig kam Kerry näher, während sie hektische Blicke in alle Richtungen warf. Noch immer fehlte von dem Wolf jede Spur. Sie erreichte das Pferd und strich ihm beruhigend über die Mähne. Ihr Schwert hielt Kerry noch immer fest in der Hand.
Ein leises Rauschen hinter ihr ließ Kerry erschrocken herumfahren. Das Pferd wieherte und wollte sich in Bewegung setzen, doch Kerry hielt es unter Kontrolle. "Ruhig," wisperte sie und versuchte, im Sturm etwas zu erkennen. Schneeflocken wehten ihr ins Gesicht und blieben in ihrem Haar hängen. Angestrengt starrte Kerry in die Richtung, aus der sie glaubte, das Rauschen gehört zu haben...
Da blinkte ein bläuliches Leuchten zwischen den Bäumen auf, ein kleines Licht, das rasch näher kam. Kerry hielt den Atem an, als sie erkannte, dass das Leuchten von einer Gestalt stammte, genauer gesagt von deren linker Hand ausging. "Farelyë?" rief sie hoffnungsvoll.
"Ich bin es, Schwester," antwortete die Elbin und wurde vollständig sichtbar. "Komm! Die Furten sind nicht mehr fern." Wie auf ein unhörbares Kommando tauchte nun auch Oronêls Pferd hinter Farelyë auf.
"Nein! Wir können nicht gehen. Nicht ohne Oronêl!"
Farelyë blickte Kerry in die Augen und das Licht in ihrer Hand flackerte. "Wo ist er?" wollte sie ernst wissen.
Ehe Kerry antworten konnte, erklang ein warnendes Knurren, und keine Sekunde später huschte ein dunkler Schemen im Sprung direkt auf Farelyë zu. Kerry schrie erschrocken und packte ihr Schwert, doch sie war zu langsam um einzugreifen. Farelyë hingegen verzog keine Miene. Schneller als man es sehen konnte hob sie die Hand, die nun blendend hell aufleuchtete, um sich dann in einem gleißenden Blitz zu entladen, der den Wolf mit rauchendem Fell beiseite schleuderte. Das Tier blieb regungslos dort liegen, wohin es gefallen war. Qualm stieg von dem Kadaver auf.
"Was - was hast du gemacht?" fragte Kerry fassunglos.
Farelyë blieb ihr die Antwort schuldig. Sie trat zu Oronêls Pferd und schwang sich mühelos in den Sattel. "Wir sollten gehen. Weise mir den Weg zu Oronêl, Schwester."

Während sie ritten und Kerry versuchte, sich an die grobe Richtung zu erinnern, aus der sie gekommen war, dachte sie fieberhaft über das nach, was sie gerade gesehen hatte. Dabei fiel ihr ein, was der Verräter Ladion ihr einst in Carn Dûm anvertraut hatte.
"Ich sah einen blauen Blitz aus einer der frischen Gruben fahren und fand sie, umgeben von toten Orks vor. Die Körper der unnützen Maden waren von einem geheimnisvollen Feuer versengt worden. Farelyë war bewusstlos geworden..."
Sie warf Farelyë, die neben ihr ritt, einen wachsamen Blick zu. Die Elbin lächelte Kerry zuversichtlich zu. Ihre Hand strahlte noch immer ein schwaches Leuchten aus.
Es dauerte nicht lange, bis sie auf die ersten toten Warge stießen, die durch Oronêls Klinge gefallen waren. Farelyë sprang anmuntig vom Pferd und eilte voran, ohne auf Kerry zu warten. Um die Elbin nicht aus den Augen zu verlieren, blieb Kerry im Sattel und folgte Farelyë in das dichte Schneetreiben hinein. Die Bäume waren hier längst verschwunden; sie schienen sich auf einer Hochebene zu befinden.
Plötzlich tauchte direkt vor Kerry ein Wolf aus dem Sturm heraus auf. Sie ritt das Tier kurzerhand nieder und hastete weiter, denn auch Farelyë hatte nicht angehalten. Das lange Haar der Elbin flatterte im Wind und ihr grauer Umhang bauschte sich hinter ihr auf, als sie die Hand hob und erneut einen Blitz daraus hervorzucken ließ, der einen zweiten Wolf mit brennender Mähne beiseite schleuderte.
Wütendes Jaulen antwortete ihnen und erschrocken stellte Kerry fest, dass vor ihnen ein ganzes Dutzend rot glühender Augenpaare aufgetaucht war. Sie sprang aus dem Sattel und packte ihr Schwert, bereit Oronêl mit ihrem Leben zu verteidigen, auch wenn ihr das Herz bis zum Hals pochte. Farelyë hingegen zeigte keinerlei Anzeichen von Angst. Sie hob die Hand und das Leuchten wurde so grell, dass Kerry die Augen schließen musste. Ein blendendes Flackern zwang sie dazu, den Kopf von Farelyë abzuwenden, als diese ihre Hand mit Wucht auf den Boden niederfahren ließ. Kerry hörte wie die Wölfe mit kollektivem, panischem Jaulen reagierten und sah, als sie die Augen vorsichtig wieder öffnete, mehrere undeutliche Schemen im Schneesturm verschwinden. Hastig arbeitete sie sich durch den tiefer werdenden Schnee voran, bis sie endlich fand, was sie gesucht hatte: Oronêl, der mit dem Rücken zum Boden lag, umgeben von zwei rauchenden Wargkadavern.
"Oronêl!" rief Kerry und ließ ihr Schwert fallen.
"Verdammt, Kerry," ächzte Oronêl und stemmte sich mühsam in Sitzlage. "Ich hatte dir doch gesagt, dass du fliehen sollst."
"Bist du verletzt?" fragte Kerry und ignorierte die Beschwerden des Elben, als sie ihn umarmte.
"Nicht schwerwiegend," antwortete Oronêl und kam langsam auf die Beine. "Was ist geschehen?"
Ehe Kerry ihm diese Frage beantworten konnte, sah sie, wie Oronêls Blick sich von ihr abwandte und zu etwas, das sich hinter ihr befand ging. Sie löste sich von ihm und sah Farelyë näher treten.
Oronêl sagte zunächst nichts, dann neigte er knapp sein Haupt. "Ich verstehe," murmelte er. "Das muss wohl die Macht der Ersten sein..."
Farelyë wirkte gelassen, doch Kerry konnte sehen, dass die Elbin schwer atmete und erschöpft zu sein schien. "Es scheint, als träfe ich gerade noch rechtzeitig ein," sagte sie.
"So viel zu der Frage, ob das Treffen gestern nur ein Traum war," meinte Kerry.
Oronêl schien noch mehr sagen zu wollen, doch ein fernes Heulen ließ sie alle drei erstarren. "Ich fürchte, das Rudel ist nicht für lange in die Flucht geschlagen worden," merkte Oronêl an und sammelte rasch seine beiden Waffen auf. Auch Kerry fand ihr Schwert im Schnee und nahm es wieder in die Hand.
"Ihr habt recht, Oronêl Galion. Wir dürfen hier nicht verweilen." Farelyë führte die Pferde herbei, die ganz in der Nähe gewartet hatten. "Ich werde euch zu den Furten geleiten. Es ist nicht mehr weit. Kommt!"
Kerry teilte sich ihr Pferd mit der Elbin und stellte dabei fest, dass Farelyë inzwischen beinahe einen Kopf größer als sie selbst war, weshalb Kerry nun vor ihr im Sattel saß. Während sich Kerry noch über diese Tatsache wunderte, kamen sie erneut zu der Böschung, an der Kerrys Flucht vor dem Rudel geendet hatte. Farelyë zeigte ihnen einen sicheren Weg hinab, der im Scheetreiben kaum zu sehen war. Als sie wenig später aus dem kleinen Wäldchen wieder heraus kamen, sahen Oronêl und Kerry, dass sich im Norden, zu ihrer Rechten, tatsächlich die Furten des Sirannon befanden. Die Grenze zwischen Dunland und Eregion.
Wie auf ein geheimes Stichwort ließ der Schneesturm inzwischen immer mehr nach. Es war Abend geworden und die Sonne war hinter der dichten Wolkendecke bereits untergegangen. Am Rande der Furten glitt Farelyë rasch aus dem Sattel und blieb stehen. "Ihr solltet die Furten noch heute überschreiten. Die Wächter dieses Landes werden eure Verfolger abwehren."
"Kommst du nicht mit uns?" fragte Kerry überrascht.
Farelyë schüttelte den Kopf. "Ihr solltet nach Ost-in-Edhil gehen, entlang der Straße nach Osten, und mit der Königin sprechen. Mein Weg führt mich zurück zu meiner Lehrmeisterin, die im Turm von Lissailin nahe des Schwanenfleets weilt. Doch sorge dich nicht, Schwester. Ich werde so bald ich kann zu dir stoßen."
"Ich hatte auf ein paar Antworten gehofft und die Möglichkeit, mich für die Rettung zu bedanken," sagte Oronêl. "Doch ich denke, das kann noch etwas warten."
Farelyë trat neben Oronêls Pferd und legte eine Hand auf seinen Unterarm. "Geduld, Oronêl Galion. Antworten werden dich finden... auch wenn du sie nicht erwartest."
Sie nickte Kerry ein letztes Mal zu und eilte dann in westlicher Richtung entlang des Flusses davon. Schon bald war ihre schlanke Gestalt im Dunkeln verschwunden.

"Ich... denke, wir sollten auf sie hören," sagte Kerry nach einem langen Augenblick des Schweigens.
Oronêl nickte langsam. "In Eregion wird es jedenfalls sicherer sein als hier. Ich hoffe, die Warge werden eine Weile ihre Wunden lecken und nicht die Dörfer der Dunländer überfallen."
"Wenn wir in Ost-in-Edhil sind, werde ich darum bitten, dass man diese Bestien jagt," sagte Kerry.
"Ein guter Einfall," merkte Oronêl an. "Eins noch, Kerry: wenn ich dich das nächste mal darum bitte, zu fliehen, dann flieh, hast du verstanden? Beim nächsten Mal wird vielleicht keine Hilfe in der Nähe sein."
"Ich konnte dich nicht einfach sterben lassen," antwortete Kerry. "Das solltest du doch inzwischen wissen. Wir sollten uns nicht darüber streiten, sondern uns freuen, dass noch einmal alles gut gegangen ist."
Oronêl seufzte. "Nun gut. Dann sehen wir zu, dass wir diese Furten rasch überqueren, ehe doch noch etwas Unerwartetes dazwischen kommen kann."


Kerry und Oronêl nach Eregion
« Letzte Änderung: 6. Feb 2021, 17:45 von Fine »
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Thorondor the Eagle

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Über dem Dorf des Messers
« Antwort #37 am: 3. Okt 2020, 14:51 »
...Helluin von der silbernen Feste

Für einen kurzen Augenblick hatte Helluin darüber nachgedacht welchen Weg er nach Imladris nehmen sollte. Doch ohne Umschweife tauchte das Antlitz Sarumans vor seinem geistigen Auge auf und seine Furcht, zu nahe an den Ortanc oder das Nebelgebirge zu kommen, stieg ins unermessliche. So blieb ihm nur der ohnehin leichter passierbare Weg über die Pforte von Rohan und durch Dunland. Zudem waren die Dunländer nun verbündete der Rohirrim und somit der freien Völker – zumindest teilweise.

Getrieben von der Angst wieder in die Fänge Sarumans zu gelangen, dauerte es keine zwei Tage bis er mit seinem Pferd die südlichsten Ausläufer des Nebelgebirges erreichte. Ohne die Weiten Eriadors wirklich zu erblicken, erahnte er sie bereits. Es war seine Heimat. Und obwohl er dort keine loyalen Freunde mehr erwarten konnte, fühlte er doch eine gewisse Geborgenheit.
Der Dúnadan hatte sein Pferd hinter einem Felssturz festgebunden um im Schutz der beginnenden Dämmerung die Umgebung zu erkunden. Er erinnerte sich daran, dass hier im Osten von Dunland ein Stamm herrschte, der Saruman stets treu ergeben war. Sie waren die mächtigesten unter den Dunländern, denn sie waren im Besitz einer Eisenmiene.
Nahezu lautlos schlich er über kargen Waldboden und begab sich ein Stück weit den Berghang hinauf. Von dort oben hatte er eine weite Sicht und direkten Blickkontakt zum Dorf der Dunländer. Alles war ruhig, nur ein zwei Feuer brannten in den sichtbaren Häusern. Er erspähte kaum Soldaten die die Zugänge zum Dorf bewachten. Trotzdem erschien es ihm nicht sehr schlau den Menschen dort zu nahe zu kommen. Zu groß war das Risiko wieder an Saruman zu geraten.

Er beschloss die Situation eine Weile zu beobachten und dann im Schutze der Dunkelheit dem Weg nach Norden weiter zu folgen. Glücklicherweise veränderte sich nichts in dem Dorf und er blieb vollkommen unbemerkt. Aber jedesmal, wenn er das Krächzen einer Krähe in der Umgebung vernahm zuckte er zusammen und spähte hektisch nach dem Vogel. So geschah es beinahe, dass er das Summen einer Stimme in seiner unmittelbaren Nähe überhörte. Instinktiv ging er in Deckung und versuchte die Richtung auszumachen. Der Stimmlage zu urteilen, vermutete Helluin, dass es sich um einen Mann handeln musste.
Er robbte auf dem erdigen Boden entlang um über die nächste Geländekante zu linsen. In seiner Anspannung zog jede Bewegung, selbst der kleinste im Wind wehende Grashalm, die Aufmerksamkeit auf sich, und plötzlich sah er ihn: einen älternen Mann, Dunländer. Unter dem Arm hatte er einen erlegten Hasen geklemmt. Er summte vor sich hin nichtsahnend, dass er beobachtet wurde.
Lautlos folgte ihm der Waldläufer bis sie eine kleine Holzhütte erreichten, die im Schutze eines Felsvorsprunges errichtet wurde. Durch das kleine Fenster erkannte man ein loderndes Feuer im Inneren. Als Helluin daran dachte, wie der alte Mann diesen Hasen zubereiten und verspeisen würde, knurrte ihm sogleich der Magen.
Was soll ich nur tun? Ist er Freund oder Feind? Vielleicht kann er mir sagen was in dem Dorf passiert ist? Ob die Passage sicher ist für mich oder gefährlich? Und dieser Hase… dieses köstliche Fleisch. Und wenn er mir nicht hilft? Einen kann ich eher überwältigen als einige…

Der Waldläufer beschloss einen Blick zu riskieren und schlich sich bis zu dem Haus an. Er vernahm das fröhliche Summen aus dem Inneren. Dazwischen vernahm er nun ein paar Worte.
Ist da etwa noch jemand?
„mhhh, mh, mhhh, der gute alte Freund“
Er singt!
„in seinem weißen Gewande, mhhh, mhmmm, hilft armen Leuten im Lande“
Offensichtlich ist er ein Anhänger Sarumans und er lebt hier ganz alleine. Soll ich es riskieren?

Helluin kam eine Idee: Auf leisen Sohlen ging er zur Eingangstür des Hauses und zog sein Schwert. Er sah bereits den Hauch seines Atems vor sich. Mit drei harten Tritten klopfte er gegen die Tür. Augenblicklich verstummte es im Inneren. Er hörte das streifende Geräusch eines Holzhockers am Boden und ein Klirren. „Wer ist da?“, krächzte der Mann. Angst und Verzweiflung waren kaum zu überhören. „Ich habe ein Schwert!“, sagte er laut, aber mit zittriger Stimme.
Der Waldläufer sammelte seine Stimme und entgegnete so kräftig wie möglich: „Öffne die Tür alter Mann, sonst trete ich sie ein.“
Dahinter war es stumm. Der Dúnadan wartete angespannt. Ein paar Momente danach öffnete sich die Tür einen Spalt breit und ein Lichtschein erhellte sein Gesicht.
„Ihr seid ein Getreuer der weißen Hand“, sagte Helluin bestimmt „und ich befehle euch mich einzulassen.“
„Ich… ich, ihr müsst mich verwechseln“, stammelte der alte Mann.
Skrupellos streckte er dem Fremden das Schwert entgegen und presste es leicht gegen seinen Oberkörper. Dem Waldläufer war sehr unbehaglich dabei, denn es erinnerte ihn an seine Taten unter Saruman’s Einfluss und doch fiel es ihm ganz leicht.

Die Tür öffente sich weiter und der Fremde gewährte ihm Einlass. Kaum war die Tür hinter ihnen geschlossen, begann er auch schon zu reden wie ein Wasserfall.
„Endlich ist es soweit!“
Helluin, der sich auf einem Stuhl an der Wand niedergelassen hatte, starrte ihn nur an.
„Es war nur eine Frage der Zeit bis sich der feine Herr wieder seine Eisenmiene, sein Dorf und ganz Dunland zurückholt.“
Der Waldläufer nickte.
„Immer wieder diese Orks im Gebirge, viele, viele habe ich gesehen die Tage. Mir ist es nicht entgangen. Und nun, ein Besuch von euch. Ein solch ranghoher Gefolgsmann hier in meinem Haus.“ Die Freude war ihm ins Gesicht geschrieben. „Lasst den Herrn wissen, Yorick, war ihm immerfort ein treuer Diener. Niemals habe ich mich diesen Tölpeln vom Stamm des Schildes angeschlossen; diesem Bürschlein von Wolfskönig.“
„Ist er in dem Dorf?“, fragte Helluin knapp.
„Nein, das ist er nicht. Er hat sich verkrochen und sucht Hilfe und Schutz bei den Elben im Norden.“
„Bei den Elben?“
„Ja, den Spitzohren. Sie sprechen eine fremde Sprache, selbst für unsere Ohren fremd.“
„Der Herr weiß bereits von ihnen“, mutmaßte der Waldläufer „aber was weißt du noch von ihnen.“
„Nicht viel. Gar nicht viel. Nichts kommt über die Grenze… Aber man hört von mächtiger Elbenmagie die ein ganzes Heer in die Flucht schlagen kann.“
„Ha, sicherlich nicht mächtiger als unser Herr“, entgegnete Helluin abschätzig. Es ging ihm erstaunlich leicht von der Zunge.
„Natürlich nicht, natürlich“, stotterte er „Verzeiht mir mein dummes Geschwätz.“
„Gib mir etwas von deinem Mahl“, befahl ihm nun Helluin und deutete auf den Topf auf dem Feuern. Ohne jeglichen Widerstand gab er mehr als die Hälfte davon ab.
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Schatten der Vergangenheit
« Antwort #38 am: 25. Okt 2020, 19:54 »
Helluin entging es nicht, dass der alte Mann immer wieder zu ihm schaute, es erfreute ihn, dass dem Waldläufer das Essen schmeckte. Offensichtlich war seine Treue Saruman gegenüber bedingungslos.
„Ihr könnt gerne die Nacht hier verbringen, wenn ihr dies wünscht“, bot er an.
„Ich muss heute noch weiterziehen“, entgegnete der junge Mann abweisend, „wenn die Nacht fortgeschritten ist, werde ich abseits das Dorfes nach Norden gehen.“
„Das ist gut so. In unserem Dorf herrscht nun der Stamm des Schildes. Sie bewachen alle die übrig sind, hauptsächlich Frauen und Kinder. Elende Ratten sind das, Verräter an uns.“
„Ist es gefährlich sich dem Dorf zu nähern?“
„Ja, ja auf jedenfall. Geht dort ja nicht hin. Aber eines unterschätzen diese Verräter, das Feuer unseres Stammes lodert in uns weiter und wenn die Zeit gekommen ist, werden sie brennen. Der Stamm des Messers ist unbezwingbar. Richte das dem feinen Herrn aus.“
Der Waldläufer nickte.

Nachdem er fertig gegessen hatte stellte sich Helluin zur Feuerstelle. Er wärmte sich an den lodernden Flammen und überlegte ob er sich dem Dorf nähern sollte. Wenn es denn Verbündete der Elben waren, so konnten sie ihm helfen nach Norden zu gelangen. Aber wie immer stellte er sich auch die Frage was sie mit ihm machen würden, wenn sie ihn erkennen und ihn zur Rechenschaft ziehen würden.
Er rieb die Hände aneinander und hockte sich auf den Boden nahe dem Feuer. Mit dem Rücken lehnte er sich an die Wand und beobachtete den Alten. Er konnte ihm nicht trauen.
Eine Zeit lang kramte sein Gastgeber herum, spülte die Schüsseln und den Kessel aus, legte etwas Holz nach, schloss den Fensterladen, bis er sich schließlich in die andere, kaum beleuchtete Eck des Raumes zurück. Er sah ihn nur noch als Schatten, als er sich auf seinem Bett niederließ. Dann wanderte der Blick des Waldläufers zu den züngelnden Flammen. Er mochte es gerne dem Feuer bei seinem Spiel zuzuschauen.

„Siehst du junger Dúnadan, du hast ja doch nichts vergessen.“
Sein Herz begann wie wild zu klopfen, er schaute augenblicklich zu dem alten Mann.
„Sei doch nicht so überascht, du weißt doch wie listenreich mich die Menschen nennen.“
Die kalten Augen Sarumans fesselten ihn.
„Ich sehe schon, dass der Bann den diese Elbenhexe auf dich gelegt hat um dich von mir zu trennen, am zerbröckeln ist. Bald schon werden wir unseren gemeinsamen Plan ausführen können.“
„Lass mich in Ruhe, Saruman.“
„Du hast einen Schwur abgelegt, Dúnadan. Den Schwur mit einem der Istari einzugehen ist eine endgültige Entscheidung.“
„Ich werde mich dafür rächen, was du meinem Volk und mir angetan hast.“
„Ha, angetan? Ich krümme mich gleich vor lachen. Euer Volk war nichts mehr außer ein Schatten einer längst vergangenen, glorreichen Zeit. Ihr seid ein mickriger Abklatsch der wahren Herren des Westens. Nur ein Bündnis mit mir, kann euch wieder zu eurer einstigen Macht und Stärke verhelfen.“
„Du magst damit Recht haben, aber lieber opfere ich reines Blut als ein reines Gewissen.“
„Nichts, absolut nichts wird von euch übrigbleiben. Die Städte sind längst zerfallen, der Zahn der Zeit nagt an ihren Resten, Minas Tirith, Dol Amroth… ganz Gondor wird dasselbe Schicksal ereilen und eines Tages wird keiner mehr Wissen was oder wer diese Dunedain überhaupt waren. Ein Nichts in der Geschichte der Menschheit, nicht einmal ein Staubkorn.“
Ein düsteres Bild zeichnete sich vor dem Waldläufer. Helluin hatte einen Kloß im Hals und versuchte ihn hinunter zu schlucken. Saruman näherte sich ihm.
„Folge mir und ihr werdet in allen folgenden Zeitaltern einen Namen haben. Mit Ehrfurcht wird man über die Hüter des Nordens sprechen, über die Herren des Westens und von ganz Mittelerde.“
Helluin erahnte die Pracht und Schönheit der Städte des Nordens, er spürte die Ehrfurcht die ihm und seinem Volk entgegengebracht wurde und die ihnen auch gebührte. Es war so verlockend, zum Greifen nahe. Angewidert von seinen Gedanken und von dem Gefühl der Macht schüttelte er jedoch den Kopf.
„Sei nicht töricht, sei nicht wie dein Onkel“, redete der Zauberer auf ihn ein und kam noch näher. Er stand ihm gegenüber und richtete seine flache Hand gegen seinen Kopf. Leise begann er Worte zu flüstern.

„NEIN“, schrie Helluin und zog mit einem Ruck das Schwert aus seiner Scheide und rammte es seinem Gegenüber in den Bauch „Nein!“. Der Waldläufer kniff die Augen zusammen, sein Brustkorb hob und senkte sich ruckartig. Kirschrotes Blut quoll dem alten Yorick aus dem Mund ehe er bewegungslos zu Boden ging.

Er erinnerte sich nicht daran, wie er aus dem Haus ging, aber plötzlich saß er auf einem Hackstock vor der Hütte. Mit einem Blatt versuchte er die Klinge zu reinigen. “Nein! Nein!“, hörte er sich in seinen Gedanken schreien. Nein Die abwehrenden Worte gegen Saruman verloren an Kraft und wurden zunehmend zu einem Selbstvorwurf ich habe es schon wieder getan. Ich habe getötet… wegen Saruman.
Der Waldläufer hörte die Männer nicht die sich der Hütte näherten. Erst als sie die ebene Fläche vor der Hütte betraten und mit gezogenen Schwertern vor ihm standen nahm er sie wahr. In ihren Augen glomm der Schein des Feuers und ließ sie bedrohlich wirken.
„Wer bist du?“, fragte ihn einer der Dunländer in der gemeinen Sprache.
Ein Mörder schrie Helluin innerlich ein Verräter
„Offensichtlich ist er einer der Waldläufer des Nordens. Sieh ihn dir an“, sagte ein anderer.
„Ist das aufgeschreckte Pferd da unten deines?“, fragten sie weiter.
„Sag schon wer du bist!“, wiederholt der erste.
Der Dunedain sah sie an und legte sein Schwert zu Boden. „Fesselt mich“, sagte er flehend.
Skeptisch musterten sie den jungen Mann, als sie aber erkannten, dass er unbewaffnet war kamen sie dem nach und legten ihm Fesseln an. Zwei der Dunländer verschwanden in der Hütte.
„Der alte Yorick ist tot“, sagte einer beim herausgehen „Abgemurkst, dieser Verräter.“
Der erste der gesprochen hatte, sah wieder zu Helluin, sagte aber nichts zu ihm. „Kommt, wir bringen den Waldläufer in das Dorf. Soll der Wolfskönig über ihn entscheiden. “

Mit gezückten Schwertern und achtsam trieben sie Helluin vor sich her. Im Tal unten nahmen sie das Pferd an den Zügeln und führten es ebenfalls mit sich. Am Beginn der Nacht erreichten sie das Dorf am Fuße des Berges.
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Irrwege
« Antwort #39 am: 30. Nov 2020, 21:41 »
Nach keinem allzu langen Marsch erreichten sie die Holzpallisaden des Dorfes. Der Eingang wurde von Dunländern bewacht. Die Straße war hart, denn der Boden war gefroren. Zum Glück, denn sonst würde Helluin vermutlich durch knöchelhohen Dreck gehen, da die Straßen nicht befestigt waren. Sein Blick war ständig auf den Boden gerichtet, denn die Gedanken an den Vorfall mit Yorick oder Saruman verfolgten ihn. So gut es ging versucht er es beiseite zu schieben.

Das Dorf, das gegen Osten hin an die Hänge des Nebelgebirges gebaut wurde, bestand nur aus einigen Hütten. Aus wenigen davon kam ein Lichtschein. Es war unklar ob sie bewohnt waren oder leer standen. Im östlichen Bereich des Dorfes, der am höchsten gelegen war, hatten die Dunländer am Berghang eine große Hütte errichtet die auf der einen Seite auf Pfählen stand. Vom davorliegenden Balkon konnte man mit Sicherheit das ganze Umland sehen. Unterhalb der Hütte begann eine Treppe die durch die Bodenplatte in das Innere führte. Die Soldaten trieben Helluin dort hinauf.

Angenehme Wärme, deren Quelle eine Feuerstelle am Rande des Raumes war, umgab den Dúnadan. Er sah sich um. Zwei Dunländer standen neben dem Feuer, sie sprachen relativ laut, sodass Helluin einige Sätze vestehen konnte.
„…in zwei Tagen soll es stattfinden. Denkst du ich kann hingehen? Ich sollte wohl“, sagte der Größere von ihnen.
„Ob das bei den Stämmen gut ankommt? Vielleicht sollten wir es ihnen nicht sagen. Obwohl nichts zu sagen wäre auch ein Fehler daher wohl besser kein Treffen.“
„Aber vielleicht erfahren wir Neuigkeiten von ihnen. Sie wissen sicher mehr von Sarumans Plänen. Ich muss mich mit ihnen treffen.“
„Ausreden kann ich es dir so oder so nicht“, sagte nun der Kleinere der beiden mit einem verschmitzen Grinsen „ich hoffe für dich, dass sie auch Dort sein wird.“
 „Hör auf, sonst verpass ich dir eine“, entgegnete der Größere dann sagte er leise und verlegen: „Natürlich freue ich mich, wenn sie dort ist, aber das würde nichts an meiner Entscheidung ändern.“
„Da bin ich ganz sicher.“ Der Sarkasmus war nicht zu überhören.
„Domnall…“, begann der Größere ihn zu ermahnen, unterbrach dann aber plötzlich als er entdeckte, dass der gefangene Helluin unter seinen Männern war. Seine Augen fixierten den Waldläufer, dessen Haupt aber von der Kaputze verborgen war.
Mit leiserem Tonfall, aber für den Dúnadan trotzdem noch hörbar, setzte er fort: „Unabhängig davon müssen wir Marchog anheuern. Ohne seine Unterstützung ist alles Weitere unnötig. Deshalb musst du gehen. Bei Tagesanbruch nimm dir einige aus dem Rudel und eine handvoll Krieger und in sieben Tagen treffen wir uns bei Corgan. Mit guten Neuigkeiten hoffentlich.“
„Natürlich“, antwortete Domnall genauso leise „Brauchst du hier meine hilfe?“
„Nein, geh.“

Domnall musterte Helluin beim Verlassen der Hütte mit einem scharfen und missbilligenden Blick.

„Wen bringt ihr hier?“, frage nun der verbliebene Dunländer am Feuer.
„Einen Gefangenen, Wolfskönig“, antwortete einer der Peiniger Helluins. Helluin war überrascht, denn der Wolfskönig war kaum älter als er und ungefähr einen halben Kopf kleiner. Sein Aussehen unterschied sich deutlich von den anderen Dunländern. Es erinnerte ihn ein wenig an die Menschen des Südens.
„Wir wurden auf das Gewieher eines Pferdes aufmerksam gleich unterhalb, wo der Pfad zu Yoricks Hütte ist.“
„Yorick?“
„Ja. Wir folgten dem Pfad und fanden diesen Waldläufer vor der Hütte. Er bemerkte uns gar nicht. Freiwillig legte er alle Waffen nieder und wir nahmen ihn gefangen. Yorick hat er wohl abgemurkst.“
„Yorick ist tot?“, fragte nun der Wolfskönig.
„Ein Stich in die Brust. Ich denke nicht, dass er sich gewehrt hat.“
„Yorick wurde also getötet. Was ich nicht übers Herz brachte, da er nur ein alter, ungefährlicher Narr war, hast du nun erledigt“, sagte der Dunländer zu Helluin „Wer bist du?“
„Ein Waldläufer des Nordens“, antwortete Helluin zurückhaltend und auf den Boden blickend.
„Und dein Name?“
„Das ist nicht wichtig.“
„Und ob das wichtig ist. Nun, dann werde ich wohl beginnen. Ich bin Aed Forathssohn vom Stamm des Schildes. Und du? Wer bist du?“, sagte er mit fester Stimme.
„Ich bin H…“, der Dúnadan zögerte „Ich bin Haldar von den Dunedain. Geboren an den Ufern des Abendrotsees.“
„Haldar von den Dunedain?“, fragte er zweifelnd in die Luft „Zieht ihm die Kaputze aus dem Gesicht“, befahl er seinen Männern und diese folgten augenblicklich. Aus den Augenwinkeln sah der Waldläufer zu Aed hinüber.
„Was ist da oben wohl geschehen?“, fragte der Wolfskönig weiter und drehte sich von Helluin weg um ein paar Schritte im Raum zu gehen. Es war nicht klar, ob er eine Antwort erwartete. „Es war schon eine Zeit vergangen, dass wir dieses Dorf und die Messermine eingenommen hatten, als einige meiner Männer auf den alten Yorick stießen. Es war mühelos ihn gefangen zu nehmen und herbringen zu lassen.“ Er setzte kurz ab und warf einen Blick zum Waldläufer herüber, dann ging er weiter in Richtung Feuerstelle.
„Armer alter Narr. Er sang immerzu die Lieder vom weißen Zauberer, dem feinen Herrn. Wenn wir ihn befragten faselte er von der Glut seines Stammes, die unter der Oberfläche brodelte und von dem Tag an dem sich das Messer wieder erheben würde. Seine Warnungen wurden immer unglaubwürdiger, feuerspukende Monster aus der Tiefe der Welt, die aufbäumende See die ganz Dunland und Eriador verschlingen würde. Er prophezeite Elben, die älter waren als diese Welt und kommen würden um hier ihr Unwesen zu treiben. Alles passiere in seiner Vorstellung, alles was zunichte machen würde, was wir hier erschaffen haben. Es war alles nur wertloses Geschwafel. Wertlos, bis zu dem Tag an dem wir auf die Elbenhexe trafen, die versuchte unser wiedervereintes Volk auf hinterlistigste Art zu entzweien. Wir siegten – mit viel Glück und Hilfe – aber scheinbar war nicht alles was Yorick sagte Irrsinn. Und jetzt da ich in deine Augen sehe, bin ich erneut verwundert, denn Yorick warnte mich auch vor dem eisigblauen Blick. Einem Blick der Mark und Bein durchdringt und das Blut in den Adern zum erstarren bringt. Ein Blick der gnadenlos die Herzen Unschuldiger zertrümmert.“
Er sprach nicht weiter und starrte in das Feuer.

Helluin fehlten die Worte. Ihm wurde übel und seine Knie wurden weich. Er tötet mich! Er tötet mich nun, ganz bestimmt. Ich bin ihm ausgeliefert.
„Er bleibt gefesselt!“, befahl der Wolfskönig kurz und bestimmt „Sperrt ihn in den Kerker und bewacht ihn gut.“
„Ja!“, befolgten die Männer seine Befehle und zogen den Dúnadan am Arm nach unten.

Was ist geschehen? Er zweifelt? Natürlich, er sagt ja selbst es war nur Geschwafel. Und wenn Yorick recht hatte? Ich habe bereits ihn getötet und das obwohl mich Kerry vom Bann befreit hat und die Herrin der Quelle. Ist es zu spät für mich?
Die Dunländer brachten ihn in eine fensterlose Hütte am Rande des Dorfes. Achtlos stießen sie ihn gegen die Wand und verließen den dunklen Raum. Ein rötlicher Schein war das einzige Licht im Raum. Es stammte von der Glut in der Feuerstelle. Es war deutlich kälter als noch zuvor bei Aed. In dieser Nacht schlief Helluin sehr unruhig. Immer wieder schreckte er mit furchteinflößenden Bildern vor den Augen auf: das schmerzverzerrte Gesicht Yoricks, Sarumans grimmiges Grinsen, Domnals scharfer Blick. Er hatte nicht das Gefühl auch nur eine Minute in dieser Nacht zu schlafen.
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Schauergeschichten
« Antwort #40 am: 2. Dez 2020, 07:23 »
Als Helluin ein paar Brotstücke runterschlang und von der Milch trank die ihm von einer Wache hergestellt wurde, hörte er plötzlich eine laute Stimme von draußen:
„Stell dir das vor, dieser Gesichtsausdruck.“ Es folgte ein helles Lachen „Das wird sie mir wohl nicht so schnell vergeben.“
„Vergeben?“, antwortet eine viel dunklere Stimme „Roisin hätte ohne zu zögern deine Finger abgehackt.“
„Na, da bin ich ja froh, dass ich nicht deine Frau zur Frau habe.“

Plötzlich öffente sich die Türe und zwei Männer kamen herein. Einer war deutlich kleiner als Helluin und hatte kurzes, struppiges, braunes Haar und schmal gebaut. Er fixierte Helluin augenblicklich beim Betreten des Raumes. Der zweite war groß, beinahe so groß wie der Waldläufer und sehr muskulös. Sein Haar hatte er sich abgeschoren, sein Gesicht war kantig.

„Na sieh einer an, der wilde Jäger der letzten Nacht“, sagte der Kleinere mit einem Grinsen im Gesicht „Obwohl man das wohl kaum als Jagd bezeichnen kann.“
„Nein, der alte Yorick konnte doch nicht mal mehr ordentlich laufen.“
„Ja, den hätte wahrscheinlich auch meine Maimeo erwischt.“
„Komm mit“, befahl der muskulöse Krieger und packte Helluin grob am Arm um ihn hochzuziehen. Der Kleinere band mit einem Seil seine Hände hinter dem Rücken zusammen.

Draußen war es bereits hell, so hell es an einem nebeligen Februartag eben sein konnte. Das Licht war trüb und die Kälte bohrte sich durch die Kleidung. Sie folgten dem Weg zur Pforte im Pallisadenzaun. Dort wartete bereits Aed und Domnall sowie einige weitere dunländische Krieger. Alle hatten sie die typischen dunklen Haare und den kompakten Körperbau. Die meisten trugen Felle über den einfachen Rüstungen um die Kälte abzuhalten. Nur ihr Anführer hatte einen weißen Pelz übergeworfen und einen Helm in der Form eines Wolfskopfes.
„Hab eine gute Reise, treuer Freund“, sagte Aéd zu Domnall „und komme mit guter Nachricht zurück.“
Domnall nickte ihm zu, dann schweifte sein Blick nochmals über die Straßen und Häuser des Dorfes ehe er sich umdrehte und mit einigen Männern gegen Süden zog.

„Sehr gut“, sagte Aéd sogleich in die Richtung des Waldläufers „Ihr kommt gerade rechtzeitig. Ich hoffe, Haldar, unsere Gastfreundschaft war ausreichend.“ Ein Hauch von Sarkasmus lag im Tonfall des Wolfkönigs. Helluin war sich nicht sicher, wie er sich verhalten sollte. Er antwortete nicht.
„Cathal! Ivar! Was habt ihr mit ihm angestellt, dass er wortkarger als gestern Abend ist?“,
„Ich? Wir? Gar nichts“, verhaspelten sich die beiden. Aéd grinste.
„Er ist wohl noch müde von seinem gestrigen Abenteuer“, antwortete der Kleinere, den Aéd mit Ivar ansprach.
Plötzlich verfinsterte sich der Gesichtsausdruck des dunländischen Anführers: „Ganz bestimmt“, sagte er ernst.
Die anderen beiden wurden ganz still.

„Hör mir zu Waldläufer“, begann der Wolfskönig ernst „ich habe gestern lange nachgedacht. Mein Verstand sagt mir, dass es das beste wäre dich hinzurichten. Da ich dich nicht kenne, hätte ich nichts verloren und das Risiko wäre erheblich geringer. Meine beiden Freunde hier, würden mir sicherlich zustimmen.“
Sie sagten nichts, aber Helluin entging das zaghafte Nicken nicht.
„Vor allem da du in den höchsten Reihen unseres Feindes beheimatet bist.“
Verdutzt sah der Waldläufer ihn an.
„Ja, wir haben von dir gehört Helluin. Schauergeschichten über stahlblaue Augen in der Finsternis, das Allerletzte was viele sahen ehe sie getötet wurden. Aber eines geht mir nicht ein: Yorick, er war der ergebenste Diener Sarumans den ich je lebend vor Augen hatte – und ich habe viele gesehen – und du tötest ihn? Wieso?“
Helluin antwortete nicht. Die Übelkeit des letzten Abends kam zurück.
„Yorick war sicherlich das Ohr und Auge Sarumans, dass uns tagtäglich beobachtet hat. Warum sollte er dich beauftragen ihn zu töten? Und wieso ergibst du dich freiwillig, ja bettelst sogar darum gefesselt zu werden.“
Keine Antwort kam über seine Lippen.
„Nun, du musst es mir ja nicht gleich sagen. Wir machen uns jetzt auf den Weg, Cathal, Ivar, du und ich. Vielleicht wirst du unterwegs etwas gesprächiger. Und falls nicht, vielleicht haben die Elben die ein oder andere Idee um an diese und andere Informationen von dir zu kommen. Sie werden sicher dankbar sein für dich.“ Er wandte sich ab.

Vor dem Tor warteten vier Pferde. „Du hast Glück, dass du ein Pferd mitgebracht hast, sonst müsstest du jetzt wohl laufen“, sagte nun Ivar zu Helluin.
„Er sollte jedenfalls ein Stück laufen, damit er müde wird“, legte der muskulöse Cathal nach.
„Du meinst zur Sicherheit damit er nicht auf blöde Gedanken kommt?“
„Helft ihm beim Aufsitzen“, befahl Aéd und unterband den Vorschlag der beiden „Ivar, du führst das Pferd. Ich reite voraus, Cathal du reitest zum Schluss.“ Beide nickten synchron.

Der Weg nach Norden war wohl mittlerweile gut gesichert, denn es kam zu keinerlei Zwischenfällen. Zu ihrer Rechten war ein großer, dichter Wald ehe sich dahinter die Gipfel des Nebelgebirges in den Himmel stemmten, zu ihrer linken war Hügelland, relativ flach im Vergleich zum Gebirge. Einige Male sah sich Aéd nach Helluin um, er machte aber keinerlei anstalten mehr mit ihm zu reden.
Gegen die Mittagsstund machten sie dann die erste Rast. Die Pferde banden sie an dicke Äste und sie selbst setzten sich auf Baumstümpfe oder größere Felsbrocken. Helluin nahmen sie zu sich, damit er keinen Fluchtversuch starten konnte.

„Wo werden wir die Elben treffen, Aéd?“, fragte nun Ivar.
„Gleich unmittelbar vor den Furten. Dort liegt ein Wald, die Ausläufer der Wälder in denen mein Heimatdorf liegt. Dort ist eine nahezu kreisrunde Lichtung. Das ist der Treffpunkt.“
Furchterregt atmete Cathal plötzlich ein: „Dort oben?“, fragte er entsetzt.
„Ja, du kennst den Ort sicher. Einst war dort ein beliebtes Gasthaus, damals als die Nord-Süd-Straße noch belebt war.“
„Yordis‘ Gasthaus“, hauchte der Muskulöse „Ich kenne die Geschichten von Yordis Ring. Ich denke nicht, dass wir dorthin gehen sollten.“
„Dort ist nichts Cathal“, beruhigte ihn der Wolfskönig.
„Doch doch, in unserem Dorf kennt jeder diese Geschichte.“
„Was soll das denn sein Aéd?“, frage Ivar verunsichert.
„Nichts was wir ernst nehmen müssen. Bei uns im Norden gibt es eine Legende, wohl eher eine Gruselgeschichte. Sie soll die Jungen davon abhalten nachts in den Wäldern herumzustreifen. Scheinbar kennt man sie nicht nur bei uns, beim Stamm des Schildes, sondern auch beim Stamm des Stabes und Cathal’s Familie.“
„Furchtbare Geschichte, ich kann sie gar nicht erzählen“, schauderte es dem hühnenhaften Dunländer.
„Jetzt reiß dich zusammen Cathal“, fauchte ihn Ivar an „Und du sollst der Sohn eures Anführers sein?“
Aéd musste grinsen: „Darum hat ihn Corgan ihn wohl zu uns geschickt.“
„Macht euch ruhig lustig über mich.“
„Cathal, Cathal mein Freund. Einer Herde Wildscheine trittst du furchtlos entgegen und vor dem Geist einer alten Wirtin fürchtest du dich. Du bist unverwechselbar.“
„Ja, hast du jemals ein Wildschwein gesehen, dass hinterlistig und rachsüchtig ist?“
„Ohja“, fügte Ivar hinzu „Sie war grausam.“ Danach musste er laut lachen.
„Na zum Glück habe ich mir aus dem gesamten Rudel euch zwei als Begleiter ausgesucht“, schloss Aéd kopfschüttelnd ab.
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Unschuldige und Schuldige
« Antwort #41 am: 3. Dez 2020, 22:15 »
Die Rast die sie einlegten dauerte nicht recht lange. Da sie schon Übermorgen an der nördlichen Grenze des Dunlandes sein mussten, war der Zeitplan recht knapp und mit einem gefesselten Waldläufer konnten sie unmöglich im Galopp reiten. Ivar hatte sein Pferd nun leicht versetzt zu Helluin platziert. Er war zwar immer noch ein kleines Stück weiter vorne, aber der Waldläufer konnte das Profil des Dunländers nun gut sehen.

„Hätten wir doch nur ein bisschen mehr Zeit gehabt“, sagte Cathal nun lauter, über Helluin hinweg zu Ivar „dann hätten wir die Straße westlich von hier nehmen können und einen Zwischenstopp bei Roisin und meinem Vater machen können.“
„Ja, das wäre fein gewesen. Ich kann den Braten deiner Frau förmlich riechen“, antwortete Ivar laut nach hinten. „Weißt du, seine Frau macht den besten Wildscheinbraten im ganzen Dunland. Die Erinnerung an dieses zarte Fleisch, meine Knie werden gleich ganz weich“ legt er einen Satz nach, der nur an Helluin gerichtet sein konnte.
„Hältst du es für klug gerade jetzt darüber zu reden?“, kam die Stimme Aéds von vorne.
„Jeder lebt eben für etwas anderes“, murmelte Ivar zu Helluin „Manch einen hält die junge Liebe am Leben, den anderen die alte“, beim ersten machte er einen Schwenk mit dem Kopf zum Wofskönig, beim zweiten zu Cathal „und mich? Mich motiviert eben das Essen und andere genüssliche Dinge im Leben.“
„Das habe ich gehört“, hörte Helluin Cathal leise antworten.
„Du würdest gut zu den Hobbits passen“, stellte Helluin trocken fest. Der kleine Dunländer ging nicht darauf ein, vermutlich kannte er die Hobbits nicht.
„Und du Waldläufer? Hast du denn eine Frau?“, fragte Ivar nun neugierig.
„Nein, ich habe keine Frau. Ich habe nur noch eine Mutter, sie ist oben im Norden – denke ich.“
„Hm, eine schöne, junge Frau hätte euch der alte Zauberer schon gönnen können.“
„Pssst“, fauchte nun Aéd zurück „Sprich nicht von ihm. Du weißt nie, ob er nicht gerade zuhört.“
„Ich meine ja nur“, murmelte Ivar wieder zusammengestaucht.
 Wie auf Kommando schaute sich Helluin in der Gegend um. Es war nichts Verdächtiges zu sehen, nicht einmal ein Crebain. Seid er in dieser Gemeinschaft gelandet ist und die Gespräche mitanhörte beziehungsweise sich daran beteiligte hatte er nicht mehr an den Zwischenfall mit Saruman gedacht. Es wurde ihm erst jetzt bewusst und ungewöhnlicherweise beruhigte es ihn.

„Diese Hobbits? Was ist das?“, fragte nun Cathal neugierig nach.
„Hobbits?“, stellte Helluin in den Raum „Halblinge. Ein Volk das Ruhe und Genuss schätzt. Sie leben bei uns oben im Norden. Auenland nennen sie ihre Heimat. Es gibt kein besseres Bier als das ihre und auch kein besseres Pfeifenkraut, wie man sagt.“
„Ja, jetzt wo du es sagst. Ich habe schon von ihnen gehört“, antwortete Ivar „Aber begegnet bin ich noch keinem.“
„Sie leben sehr zurückgezogen“, antwortete Helluin „und gehen kaum auf reisen.“
„Dienen sie auch dem Zauberer?“, fragte Cathal so leise, dass Helluin und Ivar es beinahe nicht hörten.
„Sie dienten“, antwortete der Waldläufer „Das Auenland wurde befreit besser gesagt sie haben sich befreit.“
„Dann haben wir ja alle etwas gemeinsam“, stellte der Kleinere fest, die Hinterlist war ihm nicht ankennbar.
Helluin wurde schwermütig: „Wer weiß.“
„Ich wusste es!“, schrie Ivar auf „Also dienst du dem Zauberer doch noch.“
Der Dúnadan seufzte: „Ich will es nicht.“
„Ja aber warum tust du es dann?“, kam nun die dumpfe Stimme Cathals von hinten.
„Ich, ich tue es doch gar nicht. Aber, aber ich kann mich nicht selbst befreien. Nicht so wie ihr.“
Ivar sah verwirrt zu Cathal nach hinten.
„Und wer kann dich befreien? Etwa ein anderer Zauberer? Es soll ja mehrere davon geben.“
„Vielleicht. Aber in jedemfall hat mir…“, Helluin stockte beim Reden. Es kam ihm albern vor die Geschichte von Kerry zu erzählen. Ivar würde keine Sekunde verschwenden einen Scherz darüber zu machen. Vermutlich würde er es noch die nächsten zweit Tage auskosten.
„Wer? Sag schon“, fragte wieder Cathal.
„Elbenmagie hat mir geholfen, uralte Elbenmagie. Es ist nun schon einige Zeit her.“
Ivar sah Helluin direkt an, als er die Antwort hörte hob er erstaunt die Augenbrauen: „Naja, zu den Elben gehen wir ja jetzt. Vielleicht können sie dir wieder helfen.“
„Ja“, der Dúnadan wurde wieder wehmütig „Vielleicht. Ich hoffe es.“

„Ich denke es ist nun an der Zeit mit dem Geschwätz aufzuhören. Wir müssen uns beeilen. Wenn wir Glück haben, dann erreichen wir heute Abend noch die Ausläufer des Hügellandes. Dann haben wir nur noch einen halben Tagesritt vor uns morgen“, beendete nun der Wolfskönig das Gespräch.
Sie legten einen Zahn zu und wechselten nur noch sporradisch ein paar Worte. Als die Abenddämmerung bereits weit fortgeschritten war, erreichten sie das Ziel ihrer Tagesetappe. Zwischen einigen aufragenden Hügel fand die Gruppe eine Stätte für die Nacht. Sie spannten lediglich ein Tuch zwischen den Bäumen, schlossen mit weiterne Tüchern drei Seiten ab und machten ein kleines Feuer um sich daran zu wärmen.
Aéd übernahm die erste Wache, Helluin setzte sich auch noch zum Feuer um die Kälte abzuwehren und um den Schlaf noch etwas hinauszuzögern. Zunächst war eine unangenehme Stille zwischen den beiden.
„In Edoras“, begann nun Helluin stockend „Wir waren… Ich habe… Meduseld. Ich habe die große Halle der Königin gesehen und euren Beitrag den ihr dazu geleistet habt. Man hat mir davon erzählt.“
„Du warst also auch in Edoras?“
„Ja.“
„Hast du dort auch spioniert?“
„Nein“, antwortete der Waldläufer „Zumindest nicht wissentlich.“
Das Gespräch wandelte sich in einen schnellen Schlagabtausch.
„Und sie haben dich einfach so durch das Land reiten lassen?“
„Jemand hat für mich gebürgt.“
„Wer?“, fragte Aéd neugierig.
„Jemand dem Königin Eowyn vertraut.“
„Sein Name?“
„Ich kann es nicht sagen. Noch nicht.“
„Wieso?“
„Diese Nachricht ist nur für das Ohr einer einzigen bestimmt. Ich habe es geschworen.“
„So wie du Saruman geschworen hast?“
„Nein, dieser Schwur ist ehrenhaft.“
„Du willst also zu ihr um deinen Schwur zu erfüllen.“
Helluin nickte.
„Wohin?“
„Nach Bruchtal. Das Schmuckstück aus meinem Gepäck, ihr habt es sicherlich entdeckt, es gehört ihr.“
Zweifelnd sah Aéd den Waldläufer an: „Und wer hat dir geholfen dich von Saruman zu befreien?“
„Eine Elbe aus der altvorderen Zeit.“
„Das spricht nicht unbedingt für deine Unschuld.“
„Unschuld?“, der Wortfluss war unterbrochen. Helluin war verblüfft über dieses Wort „Ich bin in jeder erdenklichen Weise schuld. Ich habe verraten, gemordet, geplündert und vernichtet. Ich weiß nicht wie ich gut machen kann, was ich alles verbrochen habe. Ich weiß nicht, ob mir jemand vergeben kann. Ich weiß nicht mal ob ich Vergebung verdient habe.“ Tränen standen Helluin in den Augen „Und wenn mir niemand vergibt, wohin kann ich dann gehen? Ich bin alleine und so ist es wohl nur eine Frage der Zeit bis Saruman wieder Macht über mich hat.“
Überrascht sah ihn Aéd im Schein des Feuers an: „Du solltest etwas schlafen“, sagte er aber nur kühl.
Helluin nickte. Er hatte sich ein paar aufbauende Worte erhofft, etwas das ihm Mut machte, denn tief im Inneren hatte er Angst vor der Nacht und den Albträumen die ihn verfolgten.
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Angst vor den Schatten der Vergangenheit
« Antwort #42 am: 5. Dez 2020, 22:08 »
Als er am darauffolgenden Tag aufwachte, war Helluin den Umständen entsprechend ausgeschlafen. Er konnte es sich nicht erklären, aber irgendetwas schien ihn zu beruhigen. Er war der erste der aufwachte, außer Ivar der noch immer vor Glut und Asche saß und mit leerem Blick in die Ferne starrte. Als sich der Waldläufer aufsetzte, wurde der Dunländer aufmerksam:
„Ah, guten Morgen“, begrüßte er ihn mit verzogener Miene „Mir scheint du hast gut geschlafen.“
„Wieso glaubst du das?“
„Vor einer Stunde, als der Himmel noch dunkelgrau war flog ein großer Schwarm Crebain über uns hinweg. Die waren vielleicht laut. Aéd und Cathal sind kurz aufgewacht, aber du, du hast geschlafen wie ein Dachs im Winter.“
Besorgt sah der Dúnadan in den gräulichen Himmel.
„Vor einer Stunde, nicht jetzt“, sagte Ivar nochmal genervt.
„Das war Saruman.“
„Das wissen wir“, antwortete nun Aéd. Er lag noch auf dem Boden, seine geöffneten Augen wirkten müde aber er schien hellwach zu sein „Aber wir können unmöglich alle vom Himmel schießen.“
„Nein, wir sind ja keine Elben“, bestätigte ihn Ivar.
„Selbst Elben hätten damit ihre Schwierigkeiten“, legte der Waldläufer nach.
„Na du musst es ja wissen“, mit diesen Worten wandte sich Ivar ab.
Aéd stand nun auf und verschwand sofort hinter ein paar Bäumen.

„Die Morgenstunden sind die schlimmsten“, flüsterte nun schließlich der letzte im Bunde. Cathal lag direkt neben Helluin „Zumindest für mich sind sie am schlimmsten. Während ich mich schon gut gelaunt in den Tag aufmache, verziehen die beiden noch das Gesicht. Morgenmuffel… eigenartiges Volk. Nimm dir nie welche als Freunde und schon gar nicht zur Frau.“
Dem Waldläufer schwante schon was nun kommen würde.
„Ich liebe Roisin von ganzen Herzen, aber jeden Tag in der früh suche ich das Weite irgendwo im Wald oder im Dorf. Manchmal höre ich sogar dort ihr Gebrüll.“
Helluin musste unweigerlich grinsen: „Du scheinst ja umgeben zu sein von ihnen.“
„Die Waldgeister scheinen es nicht gut mit mir zu meinen.“
„Vielleicht haben die Waldgeister gerade dich zu ihnen geschickt um jeden ihrer Morgen zu versüßen“, antwortete Helluin.
Cathal dachte darüber nach. „So habe ich das noch nie gesehen. Das macht mir Mut. Danke.“
Erst als der Dunländer dies aussprach, wurde dem Dúnadan bewusst, was er da gesagt hatte. Ich habe das gesagt? Mut machen… ich… jemand anderem? Er ließ sich seine Worte nochmal durch den Kopf gehen. Tatsächlich. Und gleichzeitig bestätigte sich seine Aussage, denn Cathal hatte ihm seinen Morgen verschönert.

Nachdem sie alle ein ausreichendes Frühstück verzehrt hatten ging die Reise weiter Richtung Norden. Schon nach kurzer Zeit würden die Hügel auf der Westseite immer flacher und mündeten schließlich in einer ebenen, leicht bewaldeten Fläche. Zu ihrer Linken wurden die Bäume auch immer spärlicher und die Nebelberge rückten ein Stück weiter weg. Diese Veränderung behagte dem Waldläufer. Schon am früheren Nachmittag erreichten sie ihr Ziel an der nördlichen Grenze Dunlands. Es war nur einen Steinwurf vom Sirannon entfernt. Wenn der Wind in die richtige Richtung wehte, hörte man das Plätschern des wilden Gebirgsflusses.

Die Lichtung war tatsächlich beinahe kreisrund und lag nur ein kleines Stück abseits der Nord-Süd-Straße. Im Zentrum der Lichtung waren noch ein paar eigenartig angeordnete Steine, sie mussten vom Fundament des ehemaligen Gasthauses sein. Größtenteils waren sie aber bereits mit Moos bewachsen. Sie näherten sich der Ruine.
„Unser Lager werden wir dorthinten zwischen den Bäumen aufschlagen. Die Elben werden wohl erst Morgen früh eintreffen fürchte ich.“
Plötzlich wurde Helluin auf einen merkwürde geformten Felsen aufmerksam. Mitten aus der grünen Wiese ragte ein spitzer Felsen, wie die obere Hälfte des sichelförmigen Mondes. Er war dunkelgrau und etwa 30 Centimeter über dem Boden hatte er eine handbreite Schicht aus weißem, glimmerden Gestein. Er ging darauf zu.
„Nicht“, schrie Cathal und packte Helluin am Oberarm. Der Dunländer erntete fragende Blicke dafür. „Das ist er, Yordis Ring.“
„Das?“, fragte Helluin „Ich dachte die Lichtung ist der Ring.“
„Nein“, tat der muskulöse Krieger es belächelnd ab „Das ist ihr Finger und der Ring.“
„Ich bitte dich“, unterbrach ihn Aéd genervt „Ihr beide“, befahl der Wolfskönig den Dunländern „baut das Lager auf. Ich sehe mich bei den Furten um. Den Gefangenen nehme ich mit, sonst entkommt er euch noch während Cathal in Yordis Bann gezogen wird.“
Ivar nickte und machte dabei einen lauten Seufzer.

Aéd und Helluin gingen entlang der Waldgrenze zum Sirannon. Sie blieben am Ufer, versteckt im Schatten der kahlen Bäume, stehen und beobachteten die Furt.
„Erkennst du etwas?“, fragte ihn der Wolfskönig. Vermutlich wusste er, dass Dunedain den schärferen Blick hatten.
Helluin kniff die Augen zusammen: „Nein, nichts zu erkennen. Was bei Elben nicht überraschend wäre.“ Er machte eine kurze Pause „Was ist das für eine Legende von Yordis?“
„Ein Ammenmärchen wenn du mich fragst. Einst soll hier eine Wirtin gelebt haben. Sie lebte für den Profit und ließ nur jene bei sich wohnen die das nötige Geld dafür hatten. Selbst ihre Angehörigen mussten für Kost und Zimmer bezahlen.
Mit dem zunehmenden Aufblühen des Handels kamen auch immer wohlhabendere Händler aus dem Süden und Norden hier vorbei und so kam es, dass sie die weniger reichen, einheimschen Menschen wegschickte. Eines Tages klopfte ein armer Bauer an ihre Tür und bat um eine einzige Nacht im Warmen. Orks hatten seinen Hof überfallen und alles dem Erdboden gleich gemacht, seine Frau und Kinder wurden verschleppt oder getötet. Sie aber lachte nur eiskalt und schlug ihm die Tür vor der Nase zu.
In jener Nacht starb der arme Bauer und er wurde zu einem Waldgeist. Er suchte das Gasthaus regelmäßig heim und so vertrieb er die Gäste bis keiner mehr kam. Wutentbrannt suchte Yordis den Waldgeist Nacht für Nacht um ihn zu vertreiben, aber ohne jeglichen Erfolg.
Am Ende hatte sie nichts mehr. In zerlumpten Kleidern rollte sie sich in einer Ecke ihres Gasthauses zusammen. Ihr Magen knurrte. Das Regenwasser tropfte von der Decke und der Wind zog durch die undichten Türen und Fenster. In jener Nacht erschien ihr der Waldgeist, er fragte sie, was das Wertvollste war, was ihr geblieben war. Gut überlegt antwortete sie: Der Ring den ich mir von meinem ersten Gewinn habe anfertigen lassen. Sie hatte es nicht über Herz gebracht ihn zu verkaufen. Der Waldgeist schüttelte den Kopf und antwortete: Selbst jetzt, wo du deiner größten Angst ins Auge geblickt hast, hast du nichts erkannt. Du wirst zu dem werden, woraus dein Herz längst gemacht ist… Stein.“
„Es klingt ganz nach einem Ammenmärchen.“
„Wenn man es genau nimmt, ist es eine gute Geschichte.“
Nun war Helluin verwirrt.
„Jeder der diese Geschichte hört, zieht eigene Schlüsse daraus. So hat Cathal, der Herumtreiber gehört, dass es offensichtlich auf der Lichtung und in den Wäldern Dunlands spukt.“
„Haha, da hast du wohl recht. Und was bedeutet es für dich?“
„Man erwählte mich zum Wolfskönig. Diese Geschichte ermahnt mich niemals die ärmsten und schwächsten unter uns zu vergessen, dass es am wichtigsten ist das eigene Volk hinter sich zu haben und sich und seine Überzeugungen nicht zu verkaufen.“
„Mhm“, Helluin dachte über die Geschichte nach. Selbst im Antlitz ihrer größten Angst hat sie ihre Schwäche nicht erkannt. Sie wurde zu Stein, so wie ihr
„Herz, du denkst an das Herz aus Stein, nicht wahr?“, unterbrach ihn Aéd.
„Bin ich so leicht zu durchschauen?“, fragte Helluin.
„Nicht nach unserem gestrigen Gespräch. Du denkst daran, dass sich schon etwas so tief in dein Herz gebohrt hat, dass es schon ein Teil deiner selbst geworden ist: der Verrat. Dass du dich aber immer wieder in Gefahr begibst um einen ehrenhaften Schwur zu erfüllen und dich dafür immer wieder in Gesellschaft jener stürzt die dich eigentlich verachten, beweist doch eigentlich schon das Gegenteil.“
Der Dúnadan war überrascht über diese weisen Worte, sein Gegenüber setzte aber noch eines drauf:
„Jeder von uns hat vor irgendetwas Angst, aber niemand von uns sollte Angst vor den Schatten seiner Vergangenheit haben.“
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Re: Dunland
« Antwort #43 am: 6. Feb 2021, 22:05 »
Die nächste Nacht verbrachten sie wieder im Schutze ihres Lagers. Aéd hatte sich für die erste Nachtwache entschieden, die anderen beiden gingen schlafen. Helluin lag ein wenig abseits, er beobachtete den Wolfskönig. Irgendetwas schien ihm keine Ruhe zu lassen.
Plötzlich begann er in seinen Taschen zu kramen. Er fand ein kleines Stück Pergament, es war sicherlich schon sehr zerknittert und einen Kohlestift. Sorgsam skizzierte er etwas im Schein des Feuers. Aus der Ferne glaubte Helluin zu erkennen, dass er etwas aufzeichnete und vielleicht ein paar Worte schrieb. Aber was genau konnte er natürlich nicht sagen. Ob er sich wohl seine Pläne aufschreibt? Oder abwägen, wie er sich bezüglich des Bündnisses mit den Elben entscheiden würde? Aéd ist sehr jung, aber seine Leute dürften ihn sehr mögen, er ist ein guter Anführer und bei weitem nicht so grausam wie sein Titel annehmen lässt.

Es dauerte keine Stunde bis Cathal aufstand und den Wolfskönig ablöste. Er beteuerte, dass er ohnehin kein Auge zutun würde in dieser Nacht an diesem Ort. Aéd verdrehte zwar die Augen bei dieser Aussage, war aber sichtlich auch froh über die paar Stunden mehr Schlaf. Und so legte er sich zur Seite. Die ruhige und gleichmäßige Atmung die nach kurzer Zeit einsetzte verriet Helluin, dass er sogleich eingeschlafen war und der Waldläufer versuchte es im gleich zu tun. Da er jedoch nicht wusste wie der morgige Tag sein würde, wie das Treffen mit den Elben und sein weiterer Verbleib ablaufen würden, entwarf er im Kopf die halbe Nacht verschiedene Zukunftsszenarien bis er schließlich vor Erschöpfung einschlief.



„Aufgewacht, die Sonne lacht“, weckte ihn die fröhliche Stimme des muskulösen Dunländers.
„Argh“, knurrte Ivar im Hintergrund „Er hat die ganze Nacht nicht geschlafen, wie kann er nur so fröhlich sein?“
„Vielleicht war es doch gut, dass wir nicht durch das Dorf des Stabes geritten sind, sonst wäre er vermutlich nicht so gut gelaunt“, legte Aéd trocken nach.
„Jaja, macht euch nur wieder lustig über mich“, sagte Cathal trotzig.
„Lass dich nicht ärgern“, unterstützte ihn nun Helluin „Es ist doch schön eine Frau an seiner Seite zu wissen.“ Bei diesen Worten dachte er unmittelbar an das blonde, rohirrische Mädchen.
„Sehe ich auch so“, bestätigte der Muskulöse laut, trippelte dann mit ein paar Minischritten in Richtung Helluin und flüsterte ihm zu: „Der Wolfskönig hat auch jemanden an seiner Seite, sie ist aber keine Dunländerin. Aber pssst, das weißt du nicht von mir.“

„Seht nur“, sagte nun Ivar und deutete auf die Lichtung „Wir haben Besuch.“
Helluin sah in die Ferne und erkannte fünf Pferde die von Elben beritten waren. Sie waren in eher einfache Rüstungen gekleidet, ähnlich wie die Waldelben im Osten. Nur jene in der Mitte trug einen glänzenden Brustpanzer.
Aéd strich sich sein zerzaustes Haar glatt und zupfte ein wenig an seiner Ausrüstung herum. Als er die Lichtung betrat, nahm er seinen weißen Wolfshelm unter den Arm. Ivar folgte ihm, Cathal half Helluin auf und führte ihn, noch immer mit verbundenen Armen, vor sich her.

„Willkommen im Dunland“, begrüßte sie Aéd respektvoll.
„Seid gegrüßt Freunde des Südens“, antwortete die Elbe in der Mitte. Sie dürfte die Anführerin sein, denn ihre Ausrüstung strahlte einen gewissen Rang aus. Beinahe gleichzeitig stiegen sie von ihren Pferden ab, einer der anderen nahm die Zügel des Pferdes der Anführerin. Ihr Haar war blond und reichte ihr den Rücken hinunter, genau konnte es Helluin nicht abschätzen, aber sie war in etwa gleich groß wie er. Erst jetzt fiel ihm die Prägung im Brustpanzer auf, es waren kleine, fein gearbeitete Blüten.
„Ich bin Isanasca und komme im Auftrag meiner Mutter, der Königin der Manarîn. Ihr seid der Wolfskönig.“
„Aéd Forathsson und dies sind Ivar vom Stamm des Gewandes, Cathal vom Stamm des Stabes und unser Gefangener Helluin von den Dunedain.“
Besorgt sahen sie zu dem Waldläufer: „Euer Gefangener? Wir haben von Helluin dem Verräter gehört. Ist es denn sinnvoll, dass er diesem Gespräch beiwohnt.“
„Er beteuerte uns, dass der Bann des weißen Zauberers gebrochen sei und dass er eine Aufgabe zu erfüllen hätte. Er zeigt Reue und möchte gut machen, was er verbrochen hat. Abgesehen davon, sind die Absichten dieses Treffens wohl offenkundig.“
„Das ist wohl wahr und es ist uns eine Freude, dass ihr unserer Einladung gefolgt seid und hoffen, dass ihr eine ereignislose und angenehme Anreise hattet.“
Aéd nickte: „Unser Land ist gut gesichert seid die letzten Widersacher unseres Volkes gefallen sind.“
„Dies ist erfreulich zu hören. Wie euch unsere Boten bereits zugetragen haben, möchte unser Volk in Verhandlungen über ein Bündnis mit den Dunländern treten.“
„Das wurde uns gesagt. Ihr müsst aber verstehen, dass obwohl nun endlich Frieden im Dunland herrscht, dieser auf sehr wackeligen Beinen steht. Abseits meiner gewichtigen Meinung wird es schwer werden die anderen Stämme von einem Bündnis zu überzeugen. Die Bedrohung aus dem Nebelgebirge trifft uns nicht weniger als euch.“
„Eure Interessen sind uns durchaus bewusst, trotzdem ist unser Ansinnen ein wichtiges. Es unterstützt ein größeres Ziel als die Verteidigung eigener Grenzen. Wenn sich unsere Völker verbünden, können wir gemeinsam gegen den Feind vorgehen. Das betrifft den Schutz und die Unterstützung beider Länder. Aber um euch nicht im Unklaren zu lassen, uns haben Kundschafter von Imladris über Bewegungen des Feindes im nördlichen Gebirge unterrichtet.“ Als das Wort Imladris fiel, wurde Helluin wieder aufmerksam „Sie rechnen mit einem Angriff auf das Elbenreich der Manarîn. Die Bedrohung ist also greifbar nah. Wenn wir sie dort mit vereinten Kräften vernichten, ist der Friede für euer Volk genauso gesichert wie für unseres.“
Aéd dachte einen Moment nach. Isanasca reichte ihm ein sorgfältig zusammengefaltetes Pergamentstück mit einem Wachssiegel: „Wir haben hier einige wenige Punkte niedergeschrieben, wie ein Bündnis, wenn nicht sogar ein Freundschaftsbund unserer Völker aussehen könnte.“
Dankend nahm der Wolfskönig das Schriftstück entgegen: „Es ist schwer Freundschaft zu schließen mit jemandem den man kaum kennt.“
Die Elbenprinzessin grinste schwach: „Die Tore unseres Reiches stehen dem Wolfskönig und seinem Gefolge offen“, mit einer einladenden Handgeste unterstrich sie diesen Satz „Der nächste Vollmond ist in neun Nächten. Kommt nach Ost-in-Edhil und lernt meine Mutter und unser Volk kennen. Ich bitte euch darum.“
„Ein großzügiges Angebot“, antwortete Aéd bedacht „Wir teilen euch unsere Entscheidung mit.“
„Einer unserer Späher wir stets in Reichweite der Furt sein“, versicherte die Elbe „Ich danke euch für die Zusammenkunft und euer offenes Ohr.“
„Und wir danken euch für euer Angebot“, schloss Aéd höflich ab.

„Ich weiß, dass es mir am wenigsten zusteht hier zu sprechen“, stieß Helluin nun heraus „aber ich bitte euch, Isanasca, nehmt mich mit nach Ost-in-Edhil.“
Misstrauisch musterte sie den Waldläufer: „Euch mitnehmen?“
„Aéd, bitte“, seufzte der Dúnadan und sah ihn flehend an. Die Elben warteten ab.
„Eine der wenigen Entscheidungen die ich nur aus dem Bauch heraus treffen kann“, dachte der Wolfskönig laut „Ivar, bringe sein Gepäck“, befahl er.
„Wenn ihr es wünscht, können wir den Gefangenen bereits mit nach Ost-in-Edhil nehmen. Er wird im Arrest auf eure Ankunft in Ost-in-Edhil warten“, bot die Elbenprinzessin an.
„Dieses Angebot nehme ich gerne an, denn es bietet auch mir einen Vorteil. Ich bitte euch Helluin den Boten von Imladris vorzuführen. Sie kennen die Waldläufer des Nordens besser und werden wissen wie weiter mit ihm zu verfahren ist.“
„Natürlich“, beteuerte sie.
Helluin wusste nicht, ob er erfreut darüber sein sollte oder nicht. Einerseits war er Imladris ein großes Stück näher, andererseits landete er wieder einmal im Kerker.
Ivar kam mit dem Gepäcksack von Helluin und übergab ihn an Aéd. Er ging ohne Umschweife zu Helluin: „Hier ist alles drinnen mit dem wir dich vorgefunden haben. Und dies hier“, sagte er und packte dabei das zerknitterte Pergament heraus „verwahre es gut. Gib es in Ost-in-Edhil einer gewissen Halarîn. Du kannst nach ihr verlangen, sie ist dort jedem bekannt. Ich bin sicher sie wird dafür sorgen, dass es in die richtigen Hände gelangt.“
„Natürlich, an der Innenseite meines Mantels ist eine Tasche“, erklärte Helluin und Aéd versteckte den Brief darin.
„Pass auf dich auf“, verabschiedete sich Aéd und es freute Helluin. Irgendetwas dürfte er sich aus mir machen.

Der Abschied fiel Helluin nicht leicht. Er hatte Gefallen an dieser Gemeinschaft gefunden, auch wenn er ständig in Fesseln lag.

Helluin nach Eregion
« Letzte Änderung: 26. Apr 2021, 11:03 von Fine »
1. Char Elea ist in Bree  -  2. Char Caelîf ist in Palisor