Celebithiel, Aphadon, Aratinnuíre und Amrûn aus dem Reich der Dúnedain und den Turmbergen„ Es riecht nach Schnee“, flüsterte Celebithiel und ihr Atem huschte wie ein kleiner Geist durch die sternenklare Nacht.
Aratinnuíre nickte nur, während sie sich in die Hände hauchte und sie ans Lagerfeuer hielt. Es knisterte leise und hunderter kleiner Funken wurden in die Höhe gespuckt, wo die Kälte sie erstarren ließ und sie einsam, ihrer Seele beraubt, zu Boden sanken.
„ Ist dir kalt Aratinnuíre?“, und ohne eine Antwort abzuwarten gab Celebithiel der zierlichen Elbe ihre Decke ab, die sie zunächst zögernd, dann aber dankbar annahm.
Celebithiel legte sich in das kalte Gras und blickte in die sternenklare Nacht. Der Mond war nicht zu sehen, denn es war Neumond und er schlief gerade, wie ihr Vater immer gesagt hatte. Einzig und allein die Sterne funkelten am Firmament und sie fühlte sich unheimlich geborgen.
„ So friedlich. So friedlich ist es im Winter. Eine Welt bedeckt vom weißen Kleid, gebettet in schöne Träume, in unschuldiger Pracht“, hauchte Celebithiel und unzählige kleiner Geister entfuhren ihrem Mund und stiegen hinauf zu den Sternen, wobei sie wie die Funken von der Kälte irgendwann erbarmungslos verschlungen wurden.
„ Ich mag dort aber nicht hin“, protestierte sie, während sie mit ihren blauen Augen die Landschaft erkundete. Sie blickte über die sanften Hügel der Turmberge, die in feuriges Rot getaucht waren. Der goldene Herbst bestimmte die Flora des westlichen Eriadors und sie konnte sich nicht satt sehen an dem Spiel der Farben, welchem sie ausgesetzt war.
„ Schau mal der Baum da trägt drei – nein vier, unterschiedliche Farben!“, lächelte sie und offenbarte hierbei eine kleine Zahnlücke.
Sie zupfte Celebrian am Ärmel, damit sie aus dem Fenster schaute. Ihr goldenes Haar hatte sich über ihr Gesicht gelegt, welches in den letzten Tagen immer fahler und müder geworden war. Dennoch öffnete sie die Augen, zwang sich zu einem Lächeln, und ihre glasigen Augen folgten dem Zeigefinger des kleinen Mädchens. Er führte zu einer hoch gewachsenen Eiche, deren Blätter schimmerndes Gold, rostiges Rot, weiches Braun und ein schwaches Orange angenommen hatten.
„ Siehst du ihn??“, drängelte das Mädchen in ungeduldiger Manier, während ihr die bläuliche Schleife aus dem Haar fiel, aber sie bemerkte das gar nicht.
Celebrian lächelte liebevoll und nickte, bevor sie mit angeschlagener Stimme antwortete, während sie dem Mädchen durch das gelockte rötliche Haar fuhr.
„ Es sieht wunderschön aus. Ich freue mich, dass dir solche Dinge noch auffallen“, sie hustete leicht, “ Die Menschen beachten die Farben eines Tages lediglich an seinen Anfang und an seinem Ende. Dabei wandert ein Tag durch eine Vielzahl von Farbtönen und Schattierungen, und zwar in jedem Augenblick. Eine einzige Stunde kann aus Tausenden von unterschiedlichen Farben bestehen. Wachsgelb, regenbesprühtes Blau. Schlammige Dunkelheit. Seit den Anfängen in dieser Welt habe ich es mir zur Angewohnheit gemacht, darauf zu achten. Verlier diesen Blick für die Farben der Welt bitte nicht Gwilwileth, mein Schatz.“
Gwilwileth verstand die Worte nicht, aber fand sie wunderschön. Sie ließ sich wieder zurück auf ihren Sitz sinken und blickte immer wieder verstohlen aus dem Fenster der kleinen Kutsche, die sie zu ihrem Ziel brachte.
Celebrian lächelte, nahm die Hand ihres Gemahls, und schloss die Augen wieder, sichtlich froh bald die Grauen Anfurten erreicht zu haben.
Eine starke Hand rüttelte sie aus ihrem Schlaf und erschrocken fuhr sie hoch.
„ Keine Sorge, du hast nur geschlafen, wir sind da“, ertönte die Stimme Elronds und seine gütigen Augen hüllten Gwilwileth in völlige Geborgenheit.
Sie stieg aus der Kutsche und blickte auf die westlichste Elbenstadt Mittelerdes. Ihre Augen suchten die Celebrians, die bei ihren Söhnen und Arwen stand. Mit kindlicher Euphorie stürmte sie auf ihre Ziehmutter zu und nahm ihre Hand. Verstohlen blickte sie zu den Zwillingen hinauf, die ihr neckisch durch die locken Haare fuhren.
„ Na Gwilwileth, wie war deine Fahrt?“, fragte Elladan, der mit seinen Geschwistern zu Pferd geritten war.
„ Wunderschön Elladan“, antwortete Gwilwileth mit verträumten Augen, „ Mama hat mir schöne Geschichten über die Farben erzählt.“
Elrohir lächelte und fing an Gwilwileth zu kitzeln, die lachend davon rannte und die Zwillinge aufforderte mit ihr Fangen zu spielen.
„ Ihr fangt mich doch eh nie“, rief sie ihnen trotzend entgegen, während sie über den gepflasterten Weg rannte, der ins Innere der Stadt führte.
Celebrian, die sich einen anthrazit-farbenen Mantel und eine Kapuze übergezogen hatte, hakte sich bei Arwen ein und gemeinsam mit Elrond folgten sie den umher Tollenden.
Gwilwileth achtete nicht auf den Weg und ihre Haare flatterten im Wind, als sie die Stufen heruntersprang, die hinunter führten. Es gab nur wenige Abzweigungen, deshalb entschied sie sich instinktiv für diesen Weg.
Im Nachhinein konnte sie sich kaum an Details Mithlonds erinnern. Nachdem sie beherzt von der letzten Stufe gesprungen war rannte sie noch ein paar Meter, bevor sie keuchend vor einem Abgrund stehen blieb. Elladan und Elrohir holten sie wenige Sekunden später ein und blieben ebenfalls stehen.
Der salzige Geruch des Meeres stieg der schnaufenden Gwilwileth in die Nase und ihre Augen fixierten das Wasser, welches sanft und fast bewegungslos gegen den gemauerten Hafen schwappte.
Regenbesprühtes Blau…ob Celebrian das damit meinte?Doch Gwilwileth wurde eh und je aus ihren Gedanken gerissen, als eine tiefe, aber freundliche Stimme ertönte, die das leise Rauschen und das pochende Herz Gwilwileths leicht übertönte.
„ Elladan, Elrohir, schön euch zu sehen. Wo ist eure Frau Mutter und Herr Elrond natürlich?“. Gwilwileths Augen wanderten zur Quelle der Stimme und machten einen relativ großen Mann mit schneeweißen Haaren ausfindig.
„ Wir sind hier Cirdan, alter Freund!“, verkündete Elrond, der mit seiner Frau und Arwen gerade die Treppe, die zum Hafen hinab führte, herunter schritt. Als der Mann außer Reichweite war, zupfte Gwiliwleth Elrohir am Ärmel, der sich zu ihr herunter beugte.
„ Duuuu…warum hat der Mann da Haare im Gesicht?“, fragte Gwilwileth mit todernster Miene.
Elrohir konnte nur mit Müh und Not ein lautes Lachen vermeiden. „ Das erkläre ich dir ein anderes Mal“, flüsterte er ihr zu.
Plomp, PlompDas Wasser spritzte Gwilwileth auf die Schuhe, aber das war ihr egal. Sie saß am Rande des Hafens und hatte die Beine zu ihrer Brust gezogen. Immer wieder ließ sie die Steine ins Wasser fallen. Die offenen, langen Haare, hingen wie ein Vorhang um ihren Körper, nur ihr Gesicht war teilweise zu sehen.
Plomp, PlompSie wischte sich mit ihrer kleinen Hand über die Nase und rieb sich die Augen. Die Stimme Cirdans, der auf einmal neben ihr stand, hörte sie kaum.
„ Darf ich mich zu dir setzten kleines Fräulein?“, fragte er mit gütiger Stimme.
Gwilwileth zuckte nur mit den Achseln, ohne etwas zu sagen.
Plomp, Plomp„ Ich kenne dich zwar nicht gut Gwilwileth, aber du erinnerst mich an jemanden. An einen guten Freund, den ich, wie dich, auch zum ersten Mal hier in den Grauen Anfurten antraf. Ich gab ihm damals ein Geschenk. Ein Geschenk, welches ich dir nicht geben kann; aber ihr seid euch sehr ähnlich. Ich glaube es sind – die Augen. Eure Augen sind von derselben Art und Weise.“
Er verstummte und plötzlich blickte Gwilwileth ihn mit verquollenen, roten Augen an.
„ Ein Geschenk von dir würde ich auch nicht annehmen“, funkelte ihn Gwilwileth böse an. Der Mann legte die Stirn in Falten und fragte: „ Wieso?“
Plomp, PlompGwilwileth zögerte und schluchzte tief, bevor sie mit Tränen in den Augen schrie:
„ Weil du meine Mama auf ein Schiff gesteckt hast und jetzt segelt sie davon und kommt nicht mehr wieder!“
Cirdan nickte nur verständnisvoll und legte dem Mädchen ein verfärbtes Ahornblatt in den Schoss. Dann stand er auf und lächelte.
„ Wir werden uns wieder sehen Gwilwileth. Ich weiß nicht wann, aber eines Tages wirst du Mithlond wiederbesuchen“.
Gwilwileth sagte nichts, sondern blickte sturr gerade aus auf die raue See, und so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte die Farbe des Meeres nicht mehr erkennen. Alles was sie sah, war eine trübe Masse, die monoton hin und her schaukelte.
Plomp, Plomp
Eine starke Hand rüttelte sie aus ihrem Schlaf und erschrocken fuhr sie hoch.
„ Keine Sorge, du hast nur geschlafen, wir brechen auf“, ertönte die Stimme Amrûn und seine gütigen Augen hüllten Gwilwileth in völlige Geborgenheit. Irritiert blickte sie auf und erkannte, dass sie immer noch in ihrem Lager in der Emyn Beraid waren.
Aphadon und Aratinnuíre hatten ihre Sachen schon gepackt und warteten anscheinend nur noch auf Celebithiel, die ebenfalls hektisch anfing die wenigen Sachen, die sie ausgepackt hatte, wieder zu verstauen. Es war an diesen Morgen bitterkalt, weswegen Celebithiel den weichen Schal auspackte, den sie in Imladris von Elrond bekommen hatte
Die Gruppe machte sich auf und plötzlich bemerkte Celebithiel etwas weißes in Amrûns Haar.
„ Warte mal Amrûn du hast – du hast da- eine Schneeflocke! Es scheint und das obwohl wir gerade Mal Ende Oktober haben“, lachte Celebithiel, die sich plötzlich, wie ein kleines Kind freute.
„ Dann hattest du doch Recht mit deiner Aussage letzter Nacht, dass es nach Schnee riecht“, sagte Aratinnuíre mit ihrer freundlichen, zurückhaltenden Stimme.
Als sich die rothaarige Elbe noch einmal umblickte, bemerkte sie, dass die Hügelgruppe der Turmberge schon von einer dünnen Schneedecke überzogen war.
„..Und draußen beginnen erste Schneeflocken langsam auf die Welt herabzuschweben, leise und sachte wie Träume, die endlich bereit sind geträumt zu werden...", seufzte sie, bevor sie nach einer kurzen Wegstrecke die Grauen Anfurten erblickten.
Es war als fühlte sie sich in die damalige Zeit zurückversetzt und so sprintete sie los, als würden sie Elladan und Elrohir wieder verfolgen, und sie hüpfte dieselben Stufen hinab, rannte über den selben gepflasterten Weg und blieb an derselben Stelle stehen, an der sie vor etlichen Jahren das Meer zum ersten und einzigen Male erblickt hatte.
Amrûn kam ihr kurze Zeit hinterher und fragte sie, was los sei, aber sie erkannte nur den türkisen Ton des Meeres und lächelte, während sie leiste flüsterte:
„Die Menschen beachten die Farben eines Tages lediglich an seinen Anfang und an seinem Ende. Dabei wandert ein Tag durch eine Vielzahl von Farbtönen und Schattierungen, und zwar in jedem Augenblick. Eine einzige Stunde kann aus Tausenden von unterschiedlichen Farben bestehen. Wachsgelb, regenbesprühtes Blau. Schlammige Dunkelheit. Seit den Anfängen in dieser Welt habe ich es mir zur Angewohnheit gemacht, darauf zu achten. Verlier diesen Blick für die Farben der Welt bitte nicht Gwilwileth, mein Schatz.“
Amrûn verstand nicht, aber legte trotzdem den Arm um seine Freundin, der eine Träne des Glücks über die Wange kullerte.