Faendir von der Ebene von CelebrantGemeinsam mit dem Trupp Grenzwächter ging Faendir über zahlreiche, kleine Pfade durch den Wald. Er war von tiefer Trauer umgeben, denn seine Gedanken waren nur bei der kleinen Nachtigall.
Celebithiel vermutete, dass irgendetwas geschehen würde. Ich hätte besser auf meine Begleiterin aufpassen müssen. Ich wog uns schon in Sicherheit als wir die Waldgrenze überschritten, warum habe ich nicht aufgepasst? Dieser kleine unschuldige Vogel hat kein solch qualvolles Ende verdient...
Ein letzter Flug mit den Adlern über das große Meer; dies wäre passend für die kleine Nachtigall, um ihren weiteren Weg zu beschreiten... Seite an Seite mit den größten ihrer Art... Sie hat in all den Jahren so viel Hilfe geleistet, mehr als so mancher Elb den ich kenne.
Wenn sie wieder gesund wird, werde ich ganz besonders auf sie Acht geben und sie überraschen.
Aber womit? Sie hat so vieles gesehen, überwunden und hat weitergelebt. Sie singt jedes Lied das ich kenne, also womit kann ich ihr eine Freude bereiten? Das Lied, der wunderschöne Gesang aus meinen Träumen... wenn ich dieses Musikstück erlerne, wird sie schnell wieder gesund werden! Es hat auch mir geholfen die dunkle Nacht zu überstehen...Bis zu diesem Moment wirkte Faendir verzweifelt und verloren. Seine Miene war stark betrübt und seine Augen waren noch immer mit Tränen unterlaufen. Er ging leicht gebückt und sein halbes Gesicht verschwand im Schatten, den seine Kapuze warf. Aber mit dem Moment als ihm dieser Gedanke kam, erfasste ihn eine Entschlossenheit die einem Krieger glich, der einen Kampf nicht verlieren würde. Er blickte voraus auf dem Weg und er erkannte bereits in kurzer Entfernung die hohen Wipfel der Mallornbäume.
„Wir haben Caras Galadhon erreicht“, sagte einer der Wächter.
In Windeseile schritten sie die Treppen empor, welche sich wie Schlingpflanzen um die Stämme der Bäume wickelten. Die Luft wurde sehr diesig in den Kronen, doch das Atmen schien hier fiel leichter zu sein.
Am Ende der Treppe stand der Palast von Caras Galadhon und vor dessen Eingang stand bereits die Herrin des Lichts. Sie wirkte besorgt, so als ob sie schon wusste, was vorgefallen war.
„Wo ist meine kleine Nachtigall?“ fragte sie.
Der Soldat der sie trug ging auf Galadriel zu und legte sie in ihre offenen Hände.
„Großen Kummer bereitest du mir und Celebithiel kleine Gefährtin, doch wenig kannst du dafür und genauso wenig ist die Wache des Waldes daran Schuld. Die Späher des Feindes haben viele Gesichter. Einige kennen wir und andere nicht.“
Aus dem Schatten der Bäume kamen zwei Elben. Ihr Haar war seidig schwarz und reichte weit den Rücken hinab. Sie trugen feines Gewand und Schmuckstücke, die älter waren als Faendir.
„Sorge dich nicht, junger Faendir. Dies sind zwei Heiler aus dem edlen Hause der Noldor. Ihre Heilkünste sind älter und wirkungsvoller als alle anderen auf unserer Seite der Nebelberge. Sie wird wieder gesund werden und die Botschaft von Gandalf trägt sie in sich. Ruh dich nun aus, denn deine Reise war mühsam und schwer“, sagte Galadriel mit einer beruhigenden Stimme.
Die Wächter hatten sich wieder rasch in Richtung Boden aufgemacht. Vermutlich wurde jeder Soldat an der Grenze gebraucht. Galadriel ging mit den Heilern in den Palast.
Faendir wollte nicht weg, ehe eine gute Nachricht von den Heilern bekam. Also setzte er sich auf die Stiege und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Er schloss die Augen und dachte krampfhaft über seinen Traum nach, doch ihm viel nichts mehr ein, außer einigen Akkorden, die er ungefähr zuordnen konnte.
Faendir griff nach seiner Flöte und setzte an. Er wollte einfach darauf losspielen und probieren, ob er die Klangfolge spielen konnte.
Die ersten Töne waren leicht zu finden, doch je länger das Lied wurde umso weniger konnte er sich erinnern, bzw. die richtigen Töne zuordnen. Das Leid, welches den Vogel widerfuhr, quälte den Elben sehr und es zwang ihn immer weiter zu spielen ohne Pause und ohne Verpflegung.
Auf einmal stand Galadriel am oberen Treppenabsatz. Sie schaute verwundert auf Faendir. In ihren Augen ruhte eine tiefe Trauer, doch sie kam nicht von den Geschehnissen der letzten Tage.
„Woher kennt ihr, Faendir, dies sagenumwobene Lied?“ fragte die Herrin.
Er setzte die Flöte ab und antwortete: „Gestern Nacht erst erschien es mir im Traum. Ich stand mitten in einem wunderschönen Wald. Um mich sprossen unzählige Frühlingspflanzen und der taufrische Duft lag in der Luft. Auf einem hohen Baum neben mir saß die kleine Nachtigall, meine Gefährtin. Sie stimmte diese wunderschöne Melodie an. Mit der Flöte mitzuspielen wagte ich nicht, denn es war so wunderschön, wie das Lied widerhallte...“
„Widerhallte?“ fragte Galadriel abrupt und überrascht.
„Ja!...“
„Aus einer Schlucht, welche sich gleich vor einer großen, unüberwindbaren Felsenkette auftat!“, unterbrach sie ihn wieder.
„Ihr hattet denselben Traum, meine Herrin?“
„Nein, dies war keiner meiner Träume. Was ihr hier erzählt, ist längst nicht mehr! Ich nehme an ihr kennt die Sagen über Beleriand, dem schönen Land der Elben aus dem ersten Zeitalter dieser Welt.“
„Nur sehr wenige.“
„Der Wald von dem ihr geträumt habt, war einst meine Heimat. Ich lebte dort mit meinem Gemahl Celeborn in den ehrwürdigen Hallen meines Onkels. Menegroth wurden sie genannt. Luthien, des Königs Tochter, sang oft auf der Brücke über dieser Schlucht und ihr Gesang erfüllte das gesamte Königreich mit Wonne und Glück.
Als ihr Ehemann fiel, verschwanden auch ihre Gesänge. Ihr Herz war zerbrochen und sie wurde dieser Welt müde. Sie verstarb kurz darauf und ihre Seele wanderte in die Hallen von Mandos.
Sie bat den Valar um Gnade und sang für ihn. Er gewährte ihr den Wunsch und sie wurden mit Beren glücklich bis an ihr Lebensende.
Das Lied, welches ihr spielt, lies damals Mandos†™ Herz erweichen...“
Galadriel schwieg für einen kurzen Augenblick. Sie sah Faendir verwundert an und versuchte seinen Gesichtausdruck zu deuten. Der irgendwo zwischen Stolz und Verwirrung umherirrte.
„Ich bin eine der wenigen auf diesen Gefilden, die dieses Lied kennt und euch wurde diese Ehre nun auch zu teil. Nutzt dieses Wissen gut, damit habt ihr die Gabe die Herzen der Menschen und Elben zu erweichen.“
Faendir blickte nun stolz in das Gesicht von Galadriel. Er hatte niemals daran gedacht, dass die Nachtigall in seinem Traum Lúthien Tinuviel gewesen war.