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Das Schicksal Mittelerdes (RPG) => Die Welt von Mittelerde => Eregion => Thema gestartet von: Curanthor am 18. Feb 2017, 18:16

Titel: Ost-in-Edhil
Beitrag von: Curanthor am 18. Feb 2017, 18:16
Mathan, Oronêl, Kerry, Halarîn, Adrienne, Finelleth, Celebithiel, Forath und Aéd aus dem südlichen Eregion (http://modding-union.com/index.php/topic,36645.msg453801.html#msg453801)

Nach dem Gespräch mit Kerry, das Mathans Laune etwas aufpolierte, führte er die Gefährten langsam in Richtung Osten. Dort, wo er zuvor schon sehnsüchtig in die Ferne geblickt hatte. Es war bereits später Nachmittag und kaum Wolken am Himmel. Er führte sie auf einem verborgenen Elbenpfad, den er selbst vor sehr langer Zeit sehr oft benutzte. Es überraschte ihn, wie schnell er in alte Gewohnheiten verfiel, obwohl es sehr lange her war, dass er hier umherwanderte. Sein Blick ging zu Kerry, die neben ihm lief und sich aufmerksam umblickte. Mit einem Schmunzeln bemerkte der Elb, dass sie die Schultern nicht mehr einzog und die Brust dafür etwas herausstreckte. So fand er, dass sie gleich viel erwachsener wirkte. Sie bemerkte sein Schmunzeln und hob fragend eine Braue, musste aber selbst lächeln.
„Ich habe mich nur daran erinnert, dass wir auf einem Elbenpfad gerade gehen“, schob er als Grund vor und grinste, „Alte Gewohnheiten“, setzte er nach und lachte leise.
„Dann warst du schon oft hier? Aus welchem Grund?“, fragte seine Tochter und konnte ihre Neugierde nicht verbergen, etwas, dass er schon früh bemerkt hatte.
„Du bist stets durstig nach neuen Wissen, das ist sehr gut, gewöhne dir das ja nie ab“, sagte Mathan mit einem Lächeln und ließ die Hand über einen Baumstamm gleiten, an dem sie vorbeigingen, „Das war sozusagen mein Jagdgebiet hier. Wir sind jetzt östlich von Ost-In-Edhil, hinter diesen Hügeln liegt eine weite Ebene, die in sanften Wellen auf und absteigt. Damals gab es dort einzelne Hulstbäume, die auf den kleinen Hügeln wuchsen und im Sommer dazu einluden im ihren Schatten etwas zu dösen. Ich bin immer hier umhergewandert wenn mein Vater mir gerade keine Lektionen erteilte oder ich nicht in der Schmiede helfen musste. Von den Ebenen aus hatte man einen eindrucksvollen Blick auf die Hauptstadt, die Türme funkelten wunderbar in der roten Abendsonne und boten ein interessantes Lichtspiel. Dir hätte es mit Sicherheit gefallen“, schloss er und strich ihr sanft über das Haar.
Kerry nickte und schien sich den Hulstbaum genauer anzuschauen, den sie hinter sich ließen. Mathan schwieg und blickte kurz zu Halarîn, die etwas weiter hinten neben Adrienne lief und wieder etwas blass aussah. Seine Frau bemerkte seinen Blick und lächelte, auch wenn es etwas schwach wirkte. Ihretwegen hatte er seine Schritte etwas verlangsamt, aber auch, weil er genau beobachten wollte, wie sich das Land in seiner Abwesenheit verändert hatte. Die Gruppe schien das aber nicht zu stören, denn sie plauderten ab und an, während sie sie sich hin und wieder aufmerksam umblickten. Für ihn war es ein ganz sonderbares Gefühl wieder in Eregion zu sein, zum Einen traurig, aber auch gleichzeitig aufregend. Immerhin hatte er seine Familie dabei und bald würden dutzende Elben diese Lande wiederbeleben. Er wusste auch, dass Faelivrin schon immer von seiner Geburtsstätte fasziniert war und war sich sicher, dass sie etwas Besonderes dafür im Kopf hat. Leider hatte er in Tharbad nicht viel Zeit gehabt um mit ihr zu sprechen, aber ihre Aufgabe konnte nicht weiter aufgeschoben werden, besonders als klar wurde, dass sie zwei Ringe zu vernichten hatten.
„Was hat dich dein Vater denn eigentlich gelehrt?“, fragte Kerry und riss den Elb aus seinen Gedanken. Er hatte gar nicht bemerkt, dass sie wieder aufgeschlossen hatte und strich sich nachdenklich über das Kinn. Eigentlich war es sehr viel, was ihm sein Vater gelehrt hatte und daher er wusste nicht so recht was Kerry genau meinte. Auf seine Nachfrage, was genau ihr vorschwebte schien sie etwas ratlos zu sein und meinte schließlich, dass er sich Etwas aussuchen könnte, wovon er erzählen wollte. „Hmm“, machte Mathan und bedeutete der Gruppe, dass sie eine Rast einlegten, „Zuerst sollten wir ein Nachtlager aufschlagen.“ Sie befanden sich in einer weiten Senke, die von sanften Hügeln umgeben war, die vom knöchelhohen Gras bedeckt waren. Oronêl, Halarîn und die anderen beiden Elben traten zu ihnen, gefolgt von Adrienne, sowie Forath und Aéd.
„Wir sind jetzt nahe der ehemaligen Hauptstadt und die Schmieden sind nicht mehr weit, trotzdem würde ich bevorzugen sie erst bei Tagesanbruch  aufzusuchen.“, erklärte Mathan und schnallte dabei seinen Gürtel mit Vorräten ab.
„Und warum das?“, fragte Aéd mit etwas Ungeduld in der Stimme, „Es ist doch gerade erst Nachmittag.“
„Genau deswegen“, antwortete Mathan und nickte zu Sonne, die schon recht tief stand, „Hier geht es recht schnell, außerdem habe ich Sorge, dass wir vom Gebirge aus mit Besuch rechnen müssen, wenn wir im Dunkeln weiterreisen.“
Finelleth schaltete sich überraschend ein: „Zuvor habe ich ein paar Spuren gefunden, sie waren sehr schwer zu entdecken und schwer zuzuordnen. Ich schätze vielleicht eine, oder zwei Wochen alt, aber nicht von Orks.“ In ihrer Stimme schwang Sorge mit.
„Dann entzünden wir kein Feuer“, schlug Oronêl vor und erhielt zustimmendes Gemurmel. Mathan nickte, woraufhin sie es sich in der Senke es gemütlich machten und darauf warteten, dass die Sonne unterging. Einige von ihnen nahmen ein kleines Mahl ein, doch Mathan verzichtete und reichte seine Portion an Halarîn weiter, die ihm zum Dank einen Kuss auf die Wange drückte. Er grinste flüchtig, da er wusste, dass sie in ihrer Schwangerschaft mit Faelivrin stets großen Hunger gehabt hatte. Offensichtlich war dies auch wieder der Fall. Er blickte zu Kerry, die neben ihm saß und dachte eine Weile nach, während die junge Frau kauend einer Erzählung von Adrienne lauschte. Das Mädchen aus Gondor beschrieb gerade wie sie mit ihren Eltern nach Minas Tirith zog.
„Also bist du nicht in Gondor geboren?“, fragte Forath in einer kurzen Pause, woraufhin Adrienne den Kopf schüttelte, „Dachte ich mir, denn dein Namen ist …untypisch.“
Sie musste lachen und verschluckte sich fast an ihrem Stück Brot, das sie gerade kaute und würgte es herunter. „Das habe ich schon so oft gehört“, brachte sie etwas mühsam hervor, „Meine Mutter gab mir den Namen, da ich auf einem Fluss geboren wurde. Also habe ich kein wirkliches Geburtsland und muss auch einen etwas untypisch klingenden Namen tragen. So hat sie es zumindest begründet und machte daraus immer einen kleinen Scherz. Leider weiß ich nicht welchen Fluss, das hat sie nie gesagt und so gut kenne ich mich mit Karten nicht aus“, erklärte Adrienne schließlich und widmete sich wieder ihrer Mahlzeit.
Kerry schien das Thema wechseln zu wollen, da sie wohl merkte, dass ihre Freundin nicht mehr lachte oder grinste. Sie wandte sich an Mathan: "Ontáro, zu meiner Frage von vorhin, hast du etwas, das du erzählen möchtest?“
Der Elb hatte zuerst gehofft, dass sie die Frage vergessen hatte, doch da schien er sich getäuscht zu haben und ein flüchtiges Schmunzeln umspielte seine Lippen. Kurz ließ er seinen Blick über die Gruppe schweifen, wobei ihm die Anwesenheit von Forath und Aéd noch immer etwas ungewohnt war, doch sie störten ihn nicht.
„Na schön, eigentlich hoffte ich, dass ich das nicht beantworte muss, aber als abendfüllende Geschichte, denke ich, kann ich etwas aus meiner Vergangenheit preisgeben“, gab er schließlich ein und überlegte kurz, was er genaue erzählen sollte.
Ihm war klar, dass fast alle Blicke auf ihm lagen, was ihm ein wenig unangenehm war, so konzentrierte er sich auf Kerry, die gebannt zu ihm aufsah.
„Wie man sich es vielleicht denken kann, habe ich diese Senke nicht umsonst ausgesucht“, begann er mit einem kurzen Grinsen, während sich einige rasch um blickten, „Hier bin ich immer mit meinem Vater hergekommen, wenn er mich unterweisen wollte. Damals stand hier noch ein Hulstbaum in der Mitte, der bei einem Sturm umgeknickt war. Daran habe ich meine ersten Schläge ausgeführt und habe natürlich nicht sonderlich gut abgeschnitten. Ich war klein und wir hatten nur selten Zeit, da mein Vater sehr oft und lange in den Schmieden war, da man sich für den Krieg rüstete. Wie man sieht haben diese Ringe schon damals ihren Schatten geworfen. Jedenfalls ging ich nach einer Weile immer alleine hier her um zu üben, da ich meinen Vater stolz machen wollte. Selten begleitete mich meine Mutter, da sie oft in Lindon am Hof des Hochkönigs weilte. Damals habe ich es noch nicht so recht verstanden, aber als ich alt genug war, habe ich mich damit abgefunden. Man mag es vielleicht verwerflich finden, dass man einem kleinen Jungen schon im Kriegshandwerk übte, aber damals wurde jede Hand gebraucht. Deswegen war ich auch oft in den Schmieden als Hilfe, denn dort versuchten sich die Elben stets an weiteren Ringen, die ein Gegenstück zu den Verdorbenheiten darstellen sollten. Leider ist das nie gelungen, einzig Celebrimbor war dazu in der Lage, doch damals war es nicht bekannt. Generell waren die Noldor von Eregion verschwiegen und achteten peinlichst darauf, dass ihre Geheimnisse unter sich blieben. Ich bekam nur das gesagt, was ich brauchte um meine Arbeit zu erledigen: Schwerter, Schilde und Dolche schmieden. Mein Vater dagegen war oft an den aufwändigen Rüstung für die Feldherren und Hauptmänner am arbeiten, er ging auch Celebrimbor zur Hand, wenn sie in die unteren Ebenen der Schmiede verschwanden, wo niemand ohne Erlaubnis eingelassen wurde. Darüber sprach er auch nie, wenn wir am Abend hierherkamen und uns ausruhten."

~~~

Ein schwaches Klacken ertönte und er ließ das schwere Stück Holz fallen. „Ich kann das nicht“, sagte er enttäuscht und zog beleidigt die Mundwinkel hinab.
„Versuch es noch mal“, ermunterte ihn sein Vater, der an einem Abhang der Senke lag und in den Himmel blickte, „Du kannst das, man muss nur die richtige Technik finden.“
„Aber es ist zu groß“, wandte der junge Elb ein und wuchtete das große Holzschwert hoch.“
„Das hat ein Großschwert so an sich, mein Junge“, lachte Amarin und setzte sich dabei auf, „Irgendwann wird man an Gegner herankommen, die etwas größer sind als du, da braucht man auch größere Waffen“, erklärte sein Vater mit einer gewissen Strenge.
„Aber das ist einfach zu groß“; schmollte Mathan und lehnte das hölzerne Großschwert an seine Schulter, der Griff endete an seinem Ohr.
Amarin erhob sich mit einem gespielten Ächzen und kam langsam auf ihn zu, er trug noch immer die Lederschürze der Schmiede und auch sein Gesicht wies einige Russ-Spuren auf, dennoch lächelte er. „Na, immerhin weißt du, wie man es anlehnt, das kann ich nicht jeder.“
„Das ist nur ein großer Haufen Holz mit Griff, das kann jeder“, entgegnete Mathan empört und brachte seinen Vater zu einem herzhaften Lachen. Nach einigen Momenten fiel er in das Gelächter ein, ehe sie sich nach einigen Minuten beruhigten.
„Im Grunde hast du recht, selbst ein Großschwer ist nur ein großer, länglicher Klumpen Stahl mit einem Griff. Der Trick dabei ist, dass du es nie komplett hochheben musst, zumindest nicht bei dieser Sorte von Waffe“, erklärte Amarin und packte das Stück Holz am Griff, „Schaue genau hin, wie ich damit umgehe“, forderte er seinen Sohn auf. Mathan zog eine gespielte Schnute und ging dann doch etwas auf Abstand. Sein Vater ging etwas in die Hocke und ließ das Schwert hinter sich herschleifen, mit einer kurzen Anstrengung seiner muskulösen Arme schwang er die Waffe in einem Halbkreis nach oben. Um den Rückschlag abzufangen machte er eine ruckartige Bewegung mit der Schulter nach vorn. „Siehst du? Du musst es gar nicht komplett anheben“, erklärte Amarin grinsend, „Natürlich brauchst du dafür die passende Rüstung mit den Schulterpanzer.“
„Aber niemand benutzt solche Waffen, woher soll ich denn wissen wie das geht“, sagte Mathan noch immer etwas begriffsstutzig und sah zu seinem Vater auf, der nur still in sich hineinlächelte.
„Na, zeigst du ihm wieder deine verrückten Erfindungen?“, erklang die liebliche Stimme seiner Mutter. Ihre schlanke Gestalt zeichnete sich scharf in der roten Abendsonne ab, die weißen Haare wehten im Wind. Sie trug ein hellblaues Kleid und ging barfuss.
„Mutter!“, rief Mathan glücklich und auch Amarin drehte sich überrascht um.
„Mein kleiner Sohn, es ist schön dich zu sehen“, sagte sie mit einem sanften Lächeln und schloss ihn flüchtig in die Arme, „Du bist groß geworden“, sagte sie stolz und kicherte.


~~~

Mathan verstummte bei seiner Erzählung und blinzelte kurz, zu sehr war er gefangen von seiner Geschichte, die ihm sehr lebendig vorkam. Gerade verkroch sich der letzte Sonnenstrahl hinter den Bergen und fahles Mondlicht fiel in die Senke.
„So hatte ich mir deine Eltern gar nicht vorgestellt“, gab Kerry schließlich nach einer kurzen Stille zu, woraufhin er ihr über die Wange strich.
„Es war einer der Momente, in dem sie sich gut verstanden. Sie mochte es nicht sonderlich, wenn er mir seine Werke zeigte, da sie mich als zu klein dafür befand.“, antwortete er mit einem versonnen Lächeln, „Sie hatten so ihre Streitpunkte, aber eigentlich liebten sie sich immer, egal was zwischen ihnen vorgefallen war.“
„Dann passt das ja, wenn ich dich Schwertmeister nenne“, warf Adrienne spitzbübisch ein und grinste breit, da Mathan sofort das Gesicht verzog, „Oder hast du das Großschwert nicht gemeistert?“, setzt das Mädchen nach und zu seiner Überraschung nickten die beiden Dunländer bekräftigen. Halarîn hatte sich in ihren Mantel verkrochen und schien zu schlafen genau wie Celebithiel; Finelleth bereitete auch gerade ihr eigenes Lager vor
„Wer weiß…“, antwortete Mathan nach einer kurzen Pause und scheuchte seine Schülerin schlafen.
„Soll ich die erste Wache übernehmen?“, fragte Oronêl an Mathan gewandt, der gerade mit Kerry diskutierte, da sie noch etwas wach bleiben wollte.
„Wenn es dir nichts ausmacht, aber weck mich sofort wenn dir etwas merkwürdig erscheint.“
„Das hatte ich auch vor“, entgegnete der Sinda beruhigend und nahm eine bequeme Sitzposition ein.
Nachdem Mathan schließlich auch Kerry zum Schlafen bewegen konnte, verbrachten die Gefährten eine ruhige Nacht. Kurz bevor jedoch die Sonne aufging, rüttelte ihm jedoch jemand an der Schulter.
„Jemand ist hier“, flüsterte Oronêl leise und schien die Ohren zu spitzen. Alle Elben bis auf Halarîn wachen wach, denn ihr Atemrhythmus hatte sich geändert. Von den Menschen schliefen alle noch, wobei Kerry und Forath sich unruhig umwälzten. Mathan schlug seine Decke aus Rohan zurück und kam geschwind auf die Füße, bedacht darauf keinen Lärm zu machen. Angestrengt lauschte er und vernahm sehr leise Schritte, die sich langsam entfernten. Er reagierte sofort und spurtete den Abhang hinauf, Oronêl folgte ihm knapp. Auf der Kuppe angekommen kniff er die Augen zusammen und deutete auf die weite Ebene, die vor ihnen lag. „Dort läuft er… sieht nach einem Elben aus und er hat einen guten Vorsprung“, sagte Mathan und bedeutete seinem Freund den Bogen zu senken, „Trotzdem sollten wir aufbrechen."

Nach der Aufregung waren alle an in der Senke auf den Beinen und hatten ihre Sachen gepackt. Auf die neugierigen Blicke hin, als die beiden Elben zurückkehrten, antworteten sie nur ausweichend. Mathan versicherte aber, dass keine Gefahr bestand, zumindest im Moment nicht, denn der Fremde hätte sie auch überraschen können. Trotzdem beeilten sie sich von der Senke wegzukommen und unter Führung Mathans schlugen sie einen Weg in nördliche Richtung ein. Der Elb hatte zwischenzeitlich die Karte seines Vaters gezogen und studierte sie weiter vorn, wo er sich alleine befand. Zwischenzeitlich hörte er seine Gefährten hinter sich tuscheln, doch er ignorierte es. Nach einigen Biegungen und auf- und abfallenden Hügeln blieben sie auf einer Anhöhe stehen. Kerry nutzte die Pause und schloss zu ihm auf. „Wo ist die Schmiede denn?“, fragte sie und sah sich suchend um, wobei sie die Augen vor der hellen Morgensonne abschirmte.
Vor ihnen lagen fünf Hügel, die mit Steinen und Gras bedeckt waren. Ein kleiner Bach entsprang aus einem der umliegenden Hügel und schien in dem Mittleren zu verschwinden. Der Ort hatte etwas Idyllisches und strahlte eine gewisse Ruhe aus. Eine Ruhe, die Mathan sehr bekannt vorkam. Halarîn erreichte ebenfalls die Anhöhe und ergriff seine Hand. Der Elb war überwältigt von den einstürmenden Gefühlen und seufzte nur tief.
„Wir sind da“, sagte seine Frau leise, woraufhin Kerry, Oronêl und Finelleth sich umblickten.
Mathan deutete wortlos zu dem kleinen Bach und setzte sich in Bewegung. Dabei bemerkte er, dass die beiden Ringträger noch wortkarger waren als zuvor. Umso besser war es, dass sie ihr Ziel erreicht hatten, auch wenn es nicht ersichtlich war, so kam ihm die Gegend einfach zu vertraut vor. Am Bach angekommen hob er die Karte und tauchte sie zur allgemeinen Überraschung ins Wasser. Einige sogen scharf die Luft ein, und wollten schon etwas sagen. Nachdem das Wasser jedoch von dem Papier abperlte, kamen verschlungene Schriftzeichen zum Vorschein. „Ist das Magie?“, fragte Forath mit einer Mischung aus Entsetzen und Erstaunen.
Mathan lachte leise und schüttelte den Kopf. „Ein Geheimnis meiner Familie“, antwortete er mit einem Augenzwinkern und deutete auf den Bach, „Es ist das Wasser, das mit der Tinte reagiert, aber psst“, er legte einen Finger auf den Mund und begann zu lesen.
Dabei hörte er Kerry mit Adrienne sprechen, die sich über den geheimnisvollen Besucher in der Nacht unterhielten. Beide Mädchen fanden es gruselig und er konnte es in einer gewisser Weise nachvollziehen. Mit einem Brummeln konzentrierte er sich wieder auf die Schriftzeichen, die in einem unüblichen Dialekt geschrieben waren. Nach einigen Momenten hatte er es jedoch herausgefunden und atmete erleichtert auf.
„Es gibt noch einen Eingang“, verkündete er und sorgte für fragende Gesichter.
„Wo? Alles was hier einst stand ist nur noch Staub und Geschichte“, wandte Aéd ein und trat unzufrieden gegen einen Stein. Als dieser herumrollte lugte ein Stück Metall aus dem Gestein.
„Das stimmt, außerdem hast du meiner Erzählung gestern nach nicht richtig zugehört“, erwiderte Mathan mit einem Schmunzeln und ging mit Halarîn an der Hand den Bach entlang zum mittleren Hügel. „Die Schmieden von Eregion“, sagte er mit getragener Stimme und deutete auf den leicht länglichen kleinen Berg. Er maß mit Sicherheit einige hundert Schritt an der längsten Stelle und war auch nicht gerade schmal. Triumphierend führte er die Gruppe auf die Kopfseite des Hügels, dort wo er sich verjüngte. Vor ihnen lag ein großer Haufen Steine, der in der Mitte ein verdächtiges Loch aufwies. „Ist das ein Eingang?“, fragte Kerry ehrfürchtig.
„Ja, aber er sollte nicht so offen daliegen. Seid vorsichtig und fasst auf keinen Fall irgendwas an, unter keinen Umständen“, schärfte er ihnen ein und winkte Oronêl neben sich, „Gib mir Deckung, mein Freund“ Der Waldelb nickte und zog seine Axt.
„Eine unterirdische Schmiede also…“, merkte Forath an, „Beeindruckend.“
Vorsichtig legte Mathan einige Brocken zur Seite und bemerkte dabei, dass diese schon öfters bewegt wurden. Schließlich zog er die Silmacil und zwängt sich durch den engen Spalt, dicht gefolgt von Oronêl. Aus einer stillen Übereinkunft folgten Forath und Aéd, dann Adrienne und zum Schluss Kerry, Halarîn Finelleth und Celebithiel. Sie standen in einem dunklen Raum. Es roch nach alten Holz und kaltem Rauch. Mathan griff nach einer Fackel, die seine Elbenaugen durch den fahlen Lichteinfall von außen entdeckte. Als er sie entzündete, wurde ihnen klar, wo sie waren. Es war ein rundlicher Raum von vielleicht vierzig bis fünfzig Schritt im Durchmesser, sie standen auf einem dunklen Holzboden, der darauf ahnen ließ, dass noch etwas darunter lag. Er bedeutete der Gruppe näher zu treten und deutete auf ein schmales Fenster, rechts und links davon lagen Türen. Durch das Fenster konnte man einen guten Blick in das Innere der Schmiede werfen: Vor ihnen öffnete sich eine riesige Fläche, dutzende Gebäude drängten sich am Boden, der etwa zehn bis fünfzehn Schritt unter ihnen lag. Rechts und links von ihnen ragten mannsbreite Säulen aus zwei separate, kleine Seen bis hinauf in die Decke. Eine hölzerne Galerie spannte sich zwischen den Säulen und verband den oberen Bereich mit dem restlichen Teil der Schmiede. In der Ferne konnte man einen zweiten, rundlichen Bau erkennen, scheinbar die gleiche Art Turm.
„Hier habe ich nur einmal gearbeitet“, erklärte Mathan leise und deutete auf die linke Tür, „Seid wachsam und passt auf wo ihr hintretet, die Galerien haben stellenweise kein Geländer.“
Gemeinsam mit Oronêl machte er sich bereit, durch die Schmiede zu gehen und warf einen letzten Blick zurück zu Halarîn und Kerry, die sich an den Händen hielten.
Titel: In die Schmiede
Beitrag von: Curanthor am 28. Feb 2017, 00:17
Sobald Mathan die hölzerne Tür öffnete, fühlte er sich in der Zeit zurückversetzt. Zwar hatte er schon damit gerechnet, doch war es ein merkwürdiges Gefühl, auf das man sich nicht einfach so vorbereiten konnte. Vor ihm lag eine längere Holzbrücke, die sich um zwei breite Säulen schlängelte, bei denen man entweder rechts oder links vorbeigehen konnte. Prüfend trat er auf das Holz und stellte zufrieden, dass es keine Anzeichen von Zerfall aufwies. Früher war er nur einmal hier oben gewesen, denn meist war er unten gewesen. Er blickte auf ein niedriges Gebäude, das einmal eine Rüstungsschmiede war und zuckte ein wenig zusammen, als Halarîn neben ihn trat.
"Wie weit ist es vom Boden bis zu Decke?", fragte sie leise und bewundert zugleich.
"Etwa fünzig bis achzig Schritt", mutmaßte er und wollte sich schon am Kopf kratzen, wurde sich aber dann klar, dass er ein einer Hand die Fackel hielt und in der Anderen sein Schwert. Zuvor hatte er das Silmacil zu einer Klinge zusammengefügt und hielt es stets in der Hand. Ein kleiner Stich Zorn brodelte in ihm, denn der Gedanke, dass jemand in seiner alten Heimat herumspazierte gefiel ihm gar nicht. Da er damals viel Zeit in den Schmieden verbrachte, betrachtete er auch diese als seine Heimat. Langsam führte er die Gruppe über die lange Holzbrücke, welche er zuvor als Galerie bezeichnet hatte. Offenbar hatten sich ein, zwei Dinge doch geändert, seitdem er das letzte mal hier gewesen war. Als sie die zweite Säule passierte, schloss Kerry zu ihm, Halarîn und Oronêl auf. Sie wirkte etwas eingeschüchtert und auf Halarîns Frage erklärte sie leise, dass sie es etwas unheimlich in den Schmieden fand. Mathan blickte kurz zu den Wasser unter ihnen hinab, das sich unverändert in dem dazugehörigen Becken staute. Den Sinn dahinter hatte er damals von Celebrimbor selbst erklärt bekommen. Generell war der Herrscher Eregions recht gesprächig mit seinen Untertanen gewesen, was Mathan erst jetzt klar wurde, je mehr er darüber nachdachte. Langsam erreichten sie die Tür zum ovalen Turm, der die Treppen zu den unteren Ebenen erreichbar machte. Schon vom Weiten sah er, dass die schwere Tür aufgebrochen und das metallverstärkte Gitter ebenfalls aus den Angeln gebrochen war. Mit Oronêl im Rücken und dahinter Halarîn mit Kerry, pirschte er sich an den Eingang heran und linzte um die Ecke. Hinter sich hörte er Aéd tuscheln und bedeutete ihn mit einer Handbewegung zu schweigen. Als dieser verstummte, lauschte Mathan angestrengt, konnte aber bis auf das Atmen der Gefährten nichts hören. Kurz wandte er sich um und nickte den Anderen zu, die ihn aufmerksam angestarrt hatten. Sie betraten den ovalen Turm, der einige leere Regale aufwies, ein paar zerschlagene Tische lagen an den Wänden und die Tür lehnte neben dem Eingang an einer Wand. "Hier befand sich ein Besprechungsraum", erklärte er leise und nickte zu den Tischen, "Kurz vor dem Krieg bekamen wir hier unsere täglichen Aufgaben zugewiesen."
Halarîn legte ihn eine Hand auf die Schulter und streichelte sie. Er nickte ihr mit einem schwachen Lächeln zu und wandte sich zu der anderen Tür, die einige Schritt auseinander, neben dem Eingang lag durch den sie zuvor den Raum betreten haben. Die schwere Holztür war geschwärzt und mit schwarzen Schlieren verschmiert, das zugehörige Eisengitter lag verbogen auf der dahinter liegenen Empore. Mathan linzte erneut durch den Ausgang und wie zuvor war alles still. Innerlich schmunzelnd bemerkte er, dass seine Gefährten ebenfalls so geräuschlos wie möglich warteten, bis er mit einem Nicken ihnen bedeutete, dass alles ruhig war.
"Und wo sind jetzt die Schmieden?", fragte Aéd leise, während sie auf die Empore traten. In seiner Stimme schwang noch immer eine leise Ehrfurcht, die Mathan verstehen konnte. Als er selbst das erste Mal hierher durfte, war es sehr beeindruckend gewesen, aber da war auch noch alles hell erleuchtet und reich verziert mit Gold, Silber und Edelsteinen.
"Hier", antwortete Mathan schließlich leise und deutete auf die flache Fläche, die sich hinter der Empore erstreckte, "Man kann durch eine Falltür von hier, hinunter in den Schmiederaum. Sehr hilfreich wenn man Material bewegen muss."
"Und wie habt ihr zum Beispiel flüssiges Metall bewegt?", hakte Finelleth interessiert nach.
"Das wurde an Ort und Stelle schon erhitzt, deswegen sind die Gebäude auch recht groß", antwortete Mathan mit einem flüchtigen Grinsen und deutete auf die Stufen, die zum Boden führten, "Dort hinab, aber dann muss ich mich kurz hier einmal umblicken... vielleicht finde ich etwas Nützliches."
Seine Gefährten nickten, wobei einige neugierige Blick ihm zuwarfen, die er aber vorerst ignorierte. Er wollte keine falschen Hoffnungen wecken, oder Befürchtungen lostreten. Halarîn hielt sich zusammen mit Oronêl an seiner Seite, während sie die lange Treppe hinabstiegen. Hinter sich hörte er die Menschen erstaunt tuschelnd, dass das Holz keinen Ton von sich gab, was ihn kurz schmunzeln ließ.
"Was ist das", fragte seine Frau mit gedämpfter Stimme und deutete auf ein Gebäude, das ihr offensichtlich auch zuvor schon aufgefallen war, denn sie setzte nach: "Es sieht aus wie ein großes Dreieck."
"Das war die große Waffenschmiede", erklärte er leise und führte sie rechts daran, an der längeren Seite vorbei.
"Wir sollten aber bald die Ringschmiede aufsuchen", mahnte Oronêl und Mathan hörte an seiner Stimme, dass er mit "bald" den nächstbesten Zeitpunkt meinte.
Sie liefen zwischen der großen Waffenschmiede und einem kleineren Gebäude, das am großen Turm endete, durch den sie in die Schmiede gelangt waren. Mathan erinnerte sich, dass in dem kleineren Raum die Feinarbeiten durchgeführt wurden. Dort hatte er nur selten gearbeitet und wusste, dass die Schmiede dort sehr penibel waren. Er führte seine Gefährten schließlich auf den kleinen Platz, der von drei Türen und den anderen Gang auf der anderen Seite der Waffenschmiede führte.
"Es wird nicht lange dauern. Ich will nur bei meinem alten Arbeitsplatz etwas nachsehen, Freund Oronêl", sagte er leise an den Waldelben gewandte und drückte lautlos die Tür zu der großen Waffenschmiede auf. Mathan hob die Fackel und schob sich durch die Öffnung, das Schwert dabei angewinkelt um jeden Feind abzuwehren. Doch vor ihm lag nur ein leerer Raum, einzelne Metallrohlinge lagen auf dem steinernen Boden verstreut. Ein einzelner Amboss lag in einer Ecke, ansonsten war der dreißig Fuß lange Raum leer. Selbst die Öfen waren verschwunden, was ihn überraschte. Seine Frau bemerkte es zuerst. "Ich denke das war nicht immer so leer hier oder?" Ihr Kommentar brachte ihn nur zum Nicken und er schaute sich rasch in dem Raum um, entdeckte jedoch nichts. Nachdenklich wandte Mathan sich wieder zum Ausgang und führte die Gruppe wieder hinaus aus der Waffenschmiede.
"Ist es schlimm?", fragte Kerry leise, mit einem interessierten Unterton.
"Nicht so sehr, aber hier hat sich doch etwas geändert, seitdem ich fortgegangen bin. Eigentlich müsste die Waffenschmiede vollgestopft mit Waffen sein, sowie einigen kleinen Erfindungen von meinem Vater..." Er verstummte und spitzte die Ohren, der er meinte, Etwas gehört zu haben. Sein Herz schlug ein wenig schneller, doch abgesehen davon, war es noch immer still. Mathan tauschte einen Blick mit den anderen drei Elben, die jedoch scheinbar nichts gehört hatten.
"Erfindungen?", hakte Kerry nach, jetzt mit unverholenem Interesse.
"Später, meine Kleine", vertröstete er sie und warf ihr ein warmes Lächeln zu. Da er die Fackel und sein Schwert trug, konnte er ihr nicht über den Kopf streicheln, auch wenn er es gerade liebend gern getan hätte.

Klang, klang, klang
"Feuer, Metall und Sterne, denkst du, das passt zueinander?"
"Ich verstehe nicht..."
"Ha! Das kannst du auch nicht."
Klang, klang, klang
"Aber du wirst es... eines Tages."


"Mathan?" Die Frage schreckte den Elb aus dem Gedanken, irgendwie war er nicht bei sich gewesen und schüttelte den Kopf. Sein Blick klärte sich und vor ihm standen Halarîn, Oronêl und Finelleth, die ihn erwartungsvoll anblickten. "Was", fragte er leicht verwirrt und zuckte mit den Schultern, "Ich war wohl etwas abwesend, tut mir leid."
"Oronêl fragte, wo es zu den Ringschmieden geht", wiederholte Finelleth und tauschte mit Halarîn einen Blick. Seine Frau hielt die Hand von Kerry, die sich eines der vielen kleinen Bildchen aus unzähligen Metallplättchen an den Wänden anblickte.
Mathan entschuldigte sich und zuckte mit den Schultenr, als nachgefragt wurde, was denn los gewesen sei: "Nichts worüber man sich Sorgen mache müsste." Dabei setzte er sich in Bewegung und führte seine Gefährten durch den selben Gang wie zuvor. Hinter ihm hörte er Finelleth mit Halarîn sprechen: "Was sind das für Bildchen?", fragte die Waldelbe an seine Frau gewandt.
"Das sind kleine Erzählungen, wie die Schmiede hier einzigartige Waffen schufen. Die meisten von ihnen exisitieren jedoch nicht mehr oder sind zu Legenden geworden, deren Namen man vergessen hat", sagte Halarîn leise und Mathan bemerkte, dass sie auf eine Berichtung von seiner Seite wartete.
"Eine Legende ohne Namen ist gestorben, das stimmt...", murmelte Finelleth nachdenklich und verstummte schließlich.
"Ich kenne einige Namen, aber sie würden euch nichts sagen. Die Schmiede Eregions waren nicht gerade für ihre Offenheit berühmt", merkte Mathan an und verfiel wieder in Schweigen. Sogleich kamen sie auch in der Mitte des ganzen Etage an, wo eine einzelne Wendeltreppe in die Tiefe führte.Um die Trepper herum waren dutzende Metallplättchen in den Boden eingelassen, die verschlungene Muster beschrieben. Mathan erkannte Gold, Silber, Platin und noch andere Metalle, die ihm gerade entfallen waren. Seine Ausbildung lag schon tatsächlich etwas länger zurück und er hat sie durch die Umstände auch nicht abschließen können. Leider war das nun schwer möglich, da Celebrimbor immer die letzte Prüfung beaufsichtigte, denn er wollte seine Schmiede kennen, die in den inneren Hallen arbeiteten. Flüsternd erklärte er Halarîn, dass dies die Hauptschmiede war und um den Berg herum noch dutzende kleinere Schmieden exisitierten. "Merkwürdige Zeichen...", murmelte Forath und blickte auf das riesige Mosaik, das zu ihren Füßen lag.
"Das kam erst nachdem ich fortgegangen bin...", sagte Mathan nachdenklich und fuchtelte mit der Fackel herum, "Lasst uns hinabgehen, dort wo einst nur Celebrimbor und ausgewählte Elben wandeln durften." Er vermied es Saurons Namen zu nennen und teilte die Gruppe ein, denn die Stufen waren so breit, dass drei Mann nebeneinander laufen könnten. Es war zwar etwas eng, aber man konnte sich dadurch besser verteidigen, falls unten der Eindringling lauerte. "Oder es schon wieder lange verlassen", murmelte er so leise, dass nur er selbst es hören konnte. Kurz dachte er an den Fremden, der in der Nacht an ihr Lager geschlichen kam, doch Mathan schüttelte rasch den Kopf. Wer sollte schon Interesse an einer verlassenen Schmiede haben. Zumindest redete er sich das ein, denn er mochte den Gedanken nichts, Fremde oder gar bösartige Gestalten hier drin zu haben. Er nickte Oronêl zu und scheuchte Kerry in die Mitte und wies sie an eine Waffe griffbereit zu haben. Halarîn spannte ihren Bogen und stellte sich neben ihre Tochter. Mathan, mit Oronêl und Finelleth an der Spitze ging zu dem Beginn der Wendeltreppe. Hinter ihm kam Celebithiel, zusammen mit Kerry und Aéd, dann Forath mit Halarîn. Dabei achtete Mathan darauf, dass seine Tochte hinter seinem Rücken blieb, egal was passierte, was ihr auch leise noch einmal einschärfte. Sein Blick fiel auf Adrienne, die die ganze Zeit über sehr still gewesen war, dass er gar nicht an sie gedachte hatte. Die Gondorerin bemerkte dies und blies beleidigt die Wangen auf. Gesellte sich aber dann zu Forath und Halarîn an den Schluss, wo sie über ihrer aller Rücken wachte.
Zufrieden nickte Mathan und gemeinsam betraten sie die Steinstufen, in denen elbische Schriftzeichen eingraviert waren. Sie erzählten eine kleine Geschichte über die Schmiede in Aman, diente aber auch gleichzeitig als Schutz davor, auf dem glatten Stein auszurutschen. Mit steigender Nervosität machte er den ersten Schritt auf den ersten Absatz der Wendeltreppe.
Titel: Re: Eregion
Beitrag von: Eandril am 7. Mär 2017, 19:51
Oronêl setzte als zweiter einen Fuß auf den staubigen Boden der Schmiede, nach Mathan und dicht gefolgt von Finelleth. Durch den geöffneten Eingang über ihnen fiel ein wenig Tageslicht herein, doch es reichte bei weitem nicht aus um das gesamte Gebäude zu erhellen. Inzwischen hatten sich die Augen der Elben gut an das schwache Licht gewöhnt, doch Kerry, Adrienne und die beiden Dunländer sahen weniger gut und sahen sich orientierungslos um. Die Fackel, die Mathan trug, warf ihren flackernden Schein über die Gruppe und darüberhinaus, und erhellte die seit Jahrtausenden verlassene Umgebung.
Rechts von ihnen, an der westlichen Wand, erhob sich ein gewaltiger Schmiedeofen von dem aus sich entlang der südlichen und nördlichen Wand zwei lange Arbeitstische hinzogen. Parallel zu den Tischen verliefen schmale, mit Wasser gefüllte Becken, die vermutlich früher zum Abkühlen des heißen Metalls gedient hatten. Im Licht der Fackel sah das Wasser beinahe schwarz aus. Direkt vor ihnen, im südlichen Teil des mittleren Raumes erhoben sich lange Regalreihen voller Schriften und Bücher - die jedoch die Schlacht und die lange Zeit seitdem nicht gut überstanden zu haben schienen. Gemessen an den Lücken in den Regalen musste auch gut die Hälfte der Schriftstücke fehlen.
Im nördlichen Teil des Raumes, den Bücherregalen gegenüber, standen viele kleinere Regale und Schränke, die, von dem was Oronêl erkennen konnte, wohl Werkzeuge und Formen zum Schmieden beinhaltet hatten. Auch dort herrschte große Unordnung, und viele Werkzeuge lagen zerbrochen und beschädigt auf dem staubigen Boden.
Oronêl hatte im Eingangsbereich der Schmiede ebenfalls eine Fackel ergriffen, und entzündete sie nun an Mathans Fackel. Währenddessen deutete dieser mit einer ausholenden Bewegung auf den westlichen Teil der Schmiede.
"Dies war die große Schmiede von Eregion, in der die meisten von Celebrimbors Schülern und Helfern arbeiteten", erklärte er.
"Ziemlich beeindruckend, was sie aus den Anfängen gemacht haben...", sagte Oronêl leise. "Schade, dass es nicht lange Bestand hatte." Mathan warf ihm einen verwunderten Blick zu. "Du warst schon einmal hier?"
Oronêl nickte langsam. "Nun ja, nicht hier", sagte er dennoch. "Aber ich war in Eregion, kurz nach seiner Gründung. Wir hatten in Lórinand davon gehört, dass sich Elben auf der anderen Seite des Gebirges angesiedelt hatten, und Amdír wollte sie besuchen. Wir haben sogar kurz mit Celebrimbor selbst gesprochen, doch, wenn ich ehrlich sein soll, wir haben uns nicht sonderlich gut verstanden. Wir kamen den Noldor hier wahrscheinlich ungeschliffen und ungebildet vor, und sie erschienen uns hochfahrend und arrogant."
"Ich hoffe, dieser Eindruck hat sich durch neuere Erfahrungen nicht bestätigt", meinte Celebithiel mit einem Augenzwinkern, und Oronêl lächelte. "Nein, keineswegs."
Er ließ einen Blick durch die große Schmiede schweifen. "Ich nehme nicht an, dass das unser Ziel ist?" Mathan schüttelte den Kopf, und deutete zur anderen Seite, nach Osten.
"Nein, die Ringschmiede ist dort... hinter dieser Wand." Er zögerte, und wirkte ein wenig unsicher. "Das ist... merkwürdig. Diese Wand gab es früher nicht."
"Wenn man einen Ort sehr lange nicht gesehen hat, verändert er sich in der Erinnerung. Vielleicht hast du nur vergessen, dass die Ringschmiede von einer Mauer abgetrennt wurde?", vermutete Oronêl, doch eigentlich wusste er, dass es so nicht sein konnte. Die Ringschmiede war für Mathan ein Ort wie Cerin Amroth für ihn selbst: Ganz gleich, wie lange sie nicht dort gewesen waren, die Erinnerung würde niemals verblassen und Veränderungen würden ihnen immer auffallen - und seien sie noch so klein.
Wie erwartet schüttelte Mathan auch den Kopf. "Nein. Ich kenne die Schmiede wie mich selbst, und an so etwas würde ich mich erinnern."
"Wie auch immer diese Mauer dorthin gekommen ist", sagte Oronêl, und spürte, wie ihm unwillkürlich ein leichter Schauer den Rücken hinunterlief. Irgendetwas hier war nicht so, wie es sein sollte, die Atmosphäre war drückend und der Ring in seiner Tasche schien von Augenblick zu Augenblick schwerer zu wiegen. "Wir müssen hindurch und in die Ringschmiede."

Er und Mathan begannen die Wand von Norden und Süden im Schein ihrer Fackeln nach Schwachstellen oder einer Tür abzusuchen, während die anderen unterhalb der Treppe warteten. Es wurde wenig und leise gesprochen, denn hier im unteren Teil der Schmiede hatte man das Gefühl, in einem Grab zu stehen. Schließlich glitten Oronêls Finger über eine schmale Vertiefung im kalten Stein, und er stockte. Kaum sichtbar zog sich eine Spalte durch die Mauer, von oben nach unten. In der Mitte des Spaltes, ungefähr auf Brusthöhe, war ein einzelner, großer Saphir eingelassen. Oronêl strich mit den Fingerspitzen darüber, und sagte: "Mathan. Ich glaube, ich habe etwas gefunden."
Mathan trat stumm neben ihn, und betrachtete den Spalt schweigend von oben nach unten. Dann legte er die Hand auf den Saphir, der unter seinen Fingern kurz aufzuleuchten schien, und das Tor schwang beinahe lautlos nach außen auf.
Mathan öffnete den Mund, schüttelte dann jedoch den Kopf und sagte nichts. "Meinst du, das hat etwas mit deiner Mutter zu tun?", fragte Kerry, die inzwischen mit den anderen zu ihnen getreten war, und Mathan lächelte schwach. "Könnte sein - ich weiß es nicht", erwiderte er. "Aber im Moment sollten wir uns darauf konzentrieren, diese Ringe loszuwerden."
Nacheinander betraten sie die Ringschmiede von Eregion.

In der Ringschmiede war es noch dunkler als im Vorraum oder der großen Schmiede, denn die geheimnisvolle Zwischenmauer sperrte das Sonnenlicht, dass durch den oberen Eingang fiel, komplett aus. An der Nordwand glaubte Oronêl zwei kleinere Schmiedeplätze zu sehen, während der Blick nach Süden durch weitere Bücherregale versperrt wurde. Oronêl fragte sich unwillkürlich, ob dort die fehlenden Schriften aus dem Hauptraum waren - und wer sie dorthin geschafft hatte, und warum.
Der Tür direkt gegenüber lag ein großer, kreisrunder Raum, doch eine Reihe weiterer Schränke versperrte den Blick hinein.
"Dort wurden die Ringe der Macht geschmiedet", sagte Mathan leise, und deutete nach vorne. "In diesem Raum hat es begonnen."
"Und für zwei von ihnen wird der Weg in diesem Raum enden", erwiderte Oronêl entschlossen, und ging voran. Zwischen zwei der Schränke war eine Lücke, breit genug dass eine Person hindurchgehen konnte. Als er hindurch trat, fand er sich in einem hohen, runden Raum wieder. Der Boden war, wie alles in diesem Teil der Schmiede, aus Stein, und entlang der drei übrigen Wände zogen sich große, ebenerdige Feuerstellen. An jedem Ende einer Feuerstelle stand ein gewaltiger Blasebalg, die von Hand bedient werden konnten, aber offenbar auch mit irgendeinem mechanischen System hoch über ihren Köpfen verbunden waren. In der Mitte des Raumes stand ein einzelner, steinerner Tisch, der alle Blicke unwillkürlich anzuziehen schien.
Mathan deutete auf die Mechanik über ihren Köpfen und sagte: "Soweit ich weiß, konnten die Blasebälge durch das Wasser des Baches oben angetrieben werden - wie so vieles hier. Doch ich weiß nicht, ob das System noch funktioniert."
"Wir werden sie von Hand betreiben", meinte Oronêl, und zwinkerte Forath und Aéd, die bislang ehrfürchtig geschwiegen hatten, zu. "Wozu haben wir zwei starke Menschen dabei?"
Mathan durchmaß mit schnellen Schritten den Raum, kniete neben der östlichen Feuerstelle nieder und fuhr mit der Hand durch die schwarzen Klümpchen, die darin lagen. "Brennstoff ist immerhin da... Das ist eine spezielle Art Kohle, die in Eregion hergestellt wurde", erklärte er. "Sie brennt lange, und nach einiger Zeit und wenn sie ordentlich angeheizt wird, viel heißer als gewöhnliches Holz oder Kohle. Leider ist das Geheimnis ihrer Herstellung mit dem Untergang verloren gegangen..."
"Wird es ausreichen?", fragte Finelleth, die neben ihn getreten war. Mathan nickte, und stieß seine Fackel mit einer raschen Bewegung in die Kohle. Einen kurzen Augenblick geschah nichts, bevor die Stückchen rund um die Fackel zu glühen begannen. Nach und nach setzte sich das Glühen kreisförmig fort, und nach kurzem Zögern tat Oronêl es Mathan am anderen Ende der Schmiede gleich. Für einen Moment wurde es dunkel in der Schmiede als das Licht beider Fackeln erstickt war, doch nach und nach begann die ganze Feuerstelle zu glühen und erhellte den Raum.
"Feuer hätten wir", sagte Mathan, und in seinen Augen spiegelte sich die Glut. "Wir müssen es nur noch anheizen, bevor wir..." Er verstummte, als von draußen, aus dem Vorraum, ein metallisches Klingen zu hören war.
"War das...", begann Kerry, doch auch sie stockte, als ein Laut durch die Schmiede hallte, der allen nur zu gut bekannt war: Das Quieken eines Orks.

Für einen Moment herrschte Stille, als alle lauschten, und Oronêl glaubte sein eigenes Herz schlagen zu hören. Dann war ein weiteres metallisches Geräusch zu hören, und es war Forath, der als erster handelte. "Da draußen in der Dunkelheit sind wir nicht von Nutzen", sagte er, und warf seine Oberbekleidung ab. "Los, Aéd - wir werden die Blasebälge bedienen." Sein Sohn tat es ihm ohne zögern gleich, und mit nacktem Oberkörper traten sie an die Blasebälge links und rechts des Feuers.
"Gleichmäßig, und immer abwechselnd", wies Mathan sie rasch an, während die anderen Elben bereits ihre Waffen ergriffen und in Richtung der Treppe eilten. "Und hört erst auf, wenn es weiß glüht." Auch Adrienne hatte ihr Schwert gezogen, blieb aber neben dem runden Tisch stehen, während Oronêl und Mathan als letzte die Ringschmiede verließen.
Am oberen Ende der Treppe waren im Licht der Sonne, das durch den Eingang hereinfiel, mehrere Gestalten zu sehen. Einige Orks, aber auch bärtige Menschen, Dunländer, und ein Mann, der statt einem menschlichen rechten Arm, einen aus dunkel glänzendem Eisen hatte.
"Angbaug", erklärte Oronêl rasch. "Sarumans Botschafter bei den Dunländern. Ich habe keine Ahnung wie sie uns gefunden haben, doch sie dürfen die Ringe nicht bekommen."
"Werden sie nicht", erwiderte Mathan, und befühlte die Schneide seiner Silmacil mit dem Daumen. "Du, Finelleth und Celebithiel werdet das untere Ende der Treppe verteidigen", schlug Oronêl vor. Sie mussten schnell handeln, denn ihre Feinde begannen bereits, die Treppe hinunter zu eilen. "Und wir beide", er nickte Halarîn zu, "werden sie von hier unten beschießen."
Alle anderen nickten zur Antwort entschlossen, und als die Verteidiger am Fuß der Treppe Aufstellung genommen hatten, hatten Oronêl und Halarîn bereits ihre ersten Pfeile abgeschossen. Zwei Orks fielen, einer stürzte über das niedrige Geländer und fiel quiekend in die Tiefe, während der andere auf dem Treppenabsatz zusammenbrach und von seinen Gefährten aus dem Weg geräumt werden musste. Oronêl stellte erfreut fest, dass der Bogen seiner Mutter alles hielt, was er versprach, die Sehne ließ sich schnell und ohne großen Kraftaufwand spannen und die Pfeile flogen gerade und schnell.
Schon bald bemerkte Angbaug die Gefahr, die von den Bogenschützen auf dem Boden ausging, und brüllte Befehle. Sofort sammelten sich einige Ork-Bogenschützen auf der oberen Galerie, die das Feuer erwiderten. Ein Pfeil schlug funkensprühend zwischen Oronêl und Halarîn auf dem Steinboden auf, und dann erreichten die ersten von Sarumans Dienern den Fuß der Treppe - wo Mathan, Finelleth und Celebithiel sie mit blitzenden Schwertern in Empfang nahmen.
Ein Orkpfeil verfehlte Oronêls Kopf nur knapp, und im nächsten Augenblick brach der Schütze mit einem Pfeil im Hals zusammen. "Habe ich dir eigentlich je gesagt, wie froh ich darüber bin, dich nach Lórien im Anduin gesehen zu haben?", fragte Oronêl Halarîn, ohne das Schießen zu unterbrechen. "Das warst du?", fragte sie zurück, und ließ nur sehr kurz den Bogen vor Überraschung sinken, bevor sie einen weiteren gezielten Schuss abgab. "Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, wer... Dann sollte ich vielleicht..."
"Dank mir nicht", unterbrach Oronêl sie. "Du und Mathan, ihr habt mir mit allem was ihr getan habt schon viel mehr gedankt als Worte es vermögen." Er griff hinter sich um einen weiteren Pfeil aus dem Köcher zu ziehen, doch seine Hand ging ins Leere. Im selben Augenblick hörte er ein Schreien neben sich, ließ den nun nutzlosen Bogen fallen und duckte sich vor dem Schlag des anstürmenden Orks instinktiv weg. Mit der rechten Hand riss er den Dolch vom Gürtel, und rammte ihn seinem Angreifer direkt unter dem Arm zwischen die Rippen. Der Ork fiel mit einem Stöhnen, doch Oronêl sah, wie weitere seinesgleichen die großen Säulen, die das obere Stockwerk trugen, hinunterkletterten. Offenbar war dieser nur mutiger als der Rest gewesen, und nun taten sie es ihm gleich.
"Oh, verflucht", stieß er hervor. "Mathan!" An der Treppe hatte sich die Lage ebenfalls verschlechtert. Zwar blockierten die Leichen der gefallenen Angreifer die übrigen, doch sie zwangen die drei Verteidiger auch, ein wenig zurück zu weichen. Dadurch wurden die Lücken zwischen ihnen gefährlich groß, und die Angreifer konnten ein wenig an Boden gewinnen.
Auf Oronêls Ruf hin sah Mathan zu ihm hinüber, folgte dann mit den Augen Oronêls ausgestreckter Hand zu den Orks, die die Säulen herunterkletterten. Er streckte einen anstürmenden Dunländer zu Boden, sagte dann rasch etwas zu Finelleth und Celebithiel, und wie ein Mann zogen sich die drei Verteidiger zu Oronêl und Halarîn an die Tür zur Ringschmiede zurück.
"Wir können uns hier draußen nicht halten", stieß Finelleth hervor, und Oronêl nickte. Zum Glück schienen die Angreifer von ihrem plötzlichen Rückzug zu überrascht zu sein um ihn wirklich zu nutzen, und sammelten sich nur am Fuß der Treppe und der Säulen. "Zurück in die Schmiede", sagte Celebithiel. "Wenn die Ringe zerstört sind, können sie sie nicht bekommen - das ist das einzig entscheidende."
Alle stimmten zu, und sie traten nacheinander durch die Tür zurück in die Ringschmiede. Jetzt gerieten auch die Angreifer in Bewegung, denn wie von Zauberhand begann die Tür langsam hinter den Elben zu zu schwingen. Für einen Moment glaubte Oronêl, sie würde sich ganz schließen, doch kurz vorher warfen sich zwei Orks verzweifelt quiekend zwischen die Türflügel und blockierten sie mit ihren Körpern.
"Einen Halbkreis hinter der Tür bilden", rief Mathan, und Oronêl, Celebithiel und Finelleth folgten seinem Kommando. Halarîn blieb ein wenig im Hintergrund. Sie hatte nur noch wenige Pfeile, doch sie konnte die übrigen Verteidiger noch immer unterstützen. Langsam wurde sie blockierte Tür wieder aufgezogen, und die Welle der Orks traf auf die dünne Linie der Verteidiger. Links von Oronêl streckte Celebithiel Ork um Ork mit raschen Schwerthieben nieder, während rechts von ihm Mathan mit seinen Silmacil Tod und Schrecken verbreitete. Auch unter Hatholdôrs Klinge starben viele, und ganz rechts hielt Finelleth die Angreifer in Schach, doch es kamen mehr und immer mehr. Anscheinend hatte Angbaug alle verbliebenen Dunländer unter seinem Kommandos und viele Orks aus Moria für dieses Wagnis zusammengezogen.
Schließlich stellte Oronêl fest, dass er inzwischen bereits drei Schritte zurückgewichen war, ebenso wie die anderen drei Verteidiger. "Wir müssen weiter zurück", schrie er über den Kampflärm zu Mathan. Sein Freund hatte ihr schleichendes Zurückweichen offenbar ebenfalls bemerkt, denn er nickte, während seine Klinge den Schädel eines Orks vom Kinn an nach oben spaltete. "Wenn die Schmiede heiß genug ist, können wir es schaffen!", rief er zurück.
Zu viert wichen sie langsam zurück, und der Halbkreis, den sie bildeten, hatte sich umgekehrt. Waren zuvor Celebithiel und Finelleth noch auf beiden Seiten von Mathan und Oronêl aus leicht nach vorne versetzt gewesen, bildeten nun diese beiden den vordersten Teil ihrer Formation, und die beiden Kriegerinnen waren ein wenig nach hinten zurückgefallen um ihre Flanken zu decken. Schließlich erreichten sie die Regalwand, die die eigentliche Ringschmiede vom Rest des Raumes abtrennte. Einer nach dem anderen zogen sie sich durch die schmale Lücke zurück, zuerst Halarîn, gefolgt von Finelleth, Oronêl, Mathan, und zuletzt Celebithiel, die noch zwei übereifrige Verfolger mit ihrem Schwert niedergestreckt hatte. Der letzte starb durch einen von Halarîns letzten Pfeilen, den sie haarscharf an Celebithiel vorbei durch die Lücke direkt in die Kehle eines großen Dunländers verschossen hatte.
Drinnen warf die hellorange Glut der Schmiede ein gleichmäßiges Licht durch den Raum. Aéd und Forath pumpten noch immer, abwechselnd und gleichmäßig, obwohl ihnen der Schweiß in Bächen über die nackten Oberkörper lief.  Vor ihnen standen Adrienne und Kerry, beide blass aber entschlossen, Adrienne mit ihrem Schwert und Kerry mit einem Dolch in der Hand. Oronêl hätte gern mit ihnen gesprochen, sie beruhigt, doch dazu war keine Zeit. Sie würden es so durchstehen müssen.

"Wir können die Lücke zu zweit verteidigen", meinte Finelleth. "Immer abwechselnd zuschlagen, und hin und wieder mit den anderen abwechseln."
"Irgendwann werden sie auf die Idee kommen, die Schränke umzustürzen", gab Halarîn zu bedenken, doch Oronêl sagte: "Wir haben keine andere Wahl. Hoffen wir, dass sie dazu lange genug brauchen, dass das Feuer heiß genug werden kann."
Als erstes bewachten Finelleth und Oronêl die Lücke, während Mathan einen Blick auf das Feuer warf. Sie schlugen jeden Versuch von Sarumans Dienern, die Lücke zu durchbrechen, mit raschen, blutigen Hieben zurück. "Wie steht es mit dem Feuer?", rief Oronêl irgendwann über die Schulter, und Mathan antwortete: "Beinahe so weit." Doch im nächsten Moment rief er: "Achtung!"
Eines der Regale erzitterte, dann noch eines, und dann stürzte eines nach dem anderen um, wirbelte Staub auf, und Papier und Werkzeuge flogen wild durch die Gegend. Oronêl wich zurück, und zog Finelleth gerade noch außer Reichweite eines umstürzenden Schrankes. Die Elben versammelten sich um den Schmiedetisch, auf dem vor vielen tausend Jahren die Ringe entstanden waren, die sie nun vernichten wollten, und über die umgestürzte Barrikade trat Angbaug.
"Gebt mir diesen Ring", sagte er leise und doch vernehmlich, und sein eiserner Arm glänzte im Schein der Schmiede dunkel. "Meinen Herrn Saruman verlangt danach, und wenn er ihn bekommt, wird er euch das Leben schenken. Was ist er schon... ein kleiner Ring, gegen euer aller Leben?"
Niemand rührte sich, und Oronêl packte Hatholdôrs Griff fester. In diesem Moment war er stolz auf seine Freunde, jeden einzelnen von ihnen, denn niemand schien auch nur einen Herzschlag lang über Angbaugs Angebot nachzudenken. Jeder von ihnen war bereit zu Sterben, um diese Ringe zu vernichten.
Als keine Antwort kam, zuckte Angbaug nur mit den Schultern und sagte: "Nun, ich muss zugeben, dass es so auch viel mehr Spaß macht."
Im gleichen Moment geschahen zwei weitere Dinge: Von hinten rief Forath: "Bereit!", und Angbaug befahl seinen Truppen den Angriff.

Oronêl versuchte, ebenso wie Finelleth, zur Schmiede zu gelangen, doch es war hoffnungslos. Die Orks schwärmten nach allen Seiten durch die Ringschmiede aus, griffen erbarmungslos an und schnitten ihnen den Weg zum Feuer ab. Aus den Augenwinkeln sah Oronêl, wie Forath und Aéd ebenfalls zu den Waffen greifen mussten, um sich zu verteidigen. Auch Halarîn hatte ihren Bogen durch ihr Schwert ersetzt und kämpfte nun gemeinsam mit Mathan und Adrienne und verteidige Kerry. Die Klinge schimmerte blau, und gab einen merkwürdigen Kontrast zu dem hellrötlichen Licht der Schmiede.
Das Schmiedefeuer verbreitete allmählich Hitze im ganzen Raum, vermutlich da die Abluftanlagen ebenso wie die Blasebalgmechanik nicht funktionierten, und Oronêl spürte  Schweiß von seinen Schläfen tropfen, obwohl sie gemessen an anderen Schlachten noch nicht allzu lange gekämpft hatten. Er schlug einem Ork den Kopf von den Schultern und sah sich plötzlich Angbaug gegenüber, der herausfordernd ein großes, hässlich gezacktes Schwert hob. Bevor Oronêl jedoch den Kampf annehmen konnte, sprang Forath, das mit Orkblut beschmierte Schwert in der Hand, zwischen sie und rief: "Überlass' den mir, und erfülle deine Aufgabe!" Oronêl zögerte einen kurzen Moment, doch Forath stürzte sich mit einem Kampfschrei auf Sarumans Diener und drängte ihn einige Schritte zurück. Oronêl wandte sich zur Schmiede an, die noch immer weißglühte und offenbar heiß genug war, einen Ring zu schmelzen, und schlug zwei Orks, die ihm den Weg versperrten, nieder.
Doch gerade als er vor der Glut stand, gellte ein wortloser Schrei, voller Entsetzen, Wut und Trauer durch den Raum. Es war Aéd, der geschrien hatte, und als Oronêl seinem Blick folgte erkannte er, warum. Forath hatte seinen Kampf gegen Angbaug verloren. Sarumans Diener hatte ihm sein hässliches Schwert mitten durch den bloßen Oberkörper gerammt, und zog es jetzt mit einem Ruck, der Foraths Blut über den Boden sprühen ließ, wieder hervor. Der Häuptling der Dunländer presste die Hände auf die schreckliche Wunde, taumelte und brach mit dem Rücken am Schmiedetisch auf dem Boden zusammen.
Angbaug wandte sich wieder Oronêl zu, und kam mit langsamen Schritten auf ihn zu, während Aéd hinter ihm mit verzweifelter Wut gegen einen der wenigen Uruks kämpfte. "Die Verräter werden bestraft", sagte Angbaug leise und doch über den Kampflärm hörbar. "Und Saruman bekommt, was ihm zusteht. Gib ihn mir, Elb."
Oronêl warf einen raschen Blick durch den Raum, doch alle seine Gefährten kämpften ein gutes Stück entfernt gegen die Orks, und konnten ihm nicht helfen. Nur Aéd, der seinen Gegner schließlich zu Boden geschickt hatte, war in der Nähe, doch Oronêl glaubte nicht... sein Blick traf den des jungen Dunländers, und einen Moment lang verstanden sie einander ohne Worte. Angbaug streckte die linke, menschliche Hand aus, als Oronêl die Axt senkte und langsam den Ring aus der Tasche zog.
Sarumans Botschafter verzog das Gesicht zu einer Maske des Grinsens, die sich in Überraschung verwandelte, als Oronêl ihm den Ring tatsächlich entgegen warf. Doch der Wurf war etwas zu kurz, Angbaug musste sich vorbeugen, und in diesem Moment schlug Aéd, der unbemerkt herangekommen war, zu. Er führte einen mächtigen, beidhändigen Hieb, dem man kein bisschen seine vorherigen Anstrengungen anmerkte und der nur von Wut und Rache angetrieben wurde, und schlug Angbaugs Hand, die sich gerade um den Ring schloss, direkt über dem Handgelenk ab.
Angbaug brüllte auf, und Aéd wirbelte, von der Wucht seines Schlages getragen herum und rammte ihm das Schwert zwischen die Rippen - unter dem erhobenen, ausgestreckten Arm, wo die Rüstung verwundbar war. Die Klinge drang tief ein, und selbst wenn Aéd das Herz verfehlt hatte wusste Oronêl, dass Angbaug dem Tod geweiht war. Selbst falls das Herz unverletzt geblieben war, hatte das Schwert die Hauptschlagader durchtrennt, und Angbaug würde innerhalb der nächsten Minute verbluten.
"Die Verräter werden bestraft", sagte Aéd ruhig, während Oronêl sich nach Angbaugs abgeschlagener Hand bückte und Angbaug in die Knie brach. Mit einer raschen Drehung holte der Häuptlingssohn Schwung, und trennte Angbaug mit einem einzigen Hieb den Kopf von den Schultern. Der Körper von Sarumans Botschafter fiel lautlos auf die Seite, und Oronêl öffnete die Finger der abgeschlagenen Hand und nahm den Ring wieder an sich. "Und Saruman bekommt, was ihm zusteht", sagte er nachdenklich. Dann warf er den Ring ins Feuer.

Einen Moment lang geschah nichts, als wollte der Ring nicht schmelzen. Doch dann begann er zu glühen, weich zu werden, und schließlich zerfloss er zu flüssigem Gold, zwischen den Kohlen hindurch, und war fort. Ein schwaches Beben erschütterte den Raum, und ein kalter, dünner Schrei, voller Furcht und Entsetzen war zu hören. Die Orks hörten auf zu kämpfen und pressten die Hände gegen die Köpfe, als ob der Schrei ihnen Schmerzen bereiten würde. Auch Finelleth war auf die Knie gesunken, und Oronêl spürte, wie er selbst die Zähne zusammenbiss. Der Schrei wurde immer höher und höher, und gerade als Oronêl glaubte es nicht mehr auszuhalten, brach er ab.
Der Ring war fort, Schweigen senkte sich über die Schmiede - doch die Kälte, die Oronêl mit dem Schrei verspürt hatte, ließ nicht nach. Im Gegenteil, sie wurde trotz der Hitze des Feuers hinter ihm immer größer, und die Dunkelheit in der Schmiede draußen schien mit einem Mal undurchdringlich zu werden. Dann löste sich eine einzelne, große Gestalt aus der Dunkelheit, die einen schwarzen Mantel mit einer schwarzen Kapuze trug und ein langes, kalt schimmerndes Schwert in der Hand hielt. Der Neuankömmling schien die Dunkelheit selbst zu sein, und Oronêl wusste, was er vor sich hatte.
"Orks", zischte die Gestalt, und Aéd, Kerry und Adrienne ließen ihre Waffen fallen und pressten die flachen Hände auf die Ohren, um vor dieser Stimme zu fliehen. Auch Oronêl presste die Zähne zusammen, und die noch immer kniende Finelleth hatte die Arme um den Oberkörper geschlungen und wiegte sich mit geschlossenen Augen vor und zurück.  "Ich bin der Hexenkönig von Angmar, Saurons größter Diener", stieß die Gestalt weiter hervor. "Und ihr... seid meine Diener. Bringt mir mein Eigentum. Sofort!"
Der Hexenkönig schien Macht über die Orks zu besitzen. Eben noch hatten sie verängstigt auf dem Boden gekauert, und zuvor waren sie Sarumans, nicht Saurons Diener gewesen, doch jetzt griffen sie auf den Befehl des Hexenkönigs zu den Waffen und griffen die Elben erneut an.
"Faerwen!", schrie Oronêl, und Finelleth schlug die Augen auf, packte ihr fallengelassenes Schwert und war einen Herzschlag später auf den Beinen. Im selben Moment stand der Hexenkönig vor ihr, und führte einen mächtigen Schlag, den sie nur mit Mühe parieren konnte. Oronêl wollte zu ihr, ihr helfen, und aus den Augenwinkeln sah er, dass auch Mathan es versuchte, doch beide wurden von den Orks zurückgehalten, die ihnen ohne Rücksicht auf die eigenen Verluste den Weg versperrten. Der Hexenkönig drängte Finelleth, die sich nach Kräften wehrte, gegen die Wand der Schmiede, und es war nur eine Frage der Zeit, wie lange sie ihm noch widerstehen konnte. Oronêl schickte verzweifelt Ork um Ork zu Boden, doch werde er noch Mathan schafften es. Es war Aéd, der seinen Mut wiedergefunden hatte, der es als erstes zum Hexenkönig schaffte. Er führte einen Streich von hinten gegen die Beine des Hexenkönigs - oder die Stelle, wo bei einem Menschen die Beine unter dem Umhang gewesen wären. Doch sein Schlag ging durch den Mantel und den Hexenkönig wie durch Luft. Er verlor das Gleichgewicht, und der Hexenkönig versetzte ihm mit der gepanzerten Faust einen mächtigen Schlag gegen die Magengrube, der Aéd rückwärts schleuderte. Der junge Dunländer prallte gegen den steinernen Tisch und glitt an ihm neben seinem Vater bewusstlos zu Boden.
Der nächste Schlag des Hexenkönigs prellte Finelleth ihr Schwert aus der Hand, und mit dem Schwertknauf versetzte er ihr einen Hieb, der die Elbin gegen die Wand der Schmiede schleuderte, an der sie ebenfalls ohne Bewusstsein liegen blieb. Aus ihrer schlaffen Hand fiel etwas goldenes, hüpfte über den steinernen Boden, und blieb zwei Schritte von der Glut der Schmiede entfernt liegen. Oronêl streckte seinen letzten Gegner nieder, und trat zwischen den Hexenkönig und die Schmiede.
"Du wirst dieses Ding nicht bekommen", sagte er. Der Hexenkönig lachte, und es war das schrecklichste Geräusch, dass Oronêl jemals vernommen hatte. Doch dann spürte er Celebithiel neben sich, und sie sagte fest: "Du wirst ihn nicht bekommen."
Der Hexenkönig lachte erneut, und sagte dann: "Sehr gut... gib ihn mir, Mädchen."
Oronêl warf einen raschen Blick über die Schulter, und sah dort zu seinem Entsetzen Kerry stehen. Wie oder warum sie dorthin gekommen war, wusste er nicht. Doch sie stand dort, den Blick fest auf den Ring vor ihr auf den Boden geheftet.

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Ténawen, wisperte eine verlockende Stimme in Kerrys Hinterkopf. Während des Kampfes war sie untergetaucht, hatte sich in einem Winkel der Schmiede versteckt und abgewartet, voller Sorge darüber, was geschehen würde. Doch dann sah sie erst Aéd fallen, und dann Finelleth. Da hielt es sie nicht mehr in ihrem Versteck. Kerry lief los und duckte sich unter dem Schlag eines Orks hinweg. Überrascht von ihrer eigenen Wildheit zog ihr kleines Schwert eine blutige Spur über das Gesicht des Monsters und Kerry hastete weiter. Weiter, weiter! Da lag Finelleth, scheinbar unverletzt, doch ein Ork stand über ihr und hob seine Waffe, eine hässliche, stachelbesetzte Keule. Mit einem Aufschrei warf sich Kerry vorwärts. Ihr Schwert prallte von der Panzerung am Arm des Orks ab, doch sein Schlag ging daneben. Ehe einer der beiden reagieren konnte, sauste ein Pfeil Halarîns an Kerry vorbei und traf den Ork mitten in die Kehle. Gurgelnd brach er zusammen.
Ein heller Ton ließ Kerry herumfahren. Finelleth hatte etwas fallen gelassen. Der Ring, schoss es Kerry durch den Kopf. Sie machte unbewusst einen Schritt darauf zu und bekam kaum mit, wie Oronêl zwischen den furchterregenden Anführer der Orks und die Schmiede trat. Da liegt er, ganz nah am Feuer, dachte Kerry als sie näher kam. Alle Gedanken an Aéd oder Finelleth waren vergessen. Jetzt war sie ganz nah. Ihre Hand näherte sich dem Ring als sie vorsichtig den Arm danach ausstreckte und in die Knie ging. Ténawen, wisperte die Stimme. Und vor Kerrys innerem Auge tauchten verschwommene Bilder auf: Eregion stand in voller Blüte und wurde von einem neuen Volk bewohnt. Über die Wiesen Rohans galoppierten weiße Rösser. Und die Mauern Fornosts erstrahlten im neuen Glanz. Kerry ahnte, dass sie all diese Dinge wahr werden könnte, wenn sie den Ring nahm. Den Ring der Macht. Ihre Finger streiften das Gold. Sie war kurz davor, so kurz davor, ihn aufzuheben und auf den Finger zu stecken.... doch dann schreckte sie zurück. Es gab einen Preis, wurde ihr klar. Ihre Familie. Sie würde sie verlieren, wenn sie den Ring nahm. In einem Moment völliger Klarheit erkannte Kerry die Wahl, die vor ihr lag.
Und wie so oft handelte sie impulsiv. Sie ließ sich rückwärts fallen - und trat den Ring mit aller Kraft von sich. Einem goldenen Blitz gleich verschwand er in der Hitze des Schmiedefeuers.

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Drei, vier rasche Hiebe hatte der Herr der Nazgûl ausgeteilt, und Oronêl hatte schnell erkannt, dass er viel schneller als er und Celebithiel war. Es musste die Nähe seines Ringes sein, die den Hexenkönig so antrieb und beflügelte. Einen Schlag konnte er mit Hatholdôr parieren, doch die Wucht des Hiebes ließ seinen ganzen Arm ertauben, und der nächste schlug ihm die Waffe aus der Hand und ließ ihn zur Seite taumeln und zu Boden stürzen. Celebithiel, die von innen heraus zu leuchten schien, hielt einen Herzschlag länger durch als er, doch dann traf der Hexenkönig sie am Schwertarm. Sie ließ die Waffe fallen, und presste die Hand auf die Wunde - zwischen ihren Fingern quoll Blut hervor. Der Hexenkönig schrie, zuerst entsetzt, und dann triumphierend, und als Oronêl mühsam den Blick in Richtung der Schmiede hob, erkannte er den Grund dafür. Kerry hatte den Ring mit einem tritt ins Feuer befördert, doch die Glut war nicht länger heiß genug und die Kohle glühte nur noch in einem hellen Orange und nicht länger weiß. Der Hexenkönig machte einen Schritt nach vorne, an Celebithiel vorbei, doch im selben Moment sirrte etwas durch die Luft und sein schwarzer Umhang fing Feuer. Am anderen des Schmiedefeuers stand Halarîn, die dort ihren letzten Pfeil in Brand gesetzt und auf den Nazgûl abgeschossen hatte, und hinter ihr Mathan, der mit ganzer Kraft den Blasebalg auf und ab bewegte. Einen Augenblick stand der Hexenkönig stumm und wie erstarrt da, während sich das Feuer langsam über ihn ausbreitete und die Glut um den Ring mit jedem Stoß des Blasebalgs immer heller wurde, bis die Kohle schließlich wieder weiß glühte. Da stieß der Hexenkönig einen entsetzlichen Schrei aus, voller Verzweiflung, Wut und Entsetzen wie der zuvor, als der andere Ring geschmolzen war, und sein Ring glühte im Feuer auf, wurde weich, und zerschmolz. Der noch intakte Edelstein zerbrach, und verschwand zwischen den Kohlen.
Der Hexenkönig stand, und der Schrei dauerte an - einen Herzschlag, zwei, drei. Kerry lag vor der Schmiede auf dem Rücken, die Hände gegen die Ohren gepresst, und eine einzelne Träne lief aus ihrem rechten Auge. Und schließlich, mit einem Mal, endete der Schrei. Die brennenden Gewänder des Hexenkönigs sackten zusammen, als hätte die Macht, die sie aufrecht gehalten, sie verlassen, und das fahl schimmernde Schwert fiel klirrend zu Boden. Der Hexenkönig war nicht mehr, und dieses Mal würde er nicht mehr wiederkehren. Auch die Orks waren sämtlich tot oder geflohen.

Nach einem Moment der Stille rappelte Kerry sich auf, und ging langsam und mit steifen Schritten auf Mathan und Halarîn zu. Dann fiel sie Halarîn in die Arme, die ihr nur stumm über das Haar strich, ohne ein Wort zu sagen.
Oronêl zog sich trotz der Schmerzen in seinem Rücken über den blutigen, staubigen Boden zu Finelleth hin, sie noch immer zusammengesackt an der Wand lehnte, offenbar ohne Bewusstsein. Er zog sie sanft in seine Arme und rief sie leise an: "Faerwen! Faerwen!" Er strich ihr mit zwei Fingern über die feuchte Wange, von Tränen und Schweiß, und küsste sie leicht auf die Stirn. "Wach auf, Faerwen. Dein Feind ist dahingegangen, und er wird nicht wiederkehren. Deine Aufgabe ist erfüllt."
Finelleths Augenlieder flatterten, sie tat einen tiefen Atemzug, und blickte Oronêl ins Gesicht. "Vater, bist du..." Sie schloss die Augen, atmete tief durch und schien zu begreifen, wo sie war. "Nein, Oronêl. Haben wir gesiegt?"
"Das haben wir", bestätigte Oronêl, und spürte, wie ihn bei diesen Worten eine endlose Erleichterung durchströmte. "Für heute haben wir gesiegt - dank Kerry, und Mathan und Halarîn, und Celebithiel, Adrienne und Aéd und... Forath." Bei Foraths Namen zögerte er kurz, und spürte, wie ihn Müdigkeit überkam.
"Forath ist... verwundet worden", sagte er langsam. "Ich sollte zu ihm gehen." Finelleth nickte langsam, doch er konnte ihr die Schmerzen ansehen. "Ich komme einen Moment alleine zurecht. Geh nur."
Mühsam stand er auf, und ging langsam in die Mitte des Raumes zu dem steinernen Tisch hinüber, wo, Forath noch immer lag. Aéd kniete neben ihm, und hielt die Hände seines Vaters in seinen. Als Oronêl sich auf die andere Seite kniete, öffnete Forath kurz die Augen, und sah ihn an. Doch Oronêl konnte die schreckliche Wunde in seiner Brust sehen, und auch, dass Forath bereits Blut aus den Mundwinkeln geflossen war.
"Brigit hatte... das vorhergesehen", sagte Forath langsam und leise. "Aber sie... hat mich trotzdem... gehen lassen, denn... es musste sein. Und welcher... meiner Vorfahren kann sich... schon rühmen, zu... solchem Zweck... gestorben zu sein, he?" Er lachte kurz und erstickt, und das Lachen ging am Ende in einen Schmerzenslaut über. "Es tut... mir leid um sie... und die Kinder... aber... ich bereue... nichts." Mit bereits trüben Augen blickte er seinen Sohn an, und seine Mundwinkel verzogen sich noch einmal zu einem Lächeln.
"Auf Wiedersehen... mein Sohn. Jetzt... musst du... sie führen. Vereinige... sie... Vereinige... sie." Dann atmete Forath noch einmal rasselnd ein, und schloss die Augen. Und der Häuptling der Dunländer war tot.
Aéd schloss die Augen, und als er sie wieder öffnete, waren sie zwar voller Trauer, aber auch Entschlossenheit. "Ich werde ihn nach Hause bringen müssen, und dann..." Er schluckte, und Oronêl legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Und dann werde ich seinen letzten Wunsch erfüllen. Um jeden Preis."
Gerade als er ausgesprochen hatte, war aus dem Südteil des Vorraumes, der von Schränken und Regalen blockiert war, ein Geräusch zu hören. "Noch mehr Orks?", fragte Aéd, doch Oronêl schüttelte langsam den Kopf. Sein Blick fand Mathan, der sich aus der Umarmung mit Kerry gelöst hatte und langsam aufgestanden war.
"Das glaube ich nicht. Das... ist etwas anderes."
Titel: Der Schläfer
Beitrag von: Curanthor am 7. Mär 2017, 21:38
Mathan hatte die Silmacil gerade in die Schwertscheiden zurückgestoßen und runzelte die Stirn. Der Kampf in der Schmiede war heftig gewesen und er hatte aufgehört zu zählen wie viele Gegner er getötet hatte. Sein Blick verharrte kurz auf den toten Häuptling und dessen Sohn. Aéds Blick war schwer zu deuten, als Mathan sich in Bewegung setzte. Ein weiteres Poltern ertönte aus dem dunkleren Bereich, der von Regalen dominiert war. Sofort zog er seine Ráneceti und winkelte die Waffen leicht an, aus dem Augenwinkel sah er Adrienne einen Schritt nach vorn machen. Der Kampf gegen den Hexenkönig hat sie stark verschreckt, dennoch schien sie bereit sein erneut zu kämpfen. Die meisten seiner Gefährten waren verwundet, so bedeutete er ihnen, dass er selbst die Lage überprüfen würde. Kurz drehte er sich um und sah, dass Halarîn sich um die Verwundeten kümmerte. Erleichtert fokussierte er sich auf die Dunkelheit. Die kurze Atempause tat ihm gut und so genoss er für einen Moment die Stille, welche aber erneut von einem Poltern unterbrochen wurde. Ein mettallisches Schleifen ertönte aus der Dunkelheit. Mathan spannte sofort seine Muskeln und die leisen Gespräche seiner Gefährten verstummten. Das Schleifen kam näher, Funken erschienen in der Dunkelheit und ließen eine schlanke Gestalt erkennbar werden. Mathan runzelte die Stirn, denn nach der Erscheinung des Hexenkönigs war dies nicht so beängstigend wie es eigentlich gewesen wäre.
"Räuber.... Diebe...", ertönte ein Krächzen. Die Stimme klang rau und so, als ob sie eine lange Zeit nicht gesprochen hatte, "Dunkelheit..."
Mathan hörte, dass sich seine Gefährten erhoben hatten, doch er hob den Arm um sie zurückzuhalten. Leise schlug er die Klingen seiner Schwerter einander und der verhüllte Schatten hob ruckartig den Kopf. "Diebe... Sterbt!", schrie die Gestalt nun und trat in den schummrigen Schein der Schmiedefeuer.
Zuerst erblickte Mathan eine schlanke Klinge, die eine enorme Länge aufwies, eine gepanzerte Hand umklammerte einen längeren Holzstab. Es sah aus wie ein Schwert auf einen Stock aufgesteckt. Rubine funkelten in dem Handschutz, der ebenfalls wie eine Klinge geformt war. Ein schmutziges, zerrissenes Tuch war um den Kopf gewickelt, was Mathan zuvor für eine Kapuze gehalten hatte. Vor ihm stand ein hochgewachsener Krieger in einem schwarzen, abgenutzten Lamellenpanzer. Tiefe Schrammen waren in das Metall gedrückt, dutzende Kerben und Kratzer prangten auf dem Metall. Dennoch schien es elbische Arbeit zu sein, so wie der Rest, der Waffen den der schwer gerüstete Krieger trug: Auf dem Rücken des Kriegers ruhte ein fein gearbeitetes Großschwert, eine Lanze daneben, an seiner Hüfte hingen auf der linken Seite zwei Schwerter, auf der rechten Seite baumelte ein Anderthalbhänder; in dem Schuppengürtel steckten drei Dolche.
Ehe irgendjemand reagieren konnte ging der Fremde sofort zum Angriff über. Er ist schnell, schoss es Mathan durch den Kopf als er mit gekreuzten Klingen den gewaltigen Hieb auf seinen Kopf abfing.
"Er werdet hier nichts finden... nur den Tod", wisperte der Krieger dumpf durch den Helm, den Mathan nun erblickte. Er wies nur zwei Schlitze auf, die ein Kreuz bildeten über Augen, Nase und Mund. Ein Fußtritt ließ Mathan zurückspringen, doch der Krieger war sehr erfahren und stach mit seiner Schwertlanze sofort nach. Die schlanke, lange Klinge zerschnitt Mathans ledernen Schulterpanzer und ließ ihn fluchen. Er rollte sich zur Seite ab und hieb mit beiden Händen nach den Beinen des Kriegers, der nun einen Hüpfer machte und dabei nach unten schlug. Instinktiv riss Mathan seine Ráneceti nach oben. Dann geschah Etwas, womit er nicht gerechnet hatte: Ein splitterndes Klirren ertönte. Feine Metallstücke regneten auf ihn herab. Einen Moment starrte Mathan fassungslos auf das zerbrochene Schwert in seinen Händen. Es war die unbeschädigte Waffe gewesen, die nun bis zum Heft zerbrochen war. Zu seinen Glück hatte er keine Splitter im Gesicht, doch war keine Zeit dazu sich darüber zu wundern, denn ein Fußtritt schickte ihn zu Boden. Die kalte Klinge des Kriegers legte sich auf Mathans Kehle. Halarîn stieß einen gellenden Schrei aus und legte alle Kraft in das eine Wort: "Nein!" Sie stieß Celebithiel beiseite und stürmte auf die beiden Kontrahenten zu, das blau funkeltende Schwert erhoben. Der fremde Krieger reagierte erneut sehr schnell und drehte sich sofort um und starrte in die silbernen Augen von Halarîn. Diese hieb nun wutentbrannt auf den Fremden ein, sodass beide Klingen funken stoben.
"In der... Dunkelheit... ich sehe... Licht", stieß der Gerüstete zwischen jeden Hieb hervor und wurde durch die wütende Halarîn zurückgetrieben. Scheinbar schien er überrascht, doch er fing sich rasch und blieb stehen. Mathan rappelte sich auf und warf die nutzlosen Schwerter beiseite, zwischenzeitlich ging der Fremde nun wieder zum Gegenangriff über und trieb Halarîn wieder zurück. Die Klingen wirbelten nur so umher, bis Halarîns silberner Schimmer in den Augen wieder erlosch, dennoch schaffte sie es den Krieger die Waffe aus der Hand zu schlagen. Plötzlich schrie seine Frau auf und hielt sich schützend die Arme vor dem Bauch. Eine verborgene Klinge im Armschützer des Kriegers schimmerte blutig, während dieser ruhig den Anderthalbhänder sog. Ein einzelner Blutstropen Halarîns löste sich von der Klinge und ließ Mathan rot sehen. Ein tiefes Knurren entrang sich seiner Kehle und Etwas schien in seinem Kopf zu platzen.

Halarîn taumelte zurück und ließ das Schwert fallen, sogleich erfasste sie ein kalter Hauch wie eine Welle, was sie aufblicken ließ. Mathans Gesicht war emotionslos erstarrt, mit weit aufgerissenen Augen sprang er vor und fing die Klinge des Kriegers ab, der sie angreifen wollte. Dabei spürte Halarîn die Kälte von ihrem Mann ausgehend und nahm ihre Hand von dem Bauch und stellte erleichtert fest, dass es nur ein oberflächlicher Schnitt war. Doch Mathan wirbelte nun wie wild umher und ließ dutzende Schläge auf den Fremden niederprasseln, der scheinbar jede Bewegung zu erahnen schien. Dabei bemerkte sie, dass ihr Mann oft den Griffstil wechselte, schließlich fügte er die Silmacil zu einer Klinge zusammen und stellte sich schützend vor sie.
"Niemand rührt meine Familie an", zischte Mathan feindselig und ging erneut zum Angriff über. Die Kälte mischte sich mit der Wärme der Schmiedefeuer was eine merkwürdige Mischung gab. Dennoch empfand Halarîn die Kälte nicht als furchteinflößend wie beim Hexenkönig. Der fremde Krieger hatte nun größere Mühe die Schlage abzuwehren und nach dutzenden Hieben und Paraden gewann Mathan langsam die Oberhand. Dabei bewegten sie sich so schnell, dass Halarîn feststellte, dass ihr Mann seine gesammte Erfahrung einsetzte. Jede Schritt war bewusst und kraftsparend, während das das Lied der Klingen hatte einen merkwürdigen Rhytmus gefunden hatte.

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Mathan keuchte und blockte einen Rückhandhieb des Kriegers, dessen Tuch immer weiter verrutschte. Die Kälte durchströmte nun seinen ganzen Körper und auf der Klinge des Fremden bildeten sich bei jeden Aufschlag feine Eiskristalle, die umhersprizten. "So kalt... so leblos...", wisperte der Krieger und taumelte für einen Moment. Mathan nutzt die Chance sofort und machte einen Ausfall auf die Beine, womit der Krieger stürtzte. Sofort rollte er sich über die Seite ab, trotz der Waffen auf den Rücken, dabei ließ der Kerl den Anderthalbhänder fallen und zog die zwei Schwerter. Mathan schnaubte und trennte die Silmacil, während sie sich einander umkreisten. "Mir geht's gut!", hörte er Halarîn beruhigend rufen. Sie befand sie weiter hinten bei Kerry, die ihr sorgenvoll die Hand hielt. Rasch blickte er wieder zu dem Fremden.
"Alles ist ... leblos", flüsterte dieser leise und taumelte erneut.
Mathan reckte das rechte Schwert und hob das Linke zum Stich, kurz wartete er einen Herzschlag. Dann stach er zu und schlug nach dem Kopf. Der Krieger duckte sich unter der einen Klinge und blockte die Zweite mit seinen beiden Schwertern. Mathan drehte sich an ihm vorbei, was ihn aus dem Gleichgewicht brachte, der Konter des Mannes ging fehl. Mathan stieß mit einem Rückhandhieb dem Krieger die Silmacil in die Rüstung, konnte sie aber nicht durchschlagen.
"Kälte... Flammen... eine Stadt", wisperte der Krieger erneut und ließ die Schwerter klirrend fallen. Er taumelte und hielt sich am Kopf, wobei das Tuch herunterrutschte. Der Helm war zur Hälfte verzogen und verbeult. Eine aufgebrochene Stelle an Augenpartie zog Mathans Blick an. Ein einzelnes Auge starrte ihn an. Es war milchig weiß und tot. "Leblos...", wisperte der Krieger erneut und zog langsam die Lanze von seinem Rücken. Mathan rann der Schweiß von der Stirn, was er schon eine lange Zeit nicht mehr gespürt hatte und brachte sich wieder zwischen den Krieger in seinen Gefährten.
"Egal was du vorhast, meine Familie und Gefährten wirst du nicht angreifen. Das ist eine Sache zwischen dir und mir... nicht wahr?", fragte Mathan nachdenklich und blickte zu Halarîn, die der Krieger wohl ernster verwunden könnte, wenn er denn gewollte hätte. Er bekam keine Antwort und packte seine Schwerter fester. Sogleich sprang der Krieger auf ihn zu und stach mit dem Speer nach seiner Brust. Mathan machte eine Drehung auf einem Bein und ließ die Lanze an sich vorbeizischen. Zeitgleich schlug er mit beiden Schwertern nach dem Kopf seines Gegners... und traf. Ein Ruck ging durch den Körper des Kriegers, der nach vorn fiel. Dabei löste sich der Helm und braunes Haar ergoss sich über die Lamellenrüstung. Sofort rollte sich der Krieger ab, verlor dabei aber die Lanze. Mathan erstarrte und zögerte kurz, doch die emotionslosen Augen ließen ihn instinktiv handeln.
"Alles verloren...", sprach der helmlos Elb nun und starrte mit totem Blick durch den Raum. Er runzelte die Stirn und tastete sich über das Gesicht und reckte dann die gepanzerten Hände nach Mathan. Doch dieser sprang vor und schlug mit der Breitseite der Silmacil gegen die Stirn des Elben. Dieser fiel zu Boden und regte sich nicht.

"Wer...", begann Halarîn doch sie verstummte sofort als sie in dem Schein der Schmeidefeuer das Gesicht des Elben erblickte, "Ioristion!"
Die braunen Haare lagen wild auf dem Boden, das Gesicht des Elben war auf der rechten Seite komplett verbrannt und doch war die Ähnlichkeit mit Mathan nicht zu übersehen. Die Augen des Elben flatterten, doch die milchigen Augen starrten noch immer emotionslos, als er langsam sprach: "Ioristion... das bin... ich."
Mathan setzte sich im Schneidersitzt neben den Elben und strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht. Er seufzte leise und sagte leise: "Vielleicht erinnerst du dich an diesen Namen eher, Amarin."
Der Blick wurde langsam klar, jedoch nur in dem linken Auge. Der Schleier schwand langsam und der halb entstellte Elb runzelte die Stirn. "Amarin und...Irloê, nein Ringelendis", verbesserte er sich und riss nun das gesunde Auge auf. Es war die erste deutliche Gefühlsregung und er wollte sich erheben, doch Mathan hielt ihn zurück.
"Vater, es ist alles gut...", sagte er leise und bemerkte, dass Adrienne den Mund offen stehen hatte vor Erstaunen, "Es ist nicht alles verloren. Ich bin hier; deine Familie."
"Mein Sohn...", Die Stimme des Elben normalisierte sich und sein gesundes Auge fixierte Mathan, der nun mit feuchten Augen lächelte. Er nickte und blinzelte einzelne Tränen fort und half seinem Vater auf, der dabei das Großschwert zur Seite legte.
"Du bist groß geworden", war das Erste, was Amarin sagte und blickte zu Boden, "Und du hast meinen Geist vom Schatten befreit. Es tut mir leid, dass ich euch angegriffen habe. Mein Verstand war getrübt durch üble Zauber, doch die Liebe zu seinen eigenen Kind ist stärker als jeder Fluch", sprach der alte Elb und drehte sich halb zu Halarîn, "Es tut mir leid, ich wollte dich nicht verletzen, Mädchen." Die Elbe hatte inzwischen einen Verband um die Wunde gelegt und nickte nur als Zeichen, dass sie die Entschuldigung angenommen hatte. "Durch die Zerstörung der Ringe wurde ich aus meiner Starre gerissen. Und doch überrascht es mich, dich hier zu treffen... aber irgendwie auch nicht"
Mathan lächelte matt und legte seinem Vater eine Hand auf die gepanzerte Schulter. "Und ich dachte, du wärst nicht mehr am Leben. Wie-" Er wurde von Amarin unterbrochen, der noch immer sehr schwach wirkte: "Deine Mutter, sie hat mich gerettet und hierher gebracht. Leider konnte auch sie nicht helfen mit dem... Schatten." Mathans Vater warf einen Blick zu den restlichen Gefährten und fixierte mit dem gesunden Auge wieder seinen Sohn, als er erschöpft sagte: "Wir werden noch viel zu besprechen haben, aber ich muss ruhen, denn mein Geist ist noch immer getrübt. Ich will kein Risiko eingehen erneut in den Schatten zu fallen."
Halarîn legte Mathan eine Hand auf dem Arm, während er nickte und antwortete: "Wir werden reden wenn du soweit bist, Vater. Es ist schön, dass du hier bist."
Sogleich legte sich Amarin einfach auf dem Steinboden nieder und schloss die Augen, ohne sich um den Staub zu kümmern. Adrienne kam vorsichtig herüber und musterte den alten Elben, in durch Gesicht sich die Brandspuren zogen, die er sich irgendwo zugezogen hatte. Dennoch wagte sie nicht danach zu fragen, auch wenn Mathan ahnte, woher diese Verwundung stammte.
"Was bedeutet "Ioristion", fragte ihn seine Schülerin schließlich und kam somit Kerry zuvor, die offensichtlich ebenfalls etwas fragen wollte.
"Sohn der Alten Lehre", antwortete er leise und blickte in das Gesicht seines Vaters. Abgesehen von der Brandwunde wirkte der Elb friedlich, wenn sich auch Sorgenfalten um die Mundwinkel des Elben gegraben hatten. Nachdenklich strich Mathan über das Amulett seiner Mutter und fragte sich, was sie wohl sonst noch vollbracht hatte, von dem er nichts ahnte.
Titel: Auswirkungen
Beitrag von: Fine am 8. Mär 2017, 13:47
Kerry blickte staunend zu Mathan hinüber, der seinen Umhang zusammengerollt hatte und den Kopf seines Vaters sachte darauf bettete. Sie hatte nur wenige Augenblicke des Kampfes der Elben mitbekommen, doch sie war froh, dass Mathan seinen Vater nicht getötet hatte und dass keiner der beiden ernsthaft verletzt worden war. Die Schrecken der Ereignisse an der Schmiede lastete jedoch noch immer auf Kerry, auch wenn nun erst einmal Ruhe eingekehrt zu sein schien. Sie fühlte sich unwohl in dem großen Raum, der von der schwindenden Glut der Schmiede nur noch wenig erhellt wurde. Halarîn kam zu ihr hinüber und nahm Kerrys Hand und drückte sie. "Es ist vorbei," sagte die Elbin tröstlich. "Wir haben es geschafft."
"Der Ring ist fort," sagte Kerry leise. "Er war... zum Greifen nahe, und fast hätte ich ihn genommen. Ich weiß nicht, was dann geschehen wäre - ob ich ihn dem Schatten gegeben hätte, oder behalten hätte; ich weiß es nicht."
"Das musst du auch nicht wissen. Ich bin stolz auf dich, Morilië. Du hast das Richtige getan."
Kerry ließ den Blick über die toten Orks schweifen und verzog das Gesicht. "Dieser Ort ist ein Ort des Todes. Wir sollten hier nicht bleiben," meinte sie.

Sie löste sich von Halarîn und ihr Blick blieb an Aéd hängen, der neben seinem gefallenen Vater kniete und stumm zu Boden blickte. Vorsichtig ging Kerry zu ihm hinüber und legte ihm die rechte Hand auf die Schulter. Sie spürte, wie sein Körper vor unterdrückter Trauer erzitterte.
"Es tut mir so leid," sagte sie leise und traurig. "Er hat dieses Schicksal nicht verdient."
Aéd blickte zu ihr auf und in seinen Augen lag ein Ausdruck, den Kerry nicht ganz verstand. "Nein, Kerry. Es war seine Wahl, herzukommen. Er... war ein großer Anführer und ein mächtiger Krieger. Und er hat mir eine schwere Bürde hinterlassen. Ich muss ihn nach Hause bringen, und dann..." er brach ab.
"Wenn es deine Wahl ist, wirst du Foraths Erbe antreten," sagte Oronêl, der lautlos hinzugetreten war. "Und ich werde dir meine Hilfe anbieten, solltest du sie annehmen. Auch ich habe nun eine Schuld Forath gegenüber."
Aéd straffte sich und stand auf. Dann ergriff er Oronêls angebotene Hand. "Ich werde deine Hilfe nicht ausschlagen, Oronêl. Danke, Freund." Sein Blick streifte Kerry, die ihm ein ermutigendes Lächeln schenkte, trotz all der Schrecken, die sie gesehen hatte. Und in diesem Moment kam es ihr so vor, als würde ein Teil der lähmenden Trauer von Aéd abfallen.

Finelleth lehnte mit dem Rücken gegen die steinerne Wand und betastete vorsichtig ihren geschundenen Körper. Der Angriff des Hexenkönigs hatten einen tiefen Schnitt auf ihrer Wange hinterlassen. Kerry kniete sich neben die Waldelbin und tupfte das Blut vorsichtig mit einem Stück Verband weg, den Halarîn ihr gegeben hatte. "Wie fühlst du dich?" fragte sie Finelleth mitfühlend.
"Als wäre eine Horde Höhlentrolle über mich hinweg getrampelt," antwortete Thranduils Tochter. "Hab' mich schon besser gefühlt. Aber das wird schon wieder." Ein kleines, tapferes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
"Komm, ich bring' dich hier raus," schlug Kerry vor.
"Gute Idee," sagte Finelleth. "Kann's kaum erwarten, wieder an der frischen Luft zu sein."
Kerry stützte die Elbin und sie folgten Oronêl, Adrienne und Celebithiel durch die alte Schmiede bis nach draußen, wo sie Spuren der Orks fanden, die sich vor dem Eingang zum Angriff gesammelt hatten. Doch als Kerry Finelleth vorsichtig im weichen Gras absetzte hörte sie, wie Oronêl und Celebithiel ihre Waffen zogen und schreckte hoch. Ein grauenvolles Geräusch ertönte als hinter einer der verfallenen Ruinen der Elbenstadt eine geflügelte Bestie auftauchte.
"Das muss das Reittier des Hexenkönigs sein!" rief Oronêl. "Gebt acht, es kommt näher!"
Adrienne stellte sich neben ihm, das Schwert fest in beiden Händen. "Ich kenne diese Viecher," stieß sie zwischen zusammgebissenen Zähnen hervor. "Achtet auf seinen Schwanz, falls es damit zuschlägt!"
Kerry stellte sich schüzend vor Finelleth und hielt ihr Schwert in Richtung des albtraumhaften Wesens. Die Bestie richtete sich zu voller Größe auf und spannte die ledernen Flügel weit. Ein drohendes Knurren ertönte als das Tier sein Maul öffnete und die spitzen Zähne zeigte. Doch noch machte es keine Anstalten, die Elben anzugreifen.
"Sein Meister ist fort, das muss es durcheinander gebracht haben," vermutete Celebithiel, deren silberne Rüstung noch immer vom schwarzen Blut der Orks befleckt war.
"Geben wir ihm keinen Grund, uns anzugreifen," rief Oronêl und bewegte sich langsam und vorsichtig in Richtung des Eingangs, durch den sie gekommen waren. Das Reittier kam einen Schritt näher und musterte die kampfbereiten Elben einen langen Augenblick. Dann stieß es ein Brüllen aus und schwang sich mit einem riesigen Satz in die Luft. Dreimal kreiste es über der Schmiede, ehe es in nordwestlicher Richtung fliegend verschwand.

Kerry atmete erleichtert auf. Sie hatte befürchtet, dass es erneut zum Kampf kommen würde. Und Oronêl und Celebithiel waren vom Gefecht in der Schmiede erschöpft und verletzt. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie die Sache ausgegangen wäre.
"Das war knapp," rief Oronêl.
"Zu knapp," murmelte Finelleth, die noch immer im Gras saß und trotz ihres Zustandes ein Wurfmesser in der Hand hielt.
"Ich bin froh, dass dieses Untier fort ist," sagte Kerry, gerade als Halarîn mit gespanntem Bogen durch den Eingang geeilt kam. Mit einem Blick erfasste die Avari-Elbin die Lage und nahm den Pfeil wieder von der Sehne.
"Wir haben drinnen ein Brüllen gehört," rief sie atemlos. "Was ist geschehen?"
Oronêl erklärte ihr, was sich zugetragen hatte. "Wir haben Glück gehabt," schloss er. "Wo sind Mathan und sein Vater?"
"Noch immer bei der Schmiede," antwortete Halarîn. "Wir werden einige Zeit hier bleiben, bis Amarin sich wieder soweit erholt hat, dass wir ihn fortbringen können."
Kerry verzog das Gesicht. "Ich mag diesen Ort nicht," sagte sie leise. "Ich würde gerne woanders auf nésa und ihr Volk warten - gibt es hier in der Elbenstadt kein Haus, wo wir uns aufhalten können?"
"Ich fürchte, hier hat seit Jahrtausenden niemand mehr gelebt," sagte Celebithiel. "Die Schmiede ist wohl das einzige Gebäude, das noch halbwegs erhalten ist."
Aéd erschien im Eingang und trug seinen gefallenen Vater über der Schulter. Kerry fiel erstaunt auf, wie stark der junge Wolf war. Er legte Forath vorsichtig auf einem großen flachen Felsen ab und kam dann zu Kerry hinüber. "Du könntest mit mir kommen," schlug er dann vor. "Mich für ein paar Tage nach Dunland begleiten. Oronêl wird auch gehen, und er kann dich anschließend wieder hierher bringen."
Kerry suchte Halarîns Blick, und als diese zustimmend nickte sagte sie: "Das ist eine schöne Idee, Aéd."
"Bis du wieder hier bist wird sich Mathans Vater bestimmt erholt haben," sagte Halarîn. "Aber bleib nicht zulange weg, hörst du? Und du -" sie tippte Aéd energisch auf die Brust, "Komm ja nicht auf dumme Gedanken, hast du verstanden?"
"Wie meinst du das?" fragte Kerry verwundert, doch gleichzeitig sagte Aéd ernst: "Du hast mein Wort, Edle." Er machte eine kurze Pause und sagte: "Wir sollten sowieso etwas rasten ehe wir aufbrechen. Ich glaube, ehe wir uns nicht einige Stunden ausgeruht haben, ist keiner von uns in der Lage, große Strecken zurückzulegen."
"Du hast recht," sagte Oronêl.

Ein angenehm kühler Wind rauschte durch Kerrys Haar und verwirbelte es, während er den Gestank von Tod und Schrecken davonwehte. Keine Wolke zeigte sich am blauen Himmel und die helle Sonne sorgte dafür, dass die Schatten aus ihren Gedanken verschwanden. Der Ring war fort, und mit ihm war einer der mächtigsten Diener des Dunklen Herrschers für immer in die ewige Leere verbannt worden. Doch der Preis war hoch gewesen. Als Kerry an Foraths Familie dachte, verspürte sie einen Stich in ihrem Herzen. Was würden Lynet und die kleine Eryn sagen, wenn sie vom Schicksal ihres Vaters hören würden? Kerry wollte es sich gar nicht vorstellen. Umso wichtiger war es nun, dass sie Aéd begleitete, und ihm half, die traurige Nachricht zu überbringen und seiner Familie Trost zu spenden. Und genau das werde ich tun, dachte sie entschlossen.


Oronêl, Finelleth, Kerry, Celebithiel und Aéd nach Dunland (http://modding-union.com/index.php/topic,6166.msg454506.html#msg454506)
Titel: Familienangelegenheiten
Beitrag von: Curanthor am 8. Mär 2017, 22:13
Nachdem die restlichen Gefährten die Schmiede verlassen hatten, blieben Mathan, Halarîn und Adrienne recht schweigsam. Sie blickten hin und wieder mit einer gewissen Sorge in den Augen zu Amarin, der noch immer schlief. Mathan hatte inzwischen in einer Kiste im den dunkleren Teil der Schmiede dutzende Fackeln gefunden. Sorgsam entzündete er sie und erhellte somit die finsteren Teile der untersten Etage. In der Zwischenzeit war Halarîn mit Adrienne kurz nach oben geeilt weil sie Etwas gehört hatten, kehrte aber nach einer kurzen Zeit wieder zurück. Etwas überrascht blickten sie sich um und lächelten darüber, dass es nun hier unten heller war als zuvor. Adrienne suchte sich sofort etwas Beschäftigung und beseitigte die dutzenden Leichen der Orks und Uruks. Ächzend zog sie die leblosen Körper in eine nicht genutzte Ecke, wobei sie immer darauf achtete, nicht ihre Hände zu sehr zu beschmutzen. In einer kurzen Pause blickte sie zu ihren Lehrer herüber, der gerade die letzten Fackeln an die Wände hängte. "Was sollen wir mit dem Haufen machen? Hier liegenlassen geht wohl schlecht", fragte die Gondorerin und packte einen weiteren Ork. Mühsam zog sie den Körper über den Boden und hievte ihn auf einen der Haufen, die sie bereits aufgestapelt hatte. Mathan dachte kurz nach, wurde aber von einem tiefen Seufzen abgelenkt. "Er wacht auf!", rief Halarîn erleichtert und legte das Buch zur Seite, in dem sie zuvor blätterte.
Die Drei versammelten sich um den alten Elben, der blinzelte und mühsam die Augen öffnete. Er räusperte sich dreimal, bis er hervorbrachte: "Wo bin ich?"
Mathan und Halarîn blickten sich kurz an, doch Adrienne antwortete schneller: "Noch immer in der Ringschmiede, es ist eine kleine Weile schon vergangen."
"Ah, jetzt erinnere ich mich wieder. Mathan...", Amarin richtete sein gesundes Auge auf seinen Sohn und blickte ihn lange an, "Schmeiß den Abfall aus meiner Schmiede, nutz dafür die zwei Öfen an der Nordwand."
Es war Adrienne, die nickte und sogleich aufsprang um die beiden Schmiedeöfen zu befeuern. Dafür nahm sie jeweils eine Schaufel aus den großen Schmiedefeuer, die noch immer warm glühten. Während sich das Mädchen nun um die Beseitigung der Leichen kümmerte, setzte sich Amarin stöhnend auf und griff nach seinem zerrisenen Tuch. Mathan schwieg und schob seine Glücksgefühle nach hinten, denn er spürte, dass sein Vater noch immer sehr durcheinander war. Dieser wickelte sich gerade das Tuch um den Kopf, verdeckte somit die rechte Gesichtshälfte und das zerstörte Auge. Die Haare ließ er in langen Strähnen über seine linke Schulter fallen und seufzte nun erneut tief. "So viel Zeit ist vergangen... der Schatten ist wirklich hartnäckig", sprach Amarin nun müde und ächzte erneut als er versuchte sich gerade aufzurichten, "Aber irgendwer muss ihn ja vertreiben, besonders wenn er meinen Geist so lange in einem Klammergriff hatte."
Halarîn warf ihrem Mann einen Seitenblick zu denn Mathan fühlte sich unwohl seinen eigenen Vater so schwach und gleichzeitig verwirrt zu sehen. Doch je länger dieser einen Monolog führte, umso klarer wurde er. Amarin nuschelte oft und wisperte stellenweise, ab und zu brach er mitten im Satz ab. Da es meist nur zusammenhangslose Gedanken waren, konnten sie ihm aber so oder so nicht folgen.
"Ioristion", sagte Halarîn vorsichtig und legte Amarin ein Hand auf die unverletzte Wange, "Dein Sohn ist hier."
Das Gerede Amarins verstummte sofort und er blickte sich erneut suchend um, mit der Frage, wo er denn sei. Mathan seufzte und Halarîn flüsterte ihm zu, dass sein Vater wohl größeren Schaden genommen hatte, als sie dachten.
"Das habe ich gehört!", rief Amarin plötzlich und schnaubte ungeduldig, "Kaum ist man etwas verwirrt, wird man direkt als krank abgestempelt."
Die Avari-Elbe lief rot an und entschuldigte sich sofort, was der alte Elb abwedelte, sein Blick fiel auf Adrienne, die gerade die ersten Orks in die Feuer warf. Der Gestank dabei blieb überraschenderweise aus, woraufhin Amarin grinste. "Eigentlich sollte das junge Ding sich nicht darum kümmern, aber gut... Wenigstens habe ich die zwei Öfen an das intakte Abzugssystem anschließen können, sonst wäre es unerträglich das zu tun."
"Vater...", begann Mathan und packte ihn an beide Schultern, "Geht es dir gut?"
Amarin seufzte erneut und sein Blick schien sich in der weiten Schmiede zu verlieren. Kurz herrschte eine kurze Stille, ehe der alte Elb anfing leise zu reden: "Ich war mir anfangs nicht sicher, aber jetzt denke ich...geht es mir besser." Das gesunde Auge fixierte Mathan und tatsächlich hoben sich etwas die Mundwinkel seines Vaters."Ich kann mir denken, dass du viele Fragen hast. Lass mich versuchen ein paar davon zu beantworten, immerhin hast du mich gerettet", sagte Amarin und nickte seinem Sohn zu, dabei fiel der Blick auf das Medallion aus der Eiswüste. Ein Ruck ging durch den Körper des Elben, der plötzlich die gepanzerte Hand auf Mathans Schulter legte. "Ringelendis, das ist der Name deine Mutter, sie hat mich gerettet aus dem flammenden Inferno. Nachdem die Stadt verloren war, spürte sie meine Not und eilte mir zur Hilfe. Hilf mit mal!", forderte Amarin seinen Sohn auf, der zögerlich dem Wunsch nachkam und dessen Armschützer und die Panzerhandschuhe abschnallte. Dabei sprach Amarin weiter: "Du fragst dich vielleicht, warum ich nicht zu dir gekommen bin. Das konnte ich nicht weil-"
"Vater, du musst dich nicht rechtfertigen. Ich weiß, dass du sehr gern mir geholfen hättest, aber es war dir unmöglich. Mutter hat dich offenbar zum eigenen Schutz hier eingesperrt, so wie ich das sehe... " Mathan blickte kurz zu der offenen stehenden Tür, "Der Saphir... und die Tatsache, dass du so lange in der Starre warst."
Sein Vater blickte ihn einen Moment an und Mathan meinte in dem sichtbaren Auge eine Träne glitzern zu sehen. Amarin lachte leise, es war zwar ein etwas freudloser Laut, doch man merkte, dass der alte Elb nun immer mehr von seiner alten Stärke zurückerlangte. "Ich sehe, dass du nicht auf den Kopf gefallen bist", sagte er schließlich und legte ihm die linke Hand an die Wange, "Deine Mutter und ich, wir haben gewusst, dass dieser Tag kommen wird. Irgendwann würde es dich hierherbringen oder in die Eiswüste, aber wir hätten nicht gedacht, dass du an beiden Orten auftauchen würdest."
Ehe Mathan fragen konnte, woher Amarin von der Eiswüste schlich sich ein Schmunzeln auf das Gesicht seines Vaters. Umständlich zog er ein Medallion unter der Lamellenrüstung hervor, das Mathan die Augen aufreißen ließ. Es war fast identisch mit dem, was er selbst besaß, nur war es aus Silber gefertigt, die Kette sogar aus Mithril.
"Woher habt Ihr das?", fragte Halarîn erstaunt und berührte das Schmuckstück, doch die erwartete Kälte blieb offenbar aus, denn sie runzelte die Stirn.
Amarin lachte, diesmal jedoch war ein ehrliches Lachen. "Nicht so förmlich, du bist ja schließlich Teil der Familie", antwortete er freundlich und hielt das Schmuckstück in den Schein der Flammen, "Das ist das Verlobungsgeschenk von Ringelendis. Die Kette besaß ich bereits, als wir uns trafen... aber ihr wollt ja wissen, woher ich von der Eiswüste bescheid weiß." Amarin ließ das Schmuckstück wieder unter seiner Rüstung verschwinden. "Als uns klar wurde, dass Ringelendis schwanger war, mussten wir auch damit rechnen, dass das jenes Kind wohl mit einer Bürde geboren werden würde."
"Welche Bürde?", fragte Halarîn sogleich voreilig und schüttelte sofort den Kopf, wobei sie rot anlief. Scheinbar war es ihr peinlich mit dem Vater von Mathan zu sprechen, was beide Männer schmunzeln ließ.
"Ich denke, das dürfte schon von selbst beantwortet sein", beantwortete Amarin dennoch die Frage und legte den Kopf schief, "Hast du dich denn nie gefragt was Ringelendis bedeutet."
"Ich bin nicht so gut in Sindarin", erwiderte Halarîn leise und blickte zu Boden.
"Na, kein Grund sich zu schämen. Es bedeutet-"
"Kalte Sternenfrau", unterbach Mathan seinen Vater und legte den Kopf schief, "Was bedeutet das genau? Darüber habe ich schon lange nachgedacht und ich kann mir darauf keinen Reim machen."
Amarin machte ein undeutbares Gesicht und schwieg, offenbar wollte er nicht weiter darüber sprechen und nickte zu der Ecke zu, die er bewohnte. Die beiden Elben verstanden und bugsierten den Elben vorsichtig zwischen die Regale hindurch ,die mit Büchern und Schriftrollen vollgestopft waren. Knapp an der Südwand stehend fanden sie ein Bett, auf das sie Amarin setzten, der sich mit dem Rücken gegen die Wand lehnte. Mathan fiel ein einzelner Hocker auf, der direkt daneben stand. Vor seinem inneren Auge entstand ein Bild: Wie seine Mutter auf diesem Hocker saß und mit sorgenvollem Gesicht auf Amarin hinabblickte, der matt lächelte und sagte, er würde schon klar kommen. Die Berührung Halarîns schreckte ihn aus den Gedanken und er blickte zu seinem Vater, der wohl gerade etwas gesagt hatte. "Ich werde noch etwas ruhen, es dürfte draußen schon Nacht sein. Und richte dem Mädchen meinen Dank aus, sie ist wirklich fleißig meine Schmiede zu säubern." Mit den Worten legte sich Amarin auf dem alten Lager nieder und schloss die Augen. Mathan erblickte noch einige Habseligkeiten seines Vater,die an der Wand lehnte, dabei auch einige seiner selbst entwickelten Waffen. Schließlich zog er sich mit Halarîn aus Gründen der Höflichkeit und Respekt zurück. Sie gingen zurück zu der Ringschmiede wo Adrienne erneut eine Pause machte. Halarîn überbrachte Amarins Dank, woraufhin die Gondorerin strahlte und ein zufriedenes Gesicht machte. "Es ist zwar eckelhaft, aber wenn es Amarin glücklich macht, wiegt es das wieder auf.", sagte sie nur und streckte sich, während sie sich an den Tisch mit den Ringformen lehnte, "Was genau meinte er mit 'meiner Schmiede'"
"Er war der Oberste Schmied und ein Freund Celebrimbors. Mit seiner Erfahrung hätte Amarin eigentlich selbst die Schmiede leiten können, doch er verzichtete darauf, da er Verantwortung nicht sonderlich mochte", antwortete Mathan leise und blickte rasch zu den Bereich, wo sein Vater schlief, "Er mag es nicht wenn man ihn über ihn redet, aber ich denke, dass ich verraten kann, dass er ein enorm fähiger Handwerker ist."
"Das dachte ich mir schon anhand seiner Waffen", merkte Halarîn an und blickte auf die Schwerter und Klingen, die noch immer auf dem Boden lagen.
"Lasst uns morgen weitersprechen und eine Weile ruhen" Der Vorschlag von Mathan kam den beiden Frauen sehr gelegen, besonders Adrienne gähnte freudig und bereitete sich ihr Nachtlage in der nähe des warmen Schmiedefeuers. Sie legte sich weitab von den restlichen Leichen nieder und Halarîn tat es ihr gleich. Mathan übernahm die erste Wache und überlegte nicht das Tor zu schließen, befürchtete aber, dass er es nicht mehr von Innen öffnen konnte. So nahm er sich einen der Arbeitsschemel und setzte sich in den Eingang, dabei blickte er zurück und sah, dass Adrienne den gewölbten Bauch seiner Frau betastete. Eine Weile hörte er die beiden noch miteinander sprechen, doch irgendwann war die Gondorerin eingeschlafen. Mathan saß die ganze Nacht dort und weckte niemanden zur Ablösung, da er so oder so nicht zur Ruhe kommen konnte. Ihm gingen dutzenden Gedanken durch den Kopf. Er hatte so viele Fragen an seinen Vater, doch er vergaß die Hälfte, sobald er ihm gegenüber stand. Amarin schien das nicht zu stören, auch nicht, dass er nicht sonderlich Freude ausstrahlte. Sein Vater hatte sich in der Zeit kaum verändert. Neben den ganzen Sorgen und Gedanken schwirrte ihm auch der Kopf um Faelivrin, den nächtlichen Besucher von ein paar Tagen und die Andeutung seiner Tochter, dass sich Etwas tun würde. Ob das damit zusammenhängt?, fragte er sich im Gedanken und seufzte. Vielleicht würde er das noch bald erfahren und fragte sich stattdessen, was Kerry wohl gerade tat und ob die Dunländer sie in Frieden ließen. Nach seinen Berechnungen müsste aber Faelivrin ihnen bald mit ihren Gefolge über den Weg laufen. Schließlich war sie etwas langsamer mit so vielen Elben, wenn auch nicht so langsam wie ein großer Tross Menschen. Mathan schüttelte schließlich den Kopf, der förmlich rauchte und zog eines der Bücher aus den Regal, die offenbar sein Vater gerettet hatte. Neugierig strich er über den Einband ohne Beschriftung und schlug die ersten paar Seiten auf. Dort fand der Elb zu seiner Überraschung die Handschrift seines Vaters wieder: "Sternenstahl und dessen Verarbeitung", stand in dicken Lettern als erste Überschrift. Neugierig begann er zu lesen und tat die ganze Nacht lang nichts Anderes, da das Thema hochinteressant war. Als er das Buch aus der Hand legte, hörte er bereits die Stimme seines Vaters, der offenbar bei Halarîn und Adrienne war. Mathan runzelte die Stirn, dass er so sehr im Buch versunken war, hatte er gar nicht realisiert. Mit einem Lächeln trat er zu den Dreien, die ihm freundlich grüßten, wobei Halarîn ihm einen Kuss auf die Wange drückte.
Titel: Elbengespräche
Beitrag von: Curanthor am 12. Mär 2017, 00:01
Amarin blickte Mathan eine Weile lang an, woraufhin Halarîn mit Adrienne einen Blick tauschte. "Du siehst besser aus als gestern", sagte Mathan schließlich leise und blickte in das Auge seines Vaters, "Das freut mich."
"Ja, dank eurer Hilfe", begann Amarin und blickte zur Seite,"Ich kann mich nun auch viel besser an die Dinge erinnern, die waren und selbst in der Zeit geschehen sind, als ich hier unten war. Dabei muss ich richtig stellen, dass ich nicht eingeschlossen war."
Seine Worte ließen sie überrascht dreinblicken, was Amarin schmunzeln ließ. Mathan hob fragend eine Augenbraue und legte den Kopf schief.
"Sieh mich nicht so an, Sohn", forderte Amarin ihn auf und strich sich über die verbrannte Hälfte des Gesichts, "Selbst als mein Geist von dem Schatten getrübt war, so hatte er nie lange die volle Kontrolle über mich."
"Aber wie...", begann Adrienne, doch sie verstummte, offenbar wollte sie sich nicht einmischen. Das Mädchen hielt den Blick gesenkt und blickte dabei beschämt zu Boden. Die Elben sahen sich für einen Augenblick an, bis Halarîn ihr beruhigend eine Hand auf den Rücken legte.
"Der Schmerz, der mich seit jeher peinigt hielt meinen Geist wach. Als ich diese Nach schlief, habe ich mich daran erinnert kurz vor eurer Ankunft ebenfalls außerhalb dieser Hallen gewesen zu sein...", gestand Amarin nachdenklich und runzelte die Stirn, setzte sofort jedoch ein ausdrucksloses Gesicht auf. Scheinbar waren zu große Bewegungen zu schmerzhaft. Insgeheim fragte sich Mathan was das für Wunden waren, die sein Vater erlitten hatte, wenn sie selbst jetzt noch schmerzten. Er dachte ebenfalls darüber nach und erinnerte sich an den unbekannten Besucher in der Nacht.
"Ich glaube, dass ich dich gesehen habe. Du hast in der Nähe unseres Lagers umhergeschnüffelt", sagte Mathan halb fragend, halb fordernd.
Amarin zog kurz die Brauen zusammen und schüttelte schließlich den Kopf. Besorgt sprach er langsam: "Nein, aber ich habe euch beobachtet. Den Fremden hat mein verwirrter Geist nicht als wichtig erachtet, weil er keine Intentionen zeigte zu diesem Ort zu gelangen."
Adrienne fasste sich an den Kopf und entschuldigte sich, dass ihr das zu viel sei. Sie erhob sich und erklärte respektvoll, dass sie weiter aufräumen würde und begab sich sogleich an die Arbeit. Amarin blickte ihr dabei nachdenklich hinterher und wurde von der Frage Mathans offenbar aus den Gedanken gerissen: "Woher stammt die Verbrennung? Mir ist sie damals nie aufgefallen... stammt das etwa aus deiner letzten Schlacht?"
Mathan beobachtete die Reaktion seines Vaters genau um Anzeichen von Verwirrung oder Abwehr zu erkennen, doch der dunkelhaarige Elb seufzte nur schwer. So wirkte er nur alt, abgekämpft und müde, obwohl ein gewisses Feuer noch in dem Auge brannte. Für Mathan war sein Vater enorm schwer zu lesen.
"Nein, es ist eine sehr alte Wunde, doch darüber möchte ich jetzt nicht sprechen. Viel eher würde ich gerne über die letzten Ereignisse der vergangenen Zeit sprechen"
Halarîn und Mathan tauschten einen raschen Blick, da sie beide bisher nicht daran gedacht hatten und seinen Vater auch nicht mit Neugkeiten erschlagen wollten. Abwechselnd erzählten sie Amarin die ganze Geschichte der vergangenen Zeit, die er verpasst hatte. Überraschenderweise ahnte sein Vater einige Dinge, denn er war nicht geschockt, als er davon hörte, dass der Ringträger bei der Vernichtung des Einen gescheitert war. Ebenso war ihm der Krieg in Eriador nicht unbekannt, denn er zuckte kein einziges mal mit der Wimper. Auf eine vorsichtige Nachfragte erklärte Amarin, dass er in dem Zustand geistiger Umnachtung schon einige Dinge mitbekommen hatte, es aber nicht einordnen konnte. Durch die Erzählung der beiden Elben gelang es ihm besser, alles zu einem vollständigen Bild zusammenzufügen. Als sie schließlich von dem Kampf in Tharbad erzählten, hob Amarin eine Braue und blickte Mathan aufmerksam an, als dieser von seinem Kampf erzählte. "Den Stil mit vier Schwertern? Nun, der war eigentlich nicht solche Dinge gedacht aber scheinbar hat er seinen Zweck erfüllt", warf sein Vater ein, nachdem Mathan geendet hatte, "Außerdem hat sich das ja sowieso erledigt." Der Blick des Elben ging auf die zerbrochene Klinge, die auf dem Tisch bei der Ringschmiede lag. Das zweite, angebrochene Schwert lag neben den Bruchstücken, sowie die Gürtelung der Waffen samt Schwertscheiden.
"Wie ich sehe hat dir mein Meisterwerk gute Dienste geleistet", sagte Amarin, dabei den Blick weiterhin auf die Waffen gerichtet.
"Denkst du, es ist möglich es zu reparieren?", fragte Halarîn zaghaft und bemerkte, dass Mathan sich die Silmacil auf den Rücke geschnallt hatte. Offenbar war ihre Frage bereits beantwortet, noch bevor Amarin mit dem Kopf schüttelte.
"Sohn, du hast es bereits erkannt. Ein Teil deiner Reise hat hier geendet. Du bist einen Teil meines eigenen Weges gegangen. Den Weg des rastlosen Wanderers und auch wenn es dich weiterhin in die Ferne ziehen wird, so ist dein Ziel klar vor Augen. Die Ránceti waren nicht gedacht die auf ewig zu dienen. Ringelendis und ich wussten, dass du irgendwann die Silmacil finden wirst." Sein Vater machte ein wissendes Gesicht und deutete zu sein merkwürdiges Stabschwert, dass er neben sich am Boden liegen hatte, "Aber es war nicht gedacht, dass sich die beiden Waffen kreuzen sollten, das Ergebnis hast du ja gesehen."
"Und warum?", fragte Mathan sofort und runzelte die Stirn, denn eigentlich hatte er damit gerechnet, dass das angebrochene Schwert zuerst barst.
Ein Schmunzeln umspielte die Lippen seines Vaters, als dieser seine Waffe in die Hand nahm. Die lange Klinge und der überlange Griff erinnerten Mathan an eine Zeichnung, die er bereits schon einmal gesehen hatte, doch konnte er sich nicht genau daran erinnern. "Nun, dieses Prachtstück...", sein Vater grinste nun flüchtig, "Ist Etwas besonderes, aber das dachtes du dir bereits."
Mathan nickte stumm und schwieg, auch wenn ihm eine Frage auf der Zunge lag. Er wollte nicht seinen Vater bedrängen, denn sie hatten alle Zeit der Welt. Ein merkwürdiges Gefühl der Ruhe hatte sich eingestellt und die Anspannung der letzten Tage fiel von ihm ab. Sein Blick ging zu Adrienne, die nun mit einem Lappen die Blutspritzer auf dem Boden entfernte. Scheinbar war durch die ganzen Erzählungen mehr Zeit vergangen, als ihnen bewusst war. Nun verstand Mathan auch, warum sein Vater so oft spät nach Hause gekommen war: Hier unten vergaß man schnell die Zeit. Als er seinen Gedankengang seinem Vater mitteilte, lachte dieser herzlich und schüttelte den Kopf. Als er sich beruhigte hatte, sprach er amüsiert: "Nein mein Sohn, das war nicht der Grund. Vielleicht wirst du es herausfinden, denn alles werde ich dir nicht vor die Nase setzen. Wo ist denn der Reiz die Dinge zu entdecken, wenn ich alles verrate? Folge mir." Auf die Aufforderung hin, erhoben sie sich, wobei Halarîn sofort die Hand ihres Mannes nahm. Mathan lächelte und gab ihr einen Kuss, wobei er aus dem Augenwinkel den Blick seines Vaters bemerkte. Für einen kurzen Moment stockte ihm der Atem, denn das Gesicht Amarins war durchzogen von unendlicher Trauer. Als er sich von Halarîn löste, blickte Mathan seinen Vater an, doch er hatte ein kontrolliertes Gesicht aufgesetzt und tat so, als ob nicht sei. Sie gingen an Adrienne vorüber, wobei Amarin ihr gütig auf den Kopf tätschelte und sie für ihre harte Arbeit lobte.
"Wenn du willst, kannst du eine Weile bei mir bleiben und ich zeige dir ein paar Tricks", schlug der alte Elb mit einem Lächeln vor und blickte dabei zu Mathan, "Es sei denn, dein Lehrmeister hat etwas dagegen."
Mathan blieb etwas überrascht stehen und blickte seien Vater mit hochgezogenen Augenbrauen an. Es war selten, dass er jemals so direkt war, was ihn zum Überlegen brachte, doch den Blick seiner Schülerin konnte er nicht lange ignorieren. Schließlich zuckte er mit den Schultern, doch Adrienne zögerte. "Nun... ich... danke für das Angebot, aber das muss ich mir erst überlegen. Ich bn eine ganze Weile von meinem Bruder getrennt und mache mir Sorgen..."
"Ich verstehe", sagte Amarin sofort und streichelte ihr erneut über den Kopf, "Wenn du dich entschieden hast, meine Schmieden stehen dir jederzeit offen. Immerhin hast du gestern und heute hart gearbeitet."
Verdutzt blickten Mathan und Halarîn den alten Elben an, der sich inzwischen in Bewegung gesetzt hatte und die Treppe nach oben nahm. Auf ein Winken Amarins beeilten sie sich zu ihm aufzuschließen und folgten ihm durch die Schmiede hinaus ins Freie. Gemeinsam blickten sie sich um und konnten keine Bedrohung ausmachen. Inwzischen war es nach Mittag und die Sonne schien recht hell, dennoch kniff Amarin nicht die Augen zusammen, als er aus der Finsternis trat. "Es tut gut bei klarem Verstand in die Sonne zu treten", sagte er sofort und atmete tief ein.
Mathan streckte sich und sprach langsam: "Das erinnert mich an unsere gemeinsame Zeit..." Halarîn legte ihm beide Hände auf die Schultern und schmiegte sich an seinen Rücken. Sein Vater nickte dagegen nur nachdenklich und ein kurzer Ausdruck von trauer huschte über sein beherrschtes Gesicht. "Es ist lange her... damals hatte ich auch einen Grund zu kämpfen", sagte er schließlich und stieß seine eigentümliche Waffe in den Boden, "Doch jetzt weiß ich nicht wo mein Platz ist."
"Bei deiner Familie", antwortete Halarîn überraschend, woraufhin sich beide Männer zu ihr umdrehten, "Denn deine Enkelin wird mit ihrem Volk in diese Lande kommen und es wieder aufblühen lassen."
Das Funkeln, das Mathan zuvor aufgefallen war, glomm erneutin dem gesunden Auge seines Vaters auf. Amarin packte ihn überraschend an beide Schultern. "Ist das wahr?", fragte er ungläubig und blickte abwechselnd mit dem Auge hin und her.
Halarîn nickte eifrig und legte beide Handflächen aneinander und verneigte sich. "Niemals würde ich dich belügen, selbst nicht um dich aufzumuntern."
"Wie viele?", fragte Amarin sofort und ließ die Hände von Mathans Schultern sinken.
"Das weiß ich nicht, vielleicht mehrere hundert Dutzend", antwortete Mathan nachdenklich und beschrieb daraufhin seinem Vater die Ausmaße der Flotte der Manarîn. Dabei sah er das Feuer in dem Auge seines Vaters weiter anwachsen.
"Also ausgehend von deiner Beschreibung ist das deutlich mehr als "ein paar hundert", wenn allein die Vorhut sechshundert Elben misst..." Amarin marschierte den recht steilen Hügel hinauf, woraufhin Mathan und Halarîn zögerlich folgten. Dabei sprach der alte Elb unentwegt aufgeregt: "Wenn so viele kommen, dann weiß ich, wo mein Platz ist. Ich werde meine Enkelin untertstützen. Was sind das eigentlich für Elben?"
"Es waren Avari, aber jetzt sind es die Manarîn", antwortete Mathan und bemerkte, dass sein Vater kurz im Gehen stockte, jedoch weitermarschierte.
"Avari also... das kommt überraschend. Ich dachte unsere Brüder und Schwestern aus dem Osten würden sich nicht für unsere Belange interessieren." Die Stimme Amarins war schwer zu deuten, denn er schien etwas weniger aufgeregt, sondern eher nachdenklich. Auf Mathans Frage, ob er sich um Etwas sorgte, winkte dieser nur ab: "Nein, nein, immerhin ist meine liebliche Stieftochter ja auch eine Avari. Aus dem Stamm der Hwenti, wenn ich mich recht entsinne."
"J..Ja, das stimmt", sagte Halarîn zögerlich und schloss zu ihnen auf, "Woher kanntest du eigentlich meinen Vater?"
Amarin sah sie mit leichtenem Erstaunen im Blick an und runzelte die Stirn. "Habe ich das nie erzählt? Dein Vater und ich waren einst befreundet und da wir oft von unseren Kindern in unseren Briefen erzählten, dachten wir, dass es eine gute Idee sei euch bekannt zu machen. Auch wenn es zugegeben gezwungen geschah, so taten wir es auf Anweisung einer sehr weisen Elbe hin."
Mathan und Halarîn tauschten einen vielsagenden Blick und er hatte schon das Bild besagter Elbin mit silbernen Augen im Sinn. Mit gerunzelter Stirn blickte er kurz seinen Vater an und fragte sich, ob auch er den silbernen Schimmer in sich barg, immerhin schien er recht alt zu sein, wenn er den Fall Gondolins erlebt hatte. Grübelnd erreichte er die flache Kuppe des Hügels, der unter dem die Schmiede lag. Er war durch das Nachdenken etwas langsamer geworden, so hörte er erst später seinen Vater sprechen: "Hier stand noch ein riesiges Gebäude, umringt von mehreren Anderen."
Dabei deutete Amarin auf die umlegenen Hügel, die scheinbar die Überreste der Fundamente waren. Mathan blickte sich nachdenklich um und seufzte. Er hatte die Schmiede oft gesehen und war hier stellenweise sogar täglich ein und aus gegangen. Dennoch konnte er nicht mehr erkennen, wo einst der Eingang gelegen hatte, denn die Natur holte sich immer ihr Reich zurück. Ein frischer Nordwind kam auf und bließ ihnen die Haare aus den Gesichtern. Amarin drehte sich in den Wind und breitete die Arme aus, dabei nahm der Wind zu. "Wie ich das vermisst habe", sagte er dabei und seufzte tief. Mathan und Halarîn sahen ihm dabei zu, wobei sie einander an die Hände nahmen. Als sich sein Vater wieder zu ihnen umdrehte, bemerkte Mathan sofort, dass er Etwas entdeckt hatte, denn sein halb verdecktes Gesicht verhärtete sich. Zusammen mit seiner Frau drehte Mathan sich ebenfalls um und entdeckte mehrere kleine Punkte, die über die wellenartigen Hügel liefen. Sie waren schlank und bewegten sich geradewegs auf sie zu. Amarin lief zum Eingang der Schmiede, wo er seine Waffe gelassen hatte und riss sie ruckartig aus dem Boden.
"Das ist die Schmiede meines Freundes Celebrimbor und ich werde darin keine ungebetenen Gäste dulden, so wahr ich hier stehe. Die Geheimniss von Eregion werden stets nur in der Familie weitergegeben und das wird auch so bleiben", sprach sein Vater ernst und warf ihm dabei einen ernsten Blick zu, "Wirst du nicht deine Waffen ziehen?"
"Ich denke, wir sollten erst abwarten, wer dort läuft. Vielleicht ist die Schmiede gar nicht das Ziel, denn es waren schon seit langer Zeit keine Eindringlinge hier", wandte Mathan bedächtig ein und nahm Halarîn wieder an die Hand, "Dennoch werde ich dir im Fall des Falles zur Seite stehen, allein um meine Familie zu beschützen."
Titel: Erklärungen und Besucher
Beitrag von: Curanthor am 15. Mär 2017, 23:30
Die drei Elben verharrten einen langen Augenblick und beobachteten, die schlanke Gestalt, die aber nach ein paar Momenten kehrt machte. Amarin ließ seine Waffe sinken und setzte sich seufzend in das weiche Grass. Mathan blickte einen kurzen Moment unschlüssig zu ihm hinab, ehe Halarîn ihm sanft in die Seite stieß. Sie nickte zu seinem Vater und sagte, dass sie mit Adrienne etwas plaudern ginge. Es war offensichtlich, dass sie Vater und Sohn eine Möglichkeit geben wollte, einige Dinge zu besprechen. Mathan erkannte das rasch und setzte sich schließlich ebenfalls neben Amarin und legte die Arme um die Beine. Dabei warf er seinem Vater einen langen Seitenblick zu, der aber nur nachdenklich in die Ferne starrte.
"Denkst du, dass ich überhaupt das Recht habe mich als deinen Vater zu bezeichnen?", fragte Amarin schließlich nach langem Schweigen und blickte Mathan an.
"Warum nicht? Du warst nicht in der Verfassung mir zu helfen..."
"Das meinte ich nicht", wehrte sein Vater ab und blickte auf die Stelle, wo Halarîn zuvor gestanden hatte, "Immerhin habe ich sie verletzt."
"Aber dafür konntest du auch nichts. So wie ich dich gefunden habe, war dir gar nicht klar wer vor dir stand", sagte Mathan beruhigend und legte den Kopf in den Nacken, "Es gibt so viele Dinge, die ich dich fragen möchte, aber ich weiß einfach nicht, wo ich anfangen soll..."
Amarin schien kurz zu stutzen, doch dann erhellte ein warmes Lächeln sein Gesicht. Er nickte kaum merklich und legte Mathan eine Hand auf die Schulter, während er sagte: "Ich weiß, dass du dich viel mit Dingen beschäftigst, die man auf dem ersten Blick nicht verstehen kann. So warst du schon immer, aber das ist auch nur natürlich. Du fragst dich, was mit deiner Mutter ist...das tue ich mich auch, denn eigentlich wollte sie mich holen kommen." Mathan senkte wieder den Kopf nach vorn, blickte seinen Vater wortlos an und nickte nach einem kurzen Moment. Er brauchte gar nicht zu fragen, denn Amarin begann von selbst zu erzählen, dabei wirkte er wacher und jünger als je zuvor: "Am besten ist es wohl, wenn ich dir die Geschichte von Anfang an erzähle. Damals wachte deine Mutter über einen eisigen Pass sehr hoch im Norden und ich war neugierig in meinen vergleichsweise jungen Jahren. So trafen wir uns das erste Mal, sie als Wächterin und ich als Noldor, der die Wunder der Schöpfung erblicken wollte."
Währen sein Vater erzählte blickte er durchgehend nach Westen und fuhr mit einem Finger immer wieder über die Stelle, wo das Medaillon lag. "Sie wollte wissen, warum ich gehen wollte, da ich aber ihre Kälte nicht ertragen konnte, gab ich ihr den Namen Irloê. Wie du sicher gemerkt hast, hat der Name keine besondere Bedeutung, aber für sie war es das erste Mal, dass man sie direkt angesprochen hat. Wir unterhielten uns sehr lange und irgendwann entschied sie sich, dass sie mir folgen wollte. In dem Moment hatte ich natürlich nicht gemerkt, dass deine Mutter damals auch andere Gründe hatte mit mir zu gehen und somit ihre Aufgabe vernachlässigte. Ich erfuhr erst später, dass ein kleiner Teil von ihr sich nach Zuneigung sehnte und durch unser Gespräch hatte sie das Gefühl gehabt, bemerkt und geschätzt zu werden. Da ich mich von ihrer Kälte nicht vertrieben ließ, bedeutete ihr es noch mehr, als mir anfangs klar war." Amarin lachte leise und schüttelte sachte den Kopf, während Mathan aufmerksam lauschte. "Ihre erste Frage war sehr direkt, und zwar ein: Bist du einer der Noldor. Natürlich stimmte das, aber ich hatte nicht den unseligen Schwur geleistet, also musste ich ihr erst mühsam erklären, dass ich aus eigenen Antrieb gehen wollte."
Mathan nutzte eine Atempause für eine kleine Zwischenfrage: "Und warum wolltest du gehen? So wie es klang, hattest doch scheinbar alles im Westen wovon man träumen konnte... "
"Ich war neugierig und wollte sehen, was die Valar erschaffen hatten, auch wenn meine Familie versuchte es mir zu erklären. Schließlich lernte ich von einer der Größten Geister der dortigen Bewohner. Wie du vielleicht geahnt hattest, war ich einer der Aulendur", eröffnete sein Vater und warf ihm seinen Seitenblick zu, "Hast du dich denn nie gefragt nach wen du benannt wurdest? Er war der bekanntesten der Aulendur, oder er ist es noch immer, denn ich denke nicht, dass Mahtan umgekommen ist."
Mathan starrte Amarin eine Weile lang an und schwieg, dabei bemerkte er, dass sein Vater auf eine heftigere Reaktion gehofft hatte. Doch für ihn war das eigentlich keine große Überraschung, denn das Talent seines Vaters war schon sehr wegweisend gewesen. Es überraschte zwar Mathan, dass einer seiner Familienmitglieder einen so großen Namen besaß, doch nach all den Geheimnissen, die seine Eltern umgaben konnte ihn nicht mehr viel überraschend. Mathan nickte langsam und lächelte nur als Antwort, das sein Vater sanft erwiderte.
"Ich sehe, du bist reifer als ich mir träumen ließ. Für mich wirst du aber immer mein kleiner Junge sein. Im guten Sinne natürlich, Mathan.", sprach sein Vater wieder mit dem Blick nach Westen, "Immerhin wirst du wohl deinen eigenen Weg jetzt gehen."
Mathan streckte seine Beine aus und wandte den Kopf in den Himmel, dabei fragte er: "Wie meinst du das? Ringelendis-... Mutter sprach davon, dass sie mich nun auf meinem Wege begleiten würde..."
"Ja, das wird sie auch, genau wie ich", antwortete Amarin und legte ihm die Hand auf die Brust, "Egal was mit uns geschehen mag, wir sind immer in deinem Herzen." Mathan blickte auf die Burst hinab und die große Hand seines Vaters, der inzwischen die Rüstung abgelegt hatte. Er lächelte und nickte schließlich. "Ja, du hast Recht. Ihr seid immer bei mir... nach all den Wochen unterwegs zu sein, habe ich kaum dazu Zeit gehabt über so etwas nachzudenken."
"Nun, das ist auch gut so", merkte sein Vater an und nahm seine Hand fort, "Zu viele Gedanken um ein Thema können einen verwirren."
"Ich verstehe. Kannst du mir vielleicht etwas mehr über Mutter erzählen? Ich würde gern mehr erfahren, warum sie so plötzlich verschwand", bat Mathan leise und sah, dass Amarin bei der Frage die Schulter sinken ließ, sie aber sofort wieder hob. Eigentlich rechnete er damit, dass sein Vater die Frage abwimmelte, doch schließlich antwortete er mit sanfter Stimme: "Mit der Frage habe ich schon fest gerechnet. Lass mich dir sofort eines sagen: Deine bezaubernde Mutter ist nicht wegen dir oder mir fortgegangen. Ich gebe zu, dass wir oft kleine Auseinandersetzungen hatten, aber es war nie so schlimm, dass wir uns nicht wiedersehen wollten. Das Gegenteil war der Fall: Sie musste fortgehen, jedes Mal mehr und länger, doch ich konnte ihr nicht folgen. Meine Verpflichtungen hielten mich hier, genau wie ein Versprechen an einen Freund... nun da dieser Freund nicht mehr ist, muss ich wenigstens sein Andenken bewahren. Als du mir sagtest, dass diese Lande wieder erblühen werden, war ich froh darüber, letztendlich doch noch einen Teil des Versprechens zu erfüllen."
"Und was ist dieses Versprechen?", fragte Mathan neugierig und drehte sich halb um, während er nach Norden blickte.
"Lass es nicht vergebens sein, erinnere an uns. Zeige ihnen, dass unser Volk zu mehr fähig ist, mein Freund", zitierte Amarin nun und legte Mathan eine Hand auf die Schulter, "Das sagte Celebrimbor zu mir, als wir uns das letzte Mal trafen."
"Es wird nicht vergebens sein, denn sein Beispiel, sich trotz einer erdrückenden Übermacht zum Kampf zu stellen, egal aus welchem Grund wird auch andere inspirieren", antwortete Mathan entschlossen und erhob sich langsam, "Du hast es gewusst, nicht wahr?" Sein Blick ging wieder nach Norden, wobei er den Kopf verdrehte. Amarin erhob sich ebenfalls und schwieg, doch das flüchtige Lächeln auf dem Gesicht sprach Bände. Vor ihnen wurde ein lautes, hohes Horn geblasen. Es klang deutlich anders, als die meisten Laute, die Mathan kannte. Es dauerte auch nicht lange, da erschienen mehrere schlanke Gestalten auf der Kuppe der Schmiede. Einige von ihnen schienen leichte Blessuren zu tragen, doch die meisten der Neuankömmlinge waren unversehrt. Halarîn trat kurz darauf neben Mathan und ergriff seine Hand, ehe sie etwas fragen konnte, erkannte sie die Fremden als Elben. Ihr Griff wurde fester, als sie erkannte, dass es Avari waren, die nun langsam auf sie zugingen. Mathan spürte die leichte Anspannung in der Luft, die argwöhnischen Blicke, die zu Amarin glitten, doch die Avari näherten sich friedlich. Etwa dreißig Elben standen ihnen gegenüber, welche leise tuschelten. Es war Amarin, der die Stille brach: "Willkommen in Eregion, mein Name ist Amarin, das ist mein Sohn Mathan Nénharma und seine Frau Halarîn."
Der Name von ihnen brachte das Getuschel zum Schweigen und ein hochgewachsener Elb mit langen roten Haaren trat aus der Gruppe hervor. Er trug einen Verband um den Kopf und ein Schwert hing an seiner Seite. Nach kurzen Zögern verneigte sich der Elb und sprach mit akzentschwerer Stimme: "Ich bin Fanathr, aus dem Stamm der Hwenti. Mein Gruß gilt besonders Euch, ehrenwerte Tochter unseres Stammes, aber auch meine beiden Brüder aus dem Volke der Noldor begrüße ich im Namen meiner Stammesmitglieder" Halarîn verneigte sich ebenfalls, was auch Mathan und Amarin nach kurzen Zögern taten. Die übrigen Hwenti neigte ebenfalls respektvoll die Häupter, während sie die drei Elben neugierig musterten.
"Ich denke wir haben viel zu bereden", sagte Amarin an Fanathr gewandt und erhielt ein zustimmendes Nicken.
"In der Tat, doch ich denke, dass wir genaueres mit den Rest meines Stammes besprechen. Sie müssten auch bald hier eintreffen."
Titel: Verschwandschaft
Beitrag von: Curanthor am 16. Mär 2017, 18:15
Nachdem die Hwenti in groben Auszügen ihre Reise aus dem Osten erzählt hatten, klärten Mathan und Halarîn die Neuankömmlinge über die momentante Situation auf. Dabei wurden dem Paar immer wieder Blick zugeworfen, bis einer der dreißig Avari anmerkte, dass Halarîns Name ihnen nicht unbekannt war. Mathan warf einen Blick zu Amarin, der mit Fanathr etwas abseits stand und ein ausführliches Gespräch führte. Zwar konnte er trotz seinen guten Ohren nicht viel verstehen, doch offensichtlich besprachen die beiden Männer, wie sie weiter vorgingen. Die meisten Avari hatten nur wenige Habseligkeiten dabei, einige wirkten sogar recht abgerissen, doch alle von ihren waren bewaffnet. Er legte Halarîn eine Hand auf die Schulter, die sich unter den Blicken etwas unwohl fühlte und sich nicht so recht traute mit den Mitgliedern ihres Stammes zu sprechen. So ähnlich erging es den Hwenti offensichtlich ebenfalls, denn sie standen in kleinen Gruppen und tuschelten, unschlüssig was sie tun sollten.
Schließlich trat Fanathr vor und verkündete in Hwenti (was Halarîn für Mathan übersetzte): "Wir werden hier auf den Rest warten, in der Zeit können wir das Land vorbereiten und uns womöglich hier niederlassen. Für's Erste wird dies aber ein großer Rastplatz. Amarin hier...", der Fanathr deutete auf Mahtans Vater, "Wird uns dabei helfen Fuß zu fassen und bietet uns für den Anfang Unterkunft in den Schmieden seines Volkes. Er bietet uns an, Werkzeuge und Waffen herzustellen, da die Lager noch voll sind." Leises Getuschel war zu hören, doch keiner erhob Einspruch gegen den Vorschlag, denn die meisten Elben nickten und sprachen sich dafür aus. Niemand schien interesse haben noch weiter zu wandern. Der Anführer der dreißig Elben wirkte zufrieden und fuhr fort: "Amarin wird uns helfen guten Baugrund zu finden, da er sich hier auskennt. Halarîn und Mathans Tochter mit dem Namen Faelivrin wird ebenfalls in kurzer Zeit zu uns stoßen." Die Worte Fanathr ließen diesmal einige Elben aufgeregt miteinander sprechen, erste Rufe wurden laut, Fragen wurden gestellt. "Ja, das heißt, dass unsere Brüder und Schwestern aus den unbekannten Landen zurückgekehrt sind", sagte der rothaarige Elb und löste damit ein erleichtert Ausatmen aus. Einige Hwenti blickten nun Halarîn an und auch Mathan wurden Blicke zugeworfen, die er nicht deuten konnte. Schließlich trat eine hellblonde Elbe vor und verneigte sich knapp, dabei sprach sie: "Tochter des vorherigen Stammesfürsten, Eure Anwesenheit erfüllt uns mit Stolz. Werde Ihr mit uns hier verweilen?"
Mathan und Halarîn tauschten einen raschen Blick, denn darüber hatten sie noch nicht direkt nachgedacht, jedoch wollten sie erstmal auf Faelivrin warten. Sie erklärten den Hwenti auch sogleich, dass sie nicht versichern konnten, das sie hier blieben. Auf ihre Worte hin nickte die Elbe und kehrte zu einer kleinen Gruppe zurück, wo sie sich wieder an den Gesprächen beteiligte.
"Sie legen nicht ganz so viel Wert auf Förmlichkeiten, nicht wahr?", fragte Mathan an seine Frau gewandt, die sofort grinsen musste.
"Ich dachte das wüsstes du, immerhin bin ich eigentlich eine von ihnen", antwortete Halarîn neckend und stupste ihm in die Seite.
Für Mathan war es überraschend, dass die Hwenti hier aufgetaucht waren, doch hatte er nicht verstanden warum sie ihre Heimat im Osten verlassen mussten. Trotz mehrmaligen Nachfragen hatten die Hwenti entweder abgewimmelt oder gesagt, dass die Versammlung das beantworten musste. Fanathr nickte Amarin zu und kam schließlich auf sie beide zu, während sein Vater zu den anderen Elben ging. Mathan sah, wie er einige Anweisungen gab und daraufhin ein paar Hwenti ausschwärmten.
"Ich habe gehört, dass ihr die Enkelin von der edlen Ivyn seid. Ist die Erste wohlauf?", fragte Fanathr höflich an Halarîn gewandt und nickte Mathan respektvoll zu.
"Ja, sie wird ebenfalls bald hier eintreffen. Faelivrin, meine Tocher, führt das Volk der Manarîn in das alte Elbenreich, auf dem wir uns befinden", erklärte Halarîn sogleich und konnte nicht ihren Stolz in der Stimme verbergen.
Fanathr nickte sachte und lächelte, dabei wirkte er aber weniger glücklich. Schließlich sagte er: "Wie ich sehe, haben sich die Elben unter ihrer Führung einen eigenen Namen gegeben."
"Ist das etwas ein Problem?", mischte sich Mathan ein und hob dabei skeptisch eine Braue. Der rothaarige Elb dagegen hob abwehrend und schüttelte den Kopf, während er sich entschuldige: "Ich wollte nicht unhöflich sein, nur ist das für Avari recht... ungewöhnlich, aber ich denke, dass man eine eigene Mentalität entwickelt wenn man so lange in fremden Landen lebt."
Das restliche Gespräch handelte hauptsächlich von den Manarîn, da Fanathr neugierigar war, als es zuvor den Anschein hatte. Erst am Ende der Unterhaltung rückte er damit heraus, dass er auf seine Zugesprochene wartete, die sich unter den Manarîn gefand. Noch bevor Mathan oder Halarîn weiterfragen konnten, entschuldigte sich der Elb und veschwand mit Amarin in der Schmiede. Offensichtlich wollte sein Vater dem Avari eine Führung geben. Als die beiden Elben den Eingang erreichten, kam ihnen Adrienne entgegen, die auch sogleich auf Mathan zuging. Ihr Gesicht zeigte deutliche Überraschung, während sie die Elbengruppen betrachtete. Selbige blickten ebenfalls die Gondorerin aus den Augenwinkel neugierig an, ohne dabei ihre Arbeit zu vernachlässigen. Die Hwenti ebneten den Boden und trugen nacheinander lange Holzbalken aus der Schmiede, die sie benutzten um den Eingang zu der Schmiede zu vergrößern und abzustützen. "Was machen all die Elben hier?", fragte Adrienne verwundert und sah weiter dabei zu, wie die Elben arbeiteten, "Sie sie gerade erst angekommen?"
Mathan nickte und wunderte sich ebenfalls, dass die Avari sofort an die Arbeit gingen ohne vorher zu rasten oder sich abzusprechen. "Sie sind vor einiger Zeit angekommen und wollen sich hier womöglich niederlassen. Zuerst machen sie eine Rast, die Schmiede dient dabei dank Amarin als erste Unterkunft", erklärte Halarîn sogleich und musterte die Hwenti. Mathan ahnte, dass sein Frau nach einem bekannten Gesicht hoffte, doch schien diese Hoffnung für's Erste vergeben. Nach einer kurzen Zeit, in der sie den arbeiteten Elben zusahen, schlug er vor in die Schmiede zu gehen und mit Amarin zu sprechen, was als nächstes geschehen würde. Sein Vorschlag wurde mit einem stummen Nicken angenommen und sogleich machten sich die drei auf den Weg. Dabei passierten sie den nun deutlich breiteren Eingang, den die Avari mit Holzbalken gerade abstützen. Auch im Inneren waren nun überall Fackeln angebracht, die die zuvor düsteren Räume erhellten. Zwei Elbenfrauen eilten an ihnen vorbei und brachten Eimer voller Schmutz aus der Schmiede. Mathan führte seine Frau und Adrienne über die hölzerne Brücke und durch den inneren Turm hinunter zu der Wendeltreppe, wo Amarin mit Fanathr stand, die miteinander sprachen. Als sie die beiden Elben erreichten, nickte der rothaarige Avar ihnen zu und eilte wieder nach oben. "Wo will er hin?", fragte Adrienne neugierig und blickte dem Elben nach.
"Er will Ausschau nach den Rest seines Volkes halten. Wir haben zuvor darüber gesprochen, dass ich erstmal keinen in die untere Etage lasse, außer euch drei. Zwar war er davon nicht begeistert, aber Fanathr ist klug genug um zu verstehen, dass dort unten lang gehütete Geheimnisse lagern." Amarin warf dabei Mathan einen raschen Blick zu und schmunzelte, während er sagte: "Vielleicht haben wir ein paar Aufgaben für euch... Mathan, was hältst du davon mit deinem alten Herrn den Hammer zu schwingen? Ich würde gerne etwas mit dir herstellen", fragte ihn sein Vater mit einem blitzen in dem gesunden Auge, was er sogleich mit einem Nicken annahm.
"Und was machen wir? „Adriennes Frage klang ein wenig eingeschnappt, sodass die drei Elben leise lachten. Amarin bot an, dass sie ihnen half und brachte damit ihr Gesicht zum Leuchten, während Halarîn nachdenklich über ihren Bauch strich. "Ich werde noch etwas mit den Angehörigen meines Stammes sprechen", erklärte sie und küsste Mathan auf die Wange, "Wir sehen uns später." Dieser nickte und folgte Amarin, der nun in den unteren Teil der Schmiede ging, gefolgt von Adrienne. Dort angekommen führte er sie in den Teil, den er bewohnte, wo er aus einem Regal ein Buch zog, das Mathan gut kannte. Ein Schmunzeln auf den Lippen seines Vaters ließ ihn grinsen, während er das Buch auf einen Arbeitstisch an der nördlichen Wand legte. Gleichzeitig wies er Adrienne an die Öfen zu heizen, was sie auch sogleich tat. Gemeinsam schleppten Amarin und Mathan einige Rohlingsformen aus einer Ecke zu der Nähe der Öfen und auch zwei Ambosse. So bereiteten Vater und Sohn mit Adriennes Hilfe alle nötigen Schritte zum Schmieden vor. Die Gondorerin beobachtete dabei jeden Schritt der Vorbereitung aufmerksam und fragte, was genau denn geschmiedet werden sollte. Amarin antwortete nicht, sondern deutete nur auf die Formen, die eine lange Klinge darstellte und die dazugehörigen Einzelteile. Mathan fragte schließlich ob er überhaupt noch Erz da hätte, was sein Vater zum Lachen brachte. "Sonst würde ich den Aufwand nicht machen", sagte er nachdem er sich beruhigt hatte und verschwand in die Ecke, wo sein Bett stand. Nach einigen Momenten, in denen Adrienne die Öfen erhitzt hatte, kehrte sein Vater wieder zurück. Er schob eine Lore, in der ein eigentümliches Erz glitzerte.
"Ist das...", begann Mathan und wurde still.
"Ja, das ist Sternenerz. Frag mich nicht woher es ist, das darf ich nicht erzählen", antwortete Amarin und legte die Klumpen in die großen, steinernen Kessel, die man in die Öfen schieben konnte.

Es verging eine ganze Zeit, in der Mathan und sein Vater sich dem Schmiedehandwerk widmeten. Selbst der Abend verging im Flug, während sie das Metall schmolzen und durch eine geheime Zutat Amarins säuberten. Dutzende Schritte, die Mathan bisher noch nicht kannte führte sein Vater aus, bevor das heiße Metall schließlich in die Form gegossen wurde. Dabei erkannte er, dass es die eigentümliche Waffe war, die sein Vater zuvor geführt hatte. Doch bei dieser Art war selbst der verlängerte Griff aus dem Metall, was Amarin mit einer höheren Stabilität begründete. Während sie so arbeiteten warf Mathan seinem Vater immer wieder Blicke zu, die sie beide verstanden. Es erinnerte sie an die Zeit, in der sie selbst in der Schmiede gearbeitet hatten, wo es noch deutlich belebter zuging. Hier unten war jedoch nur die beiden Elben Adrienne, im oberen Teil hingegen arbeiteten die Hwenti und richteten sich in den ungenutzten Räumen ein. Das Mädchen verstand zwar nach den ersten paar Minuten gar nichts mehr von dem Handwerk, half aber wo sie konnte. Gemeinsam schwangen Vater und Sohn den Schmiedehammer und fertigten die einzelnen Teile an, darunter den Handschutz in Form einer Klinge und den Knauf.

In der Nacht war es schließlich soweit, als Amarin vorsichtig das Werkstück der großen Klinge nach unzähligen Malen abhärten auf den Werktisch legte. Nebenbei schmolz er in den Öfen kleine Tiegel voller Metalle, darunter Gold, Silber und Platin. Mit einer kleinen Feile bewaffnet trat er an die Arbeitsplatte. Die Hitze der Öfen ließ sie schon lange schwitzen, sodass sich alle schon längst einen Zopf gemacht hatten.
"Ich denke, den Rest mache ich alleine, immerhin muss ich doch meine besten Tricks für mich behalten", sagte Amarin augenzwinkernd und begann überstehende Metallsplitter abzuschleifen, "Also ruht euch aus, oder schnappt etwas frische Luft."
"Ich lege mich schlafen", verkündete Adrienne sofort und verabschiedete sich gähnend. Mathan blieb noch eine Weile und sah dabei zu, wie sein Vater das geschmolzene Gold in kleine Formen goss, das Gleiche wiederholte er mit den restlichen Metallen. Auf einen Blick Amarins hin, legte er schließlich seine Schürze beiseite und machte sich auf, um draußen nach Halarîn zu sehen. In der oberen Etage angekommen, bemerkte er sofort eine erhöhte Betriebsamkeit: dutzende Elben liefen umher und verstauten Habseligkeiten, suchten sich einen Platz zum Ruhen oder standen in kleinen Gruppen und redeten aufgeregt miteinander. Einige der Hwenti blickte ihn im Vorbeilaufen schräg von der Seite an, doch niemand wandte das Wort an ihn. Als er den ursprünglich nicht gewollten Eingang in dem Turm erblickte, musste er kurz blinzeln, denn die Elben hatten ganze Arbeit geleistet: Fahles Mondlicht fiel durch den breiten Eingang in den Raum, die Decke war sorgfältig abgestützt und mit offenbar frisch verarbeiteten Holz vertäfelt. Zwei Krieger standen in der Öffnung Wache, während immer wieder Avari ein- und ausgingen. Als Mathan aus der Schmiede trat wurde er von dem Anblick dutzender Elben erschlagen. Der Hang und die umliegenden Hügel ware von dutzenden Zelten übersäht, zwischen denen sich immer wieder kleine Gruppen von Elben hindurchschlängelten. Vor dem Eingang stand eine größere Gruppe Avari, unter denen er auch sofort Halarîn erkannte. Scheinbar spürte sie seinen Blick, denn sie wandte sich sofort um und ging ihm entgegen. Dabei bemerkte Mathan, dass ihr der Rest der Gruppe mit einem kleinen Abstand folgte.
"Ich habe meine Familie gefunden... zumindest Einige von ihnen", erklärte sie freudstrahlend und warf sich ihm in die Arme, "Ein Wunder bei so vielen Avari."
"In der Tat...", brachte er nur stockend hervor, noch immer verunsichert über die große Anzahl der Neuankömmlinge. Dabei war er sich sicher, dass es noch mehr sein mussten, da der Geräuschpegel höher war als in einem Heerlager, so fühlte es sich zumindest für ihn an. Sein Blick glitt über die Elben, die in einen kleinen Abstand hinter seiner Frau standen und sie aufmerksam anblickten. Trotz der Dunkelheit, konnte er auch missbilligende Blicke ausmachen. Mathan seufzte leise, woraufhin sich Halarîn von ihm löste und begann jeden der Hwenti vorzustellen.
Titel: Sternsicht
Beitrag von: Fine am 27. Mär 2017, 16:57
Oronêl, Finelleth, Faelivrin und Kerry mit den Manarîn aus Dunland (http://modding-union.com/index.php/topic,6166.msg455146.html#msg455146)


Die um viele Elben angewachsene Reisegruppe hatte den Grenzfluss Eregions zu Dunland an der selben Furt überquert, die die von Mathan angeführte Gruppe bereits eine Woche zuvor verwendet hatte. Bald schon kamen die Ruinen der Ringschmiede vor ihnen in Sicht... und noch einige andere, unerwartete Dinge.
"Wo kommen all die Leute her?" fragte Kerry verwundert. Die nahezu vollständig zerstörte einstmalige Hauptstadt Eregions war nun mit einer großen Anzahl Elben bevölkert, die dort ihr Lager aufgeschlagen hatten. Im Zentrum des Lagers befand sich die Schmiede, bei der Mathan, Halarîn und Adrienne mit Amarin gewartet hatten während Oronêls Gruppe nach Dunland gereist war.
"So etwas hatte Ivyn bereits vermutet," sagte Faelivrin. "Wenn sie ihre Vorahnung nicht täuscht, sind das Hwenti - Avari-Elben von Mutters Stamm."
"Noch mehr Verwandte?" wunderte sich Kerry mit einer Mischung aus Überraschung und Verwunderung.
"So scheint es wohl. Komm, wir sollten uns ankündigen."

Während der Rest der Manarîn sich etwas zurückhaltend am Rand des Hwenti-Lager sammelte machte sich Faelivrin mit ihren wichtigsten Beratern auf die Suche nach den Anführern der Avari. Kerry folgte mit Finelleth und Oronêl, doch sie hielten etwas Abstand, um nicht allzu neugierig zu wirken. Schließlich fand Faelivrin einen Elben, der sich als Fanathr vorstellte und sie freundlich begrüßte. Kerry verstand jedoch nicht viel, da die Unterhaltung in der Sprache der Hwenti erfolgte, einem komplizierten Avarin-Dialekt. Doch allem Anschein nach wurden die Manarîn von den Hwenti freundlich begrüßt und als wiedergefundene Verwandte angesehen.
Ehe Kerry weiter zuhören konnte spürte sie eine Berührung an ihrem Bein und eine kleine Hand legte sich in ihre Linke. Es war Farelyë.
"Licht-Schwester," sagte sie gut gelaunt. "Da bist du wieder."
"Hallo, meine Kleine," erwiderte Kerry freudig überrascht. Sie blickte sich um, doch von Ivyn, die sich ihres Wissens nach um Farelyë gekümmert hatte, war nichts zu sehen. "Was machst du hier?"
"Hwenti sind hier. Ivyn hat es gesehen. Hat mir gezeigt, wie man Verborgenes sehen kann," erklärte das Elbenmädchen. "Ich habe sie auch gesehen, aber von weit weg. Wollte sie mir genauer anschauen, unter dem Licht der Sonne, nicht nur durch die Sterne."
"Wie meinst du das, Sonne und Sterne?" fragte Kerry verwundert, während sie an Farelyës Hand ging und sich ein wenig aus der Elbenmenge herausbewegte.
Farelyë zeigte auf ihr rechtes Auge. "Du siehst sie jetzt, so wie ich sie gerade sehe. Mit den äußeren Augen. Im Licht der Sonne. Aber Ivyn hat sie vorher gesehen. Durch die Sterne. Mit Geheim-Sicht."
"Du meinst, sie hat die Ankunft der Hwenti in einer Vision gesehen? Meine Nésa sagte, Ivin verfügt über eine ausgeprägte Vorahnung."
"Vorahnung. Ja. Silberne Augen der Ersten sehen weit, Licht-Schwester Morilyë."
"Oh," machte Kerry und kam im Schatten einer halb umgestürzten Säule zum Stehen, wo es ruhiger war. "Sag mal, Kleine... was siehst du, wenn du, hmm..." sie brach ab, doch Farelyë blickte sie neugierig an, so dass Kerry dazu ermutigt wurde, weiterzusprechen. "Was siehst du, wenn du mich... durch die Sterne betrachtest?"
Farelyës Gesicht nahm einen seltsamen Ausdruck an, in dem sich für einen kurzen Augenblick ihr wahres Alter zeigte. In diesem Moment erschien sie Kerry nicht wie das junge Mädchen, das sie körperlich noch immer war, sondern wie eine uralte, weise Herrin, die über unbegrenztes Wissen verfügte. Doch dann verging der Ausdruck und sie war wieder Farelyë, jung und voller ungestümer Energie. "Soll ich das wirklich machen, Morilyë? Ist nicht immer weise, sagt Ivyn."
"Wenn du... Ja, bitte sieh nach. Vielleicht mache ich dann in Zukunft weniger Fehler. Ich will in ein Abenteuer ziehen, verstehst du? Und darauf möchte ich gut vorbereitet sein. Dann müssen sich meine Eltern keine Sorgen um mich machen," sagte Kerry.
Farelyë nickte und legte die Fingerspitzen ihrer linken Hand zusammen und führte sie an Kerrys Stirn. Das Mädchen schloss die Augen und verharrte einige Sekunden in dieser Haltung, ehe sie die Hand wieder wegnahm.
Kerry wunderte sich. Sie hatte... mehr erwartet. Dass Farelyës Hand zu leuchten beginnen würde, oder dass sie ein Zeichen an Kerrys Stirn hinterlassen würde. Sie erinnerte sich daran, wie das Elbenmädchen im Verlies unter Carn Dûm einen kleinen, leuchtenden Stern erzeugt hatte. War das etwa schon alles? dachte sie ein wenig enttäuscht.
Farelyë hingegen betrachtete ihre Hand mit verzogenem Gesicht. "Nicht gut," sagte sie leise. "Hätte nicht schauen sollen."
"Wieso? Was hast du gesehen?" fragte Kerry neugierig.
"Leiden, Schmerz... und Tod," sagte Farelyë. "Auch andere Dinge, aber..."
"Tod?" flüsterte Kerry erschocken. "W-werde ich etwa..."
"Ja," sagte Farelyë ebenso leise. "Eines Tages. Aber was ich sah... war nicht dein Tod."
"Oh," machte Kerry. "Es... es tut mir Leid, dass ich dich darum gebeten habe. Es war dumm von mir."
Farelyë ergriff ihre Hand. "Es gab noch mehr zu sehen. Du bist gewachsen, Licht-Schwester, seitdem du mich im Eis-Norden gefunden hast. Du wirst weiter wachsen, stärker werden... aber du musst aufhören, die Schuld bei dir zu suchen. Du hast mich gefragt. Ich habe geschaut. War meine Schuld. Geh mit deinen Freunden! Ist wichtig, dass du mitkommst. Sie werden deine Hilfe brauchen."
"Du meinst Oronêl und Finelleth? Sie..."
"Ja. Angehörige eines mächtigen Hauses. Werden ihr Erbe verteidigen müssen..."
"Ich glaube, das reicht für heute, meine Liebe," sagte eine sanfte, volle Stimme. Es war Ivyn, die unbemerkt herangekommen war. Sie sprach in einem altmodischen Dialekt der Allgemeinsprache, dennoch konnte man sie gut verstehen. "Ich habe gespürt was du getan hast," sagte sie zu der kleinen Elbin, die ihrem Blick standhielt. "Doch nun ist es Zeit für etwas anderes. Deine Freundin Estora sucht nach dir. Du solltest zu ihr gehen."
Farelyë nickte und nahm Kerrys Hand. "Bis bald, Licht-Schwester."
"Bis bald, Kleine," sagte Kerry leise.
Ivyn musterte Kerry einen langen Augenblick. Dann sagte sie: "Lasse dich nicht von Farelyës Worten verunsichern. Sie versteht noch nicht alles, was sie in Eindrücken und Vorahnungen erblickt. Es stimmt, dass die Ersten manchmal Dinge sehen, die noch in der Zukunft liegen... aber man kann solche Visionen nicht vorsätzlich hervorrufen, wie Farelyë es bei dir versucht hat. Sie glaubt, sie kann sich einen Blick in das Schicksal Anderer erzwingen, aber so funktioniert es nicht. Als sie dich berührt hat, wurde ihr ein zufälliger Moment gezeigt, der womöglich eines Tages auf deinem Weg eintreten wird... aber nicht zwingend. Verstehst du?"
Kerry gab sich alle Mühe, Ivyns Worten zu folgen. "Du meinst, sie hat nur eine mögliche Zukunft gesehen?"
"So ist es. Es ist gut, dass sie dir keine Einzelheiten genannt hat. Sie muss noch viel über ihre Kräfte lernen, und vor allem darüber, wie sie sie mit anderen teilt. Sie sprach von Schmerz und Tod... und nun wirst du versuchen wollen, diese Leiden abzuwenden. Das ist nicht gut. Du solltest ohne eine solche Last in dein Abenteuer ziehen. Lass mich sie dir nehmen." Sie wartete keine Antwort ab sondern berührte mit einer schnellen Bewegung die Stelle an Kerrys Stirn, wo Farelyës Finger gelegen hatten. Kerry spürte keine Veränderung, konnte allerdings von diesem Augenblick an nicht mehr genau sagen, was ihr Farelyë über die Zukunft verraten hatte.
"Was..." stieß sie hervor, doch da legte sich eine Hand auf ihren Kopf und eine vertraute Stimme erklang neben ihr.
"Hier bist du also, kleine Morilië," sagte Halarîn und umarmte Kerry herzlich, während Ivyn sich freundlich lächelnd zurückzog und kurz darauf verschwunden war.
Kerry erwiderte die Umarmung. "Hallo, Amil." Sie hatte sich schon während der gesamten Reise von Aéds Dorf nach Eregion darüber Gedanken gemacht, wie sie es ihren Eltern beibringen sollte, dass sie mit Oronêl und Finelleth in ein neues Abenteuer aufbrechen wollte. Doch glücklicherweise kam Halarîn ihr zuvor.
"Faelivrin sagt, du hast große Pläne, meine Kleine."
"Ich... will mit ihnen gehen, und ihnen helfen, wie sie mir in Carn Dûm geholfen haben," erklärte Kerry.
"Das verstehe ich, Morilië. Dennoch wäre es mir lieber, du würdest hier bei mir und deiner Familie in Eregion bleiben... in Sicherheit. Die Manarîn und die Hwenti werden hier gemeinsam etwas Wunderbares schaffen."
"Das weiß ich, Mutter, und ich bin froh, hier eine neue Heimat zu finden, aber... ich habe das Gefühl, auf diesem neuen Abenteuer noch mehr neue Dinge lernen zu können und an den Herausforderungen zu wachsen. Ich werde Finelleth und Oronêl helfen... und dann hierher zurückkehren."
"Das hoffe ich," antwortete Halarîn. "Denn sonst verpasst du noch die Ankunft deines Geschwisterchens."
"Das würde ich mir nie entgehen lassen," sagte Kerry. Sie war froh, dass Halarîn ihr die Reise ins Waldlandreich nicht sofort verboten hatte. Allerdings war sie sich noch nicht darüber im Klaren, wie Mathans Meinung dazu aussehen würde.

"Wenn du dir sicher bist, dann solltest du gehen. Es wird lehrreich für dich sein, Ténawen. Und bitte, schau mich nicht so überrascht an. Dachtest du, ich würde dich hier wegsperren damit du nicht mehr in Gefahr geraten kannst?"
Kerry blinzelte überrascht als Reaktion auf Mathans Aussage und brachte nur "Also, ich..." hervor.
Mathan grinste. "Erwischt, Tochter." Er stand im Inneren der Schmiede und hatte sich leise mit Amarin unterhalten, als Kerry und Halarîn ihn aufgesucht hatten. Kerry hatte ihr Anliegen vorgetragen, aber mit einer solchen Antwort hatte sie nicht gerechnet. Ihr fiel auf, dass es in den Räumen, die die Jahrtausende seit der Zerstörung Eregions überdauert hatten, nun deutlich aufgeräumter aussah. Das Innere der Schmiede war mit elbischen Lampen gut beleuchtet und wirkte sehr heimatlich.
"Ontáro, ich... bin froh, dass du es so siehst," sagte Kerry dankbar.
"Und ich bin froh, dass du deine Angelegenheiten in Dunland abgeschlossen hast. Es wird dir gut tun, etwas Abstand zu bekommen."
Kerry blickte zu Boden. "Gibt es denn gar keine Geheimnisse mehr vor dir?"
Ihr elbischer Vater schien für einen Moment sehr nachdenklich und griff nach der Kette um seinen Hals. Ein Schatten huschte über Mathans Gesicht. Sein Blick huschte zu Halarîn hinüber und er schien etwas sagen zu wollen, doch dann blieb er stumm. Mathan warf einen schnellen Blick zur Schmiede, in der die Ringe zerstört worden waren. "Du weißt ja, zu welchen... Problemen Geheimnisse führen können," brach er das Schweigen schließlich.
"Ja, weiß ich," gab Kerry zurück und erinnerte sich an Maethors Ring, der beinahe Besitz von ihr ergriffen hatte.
"Gut, dass du deine Lektion gelernt hast," sagte Mathan. "Ich habe noch einiges zu erledigen. Gib mir Bescheid, ehe du abreist - ich werde mit meinem Vater hier sein, oder draußen bei Faelivrin."
Damit war das Gespräch beendet. Kerry verließ die Schmiede und suchte sich eine ruhige Ecke, um über die bevorstehende Reise nachzudenken - und über das, was sie seit ihrer Ankunft in Eregion erfahren hatte...
Titel: Re: Eregion
Beitrag von: Curanthor am 1. Apr 2017, 16:11
Trotz der hohen Betriebsamkeit, die seit der Ankunft der Hwenti - und nun auch die der Manarîn - herrschte, hatte Mathan es geschafft ein ruhiges Plätzchen zu finden. Dass auch seine Freunde zusammen mit dem Volk seiner Tochter zurückgekehrt waren, hatte ihn gefreut, doch wurde es ihm irgendwie zu viel auf einmal. Er hatte schon geahnt, dass Kerry weiterreisen wollen würde und auch ihn selbst zog es fort. Irgendwas schien ihn zu rufen, doch er wusste nicht was es war. Seufzend saß er in dem untersten Geschoss der Schmiede auf dem Bett seines Vaters und blickte auf die beiden Klingen der Silmacil. Ihm war aufgefallen, dass er die Klingen selten zusammenfügte, doch auch spürte er die Kälte der Waffe nicht mehr so stark. Aus der anderen Seite des Raumes hörte er seinen Vater, der noch immer an der Waffe arbeitete, die sie gemeinsam begonnen hatten. Amarin ließ ihn aber nicht herankommen, da er offensichtlich eine Überraschung plante. Mathan ahnte schon, was es für eine Art Überraschung war und erinnerte sich daran, dass sein Vater nie besonders gut darin war ihn zu überraschen.
„Was geht dir durch den Kopf? Du lächelst ja ein wenig“, stellte die belustige Stimme Halarîns fest und seine Frau trat neben ihn an das Bett.
„War nur der Schatten“, brummelte er zur Antwort, konnte jedoch nicht ernst bleiben und grinste schließlich, da seine Frau ihn durchgehend anlächelte. Er seufzte noch mal und strich schließlich sanft über die Wölbung ihres Bauches, das Grinsen verging ihm.
„Du brauchst es nicht zu sagen, ich weiß es schon“, sagte Halarîn und suchte seinen Blick.
„Ist das so offensichtlich?“, fragte Mathan und zog ein unzufriedenes Gesicht.
„Nein, aber ich würde auch so handeln und halte es für die richtige Entscheidung. Ich werde schon zu recht kommen, da ich weiß, dass du rechtzeitig zurückkehren wirst.“
Er seufzte, da sie vermutlich wieder einmal Recht hatte, wie so oft. Seine Frau hatte ein sehr gutes Gefühl was solche Dinge anging. Er streckte sich kurz, ehe er sprach: „Irgendwer muss ja unsere kleine Abenteurerin auf den richtigen Weg schubsen und sie langsam an die unangenehmen Dinge des Lebens heranführen.“
„Vergiss aber nicht die angenehmen Dinge“, sagte Halarîn mit einem eindeutigen Lächeln und strich sich über den schwangeren Bauch.
„Ich glaube da kennst du dich eher aus und wirst auch bessere Worte dafür finden. Bei mir wird das wohl in einer wortreichen Katastrophe enden“, winkte Mathan ab und schüttelte sich bei dem Gedanken, dass er mit Kerry über das Thema sprechen würde. Liebe unter Elben war wohl auch etwas Anders als bei Menschen, zumindest dachte er es sich. Irgendwie hatte er sich nie genau Gedanken darüber gemacht und wenn er jetzt daran dachte, erschien es ihn wie eine verpasste Gelegenheit, es nicht getan zu haben. Ein überraschender Kuss auf den Mund riss ihn aus der Grübelei, den er aber nach dem ersten Moment sanft erwiderte. Als sie sich lösten sagte er: „Ich verstehe schon. Keine Sorge, ich werde rechtzeitig wieder zurück sein und auf unsere kleine Ténawen aufpassen, bis ich…“
Halarîn verharrte vor seinem Gesicht und blickte abwechselnd in seine Augen. Er spürte ihren warmen Atem auf den Lippen und verlor den Faden, was er eigentlich sagen wollte. Gebannt blickte er in ihre Augen, bis sich ihre Lippen fanden und sie sich erneut küssten.
„Dass ihr selbst nach all den Jahren wie zwei frisch Verliebte turtelt ist wirklich bewundernswert“, ertönte die amüsierte Stimme Amarins und ließ sie beide zusammenfahren. Mathan unterdrückte einen Fluch und funkelte seinen Vater wütend an, Halarîn wirkte etwas peinlich berührt, da sie sich in dem Bereich befanden wo sein Vater eigentlich lebte.
„Lasst euch nicht stören“, sagte der alte Elb nur und verschwand pfeifend in der Schmiede.
„Manchmal könnte ich ihn…“, knurrte Mathan, während Halarîn eine Hand auf die Schulter legte, „Immerhin scheint er wieder ganz der Alte zu sein.“
„Offensichtlich“, stimmte ihm seine Frau zu und strich sich die Haare aus dem Gesicht, „Also wirst du mit ihr gehen“, wechselte sie das Thema.
„Ja, irgendwas-„
„Ruft dich“, unterbrach ihn Amarin überraschend und trat zu ihnen. Mathan kniff die Augen zusammen und starrte seinen Vater an, zweifelnd ob er nicht doch etwas Ruhe brauchte.
„Sieh mich nicht so an. Du konntest ein Saphirtor öffnen und das nicht nur einmal“, erklärte Amarin und nickte dabei zu den Silmacil, „Es ist logisch, dass es dich fortzieht. Du fragst dich vielleicht, warum das Gefühl nicht schon eher eintrat und wirst zu keinem Ergebnis kommen, darum verrate ich es dir: Die Macht der Ringe überlagert den Ruf des Nordwindes. Nun kannst du ihn spüren, so deutlich wie ein Flüstern im Wind, nicht war?“
Mathan und Halarîn starrten ihn eine ganze Weile lang an und wussten nicht, was sie sagen sollten. Es klang ganz so, als ob sein Vater selbst diese Erfahrung durchgemacht hatte. Nach einem langen Moment nickte Mathan zögerlich und rückte unruhig auf dem Bett umher. Eigentlich war er sich noch nicht ganz darüber im Klaren, aber ihm war der Nordwind schon öfters aufgefallen, seitdem er in dem Versteck im Eis war. Bisher hatte er dem aber keine besondere Bedeutung zugedacht und es nicht mit dem Drang zur Wanderschaft verbunden. Nach einer ungewohnten Stille, die nur von entfernten Gemurmel aus dem oberen Bereich stammte, sagte Mathan schließlich: „Was ist der Ruf des Nordwinds? Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass du weißt, wovon du sprichst.“
Amarin nickte nachdenklich und wollte sich über das Kinn streichen, verharrte jedoch in der Bewegung und stupste seinen Sohn gegen die Stirn. „Gebrauche deinen Kopf, die Winde des Nordens werden dir den Weg weisen. Mehr werde ich dir nicht verraten“, sagte sein Vater schließlich und zog den Stuhl heran, „Aber ich werde euch etwas Anders sagen, was ihr mich vielleicht fragen wolltet.“
Aufmerksam blickten die beiden Amarin an, der kurz zu zögern schien. In der Stille hörten sie Schritte, die wohl nur zu Adrienne gehörten, da alle anderen scheinbar ungern hier unten waren. „Ich werde hierbleiben und die anderen Elben anleiten. Außerdem kann ich Zeit mit meiner Enkelin verbringen und natürlich mit meiner bezaubernden Schwiegertochter über all die Dinge reden, die in der Zeit geschehen sind, in der ich verhindert war“, sagte Amarin schließlich und endete in dem Moment, indem Adrienne die Ecke betrat. Ihr Blick glitt rasch über die drei Elben und blieb kurz an Mathan hängen. Dabei bemerkte er, dass ihr Etwas auf dem Herzen lag, was auch den anderen beiden nicht verborgen blieb. Er erhob sich und nickte seiner Schülerin zu, die vorausging. Ehe sie sich abwandte konnte Mathan in ihrem Blick eine gewisse Anspannung erkennen, doch sie schwieg und wandte sich ab um an der Treppe zu warten. Er wechselte ein paar Sätze mit seinem Vater, der seine Neugierde nicht zurückhalten konnte, bis Halarîn das Gespräch, das über die Gondererin handelte übernahm. Während sie einen Teil der Geschichte des Mädchens erzählte, schnallte er sich seine Schwerter auf den Rücken und ging schließlich zu dem wartenden Mädchen.


Adrienne stand an der breiten Wendeltreppe, hatte eine Hand auf den Knauf des Schwertes gelegt und die Andere in die Hüfte gestemmt. Ihr Blick hing auf dem Wasserlauf im Boden, hob ihn aber sofort, als Mathan sich ihr näherte. Sie hatte sich einen lockeren Pferdeschwanz gebunden und nickte ihm zu, als er zu ihr trat.
„Ich werde ebenfalls hierbleiben“, eröffnete sie das Gespräch und blickte kurz zu der Ringschmiede, die weiter hinten in dem Raum lag, „Wenn ich noch weiter fortgehe, wird mein Bruder meinen Spuren nicht mehr folgen können. Zwar dürften seine Wunden nicht komplett verheilt sein, aber ganz so weit will ich mich doch nicht aus Eriador fortbewegen.“
Ihr Blick wirkte nachdenklich und sie kaute unsicher auf der Unterlippe herum. „Das ist verständlich“, beruhigte Mathan sie und lächelte aufmunternd, „Ich hatte mich schon gefragt, wann die Sorge um Acharnor zu groß wird um weiterzureisen. Es ist nur natürlich, immerhin ist er dein kleiner Bruder.“ Adriennes Gesicht erhellte sich etwas unter den elbischen Laternen und sie wirkte gelöster.  „Er ist ein Dummkopf“, grinste sie schließlich und wurde wieder ernster, „Aber er kann nicht so gut für sich selbst sorgen. Zwar habe ich einige Dinge auf unserer Reise gelernt aber…“
„Manche Dinge muss man selbst am eigenen Leib erfahren“, beendete Mathan den Satz für sie und nickte, „Ich bin eine sehr lange Zeit alleine umhergereist und habe meine eigenen Erfahrungen gesammelt, aber irgendwann zieht es einem doch wieder zurück zu der Familie.“
Sein Blick ging in die Ecke, in der Halarîn mit seinem Vater noch immer redete, zumindest glaubte er ihre Stimmen zu hören.
„Glaubst du, ich kann eine Weile hierbleiben? Vielleicht kann ich zwischen dem Sternenbund und den Elben Etwas vermitteln?“, murmelte Adrienne nachdenklich und ließ Mathan wieder den Kopf wenden.
„Ich glaube für den Anfang ist es zu früh um irgendwelche Pläne zu schmieden, immerhin müssen sie erst Fuß fassen. Die Manarîn unterscheiden sich doch etwas mehr von den Hwenti und den übrigen Avari als sie selbst gedacht hatten. Zuerst müssen sie wieder zueinander finden, was aber kein Problem darstellen sollte, immerhin war die Stimmung ausgesprochen gut als die Manarîn angekommen sind“, erklärte Mathan nachdenklich und bedeutete Adrienne mit nach oben zu gehen. Während sie die Stufen hochstiegen, merkte Adrienne an, dass die viele Elben sie kaum wahrnahmen, was ihn lächeln ließ. „Nun, manche aus meinem Volk sind nicht so offen wie Andere verstehst du? Sie mögen zwar intellektuell auf einer hohen Stufe stehen, doch berechtigt das niemanden auf Andere herabzusehen. In dem Punkt unterscheiden sich Elben und Menschen nicht groß, denn Menschen mit Macht und Wissen teilen diese Aspekte nur ungern. Wobei die Gier nach Macht bei den Elben äußerst selten zu finden ist…“ Er unterbrach sich, denn sie waren in einer Gruppe diskutierender Elben geraten. Sogleich hörte er die Stimme seiner Tochter heraus, die am Rand der Gruppe stand und mit Fanathr sprach. Genaueres konnte er nicht heraushören, doch ihm war es in dem Moment gleich, denn für Politik hatte er jetzt keine Nerven. Rasch nahm er Adrienne an die Schultern und schob sie sacht aus der Gruppe heraus, doch zu seinem Unmut hörte er hinter sich jemanden seinen Namen rufen. Mathan seufzte und beugte sich zu Adrienne herunter: „Das wird wohl eine Weile dauern, du kannst wieder runter gehen oder an die frische Luft, wie du beliebst.“ Sogleich war seine Schülerin auch aus seinem Sichtfeld verschwunden und er drehte sich zu Fanathr um, der ihn gerufen hatte. Neben ihm ging Faelivrin und einige Mitglieder des Hauses der Manarîn, aber auch ein paar Gesichter, die er dem Stamm der Hwenti zuordnen konnte.
Titel: Re: Eregion
Beitrag von: Curanthor am 12. Apr 2017, 00:24
Mathan straffte sich, da er ahnte, dass ein kompliziertes Thema ihn erwartete. Höflich grüßte er Fanathr und die übrigen Elben, seiner Tochter küsste er jedoch rasch auf die Wange. Faelivrin lächelte ihn dabei an und erwiderte die Geste, nur um sogleich wieder ernster zu werden.
"Wir würde gerne Euch um Rat fragen", begann Fanathr das Gespräch und blickte dabei zu den umstehen Hwenti, "da mein Volk sich uneins ist."
Mathan gab ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass er weitersprechen konnte.
"Da die Hwenti zahlenmäßig etwas mehr als die Manarîn sind, gibt es einige Stimmen, die Faelivrin nicht als ihre Herrscherin anerkennen. Versteht mich nicht falsch, viele respektieren sie für das, was Eure Tochter geschafft hat, jedoch bevorzugen einige der Avari lieber bei ihren eigenen Stamm innerhalb der Hwenti zu blieben. Ihr müsst wissen, dass wir kein großes Reich besaßen oder einen großen Herrscher. Wir blieben in kleinen Dörfern, jeder mit einem Anführer, den wir uns erwählten. Ich bin der Anführer des größten Dorfes und habe damit mehr Stimmen hinter mir." Fanathr drehte sich zu den anderen Elben um, die nun auf seiner Seite standen. Mathan bemerkte, dass Faelivrin nun in Begleitung ihrer Fürsten war, die im Gespräch hinzugestoßen waren. Mit gerunzelter Stirn stellte Mathan fest, dass sich hier langsam zwei Fronten bildeten, da auch einige der Hwenti auf Faelivrins Seite standen. Die Lage schien sich zuzuspitzen, zumindest erkannte er das auftretendes Problem sofort, jedoch schien der Grund tiefer zu liegen.
"Die Manarîn mögen zwar nicht zu der Mehrheit gehören, dennoch ist in der Zeit außerhalb Mittelerdes in uns eine neue Identität erwacht. Mein Volk ist geeint, wir stehen zueinander, egal in welchen Zeiten. Wir haben viele Verluste zu beklagen und selbst als wir am Rande des Abgrunds standen, konnten wir alle Kraft aufbringen und eine neue Bleibe suchen. Mein Volk steht hinter mir, was ich von den meisten Hwenti nicht behaupten kann und doch besteht die Chance, dass auch die übrigen Hwenti diese Mentalität in sich tragen", antwortete Faelivrin auf Fanathrs Ausführung, wobei man die Spitze im letzten Satz deutlich herazushören konnte. Der Elb verzog jedoch keinen Gesichtsmuskel und hielt den bohrenden Blick Faelivrins Blick stand. Mathan wollte schon Luft holen um die Situation zu entschärfen, doch eine andere Stimme erhob sich zur allgemeienm Überraschung: "Die Mentalität gibt es bereits, meine Liebe." Ivyn trat in die Runde und sorgte für erstaunte Gesichter, was sich meist in hochgezogenen Augenbrauen äußerte. Fanathr und die übrigen Hwenti verneigten sich respektvoll. " Es ist kein Zufall, der den Rest unseres Volkes in diese Lande führte. Die Manarîn sind geeint durch Schmerz, Verlust und Zeit, doch auch durch das Erschaffen von etwas Neuem. Sie erschufen auf einem Inselreich eine Welt nach ihren Vorstellungen. Jeder einzelne Elb, egal welcher Familie oder Stamm angehörig brachte sich ein und zusammen erschufen sie etwas Großartiges. Jedoch sind die Manarîn noch immer Avari, genau wie die Hwenti. Wir unterscheiden uns nicht, doch hat Faelivrin in einer Sache Recht: Die Manarîn sind geeint."
Fanathr atmete unmerksam scharf ein und senkte dann aber langsam den Kopf. Einige der Hwenti blickte sich an und wirkten nachdenklich. Mathan spürte, wie die angespannte Stimmung sich etwas lockerte, aber trüber wurde, denn die Blicke der Hwenti wurden düster.
"Verlust hatten auch eure Brüder und Schwestern zu erleiden", sprach eine unbekannte Elbin hinter Faelivrin, die jedoch zu Fanathrs Gruppe gehörte, "Warum muss man sich mit solch trivialen Dingen befassen und sich nicht dem bewusst werden, was wir wirklich brauchen: Einigkeit."
"Wie ist dein Name?", fragte Ivyn sogleich an die Elbe gewandt. Sie hatte dunkelbraunes Haar und Tränen glitzerten in den rehbraunen Augen.
"Das ist Amante, die Letzte ihrer Familie", stellte Fanathr sie mit leiser Stimme vor und er mied den Blick der Elbe, "aus dem Hause Maltahal."
"Was ist geschehen?", fragte nun Faelivrin mit sanfter Stimme, die sich zu Amante umgedreht hatte.
Die braunhaarige Elbe mit einem ähnlichen, rundlichen Gesicht wie Halarîn schien die Aufmerksamkeit zu viel zu werden. Hastig entschuldigte sie sich und stürmte davon, während ihr die Tränen über das Gesicht liefen. Mathan blickte ihr bestürzt hinterher und fragte sich, was den Hwenti wohl zugestoßen war. Was konnte ein ganzes Volk dazu bewegen, eine solch gefährliche Reise auf sich zu nehmen. Welche Schrecken mag Amante durchgestanden haben?

"Ich denke, wir sollten das in Ruhe noch einmal besprechen", wandte Faelivrin langsam ein und riss Mathan aus den Gedanken, "Aber ich werde niemanden meinen Willen aufzwingen. Wenn es Hwenti geben wird, die nicht unter meiner Krone stehen wollen, so werde ich sie nicht dazu zwingen. In diesen Landen gibt es genug Platz für uns alle."
Überraschendeweise schaltete sich Ivyn ein: "Das klingt sehr vernünftig. Ich werde mich nun in das Lager der Hwenti begeben und dort die restlichen Anführer zusammensuchen. Fanathr, würdet Ihr mir folgen? Euer Einfluss wird eine große Hilfe sein."
Der verdutzte Elb nickte stumm und folgte der hochgewachsenen Ersten nach draußen, gefolgt von einigen anderen Hwenti. Mathan atmete erleichert aus, da war er nochmal ungeschoren davongekommen. Er blickte zu seiner Tochter, die sich kurz mit ihren Fürsten beriet und diese dann fortschickte. Nach einer kurzen Zeit waren die beiden schließlich alleine und blickten nachdenklich hinab zu den Mosaik auf dem Boden.
"Wir werden eine Stadt bauen", sagte Faelivrin plötzlich und legte Mathan eine Hand auf die Schulter, "Willst du nicht hierbleiben? Wir können jede Hilfe gebrauchen und deine taktischen Kentnisse könnten wir gut für die Befestigung gebrauchen."
Mathan lächelte und legte seine Hand ebenfalls auf die seiner Tochter, doch er schüttelte dabei sachte den Kopf. "Ich muss gehen. Wir haben doch außerdem einen sehr begabten Baumeister in unserer Familie. Ich bin mir sicher, er wird etwas Großartiges erschaffen."
Seine Tochter senkte kurz den Blick und wirkte weniger wie eine Königin, sondern eher wieder wie das kleine Elbenmädchen, das er einst an der Hand gehalten hatte. Kurz verschwamm das Bild mit Kerrys Gesicht und er blinzelte. Nein, er musste gehen und sie beschützen. Faelivrin hat ein ganzes Volk hinter sich, das sie beschützen würde, seine andere Tochter jedoch nicht.
"Ich weiß es. Eines Tages wirst du mit ihr wieder zurückkehren und die schüchterne Ténawen ist eine mutige Frau, die viele Dinge gelernt und gesehen hat", sagte Faelivrin plötzlich und blickte ihn an, "Ich sehe es in ihren Augen, den Drang sich zu beweisen, dazu zu gehören und akzeptiert werden. Sie möchte wachsen. Hilf ihr dabei, Vater, leite sie, so wie du mich geleitet hast. Dann bin ich mir sicher, wird sie eine anständige und mutige Frau werden."
Anstatt einer Antwort nahm Mathan Faelivrin in die Arme und unterdrückte eine Träne, die sich davonstehlen wollte. Es war das Wunderschönste, was sie seit ihrer Ankunft in Mittelerde gesagt hatte.
"Es tut gut, dass du hier bist", sagte er erstickt und wandt sich bei dem Gedanken, all das hier lassen zu müssen. Seine Famile, seine neue Heimat und seinen Vater. Eine warme Hand schmiegte sich an seine freie Schulter und sein Blick erfasste Halarîn, die neben ihm stand. Er lächelte und ließ seinen Blick etwas weiter zur Seite schweifen, wo sein Vater stand, der zu seiner Überraschung Kerry an der Hand hielt. Amarin schmunzelte und nickte ihm wissend zu.
"Ihr seit alle hier... meine Familie", sagte er leise und blickte die Vier nacheinander an, die entweder lächelten oder stumm seine Hand hielten. Schließlich straffte er sich und wandte sich an seine jüngste Tochter: "Ténawen, ich werde mit dir gehen," die Augen des Mädchens blitzten kurz auf und er konnte nicht sagen, ob sie sich freute oder nicht, "Ich muss dich vorbereiten auf das, was auch immer kommen mag. Faelivrin, deine große Schwester wird von ihrem Volk beschützt und weiß die Dinge schon seit langem. Du magst dir zwar denken, dass die Zeit nicht reicht aber es sind andere Sachen, die ich dir zeigen will. Dinge, die man als Abenteurerin braucht um zu überleben in der Wildnis, oder unfreundlichen Gestalten aus dem Weg zu gehen."
Kerry schien zu merken, dass er bewusst das Wort "Feind" vermied und nicht von einer direkten Konfrontation sprach. Amarin wurde etwas ungeduldig und verkündete, dass er in der Schmiede noch etwas zu tun hatte. Er zögerte, führte jedoch sacht einen Finger an Kerrys Stirn und lächelte soweit es ihm möglich war. Nach einem Augenblick, in dem er Faelivrin einen Blick zuwarf verschwand er in der Treppe nach unten. Diese folgte ihren Großvater nach einem kurzen Moment und sagte, dass sie gleich wiederkommen würde.
"Ich werde hier auf euch warten", sagte Halarîn plötzlich und schmunzelte, "Ich denke, dass Faelivrin schon einige Dinge geplant hat, viel hat sie mir noch nicht verraten, aber wenn ihr zurückkehrt, werdet ihr es auch erfahren."
"Was denn für Dinge?", fragte Kerry sogleich neugierig und ließ Mathan grinsen. "Vielleicht erfährst du es ja wenn du nett fragst, Ténawen", antwortete er und knuffte sie sanft in die Seite.
"Kerry!", ertönte eine bekannte Stimme und Adrienne erschien, in ihrer Hand einen kleinen Korb, "Lass uns nach draußen gehen und etwas essen. Wir müssen ja deine sichere Rückkehr feiern."
"Komm mit, Amil", schlug Kerry sogleich vor und Adrienne nickte eifrig.
Mathan lächelte und streichelte seiner Frau über den Handrücken, bis sie ihre Hand von seiner Schulter löste und den beiden Mädchen nach oben folgte. Dabei nickte er den drei Frauen zu, als sie sich kurz zu ihm umwandten. Er seufzte kurz und begab sich schließlich hinab in die Schmiede, wo er Amarin mit Faelivrin sprechen sah. Die Beiden schienen sich gut zu verstehen, dafür, dass sie sichd as erste Mal trafen. Als er näher kam bekam er mit, wie die beiden über die östlichen Lande sprachen, dort wo einst die Hwenti lebten.
"Störe ich?", fragte Mathan höflich und setzte sich auf eine Arbeitsfläche.
"Nein, ich habe Großvater nur ein paar Dinge über Mutter gefragt. Du bist ja immer so verschwiegen", antwortete Faelivrin lachend und handelte sich einen gespielt säuerlichen Blick ein, über den sich selbst Amarin amüsierte. Seine Tochter erklärte jedoch rasch, dass sie noch viele Dinge vorbereiten müsste und huschte wieder in die obere Etage.
"Hmm, ich dachte du wolltest hier nur einige Wenige herunterlassen", merkte Mathan stichelnd an und sah seinem Vater in das gesunde Auge. Dieser zuckte jedoch mit den Schultern und murmelte, dass Familie eine andere Geschichte sei. Mit einem Handzeichen bedeutete Amarin ihn zu folgen und ging voraus in dem Teil, in dem sie zuvor an der Schmiede gearbeitet hatten.
"Ich habe Etwas für dich, denn dort wo du hingehen wirst, wirst du es brauchen", erklärte sein Vater und zog Etwas unter der Arbeitsplatter hervor. Sofort fiel Mathan ein goldener Schimmer auf, das Blitzen einer blanken Klinge und er ahnte, was sein Vater dort in der Hand hielt. Amarin reicht ihm die Waffe vorsichtig und Mathan packte sie an dem langen Griffstück. Der Stahl war kühl und besaß einen eigentümlichen Schimmer.
"Sternenstahl", murmelte Mathan leise und drehte die Waffe auf die Breitseite wo er feine Verzierungen erkannte, gefertigt aus Silber und Platin. Das Griffstück ging gerade über in die lange Klinge, der Stahl war vornehmlich aus Gold und einem gräulichen Silber. Es war die Art Waffe, mit der sein Vater gekämpft hatte, ein Stab mit einer langen Klinge. Durch den goldenen Schimmer kam ihm eine Idee: "Maltahal..."
"Ein schöner Name, der Klang kommt mir bekannt vor", kommentierte Amarin den Namen und wirkte kurz nachdenklich, klopfte ihm dann auf die Schulter, "Wie du damit umgehst muss ich dir ja nicht zeigen, ich denke, dass bekommst du auch gut alleine hin", sein Vater drückte ihm einen Scheide samt Gürtel in die Hände, "Ich hoffe, das Schmuckstück wird dir gute Dienste leisten."
Mathan nickte stumm und legte den Gürtel an, der quer über seine Brust lief, die Scheide lag auf dem Rücken, sodass der lange Griff über seiner rechten Schulter ragte. Vorsichtig wog er Maltahal in den Händen, wirbelte es umher und ließ es schließlich in der Scheide verschwinden.
"Finde sie", sagte Amarin schließlich mit leise Stimme und zog ihn ungestüm in die Arme, "An meiner Stelle."
Titel: Picknick in den Ruinen
Beitrag von: Fine am 12. Apr 2017, 08:54
Kerry saß verträumt auf einem großen umgestürzten Stein, der gefährlich nahe an der abgebrochenen Kante lag, und ließ die Beine baumeln. Unter ihr ging es zwei Stockwerke in die Tiefe, wo hohes, wildes Gras gegen die verfallene elbische Ruine brandete, zu der Adrienne Kerry und Halarîn geführt hatte. Hier, am Rande der alten Stadt, war es ruhiger und weniger belebt als im Zentrum, wo sich die Schmiede befand. Kerry war ganz froh darüber. Der Trubel, der durch die große Anzahl von Avari entstanden war, erinnerte sie an Mithlond - eine andere, uralte Stadt, die ebenfalls voller Elben gewesen war. Sie hatte zwar viele glückliche Erinnerungen an die Grauen Anfurten, hatte aber bereits dort festgestellt, dass ihr die Wildnis und die Einsamkeit der rauen Nordlande in den Jahren, in denen sie sie mit Rilmir durchstreift hatte, mehr ans Herz gewachsen waren als jede noch so großartige Stadt. Sie war in einem kleinen Dorf aufgewachsen und war nur selten nach Edoras gekommen - meist, um ihren Vater dort zu besuchen, nachdem er in die königliche Garde aufgenommen worden war. Bree, die zweite große Stadt die Kerry in ihrem Leben besucht hatte, war ihr nie in guter Erinnerung geblieben, obwohl sie dort einige Freunde hatte. Doch in Bree waren ihr zu viele schlimme Dinge zugestoßen. Und Fornost... dort war sie eine Weile glücklich gewesen und hatte eine neue Familie gefunden - ehe die Schatten des Krieges sie eingeholt hatten. Sie hofft, dass die Dúnedain die Schäden der Belagerung bereits repariert hatten. Ihre Gedanken wanderten zu Ardóneth, den sie seit der Flucht aus Carn Dûm nicht mehr gesehen hatte. Ich frage mich, wie es ihm wohl gerade geht, und welchen Aufgaben er sich stellt. Ob er seinen Auftrag erfolgreich abgeschlossen hat? Bestimmt hat man ihm bereits eine neue Mission gegeben.

Adrienne berührte Kerry sachte an der Schulter und riss sie damit aus ihren Gedanken. Es war das Zeichen dafür, dass das Picknick fertig vorbereitet worden war. Halarîn hatte eine dicke Stoffdecke auf dem Steinboden ausgebreitet und einige Leckereien darauf verteilt. Ein leichter Wind zog durch die Stadt und verbreitete ein angenehmes, kühlendes Gefühl, während sie sich zu dritt über das mitgebrachte Essen hermachten. Dabei wurde nur wenig gesprochen. Doch nachdem Adrienne den letzten Bissen verschlungen hatte rutschte sie etwas näher an Kerry heran und sagte: "Erzähl' von deiner Reise nach Dunland. Was ist dort geschehen? Und vor allem: Wie ist es mit Aéd ausgegangen?"
Kerry verzog das Gesicht. Ein schneller Blick zu ihrer Mutter zeigte ihr deutlich, woher Adrienne überhaupt davon erfahren hatte. Halarîn grinste fröhlich in sich hinein während sie an einer Birne knabberte und schien sich nicht im Geringsten darum zu scheren, dass die Angelegenheit Kerry etwas peinlich war.
"Wie ich feststellen muss verbreiten sich gewisse Nachrichten schneller als man erwarten würde," sagte sie und versuchte, Halarîns Belustigung zu ignorieren. Adrienne ist meine Freundin, dachte sie. Damals, in Rohan, hatte ich auch Freundinnen, mit denen ich über solche Dinge getrascht habe. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie einst der Neffe des Königs, Marschall Éomer, auf dem Weg nach Dunharg durch Hochborn geritten war. Unter den Mädchen hatte es in den folgenden Wochen kaum ein anderes Thema gegeben. Und als sie herausgefunden hatten, dass Éomer bereits eine Versprochene hatte, war ihre jugendliche Bestürzung umso größer gewesen. Das hier ist aber anders. Aéd ist anders.
Adrienne schaute sie noch immer erwartungsvoll an und verhielt sich einigermaßen untypisch, für ihre Verhältnisse. Sie schien es geschafft zu haben, ihre Schwermütigkeit für einen Augenblick abzulegen. Kerry wurde in diesem Moment klar, dass sie mit etwas so ... Gewöhnlichem wie dieser Sache vielleicht dafür sorgen konnte, dass Adrienne ihre schlimme Vergangenheit und die Wunden, die sie damals erlitten hatte, vielleicht noch etwas länger ausblenden konnte. Also lehnte Kerry sich entspannt gegen den Überrest der Wand der Ruine und begann, ausführlich von Oronêls Reise nach Dunland zu erzählen, bei der sie ihn und Finelleth begleitet hatte. Und sie ließ trotz einer nicht zu übersehenden Errötung, die ihr Gesicht inzwischen zierte, nichts aus; nicht einmal die Zeit, die sie mit Aéd verbracht hatte.
Adrienne schien sich nicht entscheiden zu können, worüber sie mehr schockiert war: Über Aéds Ernennung zum Wolfkönig, oder über die Tatsache, dass...
"...er hat dich wirklich geküsst? Oh, Morilië, es steht schlimmer um dich als ich angenommen hatte!" rief Halarîn und stellte damit klar, wovon sie mehr überrascht worden war.
"Nur ganz kurz, Amil," beschwichtigte Kerry mit einem leicht verärgerten Unterton. "Ich weiß auch nicht, was das zu bedeuten hat - oder zu was das führen wird. Ich denke, es wird ein Weilchen dauern, bis ich Aéd wiedersehe - nun, da ich mich entschieden habe, mit Finelleth ins Waldlandreich zu gehen."
"Ein Kuss hat normalerweise eine recht... eindeutige Bedeutung," meinte Adrienne mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht.
"Oronêl hat uns dabei gestört," erklärte Kerry. "Wusstet ihr, dass er gerne die privaten Gespräche anderer Leute belauscht? Wirklich, das hätte ich nicht von ihm erwartet."
"Oh, für diese Art von Abenteuer ist man nie zu alt," sagte Halarîn gut gelaunt. "Selbst nach tausenden von Jahren werden Liebeleien und Romanzen nie langweilig."
"Und ich dachte, mit dem Alter gewinnt man an Würde und Weisheit," stichelte Kerry.
"Würde und Weisheit sind etwas für Leute wie Ivyn oder Faelivrin," erwiderte Halarîn. "Du wirst es schon sehen: Sie werden dieses Land im Handumdrehen in eine wunderbare Heimat für mein Volk verwandeln... nachdem sie sich mit allen Anführern geeinigt haben."

"Ich habe gewisse Spannungen zwischen den Manarîn und den Hwenti bemerkt," sagte Adrienne und schlug wieder einen ernsteren Ton an. "Denkst du, sie werden Faelivrin als Königin akzeptieren?"
"Sie werden auf Ivyn hören," war sich Halarîn sicher. "Zumindest die meisten. Aber wir wissen noch immer nicht genau, was mein Volk dazu gebracht hat, seine Heimat in Sonuvien zu verlassen. Ich habe gesehen und gespürt, dass ihnen dort etwas Schreckliches zugestoßen ist, aber worum es sich dabei handelt, kann ich nicht sagen. Auch die Manarîn haben ihre Heimat verloren, und das könnte die beiden Volksstämme vereinen. Ihr müsst aber bedenken, dass die Avari und insbesondere die Hwenti nie einen König gehabt haben. Solange die Ersten noch bei ihnen waren, folgten sie deren Ratschlägen und Weisungen, doch Ivyn ging schließlich in die Neuen Lande. Die Hwenti haben schon immer in kleinen, verstreuten Dörfern gelebt, und nicht in großen prachtvollen Städten, wie sie die Manarîn erbaut haben. Was ich damit sagen will ist, dass es möglicherweise noch eine Weile dauern wird, bis beide Gruppe ihre Differenzen beseitigt haben."
"Ich bin mir sicher, sie werden es schaffen," sagte Kerry mitfühlend und legte Halarîn eine Hand auf den Arm. "Sie werden eine Heimat für alle schaffen, die hier leben wollen. Und für alle, die noch kommen werden." Ihr Blick fiel dabei auf Halarîns Bauch. Die Schwangerschaft war deutlich sichtbar geworden.
"Ich wünschte, ich könnte mit Mathan und dir weiterreisen," sagte Halarîn mit einem Anflug von Traurigkeit. "Meine Kleine zieht hinaus in die Welt, um Abenteuer zu erleben, und ich muss hierbleiben und mir Sorgen um sie machen."
"Sorge dich nicht, Amil", beschwichtigte Kerry sie. "Ich kann inzwischen gut auf mich aufpassen. Und ich werde weiter lernen. Dafür wird Ontáro sorgen. Außerdem ist die Reise, die vor mir liegt, nicht besonders gefährlich: Wir reisen von einem Elbenreich ins Nächste. Von Eregion über Bruchtal bis ins Reich Thranduils."
"Das unter Sarumans Kontrolle steht," warf Adrienne ein. "Vergiss' das nicht."
"Und ihr müsst den Hohen Pass überqueren," ergänzte Halarîn. "Finelleth hat mir erzählt, dass sie und Irwyne dort von Orks angegriffen wurden."
Das hatte Kerry nicht gewusst. "Also gut, vielleicht ist die Reise doch ein bisschen gefährlich," gab sie zu. "Aber ich werde ja nicht alleine gehen."
"Dass du alleine gehst würde ich auch niemals zulassen," stellte Halarîn klar. "Du weißt, ich werde mir immer Sorgen um dich machen, Morilië. Weil du mir wichtig bist. Aber ich vertraue darauf, dass du gut auf dich Acht gibst, und dich auf deine Freunde verlässt wenn Gefahr droht. Selbst wenn Mathan nicht in der Nähe sein sollte."
"Wie meinst du das?" fragte Kerry.
Halarîn druckste etwas herum bis sie schließlich sagte: "Sprich am besten während der Reise mit ihm darüber. Es gibt da etwas, worum er sich kümmern muss - und dabei werden sich eure Wege wahrscheinlich trennen."
Kerry blickte nachdenklich in die Ferne. "Nun, ich habe vor, mit Finelleth in ihre Heimat zu gehen, wo wir einigermaßen in Sicherheit sein werden."
"Gut," befand Halarîn und nickte. "Lass' uns für den Augenblick nicht mehr davon sprechen sondern die Zeit genießen, die uns noch bleibt ehe ihr aufbrecht."
"Genau meine Meinung," sagte Adrienne.
So wandten sie sich wieder einfacheren Themen zu und sprachen noch eine ganze Weile über dieses und jenes, was Kerry sehr genoss. Sie wusste, dass sie die beiden schon bald vermissen würde...

Am folgenden Tag brachen sie auf, um nach Norden, in Richtung von Bruchtal zu reisen.


Oronêl, Mathan, Celebithiel, Finelleth und Kerry zur Wildnis nahe Imladris (https://modding-union.com/index.php/topic,1532.msg456228.html#msg456228)
Titel: Audienz bei der Avari-Königin
Beitrag von: Fine am 17. Sep 2017, 22:12
Córiel, Jarbeorn und Sabri mit den Manarîn-Wachen aus Dunland (http://modding-union.com/index.php/topic,6166.msg461759.html#msg461759)


Córiel war auf ihren Reisen durch Mittelerde schon mehrere Male durch Eregion gekommen, hatte das Reich Celebrimbors jedoch niemals während seiner Blütezeit gesehen. Umso erstaunter war sie nun, es wieder von Elben bewohnt vorzufinden. Auf dem Weg zur Hauptstadt des sich im Entstehen befindlichen Reiches sahen sie mehrere Male in der Ferne kleine Ansammlungen von Zelten, die laut den Elbenwachen mit der Zeit zu Dörfern ihres Volkes werden würden. Außerdem begegneten ihnen zweimal weitere Gruppen von gut gerüsteten Soldaten, die offenbar an der südlichen Grenze Eregions wachsam patrouillierten.
Nachdenklich musterte Córiel die Krieger, die sie und ihre Begleiter an der Furt des Glanduin abgefangen hatten. Sie trugen Rüstungen, die zwar gut gearbeitet waren und sicherlich die meisten von Menschen gefertigten Rüstungen übertrafen, doch an die Arbeit der Noldor kamen sie, ihrer Einschätzung nach, nicht heran. Es handelte sich bei den Elben offenbar um Avari, wenn gleich Córiel sich nicht gut genug auskannte, um zu wissen, von welchem der verschiedenen Stämme dieses zerstreuten Volkes sie wohl kamen. Sie waren mit Schwertern, Bögen und Lanzen bewaffnet und blickten sich während der Reise zur Hauptstadt stets wachsam um, als würden sie nach allen möglichen Gefahren Ausschau halten.

Jarbeorn ließ sein Pferd neben Córiels Ross hergehen. "Hör mal, Stikke," begann er im gedämpften Ton, "bist du dir auch sicher dabei? Diese Elben erinnern mich an Thranduils Volk, wenn ich ehrlich bin - das war ebenfalls ein ziemlich misstrauischer Haufen, der es nur ungerne gesehen hat, wenn Fremde über ihre Grenzen in ihr Reich kamen."
Córiel blickte geradeaus, während sie antwortete: "Sie werden uns nichts tun, wenn wir ihnen keinen Grund dazu geben. Es sind immer noch Elben, auch wenn sie von einem anderen Volk abstammen als ich."
"Ich hätte trotzdem gerne meine Axt zurück."
"Und ich vermisse meinen Speer. Aber ich versichere dir: Wir werden die Waffen zurückerhalten, wenn wir mit der Avari-Königin gesprochen haben."
Ein schwaches Nicken des Anführers der elbischen Grenzwachen zeigte Córiel, dass er alles mitangehört hatte, und ihrer Einschätzung zustimmte. Es war wichtig, jetzt als Gesandte Rohans aufzutreten, die eine wichtige Nachricht zu überbringen hatten. Immerhin mussten sie mit allen Mitteln versuchen, einen Krieg zu verhindern, der durch die Intrigen Vecas auszubrechen drohte.
Ich hasse das, dachte Córiel. Sie konnte Intrigen und Ränkespielchen nicht leiden. Am liebsten befand sie sich in einer Position, wo die Seiten klar verteilt waren. Sie wusste gerne eindeutig, wer Freund und wer Feind war. Denn daraus folgte für sie, wen sie töten konnte. Bei Jarbeorn war sie sich darüber im Klaren. Er war ihr Freund, und würde sie niemals verraten. Und ebenso unterschütterlich würde sie Rücken an Rücken mit ihm gegen alle kämpfen, die sich ihnen in den Weg stellen würden.
Sie warf einen raschen Blick auf ihren neusten Begleiter. Sabri, der trotz der angespannten Lage ein siegessicheres Lächeln im Gesicht trug. Er schien sich keinerlei Sorgen über die Situation zu machen, in der sich die drei Gefährten befanden. Er erwiderte Córiels Blick und schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln. Sie verdrehte die Augen und wandte den Blick ab. Ich werde noch nicht ganz schlau aus diesem Burschen, dachte sie und fragte sich nicht zum ersten Mal, woher Sabri wohl stammte, und in wessen Auftrag er nach Dunland gekommen war.

Sie übernachteten in einem kleinen Zeltdorf, das auf halbem Weg zur Hauptstadt von Eregion lag. Am folgenden Tag legten sie den Rest der Strecke zurück, bis die Stadt in Sicht kam, die sich gerade im Bau befand. Erste Anzeichen einer Stadtmauer waren zu erkennen, doch noch bestand der Großteil der Stadt aus Zelten und Fundamenten von neuen Häusern. Die meisten Bewohner Eregions schienen im Augenblick hier zu leben - denn es war laut der Wachen der Furten der sicherste Ort im Land.
"Willkommen in Vincarna Maranwë, dem sich neu erhebenden Ost-in-Edhil," sagte der Anführer der Wächter, als sie die Stadt erreicht hatten. Ihre Ankunft hatte sich rasch herumgesprochen, und Córiel und ihre Gefährten ernteten viele erstaunte, aber teilweise auch offen misstrauische Blicke. Sie stellten ihre Pferde vor einem der größten Zelte ab, das von einer großen Gruppe schwer gerüsteter Gardisten bewacht wurde. Diese Elben waren anders gekleidet wie die Avari, die Córiel an den Furten begegnet waren und schienen zu einem anderen Stamm zu gehören.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Córiel, Sabri und Jarbeorn schließlich ins Innere des Zeltes gebeten wurden. Sie passierten den Eingang, und kamen in ein relativ schlicht eingerichtetes Zelt, das offenbar als temporärer Thronsaal diente, denn am gegenüberliegenden Ende war ein Thron aus geschnitztem und verziertem Holz aufgestellt worden, in dem eine große Elbin saß und die drei Besucher eindringlich musterte. Dies musste die Königin der Avari sein, von der die Dunländer gesprochen hatten. Mehrere Berater umgaben die Königin. Einige sahen ihr so ähnlich, dass Córiel eine nahe Verwandschaft vermutete.
Vor dem Thron angekommen, beugten die drei Gefährten leicht das Haupt vor der Königin, die als Erste das Wort ergriff. "Ihr seid willkommen, Boten des Rates von Aldburg. Ich hörte, dass ihr dringende Botschaften für mich habt."
"So ist es, Majestät," begann Jarbeorn, der Córiel erneut damit überraschte, dass er sich in Situationen, in denen es darauf ankam, durchaus sehr gewählt und angemessen ausdrücken konnte. "Mein Name ist Jarbeorn, Sohn des Grimbeorn, und dies ist Córiel von den Noldor."
Córiel spürte, wie die Stimmung im Zelt etwas feindseliger wurde, denn einige der Elben warfen ihr nun offen ablehnende Blicke zu. Sie scheinen nicht viel von meinem Volk zu halten, schloss sie daraus.
"Und mich nennt man Sabri Ibn Eayan," stellte sich der Dritte im Bunde mit einer galanten Verbeugung vor. "Zu Euren Diensten."
"Ihr steht vor Scalyna Faelivrin Tu-Merenwen, Königin der Manarîn und der Hwenti," sagte einer der Elben mit strenger Stimme. "Was habt ihr zu sagen? Sprecht schnell."
Die Königin machte eine beinahe unmerkliche Geste mit der linken Hand, und der Berater verstummte. Ihr Gesichtsausdruck war reserviert, jedoch nicht unfreundlich. Mit einem Nicken forderte sie Jarbeorn auf, weiterzusprechen.
"Heermeister Faramir entsandte Córiel und mich nach Westen, denn es drangen Gerüchte von Krieg in Dunland an sein Ohr. Auch haben die Herren von Rohan seit vielen Wochen nichts mehr von jenen gehört, die nach dem Ende des Rates von Aldburg in Richtung Eriador aufbrachen. Wir sind hier, weil wir das Schicksal beider Gruppen ergründen sollen."
"Ich nahm für einige Zeit selbst am Rat in Aldburg teil," erklärte Königin Faelivrin. "Und ich kann zumindest einen Teil des Rätsels für euch auflösen. Jene Reisegruppe, die von Rohan in Richtung Lindon aufbrach und vom Herrn und der Herrin des Goldenen Waldes angeführt wurde, ist sicher an den Gestaden Círdans angekommen. Die Galadhrim leben nun dort in den Wäldern Harlindons. Und was Meister Elrond betrifft... wir haben gehört, dass er in seine Heimtstatt in Imladris zurückgekehrt ist."
"Dies sind gute Nachrichten," sagte Córiel. "Keine Nachricht über Meister Elronds Schicksal gelangte nach Rohan. Wir vermuten, dass der Krieg in Dunland dafür verantwortlich war." Sie machte eine kurze Pause und begegnete dem forschen Blick der Königin, ohne zu blinzeln. "Doch war Elronds Gruppe nicht die Einzige, die Aldburg kurz nach dem Ende der Ratssitzung verließ."
"Ich weiß, von wem Ihr sprecht, Córiel von den Noldor," unterbrach Faelivrin sie. "Diese Gruppe hatte einen wichtigen, geheimen Auftrag, der hier in Eregion zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht wurde. Mehr kann ich dazu nicht verraten, denn ich bin mir nicht darüber im Klaren, wieviel jene, die an dieser wichtigen Mission teilnahmen, Euch, Córiel, davon mitgeteilt haben."
Es war eine ehrliche Aussage, und dennoch verärgerte sie Córiel. Ich habe dieses Gerede satt, dachte sie und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Es wäre alles so viel einfacher, wenn wir solch wichtige Dinge frei und offen besprechen können. Dann würde das Ganze auch nicht so lange dauern.
"Wichtig ist im Augenblick nur, dass die Mission Lasserons erfolgreich war," sagte sie und wollte sich rasch dem nächsten Thema zuwenden, das ihr deutlich wichtiger vorkam. Bei der Erwähnung Lasserons zog für einen kurzen Augenblick ein leicht verwunderter Gesichtsausdrück über Faelivrins Gesicht, der jedoch so rasch wieder verschwand, wie er gekommen war. Dies brachte Córiel aus dem Konzept, sodass es schließlich Jarbeorn war, der wieder das Wort ergriff.
"Wir sind noch aus einem anderen, dringenderen Grund hier, euer Hoheit," sagte er und trat einen Schritt vor. Sofort regten sich die elbischen Gardisten, ehe sie erkannten, dass der Beorninger nicht versuchen würde, ihre Königin anzugreifen. "In Dunland ist etwas geschehen. Der Wolfskönig wurde beinahe ermordet, was von der tapferen Córiel gerade noch verhindert werden konnte. Als wir uns den Attentäter genauer ansahen, nachdem sie ihn getötet hatte, stellte es sich heraus, dass er einer vom Elbenvolk war. Ihr versteht sicher, dass manche der Dunländer nun Euch dafür verantwortlich machen."
Córiel fühlte sich sogleich an die Stimmung in Corgans Dorf erinnert, denn kaum hatte Jarbeorn seinen Satz beendet, begannen die Elben, lautstark durcheinander zu reden. Viele sprachen von "ungeheuerlichen Anschuldigungen" und bezichtigten den Beorninger der dreisten Lüge. Mehrere Minuten vergingen, ehe die Königin die Hand hob und ihre Berater zum Schweigen brachte.
"Berichtet mir alles, was in jener Nacht geschehen ist," verlangte sie mit Nachdruck in der Stimme. "Ich will ganz genau wissen, was passiert ist."
Jarbeorn kam der Bitte nur allzu gerne nach und erzählte in raschen Sätzen vom Angriff auf Aéds Leben und dem folgenden Tag, an dem sie herausgefunden hatten, dass es die Dunländerin Veca gewesen war, die sich als Drahtzieherin hinter dem Attentat bekannt hatte.
"Ich stimme eurer Einschätzung zu, dass jemand versucht, Eregion und Dunland gegeneinander auszuspielen, und bin froh, dass Aéd Wolfskönig das ebenfalls erkannt hat. Er ist klüger und besonnener, als ich bei unserer ersten Begegnung angenommen hatte," sagte Faelivrin. "Desweiteren halte ich es ebenfalls für wahrscheinlich, dass diese Veca eine Dienerin Sarumans ist. Doch was mir große Sorge bereitet, ist der Fakt, dass Elben in die Angelegenheit involviert waren.  Ich sehe, dass ihr nicht lügt, was bedeutet, dass tatsächlich einer der unseren - ganz gleich ob Avari oder Noldor - versucht hat, den Herrn der Dunländer zu ermorden. Dies ist in der Tat äußerst besorgniserrregend."
Eine Pause trat ein, in der die elbischen Berater leise miteinander in ihrer Sprache tuschelten. Es war ein Dialekt, den Córiel nicht verstand, weshalb sie vermutete, dass es sich dabei um die Sprache des Hwenti-Stammes handelte.
Sabri, der bislang noch kaum ein Wort gesagt hatte, brach unerwartet sein Schweigen. "Ich will nicht unhöflich sein, Herrin, aber... gibt es unter Eurem Volk vielleicht einige, die nicht mit Eurer Herrschaft einverstanden sind, oder es zumindest zu Beginn nicht waren?"
Das brachte die Elben schlagartig zum Schweigen, und Córiel erkannte, dass Sabri einen Nerv getroffen hatte. Faelivrin schien genau zu wissen. Sie musterte den Südländer aufmerksam, ehe sie sagte: "Interne Angelegenheiten wie diese gehen Euch nichts an, ebenso wenig braucht ihr zu wissen, wer unter meiner Krone steht und wer nicht. Als Zeichen meines guten Willens und als Dank für die Warnung, die ihr mir gebracht habt, werde ich euch jedoch sagen, dass es in der Tat einige Elben gibt, die nicht unter meiner Herrschaft stehen wollen. Das ist auch ihr gutes Recht, denn immerhin sind sie seit jeher ohne einen König oder Königin ausgekommen. Ich hatte nicht vor, ihnen dieses Joch aufzuzwingen und habe ihnen freigestellt, sich ihre eigene Existenz in diesem Land aufzubauen, denn es gibt hier genug Platz für alle von unserem Volk, und sie dürfen sich ansiedeln, wo immer sie wollen. Sie können ihre eigene Existenz aufbauen und diese Ländereien wieder aufleben lassen. Doch dass sie versuchen würden, einen Krieg auszulösen, kann ich noch nicht recht glauben."
"Das Wichtigste ist, dass nun rasch Klarheit geschaffen wird," meinte Jarbeorn. "Ein offener Krieg ist weder für euch noch für die Dunländer von Vorteil. Nur Saruman würde sich vor Freude die Hände reiben. Die wahren Drahtzieher müssen gefunden und bestraft werden, damit wieder Frieden einkehrt."
"Ihr sprecht wahr, Sohn des Grimbeorn. Ich werde Botschaften zu den entlegenen Dörfern entsenden und die Anführer dort zur Rede stellen. Wenn einer der Hwenti dahintersteckt, werde ich es bald herausgefunden haben."
"Und wir werden Veca jagen," ergänzte Sabri und sprach damit aus, was Córiel bereits gedacht hatte. Die Frau hatte bereits zugegeben, den Attentäter entsandt zu haben, und stand ganz offensichtlich mit einigen der Elben in Verbindung. Je früher sie sie fanden, desto besser.

Wenige Minuten später war die Audienz beendet. Faelivrin sicherte den drei Gefährten sicheres Geleit innerhalb ihrer Grenzen zu und lehrte sie einen Satz in der Sprache der Manarîn, der beweisen würde, dass sie mit dem Wohlwollen der Königin reisten. Córiel, Sabri und Jarbeorn erhielten ihre Waffen zurück und machten sich auf den Weg zu ihren Pferden. Es war bereits Mittag, und sie planten, Vecas Spur an den Furten des Glanduins wieder aufzunehmen. Als sie die Stallungen erreichten, die ebenfalls aus einem großen Zelt bestanden, wurden sie dort bereits von zwei ihnen unbekannten Elben erwartet. Eine der beiden war noch ein Kind.
"Wartet einen Augenblick, ehe ihr losreitet, und hört mich an," sagte eine hochgewachsene Elbin, deren Worte großes Gewicht zu haben schienen. Córiel erkannte, dass sie während der Audienz schweigend in der Nähe des Thrones gestanden hatte, sich aber nicht in die Diskussion eingemischt hatte. "Mein Name ist Ivyn von den Hwenti," sagte sie. "Ich weiß, wer ihr seid, und wohin euch eure Suche nun führen muss. Die, die ihr jagt, ist nicht länger in Dunland, wenn mich meine Sicht nicht trügt. Sucht im Osten nach ihr, an den ersten Ausläufern des Trennenden Gebirges."
Die Elbin besaß eine ehrfürchige Ausstrahlung, doch Córiels Blick blieb mehr an Ivyns junger Begleiterin hängen. Diese erwiderte Córiels Blick aus silbernen Augen und nahm überraschend ihre Hand. Die Berührung fühlte sich warm und tröstlich an, doch Córiel verstand nicht, weshalb. "Du trägst großen Zorn in dir," wisperte die Kleine. "Ich glaube... es gibt jemanden, der dir helfen kann. Finde ihn! Finde ihn bald, ehe dich der Zorn verschlingt!"
"Das genügt, Farelyë," sagte Ivyn leise, aber bestimmt. "Ihr solltet jetzt gehen. Eile ist geboten, denn ich fürchte, dass nicht alle so vernünftig wie der Wolfskönig und wie Scalyna sein werden. Reitet mit Hast!"
Sie nahm das Elbenmädchen an der Hand, und eilte rasch davon. Córiel und ihre Gefährten blieben etwas ratlos zurück.

"Das war die Weitsicht der Erstgeborenen, wenn mich meine Sinne nicht täuschen," sagte Sabri nach einer Minute des Schweigens. "Ich denke nicht, dass wir zu den Furten reiten sollten. Lasst uns Ivyns Rat befolgen und im Osten am Rand des Gebirges mit der Suche beginnen."
Jarbeorn hingegen schien Zweifel zu haben. "Ich weiß nicht recht," brummte er. "Das kommt mir alles sehr seltsam vor. Was, wenn es eine Falle ist?"
Córiel zog eine Augenbraue nach oben. "Du hast dich doch noch nie vor Fallen gefürchtet, Schwarzpelz," sagte sie neckend und überspielte damit ihre eigene Unsicherheit. "Ich würde sagen, es ist einen Versuch wert. Sehen wir nach, was es im Osten zu sehen gibt. Und wenn es wirklich eine Falle ist, dann lassen wir sie eben zuschnappen. Diesmal sind wir auf Veca und ihre Tricks vorbereitet."
"Das ist die richtige Einstellung!" lobte Sabri, der bereits im Sattel saß. Und so saßen auch Córiel und Jarbeorn auf. Ehe sie jedoch losreiten konnten, schloss sich ihnen ein weiterer Reiter an, der einen großen Hammer auf dem Rücken befestigt hatte und eine ähnliche Rüstung wie die Manarîn-Wachen trug.
"Mein Name ist Calanto. Ich werde mit euch gehen," rief er und klang dabei voller Tatendrang. "Es wird Zeit, dass jemand etwas unternimmt," fügte er hinzu.
Córiel und Jarbeorn tauschten einen zweifelnden Blick aus, doch schließlich gab die Hochelbin nach. "Also gut," stieß sie hervor. "Du kannst uns vielleicht behilflich sein, wenn du dich in diesem Land besser auskennst, als wir."
Calanto reckte die Faust zur Bestätigung, und trieb sein Pferd zum Galopp an. Rasch folgten ihm die drei Gefährten und ließen die Stadt der Manarîn schon bald hinter sich.


Córiel, Jarbeorn, Sabri und Calanto nach Osten zum Sirannon-Tal (http://modding-union.com/index.php/topic,5003.msg461853.html#msg461853)
Titel: Die Probleme der Manarîn I
Beitrag von: Curanthor am 19. Sep 2017, 03:15
Aus der Sicht von Anastorias, zusammen mit Faelivrin und den übrigen Manarîn

Hastig trieb er sein Pferd zur Eile an und hielt den Blick starr auf den Horizont gerichtet. Das Donnern der Hufe verstärkte in ihm den Drang seinen Hammer zu schwingen, leider hatte er bisher keine Möglichkeit dazu gehabt. Anastorias biss die Zähne zusammen und trieb sein Pferd weiter die Senke hinauf, die er gerade passierte. Er hatte keinen Blick für die Bäume oder die vereinzelten Blumen, welche ab und zu unter die Hufe seines Pferdes gerieten. Er war die ganze Nacht durchgeritten und merkte, dass seinem Reittier bald die Kraft ausging. Zu seiner Erleichterung kam er in die Gefielde, dier er schon kannte. Er ritt um einer größeren Gruppe Bäume herum, auf deren Äste er sich gern entspannte. Erste Elbengruppen, die Material zu dem riesigen Baugrund der Stadt schafften warfen ihn verwunderte Blicke zu. Seine müden Augen erfassten die ersten Zelte und er war froh, bald nicht mehr in einem schlafen zu müssen. Sein Onkel Luscora hatte bereits Pläne für jedes Familienmitglied erstellt, die sonst niemand kannte. Es war sogesehen ein Geheimnis der Nénharma. Je näher der Stadt kam umso deutlicher wurde es, dass in dem einen Tag seiner Abwesenheit offenbar die Baumaßnahmen deutlich beschleunigt wurden. Er wusste zwar nicht wie, aber irgendwie hatten es einige Elben geschafft bereits große Mengen an Steinen und anderen Baumaterialien zu beschaffen. Ihm fielen mehrere Standarten ins Auge, die sich vor dem großen Zelt der Königin im Wind drehten. Etwas zu spät zügelte er sein Pferd und kam fast schon schlitternd zum stehen. Anastorias wollte in aller Eile absteigen, doch verhedderte er sich im Steigbügel und rutschte fluchend vom Pferd zur Seite. Einer der Gardisten vor dem Zelt bemerkte es und erbarmte sich ihm zu helfen. Einen Dank murmelnd drängelte er sich an den beiden Männern vorbei.
"Herr, ihr könnt dort nicht hinein!", rief die Wache ihm hinterher, als er den Stoff zurückschlug.
"Unsinn, meine Nachricht ist hochwichtig und dort drinnen ist doch niemand außer...", er verstummte und brachte den Satz nicht zu Ende. "Oder doch?", murmelte er stattdessen und starrte in eine große Versammlung von Elben, die sich zu ihm umdrehten. Anastorias erkannte Fanathr, den Sprecher der meisten Hwenti; seine eigene Familie war ebenfallsanwesend, selbst sein Onkel Luscora, der Politik verabscheute und sich nie einmischte. Ivyn drehte sich mit Faelivrin zu ihm um, neben ihr standen die übrigen Fürsten der Manarîn, ebenso seine Mutter Isanasca und eine Handvoll Elben, die er nicht kannte.
"Ich hoffe, es gibt einen guten Grund einfach so hereinzuplatzen?", hob Faelivrin an, ein flüchtiges Schmunzeln nahm ihren Worten die Schärfe. Dennoch war ihr Blick ernst und forderte ihn zum Sprechen auf.
Sofort ging er auf ein Knie und hielt sich eine Hand auf das Herz. "Herrin, ich habe wie befohlen die drei Botschafter bis zur Grenze unseres Reiches begleitet."
Sofort hatte er die ungeteilte Aufmerksamkeit und die vereinzelten Gespräche zwischen den kleinen Gruppen erstarben, Ivyn nickte ihm aufmunternd zu.
Mit knappen Worten beschrieb er den vergangenen Vorfall und wiederholte Wort für Wort die Schilderung von der Hochelbe. Er erzählte von dem Überfall und das Gespräch zwischen Córiel und Veca. Als die Sprache auf die Avari und die Wörter "Verräterblut" und "Feiglinge" fielen, erfüllt das Zelt eine eiskalte, schweigende Aura. Es war so still, man hätte eine Nadel auf den Boden fallen hören können. Anastorias endete mit dem wahren Namen von Veca und erhob sich schließlich. Ein Blick zu Faelivrins Augen verriet ihm, warum es so still geworden war. Ihre Miene war zu einer emotionslosen Maske erstarrt, ihre Augen blitzen jedoch gefährlich. Fast meinte er dort einen silbernen Schimmer zu sehen, was nach einem Blinzeln verschwunden war.
"Ich schlage vor, das wir einen Hetztrupp aussenden. Sowas darf nicht ungesühnt bleiben", sagte Fanathr eisig und ballte immer wieder die Fäuste.
Andere Stimmen wurden laut und riefen nach dem Kopf der Abtrünnigen. Kurz darauf hatte sich ein lautstarkes Stimmgewirr erhoben, da mehr als zwanzig Elben sich über die Verräterin empörten. Anastorias hielt jedoch Faelivrin im Blick, die einen kurzen Blickkontakt mit Ivyn hatte. Sein Blick wurde von einer jungen Elbe mit dunkelbraunen Haar und rehbraunen Augen angezogen, die etwas Abseits stand und schweigend die streitenden Elben beobachtete. Als sie seinen Blickkontakt erwiderte, meinte Anastorias dort eine enorme Selbstsicherheit zu lesen.
"Genug!" Die Königin hatte nicht einmal die Stimme erhoben, doch ihr deutlich vernehmbarer Zorn ließ alle in dem Zelt zusammenfahren. Selbst die Hwenti, die nicht unter ihrer Krone standen schwiegen ehrfurchtsvoll. "Gelior, entsendet umgehend Kunde an alle Siedlungen, dass eine Elbe mit der Beschreibung von dieser Veca, oder Vaicenya - wie auch immer sie sich nennen mag- wegen Hochverrats gesucht wird. Setzt die Grenzmannschaften davon in Kenntnis. Niemand attackiert Botschafter anderer Völker in meinem Reich und kommt davon."
Der Angesprochene, ein Elb mit grauen Haaren, nickte und eilte in seiner langen schwarzen Robe so schnell aus dem Zelt wie es ihm nur möglich war.
"Ich denke, dass das alle Avari betrifft", hob Fanathr erneut an und erhielt zustimmendes Nicken der übrigen Elben, die unabhängig von der Krone waren, "Also werden wir die Manarîn unterstützen und die östlichen Gebiete zu den Bergen hin abdecken. Seht die Grenzen dort als gesichert an, Königin Faelivrin. Diese Verräterin hat nicht nur Euch, sondern auch uns alle beleidigt und Orkgesindel in unsere neue Heimat geführt, das ist unverzeihlich."
Faelivrin nickte ihm zustimmend zu, woraufhin die meisten der unabhängigen Avari das Zelt verließen. Mit strenger Stimme wandte sie sich an ihre Berater, die zwischen ihr und Ivyn standen: "Fürst Taniel und Fürst Túniel, verbreitet die Kunde von den Verrätern und schärft den Unseren ein, dass es unabdingbar ist, unsere Festungsanlagen so schnell wie möglich fertig zu stellen. Vermeidet aber von einem drohenden Krieg zu sprechen. Das gilt auch für euch alle." Sie wandte sich nun an den Rest und hob die Stimme leicht an,"Es wird keinen Krieg mit den Dunländern geben. Entsendet einen Boten zu Aéd Wolfskönig und überbringt ihm unsere neuerlichen Erkenntnisse. Nur er soll davon erfahren und betont, dass es Abtrünnige sind, die nichts, auch rein gar nichts mit uns zu tun haben."
Die Königin blickte alle der Reihe nach ernst an. Es war für Anastorias stets etwas merkwürdig, da die Hälfte des kleinen Hofstaats aus ihrer eigenen Familie bestand, doch stellte niemand die Autorität Faelivrins in Frage. Die Manarîn vertrauten ihren Urteilen und ihrer Führung. Er selbst fragte sich manchmal, woher sie immer diese Zuversicht nahm, die sie gerade ausgestrahlt hatte, als sie verkündete, dass es keinen Krieg mit den Dunländern geben würde..
Auf einen Wink der Königin hin verließen die meisten Elben das Zelt. Einzig Ivyn, Luscora, Isanasca und die merkwürdige Elbe mit den rehbraunen Augen und dunkelbraunen Haar blieben, ebenso wie Faelivrin selbst. Anastorias wollte ebenfalls gehen, wurde aber von einem Ruf seiner Mutter zurückgehalten.
"Komm her, mein Junge", sagte Isanasca stolz und schloss ihn etwas peinlich berührt in die Arme, "Gut gemacht."
Das Lob wirkte irgendwie falsch, da er nicht sonderlich viel gemacht hatte. Dennoch schwieg er und strich seiner Mutter flüchtig über den Rücken, als sie sich voneinander lösten.
"Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass du einfach mit ihnen weiterziehst", gestand sie schmunzeln und zwickte ihm in die Muskeln seiner starken Arme.
"Er wollte es nicht riskieren den Befehl seiner Königin nochmal zu missachten", warf Faelivrin leicht grinsend ein und drehte sich zu Luscora um.
Anastorias spürte, wie ihm leicht die Wangen glühten, denn seine Großmutter hatte damit auf seinen kleinen Ausflug nach Carn Dûm angespielt. Damit hatte er damals gegen ihre Anordnung verstoßen, in Lindon auf sie zu warten. Sein Blick fiel erneut auf die Elbe mit dunkelbraunen Haaren und rehbraunen Augen, die ihn heimliche Blicke zuwarf. Ein Gardist wollte diese gerade hinausgeleiten, als Anastorias die Hand hob. Warum er das tat, war ihm nicht klar. Es war seine Inuition gewesen. Der Wächter verharrte und verließ mit einem "Wie Ihr wünscht" auf den Lippen rasch das Zelt.
Faelivrin unterbrach dadurch aufmerksam geworden ihr Gespräch mit Luscora und blickte auf. Als sie die Elbe im Zelt bemerkte, legte die Königin den Kopf schief und sagte: "Ich kenne Euch. Ihr seid Amante aus dem Hause Maltahal.
Die Angesprochene lief rot an und überging sich in Entschuldigungen, dass sie gar nicht hier sein durfte. Dabei verhaspelte sie sich ständig, bis Ivyn hinter sie trat und ihr eine Hand auf die Schulter legte. Überrascht von der Berührung zuckte Amante zusammen. Isanasca warf indessen Anastorias einen vorwurfvollen Blick zu, den er mit einem Schulterzucken beantwortete. Ihre Lippen formten die Frage, ob er sie eingeladen hatte, was er mit dem Kopf schüttelnd verneinte. Leicht empört über die Frage seiner Mutter verschränkte er schmollend die Arme.
"Ich... Ich wollte nur mal sehen, wie es in so einem Rat zugeht", murmelte Amante schließlich scheu und wollte schon gehen, doch Ivyn hielt sie noch immer an der Schulter.
"Ich erkenne es, wenn ich jemanden aus der Zeit der Sterne treffe. Keine Frage, Ihr seid nicht so wie Ihr scheint."
"Nein, das ist sie nicht", ertönte plötzlich die Stimme Amarins und ließ alle zum Eingang blicken. Der Elb trug stets seine abgerissen Ausrüstung und würde selbst in einem Heerlager stets sehr einfach zu finden sein, befand Anastorias. "Sie ist zwar keine der Ersten wie Ihr, Gnädigste Ivyn, aber Amante ist einer der reinsten Geschöpfe, die ich kennengelernt habe", fuhr der alte Elb fort und trat ohne zu fragen ein.
Amante gab ihre Zurückhaltung auf und streckte sich. Sie reichte Ivyn fast bis zum Kinn und war somit erstaunlich groß und überragte Anastorias fast mehr als einen Kopf.
"Und was hat das zu bedeuten?" Die Frage Luscoras schien ihnen allen durch den Kopf zu gehen. Es war selten, dass er sich zu Wort meldete. Meistens dann, wenn sein Verstand die Dinge nicht begreifen konnten, so wie es jetzt der Fall war.
Amarin räusperte sich und nahm mit Respekt die Hand Ivyns fort. Zum Erstaunen der Anwesenden ließ diese es zu und tauschte einen langen Blick mit dem Elben. Es schien eine gefühlte Ewigkeit zu vergehen, bis die Erste kaum merklich nickte. Ohne weitere Worte trat sie aus dem Zelt hinaus. Anastorias war sich sicher, dass die beiden gerade sich irgendwie unterhalten hatten, ohne, dass die Anderen bemerkten.
"Aus Respekt vor der Königin kann ich aber sagen, dass Amante eine alte Freundin von mir ist", erklärte Amarin lächelnd und legte der wieder etwas scheu wirkenden Elbe eine Hand auf die Schulter, "Wir kennen uns schon aus alter Zeit."
"Ihr meint, aus Gondolin?", hakte Faelivrin nach und Anastorias erinnerte sich, dass es immer nur Gerüchte und Gerede über die Eltern des Ahnherrn gab. Woher diese genau kamen, wusste niemand.
Amarin lächelte, zumindest auf dem Teil des Gesichts, der nicht von einem Tuch bedweckt war. Die meisten Manarîn tuschelten schon seit längeren, dass der Elb in einem schweren Kampf eine Verwundung erlitten hatte, die nicht den Körper sondern dessen geistige Essenz verstümmelte. Anastorias hütete sich das jetzt zur Sprache zu bringen. Sein Blick ging zu den rehbraunen Augen von Amante, die ihn aufmerksam musterte.
"Schaut mich nicht so an, ich bin Euch keine Erklärung schuldig." Die Stimme von ihr war plötzlich in seinem Kopf. Verwunderte blickte er sich um, doch anhand des Blickkontakts mit Amante war er sich sicher, dass sie es war. Sie nickte kaum merklich, genauso wie Ivyn es vorhin getan hatte.
"Nun, wenn es so ist, vertrauen wir auf Euer Urteil, Amarin", sagte Faelivrin umgänglich und nickte Amante zu, "Fühlt Euch frei zu gehen wohin Ihr beliebt."
Anastorias fluchte leise, da er nicht mitbekommen hatte, was die Königin vorher besprochen hatte. Die braunhaarige Elbe dagegen verließ hastig das Zelt und warf ihm im Vorübergehen einen langen Blick zu. Er starrte noch eine Weile auf den Stoff, wo er noch kurz ihre schlanke Figur erkennen konnte. Dann war sie nach links aus dem Blickfeld gegangen.
"Calanto, hat du gehört?" Er drehte sich um und stieß fast mit Faelivrin zusammen, die ihn ernst anblickte. "Geh und hilf den anderen Elben beim Hauen der Steine für die Stadtmauer."
Mit den Worten verließ die Königin gefolgt von Ivyn, Amarin und Luscora das Zelt. Einzig Anastorias und seine Mutter blieben zurück. Isanasca strich sich ihre dunkelblonden Haare zurück und ließ sich seufzend auf einen Stuhl fallen.
"Irgendwie fehlt mir meine Stadt...", gab sie leise zu und zog ein zersplittertes Stück Stein aus ihren blauen Mantel.
"Eresion, die Stadt der ungezählten Edelsteine", bestätigte Anastorias und ging vor ihr in die Hocke, "Ich dachte, du hättest alles hinter dir gelassen?"
"Habe ich auch, nur sollte man manche Dinge aus seiner Vergangenheit wie Schätze behandeln und nicht wie ein Fluch."
Seine Mutter drehte das Stück Stein. Glitzernd reflektierten die Diamanten auf der glatten Seite, die makellos sich in die Sockel einfügten das Licht.
"Ich vermisse es auch", gab Anastorias leise zu und tätschelte seinen Hammer auf dem Rücken.
"Ich denke, weniger wegen der Waffe. Ich bin deine Mutter, du kannst mir nichts vormachen." Sie suchte seinen Blick. "Willst du mir vielleicht erzählen, was auf deinem kurzen Ausflug passiert ist?"
"Du weiß es doch. Eben habe ich alles erzählt und ..." Er verstummte, als seine Mutter den Kopf schüttelte. Anastorias seufzte und setzte sich im Schneidersitz hin. Isanasca fuhr ihm mit einer Hand durchs Haar und wartete, bis er erzählte. Doch Anastorias konnte sich nicht dazu überwinden.
"Ich weiß, dass es mit dem Mädchen zu tun hat. Lange blonde Haare, grüne Augen, schlanke Statur..."
"Alassindowen", sagte er kaum hörbar und spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen, "Immer wenn ich sie anblickte, habe ich nicht den Menschen, sondern die Elbe gesehen."
"Ich weiß", wiederholte seine Mutter und drückte ihm das Bruchstück aus Eresion in die Hand, "Versuche diese Erinnerung an sie nicht in anderen Elben oder Menschen zu sehen. Sie ist stets bei dir, in deinem Herzen. Dieser Stein ist nur ein Stein, wenn man ihm keine Bedeutung beimisst. Doch ich hege ihn wie ein Schatz, abgesehen von den Edelsteinen."
"Und du denkst, es schmerzt weniger, wenn ich die Erinnerungen an Alassindowen weniger Bedeutung beimessen würde?"
Die Vorstellung davon, zu vergessen wie ihre Haut nach dem Meersalz gerochen hatte, oder ihre Haare stets nach Honig dufteten, schmerzte so sehr, dass ihm einzelne Tränen herabliefen.
Seine Mutter schüttelte jedoch heftig den Kopf. "Ich bin nicht gut mit Worten. Ich meinte, dass du diese Erinnerungen an sie als einen Schatz aufheben solltest. So wie ich es mit dem Stein von Eresion mache. Sieh es als ein wertvolles Stück Geschichte, dass dich stets daran erinnern soll, was einst wahr. Doch solltest du nicht das was vor die liegt aus de Augen lassen. Geschichte ist Vergangenheit und dein Leben spielt im Jetzt."
"Es klingt so einfach und doch..." Er verstummte und wischte sich rasch die Tränen fort, "Ich brauche etwas Luft. Außerdem muss ich eine Stadtmauer bauen." Die letzten Worte waren grimmig gesprochen, doch es war ihm egal. Anastorias verfluchte den Tag, an dem er dem Mädchen mit dem Namen Kerry über den Weg gelaufen war. Sie hat begrabene Erinnerungen wachgerufen und ihn sogar darüber gebracht über sie zu sprechen.


"Was ist mit ihm?" Isanasca blickte kurz auf, als ihr Mann in das Zelt eintrat. Er war alleine und trug eine weite Tunika, die nicht so recht zu dem Wetter passte.
"Sein Geist der Vergangenheit, Sanas", erwiderte sie nachdenklich und hob das Bruchstück aus Eresion auf, das ihr Sohn verloren hatte, "Er hat damit noch immer zu kämpfen."
"Ist es wegen dem Menschenmädchen?"
"Wie wir bereits vermutet hatten, ja. So wie alle sich über ihn das Maul zerreißen."
"Nun, die Ähnlichkeit ist nicht von der Hand zu weisen."
Isanasca blickte Sanas in die grauen Augen. "Glaubst du an Inkarnation?"
"Es heißt, die Seele der Elben geht in den alten Westen... Nicht in einen Menschenkörper."
"Aber gilt das auch für Avari? Man nennt uns auch Dunkelelben, gilt das Gleiche Schicksal für alle Elben?"
Sanas kratzte sich ratlos am Kopf und zuckte mit den Schultern. Seufzend setzte er sich in dem Stuhl neben ihr. "Ich denke, es ist ein Scherz der Valar. Sie wollen unseren Sohn testen. Vielleicht zeigen sie ihm einen Weg, wie er seinen langen und tiefnsitzenden Kummer überwinden kann?"
"Nicht so. Nicht auf die Art, auf der Alassindowen umgekommen ist." Isanasca wandte ihm den Kopf zu und umschloss das Bruchstück mit Edelsteinen mit ihrer Hand, "Nicht wenn sie vor seinen Augen starb. Er ist fast noch ein Jüngling. Man kann nicht von ihm erwarten sowas einfach wegzustecken." Er legte ihre eine Hand auf die Schulter, da ihre Stimme immer lauter geworden war. Sie wussten beide sehr gut, dass ihr Sohn seine Gefühle fast meisterhaft verdrängen konnte. Umso schlimmer war es, wenn sie wieder an die Oberfläche drängten.
"Vielleicht kann Amante ihm ja helfen?", sagte Sanas zaghaft.
Isanascas Augenbrauen zogen sich soweit zusammen, dass sie fast einen durchgehenden Strich bildeten.
"Wie soll das denn bitte funktionieren? Und woher weiß du überhaupt von ihr?"
Trotz ihres ernsten Tons grinste ihr Mann schelmig.
"Gerüchte reisen schnell, besonders wenn es die Königsfamilie und potentielle Erben betrifft."
"Manchmal denke ich, dass ich im falschen Königreich bin", murmelte sie zur Antwort und schüttelte den Kopf, "Amante ist mir zu undurchsichtig. Außerdem ist sie viel zu alt für ihn."
"Isa, seit wann interessiert dich das Alter? Nur weil es dein Sohn ist?"
"Wir können es ihm nicht aufzwingen und sie hat scheinbar nicht so viel interesse an ihm... dass sie nur wegen ihm im Zelt verblieben ist glaube ich nicht. Das ist nur dummes Geschwätz, Sanas."
"Vielleicht hast du Recht..."

Sie verfielen in ein kurzes Schweigen, bis Isanasca sich erhob und dabei sich an ihre Pflichten erinnerte. "Ich muss die Soldaten mustern und neue Truppen ausheben. Einige werde ich in den Städtebau einbinden, der Winter kommt bald und da möchte man es gern warm haben. Ich denke, das ist ein guter Anreiz."
"Ebenso wie ein kommender Krieg", warf Sanas unbarmherzig ein.
"Das wohl eher weniger. Sollte uns jemand angreifen, wird er den geballten Zorn unseres Volkes zu spüren bekommen. Diese Veca-Verräterin hat sich einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht jetzt ihre Spielchen zu treiben."
Isanasca hatte begonnen im Zelt umherzulaufen und dabei immer wieder nach draußen zu sehen.
Ihr Mann folgte ihr mit den Blicken, blieb aber ganz gelassen. "Du meinst die angespannte Lage zwischen Manarîn und Hwenti?"
"Wer weiß, vielleicht ist sie die benötigte Kraft, die unsere Völker wieder zueinander finden lässt. Ich habe in den vergangenen Woche noch nie gesehen, dass die übrigen Hwenti so schweigsam die Entscheidung von Faelivrin akzeptieren."
Sanas nickte zustimmend und strich sich seine schwarzen Haare hinter die Ohren. "Wer weiß was die Zukunft bringt. "
Titel: Über alte Zeiten und Schicksal
Beitrag von: Curanthor am 15. Jan 2019, 17:53
Aus der Sicht Amarins

Erste Schneeflocken trudelten vom Himmel hinab und setzten sich auf die Gräser um ihn herum. Amarin blickte nachdenklich in den Norden. Eine tiefe Traurigkeit überkam ihn bei dem Anblick des Schnees. Er erinnerte ihn an seine Geliebte und wie weit fort sie war. Es war eine Zeit, in der sich das Wetter nicht entscheiden konnte ob es Späterbst, oder Anfang des Winters war. Dennoch war er dankbar, dass er nach so vielen Jahren nun endlich bei vollem Bewusstsein dem Schnee beim herunterrieseln beobachten konnte. Amarin streckte die rechte Hand aus, um einzelne Flocken zu fangen. Dabei versuchte er den ständigen Schmerz zu ignorieren. Nach all den Jahren hatte er sich noch immer nicht daran gewöhnt.
"Es wird niemals verheilen", erklang eine sanfte Stimme hinter ihm.
"Das brauchst du mir nicht zu sagen, Ivyn", antwortete er ohne sich umzudrehen, den Blick noch immer auf seine Hand gerichtet. er bemühte sich erst gar nicht freundlich zu klingen. "Weswegen kommst du so weit vor die Stadt? Hast du nicht eine kleine Schülerin, die deinen Lehren bedarf?"
"Darf ich denn nicht einem alten Freund gesellschaft leisten?", hielt sie ruhig dagegen.
Amarin anwortete nicht, sondern blickte hinauf auf die Gipfel des Nebelgebirges. Neben ihm raschelte es und Ivyn trat an seine Seite, seinem Blick folgend.
"Du kannst ihn auch manchmal sehen, nicht wahr?"
Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Der alte Elb stieß schwer die Luft aus und wandte sich ihr zu. "Vor dir kann man auch gar nichts geheim halten, oder?"
Ivyn schmunzelte, als sie sich ebenfalls ihm zuwandte.
"Das hast du schon bei unser ersten Begegnung festgestellt. Es ist erfreulich zu sehen, wie sich dein Geist von der jahrelangen Folter erholt."
Er kannte sie gut genug um zu wissen, dass sie sich ehrlich freute. Amarin gab sich geschlagen und nickte ihr auffordernd zu.
"Was ist es, dass du mir sagen möchtest? Solch freundliche Worte verwendest du doch nur, wenn du etwas gesehen hast, dass dir Sorgen bereitet."
Ein Schatten huschte über Ivyns Gesicht. Ihre altehrwürdige Ausstrahlung schwächelte ein wenig, doch hatte sie sich voll im Griff.
"Bin ich so einfach zu durchschauen?", murmelte sie leise, räusperte sich aber dann rasch. "Du überraschst mich. Scheinbar schreitet deine Heilung in den letzten Wochen gut voran."
Amarin hob scharf eine Braue.
"Ich bin nicht senil. Du hast große Gefahren gesehen. Ich spüre es auch. Es liegt in der Luft, die wir atmen, selbst in den Schneeflocken merkt man es."
"Ja", stimmte Ivyn leise zu, "Noch vor dem ersten großen Wintersturm wird uns ein anderer Sturm erreichen. Und er wird große Gefahren für unser Volk bringen."
Ein Knacken hinter ihnen, ließ das Gespräch verstummen. Amarin lauschte den vorsichtigen Schritten im Gras. Ein leichter Duft nach Minze wehte ihm um die Nase.
"Adrienne von Gondor, komm zu uns", sprach Ivyn über ihre Schulter.
Amarin sah dem Mädchen zu, wie sie etwas unbeholfen aus dem Gebüsch stolperte. Dabei machte sie ein ertapptes Gesicht, was ihn leise lachen ließ.
"Du musst noch viel lernen, wenn du dich an Elben heranschleichen möchtest", begrüßte er sie mit einem leichten Grinsen.
"Ich wollte nicht...", begann sie, ließ den Satz aber unvollendet und strich sich unbehaglich durch ihre braunen Haare. "Die Dunländer haben die Nordwacht fertig gestellt. Das sollte ich von Isanasca und Fanathr ausrichten."
Eilig machte sich Adrienne davon, ohne auf eine Antwort zu warten.
"Merkwürdiges Mädchen", befand Ivyn nachdenklich.
Amarin blickte zu seiner Freundin aus alten Zeiten, die versonnen dahinstarrte, wo Adrienne aus dem Gebüsch gestolpert war.
"Sie ist mutig, aber sehr melanchonisch, dennoch eine gute Schülerin. Eigentlich wollte mein Sohn sie unterweisen, da er aber schon seit einigen Wochen fort ist, habe ich mich ihrer angenommen."
"Gib gut auf sie Acht, wenn sie dir ans Herz gewachsen ist", warnte Ivyn düsterer als gewohnt und nickte zum Himmel, "Der Sturm ist nicht mehr fern."
Amarin seufzte und schüttelte den Kopf.
"Ihr Ersten sprecht immer in Rätseln. Das hast du damals auch schon gut gekonnt." Er machte eine kurze Pause und fuhr fort:" Wissen die anderen unserer Familien schon davon?"
Sie schüttelte langsam den Kopf.
"Die Zeit ist eine sehr sensible Sache. Wenn wir ihnen zu viel sagen, können Dinge geschehen, die nicht gedacht waren, doch genau das kann auch passieren, wenn wir etwas zu einem falschen Zeitpunkt enthüllen. Manchmal muss man die Dinge ihren Lauf lassen."
Amarin bemerkte anhand ihrer Stimmlage, dass sie nicht mehr von der drohenden Gefahr sprach.
"Ist es das, was du mir einst gesagt hattest? Dass unsere Schicksale einen merkwürdigen Lauf nehmen würden?"
"Das haben sie schon. Seit unseren Treffen vor so vielen tausenden Jahren, erinnerst du dich?"
Amarin wusste sofort wovon sie sprach und atmete tief durch, ehe er sagte: "Ich weiß wovon du redest. Deine Suche nach ihm hatte mich tief beeindruckt."
Seine alte Freundin nickte erleichtert und blickte verträumt in den verschneiten Himmel, während sich die Flocken in ihrem seidenen Haar sammelten.
"So wie deine Suche mich beindruckte und wir uns gegenseitig halfen. Erinnerst du dich an meine Worte von einst?"
Wie hätte er sie jemals vergessen können. Es war eine der bemerkenswertesten Reisen gewesen, die er jemals erlebt hatte. So viel hatte er gesehen, so viel gekämpft und auch die Verluste der Elben erlebt, die im ständigen Schatten gelebt hatten.
"Es wird eine Zeit kommen, in der wir uns wieder begegnen. Unsere Schicksale sind nun untrennbar miteinander verwoben. Wenn es soweit ist, wirst du erkennen", zitierte er die Worte, die sie ihm zu ihren Abschied gesagt hatte. Ivyn nickte bestätigend. Die unausgesprochene Frage ihrerseits beantwortete er mit einem leisen Lachen. Sie hob fragend eine Braue.
"Ich habe es schon erkannt, als ich in dem Dorf angekam, dass du mir damals beschrieben hattest. Du hast es selbst vorhin gesagt, auch wenn nun eines meiner Augen blind sein mag, ich sehe mehr als man es von mir erwartet. Ich wusste sofort, wer von ihnen deine Tochter war." Amarin blickte ihr in die silbernen Augen, welche ihn sofort an das Licht der Sterne erinnerte.
"Und ich danke dir aus tiefsten Herzen dafür, dass du auf sie Acht gegeben hast. Es war zwar nur für eine kurze Dauer, aber damit hast du den Weg geebnet, der nun vor uns liegt. Ohne dein Handeln, wäre mein Volk heute nicht hier, oder gar restlos vernichtet."
Zu seiner Überraschung verneigte sich Ivyn, ehe er sie davon abhalten konnte.
"Das ist wirklich nicht nötig, du bist eine Erste! Eigentlich sollte ich mich verneigen, um Respekt zu zollen", sagte er eilig, die Hände abwehrend erhoben.
Ein scharfer Wind kam auf und brachte den ersten Schnee dazu, noch heftiger herunterzufallen. Ivyn richtete sich wieder auf und blickte nach Norden.
"Er ist auf dem Weg", murmelte sie zufrieden und wandte sich wieder an ihn, "Das habe ich von einer gemeinsamen Freundin gehört."
Amarin grinste in sich hinein und legte seine Hand auf die Brust, dort wo sein größter Schatz hing. Auch er hatte es gespürt.
"Ich bin wirklich froh, dass wir uns damals kennengelernt haben, Ioristion", sagte seine Freundin dankbar und wandte sich ab, "Ich bin mir sicher, er hätte dich gemocht."
Amarin blieb noch eine Weile stehen, während die hochgewachsene Elbe im Schneetreiben nur nur ein unsteter Schemen war. Er blickte ihr nach und murmelte, wohl wissend, dass sie ihn noch immer hören konnte: "Und ich bin mir sicher, dass er dich noch immer so liebt, wie einst und auf dich wartet, Cúwen."
Ein trauriges: "Ja", war die Antwort, voller Gewissheit und unsagbaren Verlust. Es war der schmerzvollste Laut, den er in den letzten Jahren vernommen hatte, so sehr, dass sich sein Herz verkrampfte. Als Amarin blinzelte, war ihr Schemen verschwunden, während rings herum die Schneeflocken in einem eigentümlichen Tanz zu Boden sanken.
Titel: Das bewachte Land
Beitrag von: Fine am 20. Jan 2020, 16:13
Oronêl und Kerry aus Dunland (http://modding-union.com/index.php/topic,6166.msg476027.html#msg476027)

Kaum hatten die beiden Reiter den Fluss überquert, da traten ihnen bereits mehrere schwer gerüstete Wächter entgegen, die offenbar im Schatten einiger Bäume gewartet hatten.
"Wohin des Weges, Reisende?" wollte einer der Elben wissen. Er trug, wie seine Kumpane, einen langen Umhang mit Kapuze und war mit Bogen und Speer bewaffnet. Einige der Wächter hatten kleine Elbenlampen dabei, die ein bläuliches Licht spendeten.
"Wir wollen nach Ost-in-Edhil," sagte Oronêl. "Wir haben eine dringende Botschaft an eure Königin."
"Die Tore der Stadt sind um diese Tageszeit bereits geschlossen," antwortete der Grenzwächter. "Ihr werdet Ost-in-Edhil heute nicht betreten können."
"Es ist wirklich wichtig, dass wir so schnell wie möglich mit Faelivrin reden," mischte Kerry sich ein.
Der Elb warf ihr einen kühlen Blick voller Missgunst zu, ehe er sich kommentarlos wieder an Oronêl wandte. "Sucht euch ein Quartier für die Nacht. Die Tore werden sich für euch nicht öffnen."
Oronêl warf Kerry einen beruhigenden Blick zu. Dann sagte er: "Danke für die Warnung. Gibt es denn einen Ort, wo wir uns für die Nacht einrichten können?"
"Ein gutes Stück entlang der Straße nach Osten gibt es eine Wegstation für Botenreiter," antwortete man ihm. "Dort werdet ihr Unterschlupf finden."

Kerry warf dem Wächter einen bösen Blick zu, ehe sie sich wieder in Bewegung setzten und die Straße entlang ritten. Kurze Zeit später fanden sie die Wegstation, die aus einem hölzernen Unterstand für mehrere Pferde sowie einer kleinen, angrenzenden Hütte bestand. Zwei Elben saßen am Eingang der Hütte. Als Oronêl und Kerry aus ihren Sätteln stiegen und einige Grußworte riefen, standen die Elben auf und verschwanden wortlos hinter dem Haus.
"Wie unhöflich," sagte Kerry.
"Vermutlich kommen nur wenige Fremde in diesen Tagen hier entlang," überlegte Oronêl. "Eregion war all die Jahrtausende verlassen. Dass hier nun wieder gutes Volk lebt, hat sich sicherlich noch nicht herumgesprochen."
"Dass es hier nur selten Besuch für die Manarîn gibt, entschuldigt noch lange nicht dieses unfreundliche Verhalten," beschwerte sich Kerry.
"Ich... glaube nicht, dass diese Elben zu Faelivrins Volk gehören," meinte Oronêl nachdenklich. "Mathan hat einmal nebenbei davon gesprochen, er sagte, es wären noch andere Elben nach Eregion gekommen. Irgendetwas sagt mir, dass es sich dabei um Avari gehandelt hat."
"Avari?" wiederholte Kerry fragend.
"Elben aus dem Landen jenseits von Rhûn," erklärte Oronêl.
"Hm," machte Kerry, die sich darunter nichts vorstellen konnte. "Ich wünschte, Farelyë wäre noch hier. Sie würde ihnen bestimmt Manieren beibringen."
Oronêl schmunzelte. "Du solltest versuchen, ein wenig zu schlafen. Ich bin mir sicher, morgen steht uns ein weiterer langer Tag bevor."
"Glaubst du... wir werden es noch bereuen?" fragte Kerry, während sie sich ihr Nachtlager im Inneren der kleinen Hütte einrichtete.
"Was meinst du?"
"Dass wir nicht heute noch bis nach Ost-in-Edhil geritten sind," sagte Kerry. "Du weißt doch, was wir in Gwŷras Heimat erfahren haben. Eregion ist in Gefahr. Vielleicht sollten wir..."
"Und du hast gesehen, wie wachsam die Elben an den Furten waren," antwortete Oronêl. "Ich weiß, dass unsere Warnung an die Manarîn entscheidend sein könnte. Aber ich vertraue auch darauf, dass ihre Wachsamkeit sie noch einen Tag länger schützen wird. Wenn wir noch heute weiterreiten und vor verschlossenen Toren stehen, wirst du dir noch wünschen, hier geblieben zu sein, wo du wenigstens ein Dach über dem Kopf hast und vor dem Wind geschützt bist."
Kerry sah ein, dass der Waldelb recht hatte. Zwar hatte der Schneesturm längst nachgelassen, doch noch immer lag ein kalter Wind über dem Land und Kerry war froh, dem Wetter für einige Zeit entronnen zu sein. Mitten in der Kälte vor den Mauern von Ost-in-Edhil zu lagern wirkte auf sie nicht gerade wie eine lohnende Alternative.
"Also gut," murmelte sie und gähnte. "Aber du musst mir versprechen, mich morgen bei Sonnenaufgang zu wecken."
Oronêls Antwort hörte sie kaum noch, als ihr schon die Augen zufielen. "Versprochen, Kerry."

Oronêl hielt Wort. Als er Kerry sanft wachrüttelte und sie müde die Augen öffnete, musste sie blinzeln. Schwaches, rötliches Sonnenlicht fiel durch die Tür der kleinen Hütte.
"Guten Morgen," sagte sie undeutlich und richtete sich auf. "Gut geschlafen?"
Der Waldelb schüttelte den Kopf. "Ich habe mich ein wenig in der Umgebung umgesehen," antwortete er. Immer noch wunderte Kerry sich darüber, wie wenig Schlaf Oronêl brauchte. "Es ist wirklich erstaunlich, wie schnell die Besiedelung Eregions vorangeschritten ist, seitdem wir letztes Jahr hier gewesen sind."
"Wie meinst du das?" wollte Kerry wissen, während sie sich reisefertig machte.
"Ich habe im Westen die Silhouette eines Turmes gesehen, der letztes Jahr noch nicht dort gewesen ist," antwortete Oronêl. "Und im Norden sah ich dünne Rauchschwaden, wie sie von den rauchenden Schornsteinen eines Dorfes stammen könnten."
"Mhm," machte Kerry. "Und was hältst du davon?"
"Wir werden sehen," meinte Oronêl. "Es ist gut, dass die Elben sich hier eine neue Heimat erschaffen. Ich hoffe nur, sie erweisen sich der Bedrohung, die im Gebirge wächst, als gewachsen."
"Machen wir uns auf den Weg," schlug Kerry vor. "Ich will nicht noch einen Tag verlieren, um Faelivrin zu warnen."

Am Mittag kam das Ziel ihrer Reise in Sicht. Als Oronêl und Kerry zuletzt hier gewesen war, hatte Ost-in-Edhil aus nicht mehr als einer riesigen Ansammlung von Ruinen bestanden. Nun war die alte noldorische Stadtmauer vollständig instand gesetzt worden und die Dächer, die dahinter zu sehen waren, wiesen allesamt neue, mit roten Ziegeln gedeckte Dächer auf, auf denen nur wenig Schnee lag. Auf den Turmspitzen flatterten die Banner der Manarîn und die Stadt wirkte, als hätte man ihr ein ganz neues Leben eingehaucht.
Doch als Kerry und Oronêl vor den Toren Ost-in-Edhils angekommen waren, erwartete sie die nächste Enttäuschung. Die schweren Torflügel aus mit Eisen beschlagenem Holz waren fest verschlossen. Davor stand eine ganze Kompanie schwer bewaffneter Elben mit gezogenen Schwertern und Langschilden, die den beiden Reitern den Weg versperrten.
"Die Stadt ist auf Befehl der Königin abgeriegelt," sagte der Anführer der Torgarde. "Wir haben die Anweisung, niemanden hineinzulassen der keiner von uns ist."
Oronêl trat vor. "Wir haben eine wichtige Botschaft an eure Herrscherin," begann er. "Wir sind weit geritten, um ihr eine dringende Warnung zu überbringen."
"Sprecht ihr von den Orks, die sich im Gebirge sammeln?" fragte der Gardist. "Darüber weiß sie seit Kurzem Bescheid. Um genau zu sein ist dies auch der Grund, warum sie den Befehl zur Abriegelung gegeben hat. Es gab in letzer Zeit einige... Missverständnisse mit den Avari." Er hielt inne, als hätte er zu viel gesagt.
"Die Königin ist meine Schwester," wagte Kerry zu sagen. "Ihr solltet uns besser durchlassen, wenn ihr nicht wollt, dass sie euch allesamt aus ihrer Garde schmeißt."
Ungläubige Blicke antworteten ihr. "Du bist ein Menschenmädchen. Und eine dreiste Lügnerin," sagte der Anführer schließlich.
Kerry hatte erwartet, dass Oronêl ihre Behauptung bestätigen würde, doch der Waldelb zögerte. "Es ist wahr!" rief sie trotzig.
"Es spielt keine Rolle was du für die Wahrheit hältst," erwiderte der Gardist. "Wir kennen unsere Befehle, und sie sind eindeutig. Keine Fremden dürfen Ost-in-Edhil betreten. Die Stadt wird gegen einen Angriff befestigt, weshalb wir es uns nicht erlauben können, Spione hinter unsere Mauern schlüpfen zu lassen."
"Wir sind keine Spione!" stellte Kerry wütend klar.
"Lass es gut sein," sagte Oronêl leise. "Ich glaube, wir werden hier keinen Erfolg haben." Er führte Kerry einige Schritte vom Tor weg, außer Hörweite der Wächter.
"Ich glaube es einfach nicht," ärgerte Kerry sich.
"Mach den Soldaten keinen Vorwurf," meinte Oronêl beschwichtigend. "Sie befolgen nur ihre Befehle." Abschätzend betrachtete er die Mauern, die von außen glatt und unüberwindbar wirkten. "Außerdem scheinen sie über die Bedrohung aus dem Gebirge bereits Bescheid zu wissen. Vielleicht ist unsere Warnung gar nicht mehr notwendig."
Kerry stemmte die Hände in die Hüften. "Heißt das, wir sollen also einfach wieder umkehren? Ist es das, was du vorschlägst?"
Oronêl sah sie einen Augenblick lang an. Dann beugte er sich vor und sagte mit gedämpfter Stimme: "Ich habe immer noch das Ding bei mir, das du auf der Lichtung an der Geisterklippe gefunden hast. Ich denke, ich sollte es wirklich nach Imladris bringen."
Kerry biss sich unschlüssig auf die Lippen. "Ja, aber..."
Oronêl wirkte nun entschlossener. "Wenn Ost-in-Edhil uns im Augenblick verschlossen bleibt, und die Elben bereits von dem drohenden Angriff wissen, ändert das für mich unsere Prioritäten. Je eher ich diese Kugel in sichere Hände loswerden kann, desto besser."
"Heißt das, du willst nach Bruchtal reiten?"
"Ich denke schon," antwortete Oronêl.

Gerade als Kerry antworten wollte, erregte ein lautes Geräusch ihrer beider Aufmerksamkeit. Die Tore der Stadt öffneten sich mit einem Donnern und ein einzelner Reiter preschte heraus. Kaum war das Pferd zwischen den Torflügeln hindurch galoppiert, schloss sich das Tor bereits wieder.
"Ein berittener Bote," bemerkte Oronêl. "Sieht ganz so aus, als würde er nach Dunland reiten. Vielleicht bitten die Manarîn Aéd um Hilfe?"
Kerry wurde nachdenklich. Sie wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Aéd wiederzusehen wirkte gleichzeitig aufregend und besorgniserregend auf sie. "Sie... scheinen wirklich alles mehr oder weniger im Griff zu haben," murmelte sie und meinte die Elben Eregions, die durchaus auf einen Angriff vorbereitet wirkten und nun sogar ihre Verbündeten alarmieren wollten.
"Komm, Kerry. Gehen wir eines nach dem Anderen an," schlug Oronêl vor. "Wir können immer noch zurückkehren, wenn wir den Palantír - wenn es denn einer ist - in Meister Elronds Obhut übergeben haben."
Kerry gab sich geschlagen. Bisher hatte Oronêls Rat sich oft genug als weise erwiesen. Sie beschloss, ihm auch dieses Mal zu vertrauen, auch wenn sie gerne all jene Elben wiedergesehen hätte, die sie auf der Reise von Mithlond nach Eregion kennengelernt hatte; von Halarîn ganz zu schweigen. Als sie an ihre Adoptivmutter dachte, merkte Kerry, wie sehr sie Halarîn in diesem Augenblick vermisste. Wären nur dieses blöden Mauern und Tore nicht im Weg, dachte sie.
Unverrichteter Dinge machten sie kehrt und nahmen die Straße nach Norden, die hier vom Hauptweg zu den Furten des Sirannon abzweigte. Schon bald lag die abgeriegelte Stadt hinter ihnen. Kerry Sorgen hingegen ließen sich nicht so leicht zurücklassen...


Oronêl und Kerry in Richtung Imladris (http://modding-union.com/index.php/topic,1532.msg476662.html#msg476662)
Titel: Eine Rückkehr
Beitrag von: Fine am 3. Feb 2021, 16:37
Elea, Finjas, Arwen, Pippin und Kerry vom nördlichen Eregion (http://modding-union.com/index.php/topic,36644.msg484544.html#msg484544)


Wo bist du nur, Oronêl?
Viel zu oft hatte Kerry sich diese Frage nun schon gestellt, ohne dass sie eine Antwort erhalten hatte. Pippin, der vor ihr im Sattel saß, schien ihre Sorgen zu spüren.
"Er wird schon wieder auftauchen, spätestens wenn wir diese befestige Elbenstadt erreicht haben, von der du gesprochen hast."
"Ost-in-Edhil," antwortete Kerry wie automatisch, doch ihr Tonfall blieb von Kummer durchzogen.
"Genau die meinte ich," sagte Pippin. "Du hast doch Freunde dort, nicht wahr?"
"Familie, um genau zu sein," erwiderte sie leise. Und tatsächlich linderte das ihre Sorgen ein wenig. Die Manarîn würden wissen, was zu tun war. Und vielleicht hatte Pippin ja recht, und Oronêl würde am Hofe der Königin bereits auf sie warten.
"Ach ja, richtig... du hattest davon erzählt," fuhr Pippin fort. "Ich bin wirklich gespannt wie es dort so aussehen wird. Als ich... zuletzt hier war, gab es in diesem Land nichts als Ruinen."
"Das ist genau der Grund warum wir uns beeilen müssen," sagte Kerry mit fester Stimme. "Wir müssen verhindern, dass Eregion wieder zu einem Trümmerhaufen wird."
Sie musste daran denken, was Elea am Morgen zu ihr gesagt hatte. Ganz besonders hatte ihr aber die Umarmung der Dúnadan gutgetan und sie soweit beruhigt, dass sie sich dem Entschluss gefügt hatte, nicht länger nach Oronêl zu suchen.
"Und genau das werden wir auch tun, Kerry," sagte Pippin einigermaßen gelassen. "Wir haben seitdem wir die Grenze Eregions überschritten haben, noch nichts von irgendwelchen Orks gesehen. Also Kopf hoch! Wir werden rechtzeitig dort sein."

Pippin sollte recht behalten. Einige Stunden später, am späten Nachmittag, erreichten sie eine kleine Anhöhe inmitten der Ebenen. Von dort hatten sie einen guten Blick auf die alte Hauptstadt Eregions, die sich nun südlich von ihnen ausbreitete. Die Mauern wiesen nun bereits viel weniger Lücken auf, wie Kerry bemerkte, und sie sah die Helme der Wächter auf den Wehrgängen im Licht der sinkenden Sonne blinken.
"Ost-in-Edhil," sagte Arwen leise. "Viele Male habe ich seine Ruinen gesehen, wenn mich mein Weg vom Heim meines Vaters zu den Wäldern meiner Mutter führte. Doch niemals war so viel Leben in der alten Stätte wie heute."
Von Weitem konnte sie sehen, dass rings um die Stadt ein reges Treiben herrschte. Zu ihrer Überraschung schienen mehr Leute die Stadt zu verlassen anstatt Schutz hinter ihren Mauern zu suchen.
Finjas brummte. "Kommt mir so vor als würden sie die Frauen und Kinder schon evakuieren."
"Gut nöglich," sagte Elea, die direkt neben ihm ritt.
"Wir müssen schnell herausfinden, was da vor sicht geht!" sagte Kerry aufgeregt und wollte schon losreiten, doch Pippin hielt sie zurück. "Wenn, dann gehen wir alle zusammen."
"Er hat recht," sagte Arwen. "Wir wissen nicht, wie die Manarîn auf unsere Ankunft reagieren werden. Wir haben gehört, dass es Uneinigkeit unter ihnen gibt, insbesondere bei jenen, die aus dem Osten gekommen sind."
Kerry blickte Elea an, die sich mittlerweile für sie zu einer echten Bezugsperson entwickelt hatte. Als die Dúnadan langsam nickte, tat es Kerry ihr gleich.

Vorsichtig ritten sie bis an das Stadttor, das ihnen am nächsten gelegen war. Kerry spürte Anspannung in sich aufsteigen. Das letzte Mal, als sie mit Oronêl hier gewesen war, hatte man sie nicht eingelassen. Ob es diesmal anders werden würde?
Scharen von Elben kamen ihnen aus dem Inneren der Stadt entgegen und Finjas sah seine Vermutung bestätigt. Sie schnappten mehrfach auf, dass diese Elben an einen Ort namens Lissailin eavukiert werden sollten. Dennoch bedeutete das nicht, dass die Wachen unachtsam waren. Kaum war die Gruppe heran, wurde sie schon von mit Speeren bewaffneten Kriegern umringt, die aus einer Tür in der Seite des Torbogens hervorströmten.
"Fremden ist der Zutritt nicht gestattet," sagte der Anführer der Wächter. Sein Gesicht war bis auf die Augen von einem weißen Tuch bedeckt, darüber ruhte ein enger, silberner Helm.
Arwen ließ ihr Pferd ein wenig vortreten. "Ich bin Arwen Undómiel, von Imladris. Bei mir sind Ténawen Morilyë Nénharma und drei unserer Gefährten. Wir bitten darum, mit eurer Königin sprechen zu dürfen."
Der Wächter zögerte, dann jedoch nahm der Soldat neben ihm seinen Helm ab und zog das Tuch vor seinem Mund beiseite. "Na wenn das mal nicht die kleine Kerry ist!" sagte er und grinste.
"Ich kenn dich doch," sagte Kerry, dann fiel ihr der Name des Elben ein. "Fanael, richtig?"
Der Angesprochene nickte und deutete eine gespielte Verbeugung an. "Sieh an, du erinnerst dich also. Es war ein langer Weg von Fornost durch die Eiswüste bis nach Lindon, nicht wahr?"
"Das war es..." sagte Kerry. Hier war einer der drei Gardisten Faelivrins, die ihre Königin von Fornost bis zu den Schiffen der grauen Anfurten begleitet hatten. "Was für ein Glück dass du hier bist! Ich hatte schon befürchtete, sie würden uns wieder nicht einlassen."
"Wieder?" fragte Fanael.
Kerrys Miene verdüsterte sich. "Vor drei Wochen hat man Oronêl und mich fortgeschickt."
Fanael war bestürzt. "So weit ist es also schon gekommen... kommt, ich bringe euch bis zum Palast. Lasst sie durch, Kameraden! Sie sind vertrauenswürdig."
"Du bürgst für sie, Fanael," sagte der Wachhauptmann streng. "Und für all ihre Vergehen."
Fanael nickte, dann führte er die Gruppe durch das Tor hindurch, über den anschließenden Platz jenseits der Mauern und in eine breite Seitengasse. "So... am besten stellt ihr die Pferde hier erst einmal ab, ich lasse sie später zu den königlichen Stallungen bringen," versprach er. "Welch ein Zufall, dass du gerade heute ankommst, Kerry," sagte er dann und rieb sich nachdenklich das Kinn.
"Wie meinst du das?" wollte sie wissen.
"Nun... Farelyë bat mich, heute am Nordtor Wache zu halten. Sie sagte, es gäbe dort heute etwas zu sehen. Und sie hatte recht!"
"Ja, das habe ich für gewöhnlich, mein lieber Fanael," ertönte Farelyës Stimme hinter ihnen. Dort stand die geheimnisvolle Elbin, und zu Kerrys Überraschung trug sie eine Rüstung aus Leder, unter der ein Kettenhemd hervorlugte, und ein langes Schwert an der Seite. Kaum etwas erinnerte nun noch an das kleine Elbenmädchen, das Kerry einst in den Verliesen unter Carn Dûm kennengelernt hatte.
"Farelyë! Du bist hier!" rief Kerry strahlend und umarmte ihre Freundin.
Arwen blieb stehen und musterte Farelyë lange. Dann senkte sie sachte das Haupt. "Erste," grüßte sie respektvoll und schlicht.
Elea trat neben Kerry und fragte: "Diese Dame ist deine Freundin, Kerry?"
"Sie ist wie eine Schwester für mich," erklärte Kerry. "Jetzt, wo sie hier ist, wird alles gut werden. Farelyë, die sind Elea, Finjas, Arwen und Pippin, wir sind aus Bruchtal gekommen, um-"
"Es bedarf keiner weiteren Warnung, Morilyë," sagte Farelyë ruhig. "Das Land befindet sich bereits im Aufruhr. Ihr habt ja gesehen, dass all jene aus der Stadt gebracht werden, die nicht kämpfen wollen oder können."
"Auch meine Amil?"
"Halarîn ist noch hier, keine Sorge. Aber bevor wir dich zu ihr oder zur Königin bringen können, brauche ich etwas von dir."
"Von mir?" fragte Kerry erstaunt.
"Ich brauche jenes, was Mathan dir einst in Fornost Erain gab, und dich bat, darauf achtzugeben."
Kerry brauchte einen langen Augenblick ehe sie verstand, wovon Farelyë da sprach, bis ihr endlich ein Licht aufging. Den ganzen langen Weg von Fornost bis hierher hatte sie es quer durch Mittelerde getragen, verborgen im hintersten Winkel ihrer Tasche. Sie tastete danach, und zog es vorsichtig hervor."
"Eine... Nuss?" wunderte sich Pippin, der als erster erkannte, worum es sich dabei handelte.
"Die Frucht des Hulstbaumes," sagte Arwen.
"Aber woher kommt sie?" wollte Elea wissen.
Farelyë nahm Kerry die Nuss sachte aus der Hand und ging los. "Kommt mit. Im Zentrum der Stadt gibt es einen Garten, wo ein alter Hulst steht, der die Verwüstung von einst überdauert hat. Mathan empfing die Nuss einst von jenem Baum, und nun müssen wir sie ihm zurückbringen."
"Warum?" wollte Pippin prompt wissen.
"Ivyn warnte mich vor solchen Fragen," seufzte Farelyë, dann lachte sie. "Dies alles zu erklären würde viel Zeit beanspruchen - Zeit, die wir jetzt nicht haben," sagte Farelyë und bog um eine Ecke herum. "Die Pferde lasst hier! Fanael und Angatar werden sich um sie kümmern."

Es dauerte beinahe eine halbe Stunde, bis sie in einen stillen Garten kamen, der nur von kleinen, niedrigen Gebüschen bewachsen war, bis auf einen mächtigen Hulstbaum, der sich inmitten eines Rasenstückes erhob. Der Garten sah aus, als wäre er frisch gepflegt worden, doch als die Gruppe dort ankam, war er vollkommen verlassen. Farelyë zupfte sanft ein Blatt von einem der niedrigen Äste des Baumes, wickelte die Nuss darin ein und kniete sich dann in ungefähr fünf Schritt Entfernung vom Baumstamm auf den Rasen. Als Kerry neugierig neben sie trat, sah sie, dass jemand dort ein ungefähr faustgroßes Loch gegraben und dieses mit Wasser gefüllt hatte. Farelyë murmelte Worte in einer fremden Sprache, dann legte sie die Nuss in das Loch und verschloss es mit der losen Erde, die daneben lag.
"Mögest du gemeinsam mit den Manarîn stark werden und dieses Land zieren," sschloss sie auf Quenya. Dann erhob sie sich. "Ihr müsst erschöpft sein von eurer Reise. Ihr könnt später mit der Königin sprechen, ich sorge dafür dass ein Treffen arrangiert wird. Bis dahin schlage ich vor, dass wir uns in meine Unterkunft zurückziehen, und uns stärken. Keine Sorge, es wird genug für alle geben, und du Kerry, wirst deine Familie bald sehen."
Erstaunlicherweise war es Finjas, der sagte: "Etwas zwischen die Zähne zu bekommen klingt gut."
Alle stimmten ihm zu und verließen den Garten.
Titel: Re: Eregion
Beitrag von: Thorondor the Eagle am 5. Feb 2021, 21:53
Wer ist diese geheimnisvolle Elbe? Was hat es mit der Hulstenfrucht auf sich? Wer ist diese Halarîn? Und viele weitere Fragen schossen Elea durch den Kopf als sie dieses spontane Ritual beobachtete. Ein Schauer überkam die Dúnadan, als die silbernen Augen Farelyë’s sie bei ihrer ersten Begegnung musterten und doch war sie auf unerklärliche Weise angetan von der Elbe.

Als sie den stillen Garten, der zweifellos ein Heiligtum der Stadt darstellte, verließen wurde Elea ihre Umgebung so richtig bewusst. Wo einst nur Ruinen standen, war nun wieder eine Stadt erwacht. Das Erscheinungsbild war ungewöhnlich und wirkte fremd. Die Gebäude bestanden zwar wie in Gondor überwiegend aus hellem Gestein, aber waren viel detailreicher in ihrer Ausführung. Durch die zahlreichen Rundsäulen, Terrassen, Rundungen und Torbögen wirkte alles weniger wuchtig als in Minas Tirith. Es verlieh Ost-in-Edhil eine Ausstrahlung von angenehmer Leichtigkeit. Eigentlich würde sie sich wohl fühlen, wäre da nicht dieses mulmige Gefühl in ihrer Magengrube.

Farelyë führte die Gruppe vor die Tore des Palastviertel. Bereits nach dem dritten Mal abbiegen in den engen Gassen der Stadt verlor Elea den Überblick über den Weg und folgte nur noch den anderen. Südwestlich des Palastes war eine kleine Anhöhe, auf der eine zweigeschossiges Haus stand. Ein Bogengang schlang sich um das gesamte Erdgeschoss, gegen Westen hin verlängerte sich dieser um eine ausgedehnte Terrasse.
„Es ist alles für euch vorbereitet“, sagte schließlich die silberäugige Elbe „Faelivrin konnte es kaum erwarten, dass du wieder hier sein würdest, Morilië.“
Kerry grinste leicht verlegen. Elea war froh, dass das Wiedersehen mit ihrer Familie, so wie sie sie nannte, die Sorge um das Verschwinden von Oronêl überlagerte.
Alle gemeinsam betraten sie das Haus und gingen in einen großen Speiseraum im südlichen Teil des Hauses. Es war bereits einiges aufgetischt, sodass sie sich ohne Umschweife an den Tisch setzten und reichlich zulangten. Elea beobachtete verstohlen die anderen. Es war schön mitanzusehen, wie Finjas mit großen Happen seinen Hunger stillte, Arwen die mit feiner Anmut ihren Teller befüllte, Kerry die vor lauter Getuschel mit der fremden Elbe auf das Essen vergaß und schließlich Pippin, der sogar mehr vor sich auf dem Tisch hatte als der ausgewachsene Finjas.

„Nun bin ich aber gespannt, wie ihr euch kennen gelernt habt“, fragte Elea ihre blonde Gefährtin und Farelyë.
„Oh das ist schon lange her, Farelyë war damals noch ein Kind“, scherzte Kerry und sah dabei lächelnd zu der Elbe die sofort miteinstimmte. Ihre Backen färbten sich rot.
„Junges Mädchen“, hob Elea tadelnd aber im Scherz den Finger „Also, wenn ich Arwen so ansehe die tausend Jahre älter ist und Jahrzehnte jünger aussieht, möchte ich meinen, dass es mindestens ein Menschenleben lang dauert ehe ein neugeborener Elb überhaupt sein erste Wort von sich gibt“, antwortete Elea „Du kannst sie also nicht als Kind kennen gelernt haben.“
„Und du meinst ihr Menschen habt es schneller heraußen?“, konterte ihre elbische Freundin.
„Was bleibt uns denn anderes übrig“, warf Finjas trocken dazwischen.
Alle am Tisch begannen zu lachen.

Danach fing Farelyë die Geschichte an „Morilië habe ich meine Freiheit zu verdanken. Sie war es, die mich nicht in den Verliesen des Nordens zurückgelassen hat. Sie war es, die mir in der Dunkelheit Hoffnung gab und mir eine Freundin war.“ Bei diesen Worten begannen die Augen der Elbe auf geheimnisvolle Art zu leuchten. Es mussten die Erinnerungen sein, die diese Reaktion hervorriefen.
„Hör schon auf“, tat die Rohirrim es ab und starrte verlegen in ihren Teller.
„Mutig ist sie, da gebe ich euch recht“, unterstützte sie Elea.
Anschließend versiegte das Gespräch und es trat ein betretenes Schweigen ein. Und so sehr sie diesen Moment genossen haben, so verflog er doch und der Grund ihrer Reise nahm wieder seinen angestammten Platz ein.

„Was geschieht hier?“, fragte schließlich Finjas die ansässige Elbe.
„Ost-in-Edhil wird geräumt. Faelivrin hat angeordnet, dass alle Bewohner die nicht in der Lage sind zu kämpfen die Stadt Richtung Westen verlassen“, antwortete die Elbe neutral „Die letzten Monate war es sehr ruhig im Gebirge. Es gab kaum Angriffe von den Orks, aber dies macht die Situation nicht angenehmer. Wir sind dankbar für die Zeit, denn jeder Tag der vergeht, ist ein Tag an dem unsere Verteidigungsanlagen stärker werden. Aber im Endeffekt fehlt es uns an Arbeitern und Soldaten.“
„Bruchtal schickt Verstärkung“, warf nun Arwen dazwischen.
„Das wissen wir und es ist auch notwendig, aber sonst haben wir niemanden auf den wir zurückgreifen können.“
„Was ist mit den Dunländern?“, fragte Kerry irritiert „Habt ihr Ae“, sie stockte, warf einen verstohlenen Blick zu Elea und setzte dann fort „Habt ihr den Wolfskönig benachrichtigt?“
Farelyë nickte: „Die Dunländer unterstützen uns mit ihren helfenden Händen, aber sie scheuen sich vor einem Bündnis. Die Angst eines Angriffes auf das Dunland ist zu groß.“
„Und die Dunedain?“, fragte Elea.
„Nachricht von den Menschen des Nordens haben wir nicht erhalten.“
Elea sah besorgt zu Finjas, er erwiderte ihren Blick und streckte ihr dann unter dem Tisch die Hand entgegen um ihre zu ergreifen. Sie fragte sich, ob Fornost selbst gerade bedroht wurde.
„Entsendet Boten nach Fornost!“, forderte Finjas sie auf.
„Dies sind Angelegenheiten die ihr mit der Königin besprechen müsst, nicht mit mir. Ich denke, dass sie euch bald empfangen wird, vor allem dich Kerry.“
Das blonde Mädchen presste die Lippen zu einem aufgelegten Lächeln zusammen. Elea erkannte wieder die Sorge über Oronêls Verbleiben in ihrem Gesicht.

„Farelyë“, sprach Elea sie nun an „eure Späher, haben Sie im Norden von hier etwas entdeckt? Gab es Angriffe von Orks in letzter Zeit oder sonst etwas ungewöhnliches?“
Erwartungsvoll sah Kerry nun zu ihrer Freundin.
„Nein, wie gesagt, es war sehr ruhig.“
„Hast du was von Oronêl gehört? Oder hast du ihn wahrgenommen?“, platzte es aus Kerry unweigerlich heraus.
„Von Oronêl? Nein“, die Elbe wirkte überrascht „Nein, Kerry“, sagte sie einfühlsam „Ich wusste, dass ihr kommen würde, aber von Oronêl wie ich nichts.“
Arwen klärte sie nun mit ihrer sanften Art über die Geschehnisse der letzten Nacht auf. Farelyë streichelte ihr danach tröstend über den Rücken und sprach ihr leise einige Worte zu.
Elea versuchte noch einige Bissen zu sich zu nehmen, aber es war ihr nicht ganz wohl. Sie ging hinaus auf die Terrasse und schaute über die Stadt. Zum Glück war der Schnee mittlerweile geschmolzen und die Sonne warf ein paar wärmende Strahlen auf sie.
Erst jetzt wurde ihr bewusst was sie fühlte. Genau dieses mulmige Gefühl hatte sie damals in Minas Tirith. Nie wollte sie in den Krieg ziehen, aber sie konnte nicht verhindern, dass er zu ihr kam. Ich muss wir weg. Wir müssen hier weg. So schnell wie möglich. Ost-in-Edhil ist nicht mein Ziel.
Titel: In Farelyës Haus
Beitrag von: Fine am 6. Feb 2021, 15:41
Als Kerry sah, wie Elea mit einem unwohlen Gesichtsausdruck nach draußen ging, blickte sie ihr eine ganze Weile nachdenklich hinterher. Ein kurzer Blick zu Finjas, dem schweigsamen Waldläufer, ließ sie ahnen, dass er sich ebenfalls um Elea Gedanken machte. Doch nachdem er noch einige Minuten vor sich hin gegrübelt hatte, stand Finjas auf und entschuldigte sich, weil er nach den Pferden sehen wollte. Kerry erwartete zwar, dass Angatar und Fanael die Tiere mittlerweile zu Farelyës Haus gebracht hatten, aber sie stimmte dem Waldläufer darin zu, dass es sicherlich nicht schaden konnte, das Ganze zu überprüfen.
Arwen und Farelyë sprachen leise auf Quenya miteinander, und Pippin hatte sich nach dem reichhaltigen Essen bereits zu Bett begeben; der harte Ritt von Imladris nach Ost-in-Edhil hatte dem Hobbit wohl mehr Kraft gekostet als er selbst geahnt hatte. Kerry beschloss, später nach ihm zu sehen, dann stand sie leise auf und ließ die beiden Elbinnen im Gespräch zurück, um Elea auf den Balkon zu folgen.

Die Sonne ging unter und tauchte die Stadt in ein feuriges Rot, als Kerry hinaus trat. Eleas Silhouette zeichnete sich gegen den Sonneruntergang ab. Beinahe hätte Kerry sie lieber in Frieden gelassen, aber dann fasste sie sich ein Herz und trat neben die Dúnadan. Sie folgte Eleas Blick über die Dächer hinweg, dann schaute sie der Frau ins Gesicht. "Elea?" fragte sie zaghaft.
"Hm? Oh, du bist es, Kerry," sagte Elea etwas überrascht, als wäre sie tief in Gedanken versunken gewesen.
"Ist alles... in Ordnung?"
Elea seufzte und antwortete zunächst nicht, stattdessen ließ sie ihren Blick wieder in die Ferne schweifen. Da nahm Kerry Eleas Hand zwischen ihre beiden Hände. "Du kannst es mir erzählen," sagte sie mitfühlend.
Elea wandte ihr den Blick wieder zu. "Oh... liebes Mädchen, ich,..." stammelte sie gerührt, und legte ihre freie Hand auf Kerrys Hände, sodass sie einander nun nahe beieinander gegenüber standen. "Es ist nur so, dass ich... mich hier in der Stadt nicht wohl fühle, es ruft ungute Erinnerungen wach, und... am liebsten würde ich sofort wieder losziehen, oder sogar rennen, nur um von hier fortzukommen..."
Kerry konnte sich zunächst keinen Reim darauf machen. "Aber... wir sind hier in Sicherheit, und meine Familie und meine Freunde sind hier," sagte sie.
"Und auch sie sind alle in Gefahr," erwiderte Elea und schaute ihr genau in die Augen. "Es zieht Krieg herauf, und ich will nicht hier festsitzen, wenn der Feind diese Mauern hier erreicht, so stark sie auch sein mögen..."
Jetzt verstand Kerry sie besser. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie mit Gandalf auf den Wällen von Fornost gestanden hatte und den Angriff aus Angmar abgewartet hatte. Sie hatte das Gefühl der Machtlosigkeit gehasst, das damals ihr Herz ergriffen hatte. "Ich... ich verstehe was du sagst," murmelte sie, und ließ Eleas Hände nicht los. "Bestimmt hast du von der Belagerung von Fornost gehört?"
"In Bree erzählte man sich davon," bestätigte Elea leise.
"Ich war dabei," sagte Kerry. "Deswegen glaube ich, dass ich weiß, was du fühlst, liebe Elea. Und ich verstehe, dass du Angst hast. Aber dies ist nicht Fornost, dort hatten wir nur sehr wenige kampffähige Leute. Hier, in Ost-in-Edhil, ist die ganze Stadt voller gut ausgebildeter Wächter, und es sind Elben... Elben die dafür kämpfen, ihre neue Heimat zu verteidigen. Die Manarîn werden nicht scheitern... das weiß ich."
"Du machst mir Mut, kleine Kerry," sagte Elea und ein ferner Glanz trat in ihre Augen, "Aber dennoch werde ich das ungute Gefühl nicht los..."
"Wenn... wenn es dadurch leichter für dich würde..." schlug Kerry etwas stockend vor, "Dann... könnten wir doch gemeinsam zu dem sicheren Ort gehen, Lissailin haben sie es genannt, an den gerade alle die nicht kämpfen können evakuiert werden? Wie wäre das? Ich will zuvor mit der Königin sprechen und meine Mutter wiedersehen... aber danach würde ich mit dir gehen, Elea."
"Das würdest du tun?" fragte Elea und wirkte erneut gerührt.
Kerry nickte und umarmte die Dúnadan voller Zuneigung.
"Ich... werde es mir überlegen, mein liebes Mädchen," sagte Elea, die die Umarmung erwiderte. "Aber es ist spät, und wir alle sind müde. Am besten legst du dich für heute hin, wenn du morgen so viel vorhast."
"Ist gut," sagte Kerry, die diesen Vorschlag für eine exzellente Idee hielt. Sie verließ den Balkon und legte sich in Farelyës Zimmer schlafen.
"Normalerweise schläft Ivyn dort," sagte Farelyë noch, ehe sie sich ebenfalls hinlegte und meinte damit das Bett, das Kerry nun beansprucht hatte. "Aber sie verbringt momentan die meiste Zeit im Palast, an der Seite der Königin."
"Morgen spreche ich mit ihr," murmelte Kerry müde, dann machte sie die Augen zu und es dauerte gar nicht lange, bis sie in den Schlaf gedriftet war.

Im Traum ging sie durch einen Wald mit goldenen Blättern. Sie war nie zuvor in ihrem Leben an einem solchen Ort gewesen und wusste auch nicht, wo in Mittelerde es ihn geben könnte. Doch das kümmerte sie nicht. Staunend sah sie sich um und entdeckte zu ihrer Rechten einen breiten Bach mit silbrigem Wasser darin. Sie näherte sich dem Gewässer und beugte sich darüber, denn das Wasser war so klar, dass sie sich darin spiegelte. Verwundert musste sie feststellen, dass sie eine Fremde anblickte. Das Haar war braun, die Ohren liefen spitz zu - eine Elbin, kein Zweifel. Die Gesichtszüge kamen Kerry nur vage vertraut vor. Sie hob die linke Hand an ihre Wange und ihr Spiegelbild tat es ihr gleich.
Ein fernes Grollen ließ sie aufschrecken. Zu ihrem Entsetzen war der friedliche Wald wie verwandelt - dicke Rauchschwaden krochen über den Waldboden, und zwischen den Baumstämmen war ein unheilvolles, rötliches Glühen zu sehen. Der Wald stand in Flammen! Kerry sprang auf, drehte sich vom Fluss weg, der auf einmal blutrot geworden war, und wäre beinahe über eine Leiche gestolpert. Sie schrie vor Angst auf und stellte fest, dass sie sich auf einem Schlachtfeld zwischen den Bäumen befand, das von reglosen Körpern von Elben und Orks übersät war. In der Entfernung sah sie eine Gestalt knien, einen dunkelhaarigen Krieger mit einem langen, gebogenen Schwert, das ihm gerade aus den Händen glitt. Als Kerry einen Schritt in seine Richtung machte, sackte der Fremde hinüber und blieb leblos liegen.

Das war der Moment, in dem Kerry gnädigerweise aufwachte. Zum Fenster herein schien helles Mondlicht, was sie beruhigte. Im Bett gegenüber saß Farelyë, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, und rührte sich nicht - eine Art des Elbenschlafes, die Kerry bereits ein- oder zweimal bei Oronêl gesehen hatte. Sie beschloss, ihre Freundin nicht zu stören und am besten einfach weiterzuschlafen. Da hörte sie, wie die Tür zum Gang hin leicht knarzte und fuhr zusammen. Eine Gestalt schlüfte herein, dann flammte das bläuliche, sanfte Licht einer Elbenlampe auf und Kerry erkannte ein vertrautes Gesicht.
"Amil!" entfuhr es ihr überrascht und erleichtert, und sie sprang aus dem Bett, um Halarîn zu umarmen.
"Vorsichtig, vorsichtig," warnte Halarîn sie und deutete auf ihren Bauch. Ihr Bauch! durchzuckte Kerry ein Gedanke und sie riss vor Staunen die Augen auf. Halarîn war hochschwanger. Sie schien bei guter Gesundheit zu sein, wirkte aber sehr mitgenommen. Ob daran allein die Schwangerschaft schuld war, konnte Kerry nicht erkennen.
"Tut mir Leid..." entschuldigte sie sich sofort.
"Ich habe mich auch gefreut, dich wiederzusehen, meine Kleine," sagte Halarîn sanft. "Farelyë hat mir einen Boten gesandt, dass du hier bist. Bringst du Nachricht von Mathan?"
Kerry hielt inne und dachte nach. "Er ging mit uns bis zum Düsterwald," erzählte sie. "Dann hat er sich nach Norden gewandt, um nach der Heimat seiner Mutter zu suchen, glaube ich..."
"Mach dir keine Sorgen, es geht ihm gut. Wenn ihm etwas zugestoßen wäre, wüsste ich es," beruhigte Halarîn sie. "Ich hoffe nur, er beeilt sich... lange kann das Kind nicht mehr warten, fürchte ich."
"Er wird kommen," beteuerte Kerry sogleich. "Das hat er dir versprochen."
Leise saßen sie gemeinsam auf dem Bett und tauschten sich über die lange Zeit aus, die sie einander nicht gesehen hatten. Kerry sprach von der langen Reise, die sie hinter sich hatte, seitdem sie Eregion mit Oronêl und Mathan verlassen hatte. Der Pfad hatte sie über Imladris und den Hohen Pass durchs Tal des Anduin bis zum Reich der Waldelben und bis zum Einsamen Berg geführt, und von dort auf einem langen Umweg über Rohan, Dunland und Enedwaith wieder zurück zu ihrer Adoptivmutter. Halarîn stellte viele Zwischenfragen, hörte aber auch sehr aufmerksam zu, und Kerry vergaß beim Erzählen ihre Müdigkeit, so froh war sie, Halarîn wiederzusehen. Diese schien sich vor allem für das Schicksal der Elben des Waldlandreiches zu interessieren. "Ich habe auf unserer gemeinsamen Reise ein paar Mal mit Finelleth sprechen können, und bin froh, dass sie sich dazu entschieden hat, die Bürde ihres Vaters auf sich zu nehmen," merkte sie dazu an. Doch ihr Interesse galt auch dem Wiedersehen mit Kerrys Vater und ihrer Zeit mit Aéd. Tatsächlich war das am Ende das Thema, über das die beiden am meisten sprachen, und je später es wurde, desto mehr sprach Kerry sowohl von Aéd, als auch von Helluin, bis Halarîn schließlich glockenhell lachte und sie umarmte. "Nein, meine kleine Morilië, ich kann dir nicht raten, für wen du dich entscheiden sollst, das ist eine Wahl, die nur du treffen kannst. Aber ich bin mir sicher, wenn du tief in dein Herz hinein horchst und deine Gefühle ein wenig erforschst, wirst du die Antwort finden, die du suchst."
"Das ist nicht sehr hilfreich, Amil," sagte Kerry etwas pampig und entschuldigte sich daraufhin gleich wieder dafür.
"Nun, so ist das im Leben nun einmal. Du wirst erwachsen und musst lernen, eigene Entscheidungen zu treffen, Morilië. Wenn dein Geschwisterchen auf der Welt ist, wirst du seine große Schwester sein, und große Schwestern sind für gewöhnlich vernünftig, nicht wahr?"
Kerry schmollte ein wenig, musste aber zugeben, dass Halarîn auf ihre Weise Recht hatte. Es gab niemanden, der ihr die Entscheidung abnehmen konnte, die ihr bevorstand, wenn sie Aéd wiedersehen würde. Sie seufzte tief.
"Lass dir das Herz nicht zu schwer werden," sagte Halarîn. "Du solltest noch ein wenig schlafen. Morgen musst du mit Faelivrin sprechen, sie erwartet dich. Und dann werden wir zusehen, dass wir diese neue Heimat verteidigen gegen diejenigen, die sie uns wegnehmen wollen..."
Titel: Dunkelheit, umgeben vom Licht
Beitrag von: Curanthor am 6. Feb 2021, 22:24
Aus der Sicht Adriennes

Es waren Wochen vergangen, seitdem Mathan und seine Gefährten aufgebrochen waren und in all der Zeit war ihr nie wirklich bewusst geworden, wie sehr sie Gesellschaft schätzte. Die Manarîn waren distanziert, ausgenommen die königliche Familie, die sie nur äußerst selten zu Gesicht bekam. Adrienne war die meiste Zeit damit beschäftigt gewesen, unter Amarin im Schwertkampf unterwiesen zu werden. Der alte Elbenmeister war unbarmherzig und gönnte ihr keinen einzigen Fehler. Er verlangte Perfektion. Jetzt war ihr auch klar, warum Mathan ein Meister mit dem Schwert war. Sein Vater war ein regelrechter Sklaventreiber - oder es kam ihr nur so vor, da sie sich ständig als zu schwach empfand. Dieses Gefühl der Unzulänglichkeit nagte durchgehend an ihr. Nachts fand sie deswegen kaum Schlaf.

Es war wieder so ein Tag wie jeder andere, Adrienne folgte Amarin durch das Nordtor der Stadt. Wie jedes Mal, warf sie einen Blick auf die mächtige Mauer, die für sie in sagenumwobener Rekordzeit wieder aufgerichtet wurde. In regelmäßigen Abständen hatten die Elben Türme errichtet, die die mehr als drei Schritt breite Mauer in Abschnitte unterteilte. Dutzende Steinmetze arbeiteten in Schichtarbeit daran, die letzten Zinnen aufzurichten. Der durchgehende Klang von Meißeln auf Stein erfüllte die Torburg, als sie das Tor durchquerten. Sie blickte wieder zu Amarin, der sich die Arbeiten abschätzend ansah, ohne dabei langsamer zu werden. Einzelne Elben nickten dem alten Meister knapp zum Gruß, die meisten waren jedoch mit ihrer Arbeit beschäftigt. Keiner nahm Notiz von ihr. Sie passierten den großen Exerzierplatz, der vor dem Tor lag. Elbische Befehle wurden gebrüllt. Adrienne erblickte eine Kompanie schwer gepanzerter Elben in silber-blauen Rüstungen auf dem Platz. Sie alle trugen himmelblaue Mäntel, messerscharfe Speere funkelten im Sonnenlicht. Aufgereiht wie die Schnur einer Perle, bildeten sie einen Schildwall. Das Mädchen kniff die Augen zusammen, um nicht geblendet zu werden. Ein weiterer Befehl wurde gebrüllt, die Linie bewegte sich wie ein Mann und bildete einen schützenden Kreis. Sie musterte die Mäntel genauer, an deren Rändern verschlungene, goldene Runen gestickt waren. Adrienne erkannte es. Hier übte die königliche Garde mit all ihren zweihundert besten Kriegern. Weiter hinten erblickte sie Isanasca, die die Übung mit verschränkten Armen beaufsichtigte.
"Komm, wir haben noch viel zu tun, Núlwen", sagte Amarin ohne sich umzudrehen, oder den Elbenkriegern zuzusehen.
In dem Moment gab die Prinzessin einen scharfen Laut von sich und die Garde ließ die Lanzen fallen, um die Schwerter zu ziehen.
"Adrienne", forderte der alte Elbe sie mit Nachdruck auf, sagte dann aber sanfter: "Ah, ich habe vergessen, dass du deinen Spitznamen gar nicht so sehr magst. Mein Fehler."
"Weil mir niemand sagen möchte, was er bedeutet", brummte sie unzufrieden und stapfte dem alten Elb hinterher, zu dem Hügel, unter dem sich die Schmiede Eregions verbarg. Amarin antwortete nicht, sondern führte sie zu dem verborgenen Eingang. Kurz nachdem Mathan abgereist und die übrigen Avari angekommen waren, hatte Faelivrin veranlasst, die Schmiede wieder zu verstecken. Adrienne war einer der wenigen, die wussten, wo in etwa der Eingang war. Sie vermutete aber, dass die hohe Herrin Ivyn eine Art Elbenzauber gewirkt hatte, denn selbst Adrienne konnte ohne Hilfe die verborgene Spalte im Fels nicht finden, obwohl sie die Schmiede schon mehrfach betreten und verlassen hatte.

Unten angekommen passierten sie die übrigen Schmiedeplätze, an denen die talentiertesten Schmiede unter Amarins Aufsicht und nach dessen Anleitung unablässig Schwerter, Rüstungsteile und anderes Kriegsmaterial schmiedeten. Das Hämmern der Schmiedehämmer und die dämmrige Licht, das von dem heißen Öfen flackernd in den Raum geworfen wurden, ließen Adrienne ahnen, wie es in den Hallen der Zwerge wohl aussehen würde. Wie immer stand zuerst ein Kontrollgang an, denn Amarin achtete sehr genau auf die Qualität und setzte seine eigenen Maßstäbe an - nämlich die eines uralten Elben der Noldor. So hatte ihr es Faelivrin eines Abends erklärt, als sie mehr über ihren Lehrmeister erfahren wollte. Doch auch die Königin der Manarîn wusste nicht allzu viel über ihn. Immer wieder fragte sie sich, was dem alten Elb zugestoßen war, das ihn so entstellt hatte. Während Adrienne darüber sinnierte, trottete sie dem Elben hinterher und stieß fast mit ihm zusammen, als er an das übliche Tagewerk ging. Amarin schmiedete schon seit geraumer Zeit ein Paar Schwerter in seiner eigenen Schmiede, wo sie ihn damals gefunden hatten. Irgendwie kam ihr das vor, als ob es schon Jahre zurücklag. Geistesabwesend ging sie wie üblich zur Hand und erledigte kleine Aufgaben, machte Handreichungen, suchte Werkzeug und holte Material. Die meiste Zeit stand sie jedoch daneben und sah dabei zu, wie Amarin den glühenden Stahl mit dem Hammer bearbeitete und das stundenlang. Ihr kam es so vor, als ob der Stahl sich aller Macht wehrte, hatte sie beim Sternenbund doch schon viele Schmiede bei ihrer Arbeit beobachtet. Es war kaum eine grobe Form zu erkennen, jedoch konnte sie schon von der Menge des Materials abschätzen, dass es Langschwerter wurden. Auf die Frage, warum er zwei Schwerter parallel herstellte, winkte Amarin nur ungeduldig ab. Er hasste es dabei gestört zu werden, also fragte sie, ob er noch Hilfe brauchte. Es dauerte, bis er antwortete, hin und wieder brummte er etwas auf elbisch und wirkte ziemlich unzufrieden. Auf ein knappes Kopfschütteln hin, verließ sie wieder die Schmiede.

Nach ein paar Stunden in dem düsteren Licht der Schmiede, erschien ihr das Tageslicht ungewöhnlich grell. Adrienne kniff die Augen zusammen und ging den Weg entlang, der zwischen Exerzierplatz und Bogenstand hindurch in die Stadt führte. Am Tor wurde sie kurz angehalten. Adrienne atmete erschöpft aus und stemmte die Hände in die Hüften.
"Wer begehrt... ah, ihr seid es, Núlwen", sagte die Wache und machte Platz, "Freunde der Königin sind stets willkommen." Es klang nicht so, als ob der Elb froh war, sie einzulassen. Die übrigen Wachmänner warfen ihr merkwürdige Blicke zu, während sie zur Seite traten. Plötzlich kam sie sich ziemlich sonderbar vor. So, als ob sie eine mögliche Gefahr sei... oder wie eine Aussätzige. Ihre Hand berührte den kühlen Stahl ihres Schwertgriffs, obwohl keine Gefahr drohte. Ich bin viel zu übermüdet, murmelte sie zu sich selbst und nahm den verschlungenen Weg durch die verwinkelten Gassen zum Palastviertel. Sie mied die Hauptstraße, da dort zu viel Betrieb war. Erst vor einigen Tagen hatte die Königin den Befehl gegen, die Stadt kampfbereit zu machen. Das hieß, dass Nichtkämpfer nach Westen in die neue Stadt Lissailin gebracht wurden. Viele Elben blieben jedoch, denn sie wurden gebraucht um eventuelle Feuer durch Beschuss zu löschen, Pfeile zu den Kämpfenden zu bringen, Verletzte zu versorgen und auch zu borgen. Adrienne kannte nicht die Stärke der Manarîn, doch zusammen mit den übrigen Avari mussten es einige tausend sein. Geistesabwesend stolperte sie vor dem Palast und fiel fast auf die breite Treppe, die zum Bau hinaufführte. Ein gewaltiger Vorbau aus Rundsäulen, die einen Balkon trugen reckten sich dem großen gepflasterten Platz entgegen, der vor dem Palast lag. Hier würde wohl die Königin zu ihrem Volk sprechen. Ein riesiges, kuppelartiges Gebaude dahinter, was wohl die Eingangshalle war - mehr war noch nicht gebaut, bis auf den großen Westflügel. Die großen Tore waren geschlossen. Die gerüstete Palastgarde mit schwarzen Mänteln blickte regungslos zu ihr hinab. Adrienne straffte sich und erklomm die etwas steilen Stufen- hier waren eindeutig elbische Maße genommen worden. Vor dem Tor blickte sie die Palastgarde an, der Wächter, dessen Gesicht von einem schwarzen Tuch verdeckt wurde nickte kaum merklich.
"Herrin Ivyn erwartet Euch, Núlwen." Mit dem Worten offnete sich das über drei Schritt große, doppelflügelige Tor.
"Sicherlich tut sie das", murmelte sie und trat in die große Eingangshalle, die von Rundsäulen getragten wurden. Während sie die Halle durchschritt, blickte sie nach oben zur Kuppel.
"Augen nach vorn", sagte eine bekannte Stimme amüsiert.
Adrienne stoppte und wäre fast in Ivyn reingelaufen. Die mysteriöse Elbe blickte sie lange an. Irgendwie kam es ihr so vor, als ob sie durch die silbernen Augen geblendet wurde. Ein paar Mal blinzeln und ihre Augen hatten sich daran gewöhnt.
Die Elbe neigte sich ein wenig herab und sagte: "Nicht jedem werden die Tore des Palastes so weit geöffnet, es ist eine große Ehre. Eine, die man sich verdienen muss."
"Das habe ich", entgegnete Adrienne fest und dachte dabei an die Schlacht um Fornost und die Reise mit Mathan, bis sie hier in Eregion angekommen waren, um die Ringe zu vernichten.
Ivyn antwortete nicht, sondern zog nur eine Braue für einen Fingerbreit nach oben. Der Augenblick war jedoch nur sehr kurz, die Elbe wandte sich halb ab und ging langsam zum Thronsaal. "Amarin kommentierte deinen Fortschritt auf dem Weg des Schwerts als äußerst beeindruckend."
Überrascht von dem unerwarteten Lob beeilte Adrienne sich aufzuholen.
"Es ist selten, dass ein Mensch seinem Training standhalten kann. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob es der richtige Pfad ist."
Adrienne schnaubte unbewusst. "Klar, weil meine Art der Euren unterlegen ist."
"Das wollte ich damit nicht sagen. Ich denke sogar, dass Menschen und Elben gar nicht so verschieden sind. Auch wir empfinden alle Emotionen, dir Ihr verspürt. Trauer, Wut und auch das Gefühl nirgendwo hinzugehören. Ich kenne sie alle."
Ehe Adrienne etwas sagen konnte, stieß die Palastgarde die Tore zum Thronsaal auf. Ivyn ging voraus. Vor ihnen tummelten sich Elben, von denen sich einige zu ihnen umdrehten. In der Mitte stand ein großer Kartentisch, weiter hinten, am Ende des Raums war ein kleines Podest zu dem sieben Stufen hochführten. Auf dem schlichten Thron aus kunstvoll geschnitzten Holz und silber-goldenen Verzierungen saß die Herrin der Manarîn. Faelivrin beobachtete aufmerksam den Raum, während sie sich mit ihrer Tochter Isanasca unterhielt, die neben dem Thron stand. Kurz streifte der Blick der Königin sie und Adrienne hoffte, dass sie nichts sagte. Falsch gehofft. Faelivrin hob knapp eine Hand. Sofort kehrte Stille ein.
"Adrienne" Die Stimme Faelivrins durchdrang den Raum, obwohl sie sehr leise sprach. Die Angesprochene beeilte sich vor den Thron zu treten und verneigte sich. "Lange Wochen weilst du nun unter uns und viel hast du meinem Volk geholfen. Du bist wahrlich eine Freundin der Manarîn. Und dennoch gibt es viele Stimmen, die eine Fremde in diesen Zeiten innerhalb ihrer Mauern nicht dulden. Ich selbst habe eine lange Reise mit dir durchgestanden und für mich bist du keine Fremde, sondern eine Freundin - ich hoffe, dass du dies ebenfalls so siehst. Und dennoch: Dies hier ist nicht dein Kampf und es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren können, sollte dir etwas in den kommenden Sturm zustoßen."
Adrienne bemerkte, dass der Blick der Königin für einen winzigen Augenblick zu Ivyn huschte. In dem Thronsaal war es auf einmal sehr still. Dutzende Augenpaare waren auf sie gerichtet und Adrienne dämmerte es, dass alle auf eine Antwort von ihr warteten. Sie räusperte sich unbeholfen und stammelte: "Ich...Herrin ... ähm..." Hilfesuchend blickte sie zu Faelivrin und Isanasca, dann zu Ivyn, doch sie war auf sich allein gestellt. Enttäuschung flackerte in ihr auf, als sie allein nach einer Antwort rang.
Schließlich erbarmte sich Anastorias und trat neben sie, legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. Sie wusste nicht, ob sie gerade rausgeworfen wurde, oder für einen Krieg rekrutiert. Ihr Körper war wie erstarrt. Eigentlich hatte sie nur auf Mathan und ihren Bruder warten wollen. Sie wusste gar nicht, was sie selbst wollte.
"Herrin, ich glaube Núlwen-", Anastorias stoppte, als sie sich bei dem Namen unbewusst versteifte und korrigierte: "Adrienne muss diese Entscheidung mit ihrem Lehrmeister, dem Ahnenherrn besprechen."
Ein Schmunzeln umspielte Faelivrins Lippen und sie nickte knapp. Anastorias zog sie sanft an der Schulter und geleitete Adrienne aus dem Thronsaal.
"Was sollte das denn?", fragte er dabei flüsternd und mit Besorgnis in der Stimme.
"Was soll dieser blöder Name?", zischte Adrienne ungehalten zurück. Die Tore zum Thronsaal schlossen sich hinter ihnen und sie schüttelte seine Hand von der Schulter. Noch immer fühlte sie sich wie vor dem Kopf gestoßen. Warum hatte Faelivrin sie vor dem gesamten Hof bloßgestellt? Stechende Kopfschmerzen gesellten sich zu den bohrenden Fragen dazu. Ihr Blick verschwamm leicht. Anastorias wollte sie mit besorgtem Blick um sie kümmern, doch sie schob ihn von sich.
"Ich brauche keine Hilfe", zischte sie und stapfte erbost davon.
"Es ist ein Name, damit du dich nicht so alleine fühlst!", rief ihr der junge Elb entschuldigend hinterher, "Immerhin bist du..."
Adrienne stoppte und warf ihm einen enttäuschten Blick zu.
"Nur ein bemitleidenswerter Mensch, ich weiß. Und ich verdiene es nicht, einen Elbennamen zu tragen, denn ich bringe jedem in meine Nähe nur Tod und Unglück. Vielleicht sollte ich diese Stadt tatsächlich verlassen - oder gar das Land."
Mit den Worten ließ sie den Elben einfach stehen und stapfte aus dem Palast hinaus. Ein Teil von ihr bereute ihre harschen Worte, doch hatten ihre Gefühle sie überwältigt. der Großteil von ihr verspürte nur Wut und Enttäuschung. Zu lange hatte sie alles nur verdrängt. Während sie durch die Straßen stolperte blitzen immer wieder Bilder von der Schlacht bei Fornost vor ihrem inneren Auge auf. Hin und wieder stolperte sie und stieß dabei gegen Elben, die sich murrend darüber beschwerten. Die Sorgen um ihre Blutfehde kamen wieder und der Kampf gegen Dôlguthôr, falls das überhaupt sein echter Name gewesen war. Erinnerungsfetzen aus den Verließen Minas Thirits mischten sich darunter. Eine Stimme in ihrem Kopf begann zu wispern. Adrienne war schwindelig. taumelnd lehnte sie sich an eine Hauswand. Schließlich konnte sie die Stimme besser wahrnehmen. "Komm; komm zu mir", sagte sie nur immer wieder.
Sie atmete ein und versuchte ihr rasendes Herz beruhigen. Ohne genau zu wissen wohin, ging sie los. Ihre Füße trugen sie irgendwohin, während sich vor ihrem inneren Auge Bilder in rascher Reihenfolge abwechselten und dutzende eindrücke auf sie einprügelten. Ein Tropfen Blut, alles verzehrendes Feuer und Tod. Pfeilspitzen in Holzschilden. Der scharfe Schmerz von Klingen, die ihre Haut zerrissen und tief in ihr Fleisch eindrangen. Der Geruch von verbranntem Fleisch. Schmerzensschreie. Das Betteln um den Tod. Lebendig gewordener Schatten. Ein irres Lachen. Schließlich stolperte sie erneut. Ein hoher Schrei, der nichts Menschliches mehr hatte. Adrienne presste beide Hände auf die Ohren. Tausende Speere in der Morgenröte. Blutüberströmte Steinzinnen. Sie schrie, bis sie heiser wurde und versuchte alles auszublenden. Schließlich stieß sie mit dem Kopf voran gegen etwas Weiches. Ein sonderbares Licht fiel auf sie hinab. Es umfing sie. Wärme breitete sich in ihr aus. Ihr war, als ob ihr der Atem vor dem Mund gefror.
"Schh... es ist vorbei", erklang die Stimme von Farelyë, dann verlor sie das Bewusstsein. Sie fiel in die Dunkelheit, umgeben von Licht.


Ein Tuscheln weckte sie. Eine Tür knirschte leise, dann war es wieder still. Adrienne lag auf etwas Weichem. Es roch nach getrockneten Beeren und eine Spur nach frischem Holz. Ihr Herz schlug ruhig und regelmäßig. Der warme Lichtschein einer Kerze auf einem Nachttisch zog ihren Blick an. Sie schluckte, doch ihr Hals schmerzte nicht, obwohl sie sich sicher war, geschrieben zu haben, bis sie heiser war. Sie versuchte sich zu bewegen, woraufhin ein regelmäßiges Geräusch verstummte. Dann erkannte sie, dass es Atem war.
"Du bist wach", stellte die freundliche Stimme Farelyë erfreut fest, "Das ist gut."
"Wo..."
"In meinem Haus. In Sicherheit. Hier lauern keine Schatten und nichts, das dir Schaden kann."
"Diese Stimme..."
"Ja, das war ich. Und gerade noch rechtzeitig." Neben dem Nachttisch erhob sich Farelyë, die sie mit ernstem Blick ansah. Sie hatte kaum noch etwas von dem kleinen Elbenmädchen an sich. "Ich glaube, dass deine Zeit unter uns begrenzt ist."
Adrienne nickte schwach, auch sie hatte mittlerweile eingesehen, dass irgendwas nicht stimmte.
"So hatte ich das nicht gemeint", berichtete die junge Elbe und ihre Augen glommen einen kurzen Moment silbern auf, "Deine Reise führt dich schlicht auf andere Pfade. Und das sehr bald. Schmerzhafte Pfade."
"Und das eben? Was war das?"
Ein Schatten huschte über das edle Antlitz und Farelyë blieb ihr eine Antwort schuldig.
Adrienne beschloss das Thema zu wechseln: "Wie lange habe ich... geschlafen?"
Nun lächelte die Elbe wieder und deutete zu einem dunklen Fenster, das ihr erst gar nicht aufgefallen war. Es war mitten in der Nacht. Adrienne erhob sich mühsam und setzte sich auf die Bettkante. Betreten blickte sie zu Boden.
"Danke... auch wenn du keinen Grund dazu hattest."
Farelyë hob mit ihren eleganten Fingern ihr Kinn an und schaute Adrienne ins Gesicht, die noch immer den Blick mied. "Du bist dabei gewesen, als ihr mich aus diesem Verließ befreit habt. Ich verdanke meine Rettung also auch dir."
"Wenn du meinst...", antwortete sie mit wenig Überzeugung in der Stimme. Sie hatte kaum zu irgendwas beigetragen. Eigentlich war sie immer nur auf andere angewiesen gewesen. Sie seufzte kaum hörbar.
"Nun, ich glaube es wird dich aufmuntern zu wissen, dass eine deiner Freunde zurückkehrte während du schliefst", sagte Farelyë freundlich, "Sie erholt aber gerade von der anstrengenden Reise."
Gedämpfte Freude kam in ihr auf. Adrienne lächelte gequält. "Gut, dass sie mich nicht so gesehen haben... Ich denke sie schlafen um diese Zeit?"
Die Elbe nickte knapp – die überflüssige Frage trotzdem beantwortend und trat in das Licht der Kerze. Sie trug eine volle Rüstung und war mit einem Schwert bewaffnet. "Erhole dich in meinen vier Wänden und fühle dich wie zu Hause. Ich werde nun woanders gebraucht."
Farelyë nickte ihr noch einmal knapp zu und verließ vorsichtig den Raum. Adrienne massierte sich die schmerzenden Schläfen. Erneut fragte sie sich, was bei allen Sternen vorhin geschehen war. Warum sie im Thronsaal ihre Fassung verloren hatte und wieso sie die letzten Tage sich so ausgeschlossen fühlte. Die bohrenden Gedanken verschwanden nach und nach. Neugierde trat an deren Stelle und sie erhob sich von ihrem Bett. Ihr Weg führte sie ins Erdgeschoss, wo ein Tisch mit Leckereien und Kleinigkeiten gedeckt auf sie wartete. Dabei stand ein kleines Fass Wein und Drei Becher. Probehalber inspizierte sie den Wein. Das Fass war bereits angeschlagen. Mit einem Finger probierte sie einen Tropfen. Süße breitete sich auf ihrer Zunge auf. Eine kleine Stimme im ihrem Hinterkopf sagte ihr, dass dies eine schlechte Idee war. Ihr Hunger siegte und Adrienne machte sich über das Essen her. Was genau so alles auf dem Tisch war, nahm sie kaum war. Sie nahm etwas Brot und mischte es im Mund mit etwas Wein, der vorzüglich schmeckte.

Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Der Wein war zu einem guten Stück geschwunden und ihr Bauch war voller als je zuvor. Adrienne lehnte sich zurück und dachte an die Zeit mit ihren Gefährten. Waren es Freunde? Sie wusste es nicht genau. Vielleicht einfach nur Kameraden? Was war Freundschaft? Ihr Blick verschwamm hin und wieder. Ihr Kopf schmerzte, aber diesmal nicht so stechend wie zuvor. Irgendwo in ihrem Hinterkopf sagte ihr die Stimme erneut, dass sie wohl betrunken war. Tapsig schnallte sie ihr Schwert vom Gürtel, das mit einem leichten Klappern zu Boden fiel. Vielleicht waren Freunde es Wert, all das durchzustehen, ging es ihr durch den Kopf. Doch hatte sie Freunde? Adrienne war sich nicht sicher. War ihr Name überhaupt Adrienne? Sie erinnerte sich... ihr Vater, Adanhad. War er überhaupt ihr Vater? Sein Gesicht vor ihrem inneren Auge verschwamm mit einer anderen Gestalt. Jemand, der ihr bekannt, aber auch unbekannt vorkam. Ein Namen hallte in ihrem verworrenen Gedächtnis umher, bekam ihn aber nicht zu fassen. Dann fiel ihr schummriger Blick auf ihre Waffe am Boden. Adrienne runzelte die Stirn und beugte sich nach ihrem Schwert. Plötzlich erschien es mit dem Heft voran unter ihrer Nase. "Ooooh mein Schwert... hehe, es kann fliegen! Weeee~"
"Adri?" Die überraschte Stimme von Kerry riss sie aus ihren merkwürdigen Gedankengängen. Sie blickte auf und musste sich dabei am Tisch festhalten, um nicht nach hinten zu kippen.
"Ist das dein Ernst?", entfuhr es Kerry verwundert und schockiert zu gleich.
Adrienne setzte sich aufrecht hin und packte sich mühsam die Waffe. "Nein", gab sie wieder und knallte es neben sich auf die Bank, "Kein Zauberschwert."
Kerrys sorgenvolles Gesicht schob sich in ihr Blickfeld, ihre blonden Haare wirkten ein wenig zerzaust. So als sie gerade aufgestanden war. Plötzlich fiel ihr auf, dass sie tatsächlich hier war, in diesem Raum.
"Oh, hey Tén.. Tena... Kerry. Hab ich dich geweckt? Das tut mir leid", begrüßte Adrienne ihre Weggefährtin schwerfällig und wollte schon aufstehen um sie zum Umarmen.
"Nein, nicht direkt", Ihre Hände drückten auf Adriennes Schultern, "Und du solltest sitzen bleiben."
Sie tat was Kerry sagte und starrte sie lange an. "Weißt du, eigentlich habe ich nicht damit gerechnet, dich hier zu treffen", sagte diese schließlich.
"Du meinst wohl, mich so zu sehen", berichtigte Adrienne, deren Kopf sich ein wenig klarer anfühlte.
Kerry schien nicht so recht zu wissen, was sie darauf sage sollte. Sie setzte sich neben Adrienne.
"Tja... bis auf meinem verschwundenen Bruder sind alle aus meiner Familie nicht mehr da und Freunde...? Was ist das? Habe ich überhaupt welche?"
"Aber ja, wir sind deine Freunde. Ich bin deine Freundin", entgegnete Kerry sofort und griff nach einer Glaskaraffe, die mit klarem Wasser gefüllt war, "Hier, trink, das sollte etwas helfen.
Adrienne wollte ebenfalls nach der Karaffe greifen, doch Kerry tauschte den Becher in ihrer Hand und schenkte ihr ein. Offenbar traute sie Adrienne ihr nicht zu mit Glas umzugehen, was sie grinsen ließ. "Das erinnert mich an unsere Zeit auf dem Schiff. Da war ich sowas wie die Erwachsene und jetzt schau dich an. Große Abenteurerin. Auf großer Fahrt mit dem großen Oronêl, dem Herr von und zu Grießgram." Dabei machte sie eine ausladende Geste, als ob sie die Welt umfassen wollte.
"Ha, ha, sehr witzig", murmelte Kerry, die wohl an etwas dachte, dass ihr peinlich war, auch wenn sie über ihre Bemerkung schmunzelte.
"Du... hast nicht nur an deine Reise gedacht", stellte Adrienne überflüssigerweise fest.
Kerry schwieg und goss ihr noch etwas Wasser ein. "Achja, das Schiff. In der Kajütte."
Eine betretene Stille trat ein. Adrienne war sich nicht sicher, ob Kerry die erzwungene Intimität peinlich war, oder der unglückliche Zwischenfall mit dem Ring. Sie selbst musste zugeben, dass beides möglich war. Sie hatte Kerry und die anderen mehr beobachtet als mit ihnen gesprochen und konnte sie schlecht einschätzen. Die junge Frau war zur sprunghaft. Und das hatte sie gleich gesehen. Ihre alten Vorwürfe kehrten wieder zurück, dass sie Kerry nicht auf das Kästchen angesprochen hatte.
"Ich wäre eine schlechte Freundin", sagte Adrienne leise, "Kann noch nicht einmal auf jemanden aufpassen, der direkt im Bett nebenan schläft. Ich ziehe das Unglück nur so an, was wieder der passende Beweis dafür ist."
Ehe Kerry erwidern konnte, legte sie ihr einen Finger auf die Lippen und brachte sie zum Schweigen. Sie waren erstaunlich weich und sanft, musste sie überrascht feststellen. Adrienne schüttelte sanft den Kopf.
"Nein, du versuchst immer andere aufzumuntern. Manche haben es einfach nicht verdient. Du bist zu gut zu mir, aber ich habe diese Güte nie annehmen dürfen. Der Tod folgt mir auf dem Fuße. Ich kam in Minas Tirith an, der Tod folgte. Ich kam in Fornost an, der Tod folgte. Ich ging mit Mathan und dir, der Tod folgte. Du wärst fast gestorben. Herr Grießgram sagte zwar, es sei seine Schuld, aber war er es wirklich? Wir gingen nach Dunland und der Tod folgte, selbst in die Schmiede folgte der Tod. Und nun sind wir hier und der Tod steht vor den Toren. Die Stunde der Wölfe ist nah. Nein Kerry, ich bin keine Freundin, nur ein Schatten eines Mädchens, das seine Seele verloren hat. Und das schon lange. Die Welt ist grausam und ich bin daran zerbrochen."
Als sie mit ihrem Monolog abgeschlossen hatte, bemerkte sie erst jetzt, dass sie die ganze Zeit zwei Finger auf Kerrys Lippen verharren lassen hatte. Langsam ließ sie sie heruntergleiten und fuhr dabei über Kinn und ihren Hals. 
Kerry saß einfach vor ihr und sagte gar nichts. Adrienne blinzelte, von sich selbst überrascht. Ihr Gegenüber war offenbar vollkommen überrumpelt, unfähig ein Wort herauszubringen. War da eine Spur von Tränen in den türkis schimmernden Augen? Adrienne neigte sich fasziniert von der Augenfarbe nach vorn. Schließlich riss sie sich zusammen und lächelte gütig, so wie es die Elben immer taten. "Ich danke dir, dass du trotz alledem versucht hast eine Freundin zu sein. Allerdings befürchte ich, dass sich unsere Pfade bald trennen. Ich habe deine erlauchte Gesellschaft genossen, denn du bist eine Königin der Herzen, Kerry. Niyôzi zîr kiyad, trage sie weiter und liebe an meiner Stelle, ârî zîrân."
Adrienne erhob sich und stützte sich dabei auf Kerrys Schultern. Ihr Blick fiel wieder auf ihre Lippen, die sie wohl gerade öffnen wollte, um etwas zu sagen. Kurzentschlossen beugte sie sich hinab und küsste sie sanft, aber flüchtig. Es war ein Ausdruck tiefster Dankbarkeit, aber auch ein Abschied.  Ohne sich noch einmal umzudrehen wandte sich Adrienne ab, packte ihr Schwert und taumelte zur Tür. Kurz verharrte sie, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden und murmelte noch ein "Namárië", dann eilte sie in den anbrechenden Morgen hinaus. Die kühle Morgenluft ließ ihren angetrunkenen Verstand weiter aufklaren. Adrienne wurde sich mit jedem Schritt sicherer, dass sie das Richtige tat. Oder war es doch der Wein? Kurz vor dem Nordtor wurde sie langsamer. Ob sie wohl an ein Pferd aus den Stallungen gelangen könnte? Wohl eher nicht, immerhin wusste sie, dass die Manarîn nur wenige hatten und sie dringen selbst brauchten. Trotzdem Adrienne nicht herzlich behandelt wurde, hegte sie keinen Groll. Sie straffte sich und eilte im Laufschritt hinaus aus der Stadt. Wohin sie ihre Füße trugen, wusste sie selbst nicht.
Titel: Eine schwesterliche Audienz
Beitrag von: Fine am 7. Feb 2021, 20:05
Kerry blieb wie vom Donner gerührt stehen und starrte regungslos auf die Stelle, an der Adrienne gerade noch gestanden hatte. Viele lange Minuten verharrte sie so, bis sie endlich zu sich kam und die Schultern sinken ließ.
"Was...?"
Ein einzelnes Wort kam über ihre Lippen. Sie hob die Hand an den Mund und konnte es noch immer nicht glauben. Warum hatte Adrienne das getan? Sie geküsst? Und nicht auf die Wange, wie Kerry es zuvor bei einigen anderen Frauen gesehen hatten, die einander nahe standen. Sondern genau auf die Lippen. Es war nur eine kurze, aber intensive, sanfte Berührung gewesen, die Kerrys Gedankenwelt komplett aus den Fugen gebracht hatte. Sie wusste nicht einmal im Ansatz, was das zu bedeuten hatte, und gleichzeitig war sie sich auf eine Weise, die sie selbst nicht verstand, erschreckend sicher, dass sie ganz genau wusste, was dahinter steckte. Es war kein Gefühl, das sie in Worte fassen konnte, auch später konnte sie nie beschreiben, was sie in diesem speziellen Moment tatsächlich empfunden hatte.

Sie kam endlich in Bewegung. Eigentlich war sie erst seit kurzer Zeit wach, denn sie hatte in Farelyës Zimmer geschlafen und war kurz nach dem Aufwachen nur für wenige Minuten im Badezimmer gewesen, um sich frisch zu machen. Als sie zurückgekehrt war, und sich im Esszimmer nach einem Frühstück umgesehen hatte, war Adrienne auf einmal dort gewesen, und hatte... viel gesagt. Zu viel, um es alles auf einmal verarbeiten zu können. Doch ein Satz von ihr hallte noch immer sehr deutlich in Kerrys Kopf wider: Der Tod folgt mir auf dem Fuß. Was das wohl zu bedeuten hatte? Sicherlich, in Fornost waren Menschen gestorben, und auch in Eregion, aber war das wirklich Adriennes Schuld? Kerry war sich da nicht sicher, nein sie hielt die Aussage sogar für ziemlichen Unsinn, wenn sie es sich recht überlegte. Sie beschloss, jemanden zu finden, der Adrienne zur Vernunft bringen konnte.

Elea und Finjas schliefen noch, die beiden wollte Kerry nicht wecken. Arwen und Farelyë waren nicht aufzufinden, vermutlich waren sie entweder gemeinsam oder jede auf eigene Faust unterwegs. Und Halarîn war in der vergangenen Nacht an Kerrys Seite geblieben, bis Kerry eingeschlafen war, doch am Morgen fehlte von ihr jede Spur. Kerry atmete tief durch und beschloss dann, den Palast der Königin - ihrer Adoptivschwester - zu besuchen. Vielleicht war Halarîn ja dort, und falls nicht hatte womöglich Faelivrin einen Rat für sie.
Sie zog sich erneut um, immerhin besaß sie unter den Manarîn einen gewissen Status, dem sie - aus einem Grund, den sie nicht ganz verstand - auch gerne gerecht werden wollte. Also kramte sie aus ihren Taschen eines der beiden Kleider heraus, die Nivim in Lindon für sie geschneidert hatte. Es war aus eisblauem Stoff mit silbernen Verzierungen und langen, weit ausgestellten Ärmeln. Es fühlte sich gut an, nach so langer Zeit wieder etwas so Hübsches zu tragen; die letzte Gelegenheit dazu hatte Kerry in den Hallen des Waldlandreiches gehabt, wenn sie sich recht entsinne konnte. Dazu legte sich ihren Reiseumhang um, der mit seinem Grau recht gut zu dem Kleid passte. So gerüstet verließ sie Farelyës Haus und machte sich auf zum Palast.

Sie musste eine der überall anzutreffenden Wachen nach dem Weg fragen und geriet dabei anfangs in Schwierigkeiten, da der Wächter - seine Rüstung war silbern und das Halstuch und der Mantel himmelfarben - sie in einem elbischen Dialekt anredete, den sie kein bisschen verstand. Vermutlich gehörte er zu den Hwenti, die aus dem Osten nach Eregion gekommen waren. Als Kerry ihm auf Quenya erklärte, dass sie nach der Königin suchte, bot er ihr schließlich den Arm an, um sie persönlich zum Palast zu bringen, auch wenn Kerry sich nicht sicher war, ob damit alle Missverständnisse nun ausgeräumt waren.
Kurz darauf standen sie vor einem imposanten Gebäude, das von einer großen Kuppel auf dem Dach dominiert wurde. Hier hingen sowohl die Banner der Manarîn als auch die der Hwenti in der Form von unglaublich langen, fein gewebten Wandteppichen links und rechts des Eingangsportals herunter, und Wächter in stählerner Rüstung mit schwarzen Umhängen hielten scharf Wache. Der Hauptmann der Garde, ein grimmig dreinblickender Elb mit einer Augenklappe aus Silber trat vor und Kerry befürchtete bereits, abgewiesen zu werden, als sich der Krieger überraschend vor ihr auf ein Knie herabließ. "Ihr werdet erwartet, Heryn Ténawen, redete er sie respektvoll an, und die Reihe der schildtragenden Wächter gab den Weg zum Portal frei. Kerry war etwas mulmig zumute, als sie eintrat. Niemand folgte ihr. Sie kam zunächst in einen Bogengang, der von weißen Marmorsäulen gesäumt war, und dann stand sie vor einer weiteren Tür, die ganz aus Silber zu bestehen schien. Als sie beinahe heran war, öffneten sich die schweren Türflügel nach innen, doch Kerry sah keine Wachen, die sie aufgestoßen haben konnten. Dahinter lag ein heller Thronsaal, der Kerry sogleich an die Halle Finelleths im Waldlandreich erinnerte. Dieser Saal war etwas kürzer, dafür aber deutlich höher, und wies am Ende eine Treppe auf, die sieben Stufen besaß. Die unterste Stufe nahm die gesamte Breite der Rückwand des Saales ein, und jede darauf folgende Stufe wurde immer etwas schmaler, bis die letzte und oberste nur mehr drei Meter in der Breite maß. Dort standen drei Sitze. Im Zentrum war ein Thron, der auf Kerry wirkte, als wäre er aus purem Metall gegossen worden, und das Licht der vielen Elbenlampen spiegelte sich darin. Daneben standen links und rechts zwei hölzerne Sessel, die mit Schnitzereien reich verziert waren. Die Halle selbst war lichtdurchflutet, denn vielerlei Lampen hingen von der Decke herunter, und über ihnen, am unteren Rand der großen Kuppel, waren große Fenster eingelassen worden, durch die das Sonnenlicht hereinfiel.
Der Thronsaal war offenbar leer, bis auf einige wenige Ausnahmen. Als Kerry sich staunend umdrehte, entdeckte sie zwei gepanzerte Wächter, die regungslos in kleinen Erkern links und rechts des Eingangs verharrten, Speer und Schild in den Händen. Drei Elben standen auf der untersten Stufe etwas nach links versetzt, und auf dem linken Stuhl neben den Thron saß eine hochgewachsene Gestalt mit silbernen Augen, wie Kerry erkennen konnte, als sie näher gekommen war. Ivyn zwinkerte ihr amüsiert zu, als sie Kerry bemerkte. Neben ihr auf dem Thron saß Faelivrin in voller königlicher Aufmachung - ihre Krone ruhte auf ihrem Haupt und in der Hand hielt sie ein Szepter, an ihrer Seite hing ein langes Schwert.
Die drei Elben auf der unteren Stufe stellten sich als Halarîn und Farelyë heraus, die Kerry beide herzlich begrüßten, sowie eine dritte, Kerry unbekannte Frau mit nussbraunem Haar, die Kerry mit Interesse anblickte.
"Willkommen, nésa," begrüßte Faelivrin sie, dann erhob sie sich und ein Teil ihrer königlichen Strenge fiel von ihr ab als sie liebevoll lächelte. Kerry hob den Saum ihres Kleides an, um beim Ersteigen der Stufen nicht zu stolpern und erklomm die Treppe, um die Königin der Manarîn zu umarmen. "Es ist schön, dass du wieder zuhause bist, kleine Schwester," sagte Faelivrin leise an Kerrys Ohr.
"Ich freu' mich auch dich zu sehen," erwiderte Kerry, dann blickte sie in die Runde. Ivyn und Halarîn lächelten wissend, Farelyë hingegen schaute etwas ernster drein und ihr Blick ging nach Norden, als könnte sie durch die dicken Wände des Palastes hindurchsehen. Die Kerry unbekannte Frau hingegen hielt sich etwas zaghaft wirkend im Hintergrund.
"Ich... ich muss euch etwas erzählen, es geht um Adrienne..." begann Kerry, ehe ihr Blick auf die braunhaarige Fremde fiel. "Oh... verzeiht, störe ich gerade bei irgendetwas Wichtigem?"
Als Kerry den Namen ihrer Freundin erwähnte, zog ein Schatten über Ivyns Gesicht und die große Elbin schwieg.
"Nun, es ist nicht so als hätten wir unbegrenzt Zeit, denn es gibt noch immer viel für die Verteidigung der Stadt zu tun," sagte Faelivrin ernst. "Aber einen Augenblick werde ich entbehren können, allein schon um zu wertschätzen, dass du wieder bei uns bist." Erneut durchbrach ein kleines Lächeln ihre erhabene Miene.
"Dies ist Amante," sagte Ivyn und deutete auf die Braunhaarige. "Sie..."
"Wenn es um eine Familienangelegenheit geht, möchte ich nicht im Wege stehen," beteuerte Amante sofort und wirkte, als wolle sie sich gleich zurückziehen.
"Nein, nein, du musst nicht extra deswegen gehen," sagte Kerry hastig. "Ist schon in Ordnung..."
Amante blieb stehen und blickte erst Ivyn, dann Kerry an. Schließlich legte sie die Hände zusammen und nickte langsam.
"Also, was ist nun mit Adrienne?" wollte Halarîn neugierig wissen. Noch immer sah sie recht mitgenommen aus und Kerry wurde klar, dass dahinter der Stress der bald endenden Schwangerschaft sowie die Sorgen um Mathan stecken mussten.
"Sie ist fort," antwortete Farelyë an Kerrys Stelle. Noch immer blickte sie nachdenklich nach Norden. "Sie ging, weil sie glaubt dass sie es muss. Aber ich fürchte, die Dunkelheit trübt ihre Sicht. Sie versucht, ihren ganz eigenen Pfad zu gehen, wie auch immer dieser aussehen mag."
Bis auf Ivyn schien niemand recht zu verstehen, was Farelyë damit meinte. Kerry starrte sie einen Moment lang an, doch dann schüttelte sie nur den Kopf. Bei Farelyë wunderte sie schon länger kaum noch etwas, dass sie also bereits wusste dass Adrienne gegangen war, war da nichts Besonderes mehr. "Ja, sie ist fortgegangen," bestätigte Kerry daher. "Es klang... endgültig. Sie hat sich von mir verabschiedet, und dann... d-dann hat sie... ähm, naja..." Sie spürte, wie sie rot wurde und ihr die Worte ausgingen.
"Was, meine Kleine?" fragte Halarîn sanft und legte Kerry von hinten die Hände auf die Schultern, dabei berührte ihr Bauch Kerrys Rücken.
"Sie hat mich geküsst," murmelte Kerry undeutlich, aber sie hatte vergessen, dass all ihre Zuhörer Elbenohren besaßen. Es gab einige erstaunte Ahs und Ohs, und Ivyn gestattete sich sogar ein kleines Lachen.
"Sieh mal einer an," sagte Faelivrin. "Ich hoffe du hast nichts zu ihr gesagt, das ihr das Herz gebrochen hat, Schwesterchen."
"Was? Nein, das würde ich niemals tun!" beteuerte Kerry. "Ich weiß ja noch nichteinmal, was dieser Kuss zu bedeuten hat, vielleicht hat es gar nichts mit Verliebtheit zu tun?"
"Das kann dir nur Adrienne selbst beantworten," mutmaßte Halarîn. "Wie lange ist sie schon weg?"
"Ähm... vielleicht zwei Stunden," überlegte Kerry. "Aber... da ist noch mehr, sie sprach davon dass der Tod sie verfolgt..."
Halarîn blickte besorgt drein, Ivyn ebenfalls. "Das arme Kind," sagte die Erste leise.
"Ich werde einen Reiter aussenden," beschloss Faelivrin. "So viel können wir entbehren. Oh, und... vermutlich sollte der Ahne informiert werden dass seine Schülerin uns verlassen hat."
"Das werde ich übernehmen," sagte Amante leise. "Ich glaube... ich kenne ihm am Längsten."

Faelivrin nickte daraufhin zufrieden, dann ließ sie sich von Kerry eine Kurzversion ihrer Erlebnisse auf der Reise in den Düsterwald und darüber hinaus geben. Sie schien sich ebenso wie Halarîn sehr für die neue Herrin des Düsterwaldes zu interessieren, aber auch für die militärische Lage auf der jenseitigen Seite des Nebelgebirges, über die ihr Kerry zu ihrem Leidwesen nur vage Angaben machen konnte. Nach einer knappen Stunde bat Faelivrin jedoch Kerry wieder zu gehen, so freundlich es einer Königin und Schwester eben möglich war, denn dringende Beratungen riefen nach ihr. Ivyn blieb als wichtigste Ratgeberin bei ihr, während Kerry, Halarîn und Farelyë beschlossen, zurück zu Farelyës Haus zu gehen und sich um ein Mittagessen zu kümmern. Kerry hoffte, dass Elea mittlerweile wieder wach war, denn das Gespräch vom Abend zuvor kam ihr wieder in den Sinn. Sie nahm sich vor, mit der Dúnadan in einem ruhigen Moment erneut darüber zu sprechen...
Titel: Eine wiedererweckte Elbenstadt
Beitrag von: Curanthor am 9. Mär 2021, 21:34
Mathan aus dem nördlichen Eregion/ Tan Hollinór (https://modding-union.com/index.php/topic,36644.msg484737.html#msg484737)

Seine Beine trugen ihn so schnell wie nur möglich gen Süden. Mathan folgte einem breiten Pfad, der wohl von seinem Volk in letzter Zeit ziemlich oft benutzt wurde. Fast konnte man es sogar schon als Straße bezeichnen. Da er alleine unterwegs war, konnte er auch schneller als jeder Mensch reisen. Damit war er zwar noch immer langsamer als zu Pferde, aber die Reichweite schmolz nur so dahin und die altbekannten Abkürzungen halfen ihm noch mehr Zeit zu sparen. Die ganze Zeit ratterte es in seinem Kopf, wie es in der Zeit seiner Familie ergangen. Sein Gefühl sagte ihm, dass bisher nichts besorgniserregendes Geschehen war, aber die düstere Ahnung, die ihm seit seiner Ankunft am Gebirge begleitete ließ einfach nicht locker. Der Schatten kroch immer näher und sein Instink schrie immer lauter, je mehr Stunden ins Land zogen.

Die Muskeln in seinen Beinen brannten, doch er gönnte sich keine Pause und nach einem langen Tag, ließ er das bergige Gelände hinter sich. Das Land flachte merklich ab und er beschloss die Straße zu verlassen, als er in der Ferne einen Reiter erblickte. Mathan schätzte zu dem Zeitpunkt, dass er nahe der Hauptstadt sein musste. Tatsächlich passierte er mehrere vertraute Wegpunkte, wie einen krumm gewachsenen Baum, die Ruine eines alten Wachturms und einen kleine Bach. Eine zarte Schneeschicht bedeckte die Grashalme und bildete ein unberührter Teppich. Vor ihm lag auf einer kleinen Erhöhung Ost-in-Edhil. Mächtige Stadtmauern beschützten die Nordseite, von der er kam. Er war noch zu weit entfernt, um das Nordtor zu erkennen, aber er stellte sich vor, wie dort zahllose Elben ein- und ausgingen - wie zu alten Zeiten. Einen kurzen Moment verharrte er auf einer Anhöhe und genoss den Ausblick. Hinter den Stadtmauern, die von Wehrtürmen in regelmäßigen Abständen gespickt war, konnte er vereinzelte, filigrane Türmchen erkennen und den Rauch von einigen Feuern. Ob sie schon Kamine gebaut hatten? Sicherlich, immerhin war der Winter da.  Nachdenklich strich er die weiße Strähne aus seiner Stirn und winkelte sie um zwei Finger. Er schüttelte den Kopf und versuchte die aufkommende Nostalgie zu unterdrücken, doch klappte es nicht. Er freute sich auf das Wiedersehen mit seinem Vater und seiner geliebten Halarîn. Mathan fragte sich dabei, ob inzwischen auch Kerry wieder daheim war. Vielleicht mit einen seiner Freunde? Eigentlich rechnete er fest damit einen seiner Freunde dort zu treffen, Oronêl, oder vielleicht auch Finelleth. Neugierde packte ihn, die aber von der düsteren Entdeckung des brennenden Elbendorfs wieder gedämpft wurde. Immerhin hatte Ost-in-Edhil nicht das gleiche Schicksal ereilt. Und er würde alles dafür geben, dass es nie wieder brennen würde.

Aus der Ferne hatte die Stadt eine friedliche und beruhigende Ausstrahlung gehabt. Wie ein Fels in einem Blumenfeld. Doch als er sich ihr näherte, verspürte mehr und mehr Unruhe. Vielleicht trübte der Schein und sie wurde schon angegriffen? Schließlich war Mathan so nah heran, dass er einen Schießstand erkennen konnte und das geschlossene Nordtor. Auf dem großen Exerzierplatz, gegenüber des Schießstandes war der Schnee von dutzenden Fußabdrücken gezeichnet und der Weg zwischen beiden militärischen Anlagen war nur noch matschiger Sand. Offenbar trainierten die Manarîn unablässig und mehrfach am Tag. Offenbar wurde seine Ankunft bemerkt, als Mathan sich dem Tor nährte. Sechs Wachen strömten aus einem simplen Wachhaus, das wohl aus einfachem Holz gezimmert, etwa vier Schritt vor der Mauer gebaut wurde. Sie trugen alle silbern funkelnde Rüstungen und wallende, hellblaue Mäntel. Ihre Gesichter wurden von weißen Mundtüchern bedeckt. Sie stellten sich in einer Reihe vor das Tor und reckten ihm ihre Speere entgegen.
"Diese Stadt empfängt zurzeit keine Besucher!", rief einer der Männer barsch, "Bitte kehrt wieder um."
Etwas überrascht blieb Mathan stehen und legte den Kopf schief.
"Ich bin kein Besucher, dies ist meine Heimat", rief er voller Stolz, "Und meine Tochter erwartet mich - nein, meine Familie sehnt sich danach, mich wieder in ihre Arme zu schließen."
Die Wachen blickten sich unsicher an und schienen sich kurz zu beraten.
"Wie ist Euer Name?", fragte einer der Wachen schließlich neugierig.
"Mathan Nénharma."
Erneut steckten die Wachen die Köpfe zusammen und Mathan glaube ein "Ich hab's euch doch gesagt" zu hören. Schließlich ließen sie ihre Speere sinken und traten zur Seite. Offenbar war der Hauptmann der Wache gerade nicht da, doch scheinbar war dies kein Problem, denn eine Wache sagte steif: "Willkommen zu Hause, Ahnherr."
Mathans Mundwinkel zuckten. Er musste an sich halten, um keine Grimasse zu ziehen und bedankte sich stattdessen knapp. Nach einem lauten Pochen hörte Mathan wie drei schwere Holzbalken von dem Tor entfernt wurden, Ketten rasselten, dann öffnete sich einer der Flügel des Tores. Vor ihm öffnete sich ein kleiner Tunnel der Torburg. Ein hochgezogenes Fallgatter aus Eisen schwebte scheinbar über seinen Kopf. In der gerundeten Decke erblickte er einige Löcher die mit Holz gestopft waren. Einer der Wächter trat neben ihn und pochte laut an das zweite Tor. Erneut rasselten Ketten. Er machte sicherheitshalber einen Schritt zurück. Zu Mathans Überraschung bewegte sich der Flügel des Tores einfach nach rechts und schien in der Wand zu verschwinden. Zu seinen Füßen erblickte er so etwas wie eine steinerne Führungsschiene.
"Beeindruckend", murmelte er und ahnte, dass dies das Werk entweder von seinem Vater oder von Luscora war. Der Wachmann nickte knapp und bot ihn an, ihn bis zum Palast zu begleiten, da es sein Stand so erforderte, doch Mathan lehnte höflich ab. Er bevorzugte es, seine Heimat ganz allein wieder zu betreten und die Eindrücke der wiedererweckten Elbenstadt ungestört in sich aufzunehmen. Es war wie das Eintauchen in eine längst vergangene Zeit. Eine breite Straße lag vor ihm, die von einigen Häusern gesäumt wurde. Einzelne Elben waren unterwegs, einige mit einem Karren beladen mit Baumaterialien oder Metallen, Waffen oder anderen Dingen, andere unterhielten sich in kleinen Grüppchen, doch die meisten eilten von einem Ort zu dem anderen. Ein Truppe Wachen mit hellblauen Mänteln marschierte an ihm vorbei und warfen ihm fragende Blicke zu. Mathan beschloss der breiten Hauptstraße zu folgen, die nach einer Weile einen langgezogene Kurve machte und schließlich auf einem großen Platz endete. Der Eingang zum Platz wurde von einem kleineren Tor kontrolliert, das aber weit offen stand. Mathan bemerkte, dass viele Häuer so etwas wie Balkone hatten, die von Rundsäulen gestützt wurden. Die Bauweise war nicht so filigran, wie die der übrigen Eldar, aber deutlich ästhetischer als die der Menschen. Er vermutete, dass die Manarîn sich beeilt haben und ihr eigentliches Können noch höher war, doch war es bereits jetzt schon beindruckend. Es war, als ob Ost-in-Edhil ein neues Gewand trug, aber darunter noch einige Kleidungsstücke der alten Stadt versteckt hielt. Die Straßenführung kam ihn noch immer vertraut vor. Man hatte bekannte Strukturen benutzt und die alten Fundamente als Basis genommen. Als er den Platz überquerte, bemerkte er, dass mehrfach heimlich auf ihn gezeigt wurde. Mathan bezweifelte aber, dass man ihn erkannte. Immerhin hatte er nichts Besonderes für die Manarîn geleistet, weshalb er ihren Respekt ihm gegenüber nicht so ganz nachvollziehen konnte.
Auf der Mitte des Platzes stand ein gewaltiger Sockel, aus dem offenbar Wasser sprudeln sollte. Einen Brunnen davor gab es noch nicht. Nachdenklich blieb er vor dem Sockel stehen und fragte sich, was dort eines Tages thronen sollte. Es würde eine gewaltigen Maßstab haben und über die gesamte Stadt blicken. Er bemerkte, dass die Rückseite des Sockels auf eine noch breitere Straße deutete, die vom Platz wegführte. In seinem inneren Auge tummelten sich dutzende Elben auf dem Platz, trieben Handel mit Besuchern und strömten schließlich die breite Straße entlang, die er auch nun folgte und landete auf einem etwas kleinerem Platz. Vor ihm erhob sich ein beeindruckender Palast, dessen Vorbau von mannsbreiten Rundsäulen getragen wurde. Hier wurde deutlich, was die Manarîn wirklich konnten. Auch wenn der Palast unfertig war und nur eine Rundkuppel, sowie den linken Flügel erkennbar war, konnte er sich schon mit den Werken der großen Baumeistern messen. Seine Elbenaugen erkannten filigrane Stuckarbeiten, die die Geschichte der Manarîn erzählten. Auf dem Vorbau hatte man eine große Terrasse gebaut. Hier würde seine Tochter wohl sein ihrem Volk sprechen. Mahtan riss schließlich von dem Anblick los und stieg bedächtig die breiten Stufen zu Faelivrins Herrschaftssitz hinauf.

Die Palastgarde trug schwarze Mäntel und ebenso schwarze Mundtücher. Ihre Körper waren in die typischen silberglänzenden Stahlrüstungen gehüllt. Offenbar erkannte sie ihn, denn niemand trat ihm in den Weg. Der Hauptmann der Garde trat vor. Es war ein grimmig dreinblickender Elb mit einer silbernen Augenklappe. Kurz musterten sie einander, bis der Hauptmann und seine Garde auf ein Knie sanken.
"Willkommen daheim, Vater der Königin", begrüßte er ihn höflich und trat zur Seite, "Die Herrin tagt im Thronsaal."
Mathan bedankte sich knapp und betrat durch das weit geöffnete Tor die Vorhalle. Er straffte sich und versuchte seine Vorfreude zu dämpfen, wieder zu Hause zu sein, bei seiner Familie. Es klappte nicht ganz und sein Herz wallte auf vor Freude, endlich seine Lieben in die Arme zu schließen zu können.
Titel: Eine andere Art von Willkommen
Beitrag von: Curanthor am 18. Mär 2021, 01:11
In der großen Vorhalle verlangsamten sich wieder seine Schritte. Mathan blickte an die Decke, wo dutzende, lange Banner herunterhingen. Sie waren sicherlich mehrere Schritte lang und in den unterschiedlichsten Farben getaucht. Manche waren mit simplen Mustern bestickt, andere waren aufwändig verziert. Besonders fiel ihm das orange Banner auf, dass er erst auf dem zweiten Blick erkannte. Es waren die Banner der Avari und orange war die Farbe der Hwenti, wie er es in dem niedergebrannten Elbendorf gefunden hatte. Sein Blick suchte die übrigen Banner ab. Über der Pforte zum Thronsaal hing zentral das Banner der Manarîn, rechts daneben das der Hwenti, links ein für ihn Unbekanntes. Es hatte einen mitternachtsblauen Hintergrund, goldgelbe Stickereien die sich umeinander wanden bildeten ein Netz aus Strahlen, in der Mitte prangte ein roter Stern.
"Mathan", sprach ihn eine bekannte Stimme von der Seite an.
Er wandte überrascht den kopf und erblickte Amante. Sie hatte ihre brünetten Haare zu einem simplen Zopf gebunden und ihn sich über die Schulter gelegt. Ihr schlanker Körper steckte in einem unauffälligen, weißen Kleid, das ihren Körper schmeichelte. Ihre rehbraunen Augen musterten ihn abschätzend, dann hoben sich ihre Lippen zu einem sanften lächeln.
"Willkommen zu Hause", sagte sie schließlich und legte sich eine Hand aufs Herz,"Ich war mir sicher, dass du unversehrt hier ankommen würdest."
Mathan verneigte sich ganz knapp und murmelte einen Dank. In Amantes Augen funkelte der Schalk, doch sie schwieg. Eine unangenehme Stille trat ein, zumindest für ihn. Er wusste nie, wie er ihr begegnen sollte. Sie kannten sich seit seiner Kindheit und er hatte sie nie durchschauen können. Immer wieder war sie bei ihnen zu Hause gewesen und hatte ausführlich mit seinen Eltern gesprochen. Er erinnerte sich, dass er dabei nie zuhören durfte. Sie war eine der ältesten Elben, die er kannte. Zwar hatte er noch nie ihr wahres Alter erfahren, doch konnte er anhand der Art, wie sein Vater mit ihr sprach ahnen, dass sie nicht so jung war, wie sie gern vorgab.
"Danke dir", antwortete er schließlich nach einer Weile und schaute sich um, "Eigentlich hatte ich mit..."
"Mit einer anderen Art von Willkommen gerechnet", unterbrach ihn Amante und nickte, "Ich weiß, allerdings ist die Situation auch eine Andere."
"Das hatte ich erwartet. Ich nehme an, meine Tochter ist in einer Besprechung?"
Amante nickte knapp und sagte, dass er erwartet wurde. Natürlich wurde er das, mit zwei Ersten in Eregion war es beinahe unmöglich, dass etwas Unerwartet geschehen konnte. Zumindest war es sein Wunschdenken, geboren aus der Furcht heraus, dass seiner Familie und seinen Freunden etwas zustoßen konnte. Die Zeit bei seiner Mutter hatte ihn gelehrt, wie wichtig ihm seine Freunde waren und hatte seine Wertschätzung der Familie verändert. Ihm waren einige Dinge klar geworden, von denen er bisher nur dachte, er hätte sie verstanden, oder sich nur selbst eingeredet, dass es so war. Mathan ballte eine Hand zur Faust. Amante hob kaum merklich eine Braue, dann breitete sich ein zufriedener Ausdruck auf ihrem Gesicht aus.
"Ich sehe, du hast nicht nur diese Reise überstanden. Du bist mit einem entschlossenen Herzen zurückgekehrt. In ihm brennt ein Feuer, das uns noch allen den Weg weisen wird."
"Du sprichst fast schon wie Ivyn", gab er nur schmunzelnd zurück.
Amante zuckte mit den Schultern. "Das kann sein. Manchmal rutscht das einfach so heraus." Sie zwinkerte ihm zu. "Außerdem, ganz Unrecht habe ich ja auch nicht, oder?"
Mathan blieb ihr eine Antwort schuldig. Ihn beschlich eine Sorge.
"Was ist der Grund, dass du mich hier abfängst?"
Die Elbe mied für einen Augenblick es ihm ins Gesicht zu blicken. "Deine Schülerin ist fortgegangen."
Sein Blick verfinsterte sich. "Gegangen? Hat sie einen Grund genannt?"
Amante schien nicht so ganz zu wissen, wie sie antworten sollte. Sie erzählte ihm schließlich, was sie aus Kerrys Bericht mitbekommen hatte.
"Hmm", machte Mathan besorgt und wollte sich umdrehen, um nach ihr zu suchen, "Der Tod verfolgt sie...", murmelte er nachdenklich und stoppte, als er merkte, dass Amante ihm am Ärmel festhielt.
"Ich weiß, du sorgst dich um sie, aber die Königin hat bereits einen Reiter ihr hinterhergeschickt. Habe etwas vertrauen in unser Volk. Du hast andere Verpflichtungen."
"Unser Volk?"
Amante lächelte erneut und nickte. "Natürlich, Avari sind wie wir. Elben. Durch unseren und ihren Adern fließt das gleiche Blut. Wir alle sind einst im Antlitz der Sterne erwacht und ich bin fest davon überzeugt, dass wir alle in den Westen gehen, wenn unsere Zeit hier gekommen ist. Das Einzige, was uns von einander trennt, ist die unterschiedliche Entwicklung in allen Winkeln Mittelerdes."
"Du redest wirklich wie Ivyn", murmelte Mathan leiser und setzte nach, "Aber du hast Recht. Ich denke ebenfalls so. Mich hat es nur überrascht das gerade von dir zu hören."
Amante lachte kurz und schüttelte nur den Kopf. "Als ob das jetzt so ungewöhnlich war. Doch genug davon, wir sollten sie nicht länger warten lassen."
Mit den Worten trat sie an das Tor zu Thronsaal, das sich nach einem kurzen Augenblick öffnete. Mathan fragte sich erneut, wer außer seiner Tochter dort auf ihn wartete. Die beiden Flügel des Tores gaben den Blick frei auf einen Saal, der von Elben gefüllt war. Die meisten trugen Waffen, meistens Schwerter, Speere und Bögen. Am Ende des Raumes stand auf sieben Stufen der Thron Faelivrins, der von zwei hölzernen Stühlen flankiert wurde. Alle drei waren leer. Das Getuschel verstummte, einige machten Platz, sodass er einen Großen Kartentisch in der Mitte des Saals erblicken konnte, um den sich die Versammlung gedrängt hatte.
"Willkommen zu Hause, ehrenwerter Großvater", durchdrang Isanascas Stimme das Gemurmel, "Bitte, tritt zu uns."
Seine Enkelin trat aus dem Kreis Elben. Sie trug eine prunkvoll verzierte Rüstung, deren gerundeten Schulterpanzer das Licht brachen. Von ihren Schultern wallte ein purpurroter Mantel und auf ihren dunkelblonden Haaren ruhte ein schmaler, goldener Haarreif in dem ein funkelnder Bernstein eingelassen wurde. Sie machte einen respektvollen Knicks, den er mit einer knappen Verneigung erwiderte. Mathan erkannte zwei Schwerter an ihrer linken Hüfte. Ein weiterer Griff ragte quer hinter ihrem unteren Rücken zur Seite. Ihre schmalen Lippen lächelten herzlich und sie machte eine einladende Geste. "Kommt, meine ehrenwerte Königin  Mutter wird gleich zu uns stoßen. Wir waren gerade dabei, ein wenig die übrigen Avari kennenzulernen, die sich in unseren Landen niedergelassen haben."
Mathan seufzte innerlich. Die Atmosphäre in dem Thronsaal war angespannt. Scheinbar liefen die Verhandlungen nicht gut. Er konnte sich denken, dass die Manarîn für den kommenden Kampf jedes Schwert auf ihrer Seite haben wollten. Er setzte sich langsam in Bewegung und trat an den Tisch. Aus dem Augenwinkel bemerkte er ein paar unfreundliche Blicke. Ein paar von ihnen blieben an seiner weißen Haarsträhne hängen.
"Wenn ich vorstellen darf: Fanathr, Tirumar, Maris und Baranthea von den Hwenti, Calûnor und Sarante von den Kinn-Lai, Adrator von den Cuind und Merolon von den Kindi."
"Ich bin Mathan Nénharma von Eregion", antwortete er nur knapp.
Calûnor drehte sich zu ihm und hieß ihn in seiner Heimat willkommen. Er war ein großer Krieger, der einen Schild auf dem Rücken trug und ein Schwert an der Seite. Sein Gesicht war von einer Narbe an der rechten Wange gezeichnet. Mathan bedankte sich knapp, Sarante, die etwas zierlicher, aber nicht weniger kriegerisch wirkte, nickte ihm so knapp wir nur irgend möglich zu. Die übrigen Hwenti taten so, als ob es sie nicht interessierte. Fanathr warf ihm unauffällig einen Blick des Wiedererkennens zu. Adrator und Merolon hatten beide die Arme verschränkt. Letzterer sagte mit für Elben unüblich tiefer Stimme: "Ich bleibe dabei, meine Leute sind nur ein paar hundert. Wir können uns nicht einmischen. Jedes Leben, das wir verlieren fehlt uns in den Siedlungen." 
Adrator, der einen Helm trug, der dessen ganzes Gesicht verbarg nickte zustimmend. "Auch wenn ich ungern mit einem Kindi der gleichen Meinung bin, sieht es für mich und meine Leute genauso aus. Wir können uns noch immer verstecken, sollte es zum äußersten kommen."
Calûnor schnaubte zur Antwort und deutete auf beide. "Wie erwartet von euch Feiglingen. Die einen verstecken sich feige im Wald und die anderen im Moor, darauf bibbernd, dass der Feind sich doch nicht entdecken möge." Der Krieger wandte sich Prinzessin Isanasca zu. "Und doch werden auch die Kinn-Lai für die Sarante und ich sprechen, sich nicht an diesem Kampf beteiligen. Wir haben von den Manarîn nur Erzählungen gehört. Dass ein paar tausend hinausgezogen sind über das große Meer, aber nichts von glorreichen Schlachten, oder großen Kriegern. Solange wir keine Taten sehen, werden wir uns nicht beteiligen."
"Barbaren", murmelte nun Tirumar und schnaubte abfällig, "Ihr seid vielleicht zweihundert Kämpfer und damit weniger als alle andere und glaubt, dass ihr so hohe Ansprüche stellen könnt, dass sich ein ganzes Volk Euch beweisen muss."
Sarante bleckte die Zähne und zog ihr Schwert ein Stück aus der Scheide. "Und doch kämpft ein Kinn-Lai wie zwei Hwenti, was ich Euch gern beweisen würde. Wir ziehen nur in einen Krieg, wenn unsere Verbündeten es uns wert sind. Sie müssen sich beweisen."
Mathan schüttelte kaum merklich den Kopf. Die Spannung der Avari war so offensichtlich und doch merkten sie alle nicht, dass sie der aufkommenden Dunkelheit so entzweit nichts entgegenzusetzen hatten.

Ein lautes Pochen unterbrach die Zänkerei. Isanasca hatte selbst ihr Schwert gezogen und mit den Knauf gegen den Tisch geklopft. Es war eine leicht geschwungene Klinge, gefertigt aus bestem Stahl.
"Das ziehen einer Waffe im Thronsaal kommt eine Kriegserklärung gegen die Königsfamilie gleich. Ich hoffe, ihr alle wisst, was das bedeutet." Sie hatte kaum die Stimme erhoben, doch ihr Blick sprach Bände. Mathan erkannte das erste Mal, dass seine Enkelin genau die gleiche Ausstrahlung wie Faelivrin besaß, wenn sie es denn wollte. Ein kleiner Schauer rauschte ihm den Rücken hinab. Kalt wie Eis blickte sie die übrigen Avari an und verstaute mit einer einzigen, fließenden Bewegung ihr Schwert. Es ging so schnell, wie Mathan es selbst noch nie gesehen hatte, schneller als ein Blinzeln. Die Präzision und Geschwindigkeit verrieten ihm, dass seine Enkelin vielleicht doch mehr von ihm hatte, als es ihm lieb war. Er konnte sehen, wie ein einziger Gedanke jedem Elben im Raum durch den Kopf ging: Isanasca war eine tödliche Kämpferin mit einem geradezu furchteinflößenden Talent. Eine einzige Bewegung hatte dafür ausgereicht, dies zu verdeutlichen.
Ein leises Klicken ließ sie alle die Köpfe wenden. In einem Seiteneingang neben der Treppe zum Thron stand Ivyn, die mit bedächtigen Schritten sich zu ihnen gesellte. Sie hatte die Augen geschlossen und deutete nur knapp zum Thron, auf dem von allen unbemerkt Faelivrin saß. Mathan schmunzelte. Seine Tochter hatte eine Begabung dafür, ungesehen umherzuwandeln und scheinbar hatte sie dies nicht über die Zeit verlernt. Faelivrin blickte die übrigen Elben mit einer Mischung aus Enttäuschung und bestätigter Erwartung an.
"Isanasca", sagte sie schließlich ruhig, "Wir sind hier nicht unter Feinden."
Die Prinzessin nickte und löste jeden Finger einzeln von dem Griff ihres Schwerts, so als ob sie nur widerwillig zustimmte. Schließlich machte sie auf dem Absatz kehrt und nahm links neben Faelivrins Thron Platz, während sie selbst die Stufen hinabstieg. Mathan bemerkte, dass seine Tochter auch nicht sagte, dass sie unter Freunden seien.
"Ich verstehe eure Sorgen", sagte diese verständnisvoll und nickte zum Kartentisch, "Und doch solltet ihr in Erwägung ziehen, dass es mein Volk nicht ganz Eregion verteidigen kann. Ich, kann dieses Land nicht alleine beschützen, das Land meiner Ahnen und das meiner Kinder."
Die Avari blickten sich verstohlen an und schienen unschlüssig zu sein. Ivyns Stimme wisperte in Mathans Gedanken und ermunterte ihn, von seiner Reise zu erzählen. Er sah zu ihr. Sie hatte noch immer die Augen geschlossen und die Hände aneinander gelegt. Dann warf er seiner Tochter einen Blick zu, die gerade Fanathr in Grund und Boden starrte. Offenbar hatte sie auch mit Ivyn gesprochen, denn sie nickte ihm plötzlich unmerklich zu. Er wusste, was sie meinte.
Mathan trat an den Kartentisch, die meisten Augenpaare richteten sich dabei auf ihn, da er sich die ganze Zeit herausgehalten hatte.
"Ob es Euch gefällt oder nicht, der Feind macht keinen Unterschied ob Manarîn, Hwenti oder Kinn-Lai." Sagte er bestimmt. Sein Finger fuhr über die Karte Eregions, auf der einige Siedlungen eingezeichnet waren. Schließlich stoppte er an den westlichen Hängen des Nebelgebirges. Stumm hob er den Blick zu den Hwenti. Maris, eine hochgewachsene Elbe mit schwarzen Haaren und graublauen Augen wich sämtliche Farbe aus dem Gesicht. Fanathr trat neben sie und stützte die taumelnde Elbe.
"Es ist, wie Ihr befürchtet", sagte Mathan leise und blickte zur Seite, "Es gab nichts mehr, was ich tun konnte. Es tut mir leid."
Ein Moment der Stille folgte. Schließlich trat Faelivrin ebenfalls an den Tisch und deutete auf einen Turm im Osten Eregions, direkt vor Moria.
"Rómen Tirion wurde erst vor Kurzem fertig gestellt. Unsere Wacht im Osten steht seitdem unter ständigen Angriffen. Isanasca, ich möchte, dass du und Sanas dort das Kommando übernehmen und unsere Stellung festigt. Wir können uns es nicht leisten sie zu verlieren. Ich möchte, dass ihr euch noch heute auf dem Weg macht."
Isanasca, die sich bereits von ihrem Stuhl erhoben hatte, nickte. "Wir Ihr wünscht, Königin Mutter."
Die Prinzessin eilte mit großen Schritten und wehenden Umhang aus dem Thronsaal. Ivyn trat zu Faelivrin und flüsterte etwas in ihr Ohr. Seine Tochter blickte ihn daraufhin an.
"Uns erreichte heute Morgen eine weitere Nachricht von einer zerstörten Siedlung. Ebenfalls im Norden des Landes."
Fanathr und Maris wechselten einen alarmierten Blick, doch Faelivrin schüttelte den Kopf und blickte zu Merolon. Dieser stieß überraschenderweise einen Fluch auf Avarin aus, in seinem eigenen Dialekt, den niemand verstand. Calûnor zischte und wandte sich ab, als ob das alles nichts mehr anginge. "Die machen uns nach und nach fertig", sprach Sarante besorgt das aus, was wohl die übrigen Avari dachten.
"Deswegen ist es besser, dass wir alle zusammenstehen", schaltete sich Ivyn leise ein und öffnete die Augen, "Oder wir werden alle den Preis zahlen."
Maris schüttelte den Kopf. "Verzeiht mir, ehrenwerte Erste, aber ich kann unsere Siedlungen nicht im Stich lassen."
Adrator nickte und fügte hinzu: "Vielleicht können wir sie schon auf den Weg zu den Siedlungen abfangen. Wir sollten den Kampf zu ihnen tragen."
Die übrigen Avari nickten zustimmend, bis auf die beiden Kinn-Lai, doch auch sie widersprachen nicht.
Ivyns Augen funkelten für einen Moment silbern auf, als sie sagte: "Das ist ein Fehler. Ich wollte es nicht machen, aber ich warne euch alle. Jeden einzelnen in diesem Raum. Dies wird uns auf einen dunklen Pfad führen, der an Schmerzen kaum zu überbieten ist."
Die Macht in Ivyns Stimme und ihre Worte ließ Mathan erzittern und er war nicht der einzige. Faelivrin blickte ihre Großmutter entsetzt an. Nur für einen winzigen Augenblick, dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Die Erste machte abrupt kehrt und verließ den Thronsaal.

Die übrigen Avari mieden es Faelivrin oder Mathan anzublicken. Sie hatten ihre Entscheidung gefällt, auch wenn sie damit offenbar dank Ivyns Worte haderten.
Seine Tochter seufzte indessen und winkte mit der Hand. "Sei es, wie es sei. Ich denke, mehr werden wir heute nicht erreichen können." Das Treffen war damit aufgehoben. Als erstes verabschiedeten sich die beiden Kinn-Lai, dann Adrator und Merolon, die zu ihren Siedlungen eilten wollten. Die übrig geblieben Hwenti schwiegen, noch immer beschämt und aufgewühlt durch die Worte ihrer ehemaligen Anführerin. Doch die Furcht in ihren Herzen hatte sie blind werden lassen. Nach und nach verließen auch sie den Thronsaal. Faelivrin schickte kurz darauf den restlichen Hofstaat hinaus, sodass nur noch sie, Mathan und Amante übrig waren. Letztere warf ihm einen unergründlichen Blick zu und schlüpfte ebenfalls zur Seitentüre hinaus. Nun waren nur noch er und seine Tochter im Thronsaal.
"Vater?", fragte sie leise.
"Hmm?", machte er und drehte sich zu ihr um.
Sie stützte sich auf den Kartentisch, hatte die Lippen wütend zusammenkniffen und ihr Szepter fest umklammert, dass die Knöchel weiß wurden. Ihr Zopf hatte sich gelöst und ihre dunkelblonden Haare hingen ihr vor dem Gesicht.
"Wirst du mit uns kämpfen?"
Er machte einen Schritt auf sie zu und legte ihr eine Hand auf den bebenden Rücken. "Dies ist meine Heimat und du mein eigen Fleisch und Blut. Natürlich werde ich an deiner Seite stehen."
Sie wandte ihm den Kopf zu. Ein feuchter Schimmer lag auf ihren geröteten Augen.
"Ivyns Warnung... bei der Dritten wird etwas Schlimmes geschehen. Lass nicht zu, dass es dazu kommt. Ich brauche deine Kraft, mein Volk braucht es. Deine Familie braucht dich."
Mathan fragte sich, was seiner Tochter solch eine Angst einjagen konnte, doch er packte sie an beiden Schultern und schwor ihr, immer für sie da zu sein. Faelivrin lächelte schwach und nickte dankbar. "Du solltest nach Mutter sehen", schlug sie vor, als sie sich beruhigt hatte, "Sie ist im westlichen Flügel und fühlt sich nicht wohl."
Er verstand, dass sie gern alleine sein wollte und ging zu einem der Seitenausgänge "Dann werden ich das tun. Du kommst ja jetzt erstmal ohne mich zurecht."
Er zog die Türe auf und ging hindurch, als er noch einmal Faelivrin hörte: "Vater?“. Mathan steckte den Kopf durch den Türspalt. "Ja?"
Sie hatte sich wieder aufgerichtet und ihre Haare geordnet. Faelivrins Gesicht wurde weich und ihre Lippen hoben sich.
"Es ist schön, dass du wieder daheim bist. Wir haben dich vermisst."
Das ging runter wie Öl. Mathan strahlte sie an und nickte. "Ja, ich euch auch."
"Du hast dir sicher eine andere Art von Willkommen vorgestellt."
Er schüttelte sanft den Kopf. "Das ist egal, wenn ich am Ende des Tages bei meiner Familie bin."
"Das stimmt."
Titel: Zwei Herzen im Palast wieder vereint
Beitrag von: Curanthor am 24. Mär 2021, 00:01
Mit einem Lächeln auf dem Lippen schloss Mathan die Tür zum Thronsaal. Er stand in einem unscheinbaren Gang. Sein Lächeln verging, als er über die vergangene Besprechung nachdachte. Die Avari waren uneins, selbst fern ihrer alten Heimat, das wurde mehr als deutlich. Halarîn hatte ihm schon viel über das Verhältnis der Stämme untereinander erzählt. Eigentlich hatte er es in seinem Kopf immer so zusammengefasst, dass es sehr kompliziert war. Ein Stamm hatte eine Abneigung gegen einen anderen, aufgrund deren Art zu leben, oder Streitigkeiten aus der Vergangenheit. Dann gab es noch Abweichler in den Stämmen selbst. Er schüttelte den Kopf. Jetzt war nicht die Zeit darüber nachzudenken. Mathan blickte nach rechts den Gang hinab, doch bis auf eine weitere Tür war dort nichts. Er vermutete, dass es dort in den unfertigen Teil des Gebäudes ging. Also wandte er sich nach links. Sein Orientierungssinn sagte ihm, dass es es nach Süden ging. Er kam an einer Kreuzung an, wo zu seiner Erleichterung gerade eine Magd ebenfalls ankam. Die junge Elbendame blieb wie angewurzelt stehen und starrte ihn einen Augenblick lang an. Er konnte in ihren Augen sehen, dass sie angestrengt nachdachte, wer da vor ihr stand.
"Ich möchte in den Westflügel, zu Halarîn", erklärte er schlicht.
Die Elbe schien sofort zu verstehen, verneigte sich knapp und bedeutete ihm zu folgen. Sie sprach kein Wort und führte ihn durch einige engen Gänge in einen langen Korridor, der grozügig Platz bot und eine ziemlich hohe Decke hatte. Mehrere Türen führten wohl zu angrenzenden Räumlichkeiten. Er vermutete, dass er in dem zentralen Teil des Westflügels war. Die Elbe führte ihn in den hinteren Teil, zu einer unscheinbar wirkenden Holztüre. Sie verneigte sich noch einmal und eilte davon. Mathan hatte gar nicht die Chance sich zu bedanken.

Seine Hand zitterte ein wenig, als er sie auf den Knauf legte. Halarîn und er trennten sich nur äußerst selten für längere Zeit und wenn, dann nie mehr als ein paar Wochen. Er atmete tief aus, um sein klopfendes Herz zu beruhigen. Dann drehte er den Türknauf. Vor ihm lag ein geräumiges Zimmer, das mit flauschigen Teppichen und ein paar kunstvoll gewobenen Wandteppichen ausgestattet war. Ein großes Doppelbett unter einem der drei großen Rundfenster zog sofort seinen Blick an. Unter zwei Decken und einem pelzigen Mantel erkannte er eine bekannte Gestalt. Halarîn drehte den Kopf, eine ihrer bronzenenfarbenden Haarsträhnen fiel ihr über das Gesicht. Mathan erkannte ein halb beschriebenes Pergament auf ihrem Nachttisch, daneben eine gefüllte Karaffe mit Wasser und einen leeren Teller mit ein paar Krümeln darauf. Er schloss sanft die Tür. Ihre Lippen hoben sich schwach. Mathan lächelte. Keiner sagte ein Wort, sie starrten sich einfach nur an. Es war nicht nötig etwas zu sagen. Ihre braunen Augen schimmerten vor Freude, glitzerten jedoch etwas feucht. Halarîn war es, die mit einem erleichterten Lachen die Stille durchbrach. Ein, zwei Tränen stahlen sich bei ihr davon, als sie ihn an ihr Bett winkte. Mathan setzte sich vorsichtig auf die Bettkante und ergriff ihre erhobene Hand, die sogleich sanft über seine Wangen streichelte. Sie waren unglaublich warm.  "Hmmm", machte er und gab ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn, dann auf ihre weiche Lippen. Sie schloss die Augen und erwiderte ihn sehnsüchtig. Ihre zwei Herzen waren wieder vereint. Es war, als ob die Zeit stehen geblieben war. Doch alles Wunderbare endete irgendwann, und Mathan zog sich widerwillig zurück. Als sie sich voneinander lösten, wollte Halarîn sich aufrichten, überlegte es sich jedoch anders. Mathan wusste, dass ihr die Schwangerschaft gerade viel abverlangte. Sein Blick wanderte weiter runter, zu ihrem kugeligem Bauch. Ihre Hände fanden sich.
"Es ist bald soweit", sagte seine Geliebte schließlich mit etwas schwacher Stimme.
"Ich bin froh, dass euch beiden nichts gesehen ist."
Eine Furche schien auf ihrer Stirn, als sie ihn mit einem Funkeln in den Augen anblickte.
"Was soll uns denn hier passieren? Ich glaube in Eregion gibt es gerade keinen sicherern Ort als diesen. Die Manarîn sind unglaublich diszpliniert und ihre argwöhnische Ader ist bei drohender Gefahr sogar ziemlich nützlich."
"Ja, aber ich befürchte, dass das auf Dauer zu Problemen führen könnte", murmelte er nachdenklich, als ihm dabei die Besprechung im Thronsaal einfiel.
"Hm", machte Halarîn zustimmend und drückte seine Hand, "Genug davon, wie ist es dir ergangen?"
Er wusste, dass sie aus Sorge um ihn fragte, nicht weil sie neugierig war. Er drückte ihre Hand. "Aufschlussreich. Ringelendis ist ... anders, als ich es in Erinnerung hatte."
"Manchmal verblassen die ältesten Erinnerungen, je länger man lebt. Meine Mutter und Ivyn haben beides selbst erlebt. Es hilft, wenn man sich einige Tage Zeit nimmt, und diese sich wieder ins Gedächtnis ruft."
Mathan nickte nachdenklich. Ihm fiel wieder auf, dass Halarîn fast eintausend Jahre älter war als er. Ihr etwas kindliches Gemüt täuschten ihn immer wieder und das liebte er so an ihr. Unbeschwert, rücksichtsvoll und lebhaft. Er gab ihr einen überraschenden Kuss. Sie blinzelte, grinste aber dann. Scheinbar hatte sie einen ähnlichen Gedanken gehabt, denn sie murmelte etwas wie, dass sie sich gerade furchtbar alt fühlte. Ihm ging aber nicht ein Gedanke aus dem Kopf und bisher hatte er vermieden danach zu fragen. Mathan spürte, wie Halarîn sanft seine Hand drückte. Als er sie anblickte, nickte sie und lächelte sanft. Sie kannte ihn einfach zu gut. Er schloss kurz die Augen, dann fragte er so vorsichtig wie möglich: "Warum erzählst du so wenig von deiner Mutter?"
Seine Frau drehte etwas den Kopf und schaute zur Decke. Es war offensichtlich, dass sie nicht gern darüber redete, doch hielt sie seine Hand noch immer fest und legte sie sich quer über die Brust.
"Telperiel. Das ist ihr eigentlicher Quenya-Name", sagte sie leise nach einer Weile, den Blick noch immer an die Decke geheftet, "Du hast viel mit ihr gemeinsam. Sie war stets rastlos, immer auf der Suche. Ich habe nie nachgefragt, wohin sie ging, wenn sie anfangs ein paar Tage, später Monate oder Jahre verschwand." Halarîn schloss die Augen, wohl um sich die Erinnerungen besser ins Gedächtnis zu rufen. Dann lächelte sie wieder etwas. "Sie hatte mehr von ihrem Vater, als von Ivyn - weniger weise, aber dafür tatkräftig und mutig. Vielleicht ein klein wenig draufgängerisch und beeindruckt von dem Potential der Menschen."
"Ivyn ist nicht so?"
Halarîn schüttelte sacht den Kopf.
"Nein, sie ist eher besorgt über das leicht zu beeinflussende Herz der Menschen. Großmutter geht Konfrontationen eher aus dem Weg, Mutter suchte sie. Die beiden haben sich sehr oft nicht gut verstanden. Und ich hatte es nicht leicht, da Ivyn für mich sorgte, wenn Mutter wieder für eine Zeit lang verschwand."
Er strich ihr verständnisvoll über den Kopf, woraufhin ihre ernste Miene sich etwas erhellte.
"Und warum ist Telperiel mit deinem Vater in den Westen gefahren, wenn sie schon so selten für dich da war?"
Sie bewegte sich etwas unwohl im Bett und drehte sich wieder auf die Seite, sodass sie ihn anblickte - und ihr Bauch nicht schmerzte. Ihre Augen wirkten traurig, als sie antwortete: "Mein Vater hatte sich an bestimmte Dinge erinnert. Sowas kommt wohl ganz selten mal vor, das sollte aber eigentlich nicht sein. Er sagte nie was es war, aber es raubte ihm den Seelenfrieden. Sein Quenya-Name war Aikanár. Er war immer für mich da, wenn ich ihn brauchte - streng und stolz, aber mit einem weichen Herz. Mein Vater war ein viel beschäftigter Mann, ihre rechte Hand zur Zeiten von Ivyn Führung und unserer Oberster Wächter der Pfade - sowas wie ein Grenzwächter. Er war sehr oft unterwegs und in Abwehrgefechten verwickelt, meistens waren es die Menschen, die versuchten in die Wälder zu gelangen. Später führte er selbst die Hwenti an, da er sich deren Respekt verdiente und Großmutter der Last des Anführens müde wurde."
"Klingt nach einem großen Krieger."
Halarîn nickte versonnen und strich sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht.
"Das war er. Manchmal glaube ich, dass er enttäuscht war, dass ich nicht wie meine Eltern eine große Kriegerin geworden bin."
"Du kämpfst eben mit deinem Herzen", befand er stolz und strich ihr über die Stirn, "Und heilst die Wunden, die geschlagen werden, ganz gleich welche es sind."
Seine Geliebte lächelte dankbar und drückte erneut seine Hand.
"Meinen Vater quälte es, an was auch immer er sich erinnerte. Mit seinem wachsenden Unmut und Verdruss, wurde er dieser Welt müde. Es zog ihn nach Westen, wo es nach den alten Geschichten hieß, dass dort Elben in Frieden und ohne weltliche Lasten leben könnten. Und meine Mutter... wurde von ihren ganz eigenen Problemen zerfressen." Halarîn wirkte noch trauriger als zuvor, ihre Augen schimmerten sogar etwas feucht, "Sie war was ihre Gefühle anging unglaublich verschlossen. Du weißt, dass ich zwei Geschwister habe, aber sie hat mir nie erzählt wer sie sind. Sie hat mir sogar verboten nach ihnen zu suchen und mein Vater hatte ihren Wunsch berücksichtigt."
"Klingt als hätte Telperiel ganz eigene Probleme gehabt, mit denen sie dich nicht unnötig belasten wollte", befand Mathan, der wusste, dass alles andere Halarîn nur weiter aufwühlen würde. Er drückte ihre Hand wieder fest und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
"Sie sagte mir nie, wenn sie etwas belastete. Ihre Entscheidung Mittelerde zu verlassen kam ganz plötzlich, nachdem sie schwer verwundet von einer jahrelanger Reise zurückkehrte. Da sie das Einzige war, das Aikanár in dieser Welt hielt - da ich schon erwachsen war, ging er mit ihr. Selbst Ivyn versuchte nicht es ihnen auszureden."
Mathan antwortete nicht, sondern drückte ihre Hand ganz fest, die schon etwas schmerzte, da Halarîn sie mittlerweile fest umklammerte. Er vermutete, dass ihre Mutter das, was sie suchte irgendwann fand und ihr nicht gefiel, was es war. Das war weit hergeholt, aber das war das einzige, was er aus der Erzählung an Rückschlüssen ziehen konnte. Halarîn schniefte indessen und wischte sich über die Augen, dann lächelte sie schwach: "Ach, diese Schwangerschaft macht mich fertig - und ziemlich emotional."
Er lächelte zurück und legte eine Hand auf den Bauch. "Bald ist es geschafft."

Nach einer kurzen Stille bat sie ihn zu erzählen, was er alles erlebt hatte. So verging der ganze Nachmittag, indem er ihr die Reise von Eregion, bis zum Düsterwald beschrieb. Er konnte sehen, wie ihre Augen vor Ehrfurcht flackerten, als er von seiner Begegnung mit Ringelendis auf dem Hohen Pass beschrieb, dann machte sie ein nachdenkliches Gesicht, als er von seinem Abschied im Düsterwald erzählte.
"Ob es Finelleth wohl gut geht?", murmelte Halarîn nachdenklich. Sie bemerkte seinen fragenden Blick und setzte nach: "Immerhin schien dort Saruman die Kontrolle zu haben. Neuigkeiten von ihr sind bei mir noch nicht angekommen."
"Oder es wollte dich einfach niemand unnötig belasten", befand Mathan und streichelte wieder ihren kugelrunden Bauch, "Ich bin mir sicher, ihr geht es gut."
Als sie nickte, fuhr er fort und erzählte rasch, wie er zu seiner Mutter gefunden hatte und wie es dort aussah. Die Erfahrung in den Tiefen unter dem Eis ließ er im Anbetracht ihres Zustandes aus. Die unsagbare Dunkelheit, die er dort unten gesehen und erlebt hatte, würde nur zusätzlich auf ihr Gemüt drücken. Und zur Zeit brachte er es einfach nicht über das Herz ihre aufhellende Laune mit so düsteren Dingen zu belasten. Halarîns Augen funkelten vor Staunen, als er von dem prächtigen Bauten aus Eis erzählte und die wahre Herkunft seiner Mutter. Mathan schmunzelte, da er dieses neugierige Glitzern in ihren Augen kannte. Ihr brannten tausende Fragen auf der Zunge, aber sie beherrschte sich und wartete auf einen besseren Zeitpunkt. Er ließ einige Dinge in der Erzählung aus, darunter die stundenlangen Gespräche mit seiner Mutter. Als Mathan schließlich bei seinem Rückweg nach Eregion ankam stockte er und überlegte, ob er ihr von dem niedergebrannten Dorf erzählen sollte. Halarîns Blick verriet ihm jedoch, dass sie schon etwas Unschönes ahnte. 
"Es hat also schon begonnen", murmelte sie nur betrübt und blickte ihm ernst in die Augen, "Deine Tochter und deine Enkel werden dich brauchen."
"Wir brauchen einander", berichtigte er und küsste sie sanft, "Keine Sorge, ich werde Faelivrin und ihre Kinder – unsere Enkel, mit aller Kraft unterstützen."
Seine Frau wirkte wieder ziemlich nachdenklich und legte ihm eine Hand auf den Oberschenkel.
"Du solltest bei Gelegenheit auch mit Ténawen sprechen, sie ist ebenfalls erst vor Kurzem von ihrer Reise zurückgekehrt und das Gespräch mit Adrienne hat sie doch ziemlich aufgewühlt. Und ich bin in letzter Zeit keine gute Zuhörerin."
Mathan horchte auf. "Welches Gespräch?" Seine Mundwinkel hoben sich dennoch, erleichtert darüber, dass seine Adoptivtochter wohlbehalten nach Hause gekommen war.
"Nun, offenbar hat deine Schülerin Gefühle für sie. Ich hörte sogar von einem Kuss."
Er fasste sich an den Kopf. In was war er da schon wieder reingeraten.
"Bist du sicher, dass es nicht einfach freundschaftlich war? Oder als Abschied?"
Halarîn hob eine Braue leicht an und gab nachdenklich zu: "Das könnte auch sein. Kerry erwähnte, dass es ziemlich endgültig klang."
Mathan seufzte schwer. Ihm war schon vorher die Dunkelheit in Adriennes Herzen aufgefallen. Einsamkeit und Verlust waren ihr ein ständiger Begleiter. Kerry musste ihr da wie ein leuchtendes Beispiel sein.
"Ich hätte hier sein sollen", befand er schließlich bitter, "Immerhin habe ich sie als Schülerin angenommen, damit sie sich nicht selbst verliert. Als wir sie das erste Mal in Fornost trafen, hatte ich ein Gefühl, dass ich nicht ganz erklären konnte. Ich kann es immer noch nicht richtig in einen Satz zusammenfassen."
"Es hatte mich schon etwas gewundert, als du die beiden als Schüler akzeptiertest. Vielleicht hattest du so eine Art Vorsehung? Manche Elben erleben sie auf verschiedene Art und Weise." Halarîn dachte angestrengt nach, "Ich selbst habe diese Gabe zwar auch, aber ich komme damit nicht zurecht, also tue ich so, als ob sie gar nicht da ist. Vielleicht hilft dir es, wenn du an deinen ersten Eindruck von ihr denkst?"
Mathan schloss die Augen. Es wurde still in dem Raum, nur das leise Geräusch ihres Atems zu hören. Es dauerte auch nicht lange, bis er eine Antwort hatte: "Großes Potential."
"Und war es ein gutes, oder ein schlechtes Gefühl?"
Er öffnete die Augen.
"Beides."
Halarîn machte ein ernstes Gesicht und nickte nur. Er konnte sehen, wie sie grübelte, aber immer wieder den Faden verlor, denn sie kaute unzufrieden auf ihren Lippen herum.
"Lass es gut sein", befand er schließlich und atmete tief ein, "Du solltest dich nicht überanstrengen. "
Seine Frau blies für einen Moment beleidigt die Wangen auf, gab aber dann klein bei. Wenn auch nur kurz. Neugierde blitzte in ihren Augen auf, als sie ihn darum bat zu erzählen, was in der Besprechung vorhin entschieden wurde. Auf seine Frage, woher sie von der Besprechung wusste, antwortete sie, dass Faelivrin kurz vorher bei ihr war. Jetzt wusste er auch, warum seine Tochter nicht in dem Thronsaal gewesen war, als er dort angekommen war. Offenbar kümmerte sie sich selbst um Halarîn, was diese ihm auch prompt belustigt berichtete. "Stell dir vor, sie hat diese Raum mit als erstes von dem ganzen Palast einrichten lassen, nur damit mir warm genug ist", schloss sie die Erzählung, wie ihre Tochter sie umsorgte. Mathan grinste nur verständnisvoll. Er hätte wahrscheinlich ebenso gehandelt. Schwangerschaften unter Elben waren relativ selten, auch unter den Avari, die sich sonst ziemlich von den Edain unterschieden. Dennoch war ihm aufgefallen, dass Avari-Pärchen öfters das Bett teilten, was damals, als er die ersten Jahre mit Halarîn zusammen gewesen war, eine große Überraschung gewesen. Wie unerfahren damals gewesen war. Mathan spürte, wie ihm ein wenig die das Blut in die Wangen schoss. Halarîn bemerkte es sofort und fragte verschwörerisch zwinkernd, woran er wieder gedacht hatte.
"Nichts besonderes", winkte er sofort ab und drehte den Kopf, um ihr griemeln nicht sehen zu müssen, "Soll ich jetzt von der Besprechug erzählen oder nicht?"
Seine Frau lachte nur herzlich und sagte immernoch kichernd: "Mach nur, mach nur."
Er verschränkte mit gespielten Ärger die Arme vor der Brust und schwieg. Er spürte, wie sie mit zwei Fingern sein Bein hinauftippelte, nur um ihn dann heftig in die Seite zu pieksen. Mathan unterdrückte ein Grinsen und packte Halarîn an den Schultern. Mit einem überraschten Ausruf ihrerseits drückte er sie vorsichtig zurück auf das Bett. Ihre Gesichter verharrten kurz ganz nahe beinander. Er konnte ihren Atem auf seinen Lippen spüren. Ihre haselnussbraunen Augen funkelten sehnsüchtig. Sie öffnete ihre Lippen ein Stück für einen Kuss. Mathan unterdrückte ein Schmunzeln und biss ihr ganz sanft in die Unterlippe. Halarîn ließ ein unzufriedenes Grummeln von sich und drehte den Kopf weg, als er sich von ihr löste. "Wie gemein", murmelte sie mit gespielter Beleidgung in der Stimme.
Mathan setzt sich zurück auf die Bettkante und grinste nur. Sie legte sich wieder auf die Seite und schüttelte tadelnd den Kopf, dann wurde ihr Gesichtsausdruck wieder ernst. Er atmete noch einmal durch, dann begann er von dem Treffen zu erzählen. Offenbar war es nichts Neues für sie, denn Halarîn wirkte nicht groß überrascht. Die Spannungen zwischen den Stämmen war sie wohl mehr oder weniger gewöhnt. Umso erstaunter war sie über seinen Eindruck von Isanasca.
"Ist sie wirklich so begabt?", hakte sie nach, als er mit der Erzählung endete.
Er nickte knapp. "Ich denke, sie kann mich übertreffen, falls sie es nicht schon getan hat. Und offenbar steht sie was Charisma und Ausstrahlung angeht absichtlich im Schatten ihrer Mutter."
"Und das kannst du alles von einer einzigen Bewegung ablesen?"
"Du hättest es auch gesehen. Die Geschwindigkeit war selbst für uns Elben wirklich hoch. Zumindest ist sie was das angeht, auf jeden Fall schneller als ich. Präzision hat sie ebenfalls auf gleicher Stufe."
Halarîn wollte sich interessiert aufsetzen, doch sie hielt in der Bewegung inne und stützte ihren Bauch. Mathan half ihr kurzerhand und schob ihr eines ihrer Kopfkissen hinter den Rücken. Sie lächelte dankbar und sagte schelmig: "Interessant, dass du freiwillig zugibts, dass jemand besser ist in deinem Spezialgebiet, Schwertmeister."
Er zog unwillkührlich eine Grimasse. "Sehr witzig. War klar, dass dir das gefällt."
"Es ist beruhigend", antwortete sie wieder ernst und nickte zu seinen Schwertern, "Du kannst nicht alles alleine machen, mehr Klingen auf unserer Seite und vor allem, wenn sie so viel Können besitzen wie du, ist ein Segen, den wir unbedingt in diesen Zeiten brauchen."
Mathan verstand, was sie damit sagen wollte. "Meinst du nicht, dass ich damit Faelivrins Authorität untergrabe?"
"Nein... glaube ich zumindest. Ich habe da ein ganz schlechtes Gefühl, was den östlichen großen Wachturm angeht", sie zuckte mit den Schultern, "Nenn es weibliche Intuition, oder einfach die unberechenbare Laune einer Schwangeren. Geh' und beschütze unsere Enkelin, das ist alles worum ich dich bitten möchte." Sie seufzte und trank etwas Wasser aus ihrem Glas. "Ich hoffe, dass mein Gefühl mich täuscht und du dort einfach deine Enkelin besser kennenlernen kannst und nicht einen Kampf ausfechten musst. Ich bin mir sicher, dass Faelivrin das versteht."
Er sah in ihrem Blick, dass sie sich auf keine Diskussion einlassen würde. Auf seine Frage hin, warum sie sich so stark auf ihr Gefühl verließ, antwortete sie nur, dass sie in den letzten Wochen Isanasca besser kennenlernen konnte und sie nicht wollte, dass ihr etwas zustieß. Mathan seufzte geschlagen. Es war keine Frage ob er ging, nur war ihm nicht wohl dabei, seine hochschwangere Frau wieder alleine zu lassen, doch sie legte ihm ermunternd eine Hand auf den Arm.
"Es ist doch nur für ein paar Tage. Keine Sorge, ich bin mir ziemlich sicher, dass du rechtzeitig zurück bist."
"Noch so eine Intuition?"
Halarîn zwinkerte ihm verschwörerisch zu, "Nein, aber meine Großmutter ist eine großartige Heilerin."
Natürlich konnte eine Erste in etwa abschätzen, wann es soweit war. Er nickte beruhigt. Seine Hände tasteten an seinen Schwertgurt. Die Silmacil wollte er eigentlich nicht mitnehmen, da er sich nicht mehr voll auf sie verlassen konnte. Besser gesagt, er konnte sie kaum noch führen. Halarîn, der er davon erzählt hatte, bemerkte, wie er unschlüssig an dem Gurt nestelte.
"Warum nimmst du nicht mein Schwert?", schlug sie nach einer Weile vor, "Ich kann es zur Zeit sowieso nicht benutzen."
Mathan schaute zu der Klinge, die in der Scheide steckte, die er ihr einst geschenkt hatte. Halarîn hatte die Waffe auf der freien Seite des Doppelbettes gelegt, wo er schlafen würde. Er musterte den reich verzierten Griff. Die noldorische Klinge leuchtete blau, wenn Orks in der Nähe waren, sie würde definitiv eine Hilfe sein im kommenden Kampf.
"Schwert und Schild", murmelte er leise, "Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich damit gekämpft habe."
Seine Geliebte lächelte mitfühlend. "Seit den Schlachten um Eregion, ja. Vielleicht ist es ja Schicksal?"
"Du meinst, um zu verhinden, dass sich die Ereignisse wiederholen?" Er nahm vorsichtig die Waffen entgegen, die sie ihm mit dem Griff voran entgegenstrecke. "Der Gedanke gefällt mir."
Kurzentschlossen legte er den Gürtel ab, an denen seine beiden eisigen Schwerter hingen. Seine Frau beobachtete ihn dabei gebannt. Mit einem raschen Handgriff gürtete er sich Halarîns Schwert um. Es war leichter als seine alten Waffen. Er legte seine Hand auf den Knauf an seiner rechten Hüfte und rückte den Gürtel mit dem Bastardschwert gerade. Einen Schild würde er sich aus Faelivrins Waffenkammer holen. Halarîn verriet ihm, wo diese im Palast versteckt war, während sie die Silmacil neben sich auf das Bett legte.
"Also, am besten machst du dich gleich auf den Weg", schlug sie erstaunlich energisch vor und murmelte: "Dann kann ich endlich wieder etwas schlafen."
Er grinste und verneigte sich knapp. "Wie die Dame wünscht."
Halarîns Kichern begleitete ihn, als er zur Tür ging und sie aufzog.
"Marillindo."
Er drehte sich noch einmal um. Sie lächelte warmherzig, "Ich liebe dich."
Mathan zwinkerte ihr zu. "Ich weiß" Er ging durch die Tür, verharrte dann kurz und setzte dann nach: "Ich dich auch, Amandis."
Sie schloss die Augen und legte sich zurück auf die Seite, noch immer mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. Mathan brannte sich das Bild in sein Gedächtnis und schloss ganz langsam die Tür. Auf dem Korridor atmete er mehrmals tief durch, um nicht erneut durch diese Tür zu gehen und bei Halarîn zu bleiben, bis das Kind da war. Abschiede konnten grausam sein. Nach einem Moment des Sammelns wandte er sich von der Tür ab. Stattdessen blickte er den Gang hinab und setzte sich in Bewegung, zur Waffenkammer.
Titel: Re: Ost-in-Edhil
Beitrag von: Curanthor am 8. Apr 2021, 22:01
Faelivrin verbrachte den Nachmittag damit, Befehle zu erteilen und ihr Volk auf den kommenden Kampf vorzubereiten. Sie orderte neue Pfeillieferungen und zerbrach sich den Kopf, wie sie den Feind an die stärkste Seite ihrer Mauern locken konnte. Die Torburgen im Osten und im Norden waren in aller Eile fertig gestellt worden und ihr größter Schutz für ihr Volk. Die einzelnen Türme, die die Mauerabschnitte überwachten erhielten gerade ihr hölzernes Innenleben aus Treppen und kleinen Lagerräume für Pfeile und Steine. Luscora, der ihr gerade Bericht erstattete, deutete auf eine große Karte, auf dem Kartentisch im Thronsaal auf die östliche Mauer. Mit seiner gewohnt nachdenklichen Art, erklärte er ihr, dass er noch Probleme hatte, die Spannkatapulte aufzustellen. Er deutete auf die zwei Stellen, jeweils zwei Mauerabschnitte von der Torburg rechts und links gelegen.
"Wie lange brauchst du noch?", fragte Faelivrin ihren Sohn besorgt, "Ich bin mir sicher, dass wir sie in dem Kampf brauchen werden. Sie sind unsere größte Waffe gegen Belagerungswaffen."
Luscora warf ihr einen Blick mit einer Mischung aus Anspannung und Stress zu. Insgeheim tat er ihr leid, dass sie ihn so unter Druck setzte, aber sie hatten keine Zeit mehr. Sie beschloss ihm die ungemütliche Wahrheit zu sagen und legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Es ist von größter Wichtigkeit, denn wir haben nicht die Kraft, einem anrückenden Feind in einer Feldschlacht zu begegnen. Du hast die Besprechungen erlebt. Die Hwenti sind stur und die übrigen Stämme weigern sich. Die Manarîn stehen allein."
Sie sah, dass sich sein Blick veränderte. Berechnender und vor allem gefestigt.
"Sind sie es, die stur sind?", fragte Luscora und hob eine Braue, "Oder erwartest du etwas von ihnen, das sie noch nie hatten. Treue für eine Herrin, die sie nie kennengelernt haben, Loyalität für ein Land, das fremd für sie ist. Du bittest sie, ihr Blut zu vergießen, ihre Kinder auf das Schlachtfeld zu schicken, von dem sehr viele nicht widerkehren werden." Er warf ihr einen ernsten Blick zu, "Mutter, du hast dich nach Vaters Ableben verändert. Früher hast du uns alle immer gefragt, ob wir etwas tun möchten. Du hattest uns abstimmen lassen, ob wir in neue Gefilde ziehen wollen. Du hattest eine Vision. Ambitionen. Ein Bild, von einem vereinten Stamm, nein, mehr noch, du wolltest die Wälle der Stämme zu Fall bringen. Das war es, das Finuor sich stets gewünscht hatte, mein ehrenwerter Vater. Schwesterherz lebt seinen Wunsch weiter. Ich tue es auch. Nicht nur für Vater, nicht nur für dich, sondern für unser Volk, für meine Kinder und deren Kinder und unser aller Wohl."
Luscora wandte sich ab, ihre Hand rutschte von seiner Schulter. Faelivrin blieb wie erstarrt stehen. Noch nie hatte ihr Sohn so offen ihr ins Gesicht gesagt, was er dachte. Er war stets der wohlgesonnen und überlegte Mann, der sich im Hintergrund neue Dinge einfallen ließ.
Sie blickte zu Boden. "Du hast Recht", sagte sie mit belegter Stimme. Ihre Hand ballte sich zur Faust, "Und doch habe ich keine Wahl. Ivyn hat ihre erste Warnung ausgesprochen."
Luscora drehte sich ihr wieder halb zu und hob skeptisch eine Braue. "Man hat immer eine Wahl", sagte er kühl.
"Du verstehst nicht!", sagte sie nun lauter, mit deutlicher Strenge. Ihr Sohn zuckte ein wenig zusammen, überrascht von dem plötzlichen Schwung ihres Temperaments. Gefasster setzte sie nach: "Es ist Schicksal. Eine Warnung wird angedacht, den schnatternden Krähen auf dem zitternden Dach; die zweite Warnung, der verborgenen Flamme, die im Zwielicht bange; die Dritte ... , soll erst enthüllt werden, wenn die Zeit gekommen ist."
Luscoras Verstand erfasste die erste Warnung sofort und er drehte sich mit neu gewecktem Interesse wieder zu ihr. Sie wusste, dass er eigentlich nichts von Prophezeiungen, oder der Gabe der Weitsicht hielt.
"Die Krähen... die Stämme der Avari. Das Dach soll wohl Eregion sein. Sie schnattern und kümmern sich nicht darum, dass ihnen das Dach unter den Füßen wegbricht. Wer hat diese Voraussicht ausgesprochen?"

Faelivrin blickte zur Seite, da Ivyn ihr nicht viel mehr erklärt hatte. "Großmutter hat es mir nicht sagen wollen, sie sprach nur davon, dass nach der dritten Warnung alles was sie kannte und wofür sie gearbeitet hatte, zunichte gemacht sei. Offenbar trägt sie diese Warnungen schon ziemlich lange mit sich herum, noch vor meiner Geburt."
Luscora schien zu verstehen, sagte jedoch: "Vielleicht dauert es noch hunderte Jahre, bis die zweite Warnung ausgesprochen wird. Ich denke, du solltest dich bei deinen Entscheidungen nicht auf so etwas Vages verlassen."
Faelivrin machte einen Schritt auf ihn zu und fasste ihn mit beiden Händen an den Schultern. "Edanel, wir stehen mit dem Rücken zu Wand", sagte sie ernst und blickte ihm in die dunkelbraunen Augen, "Die Manarîn sind die Einzigen, auf die ich mich jetzt verlassen kann. Kann ich mich auf dich verlassen?"
Ihr Sohn schaute ihr ebenfalls gefasst in die Augen. Kurz senkte er den Blick und atmete tief aus. Dann blickte er wieder auf. "Natürlich, Mutter", sagte er leise, so als ob er wieder an andere Dinge dachte. Für einen winzigen Augenblick sah sie in seinen Augen Furcht aufflackern, es war so kurz, wie ein Blinzeln. Nachdenklich ließ sie ihn los.
"Ich werde die Spannkatapulte bis zur Schlacht fertigstellen", versprach er ihr und wandte sich ab, "Selbst wenn ich dafür selbst ein Schwert ergreifen muss."
Faelivrin wollte noch etwas sagen, wusste aber nicht was. Luscora war das Kämpfen zuwider, das war weithin bekannt. Offenbar hatte sie ihn mit ihrer unbedachten Äußerung, ob sie sich auf ihn verlassen konnte gekränkt. Sobald sich die Tore zum Thronsaal schlossen und sie alleine war, hieb Faelivrin wütend über sich selbst mit der Faust auf den Kartentisch.


"So schlecht gelaufen?", fragte eine bekannte Stimme von der Seite her. Sofort richtete sie sich auf und streckte den Rücken durch. Aus dem Schatten trat ihr Vater. Mathan war in eine Rüstung gehüllt, wie sie ihr Volk trug. Der polierte Brustpanzer schimmerte silbern, ein roter Mantel mit goldener Schmuckborte hing von seinen Schultern hinab - ein Zeichen der königlichen Familie. Sofort erkannte sie das Schwert ihrer Mutter an seiner Seite, in seinen Händen hielt er einen Schild aus ihrer persönlichen Rüstkammer. Sie lächelte darüber. Eigentlich wollte sie ihm den Schild als Geschenk überreichen. Offenbar war ihre Mutter schneller gewesen.
"Es ist nicht immer einfach", antwortete sie ausweichend auf die Frage und fragte stattdessen: "Und, gefällt er dir?"
Mathan drehte den Schild in seinen Händen und ließ ihn einmal spielerisch durch die Luft wirbeln. Mit einer gekonnten Bewegung fing er ihn so auf, dass er ihm kampfbereit am Arm lag. Mathan nickte knapp. Faelivrin hatte extra Amarin gebeten einen Schild zu schaffen, der ihrem Vater perfekt saß. Es war ein stählerner Rundschild, der einen Großteil des Oberkörpers schützte, ein Buckel in der Mitte diente als Dekoration, das Wappen der Manarîn war darin eingeätzt. Eine aufgehende Sonne über dem Meer.
"Ich glaube, ich habe dich noch nie ohne Doppelschwerter gesehen", gab sie nach einem kurzen Moment des Überlegens zu.
Mathan schien einen Moment unwohl zu sein, dann sagte er mit düsterer Stimme: "Nun, ich ziehe in den Kampf. Also kämpfe ich, um zu beschützen und zu töten."
Dabei hob er jeweils seinen Schild und legte die freie Hand an den Griff seines Schwerts. "Faelivrin, ich bin stolz auf das, was du geleistet hast. Du hast das Leben zurück in meine Heimat gebracht - in unsere Heimat. Jetzt werde ich für dieses Leben kämpfen."

Sie blinzelte einen Moment, erneut überrascht von dem plötzlichen Kompliment, fing sich dann aber wieder. Faelivrin wollte Mathan eigentlich nicht so früh bitten zum Schwert zu greifen. Es war ihr Notfallplan gewesen. Ihr Vater war ein Meister des Schwertkampfes, sie fühlte sich nicht wohl dabei, ihn aus der Stadt gehen zu sehen. Er war wohl der Einzige, neben Ivyn, der wirklich Kriegserfahrung unter ihnen allen hatte. Seine Erfahrung wurde hier gebraucht. Zwar gab es damals bei den Hwenti und später den Manarîn auch vereinzelte Belagerung aber niemals solche, wie in diesem Ausmaß, das sich hier anbahnte.
"Vater ich-"
"Deine Tochter", unterbrach er sie und Faelivrin machte erneut eine überraschte Pause, "Deine Mutter macht sich große Sorgen um sie. Und du weißt, dass, wenn Halarîn irgendwo ein schlechtes Gefühl hat..."

Er musste den Satz nicht zu Ende bringen. Ihr lief ein winziger Schauer über den Rücken. Sie wusste noch zu gut, dass Halarîn es war, die den großen Waldbrand in tiefsten Rhûn bemerkt hatte, als sie noch zu klein war, um für sich selbst zu sorgen. Mathan war zu dem Zeitpunkt etwas zu Essen auftreiben gewesen. Hätte ihre Mutter nicht so früh geahnt, dass etwas nicht stimmte, hätte das Feuer sie beide eingeschlossen. Der Geruch von brennenden Kiefern weckte in ihr immer noch Furcht.
"Sie ist bei Rómen Tirion, zusammen mit Sanas", sagte sie schließlich nach einer Weile, "Sie müssten bald ankommen, wenn sie im vollen Galopp reiten."
Ihr Vater nickte knapp. „Ich werde heute Abend losreiten. Nachts werden die Orks entschlossener angreifen, aber auch unvorsichtiger. Vielleicht gelingt es mir sie durch eine List sie abzulenken und dem Turm damit eine Verschnaufpause zu verschaffen.“



Mathan wollte schon wieder den Raum verlassen, als seine Tochter ihm am Arm hielt. Ihr Blick sprühte vor Entschlossenheit.
„Du gehst nicht alleine“, sagte sie bestimmt und ihr Blick wurde wieder weicher, „Meine Späher haben mir von immer stärker werdenden Angriffen berichtet. Du wirst gegen eine Übermacht antreten und wir brauchen dich noch in den nachfolgenden Konflikten.“ Sie schloss kurz die Augen und atmete tief durch. „Dreihundert. Ist das in Ordnung?“
Er blinzelte überrascht. Mathan hatte zwar schon einmal größere Truppen befehligt, aber nie mehr als zweihundert Elben. Vielleicht war es an der Zeit, mehr Verantwortung zu übernehmen. Und er wollte aufhören, vor seiner Vergangenheit davon zu laufen. Seine großen Niederlagen hatten ihn auch viele Dinge gelernt. Dinge, die er nun gegen den Feind brauchen würde, dessen gierigen Krallen nach seiner Familie griffen.
„Das wird genügen. Wie sind sie ausgebildet, worauf spezialisiert…“ Er verstummte, als seine Tochter anfing zu lächeln.
„Es sind die Besten“, antwortete sie nur knapp und er spürte, dass ihr Hand anfing zu zittern, „Du hast Isanasca gesehen. Sie ist die Zukunft dieses Landes. Sie wird uns beide eines Tages übertreffen. Der Traum meines Mannes… mein Traum, lebt in ihr und meinen Sohn weiter. Lass‘ ihn nicht vergehen. Es ist eine selbstsüchtige Bitte, das weiß ich und dennoch...“
Mathan spürte ihre Angst um das Wohl der Elben, die ihr Vertrauten und die vielen Leben, dir von ihren Entscheidungen abhingen, aber die Augen, die ihn anstarrten waren die einer Mutter, die um ihr Kind fürchtete. Er legte ihr beruhigend seine Hand auf die Ihre.
„Faelivrin, ich werde mein Enkelkind beschützen, verlasse dich auf mich. Ich bin dein Vater, ich kann es nicht ertragen dich, oder irgendjemand anderes unserer Familie leiden zu sehen.“
Sie schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Ihre Hand löste sich von seinem Arm. Als sie die Augen öffnete, war die Furcht wieder verschwunden. Mathan lächelte ihr aufmunternd zu. Ein silbernes Flimmern huschte über die stahlgrauen Augen, dann wandte sie sich ab.
„Wachen“, sagte seine Tochter leise, woraufhin die zwei Palastgardisten am Tor zur Vorhalle aus den Schatten traten. Beide sanken sofort auf ein Knie, die geballte Faust auf dem Boden aufgestützt. „Man schicke einen Boten zu Anastarios mit folgenden Befehlen: Hisst die Flaggen auf den Türmen und bemannt sie mit den schärfsten Elbenaugen, die sich finden lassen. Verdoppelt die Anstrengungen der Pfeilmacher, rekrutiert dazu alle Handwerker, die nicht kämpfen werden – aber zieht keine Arbeiter von den Mauern und den Gräben ab. Die Heiler sollen frische Bandagen und Kräuter bereithalten. Unterbrecht den Bau der Brücke an der südlichen Torburg.“
Einer von beiden senkte den Kopf und antwortete ergeben: „Jawohl, Herrin.“
„Und versammelt eine Nernehta meiner Leibgarde. Dazu zweihundert aus der regulären Armee.“ Die beiden Wachen erhoben sich, verneigten sich knapp und stießen das Tor weit auf. Zwei neue Palastwachen, die aus der Vorhalle kamen, nahmen ihre Plätze ein. Seine Tochter bedeutete ihm Geduld zu haben und schritt bedächtig ebenfalls durch das Tor.
Mathan hob indessen eine Braue und hakte nach: „Eine Sturmspitze?“ Nur um sicher zu gehen, dass er sie richtig verstanden hatte. Er kannte diese Art von Truppenteil nur aus der Schlacht auf der Dagorlad, sie waren die schlagkräftigste aller Einheiten gewesen. Die Speerspitze, die jeden Angriff anführte und Breschen in die feindlichen Linien schlug.  Wenn keine großen Schlachten anstanden versammelte man sie eigentlich nicht, umso mehr verwunderte ihn es, jetzt davon wieder zu hören.
Faelevrin warf ihm einen Seitenblick zu, schaute aber dann auf die großen Tore des Palastes, die sich gerade wieder schlossen und den Blick auf die breite Außentreppe verweigerten. Sie schlenderte langsam in die Vorhalle und er trat neben sie, sodass sie gemeinsam durch die Halle gingen. Eine ihrer Hände strich sanft über eine der großen Marmorsäulen, die die hohe Decke trugen. „Die Manarîn sind keine großen Baumeister wie die Noldor. Wir waren nicht so kämpferisch wie die Kinn-Lai, sind nicht so offen zu Fremden wie die Kindi, oder waren geschickt wie die Cuind, keine guten Schmiede wie die Windan oder zäh wie die Penni. Mein Volk ist aber an den Herausforderungen auf den Inseln gewachsen, mehr als alle anderen. Zwar sind wir einem voll ausgebildeten Trupp Kinn-Lai bei gleichen Zahlen unterlegen, aber wir können ihnen mittlerweile einen harten Kampf liefern. Auf dem Schlachtfeld aber, dürfte uns keiner der anderen Stämme mehr gewachsen sein. Wir sind vielleicht nur ein paar tausend, aber mit Ivyns Wissen und Weisheit haben wir uns darauf vorbereitet unsere Heimat mit allen Mitteln zu verteidigen.“
„Deswegen deine Furcht um Isanasca. Sie ist die absolute Elite, wie ich es schon vermutet habe –sozusagen dein Meisterstück. Und ihr wirst du die Krone vermachen.“
Seine Tochter nickte und erklärte, dass Ivyn sie persönlich ausgebildet hat. Faelivrin wirkte einen Moment so, als ob sie mit etwas haderte. Ihr Blick huschte aus dem Augenwinkel kurz zu ihm. Eine kurze Stille trat ein, doch der Moment ging vorbei. Sie sagte nichts und ging in den Ostflügel, zu dem ihnen die Wachen das Tor öffneten. Mathan folgte ihr in den Korridor, der einfach in einer Baustelle endete. Sie steuerte eine Treppe an, die links in einer Nische versteckt war.
„Gibt es da etwas, das du mir vielleicht sagen möchtest?“, fragte er schließlich sanft, nun da sie endlich alleine waren. Er ging etwas versetzt hinter ihr, als sie gerade die erste Stufe nahm.
Sie erstarrte in der Bewegung. Mathan konnte ihr Gesicht nicht erkennen, doch er sah, wie sie kurz den Kopf senkte. Schließlich stieg sie weiter die Treppe hinauf und sagte nur leise: „Später, da gibt es etwas anderes, das ich zuerst loswerden will.“
Er respektierte ihren Wunsch und bohrte nicht weiter nach. Sie führte ihn durch das obere Stockwerk des Ostflügels. Von hier oben konnte man den Thronsaal und die gigantische Kuppel bewundern, doch der Blick war nicht ungestört. Überall waren hölzerne Geländer errichtet, es fehlten ganze Wände und kein einziger Raum hatte eine Decke. Weiter hinten konnte er sehen, wie der hintere Teil des Ostflügels von ein paar Elben weitergebaut wurde. Eine Art Kran mit Laufrad wurde genutzt, um die schweren Steine auf die Mauern zu setzen. Faelivrin beobachtete die Arbeiten und nickte zufrieden, als er sich neben sie stellte.

„Einer der frisch eingetroffenen Hwenti hat Nachrichten von Herion überbracht“, sagte seine Tochter schließlich mit etwas gedämpfter Stimme. Mathan horchte auf, als sie fortfuhr: „Onkel Herion sagte, dass Mutters Schwester gesichtet wurde. Die Beschreibung sei eindeutig zutreffend. Sie hat aber nicht die Ländereien der Hwenti betreten. Er wollte uns nur Vorwarnen.“
Mathan blinzelte erstaunt und drehte sich zu ihr. „Vorwarnen? Verstehen sich die Zwei so schlecht? Halarîn erzählt nie über sie, sie kennt noch nicht einmal ihren Namen.“
Faelivrin zuckte etwas unwohl mit den Schultern und scharrte mit ihrem Stiefel kleine Steinchen zur Seite. Er rief sich wieder in Erinnerung, dass Telperiel Halarîn verboten hatte nach ihren Geschwistern zu suchen.
„Onkel schrieb, dass sie wohl mittlerweile als Rámalin gekannt sei. Eine berüchtigte Söldnerin.“
„Hmm… Flügelmelodie… mich würde interessieren wie sie zu dem Namen gekommen ist.“
„Er schrieb, dass sie mit einigen hundert Reitern oder mehr aus dem Norden nach Süden unterwegs war. Wahrscheinlich will sie mit ihren Gefolge nach Kushan oder Minzhu, denn die beiden Reiche werden wohl bald einen massiven Krieg gegeneinander führen. Und das würde auf ganz Palisor Auswirkungen haben“
Mathan hob eine Braue und fragte, warum das so wichtig war. Seine Tochter vermutete, dass es das erste Lebenszeichen ihrer Tante war seit einer langen Zeit, was für ihn auch Sinn ergab. Sie berichtete weiter, dass Kushan bisher Minzhu an weiterer Expansion stets gehindert habe, doch seit geraumer Zeit strebte Kushan selbst nach mehr Ländereien und Bodenschätzen. Dies führte unweigerlich zu Konflikten mit den Nachbarn. Mathan erinnerte sich dunkel, wie Halarîn ihm die Zustände in Palisor erklärt hatte, aber der Süden war immer schon eher für sich gewesen und seine Frau hatte da kaum Kenntnis über die Lage dort gehabt. Er selbst war nur einmal in Minzhu gewesen, aber damals hatte es dort nur zersplitterte Kleinreiche gegeben, die von Kriegsherren beherrscht wurden – keine zentrale Ordnung oder Macht.
„Ich habe Mutter noch nichts von der Nachricht erzählt“, unterbrach sie seine beginnende Grübelei, „Heron hatte sie geschickt, weil Halarîn ihn darum bat ihr Bescheid zu geben, wenn ihre verschollenen Geschwister auftauchten. Die Beschreibung hatte sie wohl meiner widerwilligen Großmutter entlockt.“

Mathan schlug vor das erst später weiterzuleiten, da Halarîn dringen Ruhe brauchte. Er machte sich so schon große Sorgen um sie, da sie eben ungewöhnlich blass gewesen war. Seine Tochter nickte bestätigend und führte ihn wieder zu der Treppe nach unten. Kurz überlegte er, sie danach fragen, was ihr vorhin an der Treppe durch den Kopf gegangen war. Mathan verwarf es, als sie ihn in das fertige Gebäude über der Vorhalle führte, was sich als ihre privaten Gemächer herausstellte. Es war ein riesiger, lichtdurchfluteter Raum, der von einem großzügigen Bett in der Mitte dominiert wurde. Felle und Teppiche lagen auf dem kühlen Marmorboden, eine große, doppelflügelige Tür zog seinen Blick an. Faelivrin ging vor und öffnete sie. Vor ihm lag die Terasse, die auf dem Vorbau des Palastes gebaut worden war. Sie maß vielleicht zehn Schritte, direkt neben der Tür hatte Faelivrin sich einen gemütlichen Liegestuhl hingestellt, zusammen mit einem Beistelltisch, auf dem ein Buch lag. Ein kleines Flämmchen flackerte in einer Feuerschale.
„Hier verbringe ich gern meine Abende, wenn ich allein sein möchte. Ein gutes Buch beim Sonnenuntergang entspannt“, sagte seine Tochter, als sie seinen Blick bemerkte, „Komm, ich glaube sie sind mittlerweile angetreten.“

Er folgte ihr und genoss den Blick auf die Stadt, der sich ihm bot. Der Palast saß auf dem höchsten Punkt und man hatte eine gute Übersicht auf die vielen Häuser, die inzwischen errichtet wurden. Wenn er alles ausblendete, meinte er sogar das Plätschern des Glanduins hören zu können. Oder es war seiner Erinnerung die ihm einen Streich spielte, da Ost-In-Edhil genau dort errichtet worden war, wo der Sirannon sich mit dem Glanduin vereinte. Leider war der Sirannon schon seit langer Zeit ausgetrocknet, sonst hätte er nicht einfach trockenen Fußes das Nordtor erreicht. Faelivrin bedeutete ihm an die Brüstung zu treten. Mathan stellte sich neugierig sie und blickte hinab. Ein Befehl wurde auf Avarin gebrüllt. Vor den Treppen des Palasts hatten sich einhundert Elben in einer strengen Formation versammelt. Sie trugen schwere Plattenrüstungen aus silbernem Stahl, lange Hellebarden in den Händen und Umhänge aus rotoranger Seide hingen von ihren Schultern. Schwarze Mundtücher bedeckte das Gesicht bis auf die Augen. Ihre Helme waren prunkvoll verzierte Flügelhelme, die in der Form von Sonnenstrahlen gearbeitet waren. Jeder der Krieger war in etwa gleich groß und jeder trug die gleiche Ausrüstung. Neben der Hellebarde war jeder einzelne auch mit Schwert, Bogen und Dolch bewaffnet. Faelivrin hob knapp die Hand und die Soldaten reckten kurz ihre Waffen in die Höhe, ein vereintes: „Tarinya!“ ertönte. Ein Gruß an ihre Königin. Seine Tochter nickte ihnen zu und drehte sich stolz zu ihm. „Dies ist meine persönliche Garde. Die Erste Nernehta, sie sind in allen Waffenarten geübt. Dort, wo andere den Tod sehen, sehen sie Ehre. Niemals würden sie ihren Posten verlassen, keinen Befehl verweigern und bis auf den letzten Speer kämpfen.“ Ein kaltblütiges Lächeln umspielte ihre Lippen. „Lasst die Orks mit Blut bezahlen.“
Mathan musterte die Truppe genauer und kam zu demselben Schluss. Niemand schien den Tod zu fürchten, sie alle warteten vollkommen regungslos auf ihre Befehle. „Und du bist dir sicher, dass du sie nicht hier brauchst?“
Faelivrin verneinte und erklärte, dass ihre königliche Garde mehr als nur diese einhundert Elben umfasste. Schließlich gab Mathan sich geschlagen, da er seine Tochter zu gut kannte. Wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte er sie nur nach einer stundenlangen Diskussion davon abbringen. Und diesmal hatte er keine Zeit dazu. Ein Schmunzeln um ihre Lippen verriet ihm, dass Faelivrin genau darauf abgezielt hatte. Er schüttelte unmerklich den Kopf, während sie ihrer Garde befahl, an der westlichen Torburg auf den Befehl zum Ausrücken zu warten. Die Elben bestätigten mit einem einmaligen Aufstampfen mit einem Bein, dann machten sie auf dem Absatz kehrt und zogen in geordneten Reihen vom Platz. Seine Tochter sagte, dass die restliche Truppen bei Nacheinbruch gemustert dort auf ihn warten würden, doch er beobachtete weiterhin die marschierenden Elben, deren seidenen Umhänge im Wind flatterten. Die Hellebarden funkelten in der beginnenden Dämmerung und das regelmäßige Stampfen des marschierenden Trupps weckte Erinnerungen an die Kriege, die er bisher erlebt hatte. Mathan atmete tief durch, dann folgte er seiner Tochter, die ihm zu einer Mahlzeit einlud. Geistesabwesend stimmte er zu. Mit dem Gedanken war er jedoch auf den Schlachtfeldern längst vergangenen Zeiten. Er merkte nicht, dass seine Tochter ebenfalls tief im Gedanken war und so düster wie noch nie dreinschaute.

Mathan mit der Elbenstreitmacht zum Tal des Sirannon (https://modding-union.com/index.php/topic,5003.msg485523.html#msg485523)
Titel: Ein Traum von Eis
Beitrag von: Fine am 13. Apr 2021, 08:20
Kerry hatte bei ihrer Rückkehr zu Farelyës Unterkunf feststellen müssen, dass sowohl Elea als auch Finjas verschwunden waren. Anscheinend unternahmen sie einen gemeinsamen Streifzug durch die Stadt. Kerry konnte das gut verstehen, denn sie selbst hatte eine gewisse Neugierde in sich erwachen gespürt, als sie Ost-in-Edhil wieder betreten hatte. Als sie zum ersten Mal hier gewesen war, war die Stadt nichts als eine Ruine gewesen. Jetzt pulsierte sie wieder vor Leben, und überall schossen neue Bauten in die Höhe. Sie nahm sich vor, das Gespräch mit Elea ein wenig zu verschieben und begann, sich eine kleine Mahlzeit an der Kochnische zuzubereiten.

Es dauerte keine zehn Minuten, da hatte der Geruch von Essen bereits jemanden angelockt. Leise, kaum hörbare Schritte in ledernen Schuhen näherten sich, und eine Stimme sagte: "Das riecht ja vorzüglich. Du solltest öfters deine Kochkünste vorführen, Morilyë."
Es war Farelyë, die den Kopf durch die Tür gesteckt hatte. Hatte sie am vergangenen Tag noch eine schwere Rüstung nach Art der Manarîn getragen, so schien sie sich heute entschlossen zu haben, etwas traditioneller aufzutreten. Sie trug ein langes, meerblaues Kleid, dessen Ärmel in langen, weiten Spitzen ausliefen, die ihr beinahe bis zu den Knien hingen. Um Hals und Brust lag locker ein langer, weißer Schal, und die spitzen Ohren waren mit zwei großen, kristallenen Ohrringen versehen. Auf jede Wange war eine Elbenrune mit schwarzer Farbe gemalt worden, was ihr würdevolles Aussehen in Kerrys Augen ein klein wenig schmälerte. Doch sie hatte schon vor langer Zeit aufgegebn, Farelyës Tun und Lassen zu hinterfragen. Die Cuventai-Elbin war ein Fall für sich, selbst unter den vielfältigen Manarîn und Avari aus dem Osten gab es niemand, der ihr auch nur in irgend einer Weise ähnlich war - abgesehen von der weisen Ivyn, die nach wie vor als Farelyës Mentorin fungierte.
"Möchtest du probieren? Es ist nicht viel, aber es ist warm," sagte Kerry und reichte Farelyë eine Schüssel mit dem Eintopf, den sie gerade gemacht hatte.
"Probieren? Ich hätte gerne eine vollständige Portion," korrigierte die Erste sie mit einem frechen Lächeln. "Diese Stadt macht mich hungrig. Es sind hier so viele Leute auf einem Haufen, da fühle ich manchmal... ein wenig unwohl." Ihr Lächeln verblasste für einen Augenblick, doch nachdem sie von dem Eintopf gekostet hatte, kehrte es auf Farelyës Lippen zurück.
Kerry bediente sich ebenfalls und zusammen setzten sie sich an einen der flachen Tische im Raum. "Ich verstehe," begann sie mitfühlend, "Und... auch wieder nicht. Du hast dich so sehr verändert, in so schneller Zeit, und... warst zuvor so lange allein gewesen... es ist eine Umstellung, die ich kaum erahnen kann."
Farelyë wog nachdenklich den Kopf hin und her. "Das ist nicht... das eigentliche Problem," sagte sie. "Es sind die Elben. Sie sind mir selbst nach all den Monaten, die ich nun unter ihnen weile, ein Rätsel. Sie haben ein gemeinsames Ziel, und einen gemeinsamen Feind, und sie stecken alle in derselben Gefahr. Warum also streiten sie so viel, und sind uneins? Es... bereitet mir Kopfschmerzen. Diese Konflikte an jeder Straßenecke zu sehen... es setzt mir zu, Morilyë."
Kerry dachte einen langen Augenblick über die Problematik nach, ehe sie zu einer Antwort kam. "Ich kann nicht gerade behaupten, mich in der... Politik der Elben auszukennen," begann sie etwas unsicher. "Aber ich weiß, dass hier in Eregion nicht nur die Manarîn siedeln, sondern auch die unterschiedlichsten Stämme aus dem Osten. Und sie wollen nicht einfach so eine Königin akzeptieren, die sie nicht kennen. Würdest du Befehle von jemandem entgegennehmen, dem du nicht vertraust?"
"Es braucht nicht viel um zu sehen, dass Faelivrin eine gute Anführerin ist," sagte Farelyë. "Man braucht nur Augen und Ohren, um zu sehen und zu hören. Ich würde ihr folgen, selbst wenn ich sie nicht so gut kennen würde. Wieso können sie das nicht erkennen? Sind sie so sehr von ihrem Stolz geblendet, dass sie lieber alleine gegen die drohende Dunkelheit ziehen, anstatt geeint zu kämpfen?"
"Ich... ich weiß es nicht," gab Kerry etwas verzagt zu. Farelyës Worte setzten ihr zu. Sie hatte nicht gedacht, dass die Uneinigkeit der Elben Eregions so schlimm geworden war, dass selbst eine so große Gefahr sie nicht dazu brachte, zusammenzuarbeiten.
"Nein. Natürlich weißt du es nicht," sagte Farelyë überraschend sanft. "Aber du hörst mir wenigstens zu. Die meisten am Hofe halten mich noch immer für eine Absonderlichkeit... mich stört das nicht, ich weiß wer und was ich bin, und selbst die größten Skeptiker können nicht verleugnen, dass ich das Licht der Ersten in mir trage. Doch leider ist der Respekt davor nicht bei allen Avari so groß, wie er... sein sollte."
"Wie meinst du das?" wollte Kerry wissen.
"Sie dulden mich bei Hofe, aber mein Wort wiegt nicht schwer," erklärte die Erste. "Sie halten mich für nützlich, aber nicht vertrauenswürdig. Ich sehe es in ihren Blicken und in ihrem Gebaren. Die Kinn-Lai sind die Schlimmsten. Ich glaube, bis auf Ivyn gibt es niemanden, der wirklich versteht, was... mit mir geschieht."
"Was mit dir geschieht?" hakte Kerry besorgt nach.
"Es ist kein Jahr vergangen, seitdem Sarumans Schergen mich aus dem Eis holten," antwortete Farelyë leise, und sie klang sonderbar verletzlich dabei. "Ein... Teil von meinem Geist ist noch immer dort gefangen, fürchte ich. Es wird dauern, bis... ich vollständig bin. Je mehr von meinem Sein zu mir zurückkehrt, desto mehr passt mein Körper sich an."
"Bist du deswegen so schnell gewachsen?"
Farelyë nickte. "Ich sah etwas zwischen den Sternen," kurz bevor du hier her kamst. Ich sah Eis, das gebrochen wurde, ein lange verschlossenes Siegel, das geöffnet wurde. Ein Stück meines Selbsts kehrte zu mir zurück in jenem Moment, aber... noch etwas anderes wurde in jenem Augenblick befreit. Etwas, das älter ist als Ivyn oder ich. Älter, als diese Welt. Etwas, das niemals hätte befreit werden dürfen."
Kerry erschrak. "Wovon sprichst du?"
Farelyë legte eine Hand an ihre Schläfe. "Ich... versuche seit Tagen, mich darauf zu konzentrieren, aber... es ist mir nicht gelungen, noch einmal einen Blick auf dieses Wesen zu erhaschen. Die Sternsicht ist... sehr komplex, und sie ist nicht Ivyns Fachgebiet, weswegen sie mir nur wenig dabei helfen kann. Ich brauche Konzentration und Ruhe, aber in dieser Stadt ist so viel Konflikt und Streit, dass ich seit Tagen gegen eine unsichtbare Wand ankämpfe..."
"Dann musst du fort von hier," sagte Kerry, mit einem Mal ganz ruhig. "Und dir einen ruhigen Ort suchen, wo du dich konzentrieren kannst."
Farelyë sah sie an, die Augen ein wenig geweitet und seit langer Zeit wirkte sie so, als wäre sie tatsächlich überrascht. "Aber... ich kann nicht fort. Was, wenn ich hier gebraucht werde?"
"Ich habe das Gefühl, dass... das, was du gesehen hast, wirklich wichtig ist," sagte Kerry langsam. "Vielleicht... sollten wir gemeinsam gehen?"
Die Cuventai-Elbin sagte für einen langen Augenblick nichts. Dann lächelte sie, und war wieder sie selbst - gelassen und eine Spur amüsiert wirkend. "Nichts überstürzen," sagte sie ruhig. "Ich akzeptiere deinen Ratschlag, Schwester Morilyë, aber eines nach dem Anderen. Du hast noch etwas zu erledigen, hier in der Stadt der Elben. So lange werde ich noch ausharren. Danach können wir die Abgeschiedenheit dort draußen suchen und... Antworten finden."

Darauf hatte Kerry keine Antwort, denn sie wusste, dass Farelyë nicht absichtlich in Rätsel sprach. Sie wusste es für gewöhnlich nicht besser. So aßen sie gemeinsam den Eintopf leer, ehe Farelyë sich wieder verabschiedete. Sie hatte beschlossen, Ivyn ihre Entscheidung mitzuteilen, und bot Kerry an, sie in den Palast zu begleiten. Doch Kerry lehnte ab. Sie kam sich fehl am Hofe der Königin vor, obwohl sie einen Großteil dort gut kannte. Nach Rang und Namen wäre sie dort vermutlich recht angesehen, doch als sie am Tag zuvor bei Faelivrin gewesen war, waren ihr so manche Blicke nicht entgangen, die vor allem von den Avari gestammt hatten. Sie wusste, dass ihre Familie sie niemals gering schätzen würde, und ihr die meisten Fehltritte verzeihen würde, aber die Zeit in der Wildnis, die sie gerade erst hinter sich hatte, hatte Kerry geprägt. Sie wollte keine schwer zu merkenden Etikette einhalten oder ruhig dastehen, während die Edlen über das Vorgehen im Krieg stritten. Sie nahm sich vor, die Mitglieder ihrer Familie privat zu besuchen, noch ehe sie mit Farelyë die Stadt verließ. Und außerdem gingen ihr die Worte der Cuventai-Elbin nicht aus dem Sinne, dass sie in Ost-in-Edhil noch etwas zu erledigen hatte. Schon während der Unterhaltung mit ihrer Freundin hatte sie darüber nachgegrübelt, was Farelyë damit wohl gemeint haben konnte.

Ein Klopfen riss Kerry aus ihren Gedanken, und sie schreckte hoch, als die Tür zum Esszimmer sich ohne Vorwarnung öffnete...
Titel: Re: Ost-in-Edhil
Beitrag von: Curanthor am 22. Apr 2021, 23:09
Aus Anastorias' Sicht

Es hatte wieder angefangen zu schneien und der kühle Nordwind trieb die Schneeflocken unermüdlich in die Gesichter der Arbeiter. Ihr Atem stand in kleinen Wölkchen vor ihren Mündern. Anastorias hatte alle Hände voll zu tun, die Anordnungen der Königin weiterzugeben. Er selbst half einigen Elbenfrauen die Banner der Manarîn auf den Türmen der Mauer zu hissen. Es brauchte seine starken Arme, um die Seile festzuzurren, damit der Stoff nicht wegflog. Zufrieden betrachtete er sein Werk. Auf einer schmalen Holzkonstruktion wurde  einer Stange hochgezogen, an der das Banner selbst befestigt war. Kurz warf er einen Blick auf die kleinen Türme, die hier und da aus der Stadt herausragte. Sie waren eigentlich als Kornlager eingerichtet, auf der Spitze hatte man aber eine Plattform gebaut, sodass man dort Bogenschützen postieren konnten. Wenn ein Teil der Mauer eingenommen werden würde, schossen die Schützen einen Brandpfeil, um das Banner zu verbrennen. Damit wusste jeder sofort wo der Feind genau war und von wo er in die Stadt eindringen konnte. Der junge Elb klopfte sich zufrieden den Baustaub von der Kleidung und hüpfte von dem Podest herunter. Eine der jungen Elbendamen, die ihm zuvor das aufgerollte Banner gereicht hatte, gab ihm einen warmen Mantel, den er dankend annahm. Sie warf ihm ein kokettes Lächeln zu, eilte aber dann scheu davon. Die übrigen zwei, die wohl etwas älter waren, schmunzelten nur und verabschiedeten sich. Die Sonne stand bereits tief und warf lange Schatten. Er wusste, dass seine Großmutter um die Zeit gern eine Mahlzeit zu sich nahm, aber er hatte wichtigeres zu tun. Ihm war zudem die Stimmung im Palast zu bedrückt, aber das würde er ihr nicht ins Gesicht sagen. Geistesabwesend ging er in die wuchtige westliche Torburg. Im Inneren umrundete er das hochgezogene Fallgatter und nahm eine der versteckten Treppen hinunter. Auf der breiten Straße in die Stadt hinein, hatte sich eine schwer gerüsteter Trupp Elben versammelt. Anhand der Ausrüstung erkannte er die königliche Garde, die in geordneten Viererreihen sechs Mann tief standen. Er zählte zehn Trupps mit rotorangen Mänteln. Schweigsame Krieger, die stumm auf den Befehl zum Ausrücken warteten. In den anliegenden Straßen saßen und standen hingegen etwas leichter gerüstete Elbenkrieger mit himmelblauen Mänteln in kleinen Gruppen, doch auch sie wirkten ziemlich still. Anastorias hörte aus den leisen Gesprächen der regulären Armee, dass sie noch heute Nacht gen Osten zogen, um die Prinzessin zu beschützen. Immer wieder hörte er, dass ein neuer Befehlshaber zurückgekehrt war und dieser sie zum Sieg führen würde. Offenbar herrschte vorsichtiger Optimismus. Ein erleichtertes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. So wie sie von dem Befehlshaber sprachen, bedeutete das wohl, dass Mathan wieder da war und nun selbst in den Kampf zog. Anastorias hatte mit ihm Seite an Seite gekämpft und war sich sicher, dass er seine Mutter wohlbehalten wieder zurückbrachte. Damit war eine seiner dringendsten Sorgen von ihm beruhigt. Ermuntert davon, ging er durch das westliche Tor hinaus und sprang in einer der Gräben, die sie unerlässlich aushoben. Der steinige Untergrund machte das Vorhaben beinahe unmöglich, aber dank der Kraft der Elben ging die Arbeit gut voran, auch wenn die Gräben für ihre Feinde nur eine lästige Unbequemlichkeit waren, als ein echtes Hindernis. Anastorias ging durch den Graben, an der nord-östlichen Ecke der Stadtmauer und kontrollierte dessen Tiefe. Meistens war er nur bis zu seinem Knie, oder seiner Hüfte ausgehoben. Der Elb schüttelte den Kopf und legte selbst Hand an. Er griff nach einer der herumliegenden Werkzeuge und begann mit der Arbeit. Mit jedem Schwung der Spitzhacke löste er mehr und mehr festen Erdboden, der von größeren Gesteinsbrocken durchsetzt war. Die gelösten Steine warf er auf einem Haufen, die Erde schaufelte er zu einem kleinen Wall. Ab und zu kam ein Elb mit einem kleinen Wagen, lud die Steine auf und schaffte sie in die Stadt. Es war keine sonderlich fordernde Arbeit und Anastorias hing seinen eigenen Gedanken nach. Immer wieder fragte er sich, ob Alassindowen hier in der neuen Heimat wohl glücklich geworden wäre. Ihm kam es so vor wie gestern, als sie einfach aus seinem Leben gerissen wurde. Unwillkürlich musste er plötzlich an Adrienne denken, die auch einfach so aus der Stadt verschwunden war. Das Menschenmädchen hatte einen verwirrten Eindruck gemacht und bei Hof rätselte man, ob sie vielleicht aus Angst vor dem Krieg davongelaufen war. Einige böse Zungen zweifelten ihre Loyalität an, doch seine Familie war sich sicher, dass sie einfach nur verängstigt war.

„Junger Herr?“, ertönte eine weibliche Stimme freundlich und Anastorias blickte überrascht auf.
Vor ihm stand eine der Leibgardisten der königin, anders als sonst trug sie keine schwere Rüstung, sondern ein graues Kleid mit hohem Kragen, weit ausgestellten Armen, an dessen Enden seidene Stoffbahnen hingen, die sie sich elegant die Arme hochgewickelt hatte. Er blinzelte verwundert und erkannte erst auf dem zweiten Blick Asea. Die abgehärtete Gardistin lächelte etwas unsicher und verneigte sich knapp. Es war das erste Mal, dass er sie ohne Rüstung traf und ohne Helm. Anastorias versuchte nicht auf die offenen Haare zu starren, die stahlschwarz in ganz leichten Wellen ihr bis auf die Brust reichten – er hatte bisher noch nie auch nur eine Haarsträhne von ihr gesehen. Er räusperte sich nach einem unsicheren Blick von ihr und riss sich von ihrem Anblick los.
„Verzeihung“, murmelte er etwas verlegen und klopfte sich den Staub von seinem warmen Mantel, „Ich war ziemlich im Gedanken.“
Er konnte sehen, wie sie aus Höflichkeit nickte, ihm aber trotzdem aus dem Graben half. Die letzten Sonnenstrahlen verabschiedeten sich, als er mit der Elbe an der Mauer zum Tor entlangschlenderte. Keiner von beiden brachte ein Wort heraus. Anastorias war immer noch damit beschäftigt sie nicht anzustarren und Asea schien generell unwohl zu sein. Gleichmäßiges Marschieren ließ sie beide den Kopf heben. Geordneten Reihen von Elbenkriegern strömten aus dem östlichen Tor. Es waren Hunderte, ihre polierte Gleven und Rundschilde blitzen in den letzten Sonnenstrahlen. An der Spitze konnte er einen roten Mantel mit goldener Schmuckborte erkennen. Sie waren zu weit weg, um ihnen etwas zuzurufen, doch er vermutete, dass Mathan nicht länger warten wollte. Anastorias schlug die Hacken zusammen und richtete sich zu voller Größe auf. Dann legte er sich die linke Hand aufs Herz und die Rechte hoch an die linke Schulter. Es war ein Gruß, den ihnen Ivyn gezeigt hatte. Eine Form von höchstem Respekt unter den Avari. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, dass Asea es ihm sofort gleichtat. Die umstehenden Elben in den Gräben unterbrachen ihre Arbeiten und auch sie zollten den ausziehenden Heer Respekt. Selbst die Hwenti, die die Arbeiten sonst mit einer Spur Argwohn beobachtet hatten, erkannten die Geste und taten es ihnen nach. Ein seltsamer Moment der Verbundenheit erfasste ihn.
„Sowas brauchen wir öfters...“, murmelte Asea ergriffen, ansonsten war es still.
Als das Elbenheer fast aus der Sichtweite war, hielt es zur allgemeinen Überraschung kurz an. Ein deutlich hörbares Donnern von Schwertern auf Schilden folgte, dann setzte es sich wieder in Bewegung. Ein letzter Abschied. Und ein Versprechen zahlreich zurückzukehren.
„Ich dachte, dass du es vielleicht sehen wolltest“, ergriff die Elbe wieder das Wort und warf ihm einen mitfühlenden Blick zu, „Immerhin ziehen sie aus um deine Mutter retten, unsere Kronprinzessin.“
Anastorias sah, dass ihre Hand leicht zitterte, doch sie versteckte sie schnell in einem ihrer weiten Ärmel. Er bemerkte, dass sie ihn nicht so förmlich wie sonst ansprach. Eigentlich legte er auch darauf keinen Wert, allerdings hatte er das nicht bei der sonst so respektvoll distanzierten Gardistin erwartet. Auf ihrer langen Reise durch den Norden Eriadors hatten sie auch kaum ein Wort gewechselt. Er vermutete, dass irgendjemand in diesem Heer marschierte, der ihr viel bedeutete, denn sie starrte noch immer auf den Horizont, der von dem gewaltigen Nebelgebirge dominiert wurde. Anastorias beschloss ihr noch ein wenig Gesellschaft zu leisten und legte Asea beruhigend eine Hand auf die Schulter. Die Elbe zuckte überrascht von der Berührung zusammen, lächelte aber dann dankbar und starrte wieder in die Landschaft hinaus.
Es vergingen lange, schweigsame Momente, in denen jeder seinen eigenen Gedanken nachhing. Die Sonnenstrahlen waren nun verschwunden und Dunkelheit überkam das Land. Etwas unwohl nahm Anastorias die Hand von Aseas Schulter, da sie sich die ganze Zeit nicht beklagt hatte. Eine sanfte Berührung am Arm hielt ihn aber davon ab. Sie blickte weiter nach vorn und sagte leise: „Bitte… erlaubt mit diesen selbstsüchtigen Moment. Nur dieses eine Mal.“
Überrascht ließ er seine Hand wieder auf ihre Schulter sinken.  Er spürte, wie ihre Körper ein wenig bebte und schwieg respektvoll. Anastorias kannte Asea so gut wie gar nicht. Er erinnerte sich aber, dass seiner Mutter einst erwähnte, dass ihre Eltern bei der Sturmflut, die den König tötete ebenfalls umkamen, seitdem war ihr nur ihr Bruder als Familie geblieben. Ihre Hand tastete nach seiner und drückte sie sanft. Asea murmelte einen Dank, dann löste sie sich von ihm und wandte sich nach Norden. Anastorias wurde klar, dass ihnen bestimmt drei Dutzende Augenpaare folgten. Das Gerede konnte er sich schon denken. Er fluchte leise und folgte ihr, den Blick auf den Boden gerichtet. Die Arbeiter im Graben tuschelten leise und er dachte, dass sie ihn meinten, bis er gegen Asea stieß, die plötzlich stehen geblieben war. Sein Blick folgte ihren ausgestreckten Arm, der auf etwas im Schnee deutete. Das Gemurmel der Elben in den Gräben wurde lauter und auf der Mauer wurde lauthals nach Bogenschützen und einem Heiler gerufen. Anastorias kniff die Augen zusammen. Eine rote Spur zog sich durch den Schnee, bis zu einem bleichen Körper.
„Ein Späher“, rief Asea alarmiert und reffte ihr Kleid um loszurennen, doch Anastorias hielt sie zurück sprintete seinerseits los. 

Die weiche Schneedecke zerbrach unter seinem Schritt und je näher er der Gestalt kam, umso vertrauter wurde sie ihm. Sein Herz krampfte sich zusammen. Die kühle Luft in seinen Lungen brannte. Dutzende Befürchtungen gingen ihm durch den Kopf, die er alle panisch von sich schlug. Schließlich kam er abrupt zum Halt. Die langen, kastanienbraunen Haare lagen zerzaust über den entblößten, blutigen Rücken. Die Arme von sich gestreckt, bedeckt von grausamen Wunden, die ein eigensinniges Muster ergaben. Anastorias schluckte hart. Er wusste wer es war. Ein schwarzer Pfeil stecke in ihrem rechten Bein. Er spürte, wie ihm die Tränen in die Augen schossen.
„Einen Heiler!“, schrie er und ging vor der Verletzten in die Knie. Anastorias nahm all seinen Mut zusammen und packte sie an der Schulter. Dann drehte er sie um. Die Hälfte ihres Gesichts war eine einzige blutende Wunde. Ein tiefer Schnitt zog sich über Stirn, Augenbraue, Auge und Wange. Ihr Oberkörper war ebenfalls bedeckt von tiefen, blutigen Schnitten, die ein archaisches Muster ergaben. Sofort zog er sich seinen Mantel aus und bedeckte sie. Atemlos hielt er ihr einen Finger an die Nase. Ein banger Moment folgte… Komm schon Adrienne, atme. Rasch befeuchtete er einen seiner Finger im Schnee und hielt ihn erneut unter ihre Nase. Endlich spürte er einen Luftzug. Schwach und kaum vernehmbar.
„Holt mir einen Heiler verdammt!“, brüllte er noch einmal, sodass seine Stimme von den Stadtmauern zurückgeworfen wurde. Er hörte, wie auf den Mauern der Ruf nach einem Heiler drängender weitergegeben wurde.
Asea eilte an seine Seite und blieb ebenfalls stehen. Aus dem Augenwinkel sah er, wie die gestählte Gardistin mit Fassungslosigkeit auf ihre ehemalige Gefährtin starrte. Folter war nicht alltäglich und auch nicht in diesem Ausmaß. Dann überwand sie sich und kniete ebenfalls neben der Verletzten. Anastorias schob sein Arm unter die schlaffen Beine, Asea hob den Oberköper leicht an und platzierte ihn so, dass der Kopf auf seiner Schulter lag. Er erhob sich vorsichtig und begann loszulaufen, zum Osttor. Er mied es der Verletzten ins Gesicht zu blicken. Zu sehr erinnerte es ihn an Alassindowen. Asea deutete auf das Tor, wo eine Traube von Leuten bereits auf sie wartete. Zwei Elben mit einer Trage eilten ihnen entgegen – wahrscheinlich die Heiler. Nach einigen atemlosen Momenten erreichten sie sie.
„Bringt sie sofort in das Haus der Ruhe“, fuhr er die beiden Elben harsch an und platzierte Adrienne auf der Trage. Ein Wimmern ertönte. Anastorias tauschte mit Asea einen Blick aus Erleichterung und Sorge. Immerhin war noch etwas Leben in ihr. Unterdessen hatte die Stadtwache alle Mühe die Schaulustigen zu vertreiben. Kurzentschlossen trat er an den Hauptmann der Wache.
„Ihr da, schickt euren schnellsten Boten zu Herrin Ivyn. Sofort!“
Ein ersticktes Kreischen ließ ihn herumfahren. Adrienne begann auf der Liege zu zappeln und um sich zu schlagen. „Bindet sie fest!“, befahl er ohne groß nachzudenken, „Sonst verliert sie zu viel Blut.“
„Sie erkennt uns nicht“, rief einer der beiden Träger, der seine Mühe hatte die Verletzte zu fixieren, „Wenn sie so weiterzappelt…“
Anastorias fluchte, dann blickte er zu Asea. „Du verständigst die Königin, ich hole ein bekanntes Gesicht. Jemand ohne spitze Ohren. Weißt du, wo sie ist?“
Die Gardistin verstand und beschrieb ihm den Weg zum Haus von Farelyë. Anastorias machte auf den Absatz kehrt und rannte die Hauptstraße entlang. Er bog in eine der vielen, verwinkelten Nebengassen und fand nach einer Weile schließlich das Haus der Ersten der Cuventai. Atemlos sprintete er die Anhöhe hinauf und durch die offenstehende Tür.

Kurz verharrte er, verwirrt durch einen ungewöhnlichen Eindruck, den er erst nicht einordnen konnte. Es roch nach Eintopf. Anastorias eilte an die Tür zum Esszimmer und klopfte, riss sie dann aber ohne große Rücksicht auf. Kerry saß auf einer Bank vor dem Esstisch, eine geleerte Schüssel vor sich. Sie sah aus, als ob sie einen Geist gesehen hatte. Mit geweiteten Augen starrte sie ihn an.
Ehe sie etwas sagen konnte, griff er nach ihren Arm, „Du musst mitkommen. Sofort!“ Doch Kerry schreckte zurück und starrte auf seine Hände. Sie waren blutverschmiert, genauso wie seine restliche Kleidung. Doch in ihrem Blick sah er neben Schrecken auch Sorge.
„Das ist nicht meins. Es ist Adrienne. Sie braucht dich. Jetzt sofort.“
Kerry schien was sagen zu wollen und öffnete den Mund, schloss ihn jedoch. Ihr Blick wirkte wieder gefasst und sie erhob sich sogleich. Anastorias stutzte kurz, da er nicht damit gerechnet hatte, dass sie so ruhig bleiben kann. Er schüttelte die Verwunderung ab und winkte sie hinter sich her.
„Keine Zeit zu erklären. Je länger wir brauchen, umso schlimmer wird es.“
Mit den Worten hastete er aus dem Raum. Hinter sich hörte er Kerrys Schritte und hielt ihr die Tür nach draußen offen. Als sie ihn passierte, warf sie ihm einen beunruhigten, sorgenvollen Blick zu. Er konnte sehen, dass ihr hunderte Fragen durch den Kopf gingen. Im Gehen zog sie sich ihren Mantel enger. Anastorias überholte sie und verfiel in leichten Trab. Kerry beschleunigte ebenfalls und hielt Schritt. Langsam aber stetig wurde er schneller und bog um eine scharfe Ecke. Eine Elbendame machte ihnen erschrocken Platz. Sie passierten die große Hauptstraße im Osten und bogen in eines der älteren Viertel ein. Plötzlich meinte er Hufe auf Stein zu hören. In einer der Parallelstraßen erblickte er an vorbeiziehenden Häusern Ivyn auf einem weißem Pferd in halsbrecherischen Geschwindigkeit durch die Straßen jagen. Zwei weitere, vermummte Reiter folgten ihr. Dann bogen die Reiter vor ihnen auf die gleiche Straße ein, auf der er und Kerry liefen. Hinter sich hörte er die junge Frau langsam schwerer atmen, doch hielt sie tapfer das hohe Tempo, das für Menschen wohl alles abverlangte. Er konnte die Sorge um ihre Freundin verstehen, auch er selbst hatte sie ins Herz geschlossen. Ein dritter Reiter auf einem schwarzen Pferd preschte plötzlich an ihnen vorbei. Die Straße ging in leicht bergab und in einer Senke lag vor ihnen das Haus der Ruhe. Es war das vor kurzem fertig gestellte, dreistöckige Haus, in dem die Räume für Kranke waren, auch wenn Elben nie erkrankten. Jeder Raum verfügte über einen eigenen Balkon. Bei einem auf der zweiten Etage war die Tür geöffnet. Da man aber mit Gästen und auch mit Verletzten rechnen musste, hatte man keine Mühen gescheut um einen Ort der Erholung und der Heilung zu schaffen. Anastorias verlangsamte und merkte, dass Kerry erleichtert aufatmete, aber deutlich unruhiger wurde. Eine Elbenfrau erschien in dem Eingang, der von Rundsäulen flankiert wurde. Sie warf blutige Bandagen in einen Weidenkorb und eilte wieder ins Innere. Dabei warf sie ihnen einen wissenden Blick zu und nickte knapp. Aus dem Augenwinkel bemerkt er die vier Pferde, die ihnen aufmerksam die Köpfe zuwandten.
Anastorias und Kerry folgte der Heilerin schließlich und traten ins Innere. Sie befanden sich in einer großen Eingangshalle, die von allerlei Blumen, Sitzgelegenheiten und zwei großen Bücherregalen an der Wand dominiert wurde. Alles machte einen recht friedlichen Eindruck, der wurde allerdings von einem gedämpften Schrei unterbrochen. Die Heilerin stieg eine Treppe hinter dem Bücherregal hinauf und führte sie durch den zweiten Stock an das Ende des Flurs. Ohne zu klopfen stieß sie die Tür auf. Anastorias verharrte kurz und legte Kerry eine Hand auf die Schulter.
„Ich kann dich nicht darauf vorbereiten, was du darin siehst. Ich weiß aber, dass du dem gewachsen bist. Wenn es trotzdem zu viel wird… sagst du Bescheid.“
„Habt ihr etwa gezögert, als ihr damals in die Verliese unter Carn Dûm stiegt, um mich zu retten?“ sagte Kerry mit leiser, aber fester Stimme. „Adri war damals mit dabei, und es ist das mindeste, was ich jetzt für sie tun kann, indem ich meinen Mut für sie finde. Und ich habe ihn gefunden. Lass uns hinein gehen.“
Anastorias nickte erleichtert – und auch eine Spur Stolz auf seine ‚Tante‘ und ging vor. Der Geruch von Blut stieg ihm in die Nase. Auf einem erhöhten Tisch mit weicher Polsterung erblickte er eine gefesselte Adrienne, die sich nach Kräften wehrte. Sie wurde umring von drei Heilern, Ivyn selbst war ebenfalls schon da und betupfte gerade den langen Schnitt im Gesicht mit unglaublicher Präzision, trotz des Gezappels der Verletzten. Adriennes Gesicht war blass wie Marmor, tiefe, dunkelblaue Ringe lag unter ihrem gesunden Auge, das halb verdreht an die Decke starrte, während sie gerade nach einer der helfenden Hände biss. Weiter hinten im Raum standen zu seiner Überraschung Faelivrin, Amarin und sogar Amante mit düsteren oder sorgenvollen Gesichtern. Ihm erschloss es sich nicht, warum letztere hier war, aber das war auch nicht so wichtig. Die Königin bemerkte sie sofort und umrundete den Tisch. Wortlos nahm sie Kerry in die Arme und jegliche Autorität war in dem Moment an ihr verblasst. Dann löste sie sich von ihr und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Es war ein kurzer Moment der Anerkennung. Anastorias wollte den Raum verlassen, doch sie hielt in fest an der Schulter.
„Schwester“, sagte Faelivrin schließlich sanft, „Ich bitte dich ungern darum, aber niemand kann zu ihr durchdringen. Sie ist im Fieberwahn, leidet Schmerzen und erkennt uns nicht mehr. Vielleicht kannst du sie erreichen. Erst dann können wir ihr etwas ohne Gefahren verabreichen. Und endlich diese Wunden nähen.“
„Sie hat sehr viel Blut verloren“, befand Ivyn emotionslos und tauschte ihr blutiges Tuch mit einem Frischen aus, „Es ist ein Wunder, dass sie überhaupt noch lebt. Wahrscheinlich hat die Kälte sie gerettet.“ Ihr silberner Blick wanderte kurz zu Kerry. „Wenn du sie beruhigen willst, solltest du es jetzt tun, sonst… wird es unschön.“

„Adrienne“, sagte Kerry mit fester Stimme, auch wenn die Elben sehen konnten, dass die Hände des blonden Mädchens ein wenig zitterten, was wohl dem Anblick ihrer Freundin geschuldet war. „Ich weiß, dass du mich hören kannst. Ich bin hier, und ich lasse dich nicht im Stich.“ Ihre Hand berührte die Verletzte sanft an der unverletzten Wange und das Zittern in den Fingern ließ nach. „Egal wer du zu sein glaubst, oder was dir die Schatten einreden wollen... du bist meine Freundin, und mein Vorbild. Du bist stärker als diese Dunkelheit. Du hast sie dein Leben lang bekämpft, willst du jetzt etwa aufgeben? Wir haben noch nicht einmal über... den Kuss geredet.“ Sie wurde rot, und lächelte sanft. „Mindestens das bist du mir schuldig.“ Eine Träne stahl sie ihre Wange herab, als sie etwas lauter sagte: „Ich möchte dich nicht verlieren, Adri. Wir haben einander erst so kurz wiedergesehen, und... du bist mir sehr wichtig. Komm zurück zu mir, hörst du? Komm zurück!“
Man konnte hören, wie jeder im Raum die Luft anhielt. Anastorias wunderte sich ein wenig über den Kuss, doch seine Aufmerksamkeit galt wieder der Verletzten, die in ihrem Wahn innehielt. Es war nicht klar, ob es die Worte, oder die Hand an der Wange der Grund dafür war war. Zwei, drei, vier Herzschläge vergingen, in der Adriennes gesundes Auge ziellos den Raum absuchte, dann wanderte es über die versammelten Gesichter und erfasste die Hand, die an ihrer Wange lag. Bis sie Kerry direkt anblickte. Tränen stiegen ihr in die Augen. Adrienne schien etwas sagen zu wollen, doch plötzlich bäumte sich ihr Körper auf. Kerry versuchte ihre Freundin trotzdem nahe zu sein und so gut es geht ihr Gesicht zu halten – obwohl ihr der Schreck deutlich anzusehen war. Ivyn schickte derweil die drei Heiler mit einem bellenden Befehl hinaus und schrie dabei fast, sodass er selbst zusammenzuckte. Die Verletzte spannte gegen ihre Fesseln und ein tiefes Knurren war zu hören. Die Tür schloss sich. Adriennes verletztes Auge öffnete sich. Und leuchtete glühend rot. Es war so, als ob jegliches Licht aus dem Raum gesogen und der Ton gedämpft wurde. Die Kerzen in den Laternen flackerten, einige erloschen. Amante und Ivyn tauschten einen Blick und beide Frauen hoben ihre Hände. Gleißendes, weißes Licht durchflutete den Raum, sodass er die Augen zusammenkneifen musste. Anastorias bedeckte hastig Kerrys Gesicht. Ein hoher, unmenschlicher Schrei war zu hören, der ihm schmerzhaft in den Ohren klingelte, dass er erneut zusammenzuckte. Dann war es vorbei. Ivyn und Amante stützten sich auf den Tisch, sichtlich besorgt - wenn auch nur für einen winzigen Augenblick. Anastorias nahm seine Hand fort und stellte erstaunt fest, dass Adrienne anfing zu blinzeln, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. Keine Spur von Rot in ihren Augen.

„Ein letztes Aufbäumen der Dunkelheit“, beantwortete Amarin die große Frage, die im Raum schwebte, „Die andere Frage bleibt, ob wir Adrienne wiederhaben oder nicht.“
„Mein Leben…“, krächzte diese kaum hörbar und ihre bandagierte Hand tastete nach Kerry welche sie sofort vorsichtig in beide Hände nahm und streichelte, „es gab… so viele. Ich… es… tut mir leid.“ Sie rang sichtlich nach Worten, „Kann nicht… Erinnere mich…“
Ivyn zog eine Tasche hervor und entkorkte ein Fläschchen. Ohne viel Rücksicht flößte sie es ihr ein.
„Ein Trank zur Beruhigung und um klarer zu denken. Ich habe einen Verdacht, aber ich möchte ihn vor dir hören“, befand die Erste und blickte jeden einzelnen im Raum an, „Und das was hier besprochen wird, verlässt niemals diese vier Wände.“
Einige Herzschläge vergingen, in dem auf die Wirkung des Tranks gewartet wurde. Adriennes rastloser Blick verlangsamte sich und auch ihr schneller Atem. Ihr Blick sucht wieder Kerry, die noch immer ihre Hand hielt: „Ich bin hier bei dir, und ich werde auch nicht wieder gehen, bis es dir nicht besser geht. Du brauchst dir nicht die Schuld daran zu geben. Erinnerst du dich an Fornost? Ich habe schon zuvor gesehen, wie eine böse Präsenz Besitz von einem Freund ergreift. Das was da vorhin gewütet hat, das warst nicht du. Du, Adrienne, bist meine Freundin, und ich lasse nicht zu, dass irgendetwas - oder irgendjemand - dich mir wegnimmt.“
„Das was da gewütet hat… war ein Teil von mir“, antwortete Adrienne leise und schien die Blicke zu meiden, „Gezwungenermaßen. Jetzt, da ich wieder klarer denken kann…“ Sie rang mit sich selbst vor einen Augenblick und sprach weiter: „Es fällt mir schwer die Kontrolle zu behalten. Selbst jetzt. Ich höre Stimmen in meinem Kopf. Stimmen von der, die ihr Adrienne nennt, aber auch andere.“ 
„Mir ist gerade nur deine Stimme wichtig“, sagte Kerry bewegt. „Denn das heißt, dass du am Leben und bei verstand bist... und das ist alles was für mich jetzt zählt.“ Sie umarmte ihre Freundin äußerst vorsichtig. Anastorias wechselte einen Blick mit Amarin und bemerkte, dass die Elben ihre Vermutung bestätigt sahen.
„Adrienne, ja, sie ist die lauteste“, antwortete die Verletzte schließlich mit einem gequälten Lächeln, „Aber im Moment bin ich nicht sie – wenn auch nur für eine kurze Zeit, dann verschwinde ich wieder ins Dunkel. Ich weiß selbst nicht, wie ich hier gelandet bin…“
Kerry wirkte etwas verwirrt, lächelte aber und bat um eine genauere Erklärung.
„Es gibt ältere und gemeinere Geschöpfe als Orks in dieser Welt“, sagte Adrienne und prüfte ihre Fesseln, „Und eines dieser Wesen… lebt in mir. Es ist wie eine Spinne in meinem Bewusstsein, spinnt und trennt Fäden zu Erinnerungen. Ich weiß nicht was es ist und... keine Zeit es zu erklären. Nach einer gewissen Zeit werde ich von ihnen gefangen und sie führen eine Art... Ritual durch“, sie blickte auf ihre Arme, „Um es zu wecken. Dann trennt es alle Erinnerungen und alles wird schwarz. Manchmal mit Folter, manchmal ohne.“
„Eine andere Art von Gehirnwäsche“, murmelte Faelivrin nachdenklich, aber laut genug, dass man es hören könnte, „Wie grausam.“
Adrienne nickte knapp. Kerry wirkte noch immer verwirrt, fragte aber sanft, wie man ihr helfen konnte, doch ihr antwortete nur ratloses Schweigen. Die Verletzte hatte inzwischen die Augen geschlossen und schien zu schlafen – oder bewusstlos zu sein. Ivyn war es schließlich, die alle Anwesenden bat den Raum zu verlassen, damit sie sich ungestört um die Verletzte kümmern konnte. Dabei schaute sie vor allem Kerry und Anastorias an, der sie daraufhin an den Schultern nahm und zur Tür führte. Er spürte ihren Widerstand und konnte sie gut verstehen, aber mit Ivyn war die beste Heilerin Eregions an Adriennes Seite, es gab keinen Grund für Sorgen. Oder nicht?
Titel: Arreste der Stadt
Beitrag von: Thorondor the Eagle am 24. Apr 2021, 01:10
Helluin aus Dunland (http://modding-union.com/index.php/topic,6166.msg484605.html#msg484605)

Aus der Sicht von Arwen:

Als Arwen an diesem frühlingshaften Morgen die Augen öffnete, fiel ihr Blick durch das Fenster auf den blauen Himmel der von einzelnen weißen Wolken besprenkelt war. Die Vögel zwitscherten schon ihre ersten Lieder, sie hörte es deutlich obwohl diese neue Stadt mit ihrem geschäftigen Treiben sehr laut war. Es blieb ihr nicht unbemerkt, dass die Bewohner der Stadt diese kleinen Geschenke die die Welt ihnen bot, nicht immer wahrnahmen.

Sie versuchte sich an den Traum den sie während des Ruhens hatte zu erinnern, doch er war in weite Ferne gerückt. Feine Falten legten sich auf ihre sonst makellose Stirn. Je verbissener sie hinter des Rätels Lösung kommen wollte, umso mehr befiel sie die Sorgen, dass sie sich niemals mehr daran erinnern würde. Plötzlich bemerkte sie, wie sich die Wolken am Himmel verdichteten. Es wurde finsterer in ihrem Zimmer, hier in Farelyë’s Unterkunft. Irritiert stütze sie sich auf ihren Unterarm und hob ihren Oberkörper aus der Waagrechten. Die Wolkendecke wurde grau und dann zunehmend schwarz und am Horizont blitzten unheilvolle Lichter auf.

Nein, Arwen! sagte sie sich selbst Nein! Lange genug hast du in der Dämmerung verbracht und dich vom Unheil einschüchtern lassen. Du hast die Zeichen empfangen, ja selbst dein Vater hat sie dir bestätigt, wenn auch nur widerwillig. Es gibt Hoffnung, Arwen Undomiel Sie schloss ihre Augen und dachte an die schöne Zeit, die sie mit Aragorn in Imladris verbracht hatte. Sie fühlte die Vollkommenheit, die Liebe und die Unbekümmertheit in ihrer Erinnerung und in ihrem Herzen. Die Angst wich aus ihrem Körper und die Schultern ließen von ihrer unnatürlichen Anspannung ab. Als sie die Augen erneut öffnete, offenbarte sich ihr wieder der blaue Himmel und die weißen Wolkenfetzen.

Neuen Mutes strich sie sich kaltes Wasser über das Gesicht und schlüpfte in ein hellblaues Kleid mit goldenem Saum. Es war die Farbe der Manarîn und auch wenn sie keine von ihnen war, so zeugte es doch von Respekt. Lautlos ging sie nach unten. Es war ihr noch nicht gelungen mit Elea und Finjas über den weiteren Reiseverlauf zu sprechen, aber das beunruhigte sie kaum. Etwas schien sie noch in dieser Stadt zu halten, auch wenn Elea wie auch die Elbe selbst unverzüglich weiterziehen wollten.
 
Im Erdgeschoss angekommen fand sie jemanden vor, den sie nicht erwartet hatte:
„Magor!“, begrüßte Arwen einen blonden, großgewachsenen Elben. Er hatte grün-braune Augen und ein spitzes Kinn.
„Herrin“, antwortet er und neigte den Kopf.
„Wie ergeht es dir hier in Eregion seit mein Vater dich hierher entsandt hat?“
„Nun, ich habe mich eingerichtet. Viele der einheimischen Elben lernte ich bereits kennen und sie schätzen mich. Leider sind die Differenzen dieser Völker sehr tief verwurzelt und sie scheinen kaum überwindbar zu sein. Vielleicht vermag euer Vater mehr dazu beitragen, um eine Annäherung der Avari herbeizuführen.“
„Seine Fähigkeiten diesbezüglich stehen außer Frage bei den Völkern die er kennt, die Avari des Ostens sind uns aber vollkommen fremd und wir ihnen ebenfalls. Ich denke es wird noch eine Weile dauern, bis sich unsere Völker anfreunden.“
„Das mag wohl sein, doch dies ist nicht der Grund warum ich hergekommen bin.“
Interessiert sah Arwen den Gesandten von Imladris an.
„Vor wenigen Tagen kam ein Trupp der Manarîn aus dem Süden zurück. Sie waren in Dunland um mit dem Wolfskönig zu verhandeln. Sie brachten einen Gefangenen mit, den die Dunländer bereits seit mehreren Tagen mit sich mitführten.“
„Ein Gefangener?“, frage Arwen noch interessierter „Wer ist es?“
„Es ist Helluin von den Dunedain.“
Die Elbe konnte nicht glauben, was sie da hörte: „Helluin?“, wiederholte sie ungläubig „Elea’s Sohn?“
Magor nickte: „Wärt ihr nicht hier, ich hätte ihn zweifelsohne nach Imladris bringen lassen, wo Herr Elrond weise über seinen Verbleib entscheiden hätte können. Doch nun, da ihr hier seid und seine Mutter mit euch gereist ist, erschien es mir richtig euch Bescheid zu geben.“
„Es war die richtige Entscheidung“, bestätigte sie ihn „Wo ist er jetzt?“
„Die Kerker von Eregion sind noch nicht fertiggestellt. Er ist unter Arrest in der Kaserne, nahe dem südlichen Tor.“
Soll ich es Elea gleich mitteilen? Sie wäre überglücklich und gleichzeitig würde sie sich Sorgen, denn sie weiß nicht, was oder wer sie dort erwartet. Helluin ihr Sohn, Helluin der Verräter…
„Es ist wohl am besten, wenn ich ihm selbst einen Besuch abstatte, ehe ich es Elea sage. Kannst du mich dorthin bringen?“
Magor nickte.
Unverzüglich verließen die beiden Elben das Haus auf der Anhöhe und folgten den engen Nebengassen in Richtung Süden. Je weiter sie sich vom Palastviertel entfernten umso einfacher wurden die Gebäude der Stadt. Sie waren weit ärmer an Verziehrungen, teilweise waren sie sogar nur aus Holz errichtet. Es war wohl doch eine zu kurze Zeit um all dies hier zu schaffen. Schließlich erreichten sie ein größeres Steingebäude, dass genauso wie das Tor nur teilweise fertiggestellt war. Magor durfte wie auch schon zuvor passieren und zeigte Arwen unmittelbar den Weg zu Helluin. Ehe die Wachsoldaten die Tür öffneten nahm sie einen tiefen Atemzug.



Aus der Sicht von Helluin:

Ruckartig öffnete sich die Tür seiner neuen Behausung, wie er Gefängnisse jeglicher Art mittlerweile empfand. Ein Elb in vollausgestatteter Rüstung trat herein, doch seltsamerweise hatte Helluin diesesmal keine Angst oder Sorge, ein angenehmes Gefühl von Vertrautheit erfüllte ihn. Dann wurde es ihm klar, als er in die nur allzu bekannten Augen von Elronds Tochter schaute. Der Raum füllte sich mit einem sanften Licht.
„Arwen“, flüsterte er leise und stand augenblicklich auf. Es entging ihm nicht, dass die Wache seine Bewegungen achtsam verfolgte, mit der Hand das Schwertheft fest im Griff. Am liebsten wäre er der Elbe in die Arme gefallen, aber er zuckte aus Selbstschutz und Unsicherheit zurück. Sie wird denken ich möchte ihr etwas antun. Arwen kennt mich als den Verräter des Nordens.
„Helluin“, entgegnete sie ruhig und bestimmt, aber das schnelle Heben und Senken ihrer Brust verriet, dass sie aufgeregt war.
„Dich hier zu treffen ist ein Segen.“
„Ein Segen?“, fragte sie skeptisch.
„Ich wollte schleunigst nach Bruchtal kommen.“
„Hoffst du auf Zuflucht in Bruchtal, dass wir dich dort vor den Dunedain verbergen? Oder um deine Familie, deine Mutter, wiederzusehen?“
„Meine Mutter?“, ließ sich Helluin ablenken. Der Gedanke, Elea wieder gegenüberzutreten, ließ ihn nach wie vor erstarren.
„Ja genau, deine Mutter. Nun es wird dich freuen zu hören, dass sie auch hier in Ost-in-Edhil ist.“
Der Waldläufer verkrampfte sich noch mehr: „Ist sie auch hier?“
„Nein, ich habe ihr noch nichts von deinem Arrest hier erzählt.“
Er seufzte erleichtert auf.
„Sag es ihr nicht“, bat er sie flehentlich „Ich kann ihr nicht unter die Augen treten. Noch nicht.“
„Ich denke nicht, dass du in der Lage bist diese Entscheidung zu treffen.“
„Bitte“, flehte er nochmal „Sage es ihr nicht.“
„Sie ist die Einzige die dich gut genug kennt, um zu sagen, ob du von Sarumans Fluch befreit bist oder nicht. Ihrem Urteil vertraue ich.“
Enttäuscht von sich selbst setzt er sich wieder auf sein Bett: „Wenn ich mich nicht kenne, wie soll mich irgendjemand anderer kennen.“



Aus der Sicht von Arwen:

Die Elbe hatte Mitleid mit dem jungen Waldläufer, blieb aber auf Distanz. Sie hatte beschlossen dem Bittgesuch Helluin’s erstmal nachzukommen und über die Situation abzuwägen.
„Ich werde versuchen zu veranlassen, dass sie dich hier gut behandeln. Lass nach mir schicken, wenn du deine Meinung änderst oder wenn du mit jemandem reden möchtest.“
Er nickte zaghaft.
„Arwen?“, stieß er noch heraus ehe sie ging „der Wolfskönig überreichte mir diesen Brief und meinte ich soll ihn einer gewissen Halarîn übergeben. Ich vertraue dir, du wirst ihn mit Sicherheit an die richtige Person übergeben. Er übergab ihr ein zusammengefalltetes Pergamentstück. Es wirkte schon etwas zerfleddert, aber es waren deutliche Letter darauf zu lesen: Ténawen Morilië Nénharma. Überrascht schaute sie den Waldläufer an, der kaum Notiz davon nahm.
„Werde ich“, versicherte die Elbe und verließ die Arrestzelle.
Titel: Ein wildes Durcheinander
Beitrag von: Fine am 26. Apr 2021, 17:55
Kerry stolperte sehr nachdenklich durch die Straßen von Ost-in-Edhil. Anastorias hatte sich angeboten, sie noch zurück zu Farelyës Haus zu begleiten, doch als sie eine Straßenkreuzung überquert hatten, waren sie mitten in eine Patrouille der Stadtwache geraten und hatten einander aus den Augen verloren. Der hochgewachsene Manarîn hatte ohnehin ein Tempo vorgelegt, bei dem die erschöpfte Kerry nicht mehr Schritt halten konnte. Ihre Gedanken waren erfüllt von der Sorge um Adrienne und von der Angst über das, was sie gerade miterlebt hatte. Dass ein uraltes Wesen Besitz von ihrer Freundin ergriffen haben sollte, war schwer vorstellbar für Kerry, aber laut den Elben bestand an dieser These kein Zweifel. Kerry fürchtete sich. Was wenn sie die Nächste war, die von einer solchen Kreatur verschlungen wurde? Konnte man sich gegen so etwas wehren? Oder war man derlei Dingen hilflos ausgesetzt? Sie wusste es nicht, und das frustrierte sie.

Als sie nach einiger Zeit vor Farelyës Häuschen angekommen war, fielen ihr die seltsamen Dinge ein, die die Cuventai-Elbin zuvor gesagt hatte. Farelyë hatte von einem Wesen gesprochen, das älter war als die Welt selbst. Ob sie damit dieses Ding gemeint hatte, das von Adrienne Besitz ergriffen hatte? Kerry beschloss, Farelyë direkt darauf anzusprechen. Vielleicht würde sie einen Weg finden, um Adrienne zu helfen.
Im Haus angekommen fand sie jedoch anstelle von Farelyë nur Arwen vor, die so aussah, als wäre sie ebenfalls gerade eben erst dort angekommen.
"Ah, Kerry," begrüßte Elronds Tochter sie mit einem Lächeln. "Dich suche ich. Dies bat man mich, dir zu bringen." Sie zog einen versiegelten Brief hervor und reichte ihn an die überraschte Kerry weiter.
"Ein Brief für mich? Von wem stammt er?" fragt sie nach, und setzte sich an den Tisch, der im Raum stand.
Arwen trat neben sie. "In den Verliesen befindet sich ein junger Dúnadan namens Helluin. Er hatte den Brief von einem gewissen Wolfskönig bei sich und gab ihn mir. Eigentlich wollte er, dass ich ihn Halarîn gebe, aber der Name auf dem Umschlag spricht für sich, nicht wahr?"
Kerry ließ den Umschlag wie vom Donner gerührt sinken. "Helluin ... ist hier?" entfuhr es ihr und sie starrte Arwen mit offenem Mund an.
"Es scheint mir, dass du ihm bereits begegnet bist," sagte Arwen und hob die Augenbrauen. "Ich weiß nicht, ob die Wachen dich zu ihm lassen würden. Doch dieser Brief schien ihm wichtig zu sein. Vielleicht solltest du ihn erst einmal lesen. Doch eines noch: Helluin bat darum, dass seine Mutter nicht erfährt, dass er hier in der Stadt ist."
Kerry spürte ihr Hände zittern, Arwens Worte drangen kaum noch zu ihr durch. Ein Brief von Helluin an mich, dachte sie und spürte, wie ihre Wangen sich erwärmten. Und er ist hier, in Ost-in-Edhil! Sie brach das Siegel und zog das Pergament im Inneren mit etwas Mühe hervor, dann entfaltete sie es auf dem Tisch vor sich und begann zu lesen.

Kerry,

Ich befinde mich auf dem Weg zurück ins Herz von Dunland, um mit den Stammesführern über das Bündnisangebot der Manarîn zu beraten. Wenn alles glatt läuft, werde ich in einer knappen Woche selbst nach Ost-in-Edhil kommen, um mit der Königin - deiner Schwester - zu verhandeln. Ich weiß von einer gewissen Isanasca, dass du ebenfalls dort bist. Es ist einige Zeit vergangen, seitdem wir uns im Dorf des Schildstammes getrennt hatten und du mit Oronêl in Richtung Norden aufgebrochen bist. Ich hatte viel Zeit um nachzudenken und ich habe mit deinem Freund Rilmir gesprochen. Es ist nicht fair dir gegenüber, dir meine Entscheidung auf diesem Wege mitzuteilen, weshalb ich dich eindringlich bitten möchte, in Ost-in-Edhil auf meine Ankunft zu warten. Du bist mir zu wichtig um dir nicht Auge in Auge zu sagen, wozu ich mich entschlossen habe.

~ Aéd

Kerry stützte ihr Gesicht mit beiden Händen ab, die Ellbogen auf den Tisch gestemmt. Das Chaos in ihrem Kopf war nun endgültig vollkommen, so sehr, dass sie kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte. Helluin war hier, in Ost-in-Edhil, und auch Aéd war nun hierher unterwegs. Dazu kam das Chaos rings um Adrienne, und die unausgesprochenen Dinge, die zwischen ihr und Kerry noch offen waren. Sie bleib eine lange Zeit regunglos so sitzen, während sie Arwen auf und abgehen hörte. Die Elbin schien ihr glücklicherweise Raum zu geben, um über die Nachricht in Ruhe nachzudenken. Schließlich verschwand Arwen, und Kerry stellte erschrocken fest, dass es Nacht geworden war. Von draußen fiel etwas Mondlicht herein. Wie lange hab' ich hier gesessen? fragte sie sich und schüttelte den Kopf, dann las sie Aéds Brief noch einmal durch.

In diesem Augenblick kehrten Elea und Finjas zurück. Wo sie gewesen waren wusste Kerry nicht, aber beide sahen so aus, als hätte ihnen die Auszeit gut getan. "Hier riecht es gut," stellte Elea mit einem kleinen Lächeln fest, als sie in das Esszimmer trat und Kerry entdeckt hatte.
"Ähm, das ist Eintopf," erklärte Kerry. "Es ist noch ungefähr die Hälfte übrig, bedient euch doch."
Finjas schien sich das nicht zweimal sagen zu lassen, und er marschierte direkt in die Küche hinüber, um für sich und Elea je eine große Schüssel zu füllen. Die Dúnadan hingegen setzte sich Kerry gegenüber an den Tisch und musterte sie nachdenklich. "Was liest du da, Kerry?" fragte sie schließlich.
"Ein Brief von... einem guten Freund," sagte Kerry. "Arwen hat ihn mir gebracht, sie bekam ihn von Hellu...." Hastig schlug sie die Hände vor den Mund und starrte Elea an. Arwen hatte ihr doch noch eingeschärft, dass Helluin seine Anwesenheit hatte geheimhalten wollen, insbesondere vor seiner Mutter. Ob sie...? dachte Kerry, doch ihre Gedanken kamen nicht weit.
"Helluin?" fragte Elea mit leiser Stimme. "Er hat dir diesen Brief gebracht?"
Kerry konnte Elea nicht anlügen. Sie wurde rot, und sagte schuldbewusst: "Ich ... bin gebeten worden, es dir nicht zu verraten, aber... wieder einmal habe ich meinen Mund nicht halten können..." gab sie kleinlaut zu. "Helluin ist hier, in Ost-in-Edhil. Sie halten ihn in den Verliesen gefangen, die Elben. Arwen ist bei ihm gewesen..."
"Dann ist der Brief von ihm? Darf ich ihn sehen?"
"Nein, er ist nicht von Helluin, aber... du darfst ihn trotzdem sehen," sagte Kerry leise und schob Elea das Pergament hinüber.
Die Dúnadan überflog den Text und blickte dann nachdenklich zu Kerry auf. "Das scheint eine recht private Angelegenheit zu sein," sagte sie.
"Oh, ich, ähm... n-naja, eigentlich suche ich schon länger jemanden, mit dem ich darüber reden kann..." gab Kerry zu.
"Wenn du dich mir anvertrauen möchtest, dann bin ich für dich da, meine Liebe," sagte Elea sanft, doch Kerry konnte eine gewisse Unruhe in ihren Augen sehen. "Doch zuerst muss ich Helluin sehen. Du verstehst das bestimmt."
Kerry nickte, doch sie war hin- und hergerissen. Beinahe hätte sie es gewagt, Elea zu bitten, sie mitzunehmen. Doch etwas hielt sie davon ab. Du bist nur eine Außenstehende. Dich zwischen Mutter und Sohn zu drängen... das wäre nicht angebracht.
„Würdest du gerne mitkommen?“ fragte Elea die verdutzte Kerry.
„Ähm, also wenn ich darf, dann sehr gerne!“ beantwortete sie die Frage hastig und versuchte sich ihre Erleichterung nicht allzu sehr anmerken zu lassen.
„Ich habe da so meine Zweifel, dass man euch zwei in die Verliese lassen wird,“ merkte Finjas an, der mittlerweile seinen Eintopf leer gegessen hatte. „Diese Elben sind nicht unbedingt von der vertrauensseligen Sorte.“
Elea dachte einen Augenblick nach. „Wir sollten nach der Dame suchen, die uns hierher gebracht hat. Ihr Wort scheint bei den Elben hier einiges an Gewicht zu haben. Sicherlich wird sie uns helfen.“
Kerry wusste gleich, wen die Dúnadan damit meinte. „Das ist eine gute Idee! Fangen wir doch gleich am Tor mit der Suche nach Farelyë an!“

Sie warfen sich ihre Umhänge über und zogen los. Unterwegs sprachen sie nur wenig, denn Kerry war viel zu aufgeregt um einen klaren Gedanken zu fassen. Glücklicherweise brauchten sie nicht allzu lange, bis sie Farelyë gefunden hatten - sie stöberten die Elbin in der nähe der Stallungen am Nordtor auf. Als Farelyë gehört hatte, worum es Elea und Kerry ging, erklärte sie sich sofort zur Hilfe bereit.
„Ich denke, ich kann die Wachen überzeugen, euch in die Verliese zu lassen,“ sagte sie und lief voran. „Solange ich für euch bürge, dürfte es keine Probleme geben.“
Diese Annahme stellte sich als korrekt heraus. Die Wachen sprachen mit Farelyë in einem ziemlich komplexen Dialekt, den Kerry kaum verstand, doch schließlich durften sie die Verliese betreten. Elea ging sofort hinein, doch als Kerry ihr folgen wollte, hielt Farelyë sie mit dem Arm auf.
„Was soll denn das?“ wollte Kerry verwundert wissen.
„Dies ist eine Sache zwischen Helluin und seiner Mutter,“ sagte Farelyë und klang wie so oft so, als wüsste sie über alle möglichen Dinge Bescheid, die sie eigentlich überhaupt nicht wissen konnte. „Warte hier.“
Verdutzt und etwas verloren blieb Kerry stehen und kam sich etwas nutzlos vor. Sie fror, weshalb sie über die Schwelle der Verliese trat, aber weiter hinab zu gehen wagte sie nicht. Als sie die Ohren spitzte, hörte sie leise und undeutlich die Stimme von Elea zu ihr herauf dringen... und dann eine zweite, ihr ebenfalls vertraute Stimme.

Helluin. Er war also wirklich hier...
Titel: Re: Ost-in-Edhil
Beitrag von: Eandril am 26. Apr 2021, 22:41
Oronêl und Haleth aus dem Tal des Sirannon (https://modding-union.com/index.php/topic,5003.msg485489.html#msg485489)...

Wo sich vor nicht allzu langer Zeit noch von Gras und Gestrüpp überwucherte und beinahe verschwundene Ruinen befunden hatten, breitete sich jetzt eine Stadt aus. Oronêl war der Anblick des wiedererrichteten Ost-in-Edhil nicht neu, seit er und Kerry vor einiger Zeit auf ihrem Weg von Dunland hier abgewiesen worden waren, doch Haleth schnappte hörbar nach Luft, als sie die Stadt vor sich in der Abendsonne vor sich liegen sah.
"Ich hätte nicht erwartet, dass sie so schnell sind", sagte sie. "Ich habe eigentlich nur eine behelfsmäßige Mauer und ein paar Zelte erwartet, nicht... das."
"Die Manarîn sind erfahrene Baumeister", meinte Oronêl. "Soweit ich weiß hatten sie große Städte in den neuen Landen gebaut, bevor sie von dort fliehen mussten. Und sie sind zur Eile gezwungen, denn weder Sauron noch Saruman können zulassen, dass in diesen Landen ein neues Elbenreich ersteht."
Sie erreichten das östliche Tor noch bevor die Sonne den westlichen Horizont berührte. Weiter vom Gebirge entfernt war die Luft um einiges wärmer, und der Abend war beinahe frühlingshaft lau obwohl noch eine dünne Schneeschicht den Boden bedeckte. An den Mauern waren Elben in großer Zahl geschäftig dabei, die Verteidigungsanlagen der Stadt zu verstärken. Vor der Mauer wurde ein tiefer Graben ausgehoben, während die Mauerkrone von Ballisten verstärkt wurde. Oronêl betrachtete das Werk der Manarîn zufrieden. "Wenn sie gut verteidigt werden, werden die Orks große Schwierigkeiten haben, Ost-in-Edhil zu erobern." Er blickte zu den Bannern über den Toren hinauf, die sanft im Nordwind flatterten. "Und Faelivrin wird dafür sorgen, dass sie im Notfall gut verteidigt werden."
Am Torbogen wurden sie von zwei Elbenkriegern in silbernen Rüstungen angehalten. "Wer seid ihr, und was führ euch nach Ost-in-Edhil?", fragte einer der beiden Krieger, und warf einen misstrauischen Blick auf die Pferde. "Und wie kommt ihr an zwei unserer Rösser?"
"Mein Name ist Oronêl Galion, und meine Gefährtin ist Haleth, eine Waldläuferin aus dem Norden", erklärte Oronêl. "Was eure anderen Fragen angeht... Wir suchen den Rat der Ersten Ivyn und Farelyë und bringen Nachrichten über Geschehnisse an eurer Ostgrenze. Die Pferde sind eine Leihgabe von Prinzessin Isanasca, die sie uns zur Verfügung gestellt hat um so schnell wie möglich hier her zu gelangen. Genügt euch das?"
Der Wächter der ihn angesprochen hatte wirkte ein wenig überwältigt, und sein Partner beugte sich zu ihm hinüber und flüsterte ihm etwas in der Sprache der Manarîn zu. Oronêl glaubte die Worte Königin und Freund zu verstehen. Schließlich nickte er erste der Wächter und sagte: "Ihr dürft passieren, und seid willkommen in Ost-in-Edhil. Wenn ihr wünscht, könnt ihr die Pferde in den Stallungen beim nördlichen Tor unterbringen."
Ohne weitere Zwischenfälle passierten Oronêl und Haleth das Tor, und folgten der Straße entlang der Mauer in Richtung Norden. Zum ersten Mal hatte Oronêl Zeit, die Gebäude der Stadt näher zu betrachten. Die Häuser waren nicht so pracht- und kunstvoll wie die, die er in Imladris oder Mithlond gesehen hatte, doch soweit Oronêl es beurteilen konnte waren sie äußerst solide gebaut und ihre Bauweise sprach von einigem Geschick. Wenn dieses junge Reich überlebte, würde das wiederaufgebaute Ost-in-Edhil spätestens in einigen Jahrzehnten nicht weniger prachtvoll sein als die alte Stadt.
"Es ist eine offene Provokation gegenüber Mordor", sagte er leise vor sich hin. "Hier wurden die großen Ringe geschmiedet, und dafür machte Sauron die Stadt dem Erdboden gleich und vernichtete die Reiche von Eregion. Kein Wunde, dass er seinen Zorn nun gegen die Manarîn richtet." Er blickte auf zu den starken Mauern und den stolzen Bannern, und spürte seine eigene Entschlossenheit, dieses Reich und sein Volk zu verteidigen.
Während Oronêl an den Ställen die Pferde an einen der dort arbeitenden Elben übergab, sah sich Haleth auf dem belebten Platz vor dem Nordtor um. Plötzlich stieß sie ihn mit dem Ellbogen an und deutete mit dem Finger auf einen Punkt auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes. "Sieh mal", sagte sie. "Ist das nicht..."
Oronêl folgte ihrem Blick, und blieb sofort an drei weiblichen Gestalten hängen, die gerade in eine der Straßen davon eilten - eine, die kleinste mit einem geflochtenen, blonden Zopf und die beiden anderen mit offenen, dunklen Haaren. Er griff Haleth am Arm und sagte: "Komm mit."
Sie folgten den dreien in einigem Abstand bis zu einem etwas einzeln stehenden Haus, das von zwei gerüsteten Kriegern bewacht wurde. Oronêl hielt Haleth zurück. "Warte", sagte er, und blieb ein wenig entfernt auf der anderen Straßenseite stehen, beobachtend und abwartend. Nach einem Augenblick ging eine der Frauen hinein - Elea, vermutete Oronêl, da sie eindeutig menschlich war und dunkle Haare besaß - während die anderen beiden draußen warteten. Oronêl fragte sich kurz, was es damit auf sich hatte, und wandte sich dann an Haleth. "Komm, aber leise." Er lächelte. "Vielleicht können wir sie überraschen."
Mit leisen Schritten näherten sie sich dem Haus, doch nicht vollkommen unbemerkt. Die etwas größere der Frauen wandte sich zu ihnen um, und Oronêl erkannte Farelyë. Sie lächelte, und ihre Augen wanderten kurz von Oronêl zu Kerry, die von einem Fuß auf den anderen trat und sich mit den Händen über die Arme fuhr, als ob sie fror. Schließlich schien sie es nicht länger aushalten zu können, und sie trat mit einem Fuß auf die Schwelle des Hauses. Im gleichen Augenblick drang eine männliche Stimme aus dem Haus, die Oronêl sehr bekannt vorkam, und er stockte für einen Augenblick.
"Ich hoffe, ich höre nicht was ich denke", sagte er, und Kerry fuhr so sehr zusammen, dass sie beinahe gestolpert wäre.
Sie drehte sich auf der Stelle, und auf ihrem Gesicht spiegelte sich eine derartige Bandbreite von Gefühlen, dass Oronêl gar nicht erst versuchte, sie zu deuten. Ihm genügte es, dass Überrschung und Freude überwogen.
"Du... das...", brachte Kerry nur hervor, bevor sie ihn so heftig umarmte dass Oronêl fürchtete, sie würde ihm die Rippen brechen. "Wo um alles in der Welt hast du gesteckt?", fragte sie dumpf, das Gesicht gegen sein Brust gepresst.
"Das ist... eine lange Geschichte", antwortete Oronêl, und löste sich sanft aus der Umarmung. Erst jetzt ließ er zu, dass ihn Erleichterung und Erschöpfung gleichermaßen durchströmten. Kerry musterte ihn von oben bis unten. "Du siehst jedenfalls furchtbar aus." Ihr Blick fiel auf Haleth, die ein wenig abseits stand. "Und Haleth! Wie kommst du hierher?"
Haleth lächelte erschöpft. "Hallo Kerry. Wie Oronêl sagt: Das ist eine lange Geschichte."
"Wir hatten beide einen Zusammenstoß mit einer Gruppe Orks, und sind erst in den Minen von Moria entkommen", fasste Oronêl knapp zusammen, bevor Kerry vor Neugierde und Sorge zu platzen drohte. "Genaueres würde ich gerne berichten, wenn alle dabei sind für die unsere Geschichte bedeutend ist - Faelivrin, Ivyn und Farelyë." Beim letzten Wort blickte er Farelyë an, die ihn aufmerksam aus ihren unergründlichen silbernen Augen musterte. Er hatte den Eindruck, dass sie bereits das ein oder andere ahnte, doch ihm war nicht klar, woher.
"Kerry... ist das Helluin, den ich dort drin höre?", fragte Haleth, und Kerry errötete leicht. "Es scheint jedenfalls so, nicht wahr?"
"Er hätte nicht hierher kommen sollen", sagte Oronêl leise. "Oder hat er sein Gedächtnis verloren?"
"Ich weiß nicht", gab Kerry zurück. Ihre Stimme klang mit einem Mal geradezu angriffslustig. "Aber du offenbar. Oder hast du vergessen, dass du ohne Helluin tot wärst?"
Oronêl spürte seinen Wangenmuskel zucken. "Ich habe nichts vergessen. Nichts." Er wandte sich ab und sagte halb an Kerry vorbei: "Es... ich freue mich, dass du sicher hier angekommen bist." An Farelyë gerichtet fügte er hinzu: "Es gibt viel bedrohliches und seltsames zu besprechen. Wir sollten zu Faelivrin gehen."
Farelyë nickte zustimmend, doch er glaubte in ihren Augen einen leichten Vorwurf zu sehen. "Ich werde dich zu meinem Haus führen", erwiderte sie. "Bevor du die Königin und Ivyn triffst, solltest du dich ein wenig... erfrischen."
Oronêl nickte nur stumm und wandte sich um, ohne Kerry anzusehen. Haleth blickte ein wenig verwirrt zwischen ihm und Kerry hin und her, sagte aber nichts. Ohne darauf zu achten ob sie mit ihm kam, folgte Oronêl Farelyë die Straße entlang.
Titel: Re: Ost-in-Edhil
Beitrag von: Eandril am 28. Apr 2021, 18:34
Nachdem er das kleine Tor, unter dem die Straße zum Palast hindurchführte, passiert hatte, blieb Oronêl für einen Augenblick stehen und ließ seinen Blick über den großen Vorplatz und den noch unfertigen, aber bereits beeindruckenden Herrschaftssitz mit der großen Rundkuppel schweifen.
"Die Manarîn waren wirklich nicht untätig", bemerkte er, und Farelyë sprach aus, was er bei der Ankunft in Ost-in-Edhil gedacht hatte: "Sie haben nicht viel Zeit und umso mehr tätige Hände und Geschick." Sie lächelte beinahe ein wenig schüchtern, und Oronêl war überrascht, wie sehr es ihr Gesicht veränderte. Einen Augenblick erinnerte sie ihn mehr an das Mädchen, dass sie in Carn Dûm gefunden hatten als an die Ehrfurcht gebietenden Elbenfrau, zu der sie zu plötzlich geworden war. "Nicht, dass ich viel von der Baukunst verstehen würde."
"Das tue ich selbst nicht. Aber ich kann Schönheit und Geschick erkennen, wenn ich sie sehe." Er strich ein wenig gedankenverloren über den fein gewebten Stoff der Kleidung, die Farelyë für ihn aufgetrieben hatte. Sie entsprach nicht ganz dem, was er normalerweise zu tragen bevorzugte. Normalerweise kleidete er sich lieber in Grün- und Brauntöne, doch hier dominierten helles grau und blau. Seine Kleidung die er aus Bruchtal mitgebracht hatte war jedoch in ihrem gegenwärtigen Zustand nicht angemessen um eine Königin zu treffen, also würde er sich nicht beschweren.
Langsam stieg Oronêl hinter Farelyë die breiten, flachen Stufen zum Palast hinauf. Oben angekommen neigte der Anführer der Wache, ein grimmig wirkender Elb mit einer silbernen Augenklappe respektvoll den Kopf vor Farelyë und sagte etwas im Dialekt der Manarîn.
"Mein Begleiter ist Oronêl Galion aus dem Waldlandreich, ein Freund der Königin", erwiderte Farelyë im Sindarin Mittelerdes. "Er bringt dringliche Nachrichten aus dem Osten."
Der Wächter trat zur Seite und gab den Weg durch die Tür frei. "Die Königin befindet sich mit eurer Meisterin im Thronsaal", sagte er, nun ebenfalls im Sindarin, und fügte an Oronêl gerichtet hinzu: "Ihr dürft den Palast betreten."
Oronêl folgte Farelyë in die große Vorhalle, von deren Säulen dutzende mächtiger Banner in verschiedenen Farben und mit unterschiedlichen Wappen hinab hingen. Er erkannte das Banner der Manarîn, doch auch noch andere die vermutlich die verschiedenen Stämme der Avari in Eregion symbolisierten. Es erinnerte ihn ein wenig an die königliche Halle von Aldburg, doch ungleich erhabener.
Farelyë führte ihn durch die Halle hindurch bis zu der großen Tür hinter der Oronêl den Thronsaal vermutete. Sie legte die flache Hand gegen einen der Türflügel, der scheinbar mühelos und ohne ein Geräusch aufschwang. Der Thronsaal war beinahe vollkommen leer. Am gegenüberliegenden Ende stand erhöht auf einem Podest mit sieben Stufen ein kunstvoller, von zwei hölzernen Sitzen flankierter, Thron, doch alle drei waren unbesetzt. In der Mitte des Saales befand sich ein großer, langgezogener Tisch, auf dem eine große Karte Eregions und der umliegenden Gebiete ausgebreitet lag. Als Oronêl und Farelyë näher traten, hob Faelivrin, die bislang, beide Hände auf den Tisch gestützt, auf die Karte gestarrt hatte, den Kopf.
"Oronêl!", sagte sie, und in ihrer Stimme mischten sich Überraschung und Erleichterung. "Wir hatten von deinem Verschwinden gehört - Morilië hat sich große Sorgen gemacht."
Oronêl verneigte sich, und antwortete: "Ich habe sie bereits auf dem Weg hierher getroffen, Herrin."
Faelivrin machte eine ungeduldige Handbewegung. "Ich erinnere mich, dir das Privileg verliehen zu haben, auf solche Förmlichkeiten zu verzichten. Davon nicht Gebrauch zu machen ist... unhöflich." Oronêl erkannte den Schalk, der bei den letzten Worten kurz in ihren Augen aufblitzte, und erwiderte: "Dann werde ich mir die Förmlichkeiten für offizielle Anlässe aufsparen."
Er wurde wieder ernst, als er an die Nachrichten dachte, die ihn herführten, und ließ kurz einen Blick über die übrigen Anwesenden schweifen. Faelivrin gegenüber stand ihr Enkel Anastorias, in voller Rüstung, und am Kopfende des Tisches stand die hochgewachsene Gestalt Ivyns, die Spitzen ihrer langen Finger leicht auf die Tischplatte gelegt. Es war auch Ivyn, die als nächste das Wort ergriff: "Ich fürchte, du bringst keine guten Nachrichten." Die eisblauen Augen der Ersten schienen ihn geradezu in ihrem Blick gefangen zu halten und vollständig zu durchschauen.
Oronêl schüttelte den Kopf. "Nein, ich fürchte es sind keine guten Nachrichten. Aber... wenn jetzt keine gute Gelegenheit ist, können sie warten." Er blickte kurz zu Anastorias, dessen Gespräch mit seiner Großmutter Oronêls und Farelyës Ankunft offenbar unterbrochen hatte, doch der junge Elb winkte ab. Faelivrin blickte langsam von Ivyn zu Farelyë und schließlich zu Oronêl. "Ich habe das Gefühl, dass deine Neuigkeiten nicht warten können", sagte sie schließlich.
Also begann Oronêl so kurz wie möglich zu erzählen, wie er in Gefangenschaft geraten und nach Moria gelangt war. Als er das eisige Gefängnis in der tiefsten Halle beschrieb, zog Farelyë neben ihm scharf die Luft ein und richtete den Blick mit einer heftigen Bewegung an die Decke weit über ihnen. Sie sah aus, als wäre ihr übel.
"Du bekommst deine Antworten", sagte Ivyn ernst und gleichermaßen rätselhaft, und bedeutete Oronêl mit einer Geste, fortzufahren.
Also berichtete er über das Ritual, dass die Orks durchgeführt hatten, und als er beschrieb wie das Wesen aus dem Eis gebrochen war, hatte Farelyë die Hände vor den Mund geschlagen.
"Ich... erinnere mich", stieß sie leise hervor. Ihr Gesicht hatte eine ungesunde Blässe angenommen, und sie atmete schnell und flach, wie unter Schock. "Das Eis, ich... Farel..." Sie holte zitternd Atem. "Ich... weiß nicht was dieses Wesen ist. Aber ich glaube ich bin ihm begegnet."
"Es hat keinen Namen", brach Ivyns Stimme das Schweigen, dass sich nach Farelyës letzten Worten über den Thronsaal gelegt hatte. "In den ersten Tagen nach dem Erwachen streiften viele merkwürdige Wesen durch die Welt. Einige waren freundlich, andere beachteten uns nicht, und einige... einige jagten uns. Ich kenne dieses Wesen, dass du beschreibst, Oronêl. Vor vielen tausend Jahren bin ich selbst ihm oder einem seiner Art begegnet, und um ihn Haar hätte mich das gleiche Schicksal ereilt wie Farelyë. Es gab viel Geflüster in den frühen Lagern der Quendi über Schatten aus Kälte und Eis, doch sie haben nie einen Namen erhalten. Wir nannten sie nur die namenlosen Schatten."
"Wie es heißt ist doch eigentlich bedeutungslos", meldete sich Anastorias zu Wort. "Wichtiger ist die Frage - wie besiegen wir es?"
"Viel dringlicher ist noch, welche Gefahr es für unsere Krieger in Rómen Tirion darstellt. Für Isanasca." Faelivrins Hände umklammerten die Tischkante so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten, und zwischen ihren Augenbrauen hatte sich eine besorgte Spalte gebildet.
Oronêl strich gedankenverloren mit der Hand über das glatte Holz des Tisches, den Blick auf das kleine Symbol am Oberlauf des Sirannon, das Rómen Tirion darstellte, gerichtet. "Auf die zweite Frage kann ich vielleicht Antwort geben", sagte er. "Ich bin in meiner Erzählung nicht so weit gekommen, doch wir sind durch das Westtor von Moria geflohen. Ich habe die Anwesenheit des Schattens in der Nähe der Tore nicht gespürt und... ich glaube, dass wir es mit verschiedenen Parteien zu tun haben. Die Orks, die Eregion in diesem Moment angreifen sind Diener Sarumans, doch jene die den Schatten befreit haben, führten das Zeichen der Weißen Hand nicht. Ich denke, sie folgen Mordor."
"Also haben wir noch Zeit, bis dieser Schatten aus dem Gebirge kommt", meinte Anastorias zuversichtlich. Faelivrin hatte sich hingegen durch Oronêls Worte kaum entspannt. "Zeit, in der wir den Angriff Sarumans abwehren müssen. Ich glaube nicht, dass Saurons Diener uns danach viel Zeit zur Erholung lassen werden."
"Und dennoch hat Calanto recht", warf Ivyn ruhig ein. "Diese Tatsache verschafft uns wertvolle Zeit, Pläne zu schmieden. Vielleicht gibt es einen Weg..." Sie blickte zu Farelyë, die noch immer kurz vor einem Zusammenbruch zu stehen schien. Mit einem Mal wurde Oronêl bewusst, dass Farelyë zwar ebenso alt war wie Ivyn selbst, doch nur die Erfahrgungen aus wenigen Lebensjahren besaß. In dieser Hinsicht war sie trotz ihres erwachsenen Aussehens noch immer beinahe ein Kind.
Ivyn kam mit leisen Schritten um den Tisch herum und legte Farelyë eine Hand auf die zitternde Schulter. "Komm mit mir. Ich weiß einen Ort, an dem du dich erholen kannst..."

Als Ivyn und Farelyë den Thronsaal verlassen hatten, atmete Faelivrin tief durch und Oronêl konnte die unsichtbare Bürde auf ihren Schultern geradezu sehen. Schließlich sagte sie: "Oronêl, wenn du Moria durch das Westtor verlassen hast musst du durch das Tal des Sirannon gekommen sein. Hast du..."
"Wir sind deiner Tochter in Rómen Tirion begegnet. Sie hatten mit Orkangriffen zu tun und die Brücke zur Feste wurde weggeschwemmt als die Orks den See freigesetzt haben, doch sie schienen sich gut zu halten - ich glaube, dass Mathan mit seiner Truppe rechtzeitig dort eintreffen wird um den Turm zu halten."
Faelivrin nickte ein wenig abwesend, und starrte ebenfalls auf das kleine Turmsymbol auf der Karte. "Wie... wie ging es Isanasca? War sie verwundet, oder...?"
"Unverletzt, soweit ich es sehen konnte", antwortete Oronêl. Er bemerkte, dass auch Anastorias ihm aufmerksam zuhörte - natürlich, schließlich war Isanasca seine Mutter. "Ich glaube nicht, dass du dich um sie sorgen musst. Sie scheint eine fähige Kriegerin und Kommandantin zu sein."
"Das weiß ich, aber..." Faelivrin lächelte ein wenig traurig. "Sie ist ein unserer Besten, ich bin nicht blind für ihre Fähigkeiten. Aber sie ist auch meine Tochter, und ich werde mich immer um sie sorgen, wenn sie in Gefahr ist."
"Ich verstehe", meinte Oronêl leise, und es war nicht gelogen. Tatsächlich dachte er seit ihrem Treffen in Lórien oft daran wie es Mithrellas ging, und meistens waren diese Gedanken mit Sorge vermischt.
"Also...", brach Anastorias schließlich das lange Schweigen. "Diese Nachrichten über Banditen, Unruhestifter auf den Hängen im Nordosten. Was werden wir unternehmen?"
Bei seinen Worten straffte Faelivrin sich sichtlich, und richtete sich wieder zu ihrer vollen Größe auf. "Wir können uns es in der derzeitigen Situation nicht leisten, nicht zu reagieren. Du wirst fünfzig Kämpfer nehmen und herausfinden, was dort vor sich geht." Anastorias nickte knapp, und Faelivrin fügte hinzu: "Doch sei vorsichtig - deine Mission ist es nicht, einen offenen Kampf zu wagen, sondern zunächst nur herauszufinden, was dort vor sich geht. Nicht mehr."
Anastorias wirkte beinahe ein wenig enttäuscht, erwiderte aber: "Natürlich, ich habe verstanden. Ich werde eine Truppe zusammenstellen." Er wandte sich zum Gehen, doch Oronêl hielt ihn zurück.
"Ich werde mitkommen, wenn du erlaubst", sagte er kurzentschlossen. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, die Stadt so schnell wieder zu verlassen, doch die Tatsache, dass sich Helluin in Ost-in-Edhil befand, hatte seine Meinung umschlagen lassen.
"Es würde mich freuen", erwiderte Anastorias etwas überrascht. "Aber ich würde es verstehen, wenn du einige Tage der Ruhe vorziehen würdest." Oronêl war sich nur allzu bewusst, wie er aussehen musste - er hatte sich in Farelyës Haus Staub und getrocknetes Blut abgewaschen, doch dadurch waren seine zahlreichen Schrammen, Kratzer und Schnitte natürlich noch nicht geheilt. Dennoch winkte er ab. "Es sind keine ernstlichen Verwundungen, und sie werden unterwegs genauso schnell heilen wie hier. Wann brichst du auf?"
"Bei Sonnenaufgang." Anastorias warf Faelivrin einen fragenden Blick zu, und sie nickte. Oronêl tat es ihr gleich. "Also gut. Morgen bei Sonnenaufgang."
Sobald Anastorias den Raum verlassen hatte, löste Faelivrin ihren Blick von der Karte. "Gibt es einen Grund für deinen überstürzten Aufbruch?", fragte sie, und Oronêl schüttelte den Kopf. "Es ist nichts. Ich... sollte mich wohl ebenfalls ein wenig ausruhen."
Als erfahrene Diplomatin erkannte Faelivrin, wann es keinen Sinn hatte, weiter nachzubohren. "Ich bin sicher, es wird sich irgendwo im Palast ein Ort für dich finden lassen." Sie sah sich im Thronsaal um, als ob sie erst jetzt bemerken würde, dass er bis auf sie und Oronêl verlassen war. "Offenbar muss ich mich selbst darum kümmern. In der Zwischenzeit würde sich meine Mutter sicher freuen, dich zu sehen..."
Titel: Überraschende Begegnungen
Beitrag von: Thorondor the Eagle am 29. Apr 2021, 21:54
Im Arrest bei Helluin:

Aus Sicht von Elea

Hunderte gar tausende Male hat sich Elea ausgemalt wie das Treffen mit Helluin sein würde nachdem sie ihn nach all den Jahren wiedersehen würde. Sie träumte davon, dass sie ihn in die Arme schließen und seine Wange an ihrem Gesicht fühlen würde. Sie wollte ihm behutsam über den Hinterkopf und den Rücken streichen und ihm die Geborgenheit geben, die ihm während den Jahren der Ausbildung entbehrt blieb. Und sie wünschte sich, dass seine kindliche Art sie wieder erheitern würde. Doch all diese Vorstellungen waren zerplatzt im letzten Jahr bei der Ratsversammlung in Aldburg. Ihr Herz blieb damals stehen, als sie in diese unterkühlten, seelenlosen Augen sah – in die Augen ihres Sohnes den sie nicht mehr kannte.
Ihre Erwartungen an ein weiteres Treffen waren nicht mehr sehr groß gewesen, aber Hoffnung hatte sie immer. Die Hoffnung, dass ihr Sohn oder sie selbst eines Tages aus diesem Albtraum aufwachen würden und die kleine Kerry, mit ihrem unschuldigen, tollpatschigen aber zutiefst ehrlichen Wesen hatte diese noch befeuert. Die Hände der Mutter zitterten, was sie versuchte zu unterdrücken. Ihr Herz hämmerte unentwegt gegen die Brust. Es schrie nahezu vor Aufregung als sie in die zwar erfahreneren, aber gleich verschmitzten blauen Augen von Helluin blickte.

„Mama“, entgegnete er überrascht und richtete sich auf seiner Pritsche sitzend auf.
Ihr fehlten die Worte und blieb still. Sie wollte auf ihn losstürmen, aber etwas hielt sie zurück.
„Was machst Du hier?“, fragte er verunsichert.
Ihre Lippen bewegten sich, aber erst nach kurzer Zeit stotterte sie: „Bist du es?“
Er starrte sie an, während seine Augen wässrig wurden. Ehe Tränen über seine Wangen kullerten sah er beschämt auf den Boden. Ohne jedwedes Zögern ging sie auf ihn zu und schloss ihn in den Arm.

Aus Sicht von Helluin

Mit Müh und Not konnte Helluin ein Schluchzen unterdrücken. Er saß noch immer auf seiner Schlafstelle, als ihn seine Mutter in den Arm schloss. Sein Gesicht drückte sie sanft gegen ihren Oberkörper, mit den Händen streichelte über sein Haupt. „Mein Schatz“, hörte er sie flüstern.

Er schämte sich so für alles was er getan hatte für jeden der Dunedain den er betrogen hatte und vor allem für die eiskalten Worte die er mit ihr zuletzt gewechselt hatte. Auch wenn er unter Sarumans Bann stand, so konnte er sich gut daran erinnern. „Es tut mir leid“, sagte er leise und kämpfte mit weiteren Tränen. „Schon gut. Alles ist gut.“ Für einen Moment verharrten sie so, dann setzte sie sich neben ihn. Längst hatte er Elea an Körpergröße eingeholt.
„Wie ist es dir ergangen?“, fragte sie los „Wie bist du hierhergekommen? Was ist passiert?“
„Ich… ich…“, er wusste nicht was er sagen sollte. Seine Vergangenheit als Verräter konnte er nicht erwähnen, dazu war er noch nicht bereit „Über Edoras und Aldburg kam ich von den Waldelben des Düsterwaldes. Es war eine lange Reise.“
„Und eine beschwerliche“, ergänzte sie ihn.
„Ja, das Glück war dankenswerter Weise meist auf meiner Seite und ich bin auf die Richtigen getroffen. Ein paar Elben und Menschen konnte ich zumindest überzeugen, dass ich nicht mehr so“, er stockte kurz „so bin wie früher.“
„Und dafür bin ich unendlich dankbar“, entgegnete sie.
„Zuletzt war es Aragorn der mir die Freiheit bescherte.“
„Aragorn?“, fragte sie ungläubig.
„Ja, dein Vetter.“
„Er lebt?“, die Überraschung dieser Nachricht überlagerte wohl die Freude die sie empfinden sollte „Du meine Güte, Arwen! Wir müssen es ihr sagen.“
„Sie war bereits bei mir“, entgegnete Helluin „Aber ich war so überrascht von ihrem Besuch.“
„Weißt du welche Last du von ihren Schultern nimmst, wenn du ihr davon berichtest?“, er nickte nur „Und wie ist er? Wie geht es ihm?“
„Aragorn hat sich verändert. Auch wenn ich nicht so genaue Erinnerungen an ihn habe, so ist sein Geist nun düsterer als noch in der Vergangenheit und die Jahre der Gefangenschaft haben ihn geprägt. Aber“
„Aber?“, unterbrach sie ihn.
„Er weiß um seine Aufgabe und um sein Schicksal und er kämpft weiter unerbittlich dafür.“
Sie lächelte ein wenig: „Das Blut von Numenor fließt in seinen Adern, so wie auch in deinen.“
Diese Worte verunsicherte den jungen Mann wiederum. Er war es nicht mal Wert im Schatten von Aragorn zu stehen, geschweige denn in einem Satz mit ihm erwähnt zu werden.
„Was ist los?“, fragte Elea ihn besorgt.
„Aragorn ist so stark und unbeugsam, selbst mir hat er vergeben und sich sogar auf meine Stufe gestellt. Niemals hätte ich seinen Platz einnehmen können, niemals hätte ich nur annähernd so großzügig und gerecht sein können wie er es ist. Denkst du sie werden mir irgendwann vergeben?“
„Wer?“
„Unser Volk.“

Aus Sicht von Elea

Diese Frage hatte die Frau immer sehr gequält. Was würde passieren, wenn die Dunedain – der Sternenbund – Helluin in die Finger bekommen würde. Würden sie ihn gerecht behandeln? Was wäre in ihren Augen gerecht für ihn. Aber sie unterdrückte ihre Zweifel und ihre Sorgen für diesen Moment sprach ihm gut zu: „Natürlich werden sie. Wenn sie erkennen, dass du wieder du bist, dann werden sie dir vergeben so wie auch Aragorn und ich dir verziehen haben.“
„Wer weiß schon, ob ich jemals wieder ich sein kann.“
„Das bist du mein Liebling. Eine Mutter spürt so etwas.“
Er lächelte ihr zuversichtlich und dankbar zu.
Elea konnte noch immer nicht fassen, dass sie Helluin endlich wieder vor sich hatte. So wie er war, so wie er sein sollte. Mit legte ihre Hand auf seine Schulter und strich dann langsam seinen Arm herab. Sie fühlte seinen Muskeltonus und ihr wurde klar, dass er mittlerweile erwachsen geworden war. Nicht nur körperlich, sondern auch im Geist, durch das was ihm alles widerfahren war.

„Kannst du Arwen etwas übergeben?“, fragte Helluin sie plötzlich.
„Arwen?“ wiederholte die Mutter.
„Ja. Aragorn hat mir etwas mitgegeben, eine Botschaft für seine Geliebte.“
„Ich denke, dass solltest du ihr selbst überreichen. Ich werde sie dir zu dir schicken. Wieso war sie bei dir?“
„Die Dunländer haben die fremden Elben beauftragt, Bruchtal über meine Ankunft zu unterrichten.“
„Und sie hat mir kein Wort gesagt“, antwortete Elea etwas ärgerlich.
„Sie nicht? Woher weißt du es dann?“
„Nun, von…“, sie unterbrach abrupt und erinnerte sich an die Vergangenheit von Kerry und Helluin „Nun das wirst du schon noch erfahren.“
Doch ehe er nachfragen konnten stand bereits die blonde Rohirrim in der Tür.

Aus Sicht von Helluin

„Kerry“, stieß es ihm überrascht heraus und sprang auf. Helle Freude überkam ihn als er in das vertraute, hübsche Gesicht sah.
„Mir ist es herausgerutscht“, antwortete sie verlegen.
„Das überrascht mich gar nicht“, entgegnete er lächelnd.
Plötzlich räusperte sich Elea.
„Entschuldige Mutter“, sagte er etwas förmlicher in Kerry’s Anwesenheit.
„In Aufrichtigkeit hat dir Kerry aber noch einiges voraus mein Lieber“, tadelte sie ihn mit schönen Worten „Aber ich weiß wann ich überflüssig bin und hier kannst du mir auch nicht mehr so leicht entwischen. Ich lasse euch ein paar Minuten alleine und komme dann nochmal zu dir.“
Er nickte ihr dankend zu und ließ sich von Elea auf die Wange küssen. Der Dúnadan lauschte noch den leiser werdenden Schritten auf dem Gang, als sie verstummt waren wandte er sich der jungen Frau zu.

„Endlich Kerry, endlich habe ich dich gefunden.“ Er war ganz aufgeregt.
Verlegen setzte sie ein zaghaftes Grinsen auf: „Wieso?“
„Weil du es warst die mir geholfen hat.“
„Ich habe dir geholfen?“
„Ja. Du warst es Kerry. Du hast mich von Saruman befreit.“
Ungläubig starrte sie ihn an: „Nein, du irrst dich.“
Er ging auf sie zu und packte sie sanft auf den Oberarmen: „Doch, mit dir hat alles begonnen Kerry. Wärst du nicht gewesen, hätte ich mich niemals von Saruman abgewandt und mich von ihm befreit.“
Er sah die Gänsehaut auf ihren Unterarmen aufgehen.
„Noch immer versucht er mich zu greifen, aber bisher konnte ich ihm entgehen.“
„Saruman versucht dich wieder auf seine Seite zu ziehen?“, entgegnete sie „Lass das ja nicht zu!“ Ihre Fäuste ballten sich dabei.
„Nein, nicht wenn du bei mir bist. Dann hat er keine Chance.“
„Einem Zauberer habe ich nichts entgegenzusetzen. Ich weiß nicht was du dir von mir erhoffst.“
„In dir steckt viel mehr als du glaubst.“ Erst jetzt bemerkte Helluin wie leicht er sich in Kerry’s Gegenwart fühlte und wie fröhlich er war „Das hat mir jeder auf meiner Reise bestätigt. Du bist etwas ganz Besonderes.“
„Ach was“, tat sie es ab.
Er zog sie zu sich und umarmte Kerry innig: „Danke Kerry. Danke für alles was du für mich getan hast. Und das du an mich geglaubt hast.“
Die Rohirrim antwortete nichts. Er spürte wie sich auch ihre Arme um ihn schlossen.
„Woher wusstest du, dass ich hier inhaftiert bin?“, fragte er als sie sich lösten.
„Arwen hat mir den Brief übergeben“, antwortete sie locker. Dann schnappte sie plötzlich nach Luft und vergrub ihren Mund in ihrer Hand.
„Den Brief von Aed?“, fragte er irritiert „Wieso sollte sie ihn dir geben?“
„Ich kenne die Elben hier gut“, stotterte sie nervös herum.
Was soll das? Ich meine, ich weiß Kerry hat einen besonderen Bezug zu den Elben, das hat sie damals schon gesagt und ihre Freundschaft mit diesem Oronel… Aber Arwen und der Bote von Bruchtal… Sie kennen hier auch alle. Etwas stimmt hier nicht.
„Was ist denn los?“, bohrte er nach.
„Es ist nichts.“
„Ein bisschen kenne ich dich aber schon.“
Sie seufzte: „Ach du findest es früher oder später ja doch heraus: Der Brief, er war für mich.“
Falten bildeten sich auf Helluin’s Stirn: „Für dich?“
Sie nickte.
„Du bist?“
„Irgendwie schon“, stotterte sie daher. Unbeabsichtigt zuckte Helluin ein wenig zurück.
„Es, es tut“, Kerry schien nicht so recht zu wissen was sie sagen soll.
„Alles ist gut“, beschwichtigte er sie „Du freust dich sicherlich, wenn er in ein paar Tagen hier ankommt.“
„Ich bin aber auch froh dich zu sehen.“
„Ja, natürlich“, sagte er. Er wurde traurig „Danke, dass du meiner Mutter Bescheid gegeben hast. Ich bin doch froh sie gesehen und mit ihr geredet zu haben.“
Sichtlich schuldig sah sie ihn an: „Ich werde meine Familie bitten die freizulassen und sie von deiner Befreiung von Saruman überzeugen.“
Es war eine merkwürdige Verabschiedung mit bitterem Beigeschmack.
Titel: Oronêls Rückkehr
Beitrag von: Fine am 1. Mai 2021, 20:11
Ehe Kerry den Raum, in dem Helluin gefangen gehalten wurde verließ, dreht sie sich noch einmal um, und schloss ihn fest in die Arme. "Ich bin... einfach so froh, dass du hier bist," sagte sie leise, alle Gedanken für einen Moment aus ihrem Kopf verbannend. "Ich weiß, dass wir uns am Rande des Düsterwalds nicht gerade unter den besten Umständen verabschiedet haben... aber seitdem hatte ich, naja... sehr viel Zeit zum Nachdenken. Und... was du da vorhin gesagt hast, dass du dich wegen mir von Sarumans Kontrolle befreien konntest... ich verstehe noch nicht genau wieso, aber... es hilft mir, das Chaos in meinem Kopf ein wenig zu beruhigen." Kerry spürte, wie sie rot wurde. Wie lange hatte diese Umarmung jetzt schon gedauert? Aber sie wollte ihn noch nicht loslassen. Am liebsten überhaupt nicht mehr. Mit einem Mal konnte sie Elea sehr, sehr gut verstehen. Und obwohl Helluin noch kein Wort gesagt hatte, spürte oder ahnte Kerry doch, dass auch er die Berührung nicht unangenehm zu finden schien. Kerry wurde ruhiger. Das Durcheinander, das der Brief von Aéd und der Wirbel um Adrienne - und deren Kuss - in ihr ausgelöst hatte, legte sich so langsam. Sie hörte, wie Helluin den Mund öffnete, um etwas zu sagen, doch anstelle seiner Stimme war es die Stimme einer Frau, die an Kerrys Ohren drang:
"Es sieht ganz so aus, als hätte mich meine Intuition nicht getäuscht."
"E-Elea!" stammelte Kerry erschrocken und ließ Helluin los, machte einen hastigen Schritt von ihm weg.
Auch Helluin blickte etwas unbehaglich drein, doch er hielt dem Blick seiner Mutter stand. Elea war soeben in den Raum zurückgekehrt - oder war sie etwa schon eine Weile in der Türe gestanden? Kerry wusste es nicht. Sie selbst war in das improvisierte Verlies erst hinabgestiegen, als sie es trotz Haleths Gesellschaft draußen auf der Straße nicht mehr ausgehalten hatte.
"Ihr braucht gar nicht so verlegen drein zu blicken, ihr beiden," sagte Elea sanft. "Ich sagte doch, dass ich euch nur ein paar Minuten alleine lassen werde, um euch auszutauschen... da dachte ich mir schon, dass sich mein Verdacht bestätigt."
Kerry wusste nicht, was sie der Dúnadan darauf antworten sollte. Da ihr nichts Besseres einfiel, drängt sie sich mit hochrotem Kopf zum Ausgang durch und sagte: "D-dann werde ich jetzt dasselbe tun, und euch Zeit für einander geben! Und ich werde gehen, und mich bei meiner Schwester dafür einsetzen, dass du freigelassen wirst, Helluin, ich versprech's dir!"
"Pass dort draußen auf dich auf, Kerry," bat Helluin sie noch, dann nickte sie und ging.

Draußen fand sie noch immer Haleth vor. Die Waldläuferin blickte relativ nachdenklich drein. "Elea war gerade bei mir," sagte sie und schaut Kerry in die Augen. "Also stimmt es. Helluin hat seine Irrfahrt in den Osten überlebt und ist jetzt hier... Ich hoffe, du fällst nicht auf seine Täuschungsmanöver herein, Kerry."
"Wie meinst du das?" fragte Kerry erschrocken. "Er steht nicht länger im Banne Sarumans... das hat er mir selbst gesagt."
"Hat er das?" Haleth schüttelte mit einem mitleidvollen Lächeln den Kopf. "Du hast nicht gesehen, was ich gesehen habe. Zu was dieser junge Mann im Stande war. Kerry, er ist Schuld am Fall des Goldenen Waldes! Oronêls eigene Heimat, ist dir das klar?"
"Aber das war nicht ... nicht wirklich Helluin!" beteuerte Kerry. "Er wollte niemals dass es so weit kommt..."
"Wie kannst du das so sicher sagen?" verlangte Haleth zu wissen und stemmte die Hände in die Hüften. "Wer sagt, dass du nicht gerade einer gewaltigen Täuschung zum Opfer fällst?"
Kerry nahm Haleths Hände und schaute ihrer Freundin ins Gesicht. "Bitte, lass uns darüber jetzt nicht streiten," begann sie etwas zaghaft, aber mit Nachdruck in der Stimme. "Du bist verletzt, es ist kalt hier draußen und wir beide sind erschöpft, das kann ich sehen. Lass mich dich zu meiner Unterkunft bringen und mir deine Wunden ansehen... ich glaube, ein wenig ist von Irwynes Lektionen noch hängen geblieben. Was Helluin angeht, machst du dir am besten selbst ein Bild, oder sprichst mit seiner Mutter, wie sie es sieht... bis auf Weiteres halten die Manarîn ihn gefangen, und sollte er wirklich ein Betrüger sein... geht von ihm derzeit keine Gefahr aus."
Haleth hielt Kerrys Hände fest, ihr Blick zeugte von Überraschung, aber auch dass sie beeindruckt war. "Meine liebe Kerry," sagte sie dann, im vollkommen veränderten Ton, sanft und bewundernd. "Du bist gewachsen, Kleine. Stünden wir jetzt in Fornost, bin ich mir sicher, dass du mich auf Knien angefleht hättest, Helluin blind zu vertrauen. Aber irgendetwas muss dir auf deinen Reisen geschehen sein. Ich glaube, ich werde deinen Rat annehmen... den weisen Rat, einer Freundin. Du hast Recht - wir sollten nichts überstürzen, und... mein Bein tut verdammt weh. Etwas Warmes für den Magen wäre jetzt genau das Richtige, und danach... möchte ich schlafen, einfach nur schlafen... Ich verstehe nicht, wie Oronêl das macht. Er ist schon wieder losgerannt, und will sich ins nächste Abenteuer stürzen, kaum dass wir den Schrecken der Tiefen Morias entronnen sind."
"Naja, er ist eben Oronêl," erwiderte Kerry. "Und er ist ein Elb. Aber nun komm... wir sollten los." Für sich behielt sie, dass sie die dumpfe Ahnung hatte, dass Helluin der Grund war aus dem Oronêl so schnell wieder fortgehen wollte, und sie nahm sich vor, ihn zur Rede zu stellen, ehe er die Stadt verlassen konnte. Sie hatte ok hin das Bedürfnis, mit ihm über seine Erlebnisse seit ihrer Trennung im Norden  Eregions zu sprechen, und sie hatte ihn vermisst und wollte wissen ob es ihm gut ging.

In Farelyës Haus angekommen teilte ihnen die dort verweilende Arwen mit, dass Oronêl mit Farelyë vor einiger Zeit zum Palast gegangen war. Kerry war froh, Elronds Tochter zu sehen, denn Arwen war selbst eine ausgezeichnete Heilerin, und würde Haleths Verletzungen deutlich professioneller behandeln können, als es Kerry selbst möglich gewesen wäre. Dennoch half sie tatkräftig mit, als sich Arwen die Waldläuferin ansah, und bereitete ihr im Anschluss eine einfache, aber heiße Suppe zu. Haleth sprach nur wenig, und schließlich übermannte sie die Müdigkeit, nachdem sie ihre Suppe ausgelöffelt hatte. Mit etwas Mühe legten Arwen und Kerry Haleth in eines der Betten. Kerry war selbst ziemlich erschöpft, dabei hatte sie doch eigentlich noch so viel vor. Sie wollte unbedingt noch nach Adrienne sehen, und nach Halarîn... und dann war da natürlich noch Oronêl. 
"Du bist bei Helluin gewesen," stellte Arwen fest. Ihrem Blick blieb wohl nur wenig verborgen.
Kerry nickte. "Elea ist noch immer bei ihm. Ich hoffe, die Manarîn lassen ihn bald frei..."
"Ich nehme an, du hast vor, ihnen genau dies vorzuschlagen?"
"Ja..." bestätigte Kerry. "Aber zuerst gibt es Wichtigeres zu tun. Ich muss Oronêl finden, ich weiß dass er wieder in der Stadt ist... und ich mache mir Sorgen um ihn. Ich weiß nicht, was er durchgemacht hat, seitdem wir voneinander getrennt wurden. Und... naja, es ist so, ich...weiß, dass es anmaßend klingen mag, aber... mittlerweile kenne ich ihn ein bisschen, und... ich glaube, dass es etwas gibt, dass ich ihm sagen sollte. Sagen muss."
Arwen warf ihr einen Blick zu, der für Kerry vielerlei Dinge bedeuten konnte. "Dann musst du gehen, und zwar gleich. Du kannst ihm bei dieser Gelegenheit seinen Bogen bringen, den haben wir aus Imladris die ganze Zeit mit uns geführt und nun, da Oronêl wieder da ist, sollte er ihn zurückerhalten. Suche deinen Freund beim königlichen Palast, sprich mit ihm und händige ihm seine Waffe aus.“

Mittlerweile kannte Kerry den Weg zu Faelivrins Palast gut genug, um sich nicht zu verlaufen, und die Wachen kannten nun ihr Gesicht sowie das hellblaue Kleid nach Art der Manarîn, das sie noch immer trug. Man ließ sie ungehindert passieren, und der Hauptmann der Garde nickte ihr mit einem irgendwie aufmunternden Lächeln zu, als er respektvoll sagte: "Hírilya Morilië." Kerry blieb erstaunt stehen. Dieser Krieger, dessen Namen sie nicht einmal kannte, schaffte es, sie mit dem lockeren Klang seiner Stimme und seiner Miene so sehr aufzubauen, dass sie glauben musste, dass er über ihre gesamten Gedanken und Erlebnisse Bescheid wusste. Natürlich war dem nicht so - woher hätte er es auch wissen sollen? Dennoch nahm sie sich vor, in einer ruhigen Minute mit dem Gardekommandanten zu sprechen, und ihn kennenzulernen.
Doch dafür blieb nun keine Zeit. Sie musste Oronêl finden. Auch wenn sie nicht genau wusste wieso, gab es da ein Gefühl in Kerrys Herzen, das sie zur Eile drängte.
Im Inneren des Palastes herrschte eine gespenstische Leere. Doch dann hörte Kerry Schritte zu ihrer Linken. Einen langen, säulengerahmten Gang entlang fiel ihr Blick, und sie sah gerade noch, wie eine ferne Gestalt, die Oronêl hätte sein können, dort um die Ecke bog. Sie eilte los, so gut ihr Kleid es eben zuließ, und verfluchte sich dafür, dass sie sich nicht vorher umgezogen hatte. An der Ecke angekommen kam sie auf dem glatten Marmorboden schlitternd zum Stehen. Um die Biegung herum führte ihr Weg sie in einen weiteren, langen Gang. In großer Entfernung entdeckte sie Oronêl und Faelivrin, die eine der vielen Türen öffnete. Dann nickte Oronêl der Königin zu und betrat den Raum, noch während Kerry loslief. Faelivrin selbst bog in ein nahes Treppenhaus ein und verschwand. Beide waren noch immer so weit weg, dass Kerry fünf lange Minuten brauchte, bis sie endlich vor der Tür stand, hinter der Oronêl sich befinden musste. Sie keuchte und schwitzte, und gab vermutlich einen fürchterlichen Anblick ab, also hielt sie schwer atmend inne, und begann, ihren Zopf zu lösen und neu zu flechten, diesmal nicht nach der für sie so typischen Art der Rohirrim, sondern stattdessen nach Elbenart, wie sie es von Halarîn gelernt hatte. Das gab ihr Zeit, sich zu beruhigen, und als sie fertig war, klopfte sie fünfmal sachte, aber hörbar an die Tür.

"Herein," kam Oronêls Stimme undeutlich zu Kerry durch, und sie schob die schwere, hölzerne und verzierte Türe auf. In dem kleinen Zimmer, was wohl für Gäste eingerichtet worden war, stand Oronêl und blickte über die Schulter zur Tür. Er hatte wohl gerade seine Habseligkeiten vor sich ausbreiten wollen. Als er Kerry sah, hörte sie, wie er tief einatmete. Dennoch wirkte er nicht abweisend. "Du bist also hier," stellte er ruhig fest.
"Ja, Oronêl, ich bin hier," sagte Kerry, betrat das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. "Gut, dass ich dich hier treffe.“
„Mir scheint das kein Zufall zu sein, Kerry,“ erwiderte er ruhig.
„Wir hatten keine Zeit zu sprechen vorhin,“ begann Kerry vorsichtig. „Dabei hatte ich dich für vermisst gehalten und nun bist du wieder da. Was ist dir nur passiert?“
Oronêl musterte sie einen Augenblick lang. „Haleth und ich sind ein paar Orks in die Hände gefallen,“ erklärte er knapp. Er klang distanziert und relativ kühl, sodass bei Kerry alle Alarmglocken zu läuten begannen.
„Und ihr seid diesen Orks entkommen? Geht es dir gut, bist du verletzt?“ fragte sie besorgt.
„Es geht mir gut. Ich bin mir sicher, Haleth erzählt dir gerne die ganze Geschichte... ich habe das Gefühl, dass du noch aus einem anderen Grund hier bist.“
Erwischt, dachte Kerry. „Ich... hatte gehofft, dich noch zu erwischen, bevor du..."
"Bevor ich was, Kerry?"
"Bevor du wieder fortgehst," sagte sie leise. Sie konnte ihn nicht ansehen. "Ich verstehe es nicht, Oronêl. Du bist endlich wieder bei uns, in Sicherheit, und nun... willst du wieder gehen, nur... wegen Helluin?" Sie hielt es nicht mehr aus, sie musste ihren Verdacht einfach äußern.
Oronêls Blick war durchdringend, doch er bliebt ruhig, und weiterhin kühl. „Ich möchte ihn nicht sehen. Was er getan hat ist unverzeihlich," sagte Oronêl leise.
„Aber...“ begann Kerry.
„Dass er mir vielleicht das Leben gerettet hat macht seine bösen Taten nicht ungeschehen,“ stellte Oronêl klar.
"Erinnerst du dich an Tharbad?" fragte Kerry, die einen Einfall gehabt hatte. "An meinen... Streit mit Aéd, als es um die Feindschaft zwischen unseren Völkern ging?"
"Ich erinnere mich," sagte Oronêl langsam und hob die linke Augenbraue, dann verschränkte er die Hände vor der Brust, als er sich zu Kerry ganz umdrehte.
"Du warst es, der mich überzeugt hat, Aéd und den Dunländern eine zweite Chance zu geben. Du hast damals sogar von den Dúnedain gesprochen und von deiner Heimat. Und dass du nicht einem Einzelnen die Schuld daran geben wür-"
Oronêl brachte sie mit einem scharfen Blick zum Schweigen. Sie kannte ihn mittlerweile gut genug um zu sehen, dass es in dem Waldelb so langsam zu brodeln begonnen hatte, und die kühle Distanziertheit begann zu bröckeln. "Eine zweite Chance?" antwortete er leise und etwas heiser klingend. "Nur weil er glaubt, dass Sarumans Zauber nun nicht mehr auf ihm liegt?"
"Genau das ist es," hielt sich Kerry tapfer auf ihrem Posten. "Ich fordere dich auf, Helluin eine zweite Chance zu geben... genau wie ich Aéd und den Dunländern eine zweite Chance gegeben habe."
Oronêl musterte Kerry und sie ballte die Hände zu Fäusten. Sie würde nicht mit ihm streiten, nicht schon wieder. Aber sie würde ihm klar machen, dass er im Bezug auf Helluin falsch lag.
Sie hoffte nur, es würde ihr auch gelingen...
Titel: Re: Ost-in-Edhil
Beitrag von: Eandril am 1. Mai 2021, 21:38
Oronêl atmete tief durch und versuchte den Zorn, der in ihm aufzusteigen drohte, unter Kontrolle zu halten. Er setzte sich auf die Kante des Bettes und deutete mit einer einladenden Geste auf den einzigen Stuhl in dem kleinen Raum.
"Kerry... ich möchte nicht mit dir streiten", sagte er leise, während sie sich zögerlich setzte, ohne ihn aus den Augen zu lassen. "Ganz besonders nicht wegen Helluin, denn das ist es nicht wert."
"Aber die Dunländer waren es", stellte Kerry fest, und Oronêl zögerte einen Augenblick, bevor er weiter sprach. Er fühlte sich ein wenig in die Ecke gedrängt.
"Du musst verstehen... es gibt einen Unterschied zwischen Aéd und den Dunländern und Helluin und seinen Verrätern. Helluins Verrat hat dazu beigetragen, meine Heimat zu zerstören. Seinetwegen sind Freunde und Verwandte von mir gestorben. Ich kann nicht..."
Kerry hatte den Blick abgewandt und starrte aus dem kleinen Fenster hinaus nach Süden. "Wo ist der Unterschied?", fragte sie, die Stimme in wenig erstickt. "Die Dunländer sind auf Sarumans Befehl in Rohan eingefallen. Sie hatten ebenso großen Anteil an der Zerstörung Rohans wie die Dúnedain am Untergang Lóriens - wenn nicht mehr. Trotzdem hast du mich überzeugt, ihnen eine zweite Chance zu geben, also... also bist du nicht bereit, Helluin diese Chance zu geben? Ist deine Heimat mehr wert als meine?"
Oronêl schüttelte den Kopf und sah zu Boden. "Nein, ich... das wollte ich damit nicht sagen." Als Kerry nichts erwiderte, sondern weiter aus dem Fenster blickte, sagte er: "Die Dunländer hatten eine zweite Chance verdient, weil sie ihre Ketten von selbst abgeworfen haben. Sie zeigten Reue für ihre Taten, und sie haben seitdem alles getan um ihre früheren Taten gutzumachen."
"Genauso sehe ich es bei Helluin", gab Kerry zurück, und Oronêl erwiderte schnell: "Bist du dir sicher, dass das alles ist? Und das nicht andere... Gefühle deine Urteilskraft trügen?"
Sofort bereute er, was er gesagt hatte, denn Kerry war aufgesprungen und hatte dabei den Stuhl umgeworfen. Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, wandte sich sofort wieder ab und machte Anstalten, aus dem Raum zu stürmen. Oronêl sprang selbst auf die Füße, und packte sie am Arm um sie zurückzuhalten. "Kerry, warte. Es tut mir leid, das war... nicht in Ordnung."
Kerry blieb stehen, und blickte ihm direkt ins Gesicht. In ihren grünen Augen spiegelten sich Zorn, Verletztheit und auch eine kaum merkbare Portion Verlegenheit. "Nein", sagte sie schlicht. "Das war es nicht." Nachdem Oronêl ihren Arm losgelassen hatte, bückte sie sich um den Stuhl wieder aufzustellen und setzte sich dann. Oronêl ließ sich erneut ihr gegenüber auf der Bettkante nieder.
"Ich hatte nicht vor, fortzugehen", sagte er leise. "Jedenfalls nicht auf Dauer. Ich werde mit Anastorias an die Grenze im Nordosten gehen, einigen verdächtigen Nachrichten nachspüren." Er widerstand dem Impuls, Kerry Blick auszuweichen, und fügte hinzu: "Aber du hast Recht, es ist Helluins wegen."
"Ach, Oronêl... warum?" Endlich fand Kerry die richtigen Worte. "Warum bist du in der Lage, allen eine zweite Chance zu geben, nur Helluin nicht? Warum hasst du ihn so sehr, dass du ihn nicht einmal ansehen kannst?"
Oronêl richtete den Blick auf den Boden zwischen ihnen, und rieb seine verschränkten Hände aneinander. "Ich hasse ihn nicht", sagte er schließlich langsam. Er musste sich zwingen, diese Worte auszusprechen, obwohl es die reine Wahrheit war. "Wie könnte ich, ich kenne ihn nicht. Ich hasse was er getan hat, aber Helluin selbst..." Er schüttelte den Kopf, und hob den Blick wieder zu Kerry. "Nein."
"Aber wieso...", begann Kerry verständnislos, und Oronêl lächelte. Es war kein besonders fröhliches Lächeln. "Was Helluin getan hat, geht noch tiefer als du denkst. Ich hatte nie viel für Menschen übrig, bis ich in Dol Amroth an ihrer Seite gekämpft habe. Bis ich Amrothos fand, und wenig später Irwynes und Amrûns Freundschaft erlebte. Der Verrat der Dúnedain... er hätte beinahe alles wieder zunichte gemacht, wenn Irwyne, dein Vater - Cyneric, meine ich - und die Dunländer, Forath und Aéd nicht gewesen wären. Helluin hat sich von Saruman bei dem Versuch benutzen lassen, das letzte Vertrauen zwischen Elben und Menschen zu zerstören, und vielleicht ist es das, was ich nicht verzeihen kann."
Einen langen Augenblick herrschte Stille in dem kleinen Zimmer, bis Kerry das Schweigen schließlich brach. "Ich... verstehe, glaube ich", sagte sie tonlos. "Aber... ich erinnere mich an etwas, was du in Fornost gesagt hast, bei Ardans Verhandlung. Du hast versucht, Belen und die anderen davon zu überzeugen, die Dúnedain unter Sarumans Befehl wieder zu sich zu holen und ihnen zu vergeben. Weil... wenn sie sich gegenseitig bekämpfen nur Sauron gewinnt, und wenn sie sich gegenseitig bekämpfen, wir alle verlieren."
Oronêl musste wider Willen lächeln, und dieses Mal war sein Lächeln nicht bitter. "Du hast ein gutes Gedächtnis... und du vermagst deine Worte gut einzusetzen." Er erinnerte sich an diesen Tag, und er glaubte an das, was er damals gesagt hatte - nur nicht, wenn es um Helluin ging, und in diesem Moment erkannte Oronêl, dass er vielleicht einen Fehler machte.
"Ich werde keine Versprechen machen", fügte er schließlich hinzu. "Ein Teil von mir glaubt, all die zu verraten, die Heimat oder Leben in Lórien verloren haben, wenn ich Helluin nicht mit aller Macht weiterhin ablehne und verachte. Aber... vielleicht werde ich mit Helluin sprechen. Nicht jetzt gleich, aber... irgendwann."
Mit einem Mal fühlte er die Erschöpfung der letzten Tage vollständig über sich hineinbrechen. Kerry löste ihre Hände von den Armlehnen, die sie fest umklammert hatte, und ergriff seine Rechte. "Ich verstehe, dass es nicht einfach ist", sagte sie leise. "Und ich verstehe jetzt auch, warum. Aber falls es etwas bedeutet: Ich glaube wirklich, dass Helluin frei von Saruman ist, und dass er seine Taten bereut. Und das hat nichts mit irgendwelchen... Gefühlen zu tun."
Oronêl sah ihr in die Augen. "Tatsächlich bedeutet dein Urteil mir viel, Kerry. Du hast ein gutes Herz, und ein gutes Gespür dafür, wie es in anderen aussieht. Und was deine Gefühle angeht... nunja, vielleicht wäre das gerade ein Zeichen dafür, Helluin zu trauen." Als er sah, wie Kerry errötete, musste er leise lachen.
"Ich werde dich nicht mit Fragen danach quälen, das ist allein deine Angelegenheit. Aber du weißt, dass du immer mit mir reden kannst, wenn dir danach ist."
Kerry nickte langsam, bevor sie aufstand und sich neben ihm auf die Bettkante setzte.
"Oronêl..."
"Hm?"
"Ich bin froh, dass du wieder da bist... auch wenn du furchtbar unausstehlich sein kannst."
"Ich fürchte, da kann ich kaum widersprechen", erwiderte Oronêl. Eine Weile saßen sie in einträchtigem Schweigen da, bis Kerry sagte: "Jetzt möchte ich endlich wissen, was mit dir und Haleth passiert ist. Sie hat irgendetwas von Moria gesagt, aber..."
Oronêl warf ihr einen Seitenblick zu. "Es ist keine Geschichte, die ich gerne ein zweites Mal erzähle, aber... du hast es dir verdient zu erfahren, was passiert ist."

Als er seine Erzählung beendet hatte, glänzten Kerrys Augen verdächtig. "Ich weiß noch, wie Valandur nach Fornost kam. Und in der Schlacht stand er mit mir oben auf dem Turm, und... was wird Súlien sagen?"
Oronêls Herz zog sich bei dem Gedanken schmerzhaft zusammen. "Ich weiß nicht", erwiderte er leise.
"Und dieses Wesen... es hat irgendetwas mit Farelyë zu tun, glaubst du nicht?"
"Ich fürchte schon. Aber ich weiß nicht, wie uns dieses Wissen helfen kann, es zu besiegen, wenn es das Gebirge verlässt." Oronêl blickte Kerry an, und sie schüttelte den Kopf. "Oh nein. Schlag es gar nicht erst vor."
"Was? Ich wollte nur..."
"Du wollte vorschlagen, dass ich Eregion verlasse, und mich irgendwo in Sicherheit bringe - in Bruchtal oder Lindon vielleicht. Aber meine Familie ist hier, und die meisten meiner Freunde auch. Also gehe ich nirgendwohin."
Oronêl hob die Hände, und musste trotz allem lachen. "Schon gut, ich werde es gar nicht erst aussprechen. "Vielleicht ist es ohnehin besser wenn du in der Nähe bist, Kerry, denn du bist immer für irgendeine unerwartete Wendung gut..."
Titel: Die Last der Krone und Angst einer Mutter
Beitrag von: Curanthor am 1. Mai 2021, 22:50
Aus der Sicht Faelivrins

Nachdem sie Oronêl zu seinem Raum geleitet hatte, wuchs in ihr das Bedürfnis alleine zu sein. Faelivrin steuerte die Treppe zur zweiten Etage an, die erst vor kurzem fertig gestellt wurde. Hier würde später ihre Familie leben, doch noch war alles leer. Auf der letzten Stufe blieb sie stehen und starrte in den hohen Korridor. Generell war der Palast bis auf die Garde, ihre drei Zofen und eine Handvoll Elben, die alles in Ordnung hielten leergefegt. Alles war damit beschäftigt entweder sich für den Krieg zu rüsten, oder an den zahlreichen Baustellen zu arbeiten. Auf dem verlassenen Korridor befanden sich zahlreiche Türen zu ihrer linken, rechts reihten sich hohe Rundbogenfenster aneinander.
Ihre Gedanken schweiften wieder ab. Unbewusst legte sie sich ihre Hand auf die Brust. Ihr Herz verkrampfte sich. Faelivrin hatte überhastet gehandelt, als sie Isanasca und Sanas ausgeschickt hatte. Der Druck auf ihren Schultern hatte ihre Entscheidung beeinflusst. Irgendwas hatte sie tun müssen, um den übrigen Avari zu  zeigen, dass sie entschlossen handeln konnte. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie würde sich niemals verzeihen können, wenn ihnen etwas zustoßen würde. Und sie könnte nie wieder in die Augen ihres Enkels Calanto blicken. Ihre Hand ballte sich zur Faust. Vater, du musst Erfolg haben! Bringe mir mein Kind zurück und berichtige die dumme Entscheidung deiner Tochter, nur dieses eine Mal. Wenn es einer kann, dann du.
Eilig verließ sie den Korridor durch einen verborgenen Geheimgang hinter einem leeren Sockel. In dem engen Korridor, der nur ihrer Familie vorbehalten war, lehnte sie sich schwer atmend an die Wand. Hier war sie unbeobachtet. Alleine mit ihren Gedanken. Tränen stiegen ihr in die Augen. Faelivrin hieb mit der geballten Faust gegen die steinerne Wand. Ihre Hand pochte vor Schmerz, doch mochte er nicht die grausamen Bilder vertreiben, die Orornêls Erzählung ausgelöst hatte. Ein uraltes, namenloses Monster aus der alten Welt. Und ihre Tochter stand direkt vor dem Hort dieser Kreatur. Etwas Unbekanntes aus Dunkelheit, Kälte und Eis. Sie wollte Oronêl glauben, dass es noch nicht hervorkam, aber sie konnte die Furcht um ihre Tochter nicht verdrängen. Dazu noch die tausenden an Leben, die an ihren Entscheidungen hingen. Kraftlos sank sie an der Wand zu Boden und nahm den reich verzierten Haarreif von ihrem Kopf. Eine Bürde, die sie selbst gewählt hatte, zusammen mit Finuor. Faelivrin atmete durch und lehnte den Hinterkopf an den kühlen Stein. Ihr geliebter Gefährte hätte wohl anders entschieden. Er war viel vorausschauender gewesen als sie und er hatte das Königreich organisiert, viel effizienter als sie es je hätte tun können. Sie vermisste ihn jeden Tag. Und sie konnte es kaum erwarten ihn widerzusehen… doch wollte sie ihre Kinder nicht im Stich lassen. Die Worte Edanels hallten im ihrem Gedanken wider: „Du hattest eine Vision. Ambitionen. Ein Bild, von einem vereinten Stamm, nein, mehr noch, du wolltest die Wälle der Stämme zu Fall bringen.“
Wütend biss sie die Zähne zusammen. Nein, ich habe noch immer eine Vision. Ein Bild der vereinten Avari. Die Ambition ein Reich zu schaffen, in dem keine Grenzen zwischen den Stämmen herrschen. Und der Traum, dass meine Familie einen Fußabdruck in der Geschichte hinterlässt. Faelivrin ballte beide Hände um die schmale Krone. Sie könnte ihrem Mann niemals wieder in die Augen sehen, wenn sie wieder vereint waren, sollte sie hier scheitern. Mit einem tiefen Seufzer strich Faelivrin die Tränen aus den Augen und setzte sich wieder ihre Krone auf das Haupt.
Einen kurzen Moment verweilte sie noch am Boden und genoss die Stille, alle finsteren Gedanken von sich schiebend. Keine unaufdringlichen Augen, die ihr auf Schritt und Tritt folgten und keine Begleiter. Kurz schloss sie die Augen. Ihr Volk hatte den Zorn der Natur überstanden. Die Erde hatte gebebt, ganze Dörfer verschlungen. Es hatte Feuer geregnet, das ihre Felder und Ernten verbrannte. Das Meer hatte sich mit aller Macht aufgebäumt und versucht mit sich zu reißen und doch hatten sie all dem getrotzt und waren nun hier. Erneut ballte sie die Hände. Entschlossen, auch diese Katastrophe zu überstehen, ganz gleich was es war.

Faelivrin erhob sich und durchquerte durch die verborgenen Gänge, in denen nur eine Person Platz fand die obere Etage des gesamten Westflügels. Nach fast fünf Minuten erreichte sie das Ende des Flügels und trat in wieder in den Korridor, der an einer großen, schlichten Tür aus dunklen Eichenholz endete. Sie schmunzelte kurz, als sie bemerkte, dass jemand eine filigrane Krone aus Gold in das Holz geritzt hatte. Faelivrins Gemach empfing sie mit wohltuender Stille und einer gewissen Wärme. Bis auf ihre persönliche Zofe hatte niemand Zutritt. Sie schmunzelte, als sie das gemachte Bett sah, dass Tara offensichtlich in ihrer Abwesenheit aufbereitet hatte. Faelivrin atmete durch und verließ ihr Gemach wieder über den unfertigen Ostflügel. Ihre Schritte führten sie hinab ins Erdgeschoss, bis zum Ende des Ganges, den letzten Raum mit einer unscheinbaren Tür. Ohne zu klopfen platzte sie hinein. 
Das Studierzimmer war nur seit einigen Wochen eingerichtet, doch stapelten sich auf dem Tisch in der Mitte bereits Pergamente und eine erschöpft wirkende Elbe hob hinter dem Stapel den Kopf. Die Regale rechts und links an den Wänden waren nur von vereinzelten Büchern nicht einmal ansatzweise gefüllt.
„Majestät“, ertönte ihre müde Stimme, „Ich habe mich schon gefragt, wann du hier auftauchst.“
„Artana“ Faelivrin nickte knapp, wohl wissen, dass die Gelehrte nicht viel von Höflichkeitsfloskeln hielt, „Was gibt es Neues?“
Die Elbe strich sich ihre kastanienbraunen Haare zurück und nahm sich einen Haarreif, damit sie an Ort und Stelle blieben. Artanas blütenweißes Kleid war mit einigen Tintenklecksern versehen, man konnte sehen, dass sie den Raum nur äußerst selten verließ. Mit ernstem Blick ging sie die Pergamente durch. Faelivrin umrundete den Tisch und stellte sich neben sie.
„Vor kurzem ist eine Anfrage aus Tharbad angekommen. Sie wollen uns für die Hilfe bei der Befreiung und die Vertreibung Sarumans Schergen danken. Offenbar mit einen großen Streitwagen und sechs…“ Artana verstummte und las das zerknitterte Stück Pergament mit unsauberer Schrift erneut, „Ah, da. Zehn Kaltblüter. Glaube ich zumindest. Ich vermute, es sind Pferde… schaden kann es uns jedenfalls nicht.“
Sie wechselten einen nachdenklichen Blick. Faelivrin vertraute Artanas Urteil, weswegen sie auch hier war – eine Entscheidung, die sie viel zu lange vor sich hergeschoben hatte. Schließlich nickte sie nach einer Weile. Die Gelehrte nahm das als Zeichen ein unbeschriebenes Blatt zu nehmen und begann mit Tinte und Feder darauf in feinen, fast schon künstlerischen Schriftzeichen zu schreiben.
„Nur deswegen bist du doch nicht hergekommen oder?“, fragte Artana amüsiert, ohne von ihrem Werk aufzublicken, „Sonst hättest du auch bis zum Fürstenrat warten können.“
„Tatsächlich bin ich hier, um dich zur Hofmeisterin zu ernennen“, entgegnete sie mit einem leichten Grinsen, während Artana vor Überraschung fast das Tintenfässchen umstieß, „Oder um es offiziell zu sagen: Nehmt Ihr, Istime, genannt Artana, Tochter des Elental, die Verantwortung, Rechte und Pflichten des Titels Verwalterin des Reiches entgegen, dass Ihr dem Königreich Nutzen und Wohlstand bringt und stets im Sinne der Krone handelt?“
Ein kurzer Moment der Stille folgte, den Faelevrin mit einem freundschaftlichen, „Nimmst du an?“, brach, da sie wusste, dass ihr Gegenüber es erst als Scherz auffasste.
Die Gelehrte sprang fast von ihrem Stuhl auf und ging auf ein Knie, den Kopf gesenkt. „Ich weiß nicht, wie ich zu dieser Ehre komme, aber ich werde alles tun, um diese Chance zu ergreifen und deine Erwartung zu übertreffen! Danke, Majestät!“
Faelevrin lachte erleichtert und richtete sie auf. „Wenn einer diese Ehre verdient hat, dann du. Deine Studien der alten Schriften meiner Ahnen, die Amarin uns zur Verfügung gestellt hat, sind überlebensnotwendig für unser junges Reich. Und ich kann nicht alles alleine stemmen und über deinen Tisch gehen so oder schon die meisten Botschaften.“
Istime verneigte sich noch einmal knapp. Sie konnte Erleichterung auf ihrem Gesicht erkennen. Faelivrin hatte nicht deswegen gezögert, dass Artana ungeeignet war. Die alten Minen, die sie dank ihrer Arbeit wiederentdeckt hatten, haben ihnen einen großen Sprung nach vorn gegeben. Wahrscheinlich hätten sie noch nicht einmal einen einzigen Turm der Mauer fertiggestellt, ohne ihre Studien. Ihr Zögern lag eher daran, dass sie niemanden mit der Bürde der Verantwortung belasten wollte. Und doch hatten ihr die Worte Edanels gezeigt, dass es falsch gewesen war. Nach dem Tod ihres Mannes wollte sie alle Pflichten übernehmen und seinem Ansinnen gerecht werden. Sie hatte geglaubt, dass niemand außer ihr wusste, was er sich vorgestellt hatte. Dabei war sie blind für die vielen, helfenden Hände gewesen, die er hatte.
Sie wurde wieder ernster. „Wo wir von Amarin gesprochen haben, hat er es fertig gestellt?“
Artana nahm wieder Platz und begann wieder an der Antwort an Tharbad zu schreiben. Dabei nickte sie knapp und erklärte, dass er bald so weit sein würde, er aber seine Arbeit wegen einem Vorfall unterbrechen musste. Faelivrin hob eine Braue.
Die Gelehrte blickte wissend auf. „Es hat sich schon herumgesprochen. Bald musst du entscheiden, was wir mit ihr machen. Viele sehen in ihr eine massive Gefahr. Einige unter uns erinnern sich an Geschichten… uralte Monster, manche vage menschlich und mächtig, andere vage elbisch und von grausamer Schönheit. Das sorgt für Gerede.“
Faelivrin seufzte schwer und legte Artana eine Hand auf die Schulter. „Mein Herz wird schwer, wenn ich an sie denken muss. Ich hatte gehofft, dieser Entscheidung noch zu entgehen.“
Sie erinnerte sich an das Gespräch mit Amarin und Ivyn im Haus der Ruhe. Beide hatten sie gewarnt, dass das Wesen in Adrienne eine Macht besaß, die unberechenbar war. Jetzt mussten sie abwarten, welche Seite in ihr das Ringen über den Körper gewann. Und erst dann würde ihr Ivyn mehr erzählen.
Die neu ernannte Hofmeisterin strich sich nachdenklich über das Kinn und beschmierte sich dabei unbewusst mit Tinte. „Ich kann die Sorgen noch etwas beruhigen und die Stimmen nach einer Lösung zerstreuen… aber nicht für lange. Wenn sie nach einer Weile nicht aufwacht…“
Faelivrin verstand und bedankte sich, Adrienne stand ihr nicht besonders nah, aber sie schätzte sie als Gefährtin durch zahlreiche Gefahren. Und sie würde sie nicht einfach aufgeben. Faelivrin ging zur Tür und verharrte kurz. „Ein Abzeichen deines Ranges entsprechend wirst du bald erhalten.“
Artana nickte ernst, was mit der Tinte am Kinn ungemein komisch wirkte. Faelivrin schlüpfte zur Tür hinaus und erlaubte sich auf dem Korridor ein leises kichern. Dann atmete sie tief durch und machte sich wieder auf den Weg in den Thronsaal.
Titel: Eine Bitte an die Königin
Beitrag von: Fine am 4. Mai 2021, 13:15
Kerry und Oronêl sprachen noch eine ganze Weile über ihre jeweiligen Erlebnisse, und so erfuhr Oronêl unter Anderem, was mit Adrienne geschehen war. Aéds Brief sowie ihre Absicht, bei ihrer Schwester für Helluins Freilassung einzutreten, behielt Kerry vorerst für sich. Sie wollte zuerst mit Faelivrin reden und hoffte, dass die Königin der Manarîn trotz der späten Stunde noch ein paar Momente Zeit finden würde. So verabschiedete sich von Oronêl und machte sich auf die Suche.

Der Palast hatte schon bei ihrem ersten Besuch dort groß und verwirrend auf Kerry gewirkt, doch mittlerweile waren die Bauarbeiten weiter vorangeschritten, und schließlich musste sie einen der Gardisten bitten, ihr den Weg zu Faelivrins Gemach zu weisen. Dieser schüttelte jedoch den Kopf. "Du wirst sie dort nicht finden, hírilya. Ich bringe dich zum Thronsaal."
Kerry blieb nichts anderes übrig, als dem Elb zu folgen, bis er sie zum Thronsaal geführt hatte. Und tatsächlich trafen sie dort auf Faelivrin, die beinahe so aussah, als hätte sie schon auf Kerry gewartet. Zumindest schien sie nicht im Geringsten davon überrascht zu sein, ihre Adoptivschwester zu sehen.
"Nésa," begrüßte die Königin sie herzlich und legte ihr die Hände auf die Schultern, nachdem sie Kerry kurz umarmt hatte. "Gut siehst du aus, wie es einer Dame deines Standes angemessen ist. Wenn auch ein klein wenig zerzaust." Faelivrin lächelte, und Kerry tat es ihr gleich.
"Was bin ich froh, dich zu treffen," stürzte Kerry sich gleich auf das Thema, über das sie mit der Herrscherin Eregions hatte sprechen wollen. "Ich weiß nicht, wieviel Zeit du hast, aber-"
"Für dich nehme ich mir die Zeit, Morilië. Was liegt dir auf dem Herzen?"
Kerry blickte sich im leeren Thronsaal um. Bis auf die beiden Gardisten die den Haupteingang bewachten, war der große Raum leer. Sie standen einander nahe gegenüber, kaum einen Schritt entfernt von der untersten der Stufen, die zum Thron selbst hinauf führten.
"Nun, also, es... es geht um Helluin," sagte Kerry und konnte nicht verhindern, dass sich eine gewisse Verlegenheit in ihren Tonfall schlich.
"Den Dúnadan, den uns die Dunländer auslieferten? Was ist mit ihm?"
"Ich habe es dir noch nicht erzählt - bislang hatten wir keine Zeit... aber ich kenne ihn, Faelivrin. Ich bin ihm im Düsterwald begegnet, als wir Finelleth dabei halfen, das Reich ihres Vaters zurückzufordern."
"Nun ist es ihr eigenes Reich, wie wir erfahren haben," merkte Faelivrin an. "Ich hoffe, sie schlägt sich mit ihrer neuen Verantwortung als Königin gut... ich weiß aus eigener Erfahrung, was für eine Bürde dies oft sein kann."
Kerry hielt inne und nahm Faelivrins Hände in ihre eigenen Hände. Sie sah, oder spürte vielmehr, wie sehr ihre Adoptivschwester die Last der Krone im Augenblick verspüren musste.
"Ich, ähm... denke, sie bekommt das schon hin," sagte Kerry. "Aber zurück zu Helluin... du musst ihn unbedingt freilassen, Nésa, hörst du? Er steht nicht mehr unter Sarumans Zauber... und er möchte helfen und seine Taten wiedergutmachen!"
Faelivrin betrachtete Kerry nachdenklich mit einem prüfenden Blick. "Wieso liegt dir so viel an der Freilassung dieses Waldläufers?"
"Weil ich... an zweite Chancen glaube," sagte Kerry überzeugt und rief sich ihre Unterhaltung mit Oronêl wieder in den Sinn.
"Das sehe ich," sagte Faelivrin, dann musste sie lächeln. "Aber das ist doch nicht der einzige Grund, nicht wahr?"
"N-naja..." stammelte Kerry, die nun nicht mehr verhindern konnte, dass sich ihre Wangen röteten. "Ich..." sie sah sich um, ob auch wirklich niemand in der Nähe war, und wisperte Faelivrin verlegen zu: "Ich wollte es ja Anfangs selbst nicht recht wahrhaben, aber... bei unserem Wiedersehen, dort in der notdürftigen Zelle in der die Elben in festhalten... als er all diese Dinge zu mir sagte, da..."
"Dinge?" fragte Faelivrin mit einem sehr wissenden Lächeln. "Dinge wie: Du bist etwas ganz Besonderes und Endlich habe ich dich gefunden?"
"W-was? Woher... wie hast du...." stammelte Kerry erschrocken.
Faelivrin lächelte wissend. "Eine Königin muss wissen, was in ihrer Stadt vor sich geht. Und ihr habt dort unten nicht gerade im gedämpften Ton miteinander gesprochen, selbst wenn keine Wachen mit Elbenohren vor den Türen gestanden hätten, hätten euch vermutlich andere gehört."
"A-also... weißt du über alles Bescheid..."
"Morilië, ich finde es bewundernswert, wie du für diejenigen einstehst, die du als deine Freunde bezeichnest," sagte Faelivrin lobend. "Und ich wäre eine schlechte Königin, wenn ich mich ausschließlich auf meine eigenen Meinungen und Einschätzungen verlassen würde, ohne jemals auch die Ansicht derer, die mir wichtig sind, in Betracht zu ziehen. Wenn du der Meinung bist, dass Helluin von den Dúnedain frei von Sarumans Bann ist und er vertrauenswürdig ist, dann werde ich ihn dank deiner Fürsprache auf freien Fuß setzen."
Kerry konnte ihren Ohren kaum trauen. Sie hatte erwartet, dass sie all ihre sorgfältig zurechtgelegten Argumente benötigen würde, um ihre königliche Schwester davon zu überzeugen, Helluin nicht länger gefangen zu halten. "Danke, danke danke!" sagte sie überschwänglich und umarmte Faelivrin liebevoll.
"Wenn wir etwas Ruhe haben, dann möchte ich jedes einzelne Detail von deiner Reise in den Düsterwald hören," sagte Faelivrin. "Ich bin mir sicher, dass du eine ganze Menge erlebt hast, und ich sehe, dass du an den Abenteuern, die du hinter dir hast, gereift bist. Bleib am besten in der Stadt, hier wird es am sichersten für dich sein, und vielleicht finden wir zwischen all dem Chaos ja tatsächlich mal etwas Zeit, um wirklich ... reden zu können. Aber solange Isanasca nicht sicher wieder zurück ist... " Sie schüttelte besorgt den Kopf.
"Wenn ich dir irgendwie helfen kann, musst du es nur sagen!" beteuerte Kerry sofort.
"Tatsächlich gibt es da etwas," sagte Faelivrin. "Bitte geh und sieh nach Adrienne, in Ordnung? Die Heiler sagen, dass du einen beruhigenden Einfluss auf sie hast."
"Das mache ich, versprochen," sagte Kerry, die ohnehin vorgehabt hatte, ihre Freundin regelmäßig zu besuchen.
"Gut. Das ist gut. Ich danke dir, Morilië. Das Letzte was wir jetzt gebrauchen können, ist noch mehr Chaos im Inneren der Stadt. Dann geh und sieh nach ihr, in Ordnung? Ich muss mich wieder meinen Aufgaben widmen."
"In Ordnung, ich gehe direkt zu ihr," sagte Kerry und ließ ihre Adoptivschwester los. Dann machte sie sich auf den Weg.

Adrienne lag nach wie vor im Haus der Ruhe, was Kerry auch recht leicht fand, nachdem sie einmal nach dem Weg hatte fragen müssen. Die Stadtwachen hatten sie verwundert gefragt, was sie zu so später Stunde noch alleine auf den Straßen tat, und Kerry hatte wieder einmal festgestellt, wie unterschiedlich die Manarîn sie wahrnahmen, wenn sie Nivims elbische Kleider trug, anstatt ihrer üblichen, recht mitgenommen aussehenden Reisekleidung. Der Saum ihres Kleids war zwar mittlerweile vom Staub der Straße bedeckt, doch anscheinend hatte sich mittlerweile herumgesprochen, dass die Adoptivschwester der Königin in Ost-in-Edhil war. Zwei Wächter brachten sie hilfsbewusst bis vor die Tore des Hauses der Ruhe und versprachen ihr, dort auf sie zu warten und sie später sicher zurück zu Farelyës Haus zu geleiten.
Kerry kam sich dabei etwas merkwürdig vor, mit einem Mal als eine so schützenswerte Person behandelt zu werden, aber sie beschwerte sich nicht. Es war besser, als der Umgang, den sie bei ihrer ersten Rückkehr nach Ost-in-Edhil von den Torwächtern erlebt hatte.
Sie fand Adrienne schlafend in ihrem Zimmer vor. Eine Heilerin war bei ihr, ging aber hinaus als Kerry sich neben das Bett gesetzt hatte. Sie atmete tief durch, dann fand sie langsam ein wenig zur Ruhe. So viel war in den letzten Tagen geschehen. Ihr fiel ein, dass sie Helluin noch nicht einmal die Nachricht von seiner Freilassung überbracht hatte und hoffte, dass Faelivrin sich mit dieser Anordnung selbst an ihre Wachen wenden würde.
"Arme Adri," murmelte Kerry mitfühlend, als sie sah, wie bleich ihre Freundin noch immer war. Aber Adriennes Atem ging ruhig und regelmäßig, und im Schlaf waren ihre Gesichtszüge friedlich. "Ich wünschte, ich könnte dir mehr helfen, könnte irgendetwas tun, um ... das was da in dir ist, zu vertreiben..." Sie nahm Adriennes Hand, die sich nicht mehr so kalt wie bei Kerrys letztem Besuch anfühlte. Kerry blieb eine ganze Weile sitzen und dachte nach. Beinahe wünschte sie sich, Adrienne zu wecken, um mit ihr über alles reden zu können. Und tatsächlich, noch während Kerry hinsah, öffneten sich Adriennes Augen und blickten sie an.
"Kerry," sagte sie leise.
"Ooh," machte Kerry etwas erschrocken "Du bist wach. Geht es... dir etwas besser?"
Adrienne blickte an sich herab. "Fühlt sich noch immer so an als wäre eine ganze Horde Reiter über mich hinweg getrampelt," murmelte sie. "Aber... denken kann ich wieder etwas klarer. Hab' nur... ständig Erinnerungen, die... ich noch nicht genau einordnen kann... von Dingen, die sehr lange her sind, glaube ich."
"Du kommst wieder in Ordnung," versprach Kerry ihr und drückte die Hand zärtlich. "Das weiß ich ganz genau."
Adrienne wich ihrem Blick aus. "Vielleicht... aber... was, wenn das Leid dann damit nur einfach weitergeht? Kerry, ich-" Sie hatte Kerry bei den letzten Worten wieder angesehen, doch dann schüttelte sie etwas hilflos den Kopf und beendete ihren Satz nicht.
Kerry wusste nicht recht, wie sie reagieren sollte. Sie ahnte, worauf Adrienne hinaus wollte - denn es gab noch immer eine ungeklärte Sache, die zwischen den beiden Freundinnen stand. "Woran denkst du?" fragte sie sanft.
Doch Adrienne überraschte sie. "An meinen Bruder," wisperte sie. "Ich mache mir Sorgen um ihn... und zweifle mittlerweile daran, ob wir wirklich miteinander verwandt sind, wenn ich..."
"Wenn du das?"
Adrienne schüttelte den Kopf. "Ich verstehe es selbst noch nicht... ich denke, ich bin noch nicht so weit. Tut mir Leid, Kerry..."
"Es ist in Ordnung, Adri. Erhol dich, und ich komme ein andermal wieder, in Ordnung?"
"Ja... ein andermal," wiederholte Adrienne. Dann ließ sie den Kopf zurück auf ihr Kissen sinken.
Kerry schloss die Türe lautlos hinter sich, als sie ging. Sie nahm sich vor, am nächsten Tag zurückzukehren.

Draußen vor dem Haus der Ruhe staunten die Wächter nicht schlecht, als sie sie bat, sie nicht zum Haus von Farelyë zu bringen, sondern zu den Verliesen. Sie musste Helluin unbedingt die Nachricht von seiner Freilassung überbringen...
Titel: Im Arrest:
Beitrag von: Thorondor the Eagle am 6. Mai 2021, 22:23
Es war bereits Nacht hereingebrochen, als Helluin alleine auf seinem behelfsmäßigen Bett lag. Durch ein schlitzartiges Fenster der Kaserne kroch das fahle Mondlicht in das Zimmer und warf es in ein unheimliches blau. Der junge Dúnadan dachte an den heutigen Tag und die zahlreichen Begegnungen. Er hatte endlich Kerry wiedergefunden nach dieser elends langen Reise. Er lächelte beschwingt, als er an den Moment dachte als sie in der Tür stand. Seltsam diese Gefühle zu spüren, es war eine langerwartete Sehnsucht nach Sicherheit. Hier im Umfeld, in den Armen von Kerry würde Saruman ihn niemals erreichen können.
Plötzlich wurde ihm wieder klar, dass Aéd, den er mittlerweile sehr schätzte, Kerry als seine Gefährtin erwählt hatte und in sie verliebt war. Und Kerry? Was denkt Sie darüber? Sie schien nicht abgeneigt zu sein und sie lehnte den Brief nicht ab. Ja, ihre Finger krallten ihn richtig. Ob sie auch diese Gefühle für ihn hat? Was wird passieren, wenn er nach Ost-in-Edhil kommt?

Ruckartig setzte er sich in seinem Bett auf und spähte durch den Spalt. Der Mond hatte annähernd eine runde Form. Übermorgen, ja wenn nicht schon morgen Abend würde der Wolfskönig in die Stadt der Elbenkönigin kommen und er würde Kerry für sich gewinnen. Helluin versuchte diese düsteren Gedanken abzuschütteln und versuchte sie gezielt auf sein Wiedersehen mit seiner Mutter zu lenken.

Elea war so überaus liebevoll und fürsorglich zu ihm obwohl er sie sein ganzes Leben lang enttäuscht hatte.
„Mein Schatz“, sagte sie zu ihm „stets wusste ich um das Gute in deinem Herzen. Du warst auf Abwegen, verführt von einem der Zauberer, wenn nicht sogar vom größten unter ihnen. Aber niemals habe ich daran gezweifelt, dass du tief in deinem Inneren ein anderer bist als früher. Die Dúnedain werden das erkennen und dir vergeben.“
Wie konnte sie ihm nur so schnell verzeihen. Er hatte soviele Untaten vollbracht, er hat das eigene Volk verraten und hinrichten lassen, er hat blinden gehorsam eingefordert und jahrtausendealte Freundschaften in ihren Grundfesten erschüttert. Er war schuld am Fall von Lorien und an der Knechtschaft des Düsterwalds, des Auenlands und dem übrigen Eriador. Ihm grauste als er sich an das machtgierige Gesicht Sarumans erinnerte und an das schmierige Grinsen, dass er auf seinem Gesicht trug.
Elea schien das allerdings nichts auszumachen. Sie scheute sich nicht davor ihn sogleich wieder in die Arme zu schließen und ihm leise ins Ohr zu flüstern „Alles wird wieder gut“. In dem langen Gespräch beschwörte sie immer wieder die Gutmütigkeit der Waldläufer des Nordens, sie meinte, dass der größte Schritt bereits getan war, denn Aragorn – ihr König – hatte ihm vergeben und die anderen würden sein Urteil nie anzweifeln. Wenn ich der war, der die Dúnedain gespalten hat und Aragorn sie wiedervereint – vielleicht ist sein Urteil, dann das einzige das zählt. Vielleicht hat Mama ja recht. Gleich morgen werde ich Arwen das Elendilmir übergeben und die Nachricht über das Überleben ihres Geliebten. Sie wird die Nachricht nach Norden bringen und von mir berichten und meiner Reue.

„Ach wäre doch das alles nie passiert“, seufzte er leise vor sich hin.
Plötzlich hörte er Schritte draußen auf dem Gang vor seiner Zelle. Es waren schleichende und nur schwer hörbare. Ein leises Klacken öffnete die Verriegelung der Tür und sie öffnete sich einen Spalt breit.
„Ihr habt ein paar Minuten, nicht länger“, flüsterte eine fremde Stimme, ein Wächter.
Neugierig und leicht verängstigt starrte Helluin auf die Tür die sich langsam öffnete zwei Gestalten traten herein. Im Lichtschein einer kleinen Öllampe erkannte er das liebliche Gesicht von Kerry sowie die Silhouette einer zweiten Frau, vermutlich eine vertraute Begleiterin von Kerry. Schlagartig wurde seine Laune noch besser, er setzte sich auf und begrüßte sie überrascht: „Kerry“. Sie trug ein wunderschönes samtenes Kleid und ihre Haare waren geflochten.
Ihr Gesicht strahlte verborgene Freude aus: „Ich kann diese Nachricht keine Sekunde für mich behalten. Meine Schwester, ich habe mit ihr gesprochen. Sie ist so großherzig, dass sie dich wieder auf freien Fuß setzt.“
„Wirklich?“, fragte der junge Mann verwundert.
„Ja. Ich bin ihr so dankbar.“
„Wieso macht sie das?“
„Nur so“, tat es Kerry ab.
„Und wann?“
„Ich vermute noch morgen, aber genaueres haben wir nicht besprochen.“
„Das macht nichts, deinem Wort vertraue ich.“
Die Frau im Hintergrund schluckte laut, Helluin ließ sich aber nicht davon ablenken und ging einen Schritt auf Kerry zu, sie tat es ihm gleich. Er nahm sie dankbar in den Arm und presste ihren Köper fest an den seinen „Ich danke dir.“
„Keine Ursache“, sagte sie verlegen.
Am allerliebsten hätte er sie geküsst, wenn auch nur auf die Wange. Aber seine Unsicherheit bezüglich Aéd und Kerry hielt ihn ab.
„Wenn sie dich dann entlassen komm zu Farelyë’s Haus dort sind wir alle untergebracht. Auch deine Mutter ist dort mit…“, plötzlich unterbrach sie und wirkte irritiert „mit uns allen eben.“
Er nickte.
„Aber vielleicht erfahre ich noch wann sie dich frei lassen, dann holen wir dich ab.“
„Ist gut“, sagte er und berührte sie sanft am Oberarm „Ich werde euch jedenfalls finden.“
Die Frau im Hintergrund räusperte sich: „Wir sollten jetzt ohnehin gehen“, flüsterte sie und ging zurück zur Tür.

Helluin war überglücklich in diesem Moment. Er freute sich auf die kommenden Tage in Ost-in-Edhil, auf die Freiheit und auf Kerry. Er fürchtete den Konflikt mit Aéd nicht, aber er fürchtete, dass sich Kerry für den Wolfskönig entscheiden würde. Aber er war guter Dinge.

Es vergingen einige Augenblicke als sich plötzlich die Türe wieder einen Spalt breit öffnete.
„Ausnahmsweise hast du noch ein paar Minuten“, sagte wieder die Stimme.
„Kerry?“, fragte Helluin in die Dunkelheit und sprang auf, aber es kam keine Antworte.
Eine Frau, den Bewegungen nach dieselbe die mit Kerry vorhin hier war, betrat den Raum. Sie hatte keine Lampe dabei.
„Nein, diesmal bin ich es alleine“, sagte sie kühl.
„Wer bist du?“
„Es ist lange her seit wir uns das letzte Mal gesehen haben“, langsam trat sie in den schwachen Schein des Mondlichtes. Er erkannte sie, aber ihr Name war ihr entfallen. Ihm war unbehaglich und er trat einen Schritt zurück.
„Was willst du hier? Du bist mit Kerry befreundet?“
„Ja das sind wir und mir graut vor dir, wenn ich sehe wie offen du diesem unschuldigen Wesen ins Gesicht lügst. Wie du ihr vorspielst, was du uns allen vorgespielt hast.“
„Ich spiele Kerry nichts vor“, beteuerte er.
„Ja, davon sind wir auch immer ausgegangen bis zu deinem grausamen Verrat. Dein eigenes Volk hast du abschlachten lassen. Deine Freunde hintergangen und ihre Heimat zerstört. Du hast Lorien niedergebrannt und die Elben des Düsterwalds gefoltert.“
Ein Knoten bildete sich in Helluin’s Magen, ihm wurde furchtbar übel.
„Haleth“, stammelte er heraus als ihm der Name wieder eingefallen war.
„Weißt du noch damals im Wald? Mit keiner Wimper hast du gezuckt, als du deinen Männern befohlen hast die deinen - dein eigenes Volk - zu töten.“
Düstere Erinnerungen kamen zurück in sein Gedächtnis. Er brachte kein Wort mehr heraus.
„Du bist Abschaum! Du bist ein Mörder, ja ein Monster“, sagte sie abschätzig „Auch wenn Kerry dir diese Masche abkauft und die Elben von Eregion und ach ja, deine Mutter dir verziehen hat. Keiner! Keiner der Dúnedain wird dir jemals vergeben.“
Helluin traten Tränen in die Augen: „Es tut mir leid“, presste er seine verschlossene Kehle hinauf.
„Ha, es tut dir leid?“, der Sarkasmus war nicht zu überhören „Unserem Volk wird es das nicht tun! Wage dich niemals zurück nach Fornost, du würdest es nicht überleben.“ Ihre Augen funkelten vor Hass und Wut ehe sie sich abwandte. Es war wohl Glück für Helluin, dass sie nicht mit einem Dolch hereinkommen durfte.
Sie ließ Helluin in der Dunkelheit allein zurück. Er krümmte sich auf seinem Bett zusammen vor Schmerz der so starkt war, dass ihm ein Dolchstoß mitten ins Herz wie eine Erleichterung vorkommen würde.. Die furchtbarsten Szenen seiner Vergangenheit holten ihn in dieser Nacht ein.

Niemals kann ich zurückkehren... Niemals.
Titel: Re: Ost-in-Edhil
Beitrag von: Eandril am 8. Mai 2021, 13:38
"Guten Morgen!", wurde Oronêl von Anastorias begrüßt, als er sich zu der Truppe gesellte, die sich am Nordtor von Ost-in-Edhil versammelt hatte. Er trug wieder seine alte Ausrüstung, die die Manarîn in Windeseile gesäubert und geflickt hatten - sie Spuren von Moria waren kaum noch zu sehen. Mit Anastorias hatten sich ungefähr fünfzig Elben versammelt, die leichter gerüstet waren als jene, die mit Mathan nach Rómen Tirion marschiert waren. Anastorias schien Oronêls Gedanken zu erraten, und erklärte: "Unsere Aufgabe ist, herauszufinden, was im Nordosten vor sich geht, mehr nicht." Er rückte seinen kleinen Schild auf dem Rücken zurecht und fügte hinzu: "Aber wir sollten trotzdem vorbereitet sein."
"Wo genau sind diese Banditen gesichtet worden?", fragte Oronêl nach, und der junge Elb antwortete: "Es gibt Berichte von unterschiedlichen Orten. Sie scheinen sich vor allem an den Westhängend es Gebirges herumzutreiben, nah unserer nördlichen Grenze."
Oronêl nickte. "Ich kenne das Gebiet. Ich bin vor gar nicht langer Zeit auf dem Weg von Dunland nach Norden dort hindurchgekommen." Er erinnerte sich an diese Reise mit Orophin, nachdem sie Amrothos aus der Gefangenschaft befreit hatten. Damals waren sie zu tief in die Berge geraten, nachdem der Weg durch eines der Täler von einem Orkheer versperrt gewesen war. Oronêl hoffte, dass sie dieses Mal wenigstens kein Orkheer, sondern wirklich nur Banditen erwarten würden.
"Das wird nützlich sein", unterbrachen Anastorias' Worte seinen Gedankengang, bevor der junge Anführer stutzte. "Ténawen, was treibst du hier?" Oronêl folgte seinem Blick zu dem Haus in dem Helluin eingesperrt war - eingesperrt gewesen war, viel mehr, denn der Dúnadan verließ gerade, flankiert von Kerry und Elea, das Haus.
"Nésa hat Helluins Freilassung befohlen", erklärte Kerry, und warf Oronêl dabei einen knappen, prüfenden Blick zu. Oronêl betrachtete währenddessen aufmerksam Helluin. Es war einige Zeit vergangen, seit er den Verräter gesehen hatte, und die Erinnerung an jene Zeit gehörte nicht zu seinen schönsten. Seit dieser schicksalshaften Nacht am Rand des Grünwalds war Helluin ein wenig schmaler geworden und wirkte abgekämpft. Sein Gesicht war blass und er trug dunkle Ringe unter den Augen, als hätte er kaum geschlafen, und der Anblick verschaffte Oronêl eine tiefe Genugtuung. Er hatte Kerry versprochen, Helluin eine zweite Chance zu geben. Er hatte nicht versprochen, ihn zu mögen.
Anastorias wirkte unterdessen etwas verwirrt. "Freilassung? Ich habe das Gefühl, dass mir ein paar wichtige Details fehlen..."
"Helluin ist ein...", begann Oronêl, wurde allerdings von Helluin selbst unterbrochen. "Verräter. Ich habe die Dúnedain von Arnor unter Sarumans Befehl gebracht, und sie nach Lórien geführt." Helluins Stimme war leise, aber fest, und er wich den Blicken der Elben nicht aus. "Doch inzwischen bin ich frei von Sarumans Zauber, und... ich weiß nicht, ob ich eine zweite Chance verdiene. Doch ich werde alles tun um... ein wenig von dem Unheil, das ich angerichtet habe, wieder gutzumachen."
Bei den letzten Worten blickte er von Kerry zu Oronêl, doch Oronêl rührte sich nicht. Er musste seine widerstreitenden Gefühle, den Hass und Zorn, mit seinen Worten an Kerry in Einklang bringen, und das fiel ihm schwer.
"Schön, wenn meine Großmutter eure Reue für echt genug hält euch freizulassen, soll mir das auch genügen", sagte Anastorias gerade, doch seine Stimme klang kühl. Helluin ließ den Blick über die versammelten Elben schweifen. "Wohin geht ihr?", fragte er, doch Oronêl schüttelte den Kopf. "Das ist für dich nicht von Belang", erwiderte er, sich der Tatsache wohl bewusst, dass dies die ersten Worte waren, die er seit den Geschehnissen am Waldrand an Helluin richtete.
"Nein, wirklich nicht...", meinte Helluin langsam. "Wenn ihr gegen Sarumans oder Saurons Diener auszieht... dann würde ich euch gerne begleiten."
Oronêl blinzelte ein paar mal rasch hintereinander, und brauchte einen Augenblick um das gerade gehörte zu verarbeiten. Den übrigen Anwesenden schien es ähnlich zu gehen. Anastorias zeigte die geringste Reaktion, nur etwas Überraschung. Kerry schien vollständig überrumpelt und geschockt, als hätten Helluins Worte ihre sämtlichen Pläne zum Einsturz gebracht, während Elea fassungslos den Kopf schüttelte.
"Helluin, mein Sohn..." sagte sie so leise, das Oronêl es nur aufgrund seiner Elbenohren verstehen konnte. "Du kannst nicht... wieso willst du schon fortgehen? Noch dazu dich schon wieder in Gefahr begeben?"
"Ich... kann nicht anders", erwiderte Helluin ebenso leise, und blickte erwartungsvoll zu Oronêl und Anastorias. Letzterer ergriff Oronêls Schulter, und zog ihn ein paar Schritte zur Seite. "Ich weiß nicht, was ich tun soll", gestand er leise. "Normalerweise würde ich freiwillig angebotene Hilfe niemals ablehnen, doch in diesem Fall... Und mir ist nicht entgangen, dass die Situation zwischen ihm und dir ein wenig komplizierter zu sein scheint. Also solltest du entscheiden."
Oronêl presste die Lippen aufeinander, und zögerte. Er wollte Helluin nicht dabei haben, er wollte sein Gesicht nicht sehen. Und doch... welche Bedeutung hatte seine Aussprache mit Kerry gehabt, wenn er nicht in der Lage war, Helluin eine Gelegenheit zu geben, seine Reue zu beweisen, wenn dieser es schon freiwillig anbot?
"Wenn du seine Hilfe annehmen willst... werde ich mich nicht in den Weg stellen", antwortete er schließlich ein wenig unwillig.
Anastorias blickte ihn aufmerksam an. "Bist du sicher?" Oronêl atmete tief durch, und nickte dann.

Als sie zu der kleinen Gruppe Menschen zurückgekehrt waren, redeten Kerry und Elea gerade beide auf Helluin ein und wollten ihn offenbar dazu bewegen, nicht zu gehen. Anastorias bereitete dem ein Ende, indem er an Helluin gerichtet sagte: "Ihr dürft mit uns kommen. Doch eines... wenn sich zeigt, dass eure Treue vielleicht noch immer unseren Feinden gehört und eure Reue vorgetäuscht ist, ist euer Leben verwirkt."
Helluin, der noch immer sehr blass war, schluckte sichtlich, aber nickte. "Ich würde nichts anderes erwarten."
"Ihr werdet eine Waffe brauchen", meinte Anastorias. "Unbewaffnet werdet ihr keine Hilfe darstellen. Vielleicht..." Bevor er aussprechen konnte, hob Oronêl die Hand. Ihm war ein Gedanke gekommen, der ihm nicht sonderlich gefiel, doch er spürte, dass es der richtige Weg war. Er wandte sich an Elea. "Das Schwert, das ich dir in Imladris gab - würdest du es mir für einen Augenblick zurückgeben?"
Elea wirkte verwirrt, schnallte aber Amrûns Schwert ab und reichte es Oronêl. Er zog die Klinge mit einer Bewegung aus der Scheide, und richtete die Waffe auf Helluin. "Dieses Schwert gehörte meinem Freund Amrûn. Er fiel in Lórien, durch die Pfeile der Dúnedain wie ich hörte." Bei seinen Worten zuckte Helluin sichtlich zusammen, doch die Schuld in seinem Gesichtsausdruck verwandelte sich in Verwirrung als Oronêl das Schwert wieder in die Scheide stieß und ihm mit dem Griff voran entgegen streckte. "Nimm es", forderte er den jungen Dúndadan auf. "Nimm es und führe es gegen Sarumans und Saurons Schergen. Zeig mir, dass deine Reue echt ist, indem du Amrûns Kampf fortführst, denn deine Taten waren es, die sein Leben in Mittelerde beendeten."
Zögerlich nahm Helluin das Schwert entgegen. Seine Hand zitterte sichtlich, und schließlich blickte er Oronêl ins Gesicht. "Oronêl, ich..."
Oronêl unterbrach ihn. "Ich will es nicht hören, nicht jetzt." Er blickte zu Kerry, deren Augen jetzt wieder strahlten, und allein dieser Anblick war das Ganze beinahe wert.
"Ich hoffe, du täuschst dich nicht." Sie schüttelte entschieden den Kopf. "Das tue ich nicht, da bin ich sicher." Sie griff Oronêl am Arm, und führte ihn wie zuvor Anastorias einige Schritte von der Gruppe weg.
"Hör mal... versprich mir, dass du auf Helluin aufpasst, wenn... wenn er auf eurer Seite bleibt."
"Du verlangst viel, Kerry", erwiderte Oronêl leise. "Sehr viel."
"Ich weiß!", erwiderte sie mit einem Hauch von Verzweiflung. "Aber... tu es meinetwegen. Und für Elea." Kerry deutete auf Helluins Mutter, die leise mit ihrem Sohn sprach und zutiefst besorgt wirkte. "Helluin ist ihr einziger Sohn, alles was ihr von ihrer Familie geblieben ist. Wenn er euch verrät, tu was immer du willst mit ihm, aber wenn nicht... bitte, Oronêl."
Oronêl atmete tief durch. "Schön. Ich werde versuchen dafür zu sorgen, dass er heil hierher zurückkehrt. Ich gebe kein Versprechen, aber ich werde es versuchen."
"Das genügt mir schon", erwiderte Kerry, und umarmte ihn rasch. "Und achte auch auf dich selbst und Anastorias", flüsterte sie ihm dabei ins Ohr. "Ich wünsche mir, dass ihr alle unbeschadet zurückkehrt."

Als Oronêl und Kerry zu den anderen zurückkehrten, klopfte Anastorias ihm auf die Schulter. "Also... bereit zum Aufbruch?" Oronêl nickte, und Helluin, der sich gerade aus einer letzten Umarmung seiner Mutter gelöst hatte, tat es ihm gleich.
"Sehr gut", meine Anastorias, und hob dann die Stimme, sodass seine Soldaten ihn hören konnten: "Manarîn! Wir brechen auf!"
Titel: Vor dem Arrest
Beitrag von: Thorondor the Eagle am 19. Mai 2021, 22:51
Helluin hatte all seinen Mut und seine Aufrichtigkeit gepackt um Oronêl entgegen zu treten, doch als er das Schwert jenes Elben in die Finger bekommen hatte den vielleicht er selbst getötet hatte, wich jegliche Standhaftigkeit aus ihm. Mit Müh und Not hielt er sich auf den Beinen als bereits Elea wieder zu ihm stürmte.

„Bist du wahnsinnig?“, wiederholte sie ihre Frage nochmals eindringlich „Du stürzt dich gleich wieder in die Schlacht? Mit Mitstreitern die dich verachten?“
Der Dúnadan fühlte sich noch immer wackelig auf den Beinen.
„Keiner wird auch nur irgendetwas auf dein Leben geben. Du hast keinen Wert für sie.“
Sein Unterkiefer schob sich leicht nach vorne und er kämpfte mit den Worten: „Da haben sie wohl recht.“
„Sag so etwas nicht. Das ist nicht wahr“, sie war sichtlich entrüstet „Was ist nur geschehen, dass du so von dir denkst? Gestern Abend noch… du bist wie ausgewechselt.“
Er antwortete ihr nicht. Im Augenwinkel sah er Kerry wieder näherkommen, sie hatte einige Worte mit Oronêl gewechselt. Respektvoll wie sie war, hielt sie ein wenig Abstand. Ihre Augen fixierten aber die beiden Dunedain.

„Du bist wertlos in ihren Augen. Zweifelsfrei werden sie dich in die erste Reihe stellen und als Schutzschild benutzen.“
Er blickte ihr in die Augen: „Wenn das für mich vorgesehen ist, dann werde ich mich dem stellen.“
Sie war fassungslos. Tränen liefen ihr über die Wangen: „Geh nicht Helluin, geh nicht mein Schatz“, flehte sie ihn an und umarmte ihn dabei. Er erwiderte nicht.
„Elea“, unterbrach sie nun Kerry leise. Sie hatte eine ernste Miene: „Das wird nicht geschehen. Oronêl hat es mir versprochen und du kennst ihn.“
„Oronêl hasst Helluin. Er verhöhnt ihn indem er ihm noch das Schwert seines gefallenen Freundes übergibt.“
„Ich kenne Oronêl und so etwas würde er niemals tun. Er hat mir versprochen auf ihn Acht zu geben“, beteuerte die Rohirrim.
„Nein, nein! Ich lasse dich nicht gehen“, sagte sie wieder an Helluin gewandt. Ihr Ton war der strenge Befehlston einer liebenden Mutter.
„Das ist meine Entscheidung, Mutter“, antwortete er und versuchte jegliche Unsicherheit zu überspielen. Innerlich war er etwas erleichtert, weil Kerry dem Elben das Versprechen abgerungen hatte obwohl es seine Situation nicht wesentlich verbesserte.
„Ich werde Finjas bitten dich zu begleiten.“
„Finjas?“, fragte Helluin überrascht.
„Ja. Er wird mit dir kommen und auf dich aufpassen.“
„Das würde mich sehr wundern.“

„Bitte“, rief Elea noch zu Oronêl und Anastorias und ging ein paar Schritte auf sie zu. Der junge Waldläufer hörte noch Worte wie: Wartet noch mit dem Aufbruch. Finjas wird euch…
Oronêl und Anastorias wirkten überrascht, nickten ihr allerdings immer wieder verständnisvoll zu.
Es dauerte nur einen kurzen Moment ehe sie sich wieder an ihren Sohn wandte: „Du wartest hier!“ befahl sie und duldete keine Widerrede.

„Ähm Helluin“, begann nun Kerry vorsichtig „Finjas und deine Mutter sind, wie soll ich sagen…“ Ihre Wangen röteten sich leicht. „Sie sind ein Paar.“
„Finjas?“, fragte Helluin irritiert. Diese Nachricht hatte ihm gerade noch gefehlt. Er kannte ihn von früher. Als er die Stammesführung übernahm war Finjas ein Widersacher von ihm. Der Konkurrent hatte Ambitionen seinen Platz einzunehmen, darum hatte Saruman ihm eine andere Aufgabe zugeteilt. Helluin war sich lange Zeit nicht sicher ob er überhaupt noch am Leben war.
„Das ist gerade sicher nicht leicht für dich“, unterbrach Kerry ihn zaghaft.
Innerlich schüttelte er jeglichen Gedanken von seiner Mutter und Finjas als Paar von sich ab: „Überrascht? Ja, aber es ist ihre Entscheidung.“
„So wie du deine getroffen hast?“, der Vorwurf in dieser Aussage war kaum zu überhören.
„Ich hoffe du kannst mich verstehen.“
Er sah ihr an, dass sie ihm unzählige Sachen an den Kopf werfen wollte, aber sie schluckte es hinunter: „Ich habe Angst, dass dir etwas geschieht. Wirf dein Leben nicht sorglos zur Seite, denn es gibt viele Menschen denen du sehr viel Wert bist auch wenn du das nicht erkennen kannst.“
Der junge Mann war gerührt von ihren Worten.
„Ich weiß nicht was ich sonst tun kann. Nirgendwo kann ich hin. Das Volk von Eregion kennt meine Vergangenheit zum Teil und sie hegen keinen Groll gegen mich. Ihnen wurde hier ein Neuanfang gewährt, vielleicht habe ich auch eine Chance darauf. Wenn auch nur eine winzig kleine.“
„Wenigstens weiß ich, dass du bei meiner Familie in guten Händen bist und dass sie jene beschützen die uns am nächsten stehen.“
Ach wie gerne würde ich jetzt hier bei Kerry bleiben, in ihren Armen in Frieden. Aber Friede gibt es nicht, nicht hier und nicht in mir. Kerry, meine Kerry.

Einige Elben aus der Kaserne in der Helluin inhaftiert war brachten ihm seine Ausrüstung. Er legte das Kettenhemd sowie die Lederrüstung an und schnallte den Gurt enger. Behutsam hängte er das Schwert an seinen Gurt und fragte sich, ob das Schwert überhaupt seiner Hand folgen würde oder ob es sich seinem ‚Feind‘ widersetzen würde. Er verwarf den Gedanken augenblicklich wieder, obwohl man bei einem Elbenschwert wohl nie ganz sicher sein konnte.

Zwischenzeitlich war auch Arwen und Magor, der Gesandte von Imladris, eingetroffen. Elea hatte sie auf der Suche nach Finjas gesehen und ihnen von der Abreise berichtet. Die Elbe sprach den Kriegern, allen voran ihrem treuen Freund Oronêl, den Segen ihres Volkes aus und beschwor den Schutz der Valar. Die Anmut und Würde die sie dabei hatte, stand jener ihres Vaters in nichts nach. Ihre Stimme war jedoch wesentlich weicher und klang leicht melodisch.
Oronêl und die anderen anwesenden Elben verneigten sich dankbar vor ihr, Helluin jedoch ging in die Knie. Mit einem gezielten Griff in sein Reisegepäck holte er ein verwahrlostes Päckchen heraus. Er legte es in seine flachen Hände und streckte es der Elbe entgegen.
„Für mich?“, fragte sie überrascht.
Dem Dúnadan entging der misstrauische Blick Oronêls nicht, als Helluin nickte.
„Mir wurde aufgetragen euch dies zu überreichen.“
Sie schaute ihn fragend an und öffnete das geheimnisvolle Präsent. Der sanfte Schein des Elendil-Steins erhellte ihr Gesicht.
„Das Elendilmir? Bringst du es zurück damit wir es verwahren?“ Offensichtlich wusste Arwen, dass Helluin es früher als Zeichen seiner Abstammung und seines Ranges trug. „Gerne werden wir oder besser gesagt mein Vater dies an uns nehmen um es zu bewahren.“
„Nein Arwen. Es ist eine Botschaft an euch von König Elessar.“
Perplex starrte sie den jungen Mann an.
„Als er es mir in Edoras wieder übergab, bat er mich euch mitzuteilen, dass der Abendstern und der Stern des Nordens in Imladris verweilen sollten, bis ihre Träger dort wieder vereint sein würden.“
„Du hast Aragorn gesehen?“, ihr blieb beinahe der Atem weg.
„Ja, ich traf auf ihn unmittelbar nachdem er aus der Gefangenschaft entflohen ist. Gemeinsam mit Gandalf, dem Prinzen von Dol Amroth und drei recht sonderbaren Gefährtinnen machte er sich auf den Weg zur Schwanenstadt.“ Mit einem Lächeln im Herzen dachte er an die kurze Bekanntschaft mit Aerien, Narissa und Irwyne. In ihrer Gruppe hatte er sich erstmalig wieder gut aufgehoben gefühlt.
„Aragorn lebt!“, Arwens Gesichtsausdruck quoll über vor Freude und Glück „Meine Vorahnungen… ich hatte also Recht.“ Sie viel ihm in die Arme und Helluin konnte sich nicht erinnern sie jemals so überschwänglich gesehen zu haben. „Es ist unglaublich. Wie steht es um ihn?“, fragte sie neugierig nach.
„Die Zeit im dunklen Turm hat ihre Spuren hinterlassen, aber Aragorn ist unbeugsam. In ihm ist die Stärke und der Mut Elendils wiedererwacht.“
Stolz war im Gesicht der Elbe zu erkennen: „Ich danke dir Helluin, von ganzem Herzen: Vielen Dank.“

In diesem Moment war auch Elea wieder auf dem kleinen Platz aufgetaucht. Finjas stand gleich hinter ihr. Helluin erkannte ihn augenblicklich wieder. Überwältigt von dem Gefühlsausbruch Arwens fand sie keine Worte. Ehe sie sich in der Situation zurechtfand, sammelte Helluin all seinen Mut und begann mit fester Stimme: „Mutter, ich werde alleine gehen. Finjas, ich danke dir für deine Bereitschaft uns zu begleiten, aber sie ist nicht notwendig.“
Oronêl war gerade dabei Luft zu schnappen und seine Befehle zu unterbinden als ihm Kerry den Ellenbogen leicht gegen die Hüfte stieß. Er beließ es bei einem Räuspern.
„Aber, Hellu…“, begann Elea.
„Lass es sein“, wurde sie von Finjas unterbrochen.
Der junge Dúnadan umarmte seine Mutter zum Abschied: „Mach dir keine Sorgen“, flüsterte er ihr ins Ohr. Danach wandte er sich zu Kerry. Er sah in ihre hoffnungsvollen Augen, sanfte legte er eine Hand auf ihre Schulter. Er wollte sie in die Arme schließen, schwenkte im letzten Moment aber sein Gesicht zu ihrem und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. Sein Herz raste dabei und seine Hände schwitzten leicht. Zahlreiche Gedanken schossen ihm durch den Kopf, unter anderem Aéd oder den Schmerz abgewiesen zu werden. Eigentlich war er neugierig auf die Reaktion von ihr, aber er wagte nicht abzuwarten bis sie sich von dieser Überraschung erholte. Er drehte sich schleunigst zu Oronêl, der etwas verdutzt dreinschaute sich aber nicht dazu äußerte. Der Dúnadan nickte ihm zu und gab ihm so zu verstehen, dass er für den Aufbruch bereit ist.

Oronêl, Helluin und Anastorias mit dem Elbentrupp ins nördliche Eregion (http://modding-union.com/index.php/topic,36644.msg486659.html#msg486659)...
Titel: Die Bedeutung von Eiden
Beitrag von: Fine am 21. Mai 2021, 20:01
Es war das zweite Mal innerhalb weniger Tage, dass Kerry von jemandem auf den Mund geküsst wurde, und genau wie bei Adrienne vor Kurzem wandte sich nun auch Helluin rasch ab, ohne auf Kerrys Reaktion zu warten. Der Dúnadan trat zu Oronêls Gruppe, und die von Anastorias angeführten Manarîn setzten sich in Bewegung, durch das Nordtor der Stadt auf die Ebenen hinaus. Schon bald waren sie nur noch als kleine Punkte am Horizont zu sehen. Da endlich regte sich Kerry, als sie Eleas Hand sanft auf ihrer Schulter spürte. Helluins Mutter sprach kein Wort, doch Kerry wusste genau, weshalb Elea sie berührte. Sie drehte sich mit hochrotem Kopf um und nahm die Dúnadan in den Arm, legte ihren Kopf auf Eleas Schulter und hielt sie einfach eine Weile fest. Es war ein schönes Gefühl.

Schließlich war es Finjas, der sich räusperte. Elea ließ Kerry los und nahm stattdessen ihre Hände. Ihr Gesichtsausdruck war für Kerry schwer zu deuten. Sie sah dort dieselbe Sorge um Helluin, die Kerry selbst ebenfalls empfand, nur um ein Vielfaches gesteigert. Doch sie sah auch Freude und eine Art wissendes Lächeln, das für einen Augenblick über Eleas Gesicht huschte. Noch immer sagte die Dúnadan nichts, sondern hielt einfach nur Kerrys Hände. In diesem Augenblick fühlte Kerry sich ihr so sehr verbunden wie noch nie zuvor.
"Er wird zurückkehren," kam es dann endlich, wenn auch leise, von Elea.
"Natürlich wird er das," bekräftigte Kerry. "Oronêl wird auf ihn Acht geben."
Finjas brummte etwas vor sich hin, was Kerry erst im zweiten Moment verstand. Sie sah, wie der Waldläufer auf Arwen deutete, die ganz in ihrer Nähe stand und noch immer den Gegenstand in den Händen hielt, den Helluin ihr gegeben hatte, wie Kerry beobachtet hatte. Sie kam vorsichtig näher, gefolgt von Elea.
"Ist dies..." begann Elea staunend.
"Der Elendilmir des Nordens," sagte Arwen ehrfürchtig. "Und zwar der ursprüngliche Stein, der einst Isildurs Haupt zierte, ehe er verloren ging." Sie hielt eine Art dünnen, silbernen Reif hoch, sodass Kerry ihn genauer betrachten konnte. An der Stirnseite war ein weißer, leuchtender Edelstein eingefasst worden, der von kunstvollen Elbenrunen umgegen war.
"Ich habe so etwas schon einmal gesehen," sagte Kerry nachdenklich. "In Fornost. Der Anführer des Sternenbundes trug einen ähnlichen Reif..."
"Das war Valandils Reif," sagte Elea. "Er war von den Schmieden Bruchtals angefertigt worden, nachdem er ursprüngliche Reif, ein Erbstück aus Westernis, verloren ging. Wie ist nur dieser Stein wiedergefunden worden?"
Finjas rührte sich. "Der Zauberer steckt dahinter," sagte er knapp. "Er gab ihn deinem Sohn, nachdem er ihn zu unserem Anführer gemacht hatte."
"Dann war es also Saruman, der den Reif aus den Schwertelfeldern bergen ließ," meinte Arwen nachdenklich. "Und nun bringt ihn das Schicksal zu mir... mit dem Wind der Hoffnung. Dass Aragorn noch am Leben sein würde... ich hatte es all die Jahre nicht ausgeschlossen, aber... es war nur der Funke der Hoffnung."
"Nun ist daraus ein Leuchtfeuer geworden," sagte Elea gerührt.
Arwen nickte und auch sie schien den Tränen nahe zu sein, was Kerry von ihr kaum erwartet hätte. "Ja, so kann man es sagen," murmelte sie und erklärte Kerry: "Helluin hat ihn getroffen, in Rohan... und er ließ mir den Elendil-Stein bringen, als Zeichen der Hoffnung. Er ist in Dol Amroth, in Gondor..."

Elea und Arwen schienen noch mehr darüber sprechen zu wollen, doch sie wurden von dem lauten Geräusch marschierender Schritte unterbrochen, das immer näher kam. Auf der Straße außerhalb der Stadt erschien eine lange Reihe von Soldaten, die in Reih und Glied durch das Tor in die Stadt strömten. Rufe wurden unter den zusehenden Elben laut.
"Die Kronprinzessin ist zurück!"
"Feldherr Mathans Vorstoß zur Rettung von Rómen Tirion war ein Erfolg!"
Und tatsächlich konnte Kerry unter den vielen Soldaten Faelivrins Tochter Isanasca entdecken. So kehrten die Krieger, die zur belagerten Festung an der Ostgrenze ausgesandt worden waren, nach einer siegreichen, wenn auch verlustreichen Schlacht zur Hauptstadt zurück.
Ganz am Ende des Zuges kam Mathan selbst, inmitten einer Gruppe von Zwergen und Menschen. Inmitten der Gruppe fiel Kerry eine rothaarige Frau in ihrem Alter auf auf, die sich nahe bei Mathan zu halten schien. Als dieser Kerry sah, blieb er stehen und lächelte, auch wenn er dabei etwas müde wirkte. Es war das erste richtige Wiedersehen der beiden seit ihrer Trennung inmitten des Düsterwaldes. Die Frau folgte ihm einen Schritt, dann blieb sie zurück und schloss sich wieder dem Rest der Menschen inmitten des Heerzugs an. Kerry löste sich von Elea und ging zu Mathan hinüber,
"Du bist zurück," stellte sie unnötigerweise fest, dabei bemerkte sie, dass ihre Stimme ein wenig zitterte. "Wie... wie ist es dir ergangen?"
Mathan sagte erst einmal nichts. Er nahm sie fest in den Arm. Und obwohl er sich Zeit für die Begrüßung zu nehmen schien, spürte Kerry doch, dass ein Teil ihres Adoptivvaters unter Zeitdruck zu stehen schien. "Es ist... viel geschehen. Sowohl Gutes wie auch Böses. Ich erzähle es dir unterwegs, Ténawen," sagte Mathan leise. "Wir sollten uns auf den Weg zum Palast machen."

So geschah es. Kerry verabschiedete sich von Arwen und Elea und ging mit Mathan durch die Straßen von Ost-in-Edhil. Sie nahmen eine Abkürzung durch die kleineren Gassen, die für die heimkehrende Streitmacht zu groß waren und kamen so gleichzeitig mit Isanasca am Palast an. Unterwegs fasste Mathan für Kerry so gut es ging zunächst seine erstaunliche Reise zur Festung seiner Mutter im Hohen Norden und anschließend die Ereignisse rings um Rómen Tirion zusammen. Kerry konnte es kaum glauben, als ihr Adoptivvater davon berichtete, was er alles erlebt hatte, sowohl im Norden als auch nach seiner Rückkehr nach Eregion. Doch hauptsächlich war sie froh, dass es sowohl Mathan als auch Isanasca gut ging und dass die Rettungsmission, zu der Faelivrin ihren Vater ausgesandt hatte, ein Erfolg gewesen war.
Im Thronsaal angekommen gab es ein Wiedersehen mit der Königin, die ihre Tochter sichtlich erleichtert umarmte, dann aber einen vollständigen Bericht der Ereignisse einforderte. Kerry blieb an Mathans Seite, während unterschiedliche Kommandanten der Elben von den Geschehnissen und der Schlacht um Rómen Tirion berichteten. Als inoffizielles Mitglied der königlichen Familie war es Kerry gestattet, dabei anwesend zu sein, aber das meiste, was sie hörte, nahm sie nur am Rande wahr. Sie war in Gedanken bereits wieder bei Helluin und dem Kuss angelangt und überlegte hin und her, ob sie es Mathan erzählen sollte. Sie konnte nicht einschätzen, wie er darauf reagieren würde. Letzten Endes entschied sie sich, auf einen besseren Augenblick zu warten, immerhin kam Mathan gerade aus einer anstrengenden Schlacht heim und würde sicherlich erst einmal seine hochschwangere Frau sehen wollen.

Kerrys Vermutung erwies sich als richtig. Nachdem die Berichterstattung abgeschlossen worden war, entschuldigte sich Mathan, um zu Halarîns Unterkunft aufzubrechen. Auch die meisten anderen Elben verließen den Thronsaal wieder, bis nur noch Faelivrin, Isanasca und Kerry dort waren.
"Wären die Avari der übrigen Stämme an unserer Seite gewesen, wärest du gar nicht erst so in Bedrängnis geraten," sagte Faelivrin leise zu ihrer Tochter und Erbin. "Es ist frustrierend, immer nur Ablehnung von ihnen zu spüren zu bekommen."
Kerry näherte sich den beiden vorsichtig. "Haben die Elben nicht alle ein gemeinsames Ziel hier in Eregion? Dieses Land wieder aufzubauen und zu einer sicheren Heimat zu machen?" fragt sie.
"Man sollte es meinen," sagte Isanasca. "Das ist jedenfalls der Grund, weshalb wir alle hier sind."
"Wäre es vielleicht hilfreich, dieses gemeinsame Ziel irgendwie... sichtlicher hervorzuheben? In einer Art Proklamation, oder einem Schwur?" fragte Kerry. "In meiner Heimat Rohan gibt es die Geschichte über König Eorl, der die Rohirrim in die Riddermark führte. Er schloss ein Bündnis mit dem Truchsess von Gondor und schwor Eorls Eid, zur Besiegelung dieses Bundes. Seitdem sind Gondor und Rohan enge Verbündete und haben einander zahllose Male im Krieg unterstützt. Vielleicht... wäre ein ähnlicher Schwur für die verstreuten Stämme genau das Richtige, um sie zu vereinen?"
"Eide sind sehr mächtig und bindend," sagte Faelivrin nachdenklich. "Sie dürfen niemals leichthin geschworen werden. Ein Eidbrecher ist verflucht auf ewig."
"Und auf wen oder was sollten die Avari schwören?" fragte Isanasca. "Sie haben keinen gemeinsamen Anführer, und sie wollen Mutter nicht folgen."
Darauf wusste Kerry keine direkte Antwort. "Der Krieg bedroht uns alle," sagte sie daher. "Vielleicht ist das das Argument, das sie dazu bringen wird, sich gegen die Orks zu vereinen..."
"Wir werden es sehen. Der Vorschlag, sie einen Eid schwören zu lassen... ist nicht ganz abwegig. Ich werde es mir gut überlegen," sagte Faelivrin. "Schwester, ich hätte noch eine andere Frage an dich. Erinnerst du dich an meine Gardistin, Asea?"
"Ja," bestätigte Kerry etwas überrascht. "Ich sah sie erst vor Kurzem, sie war gemeinsam mit Anastorias unterwegs."
Mutter und Tochter blickten sie erstaunt an. "Ach, ist das so?" fragte Isanasca und lächelte versonnen.
"Dann hat sich meine Frage erledigt," meinte Faelivrin geheimnisvoll. "Vermutlich wird sie mit dem Stoßtrupp nach Norden gegangen sein."
Kerry fiel etwas anderes ein, als sie an Anastorias denken musste. "Er hat... mir in Mithlond erzählt, dass... ich ihn an jemand erinnere. An..."
"Alasindowen," sagte Isanasca leise. "Ja. Es ist uns allen gleich aufgefallen, als wir dich zum ersten Mal sahen. Für einige ist es noch immer nicht leicht, nicht sofort an jene, die verloren ging zu denken, wenn sie dich erblicken."
"Erzählt ihr mir, was damals wirklich geschehen ist?" wollte Kerry zaghaft wissen.
Faelivrin schaute ihre Tochter an. "Nur zu," sagte sie dann und trat ein paar Schritte weg. "Ich gebe euch den Freiraum, ich wollte ohnehin nach meiner Schreiberin sehen."
Isanasca führte Kerry dann aus dem Thronsaal heraus, in ein kleineres Nebenzimmer, das ein breites Fenster als Rückwand besaß. Man konnte die friedlich wirkenden Straßen Ost-in-Edhils hindurch sehen. Die Prinzessin der Manarîn nahm in einem der hölzernen Stühle Platz, die nahe des Fensters standen und bot Kerry an, es ihr gleichzutun und sich ihr gegenüber zu setzen. Dann begann sie zu erzählen...
Titel: Vom Herrn der Wasser
Beitrag von: Fine am 3. Nov 2021, 19:35
Kerry erfuhr nun in aller Ausführlichkeit von der Flutkatastrophe, die das Seereich der Manarîn zerstört hatte. Wie bereits Jahrzehnte zuvor die ersten Vorzeichen bemerkt und interpretiert worden waren. Wie die Königin mithilfe ihres Gemahls Finuor einen Versuch nach dem anderen unternommen hatte, das drohende Verderben noch aufzuhalten. Wie schließlich die größte Elbenflotte die die Welt seit Jahrhunderten gesehen hatte, gerüstet worden war, als es keinen Ausweg als die Flucht nach Mittelerde mehr gab. Wie die Verwüstung dann schneller als erwartet eingetreten und viele mit sich gerissen hatte... darunter auch Alasindowen, eine Elbenmaid von edler Abstammung, die die Geliebte des Anastorias gewesen war.
"Du bist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten," sagte Isanasca und schaute Kerry in die Augen. "Eure Persönlichkeiten könnten allerdings kaum unterschiedlicher sein. Wo du oft etwas hastig oder gar stürmisch sein kannst, war Alasindowen besonnen und ließ nichts überstürzen. Dennoch umgibt dich eine ähnliche Aura wie sie, ihr seid beide in der Lage, für eine wohltuende Stimmung im Raum zu sorgen, wenn ich das so sagen darf."
Kerry wusste nicht recht, ob Isanasca ihr damit ein Kompliment machen wollte, weshalb sie erst einmal nur nickte, ohne zu antworten. Sie war tief betrübt von der Geschichte der Manarîn und dem Leid, das die Elben erlitten hatten. Es war schlimm genug, die eigene Heimat verlassen zu müssen, so wie es Oronêl ergangen war. Doch im Gegensatz zu den Inseln der Manarîn existierte der Goldene Wald noch, und die Elben Lothlóriens hatten zum Großteil nach Lindon übersiedeln können. Eine Rückkehr war für sie also nicht ausgeschlossen, wenn auch im Augenblick ziemlich unwahrscheinlich. Das Seereich von Königin Faelivrin hingegen war fort, getilgt vom Antlitz der Welt.
"Wir wissen nicht, ob wir den Zorn des Herrn der Wasser auf uns gezogen haben, oder ob Úlanno - so nennen wir ihn - nichts damit zu tun hatte,"  erzählte Isanasca gerade weiter. "Doch viele der Manarîn sind seinetwegen verbittert und sein Name wird unter unserem Volk nicht mehr in den hohen Ehren gehalten, die ihm einst zuteil kamen, als wir noch auf unseren Inseln lebten. Manche fühlen sich im Stich gelassen. Sind nicht alle Wasser und alle Meere seinem Willen untertan? So lehrten es uns unsere Vorväter, und so haben wir es unseren Kindern beigebracht."
"Du meinst..." sagte Kerry etwas angestrengt, sie hatte Mühe, Isanascas Ausführungen zu folgen. "...dass dieser Herr des Wassers die Katastrophe hätte verhindern müssen, wenn er, ähm.... wenn er doch die Meere beherrschen kann?"
Isanasca nickte. "So sehen es viele unter den Manarîn. Und es ist auch einer der Gründe, warum es bislang keine Pläne gibt, hier in Eregion einen Schrein für Úlanno zu errichten."

Kerry sah Isanasca an, als diese die Schultern hob. Sie wirkte, als trüge sie eine innere Anstrengung in sich. Die Unterhaltung der beiden kam für einige Minuten zum Erliegen, ehe Kerry Isanasca schließlich bat, ihr von den Ereignissen an der Ostgrenze zu erzählen. So hörte sie mit großer Sorge von den Angriffen aus dem Gebirge und der Tatsache, dass Eregion nun tatsächlich angegriffen wurde. Das Reich der Manarîn befand sich im Krieg, und die Hauptstadt wurde auf eine Schlacht vorbereitet.
"Und du bist wirklich auf einem Löwen geritten?" fragte Kerry, als sie diesen Teil der Geschichte gehört hatte. "Es sind heute schon eine Menge seltsamer Dinge passiert, aber das übertrifft einfach alles."
Isanasca brachte ein verschmitztes Lächeln zustande. "Ich hätte nicht gedacht, dass jemand aus dem Land der Pferde überhaupt weiß, was ein Löwe ist," neckte sie Kerry und stupste ihr mit dem Zeigefinger gegen die Nase.
Kerry packte zu und hielt den Finger fest. "Ich bin nicht so unwissend wie ich vielleicht aussehe," sagte sie und ihre Augen blitzten für einen Moment auf. "Mein Onkel hat mir viele Geschichten erzählt, er kannte sich mit allerlei fremdartigen Dingen aus. Löwen sind wunderschöne, mächtige Tiere, die den Körper einer Katze haben, aber groß wie ein Pferd sind. Und das Erkennungszeichen eines Löwens ist seine goldene Mähne."
Isanasca zog ihren Finger zurück und nickte anerkennend. "Löwen sind in diesem Teil Mittelerdes nicht heimisch, sie leben weit im Süden. Es muss unseren Feind viele Mühen gekostet haben, sie bis an die Grenzen Eregions zu schaffen."
Kerry nickte und versuchte sich vorzustellen, wie es wohl dazu gekommen sein könnte. Aber ihr fiel keine klare Antwort ein. Ehe sie noch länger darüber nachdenken konnte, sprach Isanasca weiter.
"Du hast angedeutet, dass heute bereits einige andere seltsame Dinge geschehen sind," sagte sie und beugte sich leicht vor. "Was habe ich verpasst?"
"Oh, ähm, das..." stammelte Kerry, überrascht und verlegen. Sie wurde rot. "Das... das war so..." Zuerst zaghaft, dann etwas beschwingter, erzählte sie Isanasca davon, was ihr mit Adrienne und Helluin geschehen war.
"Bei den Sternen," sagte Isanasca und musste leise lachen. "Jetzt wird mir einiges klar. Ich hatte schon von Beginn unserer Unterhaltung geespürt, dass dich etwas umtreibt, tief im Herzen. Nun weiß ich, was ich bei dir wahrgenommen habe. Gräme dich nicht - dass du davon überfordert bist, ist nicht deine Schuld. Vielen anderen wäre es ganz genauso ergangen. Dies sind ohnehin seltsame Zeiten..."
"Und was rätst du mir nun?" wollte Kerry prompt wissen.
Isancasca hielt einen Augenblick inne. "Ich denke... du solltest auf dein Herz hören."
Das war nicht das, was Kerry sich erhofft hatte. Sie hatte sich gewünscht, dass Isanasca ihr die Entscheidung abnahm oder ihr zumindest einen klaren Hinweis gab, wie sie nun mit der Situation umzugehen hatte. Die Enttäuschung war ihr gut anzusehen, denn Isanasca stand auf und legte die Arme um sie.
"Ich weiß nicht, wie das geht," sagte Kerry undeutlich. "Auf mein Herz zu hören, meine ich. Zumindest jetzt weiß ich es nicht. Es ist... alles so undeutlich, so widersprüchlich... dort drinnen."
"Es wird mit der Zeit alles deutlicher werden," sagte Isanasca tröstlich. "Der junge Dúnadan, der es dir angetan hat... er ist gegangen, nicht wahr? Und deine Freundin, die Schülerin Mathans, wird nun einige - oder viele - Tage der Ruhe benötigen. Du hast etwas Zeit, um deine Gedanken zu ordnen. Denn dies war die Bedeutung meines Rates: Höre auf dein Herz, aber gib ihm Zeit, die Geschehnisse einzuordnen, verstehst du? Und noch eines möchte ich dir raten. Du hast deine Familie, die dir mit Rat und Tat zur Seite stehen wird, und du bist von Freunden umgeben. Lass sie teilhaben an den Dingen, die dich beschäftigen, so wie du mich teilhaben ließest. Ich denke... du wirst deinen Weg gehen, Ténawen. Ganz egal wie schwer er werden wird. Du hast schon viel durchgestanden, und bist weit gereist. Und immer hattest du gute Freunde an deiner Seite, nicht wahr? Sie werden dich nicht im Stich lassen."
Kerry sagte nichts, doch sie verspürte große Dankbarkeit. Sie hatte das Gefühl, dass Isanasca gar nicht unbedingt eine Antwort von ihr hören wollte. Sie nahm war, oder glaubte zu spüren, dass die Elbin ihr die Gedanken im Gesicht lesen konnte.

Sie sprachen noch eine Weile miteinander, über unbeschwertere Themen. Schließlich wurde es Zeit für Kerry, sich zu verabschieden. Sie umarmte Isanasca und machte sich dann auf den Weg zum Ausgang des Palastes. Es war Abend geworden, und die orangene Sonne tauchte die Elbenstadt in ein melancholisches Licht, als Kerry die Stufen des Palastes hinabging. Die Gardisten nickten ihr freundlich zu, als sie an ihnen vorbeikam. Unten auf dem Vorplatz blieb sie einen Augenblick stehen, um sich zu orientieren. Da sprach sie mit einem Mal eine Stimme von links an.
"He, Kerry, hier drüben!"
Kerry wandte sich um und entdeckte Pippin, der auf einem Mäuerchen saß und ihr zuwinkte. Sie eilte zu ihm hinüber.
"Was machst du denn da?" wollte Kerry verwundert wissen. Ihr war nicht entgangen, dass der Hobbit einige interessierte Blicke der Elben auf sich zog, andere ihn aber auch mit einem gewissen Stirnrunzeln betrachteten.
"Nun, um ehrlich zu sein, wollte ich eigentlich längst auf dem Weg nach Rohan sein," sagte Pippin. "Aber die Elben sagen, dass der Weg nach Süden nicht sicher ist, solange Krieg droht. Das Ganze erinnert mich an eine ähnliche Situation, in der ich schon einmal war. Gandalf und ich saßen in einer Stadt fest, die mir fremd war - und deren Einwohner noch nie einen Hobbit gesehen hatten - und mussten darauf warten, bis der Krieg uns einholt. Nicht gerade angenehm, wenn du mich fragst."
Kerry bekam ein schlechtes Gewissen. Immerhin war es mehr oder weniger ihre Schuld, dass Pippin hier war. "Tut mir Leid," sagte sie und schaute zu Boden.
"Ach, du brauchst dich nicht zu entschuldigen," sagte Pippin leichthin. "Ich habe das Gefühl, dass diese Elben hier mit allem fertig werden können, was da kommen mag. Ich habe den Gardisten eine Weile bei ihren Übungen zugesehen. So etwas sieht man nicht alle Tage, das kannst du mir glauben!" Er nickte bekräftigend. "Zwar ist Gandalf nicht hier - wer weiß wo er sich diesmal herumtreibt - aber ich glaube, du wirst als sein Ersatz schon ausreichen."
"W-wie meinst du das?" stammelte Kerry, die nun befürchtete, sie müsste Pippin mit irgendwelchen Zaubertricks bei Laune halten.
Der Hobbit lachte. "Du solltest dein Gesicht sehen! Da fühle ich mich schon mindestens zur Hälfte dafür entschädigt, dass du mich hierher geschleppt und dann einfach vergessen hast. Aber keine Sorge. Alles was du tun musst, ist mir ein wenig davon zu erzählen, was hier so vor sich geht. Und mir Gesellschaft leisten, von Zeit zu Zeit. Komm, ich habe auf meinen Streifzügen durch die Stadt herausgefunden, wo die Elbenbrote gebacken werden, die die Gardisten als Wegzehrung bekommen, wenn sie die Stadttore nach draußen passieren. Hast du schon einmal davon probiert? Diese Elben scheinen ja irgendwie recht viel von dir zu halten, sicherlich kannst du dafür sorgen, dass dieser Hobbit hier heute Abend ein nettes Nachtmahl bekommt? Und falls nicht, benutzen wir dich eben als Ablenkung, während ich... nun, einige der Brote an... einen besseren Ort bringe. Komm, gehen wir!"
Kerry war von Pippins Gerede ziemlich überrumpelt worden, und ehe sie es sich versah, befand sie sich auch schon auf einem langen Spaziergang mit dem Hobbit, der sie quer durch Ost-in-Edhil führen sollte...
Titel: Re: Ost-in-Edhil
Beitrag von: Curanthor am 4. Nov 2021, 19:15
Es war still in dem Palast, offenbar gönnten sich die Elben gerade eine Pause. Mathans Schritte verlangsamten sich, als er in den langen Korridor einbog, wo Halarîns und sein Zimmer lag. Sein Blick hing an der hohen Decke und ein Anflug von Melancholie überkam ihn. Er fühlte sich in der Zeit zurückversetzt, als er noch ein Heranwachsender gewesen war. Damals war er auch immer durch die langen Korridore in dem Palast gelaufen, um zu den Gemächern zu gelangen, in denen seinen Eltern und er gewohnt hatten. Sein Herz wurde schwer. Hätte er damals gewusst, was seine Mutter für eine Last trug, hätte er sich mehr dafür eingesetzt, dass sie zusammen blieben, sie alle drei. Er seufzte und vertrieb die Geister der Vergangenheit mit einem leichten Kopfschütteln. Seine Hand legte sich auf den kühlen Griff der Tür zu ihren Gemächern. Vorsichtig öffnete er. Im Inneren des Raumes strahlte in Halarîn geradezu entgegen. Sie saß mit einigen Kissen gestützt halbwegs aufrecht im Bett und hatte wieder etwas mehr Farbe im Gesicht.
"Ich wusste, dass du zu mir zurückkommst", begrüßte sie ihn mit einem Lächeln, „Das tust du immer."
Sie mussten keine Wörter wechseln. Sie wusste, dass er Erfolg gehabt hatte. Er erwiderte ihr Lächeln, trat zur ihr ans Bett und umfasste ihre dargebotene Hand. Er küsste sanft ihren Handrücken, dann legte sie seine Hand auf ihren runden Bauch. Mathan spürte die Wärme, die von ihr ausging, dann ein kleines Stupsen. Sein Lächeln wurde breiter. Es war ein kräftiger Tritt gewesen, ein Zweiter folge. Sie verweilten so einige Momente.

"Es ist unruhig", stellte er nach einer Weile fest und küsste Halarîn auf die Lippen, "Du hältst dich gut."
Sie lächelte schelmisch. "Ich bin ja auch nicht krank."
"Ich weiß... nur..." Er druckste etwas herum und sagte schließlich etwas leiser: "Du warst deutlich schwächer, als ich fortging."
Halarîns Gesicht verfinsterte sich für einen Augenblick. Mathan nahm seine Hand von ihrem Bauch und setzte sich neben ihr auf die Bettkante. Er spürte, dass ihr etwas auf dem Herzen lag. Er gab ihr Zeit, die richtigen Worte zu finden.
"Es ist das Böse, das sich im Schatten bewegt", sagte Halarîn schließlich und ihr bisher leuchtendes Gesicht wurde endgültig finster, "Ich spüre, wie es an mir nagt und zieht. Als du fort warst, war es besonders schlimm." Eine kurze, schwer lastende Pause folgten. "Es war, als ob sich eine dunkle Woge über das Land ergoss…" Ihre Stimme war fast nur ein Flüstern, "Ich kann es sehen, wenn ich die Augen schließe... Hier und da brandeten Felsen in der Dunkelheit auf. Leuchtende Fackeln, die dem Sturm trotzen." Ihre Pupillen nahmen einen silbernen Schein an, "Sterne im Schatten, die ihr trübes Licht auf das Land werfen. Bereit, ihr ganze Macht zu entfalten, warten sie..." Sie atmete tief ein, ihr Atem stockte. "Warten auf-"
Er ergriff vorsichtig ihre Hand. "Amandis", sagte er dabei sanft.
Der Glanz in ihren Augen erlosch. Sie schloss die Lider und atmete noch einmal tief ein und aus. "Nein, Marillindo, das ist noch nicht genug." Ein entschlossener Ausdruck trat auf ihrem Gesicht, ihre Lippen verkniffen sich. Sie öffnete die Augenlider erneut, das Silber nahm nun das Weiße in ihre Augen komplett ein. "Dort ist ein Leuchten, jenseits der Schatten im Osten. Es kommt näher. Und ein paar andere Lichter. Sie kommen hier her." Erneut stockte ihr Atem, diesmal blieb ihr für einige Herzschläge die Luft weg.
Mathan hatte genug und packte Halarîn an den Schultern. Sie blinzelte mehrmals und der Silberglanz erlosch. "Ich möchte nicht, dass du das noch einmal tust", sagte er vorwurfsvoll, "Nicht, solange du ein Kind unter dem Herzen trägst."
Halarîn sagte nichts, ihre Augenbrauen zog sie jedoch verärgert zusammen und senkte schuldbewusst den Kopf. "Es fing erst vor ein paar Tagen an...", sagte sie mit einer Mischung aus Ärger und Rechtfertigung, "Ich dachte, dass es uns helfen kann."
Mathan verstand ihre Beweggründe, fühlte sich aber nicht dabei wohl. Die Gabe zu Sehen war nichts, was man in ihrem Zustand leichtfertig nutzen sollte. Dies sagte er ihr auch und verwies auf Ivyn, die wohl bestimmt auch davor gewarnt hatte. Halarîn nickte zerknirscht und ließ sich tiefer ins Bett rutschen. Dabei murmelte, dass sie nicht so hilf- und nutzlos herumliegen wollte, die ganze Zeit beschützt zu werden passte nicht zu ihr. Mathan musste wieder lächeln und legte ihr eine Hand auf den Kopf.
"So wie es aussieht, dauert es nicht mehr lang", sagte er beruhigend.
"Ja...", stimmte sie in einem nachdenklichen Tonfall leise zu, "Ich... möchte noch etwas schlafen... Vielleicht solltest du nach Adrienne sehen."
Ein ungutes Gefühl beschlich Mathan, doch Halarîn hatte bereits die Augen geschlossen und atmete in tiefen Zügen. Vorsichtig erhob er sich und verließ ihr gemeinsames Zimmer. Ein letzter Blick auf die friedlich schlafende Elbe, dann schloss er leise die Tür.

Auf dem Korridor wollte er sich an den Kopf fassen, weil er noch so viele Dinge zu erledigen hatte, doch ein gerüsteter Gardist der Manarîn wartete dort auf ihn. Der Elb begrüßte ihn mit einer raschen Verneigung, die Mathan mit einem knappen Nicken erwiderte. Er informierte ihn, dass sein Vater ihn gerne sprechen würde, sobald es möglich war, außerdem sprach er eine Einladung der Königin aus, bei dem anstehenden Fürstenrat am Abend teilzunehmen. Der Elb verneigte sich noch einmal knapp und eilte davon, blieb aber dann noch einmal stehen und sagte: "Ach und... eine gewisse Valena wartet auf Euch in der Eingangshalle, zusammen mit einigen Zwergen aus den Roten Bergen."
Mathan zögerte, brummte dann aber zustimmend. Das Gespräch mit seinem Vater hatte er schon länger im Kopf, vor allem nachdem, was er bei seiner Mutter erlebt hatte. Im Gedanken versunken hörte er, wie sich die Schritte des Boten entfernten. Mathan selbst ging nur langsam in Richtung Eingangshalle. Das ungute Gefühl bei Adrienne wollte nicht weichen und er beschloss, so bald es ging sich nach ihr zu erkundigen. Sein Gefühl sagte ihm, dass irgendwas nicht stimmte. Er atmete durch und beschloss alles der Reihe nach anzugehen. Das Gespräch mit seinem Vater musste noch ein klein wenig warten. Zuerst sollte er sich um Valena kümmern - und um die drei Zwerge. Danach wollte er mit seiner Tochter sprechen und sich über das, was in seiner Abwesenheit geschehen war zu informieren. Grübelnd, was das wohl sein könnte, trat er in die große Eingangshalle.

Valena wartete nahe einer Wand an einer Bank und ging rastlos auf und ab. Sie trug einen elbischen Mantel über ihren eher schäbigen Kleid und schien sich unwohl zu fühlen, was er an ihren hochgezogenen Schultern bemerkte. Die drei Zwerge saßen hingegen auf der Bank und diskutierten mit dem schwer gerüsteten Elben, dessen spitz zulaufender Helm mit einem dunkelblauen Schweif Rosshaar geschmückt war. Der wallende, schwarze Mantel war mit dem königlichen Siegel in goldenen Garn bestickt: Ein Adler mit gespreizten Schwingen, der eine große Krone in den Krallen hielt, die von einem kunstvoll gearbeiteten Speer durchstoßen wurde. Mathan hatte schon von ihm gehört, der erste und bisher einzige Ritter des Hauses Manarîn. Es hieß, seine Kampfkunst könnte sich mit der seinen messen.
"Nammanor", sprach er ihn direkt an, "Wie ich sehe, habt Ihr bereits unsere Gäste kennengelernt."
Valena stoppte in ihren rastlosen umher Gelaufe und auch die rege Diskussion erstarb. Der Angesprochene richtete sich zu voller Größe auf und wandte sich um. Nammanor war genauso groß wie Mathan und trug eine kunstvoll gefertigte Rüstung, die mit einigen Rubinen verziert war. Selbst an seinem Schulterpanzer waren zwei Saphire eingelassen. Das Gesicht wurde von den nach vorn gebogenen Wangenklappen des Helms verborgen. Ein Paar bernsteinfarbene Augen blickten jedoch ihn mit einer Mischung aus Neugierde und... Herausforderung an.
"Feldherr", kam es äußerst knapp als Begrüßung, "Wie ich sehe, hattet Ihr Erfolg. Ich hatte gerade meine Mühe diesen ... Zwergen klarzumachen, dass hier keine Pfeifen oder Waffen geduldet sind. Und dieses Menschenmädchen davon abzuhalten nach Euch zu suchen."
Mathan antwortete nicht, sondern schwieg. Seine Hand wanderte zu seinem Gürtel. Nammanor tat es ihm gleich. Die Art wie sich der Ritter bewegte und auch wie er ihn nicht aus den Augen ließ... Ein flüchtiges Grinsen huschte Mathan über das Gesicht und er unterdrückte es, konnte aber nicht verhindern, dass seine Mundwinkel zuckten. Nammanor entging es natürlich nicht, eines seiner Augen zuckte. Mathans Hand umspielte den kühlen Griff von Halarîns Schwert. Ohne große Worte war eine gewaltige Spannung in der Halle, dass niemand es wagte laut zu atmen.
"Es heißt, Euer Können mit dem Schwert sei unerreicht", brach Nammanor die Stille und nickte zu Mathans Gürtel.
"Und von Euch hört man auch Beeindruckendes, dass ihr alle anderen der Palastgarde und der Leibgarde der Königin geschlagen habt. Der beste Schwertkämpfer der Manarîn",erwiderte Mathan und nickte dabei ebenfalls zu dem Langschwert an der Seite des Ritters.
Nammanor antwortete nicht, sondern machte einen Schritt nach rechts, Mathan spiegelte die Bewegung und schritt nach links. Langsam umkreisten sie sich. Die Füße der beiden Elben glitten über den Boden, jede Bewegung war so fließend, dass es so aussah, als ob sie über Eis schritten.
"Ich habe gehört", begann Nammanor dumpf durch den Helm und spreizte seine Finger über seinem Schwertknauf, "Dass Ihr es schon als Heranwachsender mit einem Troll aufgenommen habt."
Mathan runzelte die Stirn. Dies war schon sehr lange her und eher eine Geschichte, die er im alten Eregion erwartet hätte. Wahrscheinlich hatte sein Vater zu viel geplaudert. Er ging nicht darauf ein, sondern griff auf die Erzählungen der Manarîn zurück, mit denen er vor kurzem gekämpft hatte: "Und ich habe gehört, dass Ihr Euch mit der Prinzessin duelliert habt."
Der Ritter antwortete nicht, erst nach vier Umrundungen sagte er langsam: "Möglich."
Mathans Antwort bestand aus einem Heben eines Mundwinkels. Die ganze Zeit hatten sie sich nicht aus den Augen gelassen. Ein Geräusch aus dem Thronsaal durchbrach die Stille. Nammanor und Mathan zogen blitzschnell ihre Klingen, Stahl prallte auf Stahl. Keiner von ihnen zu spät oder zu früh. Die beiden Schwerter bildeten ein perfektes X, keiner von ihnen zitterte oder schob die Klinge hin oder her. Die Augen des Ritters verengte sich, als er offenbar grinste. Mathan musste ebenfalls grinsen.
"Es ist selten jemanden zu begegnen, der den Klingentanz so gut beherrscht", sagte Nammanor anerkennend und nickte knapp.
"Genau das wollte ich auch sagen", antwortete Mathan und erwiderte die Geste.
Der Ritter senkte sein Schwert und stieß es in die Scheide. "Wenn Ihr mich nun entschuldigt, Schwertmeister."
Mathan kam nicht umhin kurz das Gesicht zu verziehen. "Natürlich."
Während der Ritter sich mit wallendem Mantel und Rosshaarbusch entfernte, schob er ebenfalls Halarîns Schwert wieder langsam in die Scheide.
"Wenn das kein Hahnenkampf war, weiß ich auch nicht", sagte Grám amüsiert, konnte aber ein wenig Anerkennung in seiner Stimme nicht ganz unterdrücken, "Dabei ist Frau Valena bereits vergeben."
Die drei Zwerge lachten dröhnend, während Valena schnell sagte: "Unsinn, er folgt mir nur ständig."
Ihre Verteidigung kam etwas zu schnell, denn Lorim lachte feixend und hielt dagegen: "Ach, und deswegen habt Ihr Euch mit der Palastgarde angelegt, weil er nicht eingelassen wurde."
Valena wurde tatsächlich eine Spur rot, starrte die Zwerge einfach nur wütend an und wandte sich nach einem kurzen Moment mit einem Schnauben von ihnen ab. Mathan ahnte, dass es um den Jungen aus Minzhu handelte. Er ging aber nicht darauf ein, auch wenn er sich insgeheim fragte, was zwischen den beiden vorgefallen war. Stattdessen fragte er an die Zwerge gewandt: "Habt man euch bereits eine Unterkunft zugewiesen?"
Grám, der noch immer der Anführer des Trios war, nickte knapp, sagte aber, dass er bei dem Standard der Elben mehr erwartet hätte. Andak hielt kopfschüttelnd dagegen, dass die Elben hier gerade erst ihre Heimat gefunden haben.
"Gut, es ist nicht schlecht, zufrieden?" ,schnauzte Grám den Alten an und schüttelte nur den Kopf mit einem „Alter Besserwisser“ auf den Lippen. Dann wandte er sich an Mathan: "Nun, wir können nicht ständig hier bei den Spitzohren herumhängen, also würde ich gern darüber reden, wie wir diese Lebensschuld begleichen können. Und da haben wir schon ein paar Ideen... ich weiß aber nicht, ob das hier den feinen Elben in den Kram passt. Wir regeln im Osten manche Dinge etwas anders."
Erneut warf Andak ein, dass dies hier Avari waren und sie sich von den übrigen Elben unterschieden, woraufhin Grám ein entnervtes Knurren von sich gab.
Hastig ergriff Mathan endlich das Wort, ehe wieder was dazwischen kam: "Nun, ich würde mir gerne diese Ideen anhören. Vielleicht heute beim Abendessen, was haltet Ihr davon?"
Die drei Zwerge tauschten ein paar Blicke und sprachen in ihrem eigenen Dialekt, bis sie sich offenbar auf etwas rasch einigten. Grám nickte und sagte: "Dann beim Abendessen. Hoffentlich gibt es etwas anderes, als nur Grünzeug."
Mathan nickte vielsagend auf Valena und sagte, dass sie schon einige Gäste beherbergen, die einen anderen Geschmackssinn haben als Elben. "Wenn es recht ist, würde ich kurz mit ihr alleine sprechen, danach habe ich noch etwas Wichtiges zu erledigen."
"In Ordnung", stimmte Grám rasch zu, "Wir wollten so oder so uns mal nach diesem Elbenbrot erkundigen, wovon die Soldaten beim Weg hier her ständig gesprochen haben."
Damit verabschiedeten die drei Zwerge sich und ließen Mathan alleine mit Valena.
Titel: Kindergeschichten und eine Hofmeisterin
Beitrag von: Curanthor am 10. Nov 2021, 20:59
Gemeinsam blickten sie den Zwergen hinterher, die im Gehen sich aufmerksam den Baustil der Manarîn ansahen. Sie sprachen dabei in ihrer eigenen Sprache, die Mathan trotz seiner grundlegenden Kenntnisse nicht verstand. Als sich langsam die großen Flügel des Haupttores schlossen, wandte er sich an Valena, die bereits mehr oder weniger ungeduldig zu ihm aufblickte.
„Also…“, begann Mathan etwas unsicher das Gespräch, „was erhoffst du dir von mir? Warum der Treueschwur?“
Die direkte Frage warf die junge Kriegerin etwas aus der Bahn und sie blinzelte, um die Gedanken zu ordnen. Ihre Hände suchten etwas an der Hüfte, offen bar trug sie dort immer einen Gürtel mit Waffen. Doch sie griffen ins Leere, was ihr sichtliches Unbehagen bereitete.
„Das war bei mir im Dorf so üblich“, antwortete sie schließlich erstaunlich leise, reckte aber dann rasch das Kinn und setzte lauter nach: „Und ich habe keinen Platz wo ich sonst hingehen könnte… wieder zurück in den Süden… das hat mir schon einmal kein Glück gebracht. Ich möchte bei Euch bleiben und kämpfen! Wir haben einen gemeinsamen Feind.“
„Das haben wir. Sauron bedroht uns alle, leider haben das noch immer nicht alle begriffen“, bekräftigte er und nickte zu den Banner der Avari, „Du solltest dir darüber klar sein, dass diese Elben hier wilder sind, als jene, die beispielsweise Herrn Elrond folgen. Sie sind misstrauischer, unbeherrschter und … manche würden meinen eher den Menschen ähnlich. Emotionaler.“
Valena lächelte das erste Mal, wenn auch eher schwach und antwortete, dass ihr noch nie im ihrem Leben zuvor Elben begegnet waren. Für sie war Mathans Volk stets ein Teil von Geschichten, die in kalten Nächten an Lagerfeuern erzählt wurden. Geschichten, um kleine Kinder zu beruhigen, wenn die Orks des Gebirges sie des Nachts heimsuchten, während die Erwachsenen draußen kämpfen.
„Ach, und was erzählte man sich da so?“, hakte Mathan neugierig mit einem Schmunzeln nach.
Valenas Züge wurden weicher und sie erzählte, dass die Elben auf weißen Pferden durch das Unterholz jagten und die Orks niedermachten. Blass wie der Schnee stiegen sie von ihren Rössern und vertrieben die Kreaturen der Nacht mit dem dröhnenden Klang eines Horns. Das Horn des Jägers, geschmiedet aus den Stahl und Knochen der erschlagenen Finsterlinge. Ihr Blick ging ins Leere.
„Früher habe ich mir immer gewünscht, dieses Horn zu hören. Der Klang des Verderbendes für die Verdorbenen.“ Sie schüttelte sacht den Kopf, „… aber das waren nur Geschichten. Die Wirklichkeit ist hässlicher als man es sich ausmalt.“
Mathan, der interessiert zugehört hatte, setzte sich auf die freie Bank, Valena tat es ihm gleich. Nach kurzem Zögern legte er ihr sacht eine Hand auf die Schulter. Sie zuckte kurz zusammen, ballte die Fäuste. Rasch nahm er sie fort und sagte stattdessen: „Das mag sein, aber Geschichten haben immer einen wahren Kern.“
„Hmm“, machte sie nachdenklich und blickte dann auf, „Und gibt es dieses Horn vielleicht wirklich?“ Die Frage kam unerwartet, eine Spur kindliche Neugierde schwang in ihrer Stimme mit. 
Mathan runzelte unmerklich die Stirn, als er nachdachte, doch er konnte sich nicht entsinnen davon gehört zu haben. Er schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir leid.“
Sie atmete durch und nickte, „Hatte auch nicht daran geglaubt.“ Anhand ihrer Tonlage hörte er heraus, dass sie ihre Enttäuschung überspielte, als sie rasch das Thema wechselte: „Ich möchte nicht undankbar erscheinen, wenn ich nach einer… passenderen Kleidung frage – und bei den Sternen bitte kein Kleid.“
„Das tust du nicht“, beruhigte er sie und musterte sie kurz eindringlich. Ihm war klar, dass sie das Kleid verachtete, so wie sie sich darin bewegte. „Und was schwebt dir so vor – außer Kleider?“
Sie grinste und schob die Ärmel ihrer Kleidung hoch. Ein gutes Dutzend breiter Narben kam zum Vorschein. „Etwas, dass so etwas verhindern kann, immerhin ist der Feind nicht weit.“
Mathan nickte mit einem sachten Schmunzeln und erklärte, dass er da schon jemanden wüsste, der ihr weiterhelfen könnte. Im Kopf beschloss er sie zu dem Gespräch mit seinem Vater mitzunehmen, der inzwischen wieder sämtliche Schmiedearbeiten in der Stadt beaufsichtigte. Er wüsste sicherlich, wo man Rüstung und Waffen für die junge Kriegerin auftreiben könnte. Sie nickte dankbar und verfiel in kurzes Schweigen. Ein Flügel des großen Tores öffnete sich und eine Delegation Avari betrat die Eingangshalle. Sie warfen ihnen Blicke aus den Augenwinkeln zu. Valena musterte die Elben, die in leichte Rüstungen gehüllt waren, einige trugen breite Stoffgürtel aus braun- und Grüntönen. Sie sprachen leise in ihrem eigenen Dialekt und warteten. Mathan bedeutete der jungen Kriegerin sitzen zu bleiben, als ein hochgewachsener Elb sich aus der Gruppe löste und sich scheinbar in ihre Richtung begab. Mathan hatte die Schritte aus dem Korridor links von ihnen bereits vernommen und wandte nur halb den Kopf. Aus dem Ostflügel des Palastes kam eine Elbe, die er schon öfters in Faelivrins Gefolge gesehen hatte. Sie hatte lange, kastanienbraune Haare, die sich über ihren Rücken ergossen  und von einem dünnen, silbernen Haarreif aus ihrem Gesicht gehalten wurden. Ihr scharfer Blick aus grünen Augen huschte kurz zu Mathan und Valena auf der Bank. Sie nickte unmerklich zum Gruß, wandte sich aber dann an den hervorgetretenen Avari in der Gemeinsprache: „Seid gegrüßt.“ Es war eine recht frostige Begrüßung, die der Avar nicht weniger kühl erwiderte. „Ich bin Istime, die Hofmeisterin und Verwalterin des Reiches. Die Königin erwartet demnächst zehn Pferde samt Gespann aus Tharbad. Ich hörte, dass Ihr in den Stallungen am Südtor noch freie Plätze habt, ja?“
Etwas unwillige nickte der Avar und schien eher den Kopf schütteln zu wollen, was Istime nicht entging. Sie lächelte und setzte nach: „Gut, dann wisst Ihr nun Bescheid.“
Mathan musste sich beherrschen, um nicht zu Glucksen, selbst Valena hielt sich rasch eine Hand vor dem Mund, um ihr Grinsen zu verbergen.
Der Avar – offenbar ein Cuind – wollte protestieren, doch Istime hob mit gespielter Überraschung die Brauen. „Habt Ihr doch kein Platz? Nun, das wäre natürlich ein Problem. Und Probleme nimmt man in diesem Palast sehr ernst. Und ernste Angelegenheiten nimmt sich die Kronprinzessin zurzeit hilfsbereiter Weise persönlich vor, um mich ein wenig zu entlasten.“ Das Lächeln wurde eine Spur schärfer. „Also, haben wir ein Problem?“
Der Cuind lächelte nun ebenfalls und verneigte sich knapp: „Aber nein, es ist nichts womit ich Anarálîn – die ehrenwerte Isanasca belasten würde.“
Die Hofmeisterin lächelte nun strahlend und klatschte leise in die Hände: „Ausgezeichnet. Ich bedanke mich im Namen ihrer Majestät für Eure Dienste.“
Der Avar verneigte sich noch einmal äußerst knapp und wandte sich abrupt um. Valena neigte sich indessen leicht zu Mathan hinüber und fragte flüsternd: „Als was hat er da gerade die Prinzessin bezeichnet?“
„Sonnengekrönte Löwin“, antwortete er ebenfalls flüsternd, während sich die Cuind um ihren Sprecher versammelten, „Es ist ein Titel und ein Name in Einem. Den hat sie sich im letzten Kampf verdient. Ein Zeichen des Respektes unter den Avari, um herausragende Taten zu verewigen.“
„Ach, deswegen…“, Valena verstummte, als die Gruppe Cuind geschlossen den Palast verließen und dabei zuvorkommend und mit einem Lächeln der Hofmeisterin hinausgeleitet wurden. Der Torflügel wurde von der Palastgarde wieder geschlossen. Istimes Lächeln wurde etwas spitzbübisch, als sie sich zu Mathan umwandte und auf die Bank zuging.
„Nun, der tapfere Feldherr gönnt sich seine wohlverdiente Ruhe?“, begrüßte sie ihn mit einem Augenzwinkern, „Und wen haben wir hier?“, fragte sie mit Blick auf Valena, „Ein neuer Schützling?“
„Dies ist Valena, eine junge Kriegerin aus … dem Norden“, antwortete er etwas unschlüssig und räusperte sich, „ Nicht direkt, sie verweilt bei uns für eine unbestimmte Zeit.“
Istime blickte aufmerksam zwischen ihnen hin und her und nahm unerwartet Valenas Hand, „Und hast du schon eine Unterkunft?“
Die junge Frau schüttelte den Kopf und blickte fragend zu Mathan, doch die Hofmeisterin seufzte nur. „Nun, das geht natürlich nicht. Ich werde hier schon eine Kammer für dich finden, du müsstest sie aber mit der anderen Schülerin des Schwertmeisters teilen, wenn sie wieder…“ Sie brach ab und blinzelte rasch, lächelte dann freundlich, „Wir bekommen das schon hin. Komm, wir suchen euch ein schönes Zimmer im Ostflügel, da dürften heute drei fertig geworden sein.“ Mit den Worten zog sie die etwas verdutze Valena von der Bank, die Mathan einen hilfesuchenden Blick zuwarf. „Ich leihe sie mir für den Abend aus, eine helfende Hand hat mir gerade gefehlt.“
Mathan, der ein wenig von der direkten und vor allem tatkräftigen Art der Elbe überrascht war, nickte nur, doch Istime hatte Valena bereits zum Ostflügel geschoben und erklärte ihr, dass sie als Schülerin eines Meisters auch in dessen Nähe bleiben musste. Den Protest, dass sie nicht in einem Palast wohnen könnte und sie keine Ahnung von höfischer Etikette hatte, ignorierte die Elben geflissentlich. Ein paar Momente hörte er noch die Stimmen der beiden im Korridor diskutieren, bis sie wohl in einen anderen Raum gingen. Mathan erhob sich und blickte zu den Lichteinlässen knapp unterhalb der Decke, wo orangene Strahlen die Eingangshalle in ein warmes Licht tauchten. Es war bereits später Nachmittag. Er beschloss sich einen Moment der Ruhe zu gönnen und machte sich auf dem Weg aus dem Palast zu seinem kleinen Rückzugsort.
Titel: Mathan, Isa und eine große Baustelle
Beitrag von: Curanthor am 12. Nov 2021, 20:33
Der Nachmittag war relativ kühl und grau-weiße Wolken türmten sich im Norden. Mathan hielt die Nase in den Westwind, der sich wohl bald drehen würde. Er schloss kurz die Augen und dachte an den salzigen Geruch des Meeres. Die Zeit auf der Avalosse ging ihm wieder durch den Kopf. Und das Auftauchen des Ringes. Es war erst weniger als ein paar Monate her, und doch war es eine sehr einprägsame Reise gewesen. Das Portal des Palastes riss ihn aus dem Gedanken. Ohne hinzusehen eilte er zwischen die Säulen hindurch zur Ostseite an der breiten Front des Baus entlang. Ihm stand jetzt nicht der Sinn nach mehr kleinlichen Auseinandersetzungen zwischen Manarîn und übrigen Avari. Vor der Ecke des Palastes, dort wo der Ostflügel begann, befand sich ein unfertiger Baugrund. Der Größe nach, war es ein Rundturm für Gemächer. Wenn er fertig war, verdeckte er die Sicht auf den schmalen Korridor, der den großen Ostflügel mit dem massiven Hauptgebäude verband. Mathan verstand nicht viel von der Kunst des Bauens und konnte sich kein genaues Bild machen, wie der fertige Turm wohl aussehen würde. Achtzehn Elben bearbeiteten lange, halb durchgeschnittene Holzstämme neben dem Baugrund und schliffen die Rinde ab. Niemand nahm von ihm Notiz.Nachdenklich betrachtete er die Materialien, die ein Dutzend Elben unablässig über eine breite Rampe von dem Platz heraufschafften. Es waren helle Steine, die aus dem nordwestlichen Teil Eregions stammten. Mathan kannte den alten Steinbruch noch von früher, den er bei einem seiner Streifzüge entdeckt hatte. Die meisten Steine waren bereits in Form gebracht und sorgfältig auf Pferdewagen aufgereiht. Zehn Elben entluden die Wagen unablässig und gaben sie sofort weiter, wobei die größten Steine zu viert getragen werden mussten. Sie landeten in den Fundamenten. Mathan machte einen großen Bogen um die Arbeiteten und wich einem großen Trog aus, den ein Elb gerade abgestellt hatte. Eine gräulich-braune Masse wabbelte darin zähflüssig. Der junge Elb blickte kurz auf und murmelte eine Entschuldigung, dann trug er den Trog zu einer weitere Gruppe Elben, die begannen die zähe Masse in die Fundamente zu arbeiten.
Auf der Ostseite angekommen schlängelte sich Mathan durch das übrige Materiallager. Fein gearbeitete Holzbalken reihten sich aneinander, ebenso fast perfekt geschliffen Steinquader stapelten sich. Er duckte sich unter eine Reihe von Flaschenzügen, einige nur für das Lager, andere waren so hoch, dass sie in die obere Etage des Ostflügels reichten. Drei davon arbeiteten unablässig und hoben Stein und Holz hinauf. Einige der Elben nickten ihm knapp zu, wenn sie ihn im Augenwinkel bemerkten, doch Mathan wollte sie nicht weiter stören und steuerte auf die unfertige Nordseite des Ostflügels zu. Das arbeitsreiche Lärmen wurde etwas leiser, nur das stetige Hämmern der Meisel auf Stein hallte herüber.

Hier am nördlichen Teil des Palastes konnte man sehen, wie unfertig alles war. Der Westflügel endete in einem großen, pragmatisch wirkenden Gerippe aus Holzstützen, das sich über das gesamte Dach fortführte. Die Rückseite des Thronsaals bestand aus einem halboffenen Korridor, der eigentlich in einem großen Garten münden sollte, doch von dem war noch nichts zu sehen. Der Grund war zwar planiert, doch steinig und keine Spur von Grün. Mathan schloss die Augen und stellte sich vor, wie der Palast wohl aussehen würde. Von vorne dominierte der runde, säulengetragene Vorbau mit dem Balkon und Faelivrins Gemächern. Dahinter erhob sich die große Rundkuppel des Thronsaals. Rechts und links wurde das Bauwerk von den Palastflügeln flankiert, wobei große Rundtürme das Bild abrundeten. Hinter dem Thronsaal, zwischen den beiden Flügeln entstand in seinem Geist ein grüner, mit kleinen Teichen gestalteter Garten. Dieser führte schließlich zum eigentlichen Hauptgebäude, von dessen Ausmaße nur der planierte Grund Aufschlüsse gab. Mathan öffnete die Augen. Es würde gewaltig werden, würdig eines Herrschersitzes und in keinem Maße geringer als der alte Palast der Noldor.
„Und gefällt es dir?“, ertönte eine bekannte Stimme plötzlich hinter ihm.
Mathan blinzelte überrascht und drehte sich zu seiner Enkelin um. Sie trug noch immer eine Rüstung, einen kurzen, roten Mantel, der ihr bis zur Hüfte reichte und ihre Schwerter, wobei an ihrem Gürtel nur noch eines hing. Das Schwert an ihrem unteren Rücken zog  jedoch wieder seine Aufmerksamkeit an. Es war ein Griff, der mit roter Seide umwickelt war. Isanasca schien zu lächeln sagte entschuldigend: „Wie es scheint, habe ich deinen Fluss der Gedanken unterbrochen.“
Rasch blickte Mathan auf. Er bemerkte die blaue-violette Winterblume, die sie sich in das blonde Haar hinter das Ohr gesteckt hatte und schmunzelte unmerklich. „Wie ein Fluss, so kann man seine Gedanken nicht festhalten“, entgegnete er und blickte sich um, „Es wundert mich, dich hier zu treffen. Wo du doch deiner Mutter so eine große Hilfe bist.“
Sie nickte sacht. „Hin und wieder muss auch ich etwas Abstand nehmen. Wenn ich meine Mutter beobachte, so scheint mir das umso wichtiger.“
Er verstand worauf sie hinauswollte, sprach es aber nicht aus. Das musste er auch nicht. Die andauernden Spannungen der Elben lagen seit seiner Ankunft in der Luft.
„Dies ist mein kleiner Garten zum entspannen“, sagte Isanasca und lachte unvermittelt leise, „Nun, es ist noch kein Garten. Und eigentlich noch nicht einmal ein Ort… nur eine freigeräumte Fläche.“
„Eine leere Fläche, ja, aber es geht um die Bedeutung, die wir ihr beimessen“, Er scharrte mit dem Stiefel einige Steinchen unter seiner Sohle beiseite, „Für mich war dies der nördliche Teil der Stadt. Hier standen eine Kaserne und einer der großen Türme von Eregion. Wir durften uns ihnen nie nähern. Sie waren nur den Herrscher und seinen Vertrauten bestimmt.“ Mathan verstummte und beschloss das Thema ruhen zu lassen. Viele Erinnerungen kamen erst jetzt wieder, wenn er so dastand und nicht gerade etwas zu tun hatte. Die meisten riefen wieder die dunkelsten Stunden seines Lebens wach. Seine Enkelin schien zu spüren, dass er nicht darüber weitersprechen wollte und schwieg taktvoll.

Sie lauschten dem Klopfen, Hämmern, Sägen und Rufen von der großen Baustelle für eine längere Zeit. Hin und wieder konnten sie einige Elben in den Holzkonstruktionen herumklettern sehen. Als sie sahen, wie einige von ihnen mit Seil und Muskelkraft Balken in die Höhe hievten, begann Isanasca zu schmunzeln. Mathan wandte ihr halb den Kopf zu und hob fragend eine Braue. Sie lachte leise und sagte, dass sie nun wisse, von dem ihre Mutter diesen Gesichtsausdruck hatte. „Ich habe mich gerade an das Gespräch erinnert, das ich vorhin mit einigen der ehemaligen Gefangenen geführt hatte, die ihr befreit habt“, sagte sie schließlich und wandte sich von den Bauarbeiten ab, „Einige haben sich über die Kraft der Elben gewundert und über die Baugeschwindigkeit.“
Mathan wandte sich ihr ebenfalls zu und atmete unmerklich aus. Ein weitere Thema, dass sie lösen mussten, die Gefangenen. „So? Ich denke, dass die meisten noch nie Elben getroffen haben. Dazu kommt, dass die Manarîn erfahrene Baumeister und in Eile sind.“
Seine Enkelin nickte, noch immer amüsiert, „In der Tat haben einige ständig auf meine Ohren gestarrt. Manche haben auch unsere Sprache nicht verstanden. Ich vermute, dass sie aus anderen Winkeln Mittelerdes kommen.“
Er antwortete, dass er sich sogar ziemlich sicher ist, dass dies der Fall war. Nach einer kurzen Pause fragte er schließlich ernster: „Und was machen wir mit ihnen?“
Isanasca blickte ihn überrascht an. Es war das erste Mal, dass sie ihn so anblickte und gleichzeitig so sehr an Faelivrin erinnerte. Eine Mischung aus Unerbittlichkeit und Sanftmut lag in ihren Augen. Sie fing sich rasch und strich sich über das Kinn. Nachdenklich murmelte sie, dass sie das eigentlich in dem Fürstenrat ansprechen wollte. Auf Mathans Frage hin, warum es im Rat ansprechen, schien sie zu zögern. Dann seufzte sie und schien ihre entspannte Laune zu verlieren. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Und damit meine ich alle in diesem Land.“ Sie legte ihre Hand um ihren Schwertgriff, „Die tagelange Schlacht um Rómen Tirion war gar nichts, verglichen mit dem, was uns erwartet.“ Ihre Hand packte fest zu, sodass ihre Knöchel weiß hervortraten. „Wir werden jedes Schwert, jeden Pfeil, jede Hand die sich gegen den Feind wendet brauchen, wenn sich die Flut aus dem Gebirge über uns ergießt. Dann müssen wir bereit sein. Ich bin es.“
Mathan legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter - er wusste, dass sie sich um Sanas sorgte. Ihre Hand löste sich von ihrem Schwertgriff und sie atmete schwer aus.
„Isansca“, begann Mathan, doch sie korrigierte ihn rasch mit einem flüchtigen Lächeln: „Isa. Ja?“
Er erwiderte das Lächeln, nickte und blickte zu ihrem Schwert, das sie sich hinterm Rücken festgebunden hatte, „Was hat es mit der Klinge auf sich, Isa?“, fragte er mit einem leichten Grinsen.
„Oh, das?“, sie tippte mit einem Finger auf den Griff, „Das ist Fâncrist.“
„Hmm Sindarin… Nebelspalter?“, murmelte er und musterte den mit roter Seide umwickelten Stahlgriff, an dessen Knauf ein matter Bernstein funkelte.
Isa nickte und sagte, dass dies ein Geschenk von einem sehr alten Freund für Amarin gewesen war, zur altvorderen Zeit. Woher die Waffe kam, wusste er aber selber nicht, nur, dass sie sehr alt war und niemals stumpf wurde.
Mathan grinste und sagte mit gespieltem Ernst, dass sein Vater sicherlich das Schwert selbst geschmiedet hatte, um besser dazustehen und geheimnisvoll zu wirken. Diese Art von Humor hatte er schon früher an sich gehabt, erinnerte er sich mit leichtem Wehmut. Isa gab indessen einen amüsierten Laut von sich und wurde rasch wieder ernst: „Fâncrist werde ich nur bei jenen Feinden ziehen, bei denen ich mir geschworen habe sie zu vernichten, ganz gleich was es kostet.“ Sie strich sich eine lange Haarsträhne aus dem Auge. „Seine Klinge ist das, was den Nebel des Ungewissen zerteilt, hatte dein Vater mir gesagt als er mitr die Waffe bei unserer Ankunft überreichte, also benetze ich es nicht unnötig mit schmutzigen Blut.“
Etwas in Mathans Erinnerung klingelte bei den Worten, doch wollte es ihm nicht in den Sinn kommen. Ein Teil von ihm war sich immer noch sicher, dass sein Vater sich wieder darüber amüsierte, eines seiner Werke einem mysteriösen Hintergrund anzudichten zu haben. Seine Enkelin machte auch keine Anstalten ihm das Schwert zu zeigen, weshalb er auch nicht danach fragte.
„Zu deiner Frage: Die Gefangenen sind für eine Weile unsere Gäste“, sagte Isa unvermittelt und kniff die Lippen zusammen, offenbar unwohl bei dem Gedanken, „Wir können es uns nicht leisten, dem Feind Einzelheiten über den Aufbau unserer Stadt, unsere Truppenstärke oder Verteidigungsanlagen zukommen zu lassen. Niemand von ihnen verlässt Ost-In-Edhil.“

Mathan nickte ernst, auch wenn er unter normalen Umständen sicherlich Einwände gehabt hatte, aber in der momentanen Lage war es das Klügste, den Fluss an möglichen Spionen und Informationen so gering wie möglich zu halten. Ein unerklärlicher Schauer lief ihm den Rücken hinab. Ein Zeichen von drohender Gefahr. Besorgt blickte er sich um, doch abgesehen von seiner Enkelin war er alleine auf dem großen Baugrund. Isa spürte seine Unruhe und fragte, ob etwas nicht stimmte. Mathan kniff anstatt einer Antwort die Augen zusammen und suchte die Umgebung ab. Hinter ihnen war ein großer Stapel mit Steinen und Holz. Er nickte in die Richtung. Noch weiter hinten konnte man die Mauerkrone der dicken Stadtmauer erkennen. Gemeinsam eilten sie auf leichten Elbensohlen zu dem Stapel, beide mit einer Hand am Schwert. Mathan war sich sicher, dass sie alleine waren, doch man konnte nie vorsichtig genug sein. Als er die Steinquader umrundete, wartete Isanasca bereits auf ihn auf der Rückseite, die Arme verschränkt.
„Es hätte mich auch sehr gewundert, wenn wir jemanden gefunden hätten. Dafür müsste man die Stadtmauer und die Gräben unentdeckt überwinden“,  befand sie und nickte zu den funkelnden Elbenhelmen von der Wache auf der Mauer, wo sich die senkende Nachmittagssonne reflektierte, „Und ohne Kletterhaken wäre das ziemlich schwer.“
„Hmm“, machte Mathan nachdenklich und entspannte sich, „Trotzdem, man kann nie vorsichtig genug sein.“
Seine Enkelin nickte düster. „Nachdem, was an der Ostwacht passiert ist…“ Sie schüttelte den Kopf, „Du hast Recht.“ Langsam wandte sie sich zum Palast und ging gemächlichen Schrittes vor, er holte rasch auf, als sie weitersprach: „Ich kann nur hoffen, dass Lissailin und die andere verborgene Stadt unentdeckt bleibt.“
Mathan verschränkte die Arme hinter den Rücken und sah sich rasch um. „Selbst ich weiß nicht wo sie liegt. Und von der zweiten Stadt höre ich gerade das erste Mal, vielleicht sollten wir das in einem privateren Ort besprechen.“
Isanasca schaute sich ebenfalls um, doch sie befanden sich auf der großen, planierten Fläche des zukünftigen Gartens, wo es keine Möglichkeit gab sie zu belauschen. Sie rückte etwas näher an ihn heran, sodass sich ihre Schultern bei jedem Schritt berührten. Mit gesenkte Stimme sagte sie: „Lissailin liegt jenseits von Talath Neldor. Ich denke, du kannst damit etwas anfangen. Die zweite Stadt … das bespricht du besser mit der Königin – ich meinte, mit Mutter.“ Sie lächelte flüchtig. Er legte ihr dankbar eine Hand kurz auf die Schulter und wollte sich schon verabschieden, da er das Gespräch mit seinem Vater angehen wollte.
Isa spürte es, hielt ihn jedoch kurz zurück. „Was glaubst du, was Oronêl da unten getroffen hat? Wird es hier zu uns kommen?“
Er zögerte, sie warf ihm daraufhin einen äußerst besorgten Blick zu, woraufhin Mathan tief ausatmete: „Ich weiß es nicht, aber so wie er es beschrieben hat… ist es uralt und durch und durch böse.“ Sein Blick senkte sich unwillkürlich auf seine Hände, „Und ich hoffe es bleibt dort, aber ich befürchte, dass es nicht so einfach wird.“
Isanasca nickte und wechselte taktvoll das Thema: „Immerhin ist dein Freund diesem Ding entschlüpft. Er wirkte zwar erschöpft, als ich ihn traf, aber ihm fehlte nichts.“
Er nickte erleichtert und lächelte: „Ja, er ist ziemlich unverwüstlich, der gute Oronêl. Wenn er wiederkehrt, werde ich uns ein Fässchen Wein anstechen, immerhin sind wir beide wohlbehalten zurückgekehrt.“
Seine Enkelin lachte und bot an, eines aus dem Lager ihrer Mutter zu besorgen, was er auch nicht ablehnte. „Und Kerry“, sagte sie plötzlich mit einem amüsierten Funkeln in den Augen, „Sie ist auch wohlbehalten zurückgekehrt.“
Mathan grinste und sagte, dass er sie schon getroffen habe und sie wahrscheinlich den Wein nicht so gut vertragen würde. Isa nickte und schien kurz nachzudenken, dann erzählte sie ihm von dem Gespräch mit seiner Adoptivtochter, während sie in den Westflügel eintraten. Sie wichen einigen Elben aus, die geschliffene Holzstämme hoch in die oberen Etagen hievten. In dem fertig gestellten Bereich, wo auch seins und Halarîns Zimmer lag, endete sie mit der Erzählung über den Schwur von Eorl. „Der Gedanke daran lässt mich nicht los. Die Kleine hat in meinen Gedanken da etwas angestoßen, das ich ehrlich nicht erwartet hätte – etwas Gutes. Und das, obwohl ihr so viele andere Dinge durch den Kopf gehen.“ Isa schien höchst nachdenklich und blickte in die Ferne.
Mathan nahm den letzten Satz mit besonderer Notiz zur Kenntnis und achtete darauf das nicht zu vertiefen. Wenn Kerry mit ihm darüber reden wollte, würde sie selbst zu ihm kommen. Stattdessen sagte er, dass er von dem Schwur weiß, aber nichts Genaueres. Isa nickte und schien wieder im Gedanken zu sein. Unvermittelt murmelte sie, dass es noch zu früh war, es im Rat zu sagen. Mathan stimmte ihr zu und blinzelte rasch, als ihm etwas einfiel, das er fast vergessen hatte: „Die drei Zwerge hätten einige Ideen uns zu helfen“, sagte er rasch und bog mit Isa um die Ecke, die große Eingangshalle lag am Ende des Korridors, „Allerdings befürchten sie, dass einige feine Elben nicht damit einverstanden wären. Wir treffen uns zum Abendessen.“
Isanasca warf ihm einen überraschten Seitenblick zu. „Tatsächlich? Ich habe gehört, dass es nicht üblich ist, dass Zwerge ihr Wissen oder gar Ideen mit anderen teilen. Also sollten uns es sicherlich anhören – ganz gleich was es ist. Wir sind auch nicht so hochwohlgeboren, wie sie denken.“
Mathan stimmte ihr nur mit einem knappen Nicken zu, da er den letzten Satz nicht bekräftigen wollte. Er fand, dass die Manarîn sich ziemlich hervortaten es den Hochelben nachzutun. Das behielt er jedoch für sich und verabschiedete sich von seiner Enkelin, die auch wieder ihren Pflichten nachgehen musste. Seine Schritte führten ihn zum Thronsaal, wo Faelivrin Hof hielt. Sie würde sicherlich wissen, wo sein Vater war, da er keine Lust hatte in der ganzen Stadt und in den Schmieden nach ihn zu suchen.
Titel: Eine düstere Familiengeschichte
Beitrag von: Curanthor am 15. Nov 2021, 16:46
Als Mathan durch das große Thor des Thronsaals schritt, sah er Faelivrin am Fuße des Podests am Ende des Saales, umringt von ein Dutzend Elben. Er bemerkte, dass sich einige Köpfe unmerklich kurz zu ihm drehten, doch scheinbar waren sie sehr in einer Diskussion vertieft. Die Stimmung wirkte angespannt. Seine Tochter hatte einen harten Gesichtsausdruck, die Augen leicht verengt und die Stirn in leichten Falten liegend. Sie nickte hin und wieder und antwortete in einem Dialekt, den Mathan schon öfters bei den Manarîn gehört hatte. Dann winkte sie eine ihrer Zofen, die im Hintergrund warteten heran, wisperte ihr etwas zu und sprach dann weiter mit den Manarîn. Mathan nahm es ihr nicht übel. Er hatte schon damit gerechnet, dass sie beschäftigt war und wollte auch wegen so einer relativ unwichtigen Sache, wie den Aufenthaltsortes ihres Vaters nicht ihre Zeit rauben. Die junge Elbenzofe näherte sich ihm eilig, hielt respektvollen Abstand und verneigte höfisch. Er nickte ihr knapp zu und bedeutete näher zu treten. Sie zögerte, kam dann aber der Aufforderung nach und richtete ihm in knappen Worten Faelivrins Botschaft aus. Sie sprach in einem etwas seltsamen Akzent und betonte einige Wörter der Allgemeinspsrache merkwürdig unpassend an den Satzanfängen. Es war eigentlich nur die Information, dass sein Vater gerade an einer äußerst wichtigen Sache arbeitete und nicht daran gedacht hatte, als er ihm die Botschaft überbracht hatte. In das makellose Gesicht der Zofe flackerte für einen winzigen Moment Unwillen auf, doch hatte sie sich rasch wieder im Griff. „Die Königin empfiehlt, dass Ihr Euch um Eure Schülerin erkundigt. Sie liegt im Haus der Ruhe.“ Sie verneigte sich und kehrte wieder an die Seite Faelivrins zurück. Mathan warf seiner Tochter noch einen Blick zu, machte dann aber kehrt und verließ den Palast. Während er die Treppen zum großen Platz hinabstieg, fragte er sich, woran sein Vater wohl gerade arbeitete. Dann fiel ihm wieder ein, wie Hofmeisterin Istime gezögert hatte, als sie über Adrienne sprechen wollte und auch jetzt wieder hatte die Zofe gezögert. Seine Schritte beschleunigten sich. Irgendwas Schlimmes musste geschehen sein, aber sein Gefühl sagte ihm, dass es noch nicht vorbei war. Eilig folgte er der Hauptstraße, die von Wägen voller Baumaterial gut gefüllt war und leeren KAaren, die die Stadt wieder verließen. Hin und wieder entdeckte er auch einige der ehemaligen Gefangenen in einem Hauseingang sitzen, manche trugen einen Elbenmantel über den schäbigen Kleidern. Sie hatten die Blicke meist gesenkt, oder sehnsüchtig auf die scharf bewachte Torburg gerichtet. Mathan zog hin und wieder ihre Blicke auf sich, da sein roter, mit Goldgarn bestickter Mantel in den trüben Farben des späten Winters ziemlich hervor stach. Er vermied es jedoch angesprochen zu werden und bog in die engen Gassen ein.
Am Haus der Ruhe angekommen, bemerkte Mathan erst bei seiner Ankunft, dass er gar nicht nach dem Weg gefragt hatte. Das musste er auch nicht, er hatte einfach den Weg aus seiner Erinnerung eingeschlagen. Und die Manarîn hatten das alte Haus der Heiler wieder aufgebaut, zwar in ihrem eigenen Stil und etwas kleiner, aber es stand auch in der kleinen Senke, in der ein kleiner Teich und ein Garten lag, in dem sich die Kranken erholen konnten. Ein Pferd, das am Eingang geduldig wartete, verriet ihm, dass er nicht alleine war – abgesehen von den Heilern. Die Besitzerin kam auch just in dem Augenblick aus dem Eingang, als er eintreten wollte. Es war Ivyn, die Erste der Hwenti. Ihre silbrigen Augen huschten kurz über seine Rüstung, dann das Schwert Halarîns an seinem Gürtel. Sie nickte mit einem Stirnrunzeln, offenbar nicht ganz zufrieden bei dem was sie sah und wandte den Kopf, den Blick dabei in die obere Etage. „Sie ist wach. Ich habe sie gerade behandelt. Morgen kann sie wieder vorsichtig das Bett verlassen, aber heute noch nicht.“
„Habt Dank für Eure Mühen“, bedankte sich Mathan mit einer knappen Verneigung. Er hatte schon von der meisterhaften Heilkunst der Ersten gehört, aber noch nie selber zu sehen bekommen.
Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Gebt Euch keine Schuld an dem was geschehen ist, oder was noch kommt.“
Er nickte und wollte schon hineingehen, doch sie hielt ihn mit einem starken Griff am Arm fest. „Der Brief. Gebt ihn mir.“
Mathan blinzelte überrascht. Es war so viel geschehen, dass er erstmal verwirrt blinzelte. Ihm war vollkommen entgangen, dass er einen dabei hatte, oder von wem er überhaupt war. Er war sich gar nicht sicher, dass er überhaupt einen Brief dabei hatte.
Sie bemerkte seine Verwirrung und ließ seinen Arm los. „Verzeih, mein Fehler“, entschuldigte sie sich rasch und neigte sich mit ernstem Gesicht zu ihm herunter: „Halarîn soll noch nicht von ihren Geschwistern erfahren. Es ist noch zu früh.“
Mathan schnaubte leise, da er den Schmerz in den Augen seiner Geliebte deutlich vor sich sah und murmelte: „Sind fünftausend Jahre plagende Ungewissheit nicht genug?“
Die Erste richtete plötzlich auf, die Lippen zusammengekniffen und das Silber in ihren Augen nahm an Intensität zu. „Vorsicht“, sagte sie plötzlich leise und klang ganz anders, als die sonst so weise und ausgeglichene Ivyn. Gefährlicher. Ein Schauer lief ihm den Rücken hinab, während sie weitersprach: „Manchmal sollte der Schleier des Ungewissen nicht zerrissen werden…“
Mathan erinnerte sich, dass Halarîn im erzählt hatte, dass ihre Mutter und Ivyn sich nicht gut verstanden hatten. Jetzt konnte er sich auf vorstellen warum. Die Erste konnte sehr unerbittlich sein. Und dennoch konnte er Halarîn einfach nicht damit alleine lassen. Mathan straffte sich und hielt dem bohrenden Blick stand.
„Hm“, machte die Erste nach einigen langen Momenten zufrieden, „Ich bin froh, dass Halarîn so einen willensstarken Mann gefunden hat“, gab sie plötzlich zu und wirkte auf einmal wieder zu ruhig und gelassen wie zuvor. „Mein Gefährte war wild, ungezügelt und ein großer Krieger – doch sein Herz war … düster. Meine Tochter Telperiel hat viel von ihm. Und auch ihre Kinder… bis auf Halarîn.“ Ivyn blickte einen kurzen Moment in weite Ferne, bis sie fragte: „ Du weißt, was ihr Name bedeutet?“
Mathan, der erst überrascht von den persönlichen Worten interessiert zugehört hatte, nickte knapp. „Vom Schatten gekrönte Maid.“
Ivyn schwieg als Antwort und trat zu ihrem Pferd. Während sie die Zügel entknotete, sprach sie weiter: „In andere Sprachen übersetzt, ja.“ Sie machte eine kurze Pause. „Sie hat den Schatten in sich überwunden und trägt ihn seither als Krone, das bedeutet ihr Name. Etwas, dass ich nicht von ihren Geschwistern behaupten kann.“ Die Erste schwang sich elegant auf das Ross und strich der Stute sacht über den Hals. Plötzlich hörte er ihre Stimme in seinen Gedanken. „Mehr werde ich nicht darüber sagen, bis auf dies: Hüte dich vor Haldaría oder Cúndil und halte Halarîn unter allen Umständen von ihnen fern.“ Ivyn lenkte das Pferd an ihn heran und senkte ernst den Kopf: „Selbst, wenn du zum Schwert greifen musst, hörst du? Lasse keinen der beiden an sie heran - niemals.“ Ihre eindringliche Stimme halte in seinem Kopf wider, sodass er nur knapp nickte, noch immer überrascht und besorgt von der Warnung. 
Ivyn wirkte nun zufriedener als zuvor und sagte nun wieder mit ruhiger Stimme: „Ich beglückwünsche dich für deinen Sieg am Sirannon.“ Sie blickte kurz hoch in die erste Etage des Heilerhauses. „Deine Schülerin erwartet dich.“
Mathan lächelte gequält und erwiderte, dass sie die Schlacht um Rómen Tirion verloren hatten, was Ivyn mit einem Kopfschütteln quittierte. „Jedes Leben, das gerettet wurde ist ein Sieg, auch wenn wir diese Schlacht verloren haben, so waren es doch viele Siege. Vergiss das niemals.“
Mathan verstand die Weisheit in den Worten und verneigte sich knapp. Ivyn nickte sacht zum Abschied und ließ das Pferd davontraben. Einen Moment blickte er ihr nach, bis sie hinter der Kuppe verschwunden war. Oben meinte er ein Fensterlade klappern zu hören und schmunzelte, offenbar hatte da jemand das Bett verlassen, entgegen dem Rat der Heiler.
Titel: Mathan und Adrienne über Schatten und Geschichten
Beitrag von: Curanthor am 16. Nov 2021, 05:43
Eine der Heilerinnen begleitete Mathan die Treppe hinauf und brachte ihm zum Ende des Flurs, der in einer schlichten braunen Tür endete. Kleine Elbenlampen hingen in regelmäßigen Abständen den Wänden und spendeten ein warmes Licht. Die rothaarige Elbe nickte ihm zu und zog sich diskret zurück. Mathan atmete einen Moment durch und legte eine Hand auf den Knauf. Er hatte keine Ahnung was ihn hinter der Tür erwartete, auch wenn er durch das Geflüster und Gemurmel der Maanrîn mitbekommen hatte, dass Adrienne offenbar überstürzt die Stadt verlassen hatte, nur um einen Tag später übel zugerichtet wiederzukehren. Einige Arbeiter am Palast hatten sich erzählt, dass sie nur durch die Kälte des Schnees überlebt hatte.  Er klopfte sacht und eine matte Stimme antwortete. Mathan verstand sie nicht, trat aber vorsichtig ein. Vor ihm öffnete sich ein warmes und gemütlich eingerichtetes Zimmer. Zwei kleine Elbenlampen spendeten ein klein wenig Licht in der aufkommenden Dämmerung. Das große Fenster stand offen und eine kalte Brise wehte herein, doch man konnte schon spüren, dass der Winter sich bald wieder verzog. Link von ihm prasselte ein warmes Feuer in einem kleinen Kamin; dem gegenüber stand ein großes, weiches Bett aus hellem Holz, wahrscheinlich aus einem Hulstbaum. Ein flauschiges Fell lag auf dem Boden, von der Machart ein Geschenk aus Dunland. In den weichen Kissen und unter einer weiteren Lage Felle blinzelte ihm ein müdes, blasses Gesicht eines jungen Menschenmädchen entgegen. Ein feuerroter, verkrusteter Schnitt zerteilte ihre Augenbraue, das Augenlied schien aber schon fast verheilt, aber das rechte Auge selber hatte sämtliche Farbe verloren und blickte ihm schwarz entgegen. Zwei unterschiedliche Augenfarben, abgrundtiefes schwarz und ein warmes Braun musterten ihn mit einer Mischung aus Erkennen und Scham. Der Schnitt setzte sich noch bis über die Wange fort und endete knapp über ihren Mundwinkel. Sie verzog das Gesicht und schob die Decke etwas höher. Dabei sog sie kurz scharf die Luft ein, als ob das viel zu viel Bewegung auf einmal war.
„Willst du nichts sagen“, brummte sie anstelle einer Begrüßung unwirsch.
Mathan war erst ein wenig überrascht von dem abweisenden Ton, hob aber dann die Mundwinkel zu einem beruhigendem, verständnisvolles Lächeln. „Ich bin froh, dass es dir gut geht.“

Adrienne hatte die ganze Zeit auf das erlösende Klopfen gewartet. Als es endlich ertönte, deckte sie sich noch einmal sorgfältig zu, um es so erscheinen zu lassen, dass sie nie das Bett verlassen hatte. Sobald sie das Gesicht des Schwertmeisters sah, kniff sie leicht geblendet die Augen zusammen. Das Wispern in ihren Ohren verklang, je näher ihr Lehrer an das Bett trat, doch er schwieg und musterte sie lange. Adrienne musste den Impuls unterdrücken eine Hand auf ihre Wunde zu legen, um sie zu verbergen. Trotz der wundersamen Heilkunst der Elben fühlte sie sich elend. Und der schweigende Elb, machte es auch nicht besser. Mürrisch forderte sie ihn schließlich zum Sprechen auf, doch er sagte nur, dass er froh war, dass ihr gut ging. Sie schnaubte leise und fragte, ob sie vielleicht so aussah, als ob es ihr gut ging. Mathan wirkte einen Moment weniger freundlich und zog stattdessen den gemütlichen Sessel von der Ecke bei dem Bücherregal zu ihr an das Bett. Er nahm das Schwert von seinem Gürtel, dass ihr entfernt bekannt vorkam und ließ sich in dem Sessel nieder.
„Also“, begann er mit ernstem Ton und faltete die Hände zusammen, „Du weißt, ich bin nicht gut in sowas.“ Er musterte ihre Wunden noch einmal, abschätzend, kalkulierend, „Das sieht mir nicht wie eine normale Schwertwunde aus. Was ist geschehen?“
Adrienne schob ihre verkrusteten Hände über die Deckenkante und krallte sich daran, auch wenn es ein scharfes Pochen auslöste. Diese Frage hatte sie schon dutzendfach gehört. Von sämtlichen Spitzohren in der Stadt, selbst von Leuten, deren Gesichter sie nicht zuordnen konnte. Dunkel erinnerte sie sich an eine blonde, junge Frau neben ihrem Bett. Sie hatte ihr etwas bedeutet. Das Wispern wurde lauter. Es war wie ein Flüstern, das der Wind auslöste, wenn er durch ein verlassenes Gemäuer pfiff. Es trug einen Namen heran. „Kerry“, murmelte sie leise und das Stimmgewirr in ihrem Kopf wurde zu einem undeutlichen Rauschen.
Mathan runzelte die Stirn und schien etwas sagen zu wollen, blickte sie aber weiterhin fragend an. Adrienne fühlte sich seltsam entrückt. Alles war seltsam fern von ihr, so als ob sie träumte. Ihr verletztes Auge begann zu pochen, woraufhin sie leise stöhnte. Der Elb wirkte nun besorgt und holte ein feuchtes Tuch asu der Schüssel von der kleinen Kommode neben dem Bücherregal. Ohne zu fragen betupfte er ihre Stirn und vorsichtig um die Wundränder herum. Das kühle Wasser, das ihre Haut benetzte verschaffte etwas Abkühlung und dämpfte den heiß pochenden Scherz. Sie hob dankbar die Mundwinkel, wenn auch nur minimal. Sie hatte das Gefühl, dass sie nie wieder klar denken konnte, ständig entglitten ihre Gedanken oder ganze Sätze. Gerade hatte sie sich bedanken wollen, doch nichts kam über ihre Lippen. Frustriert räusperte sie sich und wandte ihm den Kopf zu: „Ich bin froh, dass du da bist“, sagte sie schließlich etwas behäbiger als sie wollte.
Der Elb nickte und legte sein Schwert quer über seinen Schoß, „Leider zu spät um…“ Er verstummte und schüttelte nur den Kopf.
Adrienne wusste, was er sagen wollte und schüttelte ebenfalls den Kopf. „Es wäre so oder so geschehen, ganz gleich wo ich bin und wer bei mir ist…“ Sie bemerkte seinen fragenden Blick, „Es sind jene, die in den Schatten wandeln“, sagte sie und schloss kurz die Augen, „Herolde der Dunkelheit.“ Es hatte Mühe gekostet, das hervor zu würgen und sie atmete mehrmals durch um wieder zu Kräften zu kommen. Die Stimmen flüsterten wieder lauter. Manche waren klar und deutlich wahrzunehmen. Frustriert zischte sie, dass sie endlich die Klappe halten sollten und wollte wütend mit der Faust auf die Matratze schlagen, beherrschte sich aber noch. „Das macht mich noch wahnsinnig“, murmelte sie und schaute zu Mathan hinauf, „Die anderen.“ Sein skeptischer Blick verriet ihr alles und sie lachte bitter, „Ja, so würde ich wohl auch schauen, wenn jemand von Stimmen im Kopf erzählt.“
„Was für Stimmen“, hakte er rasch nach und schien wieder ernst.
Sie blinzelte und antwortete zögerlich: „Atanatáriel. Sie ist eine der lautesten… und jemand anderes, über die ich nicht sprechen möchte. Etwas Böses…“
Mathan erkundigte sich, ob sie davon Ivyin erzählt hatte, was sie entsetzt verneinte. Schließlich hielt man sie jetzt schon für verrückt, oder für eine Gefahr.
„Eine Gefahr?“ Mathan runzelte empört die Stirn, „Welcher Narr erzählt denn sowas?“
Adrienne erzählte, wie sie im Fieberwahn um sich geschlagen hatte, bis sie Kerry erkannt hatte. Dann sei etwas in ihr erwacht. „Ivyns Worte, nicht meine“, sagte sie hastig und schauderte bei dem vagen Gefühl, dass sie kurz überkam. Eine innere Leere, die sämtliches Glück und jedes warmes Gefühl aus ihr heraussog. Die Stimmen wurden jedoch erträglich leise. Sie schüttelte sich unmerklich und die Wärme des Kamins kehrte wieder auf ihr Gesicht zurück. Mit ihm kam auch das leise Wispern der Stimmen im Wind. Die Leere war fort. Mathan musterte sie scharf und schien zu überlegen, was er davon halten sollte. Adrienne stellte überrascht fest, dass sie sich gar nicht groß darum kümmerte, was er von ihr halten würde. Er, Halarîn oder Kerry, keiner von ihnen erschien ihr wichtig. Wenn sie sie nicht akzeptierten, brauchte sie sie nicht. Gleich einer plötzlichen Eingebung zuckte sie bei dem Gedanken erschrocken zusammen und krallte sie fester in die Decke. Mach‘, das es aufhört und haltet die Klappe, schnauzte sie im Gedanken das, was sie liebend gern sagen wollte, doch sie beherrschte sich.

Mathan musterte die verkrusteten Handrücken seiner Schülerin. Akkurate Linien waren in die weiche Haut geritzt und bildeten ein merkwürdiges Muster, das seine Warninstinkte klingeln ließ. Sie schien sichtlich unwohl, mürrisch und deutlich kühler. Ihre Haut war fahl und kühl. Er seufzte besorgt, als sie kurz zuckte und trat zu einem Wandregal und suchte nach einem kleinen Fläschchen, das er von Halarîn kannte. Er fand das leichte Beruhigungsmittel aus einem Kräutersud, geriebenen Wurzeln und etwas Honig. Seine Schülerin schien es zu kennen, denn sie wirkte erleichtert und richtete sich ein wenig in ihrem Bett auf. Mathan trat ans Bett und drückte sie sanft zurück in die Laken. Seine Hand berührte dabei etwas Weiches und seine Schülerin zuckte kurz. „Verzeihung, murmelte er hastig, doch sie winkte ab und sagte, dass er eine Wunde berührt hatte, was er mit einem knappen Nicken zur Kenntnis nahm. Er wusste, dass es nur die halbe Wahrheit war, doch sie lächelte verständnisvoll, offenbar wusste sie, dass er nur sehr wenig als Heiler verstand. Es war das erste Mal, dass sie eine positive Regung zeigte. Erleichtert half er ihr einen Schluck der Medizin zu nehmen und verkorkte wieder das Fläschchen. Adrienne leckte sich die Reste von den fast verheilten Lippen und schloss kurz die Augen, während sie tief durchatmete. Sie schwiegen einen Moment und warteten, bis die Medizin ihre Wirkung entfalten konnte. Mathan fühlte sich dabei unwohl, da er es hasste an Krankenbetten zu stehen. Er verband es immer mit der Anwesenheit des Todes im Feldlazarett, auch wenn dieses Krankenzimmer sehr gemütlich eingerichtet war und zum Entspannen einlud. Er lauschte ihrem Atem, der etwas leichter ging und Adrienne bekam etwas mehr Farbe im Gesicht. Nach einigen langen Momenten, in denen Mathan darüber nachdachte, sich eines der Bücher zu nehmen, räusperte sich Adrienne leise und murmelte einen Dank. Anfangs etwas zögerlich begann sie davon zu erzählen, wie sie schon lange bevor sie nach Anor gegangen war, stets eine innere Unruhe gefühlt hatte. Sie stockte, als sie von der Fehde erzählte, in der sie lag. „Meine Eltern erzählten mir, dass bereits vor der Besetzung sie Probleme hatten, aber sie waren nie genauer geworden.“ Adrienne verstummte für einen Moment und schien ziemlich unglücklich, erzählte dann, das sie während der Besatzung ihre Unschuld verloren hatte und auch ihre Mutter. Auf Mathans vorsichtige Nachfrage, warum ihnen das widerfahren war, hielt sie sich kurz die Schläfen und atmete scharf ein. Ein finsterer Gesichtsausdruck huschte über ihr verkrustetes Antlitz. „Es findet schon lange ein Krieg im Schatten statt. Ich weiß nicht, ob meine Eltern damit zu tun hatten, oder irgendwas an mir…“ Sie schaute sich rasch im Raum um und murmelte, dass sie auch nicht wusste, woher sie das wusste. Mathan merkte, dass sie Schwierigkeiten hatte den richtigen Faden zu finden und half ihr, indem er fragte, wie es denn angefangen hatte, was auch immer da geschehen war.
Adrienne wirkte ein wenig unschlüssig. „Mal hier, mal dort“, murmelte sie und überlegte kurz, „Seit Fornost.“ Ihre Stimme wurde wieder fester, „Seit der ersten Verwundung durch… Dôlguthôr.“ Sie spie den Namen aus wie ein Stück fauliges Brot und erzählte nun mit einer Mischung aus Hass und Unbehagen, dass sie seitdem ständig grässliche Albträume gehabt hatte und immer das Gefühl hatte, dass man sie beobachtete. „Dieser Attentäter aus Tharbad?“, wiederholte Mathan und runzelte die Stirn. Er wünschte sich inständig in den Kampf eingegriffen zu haben. Es war ein Fehler es nicht getan zu haben, wie er verbittert feststellte. In Adriennes Augen las er denselben stummen Vorwurf, doch sie ging nicht weiter darauf ein:  „Von da an wurde es immer schlimmer. Je weiter wir uns Carn Dûm näherten, umso mehr hörte ich das Rauschen des Windes. Und der Wind brachte Geflüster.“ Sie wirkte frustriert. „Mein Bruder hatte immer eine beruhigende Wirkung auf mich gehabt.“ Adrienne verstummte und blickte an die Decke, „Doch das Geflüster erstarb seitdem nie wieder.“
Mathan wusste, dass der damals verwundete junge Bursche beim Sternenbund war, aber eigentlich sollte er irgendwann mit einer Delegation nach Eregion kommen. Dass er noch immer nicht aufgetaucht war, war in den aufkommenden Kriegswirren vollkommen untergegangen. Seine Schülerin fuhr mit ihrer Erzählung fort und ihren immer schlimmer werdenden Zustand. Sie übersprang Teile der Geschichte und sagte beschämt, dass sie die Nähe von Elben seit Mithlond als sehr anstrengend empfunden hatte und schließlich in Eregion war es dann ganz schlimm. Sie wirkte unwillig und murmelte, dass es in ihren Augen blendete. Sie hatte sich ausgegrenzt gefühlt. Alleine und ungewollt. Ihre Eltern waren getötet worden und ihr Bruder weit weg. Wie ein Vogel im Käfig. Als sie schließlich zur Königin bestellt wurde, war ihr alles zu viel. Die kriechende Dunkelheit im ihren Herzen hatte dann irgendwann die Oberhand gewonnen und Adrienne nur noch mit Instinkt handeln lassen.
Mathan besorgte die Aussage mit dem geblendet sein durch die Elben, da sie Geschöpfe des Lichts waren, behielt das aber tunlichst für sich. Sie warf ihm einen abwartend Blick zu und erzählte tonlos, dass sie Kerry ihre lächerlichen Gefühle gestanden habe und sich dann davon gemacht hatte. Adrienne verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Ich konnte es nicht mehr ertragen. Ihr ständiges heile-Welt-Getue und ihre vollkommene… Unfähigkeit Gefahren oder Gefühle von anderen zu erkennen.“ Sie biss knirschend die Zähne zusammen und atmete tief aus und löste ihre Kiefer mühsam, „Manchmal überkam mich der Drang ihr ein Schwert in die Hand zu drücken und zu sagen, was ich für sie empfinde, und dass ich eine Gefahr für sie bin.“ Sie verstummte verbittert und schnaubte leise, „Aber sie ist zu weich. Schwach. Und vor allem leichtgläubig. Alles, was ich nicht sein will.“
Mathan kratzte sich unauffällig an der Schläfe und legte sich die nächsten Worte besonders sorgfältig zurecht: „Faelivrin hatte dich nicht brüskieren wollen. Sie wollte eine Freundin außerhalb von Gefahr wissen. Deshalb bot sie dir an die Stadt zu verlassen, nicht weil du unerwünscht bist.“
Adrienne blinzelte einen Moment, dann noch einen. Mathan konnte förmlich spüren, wie Licht und Schatten in ihre rangen. Ihre Zähne mahlten. „Sie ist deine Tochter, du verstehst sie besser als ich“, gab sie sie etwas widerwillig zu, „Sicherlich würdest du sie in Schutz nehmen… aber... was du sagst… es klingt logisch…“
Er erlaubte sich erleichtert zu lächeln und nickte. „Und Kerry ist … speziell.“
„Das weiß ich doch selbst, aber warum fühlt sich das so scheiße an?!“, fauchte Adrienne ungehalten.
Erstaunt von der heftigen Aussprache blinzelte Mathan überrascht, räusperte sich leise und sagte äußerst bedacht: „Nun, Liebe und Hass liegen sehr nahe beieinander. Und bei dir verschwimmen gewisse Grenzen sehr leicht. Vielleicht siehst du etwas in ihr… das dir im Moment nicht ganz klar ist – und damit meine ich nicht das, was du eben aufgezählt hast.“
Seine Schülerin grummelte ungehalten, wirkte aber nachdenklich, zischte hin und wieder vor sich hin und wirkte, als ob sie gerade einen stummen, inneren Kampf führte. Grimmig winkte sie das Thema schließlich ab und erzählte, wie sie außerhalb der Stadt an den Wanderer geraten war. Den Kampf umriss sie nur grob und erwähnte das Schwert nur verdächtig kurz. Mathan erkannte es trotzdem sofort. Blutklingen. Geschmiedet durch schwarze und bösartige Zauberkünsten, einst erfunden von verdorbenen Elben – Ekel erfüllte ihn und er schob das Thema weit von sich. Abscheu zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, das Adrienne in ihrer Erzählung stocken ließ. Er bedeutete ihr weiter zu erzählen, doch sie wusste nicht mehr viel. „Sie wollten irgendwas wecken… wahrscheinlich dieses Ding , das angeblich in mir schläft. Zumindest wurde das so behauptet. Oder es war eine List um mich in den Wahnsinn zu treiben. Das würde aber nicht die Stimmen erklären.“
Mathan strich sich über das Kinn. „Nun, es gibt auch Geister und Flüche in dieser Welt, aber davon verstehe ich zu wenig“, sagte er nachdenklich.
Adrienne hob skeptisch eine Braue. Es war die verletzte rechte Seite, woraufhin sie schmerzerfüllt zischte. „Ach verdammt“, fluchte sie und zappelte hilflos umher, „Ich will diese Schweine erwischen. Zerhacken, abschlachten, abstechen und ihre Gedärme an die Stadtmauern nageln!“
„Ich denke, dass Faelivrin etwas dagegen hat, wäre schade um die schöne neue Mauer“, wandte er schmunzelnd ein, woraufhin ihre Mundwinkel nach oben zuckten. Etwas Humor war doch noch da, stellte er erleichtert fest.
„Aglarûthiel“, sagte Adrienne plötzlich und die aufkommende lockere Stimmung schwand augenblicklich, „Das ein Name von ihnen. Alcarúsa in Quenya.“
Mathan erstarrte. Den Namen Aglarûthiel hatte er schon einmal gehört, in seiner Zeit in Lórien von einem der seltenen Wanderer der Windan, der ihm einmal bei seiner Rüstung geholfen hatte. Es war ein reisender Schmied gewesen, der seine Handwerkskunst und Geschichten aus dem Osten verkaufte. Gegen ein kleines Fässchen Wein hatte der Elb von einer alten Geschichte erzählt. Einst hatte es in Dervesalend ein kleines Wäldchen gegeben, in der angeblich ein rachsüchtiger Geist gehaust hatte. Wenn die Eingeborenen Opfergaben für den Schwarzen Gott darbrachten und ein Kleidungsstück eines unliebsamen Widersachers, so war der Besitzer des Kleidungsstück innerhalb von einer Woche spurlos verschwunden, ganz gleich ob Mensch, Elb oder Zwerg. Dies war das Werk von Aglarûthiel, einer rachsüchtigen Elbenkriegerin, die von Morgoth gefangen und in den Wahnsinn gefoltert wurde – das war die gleiche Geschichte, nur unter der Elben des Ostens verbreitet.
„Bist du dir sicher?“ hakte Mathan nach und biss sich auf die Lippe.
Adrienne wirkte erst so, als ob er sie für verrückt halte, doch schließlich nickte sie. „Und Númendacil.“
Mathan stöhnte leise bei dem Namen. „Ich hoffe, dass du dich irrst.“
Seine Schülerin wirkte etwas mürrisch, blieb aber dabei. Er seufzte und erklärte ihr, dass mit diesem Titel immer der tödlichste Krieger Saurons geehrt wurde -  manche munkelten, dass er das von seinem Meister übernommen hatte. „Der Schlächter des Westens“, murmelte Mathan, „Und du bist sicher, beide sind hier?“
Adrienne nickte knapp, biss die Zähne zusammen und presste hervor: „Wenn es nichts ausmacht, würde ich meine Folterknechte für eine Weile ausblenden.“
Mathan nickte entschuldigend und griff nach der Glaskaraffe auf dem Nachttisch. Schweigend goss er ihnen beide jeweils ein Glas ein. Das, was seine Schülerin ihm gerade berichtet hatte, war denkbar schlecht. Zwei Namen, die er nur aus Legenden und alten Geschichten kannte. Er musterte sie aus dem Augenwinkel, während sie aus den Gläsern tranken. Wo war sie nur da hineingeraten? Und vor allem: Wie? Er wusste darauf keine Antwort.
„Das ist das Ende“, sagte Adrienne plötzlich, als sie das leere Glas absetzte und blickte ihn mit ihren verschiedenen Augenfarben an, „Oh, nicht dieser Stadt oder der Manarîn. Ich meinte mich. So wie ich jetzt bin. Durcheinander, verwirrt, durcheinander und verworrene Erinnerungen. Sagte ich schon durcheinander?“
„Hier wird dich keiner verletzen“, hielt Mathan scharf dagegen, „Es wird ihr Ende sein.“
Adrienne schmunzelte verbittert und wirkte um Jahre älter. Fast schon zeitlos. Ihr Blick ging ins Leere. Der Augenblick hielt jedoch nur sehr kurz. „Wenn alles nur so einfach wäre…“ Sie hob den Blick, „Danke, dass du hergekommen bist.“
Mathan hatte irgendwie das Gefühl, dass dies ein Abschied war. Jetzt verstand er auch, was er zuvor alles gehört hatte. Es klang endgültig. Er schluckte. Ihre gemeinsame Zeit war kurz, gemessen an seinen Lebensjahren. Dennoch war sehr viel in sehr kurzer Zeit geschehen. Er bereute es, ihr nicht mehr beigebracht zu haben.
Ihr zerschundenes Gesicht wurde weich und sie lächelte, „Sag‘ bloß, dass ich dir was bedeute. Na, ganz so schnell geht es nicht… was immer es auch ist.“
„Wovon redest du, Adrienne?“
Ihr Blick ging wieder ins Leere. „‘enne… Zweck… dem Ende des Zwecks – vielleicht kommst du irgendwann drauf. Alles muss irgendwann enden, aber keine Sorge, „Sie klopfte sich vorsichtig auf die Brust, „Hier ist eine Kriegerin drinnen und ich werde ihnen ein Ende lehren, das sie niemals vergessen werden.“ Ihre Zähne blitzen auf, als sie kriegerisch lächelte, „ Du wirst es schon sehen. Der Kreist schließt sich. Denke daran, alles ist ein Kreis.“
Mathan runzelte verwirrt die Stirn. Kurz ging ihm durch den Kopf, dass die Wirkung des Tranks wohl gerade nachgelassen hatte.  Er wollte gerade Klarheit schaffen, was diese merkwürdigen Aussagen am Ende des Gesprächs bedeuten sollten, doch seine Schülerin hatte die Augen geschlossen und schlief in tiefen, regelmäßigen Zügen. Ihre matte Stimme hallte noch immer in seinen Ohren nach. Mathan war sich sicher, dass irgendwas mit ihrem Geist nicht stimmte, beschloss das aber erstmal für sich zu behalten. Sein Blick ging zum Fenster und der tiefroten Dämmerung. Es war Zeit für das Abendessen. Leise zog er sich aus dem Raum zurück und ließ die Schlafende sich in Ruhe erholen.
Titel: Zum Lorbeerblatt
Beitrag von: Fine am 16. Nov 2021, 14:18
Der ausgedehnte Spaziergang zog sich hin, bis der Sonnenuntergang längst hinter ihnen lag. Pippin war es auf unvergleichliche Hobbit-Art gelungen, inmitten des Durcheinanders nahe des westlichen Tores der Stadt tatsächlich ein Gasthaus zu finden, das bereits eröffnet worden war. Zu Kerrys Erstaunen fühlte sie sich dort sogleich an die Städte der Menschen erinnert, die sie in ihrem Leben bereist hatte. Ein warmes Licht drang durch die verglasten Fenster, und drinnen herrschte eine angenehme Temperatur, die von zwei brennenden Holzöfen herrührte. Ein breiter Tresen dominierte den großen Schankraum, der jenseits einer einladenden Eingangshalle lag, und der ungefähr zur Hälfte mit Gästen gefüllt war. Die meisten der Anwesenden schienen zu den vielen Gruppierungen von Wächtern zu gehören, die die Mauern und wichtigen Gebäude der Stadt schützten, doch es waren auch andere Elben da. Sogar zwei Zwerge entdeckte Kerry in einer der dunkleren Ecken. Es duftete anregend nach Kräutern und warmem Essen, und Kerry spürte, wie sie hungrig wurde. Leiser Gesang und die Klänge einer gezupften Laute drangen ihr ans Ohr; im hinteren Teil des Raumes, nahe bei den Öfen gab eine Bardin ihre Kunst zum Besten.

Pippin verlor keine Zeit. Der Schankwirt, ein dunkelhaariger Hwenti-Elb mit auffallend muskulösen Oberarmen, schien den Hobbit bereits zu kennen. Kaum hatte Pippin den Tresen erreicht, wurde er sogleich begrüßt.
"Meister Peregrin! Was für eine Freude, dich so bald wiederzusehen. Das Übliche, nehme ich an?"
Pippin nickte zufrieden. "Morlas, du weißt wirklich, wie du es einem Hobbit in einer Stadt voller Elben gemütlich machen kannst. Wir suchen uns einen Tisch."
"Wir?" wiederholte Morlas, der Wirt, und sah Kerry an. Einen Augenblick später erkannte er sie. "Oh-ho, wenn das nicht die kleine Schwester unserer guten Königin ist," sagte er zwar etwas spöttelnd, aber dennoch freundlich. Sein belustigtes Lächeln wirkte auf Kerry nicht beleidigend, auch wenn sie nicht genau verstand, weshalb. Sie fühlte sich wohl hier. Sie ahmte eine Geste nach, die sie bei Halarîn öfter gesehen hatte: ein freundliches Nicken, kombiniert mit einer angedeuteten Beugung der Knie und einem Absenken der Schultern. Der Wirt antwortete mit einem fröhlichen Lachen, das Aufblitzen seiner Augen verriet, dass er den Gruß erkannt hatte. "Vorzüglich!" lobte Morlas und schlug die Fäuste gegeneinander. "Willkommen im Lorbeerblatt. Wären deine Öhrchen nur etwas spitzer, dann könntest du glatt ein Hwenti-Mädchen sein."
Pippin winkte Kerry zu sich hinüber. Er war einige Schritte vom Tresen in den Schankraum hineingegangen, und hielt Ausschau nach einem freien Tisch. Zum Unglück des Hobbits war zwar der Schankraum erst ungefähr zur Hälfte gefüllt, aber an jedem Tisch saß bereits mindestens eine Person. Kerry hielt die Augen offen, und ihr fiel eine bekannte Gestalt auf, die in einer der Sitznischen an der zur Straße gewandten Seite des Raumes saß.
"Komm, dort drüben können wir uns hinsetzen," raunte sie Pippin zu.
Der Hobbit folgte ihr, und sie setzten sich zu der dunkelhaarigen Frau in die Nische, in der vier Personen ohne Probleme Platz finden und durch das etwas trübe Fenster auf die Straße hinaus schauen konnten. Draußen war erstaunlich viel Licht, denn eine dichte Reihe von Elbenlampen erhellte den Platz auf der Innenseite des Stadttores und die Hauptstraße, die ins Stadtzentrum führte. Ein leichter Regen hatte eingesetzt und dünne Wasserlinien schlängelten sich an der Fensterscheibe hinab.
"Oh, hallo Kerry," sagte Haleth - denn sie war es, die Kerry in jener Nische entdeckt hatte. Die Waldläuferin sah müde, aber dennoch deutlich besser als bei ihrer letzten Begegung außerhalb von Helluins Arrestzelle aus. Haleth musterte Pippin interessiert, dann nickte sie. "Es ist ein weiter Weg vom schönen Auenland, Meister Tuk."
Pippin hob belustigt die Brauen. "Ebensoweit entfernt liegen doch auch die Mauern von Fornost, nicht wahr?" Er legte den Kopf ein wenig schief. "Peregrin Tuk, zu Diensten," stellte er sich dann vor.
"Das ist Pippin," erklärte Kerry sogleich. "Ich hab' ihn bei der Befreiung des Auenlandes kennengelernt."
"Haleth," erwiderte Haleth die Vorstellung und nickte dem Hobbit anerkennend zu. "Du scheinst besser Bescheid zu wissen als die meisten Hobbits."
"Man muss nur die richtigen Leute kennen," sagte Pippin mit einem zufriedenen Nicken. "Und seine Ohren offen hat, der hört so manches - nicht nur über die Waldläufer des Nordens, versteht sich."
"Was bringt dich hierher?" fragte Kerry, an Haleth gewandt.
Die Waldläuferin machte eine auslandende Bewegung, die wohl den ganzen Schankraum miteinschließen sollte. "Das hier," erklärte sie. "Etwas... Ablenkung. Es ist viel passiert, und ich habe dir noch nicht einmal die Hälfte von dem erzählt, was... Oronêl und ich hinter uns haben. Außerdem mache ich mir Sorgen um Rilmir. Er ist schon zu lange verschwunden."
Ehe sie weitersprechen konnte, kam der Wirt, Morlas, mit drei Krügen und einem so großen Tablett voller Speisen, dass Kerry sich nicht mehr wunderte, weshalb seine Oberarme so ausgeprägt aussahen. Elegent stellte Morlas seine Lasten auf den Tisch, machte eine - noch immer etwas spöttische - Verbeugung und verschwand wieder, beinahe so schnell wie er gekommen war, denn weitere Gäste erforderten seine Aufmerksamkeit. Der Schankraum füllte sich.

Kerry schnupperte vorsichtig an ihrem Getränk. Es sah nach klarem, kühlem Wasser aus, nur hier und da stiegen winzige Reihen von Blasen an die Oberfläche, wo sie lautlos zerplatzten. Pippin, der neben ihr saß, grinste. "Es ist das beste, was man anstelle von einem richtigen Bier hier bekommen kann. Morlas behauptet, es stammt aus einer verwunschenen Quelle hier mitten in der Stadt, aber das ist höchstwahrscheinlich Unsinn."
Kerry sah sich um, als erwartete sie, dass der Wirt jeden Moment wieder auftauchen und Pippin für seinen fehlenden Respekt zur Rechenschaft ziehen würde. Haleth hingegen schaute amüsiert drein. "Nun, ich habe vorhin bereits davon kosten können. Es wärmt einem die Knochen und hilft, die Trübsal zu überwinden, aber ich denke nicht, dass es berauschend wirkt."
"Es wärmt...?" wunderte sich Kerry. Der Krug fühlte sich in ihrer Hand relativ kalt an, und auch von seinem Inhalt ging keine spürbare Wärme aus.
"Probiere es, dann wirst du es sehen," sagte Pippin und setzte seinen eigenen Krug an die Lippen, der in seinen Händen gleich eine Spur größer wirkte.
Als Haleth ebenfalls einen Schluck nahm, tat es Kerry ihr gleich, wenn auch etwas zögerlich. Als sich die Flüssigkeit ihren Weg in ihren Rachen bahnte, stellte sie überrascht fest, dass es sich tatsächlich um Wasser zu handeln schien. Sie trank einen Herzschlag lang weiter, dann setzte sie das Gefäß ab. Erst jetzt begann sie zu spüren, wie sich eine Wärme in ihrer Brust auszubreiten begann. "Erstaunlich," murmelte sie und erntete belustigte Blicke von Pippin und Haleth.

Sie machten sich über das reichliche Mahl her und sprachen dabei darüber, was ihnen seit der Ankunft in Eregion widerfahren war. Kerry erfuhr in allen Details, was Oronêl und Haleth in den Minen von Moria zugestoßen war, doch sie wunderte sich dabei über sich selbst. Obwohl die Geschichte nicht gerade beruhigend klang, verspürte Kerry kaum Angst oder Sorgen. Sie dachte sich: Soll dieses Ding doch hervorkommen. Óntaro und die Elben werden es besiegen.
Pippin erzählte von einigen Gerüchten, die er auf der Straße aufgeschnappt hatte. Eines darunter war für Kerry besonders interessant. Die Torwächter erwarteten die Ankunft des Königs der Dunländer, bereits am kommenden Tag. Sie nahm sich vor, sich das Ganze mit eigenen Augen anzusehen. Vielleicht würde sie die Gelegenheit bekommen, mit Aéd zu sprechen und zu erfahren, wie es ihm ging. Eine Menge war zwischen ihnen noch ungesagt geblieben, und seitdem sie sich zuletzt gesehen hatten, war viel geschehen.
Als Haleth von Kerrys Plänen erfuhr, beschloss sie, Kerry zu begleiten. Sie bezahlten den Wirt (aus Kerrys Tasche, sie hatte darauf bestanden) und verabschiedeten sich, allerdings musste Kerry versprechen, das Lorbeerblatt bald wieder zu beehren. Sie willigte nur allzu gerne ein. Zwar waren ihr im Laufe des Abends hier und da einige Blicke der Gäste zugeworfen worden, da sie als Mensch natürlich etwas auffiel, aber sie hatte sich daran nicht groß gestört. Sie vermutete, dass manche Elben sich einfach darüber wunderten, warum eine junge Frau Kleidung nach Art der Manarîn trug, die unverkennbar von der Hand der Meisterschneiderin Nivim stammten.

In Farelyës Haus angekommen gingen alle drei rasch zu Bett. Haleth hatte Kerry versprochen, sie am folgenden Morgen früh genug zu wecken, und die Dúnadan hielt Wort. Bei einem knappen Frühstück leistete ihnen Elea Gesellschaft, die jedoch an diesem Morgen recht wortkarg war. Kerry bekam aus ihr nur heraus, dass sie sich Sorgen um Helluin und Finjas machte, die mit Oronêl nach Norden gegangen waren.
Von Pippin war keine Spur zu entdecken. Vermutlich hatte der Hobbit sich sogar noch früher als Kerry und Haleth aus dem Haus gestohlen. Sie zogen sich an und machten sich dann auf den Weg zum Westtor der Stadt. Kerry trug an diesem Tag änhliche Kleidung wie Haleth - einfache Reisekleidung aus Stoff und Leder, und feste, hohe Stiefel. Nur der Umhang den sie dazu wählte, war von eindeutig elbischer Machhart; auf ihrem Rücken war nun das Wappen von Haus Nénharma zu sehen.

Die Straßen waren relativ leer. Kerry fragte sich, ob es unter den Manarîn viele Langschläfer gab, während sie Haleth durch Ost-in-Edhil folgte. Je näher sie dem Tor kamen, desto mehr Elbenwächtern begegneten sie. Sie waren keinen Augenblick zu spät aufgebrochen, denn kaum hatten sie das Tor erreicht, trafen schon die ersten Dunländer ein, auf kräftigen Pferden reitend. Kerry erkannte viele von ihnen - es waren Aéds engeste Vertraute, sein Wolfsrudel. Der Wolfskönig selbst preschte auf einem beeindruckenden Streitwagen, gezogen von zwei weißen Rössern, durchs Tor und brachte das Gefährt mit geübter Hand zum Stehen, nachdem er die Stadtmauer passiert hatte.
Haleth gab ein für sie untypisches Aufseufzen von sich, als weitere Reiter durch das Tor kamen, unter ihnen eine dunkelhaarige Gestalt mit grauem, zurückgeschlagenen Kapuzenumhang. Es war Rilmir. Die scharfen Augen des Dúnadan hatten die beiden Frauen sogleich erspäht, und er lenkte sein Pferd zu ihnen an den Straßenrand, dann stieg er ab.
"Was für eine angenehme Überraschung," sagte Rilmir, drückte Kerry kurz an sich, und schloss dann Haleth in eine liebevolle Umarmung, die in einem Kuss endete. Kerry wandte sich errötend ab, doch Rilmir lachte. "Man hört ja so Einiges darüber, was Oronêl und du beim Küstenvolk so getrieben haben, aber du musst mir unbedingt alles im Detail erzählen. Zuerst solltest du aber vielleicht..." er deutete mit dem Daumen über die Schulter zur Straße, wo Aéd gerade, umringt von seinem Wolfsrudel, vom Streitwagen stieg. "Wir sprechen später, in Ruhe."
Kerry ließ Haleth und Rilmir stehen, und bekam noch mit, wie sich die beiden von der Straße entfernten. Ihr Herz pochte ihr mit einem Mal bis zum Hals. Ihr Kehle fühlte sich trocken an, und nach mehreren Schritten auf Aéds Gruppe zu blieb sie stehen. Sie wusste nicht einmal, was sie ihm sagen wollte. Mit einem Mal hoffte sie, er würde sie gar nicht bemerken.
Eine Minute verging, dann nahm ohne Vorwarnung jemand Kerrys Hand und zog sie mit sich, auf Aéd zu. Eine starke Hand teilte die Menge der Dunländer und ehe Kerry es sich versah, stand sie vor dem Wolfskönig. Einer der Wolfskrieger hatte sie erkannt und angenommen, sie habe nicht zu Aéd durchdringen können - und hatte kurzerhand eingegriffen und Kerry nach vorne befördert.
"Kerry! Da bist du ja," sagte Aéd und lächelte ihr zu. "Ich bin froh, dass es dir gut geht. Wir haben gehört, dass Gefahr in Eregion droht."
Kerry fasste sich ein Herz und umarmte ihn. Sie hoffte, dass sie wieder ihre einstigen Gefühle für ihn verspüren würde, und für einen Augenblick fühlte es sich auch so an. Doch Aéd löste sich von ihr, schneller als erwartet. "Was, ähm... was bringt dich nach Ost-in-Edhil?" fragte Kerry holprig.
Aéd legte stolz eine Hand auf eines der großen Räder des Streitwagens. "Wir sind hier um der Königin ein Geschenk zu machen, und ihr im kommenden Krieg beizustehen." Er nickte bekräftigend. "Die Kämpfe innerhalb Dunlands sind abgeflaut. Es kehrt Ruhe ein. Aber unser Volk braucht einen starken Anführer, und ein Krieg jenseits unserer Grenzen könnte eine gute Gelegenheit sein, Erfahrung und etwas Ruhm zu sammeln."
Kerry wusste nicht recht, was sie davon halten sollte, und entschied, erst einmal froh darüber zu sein, dass die Manarîn Verstärkung erhielten. Sie nickte und ließ sich von Aéd einige der Eigenschaften des Streitwagens beschreiben, auf den er besonders stolz zu sein schien.
"Es ist schön, dich wiederzusehen," sagte der Wolfskönig. "Aber jetzt sollte ich mit der Elbenkönigin sprechen und ihr die Gabe überbringen, die ich ausgesonnen habe." Er deutete auf eine Gruppe von Palastwächtern, die entlang der Straße zum Palast aufgereiht standen, angeführt von einem Kommandanten mit blauem Helmbusch. "Sieht aus als würde sie mich bereits erwarten," kommentierte Aéd. Er drückte Kerry für einen Moment an sich, viel zu kurz für ihren Geschmack, und verabschiedete sich dann von ihr. Kerry blieb stehen und sah ihm nachdenklich hinterher. Sie war kein bisschen schlauer geworden, was ihre Beziehung zu Aéd anging.

Immerhin ist er jetzt hier, und wird wohl so schnell nicht wieder abreisen, dachte sie sich, als schließlich alle Dunländer in Richtung des Palastes Faelivrins abgezogen waren. Kerry beschloss, die Mauern zu ersteigen. Sie glaubte, dass sie den Rückweg zu Farelyës Haus zurücklegen konnte, indem sie entlang der Wehrgänge und Brüstungen ging. Die Stadtwächter wollten sie zuerst abweisen, doch als sie sich auf Mathan berief, erkannte man sie und gewährte ihr, auf den Mauern spazieren zu gehen. Den Blick auf das Land jenseits der Stadtmauer gerichtet machte sie sich auf den Weg vom West- zum Nordtor, das nur einen Steinwurf von ihrer derzeitigen Unterkunft entfernt gelegen war. Die Lande kamen ihr kalt und karg vor, denn der Winter hatte Eregion noch immer fest im Griff. Nebelschwaden hingen über den grauen Hügeln im Norden und selbst die Bäume sahen aus, als wären sie innerlich zu Eis erstarrt. Kerry glaube für einen Moment, wieder in Fornost zu sein; eine Stadt voller Schutzbedürftiger, die auf den Krieg wartet. Sie schüttelte sich, dann wandte sie den Blick hastig ab. Zu viel ging in ihrem Kopf vor; Platz für noch mehr Sorgen war darin nicht mehr. Sie beschloss, noch am selben Abend wieder im Lorbeerblatt einzukehren...
Titel: Mathan im Lorbeerblatt
Beitrag von: Curanthor am 19. Nov 2021, 03:17
Auf der Hauptstraße angekommen, schaute er sich suchend nach den Zwergen aus dem Osten um. Es war bereits dunkel und finstere Wolken schluckten die aufkommenden Strahlen des Mondes. Mathan sah kurz ein paar Elben der Stadtwache dabei zu, wie sie kleine Lämpchen entzündeten, die an den Häuserwänden hingen. Mit weiten Schritten lief er schließlich zu dem großen Marktplatz im Zentrum der Stadt, in der Hoffnung einer der Zwerge dort zu finden. Als er durch das weit geöffnete Tor trat, musste er sogleich schmunzeln. Auf dem großen Sockel in der Mitte des Platzes erkannten seine Elbenaugen einen Zwerg, der es sich mit einem großem Laib Brot und einem ebenso großen Stück Käse gemütlich gemacht hatte. Mathan wich einem Bautrupp aus, der mit vier Mann einen besonders langen Baumstamm über den Markt in Richtung des Palastvorplatzes trugen und trat an den Zwerg heran. Sie erkannten einander. Es war Lorim, das erkannte Mathan an dem schwarzen Haar und dem relativ kurzen Vollbart, der aber dennoch mehr als die Hälfte des Gesichts verbarg. Der Zwerg nahm einen kräftigen Zug aus einer dampfenden Pfeife, biss etwas von einem Stück Trockenfleisch ab und winkte ihn näher. Mathan überwand die paar Schritte zu dem Sockel rasch und nickte knapp zum Gruß.
„Meister Elb!“, begrüßte ihn Lorim kauend und wedelte mit seinem Trockenfleisch umher, „Ich hätte nicht gedacht, dass ihr hier so etwas in den Lagern habt.“ Er grinste feixend unter seinem struppigen Bart. „Auch wenn es nicht ganz so würzig ist, wie ich es gewohnt bin – aber besser als bei den Mensch‘n.“
„Lorim“, erwiderte Mathan den Gruß und sagte mit einem leichten Grinsen: „Nun, dass Elben kein Fleisch verzehren ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Allerdings gibt es viele, die darauf verzichten, aber das kenne ich eher von den Hochelben. Die Avari können sich das nicht leisten…“ Er verstummte, als er den gelangweilten Blick des Zwerges sah.
Lorim winkte ab (noch immer mit dem Trockenfleisch in der Hand) und sagte, dass er wusste, dass die Elben im Osten kaum Ackerbau betreiben konnten und eher die Gaben des Waldes verzehrten, dazu gehörten auch Wildtiere. „Aber deswegen sitze ich hier nicht. Grám sagte, dass er und Andak in einem Gasthaus am westlichen Torplatz auf Euch wartet. Im Lorbeerblatt.“
Mathan hatte schon davon gehört, als einige Soldaten auf dem Heimweg davon gesprochen hatten, sich dort einen Winterwein zu gönnen. „Und Ihr kommt nicht mit?“
Der Zwerg schüttelte den Kopf und biss ein großes Stück von seinem Laib Brot ab. Einige Krümel prasselten in seinen Bart, während er mit vollem Mund sagte: „Zu viele Spitzohren. Ich habe zwar nichts gegen euch, aber ich mag es nicht, mich anglotzen zu lassen. Da bleibe ich lieber alleine.“
„Verständlich“, antwortete Mathan und wandte sich halb ab, blieb aber stehen, als er ein paar Tropfen in seinem Gesicht spürte, „Vielleicht solltet Ihr aber dennoch irgendwo einkehren, Lorim, es regnet gleich.“
Er hörte den Zwerg fluchen und wie er seine Sachen zusammenpackte. Mathan verabschiedete sich und wandte sich gen Westen, auf einer der kleinen Nebenstraßen. Nach einem kurzen Blick fand er eine Stadtwache und trat zu ihr. Es waren zwei gerüstete Elben, die die Lampen entzündeten. Mit knappen Worten bat er sie, einen Boten in den Palast zu schicken, um Valena zum Lorbeerblatt zu bringen. Die beiden – ein Mann und eine Frau, blickten sich kurz an, verneigten sich knapp und sagten aber dabei, dass sie noch die Straße fertig beleuchteten und sich dann um die Bitte kümmerten. Mathan bedankte sich verständnisvoll und ging weiter die Straße nach Westen entlang. Je weiter er sich vom Zentrum entfernte, umso karger wurde die Bebauung. Die großen, filigranen Steinhäuser wichen eher einfachen Holzhäusern, vereinzelt erblickte er noch Zelte, die sonst karge Flächen einnahmen. Der Weg zog sich in die Länge und die Nacht brach endgültig herein. Ein leichter Regen benetzte seine Haare und sein Gesicht. Man merkte, dass es noch Winter war, denn die Tage waren kurz, die Nächte lang. Ihm fiel ein, dass er nicht genau wusste, wann der Fürstenrat tagte, doch Mathan beruhigte sich mit dem Gedanken, dass man wohl nach ihm schicken würde, wenn es soweit war. Die Hauptstraßen machte eine leichte Biegung und endete auf einem gut ausgeleuchteten Platz. An dessen Ende erhob sich die wuchtige Torburg, dessen Türme nur hölzerne Gerippe waren. Man konnte sehen, dass hier noch immer kräftig gearbeitet wurde, denn auch die Stadtmauer war noch nicht auf voller Höhe aufgebaut – von den Arbeitern war aber nichts zu sehen. Der Platz war hingegen schon von einem Dutzend Holzhäusern umringt. Eines davon fiel besonders ins Auge, da oberhalb des Eingangs ein großes, gut lesbares Schild mit der Aufschrift „Zum Lorbeerblatt“ hing, die kunstvoll verschnörkelten Lettern in der Gemeinsprache verfasst. Das Gasthaus war das größte Gebäude am Westplatz und konnte sich schon fast mit der Torburg messen. Es war drei Stockwerke hoch, vier, wenn man das Dachgeschoss mitzählte, fünf mit dem hölzernen Spitztürmen, die jeweils rechts und links aus dem Dach hervorstachen. Es war deutlich, dass hier wahre Baumeister am Werk gewesen waren. Mathan riss sich von dem Anblick los und hielt auf den gut besuchten Eingang zu, von wo ihm schon der Duft von Kräutern, warmen Wein und auch Lautenschläge entgegenwehten, wann immer sich die Türe öffnete. Zwei Elben der Palastgarde, die an ihren schwarzen Mänteln zu erkennen waren, kamen ihm durch die Tür entgegen. Sie hatten ihre Mundtücher wie gewohnt im Gesicht, sodass nur ihre Augen zu sehen waren und in einem Gespräch vertieft. Sie nickten ihn knapp zum Gruß und hielten ihm die Türe offen. Der Duft von warmen Brot, gebratenem Fleisch und Wein stieg ihm in die Nase. Er bedankte sich und bahnte sich einen Weg durch den gut besuchten Schankraum. Dutzende Köpfe drehten sich flüchtig nach ihm um. Kurz blickte er an sich herab und beschloss das nächste Mal seinen auffällig rot-goldenen Mantel abzulegen. Das durchgehende Gemurmel nahm aber keine Notiz von ihm und auch die Bardin an den Öfen spielte unablässig ihr Lied und sang eine Ballade über die Seefahrt der Manarîn in der Gemeinsprache.
Am Tresen blickte ihm ein dunkelhaariger Hwenti-Elb mit einer Mischung aus Neugierde und Erkennen in den Augen entgegen. Ein wissendes Grinsen umspielte seine Lippen.
„Na, wenn das nicht der Feldherr der Manarîn ist“, begrüßte ihn der Schankwirt freundlich und mit gebotener Diskretion – doch mit einem leichten feixen in der Stimme, als Mathan an den Tresen trat. „Willkommen im Lorbeerblatt, es ist uns eine Ehre Euch hier zu begrüßen. Ich bin Morlas –“ Eine Elbenfrau mit fast schwarzen Haaren eilte durch die Küchentür und balancierte sieben voll beladene Teller auf den Armen, „Und das ist Nityel, meine bessere Hälfte.“ Die Elbe hörte ihren Namen, sah sich rasch um ihre hellblauen Augen musterten ihn flüchtig und sie nickte knapp ehe sie im Schankraum verschwand.
„Danke Morlas. Ich bin Mathan“, erwiderte er die Floskel und schaute Nityel hinterher, „Eine Kinn-Lai?“, hakte er nach, als er ihren Namen sich noch einmal durch den Kopf gehen ließ.
Der Schankwirt grinste nun breiter. „In der Tat, wir fanden uns durch Zufall.“ Er lachte volltönend, „Der beste Tag in meinem Leben. Sie hat mich verdroschen, weil ich bei der Jagd ihre Beute zuerst erwischt hatte. Und seitdem sind wir zusammen.“ Morlas wartete, bis seine Frau wieder in die Küche verschwunden war und neigte sich leicht über den Tresen und flüsterte ihm verschwörerisch zu: „Es war trotzdem meine Beute gewesen, ich hab es zuerst geschossen, aber erklär‘ das mal einer Kinn-Lai.“
Mathan musste ebenfalls grinsen. „Eine Liebesgeschichte voller Poesie und Romantik.“
Morlas lachte noch einmal bellend und stieß die Fäuste zusammen, „Genug davon, was kann ich für Euch tun, Heermeister Mathan?“
Er überlegte einen Moment, während Nityel wieder durch den Schankraum rauschte und ihrem Gatten einen giftigen Blick zuwarf – offenbar hatte sie sehr scharfe Ohren. Mathan musste schmunzeln und fragte, was er empfehlen könnte – für ihn und zwei Zwerge.
„Hmm“, machte der Wirt und strich sich über sein makelloses Kinn, „Zwerge… ja, die habe ich schon mit Met versorgt. Ihr gehört zusammen ja?“ Auf sein Nicken hin schein er auf eine Idee gekommen zu sein. „In Ordnung, dann habe ich ein gutes Abendessen für euch, es sei denn, Ihr wollt kein Fleisch?“
Mathan zögerte. Es war schon lange her, dass er das letzte Mal etwas Tierisches gegessen hatte. Er zuckte mit den Schultern und entschied sich dazu, das zu essen, was er den Zwergen vorsetzen würde.
Morlas‘ Augen blitzen auf und er versicherte ihm, dass er nur das Beste zubereiten würde. „Eine Vorspeise nach Art des Hauses – eine wahre Überraschung. Danach ein sanft angebratenes Hähnchen in Honigsoße und einen großen Teller voll allerlei Gemüse und Kräutern mit einem leckeren Salatdressing. Zum Schluss eine kleine Torte, die meine Tochter erst heute gebacken hat. Na, klingt das nicht verlockend?“ Mathan zögerte. Hühner hatte er nicht allzu oft verspeist, da er die vielen kleinen Knochen nicht mochte. Morlas schien sein Gedanken zu erraten und versicherte ihm, dass er Mathans Portion entbeinen wird. „Ihr werdet gar nichts merken, darauf gebe ich mein Wort, als Koch und als Besitzer dieser Gaststätte.“
„Nun, wenn das so ist“, gab Mathan schließlich nach und blickte sich rasch nach den Zwergen um, „Ich denke aber, dass Ihr Euch diese Mühe bei den Portionen der Zwerge sparen könnte.“
Der Schankwirt lachte laut auf und antwortete schelmisch, dass er für Elben sämtliche Speisen immer entbeinte. „Eigentlich stehe ich nicht oft in der Küche“, gab er mit einem verschwörerischen Zwinkern zu, „Aber für Euch und Eure Freunde kümmere ich mich persönlich um Eure Speisen. Sie sitzen dort hinten in der Ecke.“ Morlas deutete mit seinem Daumen in eine dunkle Sitzecke, hinter der sich eine Treppe nach oben wandte.
Mathan bedankte sich und bahnte sich durch den vollen Schankraum einen Weg in die ruhigere Ecke. Ihm fiel auf, dass viele Elben der Stadtwache, den Wächtern der Mauern und der Palastgarde hier waren. Auch eine große Gruppe Holzarbeiter, die noch immer vereinzelt mit Sägespänen bedeckt war tummelte sich um einen der großen Tische, auf dem ein geöffnetes, kleines Fass Wein stand. Mathan wich einem Becher aus, der übermutig geschwenkt wurde und duckte sich unter einem geworfenen Tablett, das unter allgemeinem Gelächter und Beifall von Nityel gefangen wurde. Eilig machte er sich davon, als die Kinn-Lai lautstark zu schimpfen begann und ließ den lebhaften Teil des Schankraum hinter sich.
Hier hinten waren die Viererplätze mit einem Tisch in der Mitte, wo hauptsächlich Pärchen oder kleine Familien saßen und zu Abend aßen. Grám Feuerhammer, der genau in der Ecke saß, empfing ihm mit einem breiten Grinsen, als er sich zu ihnen auf die weich gepolsterte Eckbank fallen ließ. „Ich muss sagen, diese Elben gefallen mir immer besser, je länger ich hier bin.“
„Sie sind weniger verklemmt als gedacht“, stimmte Andak mit einem amüsierten Schmunzeln zu, das von seinem mächtigen weißen Bart verdeckt wurde.
Mathan, der die Feierlaune der Elben und vor allem der Avari durch Halarîn kannte, grinste wissend und versicherte, dass dies noch harmlos war. Die Zwerge wechselten einen Blick und schienen so, als ob sie hier übernachten wollten, nur um das zu erleben. „Aber das kann einige Tage dauern“, beschwichtige Mathan rasch und fügte hinzu, dass er aber nicht genau wüsste, wie es die Manarîn hielten.
„Die Manarîn also“, begann Andak ernst, seine tiefe, sanfte Stimme klang nachdenklich, „Sie sind ein relativ junges Volk, oder?“
Mathan wandte ein, dass fast zweitausend Jahre seit ihrer „Gründung“ vergangen sind. Woraufhin Grám einwandte, dass es für Elben eine relativ kurze Zeit war.
„Wir empfinden Zeit etwas anders als ihr“, begann Mathan und versuchte so gut es geht zu erklären: „Es gibt Jahre und sogar Jahrzehnte, die fliegen an einem vorbei. Dann gibt es Tage und Wochen, die kommen einem wie eine Ewigkeit vor. Einige von uns bemessen die Zeit sogar nach den Erlebnissen, die sie haben.“
Grám griff nach seinem Metbecher, nahm einen kräftigen Schluck und sagte, als er ihn lautstark absetzte: „Klingt mir zu kompliziert“, Der Zwerg rülpste laut, „Uns geht es darum, herauszufinden, ob sie unser Wissen klug gebrauchen und nicht womöglich gegen andere meines Volkes wenden.“
Mathan nahm dankbar einen Krug entgegen, den Nityel mit einem flüchtigen Lächeln vor ihm auf dem Tisch stellte. „Als Ahnherr des Königshauses kann ich dafür garantieren, dass niemand Euer Wissen falsch gebraucht“, versprach er ihnen, als die Kinn-Lai wieder gegangen war.
Andak strich sich durch seinen mächtigen Bart, nahm einen Schluck Met und lehnte sich etwas über den Tisch zu ihm. „Könnt Ihr das garantieren?“
Mathan runzelte verärgert die Stirn. „Vorsicht, Meister Andak. Wir reden von meiner Familie.“
Grám stieß den alten Zwerg mit dem Ellenbogen an und zischte ihm zu, dass er nicht so misstrauisch sein sollte.  Der Greis entschuldigte sich rasch. „Das, was wir vorschlagen wollen ist sowieso nichts Besonderes…“, sagte Grám und schaute sich rasch um, „Und ist eher ungewöhnlich, selbst bei unserem Volk.“
Andak bedeutete zu schweigen und Mathan folgte seinem Blick. Morlas trat mit einem großen Tablett zu ihnen. Der Elb stellte drei dampfende Schüsseln vor ihnen auf den Tisch. „Es ist nicht mehr so heiß, ihr könnt es trinken. Ein Appetitanreger.“
„Brauchen wir nicht, sind schon hungrig genug“, brummte einer der beiden Zwerge leise. Sie lachten, griffen aber dennoch nach den Schüsseln.
Der Schankwirt grinste und versicherte, dass es den Hauptgang bekömmlicher machen würde. Eine Spezialität des Hauses, wie er stolz verkündete und dann wieder verschwand. Die drei blickten sich kurz an, eher sie aus den Schüsseln tranken, auch wenn Mathan sich gern einen Löffel gewünscht hatte. Als er den ersten Schluck genommen hatte, stellte er fest, dass es nur eine gefilterte Brühe aus Waldkräutern, Wurzeln und etwas anderes war, dass er nicht genau einordnen konnte. Sie schmeckte köstlich und wärmte von innen heraus. Der Abgang war von verschiedenen Kräutern geprägt, die schon lange nicht mehr gekostet hatte. Nostalgie überkam ihn, die aber von einem lauten Rülpsen unterbrochen wurde, als die Zwerge ihre Schüsseln bereits geleert hatten.
„Gar nicht so schlecht“, befand Andak und betupfte sich den Bart.
„Mhh“, macht Grám zustimmend, der noch den letzten Tropfen mit einem Finger herausfischte und zufrieden die Schüssel abstellte. „Für Elbenfutter, vorzüglich.“
Mathan nahm sich etwas mehr Zeit, fragte aber zwischenzeitlich, ob sie bereits andere Elbenkost probiert hatten. Die Zwei sahen sich einen kurzen Moment an, bis einer von ihnen nickte. Abwechselnd erzählten sie, dass sie in Eyriks Rast schon einmal mit einer Gruppe Kindi zusammen gespeist hatten. Und dass es alles andere als genießbar war. „Und nur Grünzeug“, beschwerte sich Grám.
„Da hat mir dieses weiße Getreidezeug in Nishiro besser gefallen“, stimmte Andak zu, „Die hatten da auch interessante Gerichte vom Schwein und Rind.“
Die Zwerge fuhren fort und erzählten ein paar Ausschnitte ihrer Reise, wobei sie nie genau sagten, in welcher Stadt oder welchem Land sie dies und jenes gegessen hatten. Meist waren es Gerichte, die Mathan in einer Art schon kannte, aus seinen eigenen Reisen in den fernen Osten, doch er hörte trotzdem zu, bis Morlas mit dem Hauptgang erschien. Die Zwerge waren plötzlich ganz begeistert von den elbischen Kochkünsten. Die knusprig gebratenen Hähnchen übertrafen alle ihre Erwartungen. Mathan wartete, bis der Schankwirt mit seinem neugierigen Blick wieder hinter den Tresen verschwand, der zum Glück in die entgegengesetzte Richtung – zum Eingang und den Schankraum – ausgerichtet war. Erst dann begann er zu essen. Es war merkwürdig, aber köstlich. Wobei die Honigsoße förmlich in seinem Mund zerfloss. Das Fleisch war unglaublich zart und angenehm subtil, mit den Kräutern zusammen – wobei einige wohl gekocht, oder gedämpft waren – merkte man es kaum. Morlas hatte nicht gelogen, es war vorzüglich – und komplett ohne Knochen. Mathan blickte kauend auf die Zwerge, wo Andak mit einem Stück Knochen sich gerade zwischen den Zähnen herumpulte. Grám trank aus seinem Metkrug und verteilte einen guten Schluck in seinem feurigen Bart. Mathan unterdrückte ein Schmunzeln, da er die zwergischen Tischmanieren schon kannte.
Nachdem alles soweit verspeist war – und Grám sogar etwas Grünzeug von Mathans Teller probierte, das der Zwerg gar nicht so scheußlich fand – schoben sie die Teller von sich und widmeten sich den ernsten Themen.
Andak räusperte sich und eröffnete das Gespräch „Wir haben uns ein wenig umgehört, nachdem wir hier angekommen sind...“
„Die Stadt ist nicht schlecht, befand zumindest Lorim – er ist unser Steinmetz. Die Mauern hoch und stark, die Tore gut gesichert und von dem was wir sehen konnten, ziemlich widerstandsfähig. Allerdings… „ Grám senkte etwas die Stimme und rückte näher an den Tisch, was Mathan und Andak ihm gleichtaten, „Es fehlt sonst an allem. Die Straßen sind nicht existent, ihr habt keine Handelsbeziehungen und nicht genug Arbeiter für Felder, Tierzucht oder andere Dinge, die nicht mit dem Krieg oder der Verteidigung zu tun haben.“
Mathan wollte etwas daraufhin erwidern. Dass sie schon mitten in einem Krieg steckten und einen Großangriff erwarteten, doch Andak hob beschwichtigend seinen Krug, „Wartet ab, Meister Elb.“
„Als wir Saurons Gäste waren – und das für ein paar Monate, haben wir einige Dinge gesehen und gehört, die vielleicht nützlich sein könnten“, eröffnete ihm Grám mit geheimnisvoller Stimme.
„Das heißt, dass ihr über Saurons Kriegspläne Bescheid wisst?“, flüsterte Mathan rasch und blickte sich um, „Ist das wahr?“
Die Zwerge tauschten einen Blick und Grám kratzte sich verlegen an seinem Bart. „Nun, ganz so tiefe Einblicke hatten wir nicht“, gestand Andak etwas kleinlaut und schaute in seinen Krug, der fast leer war.
„Wir wissen über eine Ressource, von der Sauron ziemlich besitzt und die ihm auch ziemlich wichtig ist“, sagte Grám mit fester Stimme und tippte mit seinem dicken Finger auf die Tischplatte, „Und dieses Land braucht es dringend.“
Mathan wusste nicht so recht, was der Zwerg damit sagen wollte, bis Andak knapp einwarf: „Muskelkraft.“
Rasch dämmerte es ihm. „Nein!“, platzte es Mathan sofort heraus und er senkte hastig wieder die Stimme, „Sklaven? Seid ihr des Wahnsinns?!“
Grám schüttelte den Kopf und zog die buschigen Augenbrauen zusammen. „Nein, so hört mir doch bis zu Ende zu.“
Mathan verschränkte die Arme. Faelivrin würde das niemals zulassen, genauso wenig ihre Tochter oder einer der Fürsten. Die Zwerge wirkten aber so, als ob ihnen das wichtig war. Er atmete tief ein und nickte - so knapp, dass es kaum wahrnehmbar war. „Also gut. Ich höre es mir an, mehr nicht.“
Andak wirkte erleichtert und erklärte, dass sie wochenlang von Gefangenenlager zu Gefangenenlager weitergereicht wurden. Die meisten platzten aus allen Nähten. Sauron wollte herrschen, nicht alles Leben vernichten, das - so betonte Grám, hatten die Wächter immer wieder in den Lagern von ihren Kommandanten eingebläut bekommen. Sicherlich war die Behandlung der Gefangenen schlecht bis katastrophal, aber es wurde nicht einfach wahllos getötet. Wenn gerade kein offener Widerstand geleistet wurde, hatte man die Gefangenen als Arbeitssklaven genutzt und sie nach Belieben zwischen die Lager hin- und hergeschickt.
Mathan hatte genug gehört und unterbrach sie: „Und was erwartet ihr von uns? Sollen wir diese Lager angreifen? Ihr wisst doch selbst, dass diese Stadt bald angegriffen wird. Wir können keine Krieger über unsere Grenzen hinaus entsenden.“
„Nicht ganz und das sollt ihr auch nicht“, antwortete Andak kopfschüttelnd und leerte seinen Metkrug, „Wir kenne ihre Wege. Wir wissen, wo sie die Gefangenen transportieren. Und der dunkle Herrscher hat nicht genug Leute, um alle Sklaven von seinen eigenen Getreuen verwalten zu lassen.“
Mathan dämmerte es, worauf die beiden hinaus wollten. „Ihr schlagt vor, dass wir die Sklavenhändler überfallen?“
Grám wirkte nun aufgeregter und setzt sich aufrechter hin. „Nicht nur das. Die Nachricht, dass Sarumans Halt über diese Lande gebrochen sind, hat sich noch nicht weit verbreitet. Wir könnten in seinen Namen eine große Bestellung aufgeben. Oder von Saurons Heerführern. Dann würden sie sie uns sogar bis hier her liefern.“
„Moment, nicht so schnell“, hielt Mathan den Zwerg zurück, „Es sind schon mehrere Wochen vergangen, Gerüchte verbreiten sich schnell.“
„Dann ködern wir sie mit Reichtümern, viele von den Händlern sind gierig. Ihr haltet doch Lond Daer?“ wandte Andak ein.
Mathan nickte knapp, woraufhin der alte Zwerg weitersprach und vorschlug, es so aussehen zu lassen, als ob Lond Daer wieder, oder immer noch unter Sarumans Kontrolle steht – oder kürzlich von Sauron heimlich erobert wurde. „Damit ködern wir die Sklavenhändler, die über das Meer Handel treiben und lassen sie dort mit ihren Gefangenen anlanden. Sollten sie Probleme machen… ich nehme an, die Flotte, von der ich gehört habe ist noch immer kampbereit…“
An sich klang das gar nicht so schlecht, aber es gab noch zwei Dinge, die Mathan störten, die er auch gleich ansprach: Was sollten sie mit so vielen Sklaven anstellen und vor allem, wie sollten sie sie in ihre Dienste treten lassen, ohne damit alle anderen Reiche oder möglichen Verbündeten zu brüskieren und abzuschrecken.
Aber auch darauf hatte Grám eine Antwort: „Schließt Verträge, garantiert ihnen Siedlungsplätze, vorübergehenden Schutz, plumpe Bezahlung oder eine irgendeine andere Art von Gegenleistung. Viele Menschen werden erst nach dem Krieg die Möglichkeit haben in ihre angestammte Heimat zurückzukehren. Ich denke, dass viele von ihnen darauf eingehen würden, mit der Aussicht irgendwann nach Hause zurückzukehren – oder direkt ein neues Leben unter den Schutz von Elben zu beginnen.“
Mathan leerte seinen Met mit einem großen Zug und stellte den Becher auf den Tisch. Tatsächlich war die Überlegung gar nicht so dumm, aber ihn bereitete es immer noch Kopfschmerzen. „Wir würden uns dabei auf sehr dünnem Eis bewegen. Ich weiß nicht, ob die Idee Anklang finden würde, zumal wir kurz vor Kriegshandlungen stehen. Wann sollen wir das bewerkstelligen? Und vor allem, von wie vielen ehemaligen Gefangenen reden wir hier, die was genau machen sollen?“
Andak war es, der schließlich mit der Sprache herausrückte: „Wir arbeiten Pläne für dieses Königreich aus. Entwicklungspläne. Meine Wenigkeit war eine lange Zeit Oberster Baumeister bei meinem Volk. Wir reden hier von Flussbefestigungen, Brücken und einem neuen Handelsweg. Na, klingelt es?“
„Ihr… ihr wollt den Glanduin wieder mit Schiffen befahrbar machen? Vom Gwathló, bis hier her hinauf?“, sprach Mathan ungläubig aus und blinzelte erstmal, während die beiden Zwerge sich angrinsten, „Wie soll das geschehen?“
Grám strich sich durch seinen feuerroten Bart und wirkte etwas weniger motiviert und brachte schließlich hervor: „Nun, wir bräuchten mindestens zweitausend Arbeiter, besser dreitausend.“ Auf Mathans entsetzten Blick hin, fuhr er hastig und beschwörend fort: „Eine direkte Handelsverbindung mit Gondor und womöglich sogar auch mit Minzhu und den Mondlanden. Wisst Ihr denn nicht, was das bedeutet? Ihr habt die Flotte und die Möglichkeit die Seewege zu sichern und…“ Er verstummte und murmelte nun leiser, dass sie erst die drohende Gefahr abwehren mussten. „Aber dennoch“, sagte er wieder lauter, „Die Händler werden Zeit brauchen, um auf die Anfrage zu reagieren. Jetzt wäre ein passender Zeitpunkt und – “
Grám verstummte, als Andak ihm am Arm packte. Der alte Zwerg schüttelte nur kurz den Kopf, da Mathan seinen skeptischen Gesichtsausdruck nicht mehr verbergen konnte. Das Lärmen der Gaststätte schwoll noch ein Stück weiter an. Mathan wiegelte ab. Tatsächlich konnten die Elben Eregion nicht alleine in so kurzer Zeit wieder aufrichten. Sie waren maximal zehntausend und über das gesamte Land verstreut und der kommende Konflikt würde tiefe Spuren hinterlassen. Eigentlich war dies sogar ein Ausweg, ein sehr kontroverser, aber es war eine Möglichkeit. Nun ging es darum, sie in Betracht zu ziehen. Zwischenzeitlich erschien Nityel und stellte ihnen jeweils einen Handteller großen, goldbraunen Kuchen vor die Nase. Er duftete wunderbar und schien sogar noch leicht warm zu sein. Ungefragt füllte sie ihre Becher wieder auf.
Als sie an Mathans Seite trat, neigte sie sich leicht zu ihm herab und flüsterte in sein Ohr: „Ein Bote Ihrer Majestät wartet auf Euch, doch er lässt Euch ausrichten, erst das Mahl zu beenden.“
Er nickte ihr zu, dass er verstanden hatte und bedankte sich. Dabei drehte er den Kopf, um den Boten zu erblicken. Ein leichtes Schmunzeln huschte über sein Gesicht. Nammanor stand am Tresen, in voller Rüstung, eine Hand lässig auf dem Schwertknauf, einen Krug in der anderen Hand und ihm zuprostend. Nityel eilte wieder zurück in die Küche und Mathan wandte wieder den Kopf zu den Zwergen.
Andak räusperte sich und versuchte es diesmal etwas bedachter: „Ihr braucht zusätzliche Manneskraft, daran besteht kein Zweifel. Und diesen armen Seelen wird es bei euch besser ergehen, da sie freiwillig bleiben können, oder es versuchen sich in ihre Heimat durchzuschlagen. Sollten sie hier siedeln wollen… nun, ich denke, dass wir den Vorschlag der Königin unterbreiten sollten.“
„Davon abgesehen könnten zusätzliche Hände die Verteidigungsanlagen schneller fertig stellen“, warf Grám ein, auch wenn er offenbar selber wusste, dass das ein eher schwaches Argument war. 
Mathan wollte erst den Kopf schütteln, stach dann aber lieber mit seiner Gabel in den weichen Kuchen, aus dem eine weißliche Creme quoll. Er war wunderbar, bestand wohl aus Mehl, Milch, Eier, Honig und anderen Dingen, die er mal von Bäckern gehört hatte. Die Creme war hingegen sehr süß und hatte einen zarten Hauch von Minze. Den Zwergen, die inzwischen verstummten waren, schmeckte er wohl nicht ganz so sehr, denn sie beschwerten sich, dass es zu süß war. Mathan ließ sich mit seinem Nachtisch Zeit, so konnte er über den verrückten Vorschlag der beiden nachdenken. Als er die Gabel aus der Hand legte, blickten sie ihn erwartungsvoll an.
„Also gut. Ich werde die Königin von diesem Gespräch unterrichten. Wie sie entscheidet, liegt aber nicht bei mir“, sagte er schließlich, „Wahrscheinlich werden auch die Fürsten darüber entscheiden.“
„Nun, das sollte uns genügen“, befand Andak und machte Anstalten sich zu erheben, „Wir ziehen uns dann mal zurück. Hier sollen die Zimmer ganz gut sein.“
Mathan nickte knapp und erhob sich. Grám kletterte aus seiner Ecke und fluchte leise über die Unfähigkeit der Elben kleine Möbel zu bauen. Die beiden lachten und verschwanden feixend auf der Treppe nach oben. Er selbst ging zum Tresen, wo Morlas und Nammanor auf ihn bereits warteten.
„Ich hoffe, es hat gemundet“, erkundigte sich der Wirt und putzte gerade einen Becher. Auf ein freundliches Nicken hin, strahlte er und flötete: „Beehrt uns bald wieder, Heermeister.“
Mathan wollte nach seinem Münzbeutel greifen, doch Nammanor hielt ihn zurück und schüttelte kaum merklich den Kopf. „Keine Zeit, der Rat tritt gleich zusammen.“
Morlas schien bereits Bescheid zu wissen, denn er winkte zum Abschied. Nityel tauchte zwischen den Gästen im Schankraum auf und geleitete sie zur Tür. Sie hakte sich rasch bei ihm ein. Die Kinn-Lai lächelte ihn freundlich an und neigte sich ein wenig zu ihm, während sie zur Tür gingen. Leise wisperte sie ihm zu, dass sie hoffte, dass Mathan seine Zeit im Lorbeerblatt als Zeichen ihrer Dankbarkeit wertete, für seine Leistung bei der Schlacht um Rómen Tirion. Er wollte erwidern, dass er das nicht annehmen konnte, doch sie schob ihn ohne viel Federlesens aus der Tür und Nammanor drängte sogleich zum Aufbruch. Etwas unwohl ließ der das große Gasthaus hinter sich und folgte dem Ritter in Mitten der Nacht zum Palast. Auf dem Weg erzählte ihm der Krieger, dass morgen früh wohl der Wolfskönig in die Stadt kommen würde und einige Elben gespannt waren, wie ein König der Menschen aussah. Mathan antwortete jedoch nicht und dachte noch immer über das Gespräch mit den Zwergen nach.
Titel: Königlicher Besuch
Beitrag von: Curanthor am 29. Nov 2021, 22:16
Nammanor geleitete Mathan durch die nächtlichen Straßen Ost-In-Edhils zurück zu dem Palast. Auf dem Weg begegneten ihnen kaum anderen Elben, nur Patrouillen der Stadtwache, die knapp grüßten und wachsam in die engen Gassen blickten. Auf dem Weg fragte sich Mathan, warum Valena nicht zu dem Gasthaus gekommen war, beruhigte sich aber mit dem Gedanken, dass sie wohl schlief – wie die meisten Menschen um diese Zeit. Eine Tatsache, die ihm manchmal entglitt, wenn er nicht lange Zeit unter Menschen weilte, so wie seine Zeit in Arnor. Er fühlte sich ausgeruht, die paar Stunden im Gasthaus waren ausreichend gewesen, um neue Kraft zu tanken. Trotzdem sehnte sich ein Teil von ihm, in einem Garten zu sitzen und sich zu entspannen. Weit weg von allen Auseinandersetzungen, Streitigkeiten und anderen Konflikten. Sein Blick fiel auf die Banner der Avari in der Vorhalle, als er durch die hohen Tore des Palastes trat. Innerlich straffte er sich, während Nammanor zielstrebig zum Thronsaal marschierte, die Flügel standen ein Stück offen. Der Ritter öffnete die rechte Seite ein Stück. Mathan folgte ihm, seine Stiefel glitten lautlos über den polierten Steinboden. Im Saal erblickte er bekannte Gesichter: Faelivrin, Isanasca und Ivyn unterhielten sich am Fuße des Podests zum Thron. Am Kartentisch, der in der Mitte des Saals stand, warteten die übrigen Fürsten, die Mathan nur flüchtig getroffen hatte. Die Zwillinge Taniel und Túniel musterten ihn nur kurz und blickten wieder auf die Karte – sie kannte er gar nicht. Artana – Istime, wie sie vermehrt genannt wurde, blickte jedoch auf und machte einen Schritt auf ihn zu.
„Heermeister“, begrüßte die Hofmeisterin ihn mit gebotenem Respekt, ganz anders als zuvor in der Vorhalle, „Danke für Euer kommen.“
Kurz meinte er ein Feixen in ihrer Stimme zu hören, doch wurde der Gedanke von Faelivrins Räuspern unterbrochen.
„Danke, dass ihr um diese nächtliche Stunde hergekommen seid. Es gibt einige wichtige Fragen zu klären“, begann seine Tochter leise und schritt zu ihnen an den Tisch, ihr Blick glitt kurz zu Isanasca, dann fuhr sie fort, „Und grundlegende Dinge festzulegen, die unser künftiges Reich definieren werden.“
Istime warf rasch ein, dass auch Vorschläge, Anregungen und Ideen willkommen seien. Mathan bemerkte die flüchtigen Blicke, die ihn dabei zugeworfen wurden. Er hasste Politik, auch wenn es in so kleinem Kreis stattfand. Gerade dann, wenn er die meisten der Anwesenden kannte. Isanasca hatte wohl schon Vorbereitungen getroffen, dass er die Vorschläge der Zwerge weitergeben konnte. Wie überaus scharfsinnig, dachte er sich und nickte unmerklich. Ivyn ergriff das Wort und gab zu bedenken, dass diese Form des Rates ein Überbleibsel aus dem alten Königreich war. „Nun, da wir mehr als nur Manarîn in diesem Königreich haben, sollten wir darüber nachdenken, auch jene eine Stimme zu geben, die bisher nicht hier vertreten sind.“
Túniel gab das erste Mal eine Regung von sich und schüttelte den Kopf. „Und diese Streithähne da draußen in diese Hallen einladen?“, warf der alte Elb ein, „Sie würden doch den ganzen Tag nur da sitzen und diskutieren. Vor allem die Kinn-Lai und die Kindi würden sich an die Kehlen gehen.“
„Dann müssen wir Regeln aufstellen“, hielt Isanasca dagegen und erntete einen missbilligen Blick von den Zwillingen „Oder das Regierungssystem in seinen Grundfesten neu ordnen.“
„Solche Änderung müssen aber gut durchdacht sein“, mahnte Istime, die wohl irgendwo zwischen ‚neu ordnen‘ und ‚Regeln aufstellen‘ schwankte, „Oder was meint Ihr, Majestät?“
Seine Tochter hatte nachdenklich die Arme verschränkt und strich sich über das Kinn. Sie blickte ihn kurz fragend an, doch Mathan schüttelte unmerklich für die anderen Anwesenden nur den Kopf. Kurz meinte er Ivyns Stimme in seinen Gedanken zu hören, sie sagte, dass es noch zu früh dafür war. Rasch blickte er zu ihr, doch sie fragte gerade die Hofmeisterin Istime über den Baufortschritt aus. So erfuhr Mathan, dass die feindgewandten Seiten der Stadt, also der Osten und wohl auch der Norden soweit gesichert waren. „Der Westen macht mir noch Sorgen, die Mauern sind breit, aber nicht hoch genug, die Torburg halb-fertig – und Lissailin…“, schloss Istime ihren Bericht und blickte halb fragend zu Faelivrin.
Seine Tochter seufzte leise und sagte: „Lissailin liegt verborgen… allerdings wäre es einen Angriff schutzlos ausgeliefert.“ Sie wandte sich an ihn, „Vater, Ihr wisst von den verborgenen Tal. Das Nebeltal, von dem Ihr mir in meiner Kindheit erzählt habt.“
Mathan wusste sofort wovon sie sprach. Sein Vater hatte ihm den Ort gezeigt, da er als jünger war. Es war ein beliebter Rückzugsort der Noldor gewesen. Ähnlich wie Imladris geschützt, aber nicht in einer Schlucht, sondern in einem Tal gelegen, umgeben von einigen Bergen und einem kleinen See. Er nickte und vergewisserte sich, ob sie den verborgenen Pfad unter den Bergen gefunden hatten. Seine Tochter nickte knapp. „Nun, dann würde es Saruman schwer fallen die Stadt zu finden. Außerdem müsste er dafür durch die Talath Neldor von Norden oder Nord-Westen anrücken – und wäre meilenweit zu erkennen.“
„Warum nicht vom Westen her?“, erkundigte sich Taniel rasch.
„Weil zwischen den Bergen um Lissailin und den Bruinen nur eine felsige Einöde gibt. Die alten Verteidigungsgräben erschweren ein Durchkommen, da sich durch die Jahrhunderte Regen, Wind und Wetter sie sich tief sich ins Land gegraben haben, dass es unmöglich ist sie mit einer Armee zu durchqueren“, erklärte Mathan und deutete dabei auf die Karte. Sein Finger wanderte weiter nach Süden, „Und die Schwanenfleet würde nur ein Wahnsinniger durchqueren – keine Heere.“ Mathan tippte auf die Mitte von Nunta Hollinor, in dessen Mitte die Ebene der Birken lag. „Talath Neldor. Hier reichen ein paar Wachposten mit schnellen Reitern und jeder Überraschungsangriff kann abgefangen werden. Wenn wir sie früh genug entdecken, kann man sogar aus der Hauptstadt schnell genug eingreifen.“
„Vorausgesetzt“, hob Faelivrin an und legte ihre Hand flach auf den Kartentisch, „Die Lage der Stadt wäre dem Feind bekannt – was nicht der Fall ist.“
„Es würde nicht schaden, trotzdem vorsichtig zu sein“, mahnte Ivyn leise und wandte sich wieder ab. Seine Tochter schien unzufrieden mit dem Einwurf. „Ich bin Beraterin“, sagte die Erste ohne hinzusehen, als ob sie Faelivrins Unmut gespürt hatte, „Also berate ich. Nicht mehr, nicht weniger. Es liegt an der Königin Entscheidungen zu treffen.“
„Gut“, seufzte seine Tochter und bat einen der Zwillinge darum die Wachposten einzuteilen, wenn auch mit geringer Stückzahl. „Da das geklärt ist, würde ich nun gerne von dem Vorschlag unserer zwergischen Gäste hören“, wandte sie sich nun an Mathan. 
Er hatte sich schon überlegt, wie man das Thema so schonend wie möglich ansprechen konnte, doch seine Tochter hatte ihm mit ihrer Aufforderung den Boden unter den Füßen weggezogen. Mathan räusperte sich und gab in knappen Worten wieder, was Grám und Andak vorgeschlagen hatten. Niemand unterbrach ihn und bis auf gelegentlich skeptische Blicke erhob sich kein Protest, als er endete.
„Also sollen wir die Sklavenhändler über das Ohr hauen und die Gefangenen befreien – mit dem Ziel so viele wie möglich zum Bleiben zu bewegen“, fasste Istime zusammen und grinste auf einmal, „Die Idee gefällt mir!“
„Und das mit unserer Flotte, die wir dann wieder bemannen müssten“, wandte Isanasca ein und biss sich nachdenklich auf den Lippen, „Würde nicht alleine die Tatsache, dass wir Sklavenhändler einladen für Anstoß erregen?“
„Für eine List? Sicherlich nicht. Wir haben doch nicht vor mit ihnen zu handeln, sondern sie auszurauben“, stellte Istime klar und klopfte auf den Tisch, „Doch dafür müssten die Zwerge auch liefern.“
„Entwicklungspläne“, sagte Ivyn nun nachdenklich, „Für eine Wasserstraße von der Mündung des Gwathló bis zur Hauptstadt. Ich hab von einigen Cuind erfahren, dass sich viele für eine Siedlung in den Schwanefleet interessieren… wenn sie sich dort niederlassen wäre das gar nicht so abwegig.“
Alle anwesenden Elben starrten die Erste mehr oder weniger verblüfft an. Faelivrin hakte nach, ob sie tatsächlich das in Erwägung ziehen sollten. Ivyn nickte bekräftigend und sagte, dass Handelswege unglaublich wertvoll sind. „Tharbad würde wieder zu einem wichtigen Umschlagsplatz werden – falls wir Lond Daer nicht dafür heranziehen. Davon würden auch die Dunländer profitieren. Und falls Amarin keinen Unsinn erzählt hat, fuhr man in den alten Tagen mit den kleinen Schiffen auch bis in die Schwanenfleet.“
Mathan nickte, fühlte sich aber ein wenig überflüssig, während die Fürsten diskutierten und überlegten, ob solche ambitionierten Pläne überhaupt möglich waren. Dazu kam immer wieder die Frage auf, ob sie überhaupt den Platz für so viele Menschen hätten – und Bedenken, ob sich einige Elben nicht eingeschränkt fühlten. Sie alle wussten, dass manche Avari nicht gut auf Menschen zu sprechen waren, sie im eigenen Land siedeln zu lassen, würde bei einigen sicherlich auf Abneigung stoßen.

Nach mehreren Stunden kündigte sich der Tag mit blassen Sonnenstrahlen an. Faelivrin löste den Rat schließlich auf und vertagte die Angelegenheit auf später. Sie waren zu keinem klaren Ergebnis gekommen, dafür hatten die Zwerge zu wenig preisgegeben, was Mathan mehr als einmal betonen musste. Die Zwillinge verließen den Saal als Erste, dann Isanasca, die einen Trupp Soldaten trainieren ging. Ivyn wollte nach Halarîn sehen und dann zu Adrienne ins Haus der Ruhe gehen. Die Erste schritt bedächtig von dannen und hielt kurz inne, nur um zu verkünden, dass bald Besuch in der Stadt eintreffen würde. Faelivrin seufzte und murmelte einen Dank. Auf seinen Blick hin, sagte seine Tochter: „König Aéd wird bald eintreffen. Willst du bei den Besprechungen dabei sein?““
Mathan gähnte zur Antwort und grinste: „Eine Besprechung reicht mir, aber ich werde warten, bis er eintrifft.“ Er klopfte ihr auf die Schultern und massierte ihren Nacken, „Erst dann lasse ich dich mit den ungewaschenen, wilden Dunländern alleine.“
Faelivrin lachte leise, „Nenn sie nicht so“, ermahnte sie ihn amüsiert, „Und alleine werde ich nicht mit ihnen sein. Zuvor muss ich mich aber erfrischen.“
Mathan nickte und sagte, dass er ebenfalls endlich aus seiner Rüstung raus wollte, die er seit der Schlacht trug, auch wenn er das Blut darauf schon längst entfernt hatte. Seine Tochter nickte und nickte ihm dankbar für die kurze Massage zu. Sie wandte sich an eine Elbe der Palastgarde – das erkannte er an der Antwort der Gardistin und gab Befehl für eine Ehrenformation mitsamt Spalier. Die Elbe verneigte sich und eilte mit wehendem schwarzem Mantel davon. Er blieb alleine im Thronsaal zurück, während seine Tochter in ihre eigenen Gemächer ging. Sein Blick wanderte noch einmal über die Karte, dann über die Skizzen von Bauwerken. Es waren Planungen für einen zweiten Verteidigungsring der Stadt. Einige Notizen waren an den Rändern der Zeichnungen gekritzelt, die er kaum entziffern konnte. Mathan seufzte und fasste sie zu einem geordneten Stapel zusammen. Es würde Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern Ost-In-Edhil zu befestigen. Und selbst dann, wäre es kein Bollwerk, das lange Belagerungen standhalten konnte – zumindest war es sein bisheriger Eindruck, ihm war klar, dass er sich auch täuschen konnte.
Aus der Vorhalle hörte er geschäftiges Treiben, offensichtlich die Palastgarde, die sich auf dem Platz und auf der Halle hinauf zum Tor postierte.
„Ah, Heermeister“, begrüßte ihn die Stimme Nammanors, woraufhin Mathan von den Planungen aufblickte. Der Ritter trat in den Thronsaal ein. Er trug eine polierte, Rüstung, die mit allerlei Goldätzungen verziert war. Sie bildeten verschlungene Muster an den Rändern. Ein wallender, dunkelblauer Mantel hing von seinen Schultern und endete knapp über den Boden. Eine, mit kleinen Edelsteinen verzierte Schwertscheide hing an seiner Seite. Sein Gesicht war wie gewohnt von seinem Helm verdeckt, diesmal trug er jedoch einen Flügelhelm, dessen Wangenklappen und übrige Fertigung an Sonnenstrahlen erinnerte. Der blaue Rosshaarbusch war mit roten Strähnen ergänzt. Nammanor bemerkte seinen ausführlichen Blick und zuckte leicht mit den Schultern, während er sich darüber beschwerte, dass er es hasste sich so herauszuputzen. Mathan antwortete mit einem Schmunzeln, dass es ihm ganz gut stand. Der Ritter gab eine Mischung aus einem amüsierten Glucksen und einem abwertenden Grunzen von sich. „Ich mag es auch nicht sonderlich“, fügte Mathan hinzu und schaute Nammanor dabei zu, wie er die Karte zusammenrollte und die beschriebenen Pergamente sich unter die Arme klemmte.
„Nun, wir haben auch nicht oft besuch, also ist es nicht allzu schlimm“, lenkte der Ritter ein und nickte ihm noch einmal zu, ehe er in den Ostflügel ging. Offensichtlich brachte er die Pergamente zu Istime. Kurz fragte Mathan sich, ob sie bereits schon Hofschreiber hatten, doch das war unwahrscheinlich. Er blieb im Thronsaal und beschloss zu warten, bis Faelivrin zurückkehrte. Seine Rüstung ablegen konnte er auch später. Mathan beobachtete, wie einige Elben den Thronsaal für die Ankunft Aéds herrichteten. Der Kartentisch wurde an eine Seite geschoben, ein niedrigerer Tisch hereingetragen, dazu einige gepolsterte Stühle, die ziemlich neu aussahen. Man brachte leichte Speisen auf dem Tisch auf – Waldfrüchte, die im Winter ziemlich schwer zu finden waren, etwas Käse, helles Brot und Trockenfleisch. Zum Schluss wurde ein kleines Fass unter den Tisch gestellt. Eine Ehrengarde bestehend aus der Palastgarde und Faelivrins persönlicher Leibwache – erkennbar an den roten Haarbüschen auf den Helmen strömte in den Palast. Sie trugen eher zeremonielle Waffen, altmodische Gleven, gebogene Schwerter und einen Bronzeschild mit dem Wappen der Manarîn bespannt– der untergehenden Sonne des Westmeeres. Die Garde postierte sich am Eingang, an jeder Säule der Vorhalle und verteilte sich im Saal. Die Spitze ihrer Gleven waren auf den Boden gerichtet. Mathan schmunzelte und strich seinen roten Mantel gerade. Faelivrin hatte offenbar seinen Erzählungen sehr aufmerksam zugehört, denn die Waffen gen Boden zu richten, war ein Zeichen für Vertrauen, aber auch ein Zeugnis an den Gast, dass man ihn in jedem Falle beschützen kann – oder sich selbst.


Nach einer Weile, hörte man lauter werdendes Gemurmel von den offenen Toren. Auf dem Vorplatz hatten sich ein paar hundert neugierige Elben versammelt. Faelivrins Garde hatte eine breite Gasse gebildet, geradewegs hinauf zu den Stufen des Palasts führend. Mathan war unbewusst aus dem Thronsaal hinausgegangen, um besser auf den großen Platz zu blicken. Von links von ertönten Schritte und er hörte Nammanors Stimme, der sich mit Istime unterhaltend aus dem Ostflügel näherte. Die beiden verstummten, als sie neben ihm an einer Säule zum Stehen kamen. Er warf ihnen einen raschen Blick zu, doch sie wirkten ziemlich steif – vielleicht auch ein wenig angespannt. Mathans scharfe Augen erblickten Bewegung auf der gepflasterten Straße, die vom großen Marktplatz zum Palastvorplatz führte. Die Schulter seiner Tochter schob sich plötzlich in seinen rechten Augenwinkel. Faelivrin war wie aus dem Nichts aufgetaucht. Sie warf ihm einen raschen Blick zu und hob kaum merklich die Mundwinkel. Sie trug ein weißes, weit ausstaffiertes Kleid mit hohen Kragen und weiten Ärmeln. Ein goldenes Diadem, in dem ein tropfenförmiger Rubin in der Mitte einer stilisierten Sonne eingelassen war, ruhte auf ihrem Haupt. Mathan machte Platz und trat hinter seiner Tochter aus dem großen Tor, hinaus vor die Stufen. Er machte einen Schritt zur Seite, sodass Isanasca neben ihrer Mutter stehen konnte, sie trug noch immer ihre volle Rüstung und zwei ihrer Schwerter, darunter auch Fâncrist. Ein silberner Haarreif hielt ihre langen, blonden Haare aus dem Gesicht. Er spürte Ivyns Anwesenheit, konnte sie aber nicht sehen. Selbst Luscora stand im Schatten einer der Säulen des Vorbaus – hinter einem Palastgardisten versteckt. Mathan unterdrückte ein stolzes Schmunzeln und blickte wieder nach vorn. Seine Familie war hier. Gerade als er an seine Geliebte denken wollte, schob sich eine warme, schmale Hand in die Seine. Er musste sofort lächeln. Mathan drückte sie sanft und Halarîn legte ihren Kopf an seine Schulter. Ein rascher Seitenblick verriet ihm, dass seine Frau mit der Hilfe einer Zofe gekommen war, die sich gerade knapp verneigte. Er schenkte ihr ein dankbares Lächeln und strich seiner Frau über das blasse Gesicht.
Halarîn lächelte flüchtig und nickte nach vorn. „Da kommt er.“
Faelivrins Palastgarde begleitete den Tross Dunländer im Laufschritt. König Aéd saß auf einem großen Fuhrwerk – einem massiven Streitwagen, der von wahrhaft großen Pferden gezogen wurde. Mannshoch waren sie und sorgten für aufgeregtes Getuschel unter den Elben. Der Wolfskönig blickte sich neugierig um, grüßte hier und da einige Elben, die eine Begrüßung riefen. Es kam zwar selten vor, aber einige Avari, meist Manarîn, hießen ihn willkommen. Als er auf dem Palastvorplatz einfuhr, heftete sich sein Blick sofort auf die breite Treppe und dem Ehrenspalier davor.
„Das ist neu“, murmelte Halarîn beeindruckt und richtete sich zu voller Größe auf. Ihre Hand blieb fest in seiner, offenbar um das Gleichgewicht zu behalten. Er packte fest zu.
Der Wolfskönig saß selber auf dem Kutschbock und fuhr langsam, sodass seine Wolfskrieger hinter ihm Schritt hielten konnten. Rechts und links von ihnen liefen etwa fünfzig Palastgardisten, die auf dem langen Weg quer durch die Stadt postiert waren und sich dem Tross angeschlossen hatten, wenn er sie passierte, um Aéd die Ehre einer Eskorte zu erweisen. Mathan konnte sehen, dass der Wolfskönig ein klein wenig nervös wirkte und ein wenig nachdenklich. Der Eindruck verflog aber, als er gekonnt das Gespannt zum Stehen brachte. Seine Krieger, von denen acht auf den massigen Pferden ritten, kamen ebenfalls geordnet zum Stehen, oder sprangen von den Pferden. König Aéd stieg als letzter ab und richtete sich zu voller Größe auf. Er trug einen neuen Helm aus Stahl, auf dem ein weißer Wolfskopf aufgesetzt war. Auf seinen Schultern ruhte ein ebenfalls weißer Wolfspelz. Sein Gesicht hatte einen ernsten Zug angenommen, als er das Spalier entlangschritt. Seine Augen glitten über die Stangenwaffen, die mit der Spitze zum Boden zeigten. Hinter ihm folgten seine Wolfskrieger. Dutzende Elbenaugen lagen auf ihnen, sodass einige von ihnen ziemlich nervös wirkten. Wahrscheinlich hatten sie noch nie so viele aus seinem Volk gesehen, dachte sich Mathan und blickte wieder zu Aéd, der vollkommen Ruhe und Autorität ausstrahlte. Der Wolfskönig stoppte an der Treppe zum Palast. Eine gebannte Stille lag auf dem Platz. Faelivrin blickte nur einen Wimpernschlag auf ihre Gäste hinab, dann setzte sie ihren Fuß zuerst auf die Stufe. Getuschel machte sie breit. Mathan hörte, wie man sich weiter hinten auf dem Platz erzählte, dass die Königin der Manarîn den ersten Schritt gemacht hatte. König Aéd reagierte sofort  trat ebenfalls auf die Treppe. Das Tuscheln verstummte augenblicklich. Die beiden Herrscher nahmen nun jeweils gleichzeitig eine Stufe, wobei Faelivrin etwas nach links schwenkte. Aéd wusste, was sie vorhatte spiegelte die Bewegung. Beide schritten betont langsam jede einzelne Stufe, sodass man schon fast mitfieberte, dass sie sich in der Mitte traten. Mathan merkte, dass Halarîn seine Hand fester griff. Schließlich war es soweit, als beide ihren Fuß auf die mittlere Stufe der Treppe setzten. Es war so unterschiedlich wie es nur sein kann. Aéds schwerer Stiefel aus Wildleder und Pelzen, gegen Faelivrins leichten Schuh aus fein gewebten Elbenstoff und einer vierfachen Lage weichen Leders als Sohle. Mathan musste ein Schmunzeln unterdrücken, als die beiden sich einfach nur anblickten. Er wusste, dass seine Tochter ein sehr gutes Gespür für Situationen hatte, aber Aéd hätte er es nicht zugetraut.
„Willkommen in Ost-In-Edhil, Wolfskönig Aéd Forathson, Herrscher des Dunlands und Häuptling vom Stamm des Schildes“, begrüßte ihn Faelivrin ihn schließlich mit sanfter Stimme. Sie hatte leise gesprochen, doch war ihre Stimme weithin zu hören. Unter leisem Gemurmel der Umstehenden streckte sie ihm eine Hand entgegen, „Ich, Königin Faelivrin Nénharma, danke Euch, dass Ihr unsere Anfrage angenommen, und die Reise nach Eregion auf Euch genommen habt.“
Aéd ergriff ihre Hand und sprach laut und deutlich: „Es ist eine Ehre, dass Ihr Euch an uns gewendet habt. Ich hoffe, dass dies ein neues Kapitel in der Freundschaft zwischen unseren Völkern aufschlägt und unsere Beziehungen als gute Nachbarn festigt.“
Das Gemurmel verstummte, als Aéd endete und Mathan spürte, dass die anfängliche Abneigung vieler Elben abnahm. 
Faelivrin schenkte ihm ein warmes, aber dennoch charismatisches Lächeln, „So wie wir auf einer Stufe stehen, so sehe ich, dass Eure Worte vom Herzen kommen und ich verspreche, dass wir auch künftig als Freunde auf einer Stufe stehen, König Aéd. Denn nur Freunde kommen zu einem in das Haus, wenn ein dunkler Sturm droht – so seit mir als Freund in meinem Hause willkommen.“
Faelivrins Garden nahm augenblicklich Haltung an und stieß ihre Waffen einmal gegen die Schilde. Das Donnern hallte einmal laut über den Platz. Das Spalier wandte sich mit dem Gesicht zum Palast. Faelivrin hielt Aéds Hand noch immer, während Isansca ihm bedeutete den Palast zu betreten. Gemeinsam schritten die beiden Herrscher die Treppe hoch, Hand in Hand als Zeichen der Freundschaft. Als sie an ihm vorüberkamen, nickte Mathan Aéd zum Gruß, als sein Blick ihn und Halarîn kurz streifte. Der Wolfskönig zwinkerte ihm rasch zu, dann war an ihm vorbei. Die schaulustigen Elben auf den Platz hatten sich inzwischen so weit verstreut, während die restliche Garde in geordneten Reihen die Treppe hinaufströmte. Ein Dutzend Elben machten sich daran die Pferde abzusatteln und zu versorgen.
Halarîn seufzte neben ihm erleichtert auf. „Endlich ist es vorbei. Ich verstehe dieses zeremonielle Gehabe nicht, aber es war auf eine merkwürdige Weise schön – wenn auch etwas spannungsgeladen.“
Mathan geleitete seine Frau zurück in die Vorhalle. Er schaute auf ein Dutzend Rücken, die in den großen Thronsaal gingen, dann sah er Halarîn an, auf deren Gesicht kleine Schweißperlen standen.
„Du solltest dich schonen“, sagte er etwas leise und überging ihren aufkommenden Protest, „Ich weiß, du bist nicht krank, aber du siehst auch nicht gesund aus.“
Halarîn schmollte ein wenig, winkte aber dann die Zofe heran, die sie sogleich stütze. „Dafür werde ich mir was einfallen“, versprach sie ihm mit einem verheißungsvollen Schmunzeln und ließ sich zurück in ihr Zimmer führen. Mathan unterdrückte ein Grinsen, da er ihre Art sich für herumkommandieren zu rächen schon kannte. Sie wusste aber, dass er es nur gut meinte – und vielleicht etwas übervorsichtig war. Mit langen Schritten folgte er ihr und der Zofe, die überrascht zurückblickte und Halarîn etwas ins Ohr flüsterte.
„Oh, dann kann er draußen schlafen“, sagte sie laut – auch wenn man hören konnte dass sie ein Lachen unterdrückte. Mathan grinste und stellte rasch einen Fuß in die Tür ihres Gemachs, bevor sie zufallen konnte.
Titel: Auenländische Küche
Beitrag von: Fine am 19. Jan 2022, 14:07
Weder von Aéd noch von Faelivrin gab es ein Zeichen, seitdem der Wolfskönig den Palast der Herrin der Manarîn betreten hatte - vermutlich dauerte der königliche Empfang den ganzen Tag. Kerry, die gehofft hatte, noch einmal ausführlicher mit Aéd sprechen zu können, war enttäuscht. Sie vertrieb sich die Zeit mit Pippin, der ihr Geschichten aus dem Auenland erzählte und ihr einige hübsche Eckchen in der Stadt zeigte, die er bei seinen bisherigen Streifzügen entdeckt hatte. Am frühen Nachmittag kamen die beiden wieder in den westlichen Teil der Stadt, und der Hobbit bugsierte Kerry in Richtung des Lorbeerblatts. Pippin hatte angedeutet, dass ihm eine gute Idee gekommen war, und damit hatte er Kerrys Neugierde geweckt.

Morlas, der Wirt, begrüßte sie mit einem großen Hallo. Er schien wie immer bei bester Laune zu sein. Als er Pippins Vorschlag hörte, klatschte der Elb begeistert in die Hände.
"Rezepte aus deiner Heimat, Meister Peregrin? Nur her damit, nur her damit! Wir beiden werden jetzt die Köpfe zusammenstecken, und heute Abend bringen wir die ersten Neuheiten auf die Speisekarte. Ich bin mir sicher, die Gäste werden es lieben. Man sagt, dass die Halblinge hervorragende Feinschmecker sind."
"Das sind sie," bestätigte Pippin zufrieden. "Ich selbst bin zwar kein besonders begabter Koch, aber..."
Morlas winkte ab. "Es genügt, wenn du mir die Geschmäcker und Eigenheiten der Gerichte des Auenlandes beschreibst und mir beim Zubereiten ein wenig zur Hand gehst. Oh, und du, vintári;" er ergriff Kerrys Hand und zog sie einige Schritte mit sich, "Du kannst dich ebenfalls nützlich machen, wenn du möchtest - es lohnt sich, denn du darfst von allem als Erste probieren!"
"Nenn' mich nicht so," sagte Kerry etwas verstimmt. Sie wollte nicht als Herrin oder Prinzessin bezeichnet werden. Im Vergleich zu den würdevollen Elben im Palast kam sie sich klein und unbedeutend vor. "Ich heiße doch Kerry."
"Oh, deinen Namen habe ich nicht vergessen," sagte Morlas amüsiert. "Wusstest du nicht, dass es der Elben Art ist, den Dingen neue Namen zu geben?"
"Wenn dir mein Name nicht gefällt, dann nenne mich eben Ténawen, oder Morilië," hielt Kerry dagegen.
"Schluss damit!" mischte sich Pippin ein. "Mir wurde auenländische Küche versprochen. Du bist doch ein Ehrenmann, nicht wahr, Morlas? Fangen wir an!"
Morlas lachte und führte sie in seine Küche. Schon bald waren sie zu dritt bei der Arbeit.

Kerry staunte darüber, wie viele Gerichte an diesem Nachmittag ausprobiert wurden, und wie geschickt Morlas die ausführlichen Beschreibungen Pippins in die Tat umsetzen konnte. Kurz nachdem sie mit der Arbeit begonnen hatte, war eine schwarzhaarige Elbin zu ihnen gestoßen, die Morlas knapp als seine Gemahlin Nityel vorgestellt hatte. Zu viert war es beinahe zu eng in der kleinen Küche, doch irgendwie gelang es ihnen, Morlas nicht bei seinem Werk zu behindern. Kerry war beeindruckt davon, wie mühelos dem Schankwirt die Umsetzung gelang, selbst von Dingen, die er laut eigener Aussage noch nie gesehen hatte. Die Krönung war eine feine auenländische Torte (in Hobbit-Größe), die mit Himbeeren belegt war und deren Duft Kerry beinahe um den Verstand brachte. Sie vergaß für einen Augenblick sogar ihre ständige Sorge um Helluin und Oronêl, die irgendwo im Norden Eregions in lebensgefährlicher Mission unterwegs waren.

"So," sagte Morlas schließlich, als die ersten goldenen Sonnenstrahlen der Abendröte durchs Fenster fielen. Der Schankwirt wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Ich denke, da waren wir doch recht erfolgreich, nicht wahr?"
"Unbedingt," stimmte Pippin ihm mit vollem Mund zu. Die Himbeertorte war zur Hälfte verschwunden; der Hobbit rieb sich zufrieden den Bauch.
Nityel war bereits in den Schankraum gegangen, wo die ersten Gäste eingetroffen waren. Als sie zurückkehrte, blickte sie recht erstaunt drein. "Es ist voller als wir es gewohnt sind," erklärte die dunkelhaarige Elbin. "Hast du herumerzählt, dass es heute etwas Besonderes auf der Speisekarte geben soll?" fragte sie ihren Gatten.
Morlas blickte unschuldig auf seine Finger. "Oh, nun, du weißt doch, die Leute reden eben. Vielleicht habe ich heute einigen von ihnen wissen lassen, dass es heute echte auenländische Küche geben wird... vielleicht gibt es aber auch eine vollkommen andere Erklärung. Viele der Manarîn sind weitsichtig, nicht wahr? Ob einer von ihnen gewusst hat, dass sich unser kleines Küchenabenteuer heute ereigen wird?"
Nityel zog die dunklen Brauen zusammen, ein gefährlicher Blick trat in ihre Miene. Kerry und Pippin duckten sich instinktiv; sie spürten, dass mit dieser Elbin nicht zu spaßen war. Doch Morlas ließ sich nicht einschüchtern. "Wir dürfen die Gäste nicht warten lassen," sagte er ungerührt. "Wenn es jetzt schon so voll ist, werden sie uns in spätestens einer Stunde die Bude einrennen."
"Dann brauchen wir mehr Schankmaiden, alleine schaffe ich das nicht," sagte Nityel und ihr Blick fiel auf Kerry.
Kerry brauchte einen Augenblick um zu verstehen, doch dann nickte sie. "Ich weiß, wie das geht," sagte sie. "Ich helfe gerne!"
"Aber zuerst musst du dich umziehen, Kleines," sagte Nityel und deutete auf den teuren Stoff, den Kerry trug. "Meisterin Nivim in Ehren, aber das Kleid wäre viel zu schade, um mit Morlas' Spielereien bekleckert zu werden. Im Nebenraum der Küche solltest du etwas Passendes finden."

Kerry fand nach kurzer Suche einige Kleider, die gewöhnlicher aussahen als das feine Gewand, das Nivim für sie gemacht hatte. Der Stoff war dünner, und etwas rauer; das Kleid, das Kerry wählte, war tiefblau und hatte kurze Ärmel, die oberhalb der Ellbogen endeten. Es war etwas tiefer ausgeschnitten als es ihr recht war, doch Kerry hatte jetzt keine Zeit sich darüber Gedanken zu machen. Sie band sich eine hellbraune Schürze um und begab sich in den Schankraum. Dort war bereits eine Menge los. Eine Gruppe Zwerge saß in den Sitznischen an den Fenstern und rief nach Morlas, der mit wippenden Schritten herbeigeeilt kam. Elben standen nahe des Eingangs und am Tresen, viele unterhielten sich in einem Avarin-Dialekt mit Nityel, wovon Kerry kaum ein Wort verstand. Andere Gäste saßen an einem der länglichen Tische im hinteren Teil des Schankraumes, wo ein großer Ofen in Gang gebracht worden war, der die Kälte von draußen vertrieb. Da hob ein Elb die Hand und winkte Kerry zu sich, und sogleich schaltete sie innerlich in einen geschäftigen Zustand um, den sie sich nach all der Zeit gar nicht mehr zugetraut hatte. Sie hatte in Bree ein Jahr gekellnert, und der Fuchs war eine viel schlimmere Spelunke als das Lorbeerblatt gewesen, mit unangenehmen, mürrischen Gästen. Die meisten Elben waren freundlich und geduldig, aber beinahe alle von ihnen waren zu Späßen auf Kerrys Kosten aufgelegt. Ein jeder schien zu wissen, in welcher Verbindung sie zur Königin stand, und vor allem von den Avari musste sich Kerry einige bissige Sprüche gefallen lassen. Dennoch war niemand offen unfreundlich und jeder Gast bedankte sich bei ihr, wenn sie die bestellten Speisen und Getränke brachte. Selbst die Zwerge waren bei guter Laune und einer raunte Kerry zu, sie sei der hübscheste Anblick, den er seit seinem neulichen Abstecher in die Kristallminen von Gundzanar gesehen hätte. Sie wurde rot und machte einen artigen Knicks, dann riefen die nächsten Gäste nach ihr.

Es wurde ein fröhlicher, wenn auch anstrengender Abend. Kerry kam mächtig ins Schwitzen, aber irgendwie machte ihr die Arbeit wirklich Spaß. Sie fühlte sich zugehörig, als wäre ihr das Blatt wie zu einer neuen Heimat geworden. In all dem Trubel dachte sie weder an Aéd noch an Helluin. Es tat ihr gut, ihre Sorgen zumindest für einige Zeit zu vergessen. Und als schließlich einige Gäste - es waren Hwenti, die mit Morlas verwandt zu sein schienen - sie fragten, ob sie nun öfter hier in als Schankmaid arbeiten wollte, bejahte Kerry die Frage, ehe sie darüber nachgedacht hatte. Sie hielt für einen Moment inne, änderte aber nicht ihre Meinung. Sie war gerne hier, wie sie feststellte. Und als der Schankraum sich nach und nach leerte, lehnte sie sich erschöpft, aber glücklich gegen den Tresen und sah Morlas an, der gerade über das glatte Holz strich und einige Tropfen dort verschütteten Weins wegwischte.
"Ich... würde das gerne wieder tun," sagte sie sachte.
Morlas sah sie nicht an, aber er lächelte. "Dann müssen wir über deine Bezahlung sprechen," merkte er an.
"Ich brauche keine," sagte Kerry sofort und stellte sich ihm gegenüber. Er hob den Blick und schaute ihr in die Augen. Seine linke Braue wanderte nach oben. Kerry nickte zur Bekräftigung. "Ich mag diesen Ort," fuhr sie fort. "Sehr sogar. Ich möchte Nityel und dir helfen, ihn so wundervoll zu erhalten, wie er ist."
Nityel, die besonders scharfe Ohren zu haben schien, kam aus der Küche und musterte Kerry, dann lächelte sie. Kerry sah sie in diesem Augenblick zum ersten Mal mit einer solchen Miene, denn die Schwarzhaarige war als Einzige den Abend über meist ernst geblieben. "Wir würden uns freuen, dich hier arbeiten zu lassen," sagte Nityel.
Morlas nickte, dann lachte er schallend. "Und ob!" stimmte er seiner Gattin zu. "Aber um einen guten Lohn kommst du nicht herum, ob du willst oder nicht." Er zwinkerte ihr zu. "Wir werden uns etwas Besonderes für dich ausdenken."
Kerry, die glücklich und müde zugleich war, um genauer nachzuhaken, nickte einfach. Sie verabschiedete sich von den beiden Elben und Pippin begleitete sie zu ihrer Unterkunft zurück.

Kerry fiel rasch in einen tiefen Schlaf, nachdem es ihr gelungen war, sich in ihr Bett zu legen, ohne Haleth oder Elea dabei aufzuwecken, denn die beiden Dúnedain schliefen bereits. Sie hatte einen lebhaften Traum, an den sie sich so gut erinnern konnte, als wäre er Wirklichkeit gewesen. Kerry fand sich im belagerten Fornost wieder, auf dem Höhepunkt der Kämpfe. Der große Turm, auf dem sie gestanden hatte, war eingestürzt und nun klaffte eine mit Bruchstücken und Felsen übersäte Lücke in der Verteidigungslinie. Schon näherten sich die ersten Gestalten aus dem Nebel im Süden. Eine schlanke, hochgewachsene Silhouette mit einer langen Klinge in der Hand schälte sich hervor, und für einen Augenblick fiel vor Erleichterung die Anspannung von Kerry ab. Oronêl war hier, und würde die Turmruine verteidigen.
Sie sah genauer hin und erkannte zu ihrem Schrecken, dass sie sich getäuscht hatte. Dies war nicht ihre Erinnerung. Es war nicht Oronêl, auch wenn die spitzen Ohren verrieten, dass es sich um einen Elbenkrieger handelte. Kerry fuhr es eiskalt den Rücken hinunter, als sie das bösartige Antlitz Laedors erkannte - Oronêls altem Feind, der sein Ende in den Gruften unter Carn Dûm gefunden hatte. Sie spürte die Angst in sich aufsteigen, aber da war noch etwas anderes. Kerry stellte fest, dass sie sich an alles erinnern konnte, was bis zu ihrer Rückkehr nach Eregion geschehen war. Sie war nicht mehr das wehrlose Mädchen, das fehl am Platz in der Belagerung von Fornost gewesen war. Sie hatte Ozeane und Flüsse bereist, Gebirge und Wälder durchquert und mehrere Schlachten überstanden. Mathans Lektionen, die sie widerwillig an Bord der Naicanga erhalten hatte, kamen ihr wieder in den Sinn, und Kerry hob das Schwert eines gefallenen Waldläufers auf. Sie war von Entschlossenheit erfüllt. Sie würde Laedor aufhalten, selbst wenn es ihr Leben kostete.
Wie ein tödlicher Blitz raste der Feind auf sie zu. Ihr Schwert glühte auf, als sie es zur Parade erhob, und Funken stieben davon, als Laedors Klinge abprallte. Kerry drehte sich um die eigene Achse, den Schwung in einen zielsicheren Schlag lenkend, der Laedors Schultern von seinem Kopf befreien sollte. Doch als die leuchtende Klinge auf ihn zuschnellte, veränderte sich ihr Gegner. Die Augen strahlten eisblau auf, die Züge verzerrten sich zu einer ungetümen Fratze, die Gliedmaßen verrenkten sich unmenschlich und Flügel breiteten sich hinter seinem Rücken aus. Ein eiskaltes Monster ragte drohend über Kerry auf und ihr Schwert fiel nutzlos zu Boden. Dann packte sie eine Hand am Arm und riss sie fort, in die Dunkelheit hinein, die sich rings um den Turm ausgebreitet hatte. Sie hörte Farelyës Stimme rufen: "Es ist noch nicht an der Zeit!", dann wachte sie schwer atmend auf.

Es dauerte lange, bis Kerry wieder Ruhe fand und weiterschlafen konnte. Sie wusste weder, was ihr Traum bedeuten könnte, noch ob er überhaupt etwas zu bedeuten hatte...
Titel: Farelyës Spur
Beitrag von: Fine am 4. Mai 2022, 13:28
Die Sonne war noch nicht ganz über die in der Ferne aufragenden Gipfel des Nebelgebirges geklettert, als Kerry aus dem Schlaf hochfuhr. Eine Hand hatte ihren Arm berührt und ein eiskalter Blitz schoss Kerry durch die Glieder. Sie blickte sich um, zunächst etwas disorientiert. Dann erkannte sie Farelyës scharf geschwungene Gesichtszüge, die auf Kerry herabblickten. In diesem Moment bemerkte Kerry, dass alles Kindliche aus dem Gesicht der Cuventai-Elbin gewichen war. Die Augen gaben ein silbriges Leuchten von sich, das wie von fernen Sternen durch einen vom Zwielicht verhüllten Nachthimmel hervorsickerte. Sofort musste Kerry an ihren Traum denken, der sie in der vergangenen Nacht gequält hatte.
"Ich bin nicht wegen deines Traumes hier," sagte Farelyë, als hätte sie Kerrys Gedanken gelesen.
Kerry rieb sich die Augen, dann suchte sie Farelyës Blick. "Und weshalb weckst du mich dann um so eine unangebrachte Uhrzeit? Wie spät ist es?"
"Spielt das denn eine Rolle?" fragte Farelyë ruhig. "Der Feind rückt nahe, und mit ihm der drohende Untergang dieser Stadt und all jener, die hinter ihren Mauern Zuflucht suchen. Wir müssen uns eilen." Sie trat einen Schritt von Kerrys Bett weg und sah zum Fenster, durch das nun die ersten Sonnenstrahlen ins Zimmer drangen. "Ich brauche deine Hilfe."
Kerry setzte sich auf, gähnte herzhaft und kletterte dann aus dem Bett. Dass sie Farelyë helfen würde stand für sie außer Frage. Rasch zog sie sich ihre Reisekleidung an. "Und wie kann ich dir helfen?" fragte sie, als sie fertig war.
"Als ich dich inmitten des Schneesturmes fand, südlich des Sirannon, umzingelt von Wölfen, da blieb mir keine Zeit, die seltsame Aura zu ergründen, die dir damals anhaftete. Und danach trennten sich unsere Wege für einige Zeit. Beinahe hätte ich jenen Augenblick vergessen, als ich den schwachen Eindruck wahrnahm, dass du mit etwas in Berührung gekommen sein musstest, das ... den Hauch der Altvorderen Künste an sich trug."
Kerry, die Farelyë mittlerweile aus dem Haus heraus und auf die Straßen der Stadt gefolgt war, zog verwundert die Brauen zusammen. "Wovon sprichst du?" wollte sie wissen.
Farelyë hatte ein eiliges Tempo eingeschlagen und führte Kerry nach Südwesten, in Richtung jener Stadtviertel, die bislang noch nicht vollständig fertig gestellt worden waren, denn sie lagen nahe am Fluss im Rücken der Stadt und wären bei einem Angriff aus dem Norden oder Osten, wo die feindlichen Streitmächte vermutet wurden, am wenigsten in Gefahr, weshalb die Baumeister der Manarîn sich zunächst auf die Mauern und Befestigungen anderer Stadtteile konzentriert hatten.
"Was auch immer es war, das du berührt oder mit dir getragen hast," fuhr Farelyë im Gehen fort, "du brachtest es bei deiner Rückkehr nach Eregion nicht mit dir und die Aura jenes Gegenstandes war längst verblasst. Ich hatte sie nicht vergessen, doch es gab wichtigere Dinge, die meine Aufmerksamkeit erforderten."
"Und was hat sich geändert?" hakte Kerry nach.
"Gestern," sagte Farelyë, blieb stehen und sah Kerry in die Augen, "habe ich sie erneut gespürt."
Kerry brauchte einen Augenblick, um zu verstehen, was Farelyë damit andeuten wollte. "Warte... du willst damit sagen, dieses Ding, das Oronêl aus den Wäldern der Geisterküste mitgebracht hat, ist hier?"

Farelyë packte Kerry am Arm und zog sie weiter, bis sie an die leerstehende Ruine einer alten, riesigen Elbenhalle mit mehreren Flügeln kamen, zu der noch kein Handwerker der Manarîn vorgedrungen war. Das Dach, das einst aus einer großen Kuppel bestanden hatte, war eingestürzt, gemeinsam mit dem Großteil der Rückwand. Pflanzen hatten sich in dem Gebäude breit gemacht und hatten Säulen und Statuen überwuchert. Die Schritte der beiden Frauen klangen hohl auf dem gesprungenen, marmornen Boden, ehe Farelyë neben einem umgestürzten Podest stehenblieb.
"Zunächst einmal musst du mir alles erzählen, was du über jenen Gegenstand weißt," sagte sie dringlich, aber mit so gedämpfter Stimme, dass Kerry sich anstrengen musste, um ihre Worte zu verstehen. "Worum handelt es sich? Wie ist er beschaffen? Wie kamst du damit in Berührung?"
Kerry erzählte so leise sie konnte von ihrem Abenteuer mit Oronêl und Gwỹra im Land der Glannau Môr an der Geisterküste, und ihrer geisterhaften Begegnung mit der Erscheinung Sarumans im Hain der Hexen. Sie berichtete Farelyë davon, wie sie den geheimnisvollen Stein von der Lichtung mitgenommen und zu Elrond in Bruchtal gebracht hatten, welcher die Vermutung aufgestellt hatte, es handelte sich dabei um einen Versuch Sarumans, einen den Palantíri ähnlichen Sichtstein zu erschaffen.
"So," sagte Farelyë, als Kerry ihre Erzählung beendet hatte, und ihre Stimme verhallte zwischen den bewachsenen Mauern der uralten Halle. "Dann hat entweder jemand diesen Stein aus Imladris gestohlen und hierher gebracht, oder..."
"...oder es gibt mehr als einen davon," ergänzte Kerry.
"Und ich vermute, Zweiteres ist der Fall," meinte Farelyë mit Sorge im Tonfall. "Nach allem was wir wissen, sind es Sarumans Horden, die nun aus dem Gebirge herab strömen und Eregion bedrohen. Sollte einer dieser Steine hier in der Stadt sein, in Ost-in-Edhil, öffnet er dem Zauberer ein Einfalltor, von dem niemand etwas ahnen wird, bevor es zu spät sein wird."
"Was?" entfuhr es Kerry erschrocken. "Du meinst, er könnte... hierher kommen?"
"Nicht er selbst," antwortete die Elbin. "Aber sein mächtigstes Werkzeug: seine Stimme. Wenn jemand den Stein hierher gebracht hat, dann hat Sarumans Einfluss Ost-in-Edhil bereits infiziert und wird sich nur noch weiter ausbreiten, wenn wir nichts unternehmen."
"Das dürfen wir nicht zulassen!" stellte Kerry entschlossen dar. "Kannst du... spüren, wo dieses Ding sich befindet?"
"Nicht weit von hier, wenn mich die Sternsicht nicht täuscht," sagte Farelyë. "Seinetwegen sind wir in diese Ruine gekommen. Hilf mir, sie zu durchsuchen... aber sei' vorsichtig. Die Diener des Weißen Zauberers könnten in der Nähe sein."

Zwei der drei Flügel der alten Halle, die einst die Noldor von Mathans Volk erbaut hatten, fanden die beiden Frauen vollkommen verlassen und ohne jegliche Spuren vor. Um den dritten, südlichsten Flügel zu erreichen, mussten sie den großen Schutthaufen ersteigen, der beim Einsturz der Dachkuppel entstanden sein musste. Nach einigen Mühen gelangten sie so in einen langen Gang, der beinahe vollständig von Pflanzen überwuchert war. Sie kamen nur mühsam voran, denn weiterhin bemühten Farelyë und Kerry sich sehr, so leise wie möglich zu sein. Als sie den Gang betraten, blieb die Elbin stehen.
"Wir sind am richtigen Ort," wisperte sie nahezu lautlos.
Der Gang endete in einer schmalen Wendeltreppe, die sie offenbar in einen Turm führte. Es gab keine Fenster, weshalb sie nur schätzen konnten, wie viele Stockwerke sie erstiegen. Licht schenkte ihnen dabei nur der fahle Schein, den Farelyë mit ihren Fingern erzeugte, so wie sie es einst in den finsteren Verliesen unterhalb von Carn Dûm getan hatte. Kerry kam der Aufstieg über die vielerorts brüchigen und zersprungenen Treppenstufen schier endlos vor. Sie konnte sich nicht erinnern, beim Betreten des alten Gebäudekomplexes einen so hohen Turm gesehen zu haben. Sie fragte sich bereits, ob sie nicht wieder träumte, als Farelyë ohne Vorwarnung stehen blieb und Kerrys Hand ergriff. Ein festes Drücken übermittelte Kerry die lautlose Nachricht: Dort vorn ist etwas.
Farelyë ließ das Licht an ihren Fingerspitzen ersterben und das Letzte, was Kerry sah, war der Funken in den Augen der Elbin, der zu Finsternis erlosch. Als sich Kerrys Wahrnehmung an die Dunkelheit gewöhnt hatte, bemerkte sie einen schwachen Schein, der von oben kam. Farelyë bewegte sich darauf zu und Kerry folgte ihr. Sie erreichten das obere Ende der Wendeltreppe. Über ihnen sickerte fahles Sonnenlicht durch die dicht überwucherten Überreste einer schlank zulaufenden Turmspitze, die nach Süden hin auf einen kleinen Balkon hinauslief. Dort stand eine dunkle Gestalt, gehüllt in einen langen Umhang, der Kopf und Gesicht verdeckte. Die Hände schienen etwas zu halten, was Kerry von ihrer Position unterhalb der vorletzten Treppenstufe nicht erkennen konnte. Sie fragte sich, was sie nun tun sollte, als sich Farelyë neben ihr aufrichtete.
"Er wird nicht antworten," sagte sie im ruhigen, aber gut hörbaren Tonfall, offenbar an die Gestalt auf dem Balkon vor ihnen gerichtet, keine drei Meter von ihr entfernt.
Die Gestalt fuhr herum, zwar eindeutig überrascht, aber nicht so sehr, dass von Schock oder Schrecken die Rede sein konnte. Dabei rutschte die Kapuze nach hinten und enthüllte rabenschwarzes, langes Haar und graue, vor Verlangen aufblitzende Augen, die Kerry und Farelyë mit festem Blick begegneten. Die beiden Hände waren um einen Gegenstand geklammert, der der geheimisvollen Kugel, die Oronêl von der Lichtung an der Geisterküste mit nach Bruchtal gebracht hatte, zum Verwechseln ähnelte. Kerry war sich sicher, dass es eben jener Stein war, den sie selbst im Land von Gwỹras Volk in Händen gehalten hatte. Sie starrte das Ding an, dann erst fiel ihr Blick auf das Gesicht, welches sich ihnen offenbar hatte. Ihr wurde es eiskalt, als sie Elronds Tochter erkannte, während Arwen nur Augen für Farelyë zu haben schien und ihr Blick beinahe feindselig wurde...
Titel: Re: Ost-in-Edhil
Beitrag von: Curanthor am 6. Aug 2022, 06:17
Niemand hatte ihr gesagt, dass Stille so dröhnend sein kann. Lärmende Stille, gibt es das überhaupt? Sie schüttelte unmerklich den Kopf und blickte auf die geschlossene Fensterlade. Zwischen frisch eingeölten Birkenbrettern kroch sanft ein Lichtstrahl herein. Adrienne atmete unmerklich auf und lauschte angestrengt. Es war still in dem Haus der Ruhe, nur das Blut in ihren Augen rauschte kaum vernehmbar. Ruhig und gelassen pochte ihr Herz in der Brust, so als ob die Tortur vor einiger Zeit gar nicht stattgefunden hatte. Der stechende Schmerz als sie blinzelte erinnerte sie aber, dass das alles kein Böser Traum gewesen war. Adrienne leckte sich über die trockenen Lippen und berührte dabei den verkrusteten Schnitt. Ein leichtes Brennen an der Wange, dort wo die Klinge ihrer ärgsten Feinde ihr fast den Kopf gespalten hatte, ließ sie scharf einatmen. Ihr verletztes Auge tränte schon wieder. Zum Glück hatte sie einen Schlaftrunk für die Nacht bekommen. Der Gedanke, dass sie ohne das Zutun dieser Spitzohren erst gar keine Pflege nötig gehabt hätte, ließ ihre aufkeimende Dankbarkeit ersticken. Niemand hatte sich wirklich interessiert wie es ihr geht. Und ihr Bruder war schon lange von ihr getrennt. Was es überhaupt ihr Bruder? Sie erinnerte sich an sein Gesicht, aber auch wenn sie sich konzentrierte, ihr fiel kein einziges Bild aus ihrer gemeinsamen Kindheit an. Alles vor ihrer Flucht aus Gondors Hauptstadt existiert nicht, nur vage Schemen die ein undeutliches Bild zeichnen. Wenn sie träumt, sind es mehrere Bilder. Dinge voller Blut und Asche. Schemen die wie in Trance umhertaumeln, begleitet vom immerwährenden Flüstern zahlloser Stimmen. Der Traum endete aber stets damit, dass ein Paar große, vernarbte Hände grob nach ihr griffen und ihren Kopf unter Wasser drückte.
Ein leises Knirschen ließ ihren Blick kurz zur Tür fliegen, doch da war niemand. Zumindest niemand auf den sie gewartet hatte. Eine der Heilerinnen war eingetreten und öffnete die Fensterläden, womit das vormals düstere Zimmer mit dem Licht der aufgehenden Sonne durchflutet wurde. Sie blinzelte mit ihrem unverletzten Auge. Ein Wispern zog an ihrem Ohr vorbei. Inzwischen wusste Adrienne, dass niemand einfach da sein kann. Sie hatte mehrfach einfach in den Raum gesprochen, da sie diese Stimmen nie richtig verstehen konnte. Sie meinte sogar dabei einmal Kerrys und Mathans Gesicht gesehen zu haben. Adrienne kaute nachdenklich auf der Lippe, zuckte jedoch vor Schmerz und zischte leise.  Die Heilerin bemerkte nun, dass sie wach war und trat sogleich an das Bett heran. Sie wechselten kein Wort miteinander, doch Adrienne konnte spüren, wie die dunkelhaarige Elbe sie erwartend, fast schon nach Gefahren abschätzend musterte. Offenbar war Adrienne es nicht wert vorsichtig zu sein, zumindest beugte sich die Heilerin nun zu ihr herab, um eine Art Salbe auf die Wunden aufzubringen. Adriennes Blick fixierte den ungeschützten Brustkorb. Ihre verkrustete Hand zuckte. Mit einem Dolch könnte sie ihr von unten zwischen die Rippen sofort ins Herz stechen. Vor ihren Augen quoll helles Blut über ihre Hand. Adrienne blinzelte. Ihre Hände waren feucht und umklammerten etwas Hartes. Es roch nach Blut. Als sie ihren Blick senkte, erkannte sie einen schmucklosen Dolch. Zu ihren Füßen lag eine schlanke Gestalt mit dunklen Haaren, ein rasch größer werdender blutiger Fleck breitete sich auf dem weißen Kleid aus. Sie hatte spitze Ohren, doch einen leeren Blick. Ihre zitternden Finger gaben den blutigen Dolch frei, der klirrend zu Boden fiel.
„Estamíri!”, hallte eine gellende Stimme eines Mannes hinter ihr.
Adrienne hob den Blick und starrte in das Gesicht einer Fremden. Sie hatte wundervoll hochgesteckte kastanienbraune Haare, mahagonibraune Augen und eher kindliche Gesichtzüge. Ein Paar spitze Ohren zeichneten sich unter der Haarpracht ab. Seltsam angezogen von dieser Erscheinung betastete Adrienne ihr eigenes, gespaltenes Gesicht. Ihr Gegenüber spiegelte die Bewegung. Die eleganten Finger waren nicht so zerschnitten wie ihre eigenen und auch ihr Gesicht war wunderschön und nicht entstellt. Plötzlich quoll Blut unter den Fingernägeln der Fremden hervor.

Eine kurze, kühle Berührung im Gesicht brachte sie zur Besinnung. Die Heilerin beugte sich immer noch über sie, hatte diesmal aber einen besorgten Gesichtsausdruck. Fein säuberlich und mit großer Vorsicht bestrich sie Adriennes Gesichtswunde. Dann wandte sie sich zum Gehen, an der Tür stoppte sie nur kurz und sagte leise, dass sie vielleicht etwas gegen diese Albträume machen sollte. Adrienne blieb stumm, bis die Tür mit einem leisen Klicken schloss. Erst dann blinzelte sie die aufkommenden Tränen fort. Sie hoffte, dass niemand sie so sehen würde. Ihr Gefühl sagte aber, dass es dafür schon zu spät war. Dass einer ihrer wirren Träume etwas an Wirklichkeit beinhaltete. Sie hoffte, dass es der mit Mathan war, zu groß waren die Emotionen die sie überrollten, wenn sie an Kerry dachte. Scham, dass sie am liebsten die Decke über den Kopf ziehen wolle für das was sie getan hatte; Wut, die sie in die Welt hinausbrüllen wollte darüber, dass jemand so naives und blauäugiges ihr etwas bedeuten kann und Hass. Sie hasste sich selbst am dem Abend getrunken zu haben, sie hasste sich dafür, dass sie in Fornost sich aus einer lächerlich kindischen Laune heraus von einem erfahrenen Elben die Schwertkunst erlenen wollte; dass sie nicht mitbekommen hatte, wie ihr Vater gestorben war und dass sie nicht ihre Mutter hatte retten können. Sie hatte nichts zu der Rettung von Kerry beigetragen. Und selbst gegen ihre ärgsten Feinde hatte sie jämmerlich versagt. Adrienne schluckte den dicken Brocken im ihren Hals hinunter. Zornig blinzelte sie ihre Tränen fort. Ihr verschwommener Blick ging zu ihrem Nachttisch. Es war einer ihrer selteneren klaren Momente. Sie atmete durch und hob den rechten Arm. Sie tastete eine Weile über das polierte Holz und bekam es endlich zu fassen. Das Messer, mit dem ihre Nachtverbände geschnitten wurden. Ihre Finger umschlossen den Griff aus Kiefernholz. Erneut stiegen ihr Tränen in die Augen. Es war, als ein Aufschrei von Stimmen im Kopf explodierte, als sie zitternd die blanke Klinge über ihre Brust hielt. Die Spitze auf das Herz zielend. Wenn sie dem Ganzen nicht Einhalt gebot, würde sie sich nicht mehr wiedererkennen, schoss es ihr durch den Kopf. Aber es gab nur diesen Weg. Ihre freie Hand umklammerte nun ebenfalls den Griff. Alles andere war nur ein Pfad des Leidens und der Qualen für sie und alle um sie herum. Wenigstens ihren Bruder musste sie schützen, egal ob sie blutsverwandt waren oder nicht. Doch das war aussichtslos, das hatte sie nun begriffen. Sie schloss die Augen und rief sich noch einmal mit großer Mühe die Gesicht vors innere Auge. Ihre Eltern zusammen glücklich auf einem Feld in den westlichen Lehen, Acharnor stolz im Gewand der Schwanenritter auf einem Pferd zu Besuch bei ihnen. Sie winkten ihr zu. Ihre Lippen erhoben sich zu einem Lächeln, als sie zurückwinkte, ohne Schmerzen. Bald würde sie bei ihnen sein. Kurz blitzten Mathans, Halarîns und Kerrys Gesichter der Reihe nach auf. Dann stießen ihre Hände hinab.



Mathan ruckte aus seiner leichtem Dämmerzustand auf und setzte sich kerzengerade auf das Bett. Halarîn war bereits wach. Ihre Augen hatten einen silbernen Schimmer. Er fasste sich an die Brust. Ein klammes Gefühl hatte sich dort eingenistet, das er nicht ganz zuordnen konnte.
„Ich habe es auch gespürt“, wisperte seine Geliebte und tupfte sich über die Augen, „Etwas ist geschehen…“
Laut pochte es an der Tür. Ivyns Stimme ertönte auf der anderen Seite, ohne Aufforderung trat sie ein. Die Erste blickte ernst drein und trat sofort zu Halarîn an das Bett. Rasch wurde Herzschlag und Körpertemperatur überprüft. Schließlich atmete Ivyn auf und nickte knapp.
„Ein Schatten hatte sich dieser Stadt genähert“, erklärte sie knapp, „Etwas Böses, aber das ist noch nicht alles.“ Sie legte leicht den Kopf in den Nacken. „Der Himmel ist bedeckt.“
„Und… woher kam dieses… Wesen?“, fragte Halarîn vorsichtig.
Mathan legte ihr beruhigend eine Hand auf den Bauch, die sie sofort umklammerte. Die Erste vermutete indessen, dass das wohl ein fauler Zauber gewesen war. Sie machte eine Pause und blickte zu Mathan, der sich sofort an Oronêls Erzählung erinnerte. Ohne sich abzusprechen hatten sie beschlossen Halarîn nichts genaueres von diesem Dämon zu erzählen.
„Nun“, wechselte Mathan das Thema und nickte in Richtung Decke, „Den Himmel zu bedecken ist eine bewährte Taktik.“
„Der Krieg klopft an unseren Toren“ bestätigte Ivyn, „Noch heute. Oder die nächsten Tage.“
Halarîn wurde eine Spur blasser, woraufhin Mathan sie damit zu beruhigen versucht, dass ein Angriff auf die Stadt schon frühzeitiger entdeckt werden würde.
„Das erinnert an Fornost“, murmelte sie leise, fast schon atemlos, „Nur das wir sicherlich nicht das Glück haben werden, dass die Armee einfach abzieht.
„Nein, das werden wir nicht“, bestätigte Ivyn düsterer als sonst, „Hier wird sich das Schicksal unseres Volkes entscheiden. Wir stehen an einem Wendepunkt und Dinge werden ins Rollen geraten, die man nie wieder aufhalten kann.“ Ihr Blick ging ins Leere und es war klar, dass sie weiter sah als alle anderen, „Halarîn, du bleibst die nächsten Tage immer an meiner Seite, besonders wenn Mathan nicht da ist, ganz gleich was geschieht.“
Seine Gattin nickte nur knapp, woraufhin sich Ivyn zur Tür bewegte, aber kurz ins Stocken geriet. Mathan runzelte die Stirn, das einengende Gefühl in seiner Brust wollte einfach nicht weichen.
„Sie sind hier“, sagte die Erste schließlich und öffnete die Tür, vor der gerade ein Laufbote eilig zum Stillstand kam, „Wappnet euch.“, mit dem Worten verließ sie das Gemach.
Der Bote räusperte sich und sagte, dass die Späher eine verdächtige Gruppe mit weißer Flagge einige Meilen vor dem Nordtor gesichtet haben und die Königin die Stadt in Alarm versetzt hat. Kurz darauf ertönte der laute Schlag von einem Hammer auf Holz. Regelmäßig und vor allem drängend. Eine Glocke mischte sich darunter. Wie ein Messer durchschnitt sie die Stille. Mathan sprang auf und sagte, dass er sofort zum Thronsaal eilen würde. Der Bote nickte und rannte davon. Aus dem Korridor hörte man eilige Schritte. Erste Rufe ertönten, dass der Feind sich näherte. Er half Halarîn aus dem Bett und trat an seinen Rüstungsständer. Seine eigene Schmiedekunst streifte er nur mit einem Finger und legte stattdessen die mittelschwere Rüstung der Manarîn an. Halarîn half ihm wo sie konnte und befestigte zum Schluss den rot-goldenen Mantel an seiner Rüstung. Er seufzte und gürtete sich ihr Schwert um. Ihre Blicke begegneten sich. Ein Funken Furcht schwamm in ihrem Blick, der aber vom unerschütterlichen Vertrauen in ihn übermächtig überschattet wurde. Mathan hob das Kinn und würde alles tun, um sie zu beschützen, solange sie selbst es nicht tun konnte. Niemals würden sie ihr ungeborenes Kind in Gefahr bringen. Gemeinsam verließen sie schließlich ohne große Worte das Gemach. Sie mussten nichts sagen.
Auf dem Weg zum Thronsaal holte Valena zu ihnen auf. Sie schloss sich wortlos an. Mathan warf ihr einen Seitenblick zu.  Auch sie trug Rüstung der Art der Manarîn – wenn auch weniger schwer und fein gearbeitet – an ihrer Hüfte hing ein Schwert, eine Axt und auf ihrem Rücken ein Schild. In ihrer Hand ein Kurzspeer. „Noch kämpfen wir nicht“, brummte er, als sie seinen Blick bemerkte.
„Ich bin mit Waffen groß geworden, ohne fühle ich mich nackt“, erklärte sie gleichgültig, schulterte den Speer aber dann lockerer und sagte zu Halarîn „Ich bin Valena Bjornstochter vom Raureiftal.“
Sie bogen um die Ecke in die große Eingangshalle, in denen schon mehrere Dutzend Elben und Menschen warteten, auch die drei Zwerge konnte Mathan auf einer Bank erkennen. Die Tore zum Thronsaal waren noch verschlossen. Auf der Treppe vor dem Palast standen ebenfalls Elben, sowohl Avari als auch Manarîn. Ein Bote eilte die Stufen gerade hinauf, ein weiterer lief quer über dem Platz. Dichtes Stimmengewirr schwirrte durch den Raum. Die Alarmglocke verklang. Erste gerüstete Truppen sammelten sich auf dem Vorplatz. Halarîn winkte ihre Zofe zu sich, die am Rand der Halle etwas verloren dastand und bat um etwas Wasser.
„Also geht bald los… Ich habe gehört Ihr habt eine Schülerin…ist-“, begann Valena, doch Mathan unterbrach sie: „Verwundet. Sie… sollte …“ Er brach ab, als er zum Eingang sah. Aufgeregtes Getuschel folgte seinem Blick. In dem großen doppelflügeligen Tor stand eine blasse Adrienne, zumindest glaubte er, dass sie es ist. Ihr Gesicht war von einem langen Schnitt noch immer gezeichnet, doch war auf der Wunde bereits eine dicke Kruste. Ihr verwundetes Auge bereitete ihm jedoch Unbehagen, die Iris war schwarz, selbst das Weiße wirkte dunkelgrau. Adrienne ging barfuß, bis auf ein weißes Leinenkleid trug sie nichts weiter. Ein roter Fleck auf Höher ihrer Brust ließ ihn die Stirn runzeln. Aus dem Ostflügel des Palastes kam Istime, die Hofmeisterin mit einem Umhang geeilt. Die Elbe fragte, ob sie sie zurück zu den Heilern bringen sollte, während sie ihr den Mantel umlegte, doch Adrienne schüttelte den Kopf. Sie ging gemächlichen Schrittes auf Mathan zu und blieb vor ihm stehen.
„Danke für Euren Besuch“, sagte sie mit tonloser Stimme, ihr Blick huschte zu Valena, ihren Waffen dann zu Halarîns Klinge, „Wo bekommt man hier eine Waffe? Mein Ersatz ist ja schon da, also kann ich jetzt im Kampf sterben. Und das würde ich gern mit einer Klinge in der Hand.“ Jedes Wort klang gleichgültig und kühl, als ob da gerade eine Andere vor ihnen stünde als die etwas grüblerische aber kämpferische Adrienne, mit denen sie wochen- oder monatelang umhergereist sind. Mehr als vierzig Augenpaare waren auf sie gerichtet. Selbst einige neugierige Dunländer konnte Mathan aus dem Augenwinkel wahrnehmen. Er holte Luft um zu antworten, doch seine Gattin war schneller.
„Was redest du da?!“, fauchte Halarîn empört, „Niemand wird dich ersetzen. Solch ein Unsinn!“
Valena musterte Adrienne scharf, die den Blick herausfordernd begegnete.
Mathan wusste nicht was geschehen war, aber so ein Verhalten konnte er nicht dulden. „Genug. Beide“, sagte er leise und bestimmt. Er machte einen Schritt zwischen den beiden jungen Frauen und wandte sich leise Adrienne zu, „Was hat das hier zu bedeuten?“ Eines ihrer Augenlieder zuckte, dann hoben sich kurz ihre Mundwinkel unmerklich, „Nun“, sagte sie, „Mich kann sowieso keiner hier ausstehen, also schadet das nicht. Ich möchte eine Waffe. Wenn Alarm geschlagen wird droht Gefahr und die muss man beseitigen.“
Er blinzelte. „Wie wäre es dann mit einer Rüstung… und Fußbekleidung?“
Seine Bemerkung zeigte Wirkung, denn ihre Augen blitzten amüsiert. Ihre verkrustete Wunde verzog sich und etwas Blut tropfte über ihren Mundwinkel, als sie grinste. Adrienne zuckte darauhin mit den Schultern. „Ja gut, ich wollte eben meiner miesen Laune Luft machen… Und mich für den Kampf bereit machen. Ich weiß aber nicht wo meine Sachen sind…“
„Und anstelle wie ein normaler Mensch einfach zu fragen“, mischte sich Valena ein, „Platzt du hier wie eine Bettlerin rein und redest selbstmörderischen Schwachsinn. Der Ersteindruck ist dir gut gelungen.“
Halarîn, die offenbar gerade mit ihrer Zofe gesprochen hatte, packte die junge Kriegerin sanft an der Schulter und führte sie bestimmt in die andere Richtung außer Hörweite. Nicht ohne dass Adrienne noch hinterhersagen konnte: „Mir ist es egal was andere von mir denken, allen voran du.“
„Also kannst du wieder laufen?“, unterband Mathan ein weiteres Geplänkel, auch wenn sein Gefühl ihm sagte, dass die beiden eher sich so kennenlernten als stritten.
Adrienne grunzte belustigt, „Gut beobachtet. Irgendjemand hat mir so ein merkwürdiges Getränk eingeflößt, dann ging es mir besser.“ Sie wischte sich den Blutstropfen vom Mundwinkel, „Ich war aber ziemlich weggetreten… weil vorher-“ Adrienne verstummte, als die Tore zum Thronsaal aufschwangen. „Vielleicht bekomme ich ja jetzt ein Schwert.“ Mit den Worten marschierte sie an ihm vorbei. Mathan runzelte die Stirn und machte sie ernsthafte Sorgen um sie. Er hoffte, dass Kerry bald eintreffen würde und Adrienne wieder beruhigen könnte, denn er hatte keine Ahnung was er sonst mit ihr tun sollte, da ihm wahrscheinlich bald ziemlich viele Leben anvertraut werden würden, um die er sich kümmern musste. Mathan hoffte, dass es nicht so kommen würde, aber wenn seine Tochter ihn bitten würde, bliebe ihm keine andere Wahl, schließlich steht seine Familie über allem.
Titel: Die Wahrheit
Beitrag von: Fine am 8. Aug 2022, 19:06
Für einen langen, schrecklichen Augenblick schien die Zeit rings um Kerry still zu stehen. Ihr Blick war auf Arwen gerichtet, die Sarumans Stein gestohlen und nach Ost-in-Edhil gebracht hatte, und deren Hände das Artefakt fest umklammert hielten.
Wieso hat sie dieses Ding hierher gebracht? Was hat sie damit vor? schoss es Kerry durch den Kopf. Ist sie... eine Verräterin? Nein, nein, das kann nicht stimmen... es muss Saruman sein, der sie verzaubert hat. Aber... wie konnte er...?

Farelyë war Arwens Reaktion mit einer kalten Ruhe begegnet. Die Cuventai-Elbin wartete beinahe regungslos ab, ob Elronds Tochter ihr antworten würde. Kerry wagte kaum, einen Atemzug zu tun, doch der Moment zog sich für sie immer länger und länger dahin, bis sie es nicht mehr aushielt. Sie musste einfach etwas unternehmen.
"Warum hast du diesen Stein mit dir gebracht?" fragte sie, darum bemüht, ihre Stimme ruhig zu halten.
Kerrys Frage hatte eine sonderbare Wirkung auf Arwen. Ihr Kopf ruckte, wie als müsste sie sich von Farelyës Blick gewaltsam losreißen, und die grauen Augen richteten sich mühsam auf Kerry. Doch die Feindseligkeit verblasste, und ein Finger nach dem anderen löste sich von der Kugel aus dunklem Stein, bis Arwen das Artefakt nur noch locker auf der Handfläche balancierte.
"Anfangs wollte ich ihn an jene übergeben, die gefahrlos davon Gebrauch machen könnten," sagte sie, nun ebenso ruhig wie Farelyë.
"An die Dúnedain des Südens," bemerkte die Cuventai-Elbin an, als wäre es ein Fakt. Ein Nicken Arwens bestätigte das.
"Weiß... Meister Elrond davon?" fragte Kerry. Erneut gab es ein knappes Nicken Arwens.
"Ich hatte nie vor, den Stein selbst zu benutzen," sagte sie, die Stimmlage etwas leiser als zuvor. "Doch nachdem ich von Eleas Sohn erfuhr, dass - "
Arwen hielt für einen Augenblick inne, dann fuhr sie fort: "Dass Gondors König wieder in Freiheit ist, da überkam mich das Verlangen, ihn zu sehen... denn wir alle sind nun Gefangene dieser Mauern, gegen die der Feind bald schon anstürmen wird. Nichts wäre mir lieber als auf schnellstem Wege gen Süden zu reiten, doch die Gefahr ist zu groß."
"Also habt Ihr den Stein verwendet, und seid Saruman begegnet, anstelle von jenem, den Ihr zu sehen erhofftet," sagte Farelyë.
"Ja," bestätigte Arwen.
"Hast deshalb nur heimlich hineingesehen?" wollte Kerry wissen. "Du hättest es uns doch sagen können..."
"Und damit den Herren dieser Stadt einen Grund gegeben, mich in Ketten legen zu lassen? Nein, Kerry... ich weiß, dass es vermutlich nicht weise war, in den Stein zu blicken, doch es ist nicht nur Schlechtes daraus erwachsen. Ich weiß, wo sich der Weiße Zauberer befindet."
"Hat er dies preisgegeben?" hakte Farelyë nach.
"Freiwillig nicht," antwortete Arwen. "Doch es gelang mir, einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Er sprach aus dem Turm von Dol Guldur zu mir. Die Heere Mordors haben ihn dort eingeschlossen und auch wenn die Mauern der Festung noch standhalten, wird es nicht ewig so bleiben. Dies ist eine Gelegenheit für Gondor, Saruman zu retten. Er wird in ihrer Schuld stehen und seinen Angriff auf Eregion abbrechen. Wenn ich nur Aragorn erreichen könnte... aber der Stein ließ sich meinem Willen nicht weit genug unterwerfen."
"Es gibt andere Wege, um Nachrichten in die Ferne zu senden," sagte Farelyë. "Ihr hättet dies nicht alleine versuchen dürfen." Sie sah sich um, dann nickte sie langsam. "Immerhin ist der Einfluß von Sarumans Stimme nicht bis in die Stadt vorgedrungen. Der Stein darf nicht erneut verwendet werden."
"Das sehe ich ein," sagte Arwen. "Aber er muss nach Gondor gelangen, um dort entweder verwahrt oder vernichtet zu werden."
"Sobald der Weg nach Süden frei ist, könnt Ihr den Stein dorthin bringen. Doch solange muss ich darauf bestehen, dass er von mir verwahrt wird."
Arwen hielt inne. Sie musterte Farelyë einen langen Augenblick, dann jedoch nickte sie und reichte der Cuventai-Elbin das Artefakt. "Einverstanden."

Kerry atmete tief durch. Sie war froh, dass - soweit sie es verstanden hatte - alles noch einmal gut ausgegangen war. Als sie Arwen und Farelyë durch die alten Ruinen zurück auf die Straßen der Stadt folgte, fragte Kerry sich, was Oronêl wohl von all dem halten würde. Sie wünschte sich, er wäre wieder in der Stadt, und noch mehr wünschte sie sich, dass die Dinge zwischen ihnen besser stünden. Sie waren nicht direkt im Streit auseinander gegangen, aber die einstige Harmonie zwischen ihnen war durch einige Streitigkeiten belastet worden - insbesondere durch das Thema Helluin.
Warum kann er nicht verstehen, dass Helluin nicht mehr der Dúnadan ist, der den Goldenen Wald untergehen ließ, dachte sie. Ein Teil von ihr kannte die Antwort auf diese Frage natürlich, doch Kerry wollte sie nicht hören. Je länger sie über Oronêl nachdachte, desto mehr ersetzte die Sorge um ihren Freund ihren Ärger über seine Ansichten über Helluin. Arwen und Farelyë hatten einander darin zugestimmt, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis Ost-in-Edhil von Feinden umringt sein würde, und Eregion war bereits jetzt nicht mehr sicher. Oronêl war irgendwo dort draußen, keinen Tag nachdem er einem namenlosen Schrecken in den Minen von Moria entkommen war, und Kerry fürchtete um sein Leben, wie sie feststellte. Sie wünschte sich nicht zum letzten Mal, dass der Waldelb in die Stadt zurückkehren würde - in Begleitung Helluins, den Kerry ebenso vermisste.

Noch bevor sie die Unterkunf der kleinen Gemeinschaft, die von Bruchtal aufgebrochen war, erreicht hatten, erfuhren sie von den in Richtung der Mauern eilenden Stadtwachen, dass tatsächlich die ersten Feinde vor der Stadt gesichtet worden waren. Kerry beschloss, sofort zum königlichen Palast zu gehen. Sie verabschiedete sich von Arwen und Farelyë, dann lief sie los.

Am Palast waren so viele Elben versammelt, wie sie Kerry schon lange nicht mehr gesehen hatte. Sie wäre vermutlich gar nicht bis zu den großen Toren der königlichen Residenz durchgedrungen, wenn nicht plötzlich eine kräftige Stimme "Macht Platz für Hírilya Morilië!" gerufen und ihr damit einen Weg durch die Massen gebahnt hätte. Es handelte sich um den Hauptmann der Palastgarde, der Kerry ein breites Lächeln schenkte, während er dafür sorgte, dass sie unversehrt die breiten Stufen erreichte, die zum Eingang des Palastes hinaufführten.
"Zu Euren Diensten," sagte er und deutete eine Verneigung an.
Kerry - die es ja eigentlich eilig hatte - blieb stehen und sah ihn an. Sie stand auf der zweiten Stufe der Treppe, dennoch überragte er sie mit seinem von einem prächtigen Helmbusch gekrönten Helm. "Ich kenne deinen Namen nicht," sagte sie. "Danach wollte ich schon länger mal fragen."
"Eure Aufmerksamkeit ehrt mich, hírilya,," erwiderte der Gardist. "Ihr könnt mich Tárdur nennen."
Sie nickte. "Ich danke dir, Tárdur. Ich muss-"
"Ich weiß," sagte er gelassen, was Kerry erstaunte. Wurde nicht jeder verfügbare Soldat nun auf seinem jeweiligen Posten gebraucht? Aber Tárdurs Gelassenheit beruhigte sie und half ihr, ihre Gedanken zu ordnen. Sie nickte, dann eilte sie die Stufen hinauf. "Viel Glück!" rief ihr der Gardist noch hinterher, und Kerry nahm es sich zu Herzen.

Im Inneren des Palastes herrschte beinahe noch ein größerer Aufruhr. Kerry sah, wie sich die Tore des Thronsaales öffneten, und sie bewegte sich darauf zu. Als sie näher heran gekommen war, entdeckte sie Mathan und Halarîn, die etwas abseits standen. Halarîn winkte Kerry hektisch zu, als sie sie bemerkt hatte, doch sie schien auf etwas zu deuten, oder... auf jemanden? Kerry, die nicht stehen geblieben war, sah genauer hin. Da war eine Frau, die kaum Kleider am Leib und keine Schuhe trug...
"Adrienne?" entfuhr es ihr. Als die Angesprochene sich umdrehte, erstarrte Kerry vor Schreck. Das Antlitz ihrer Freundin war von einer grausamen Wunde entstellt, die die gesamte rechte Gesichthälfte bedeckte. Als Kerry Adrienne zuletzt gesehen hatte, war die Verletzung unter den Verbänden verborgen gewesen. Es verschlug Kerry beinahe die Sprache. So eine große Narbe würde sich nicht verstecken lassen. Mit Anstrengung rief sich Kerry in Erinnerung, weshalb sie hier war und schloss zu Adrienne auf.

Kerry kam neben ihr zum Stehen, direkt vor den geöffneten Toren des Thronsaales. Adriennes Zustand verschlug ihr erneut die Sprache. Instinktiv griff sie nach der unverletzten Hand Adriennes.
Ihre Freundin schien Kerry erst jetzt so richtig zu bemerken. Der Blick, den Adrienne ihr fast schon entgegenschleuderte ließ Kerry erbleichen. Sie sah den Tod in den Augen Adriennes.
"Ich brauche eine Schwert," sagte Adrienne mit fester Stimme. "Der Feind ist da und ich werde ihn bekämpfen."
Das brachte Kerry zurück auf den Boden der Tatsachen. "Du willst kämpfen? In deinem Zustand?" Sie zerrte Adrienne ein wenig beiseite, in Richtung Mathan und Halarîn, und war erstaunt, dass ihr nur geringer Widerstand entgegen schlug.
"Ich muss," beharrte Adrienne. "Ich muss..."
"Du hast nicht einmal Schuhe an," sagte Kerry. "Adri, wenn du wirklich kämpfen willst, dann brauchst du eine Rüstung!"
"Was macht es denn für einen Unterschied, ob ich damit in der Schlacht ein wenig länger lebe?" hielt Adrienne stur dagegen. "Ich brauche nur etwas, mit dem ich den Feind töten kann, mehr nicht."
"Was es für einen Unterschied macht?" Kerry konnte kaum glauben was sie da hörte. "Ich will nicht, dass du dein Leben wegwirfst! Und du bist nicht nur mir wichtig, das weißt du..."
"Pah! Mathan hat mich bereits durch eine neue Schülerin ersetzt!" schnaubte Adrienne. "Und du rennst einem dahergelaufenen Waldläufer hinterher... oder war es ein Dunländer? Oder beiden?"
Kerry biss die Zähne zusammen. Ihr kam wieder in den Sinn, was Adrienne mit ihr gemacht hatte, doch sie schob ihre Gefühle darüber für den Augenblick beiseite. "Ich bitte dich," sagte sie und legte Adrienne die Hände auf die Schultern. "Wir können ... gemeinsam herausfinden, wie... es mit uns weitergeht. Aber nur, wenn du am Leben bleibst und dich nicht in den Tod stürzt..."
Zum ersten Mal sah sie ein Zögern in Adriennes Blick. Kerry legte nach. "Versprich mir, dass du am Leben bleiben und auf dich aufpassen wirst, wenn die Kämpfe losgehen."
Eine lange Pause trat ein. Adrienne kniff die Augen zusammen und sah Kerry an. „Versprechen…. Es sind nur Worte, aber….“, Sie hielt inne, doch dann gab sie sich geschlagen. Der Hauch eines Nickens. "Meinetwegen. Ich ... werde mir eine Rüstung geben lassen."
Kerry atmete auf. "Bitte sei vorsichtig, ich... will dich nicht verlieren," fügte sie hinzu. Was Adrienne darauf antworten würde, wusste sie nicht.
Sie konnte es nur geschehen lassen.
Titel: Eine Versammlung im Thronsaal
Beitrag von: Curanthor am 29. Jan 2023, 18:00
Mathan bemerkte aus dem Augenwinkel wie Kerry den Thronsaal erreichte und verlangsamte seine Schritte. Valena sah sich indessen staunend um und musterte die Kuppel der Decke mehrfach. Halarîn flüsterte ihm zu, dass alle wichtigen Personen anwesend waren. Mit halbem Ohr hörte er dem etwas verkühltem Gespräch der beiden jungen Frauen zu. Wenigstens hatte Kerry seine Schülerin überreden können eine Rüstung zu tragen.
„Was kümmert es dich, ob du mich verlierst?“, flüsterte Adrienne am Ende des Gesprächs leise, während sie sich von Kerry abwandte.
Er wusste nicht, ob sie es gehört hatte und konnte auch nicht nachsehen, denn ein lautes Pochen vom Podest ließ seinen Blick nach vorn wandern. Faelivrin stand vor dem Thron, rechts neben ihr überragte Ivyn alle anderen und blickte in weite Ferne. Links von seiner Tochter stand die Hofmeisterin, die einen langen, schmucklosen Metallstab in der Hand hielt. Erneut stieß sie mit dem Ende auf den Boden und das Geflüster im Saal verstummte, während König Aéd das Podest betrat und sich neben Ivyn stellte.
Faelivrin sparte sich eine Einleitung und verkündete: „Der Wolfskönig der Dunländer und ich haben ein Bündnis geschlossen!“ Sie musterte dabei vor allem die Vertreter der Avaristämme scharf, „Sie werden uns bei der Verteidigung der Stadt und in dem aufkommenden Krieg unterstützen. Ich erwarte, dass sie als Verbündete angesehen werden. Sollte das für einige von euch befremdlich sein, so seht sie als hilfreiche Gäste.“ Ihre Augen blitzten dabei kurz auf und schien jeden zu durchbohren, der etwas anderes sagen wollte. Es regte sich kein Widerstand unter den Elben, nur zustimmendes Gemurmel mit unterschiedlicher Intensität an Zurückhaltung oder Zerknirschtheit. Mathan blickte vor allem die Kinn-Lai an, von denen aber die meisten mit verschränkten Armen dastanden und sich nichts anmerken ließen. Sie alle wussten, dass die Manarîn zuerst in Eregion – vor allem in Ost-In-Edhil waren und somit bei fast allem was die Stadt betraf das letzte Wort hatten.
 Faelivrin nickte Istime knapp zu, die daraufhin verkündete: „Unsere Wachposten haben eine Gruppe von Feinden mit einer weißen Flagge ausgemacht. Sie werden in Kürze vor dem nördlichen Toren eintreffen. Unsere Späher beobachten sie.“
„Und warum lassen wir unsere Feinde bis an die Tore herankommen?“, fragte Merolon von den Kindi, den Mathan anhand dessen tiefen Stimme in der ersten Reihe ausmachte.
Istime antwortete auf diese Frage, als ob sie mit einem Kind sprach: „Weil jede Stunde Zeit, die wir gewinnen unsere eigene Verteidigung erstarken lässt. In dieser Stunde werden hunderte Pfeile, dutzende Speere, Schwerter und andere Waffen gefertigt. Alles Dinge, die wir dem Feind bei einem verfrühten Angriff nicht entgegenbringen können. Auch unsere Anzahl wächst stetig, da die verstreuten Manarîn hierher eilen und…“ Sie verstummte, als Faelivrin sacht eine Hand hob.   
„Die Avari, die in dieser Stadt weilen haben die Wahl: Entweder sie laufen davon, um bei einer gnadenlosen Treibjagd durch die Hände minderer Kreaturen vernichtet zu werden, oder sie kämpfen mit ihren Brüdern und Schwestern für eine neue Zukunft.“ Seine Tochter hatte mit ruhiger und verständnisvoller Stimme gesprochen, was aber umso bedrohlicher wirkte. „Und rächen sich für die Vernichtung ihrer Siedlungen.“ Vor allem das zeigte Wirkung, denn die Kinn-Lai waren die ersten, die eine kämpferische Zustimmung aussprachen. Die übrigen Stämme folgten, nicht jedoch ohne zu betonen, dass es dauern würde alle Stammesmitglieder zu versammeln. Das schien Faelivrin jedoch zu genügen. Sie nickte zufrieden und deutete hinaus in die weite Ferne. Inzwischen hatten sich hunderte Elben versammelt und standen dicht gedrängt im Thronsaal, der Eingangshalle und sogar auf der Palasttreppe. „Der Feind steht irgendwo da draußen!“, rief Faelivrin nun lauter, „Er baut darauf, dass wir schwach und uneins sind! Sie werden versuchen uns Angst zu machen! Sie werden versuchen uns weiter zu entzweien! Sie werden versuchen unsere zarten Bande, die gerade erst zueinander finden zu zerschneiden! Sie werden versuchen alte Freundschaften zu zerstören! Sie werden versuchen jeden von uns abzuschlachten, wenn sie die Chance dazu erhalten!“, sie machte eine kurze Pause und musterte jeden einzelnen in dem Saal. Mathan hörte ihr gebannt zu. Der gesamte Saal hing an ihren Lippen. Seine Tochter ergriff einen kunstvoll verzierten, mit Rubinen und Bernstein besetzten Speer den Istime ihr reichte. Es war offenbar das Königsssymbol, Finuors Speer, wie manche umstehenden Manarîn mit Ehrfurcht und Bewunderung flüsterten. Faelivrin hob den Speer etwas in die Höhe, dass ihn jeder sehen konnte. „Doch das werden wir nicht zulassen!“ Sie machte erneut eine kurze Pause und richtete die Speerspitze auf jeden in dem Saal, „Wir zeigen ihnen, dass wir standhaft bleiben, ganz gleich was sie uns entgegenschleudern. Zeigt ihnen, dass wir nicht weichen, ganz gleich was sie aufbringen werden! Zeigt ihnen, ganz gleich was ihr voneinander haltet: heute werden wir nicht weichen und morgen auch nicht. Tut es nicht für mich, tut es für euch selbst, für eure Kinder und unsere Zukunft.“ Sie machte erneut eine Pause und atmete hörbar durch, dann sagte sie etwas leiser „Und für unser Volk.“ Sie legte kurz die Stirn an die flache Seite des Speers, übergab ihn dann an Istime. Mathan war sich sicher, dass dies ein Traum Finuors gewesen war, dass die Elben wieder Seite an Seite kämpften. Vielleicht war dies der erste Schritt dafür.
Unterdessen stampfte jemand im Saal mit dem Fuß auf dem Boden. Rasch folgten weitere, manche schlugen sich gegen den Brustharnisch oder den Schild. Nach einigen Augenblicken war der Thronsaal erfüllt vom zustimmenden Dröhnen.
Ein erleichtertes Lächeln huschte Faelivrin über das Gesicht, ehe sie knapp eine Hand hob und der Tumult rasch verebbte. Sie berief einige Elben zu Kommandanten von Mauerabschnitten, die meisten kannte Mathan jedoch nicht.
Nammanor wurde zum kommandierenden General von Faelivrins Leibgarde berufen – wie der Befehlshaber der Garde in Kriegszeiten genannt wurde. Der Krieger in prunkvoller Rüstung marschierte wie alle anderen vor dem Podest – ging jedoch kurz auf ein Knie und bedankte sich. Nachdem der Krieger sich an die Seite des Podests gestellt hatte, wanderte Faelivrins Blick durch den Saal und erfasste Mathan. Er ahnte etwas, da er diesen Blick seiner Tochter kannte. Diesen Anflug von Schalk, den sie meisterlich verbarg würde er immer erkennen.
„Heermeister Eregions“, sagte sie nun lauter, „Diesen Titel verleihe ich Kraft meines Amtes dem Mann, der so viele Leben – aber vor allem meine Tochter bei Rómen Tirion gerettet hat. Mathan, ich berufe Euch.“
Einige Köpfe wandten sich zu ihm und es  wurde eine breite Gasse vor ihm gebildet. Halarîn verbarg rasch ein Grinsen und klopfte ihm stattdessen auf die Schulter. Er seufzte unmerklich und ließ sich nichts anmerken. Mathan schritt durch die Reihen und trat vor das Podest, wo er einen winzigen Augenblick zögerte. Er wusste von einem vorherigen Gespräch mit Isanasca, dass sie als Kronprinzessin den gleichen Rang im Kriegsfall inne hatte, weshalb es ihm etwas merkwürdig vorkam, doch er straffte sich und antwortete trotzdem: „Ich folge der Berufung.“ Er deutete eine Verneigung nur ganz knapp an und schritt hinüber zu Nammanor.
Der Krieger brummte nur, dass er ihrer beider Berufung geahnt hatte und zupfte missmutig an seinem Mantel.
Mathan unterdrückte ein Grinsen anstelle einer Antwort, da dutzende Augenpaare auf ihnen ruhten.
Indessen rief Istime zwei Elben auf und Faelivrin ernannte sie zu Beschützern der Krone, woraufhin er aufhorchte. „Euch unterstehen zwanzig Krieger meiner Leibgarde. Ihr seid für den Schutz des Prinzen und seiner Familie persönlich verantwortlich.“ Die beiden Krieger, die Mathan unbekannt waren, verneigten sich tief und marschierten zackig an die gegenüberliegende Seite des Saals.
„Tárdur“, rief Istime einen weiteren Elben auf. Einer der Palastwachen am Tor ruckte mit dem Kopf herum, setzte sich dann sofort in Bewegung. Der schwarze Mantel strich wehend über den Boden, sein prunkvoller schwarzer Haarbusch auf dem Helm wippte bei jedem Schritt. Der Blick der knapp über dem Mundtuch aus dunkelbraunen, fast schwarzen Augen hervorstach sprühte vor Loyalität und Ruhe. Faelivrin bedeutete ihm stehen zu bleiben, als er niederknien wollte. „Euch gebe ich zwei der besten Krieger meiner Leibgarde.“ Ihr Blick wanderte zu Kerry, wie Mathan es sich schon fast gedacht hatte, „Ihr werdet für die Sicherheit meiner Schwester sorgen, solange wir Feinde von bedroht werden. Sorgt dafür, dass der Prinzessin kein Haar gekrümmt wird.“
Der Krieger ging trotzdem auf ein Knie und legte eine Hand auf den Brustharnisch und sagte mit wohlklingender Stimme: „Bei meinem Leben“ und senkte dabei den Kopf. Als er nach einem kurzen Moment keine Anstalten machte aufzustehen, wurde er von der Hofmeisterin zum Sprechen aufgefordert.
„Verzeiht meiner Dreistigkeit, die Entscheidung meiner Königin in Frage zu stellen“, hob er respektvoll an und wandte knapp den Kopf zu der Stelle, wo er Kerry in der Menge vermutete und fuhr fort, als er nicht unterbrochen wurde: „… und doch sorge ich mich darum, dass nur drei Krieger womöglich zu wenige sind, um die junge Prinzessin ausreichend zu beschützen.“
Faelivrin wirkte für einen Moment amüsiert und bedeutete ihm aufzustehen. „Es sei Euch verziehen, Hauptmann. Wie ich meine Schwester kenne, würde sie nicht erfreut über einen Begleiter sein, der ihr keinen Augenblick von der Seite weicht.“ Im Saal hörte man vereinzeltes, amüsiertes Flüstern.
„Ständig? Also, egal wohin ich gehe? Na das kann ja heiter werden…“, hörte Mathan Kerrys Stimme kaum vernehmbar, was bei den Umstehenden für ein Schmunzeln sorgte. Sie klang trotz der Worte erleichtert.
Faelivrin tat so als ob nichts wäre, auch wenn ihr Mundwinkel kurz zuckte und antwortete dem Hauptmann der Palastwache: „Gemessen an Euren Fähigkeiten sind drei genug – zumal sie auch meines Vaters Schutzes genießt und die Gunst einiger guten Krieger.“
Tárdur verneigte sich noch einmal und verschwand in der Menge. Istime berief indessen einige Soldaten in führende Positionen, die sich nach dem Kampf um Rómen Tirion besonders hervorgetan hatten. Danach wurde die gesamte nördliche Stadtmauer bemannt und in Alarmbereitschaft versetzt, woraufhin ein gutes Dutzend Elben den Saal verließen, allen voran die frisch beförderten Kommandanten der jeweiligen Mauerabschnitte. Die Königin nannte einige weitere Befehlshaber und forderte sie auf, nach der Versammlung zu verweilen. Mathan war nicht darunter, dafür aber Isanasca. Er war sich sicher, dass er den Posten des Heermeisters hauptsächlich bekommen hatte, um seiner Enkelin beratend und unterstützend beizustehen, was ihm aber ganz recht war. So konnte er seine große Erfahrung weitergeben.
Faelivrin wandte sich noch einmal an die versammelte Menge, diesmal so ruhig wie ein Fels in der Brandung: „Wir werden noch einmal geordneter zusammenkommen, wenn die Situation an dem Nordtor geklärt ist.“ Sie lächelte Mut machend. „Habt Zuversicht und bewahrt Ruhe. Wappnet euch, schärft eure Klingen und stählt eure Herzen, damit dort das Feuer der Hoffnung unermüdlich brennen kann. Gemeinsam werden wir diese Herausforderung bewältigen, denn nach jeder finstern Nacht geht die Sonne wieder auf.“
Titel: Der Geleitschutz
Beitrag von: Fine am 1. Feb 2023, 11:39
Kerry hatte den Beginn von Faelivrins Ansprache damit verbracht, über Adrienne und Aéd nachzudenken. Ihre Sorge um ihre Freundin war etwas geringer geworden, da es ihr immerhin gelungen war, Adrienne dazu zu bringen, eine Rüstung in den kommenden Kämpfen zu tragen. Dennoch blieb eine große Ungewissheit. Adrienne schien noch immer nicht sonderlich an ihrem eigenen Leben zu hängen. Außerdem war sie offensichtlich verärgert, dass Mathan eine neue Schülerin an seiner Seite hatte. Kerry fragte sich, was es mit der fremden Frau wohl auf sich haben mochte. Ihr waren weder Name noch Gesicht der Kriegerin bekannt, die neben Mathan stand. Kerry beschloss, bei einer passenden Gelegenheit die Bekanntschaft der Fremden zu machen.

Ihr Blick war immer wieder an Aéd hängengeblieben. Wie stark und königlich er an der Seite der Elbenherrscherin wirkte! Kerry hatte zunächst befürchtet, dass Faelivrins Glanz ein schlechtes Licht auf den Wolfskönig werfen und ihn im Vergleich ärmlich und primitiv wirken lassen würde, doch das Gegenteil schien der Fall zu sein. Faelivrins Worte erhoben Aéd zu einem mächtigen, nahezu ebenbürtigen Verbündeten, der die Sicherheit seines eigenen Reiches riskierte, um den Elben Eregions im Kampf beizustehen. Standhaft und kriegerisch sah der Wolfskönig aus, wie er mit seiner Wolfskrone auf dem Haupt und mit Schwert und Axt bewaffnet neben der Königin der Manarîn stand und ihr durch seine Anwesenheit seine Unterstützung versicherte. Kerry hatte viele der jungen Krieger in Aéds Wolfsrudel kennengelernt und wusste, welche Leistungen die Dunländer im Kampf zeigen konnten. Sie würden in den kommenden Schlachten eine unschätzbare Verstärkung für Ost-in-Edhils Verteidiger darstellen.

Kerry stellte fest, dass das nachdenkliche Antlitz Helluins, das ihre Gedanken oft begleitet hatte, in jenen Momenten dort im Thronsaal weit in den Hintergrund gerückt war. Mit einem Mal stellte sie ihre Entscheidung in Frage, getrennten Weges von Aéd zu gehen. Zweifel nagten an ihr und wieder einmal stritten Gefühle in ihr miteinander, die sich nicht so leicht vereinbaren ließen. Ein Teil von Kerry war es mittlerweile Leid, sich ständig mit derlei Fragen herumzuschlagen. Ein anderer Teil machte sogar Adrienne Vorwürfe, weil sie die Verwirrung in Kerrys Herzen noch um ein Vielfaches verstärkt hatte. Sollte sie versuchen, Aéd in einem ruhigen Moment nach dem Ende von Faelivrins Ansprache beiseite zu ziehen und offen mit ihm über ihre Gefühle zu sprechen?
Nein, nein, das kannst du nicht machen. Er hat doch Wichtigeres zu tun, sagte sie zu sich selbst.

Sie wäre ohnehin nicht weit gekommen, falls sie ihren Gedanken wirklich in die Tat hatte umsetzen wollen. Aéd wurde gleich nach dem Ende der Rede der Königin zum Kriegsrat gerufen, dem auch Mathan als oberster Kommandant angehörte. Als Kerry, noch immer stark von ihrem inneren Konflikt beeinträchtigt versuchte, sich in Richtung des Hauptausgangs des Thronsaals zu bewegen, lief sie mitten in eine schwarze, weiche Wand.
Stoff? fragte sie sich noch, ehe eine starke Hand sie an der Schulter packte - sanft, aber mit Nachdruck - und davon abhielt, einen ganz und gar Prinzessinnen-unwürdigen Spagat auf dem glatten Saalboden hinzulegen. In ihrer Gedankenverlorenheit hatte sie vergessen, dass sie nun auf Faelivrins Anordnung hin auf Schritt und Tritt von Tárdur, dem Palastwächter und seinen beiden Gefährten begleitet wurde.
"Nicht so hastig, hírilya," ertönte Tárdurs Stimme, aus der Kerry das amüsierte, aber respektvolle Schmunzeln heraushören konnte, auch wenn sein Mund hinter dem schwarzen Stoff verborgen blieb, aus dem auch sein breiter Mantel bestand - in dem Kerry sich verfangen hatte. Wie so oft schoss ihr die Schamesröte in die Wangen. Sie fragte sich, ob wohl viele Augen ihr Missgeschick mitbekommen hatten und war erleichtert festzustellen, dass so gut wie alle Elben in der Halle sich längst ebenfalls in Bewegung gesetzt und dadurch einen so großen Trubel ausgelöst hatten, dass Kerrys Fehltritt wohl nur von den Wenigsten bemerkt worden sein konnte.
Ich frage mich, was diese ganzen hohen Herrschaften - abgesehen von nésas Familie - wohl von mir halten, dachte sie und war mit einem Mal ganz froh, einen kompetenten Beschützer zu haben. Tárdur verlieh ihr eine gewisse Legitimität als Prinzessin der Manarîn - wenn auch nur durch Adoption. Und ihre Begleiter konnten sie vor den meisten Blicken schützen, wenn sie es wünschte. Kerrys Stolz erwachte, wenn auch nur in einem Teil von ihr. Schon verlachte sie sich selbst, als sie merkte, was geschah. Vergiss nicht, wer du bist, sagte sie sich selbst. Eine lächerliche Gestalt inmitten all dieser prunkvollen Elbendamen und mächtigen Krieger. Sie legte eine gedankliche Pause ein, dann gestattete sie sich ein knappes Lächeln. Aber immerhin wichtig genug, um drei Leibwächter verpasst zu bekommen.

"Wir sollten reden," sagte Kerry, nachdem sie sich gesammelt hatte. Der Thronsaal war mittlerweile leerer geworden; nur hier und da strebten noch einige Nachzügler auf die Ausgänge zu.
Ihre drei Begleiter blieben stehen. Sie flankierten Kerry rechts und links, während der dritte Palastwächter einen Schritt hinter ihr ging. Bewaffnet waren sie mit langen Speeren mit breiten Klingen, die sie zweihändig führten. Weitere Waffen hingen an ihren Gürteln - jeweils zwei kurze Schwerter - und über der Schulter war ein Bogen gehängt, dessen Sehne abgenommen und zusammengerollt worden war.
Die Elben blieben stumm, als Kerry ihren Satz beendet hatte. Also sprach sie weiter. "Tárdur, deinen Namen kenne ich bereits. Doch wer sind die beiden anderen? Ich möchte wissen, mit wem ich nahezu jeden Moment meines Lebens in den kommenden Tagen teilen werde."
"Wie Ihr wünscht, hírilya Morilië," sagte Tárdur.
"Kennt ihr ein ruhiges Plätzchen, wo wir vier uns setzen und miteinander unterhalten können?" fragte Kerry in die Runde. "Vielleicht gibt es einen Ort, der so sicher ist, dass ihr nicht ständig auf der Hut bleiben müsst. Dann könnt ihr die Helme abnehmen und mir eure Gesichter zeigen."
"Wenn dies Euer Befehl ist, werden wir uns Euch nicht verweigern," antwortete Tárdur. "Einen vollständig sicheren Ort werden wir nicht finden, und unser Eid und unsere Ehre verbietet es uns, in unserer Wachsamkeit nachzulassen. Wir haben geschworen, Euch mit unserem Leben zu verteidigen." Als er weitersprach, hörte Kerry wieder dieses typische Schmunzeln aus seiner Stimme. "Und im Vertrauen, hírilya,, ich bin nicht gerade dafür bekannt, mein Wort zu brechen."
"Dasselbe gilt für mich," fügte der zweite Gardist hinzu. Der dritte Elb nickte bestätigend.
Kerry sah sie der Reihe nach an. "Na gut. Aber gibt es vielleicht irgendwo einen Ort, wo wir zumindest halbwegs in Ruhe reden können?"
"Wie wäre es mit Euren Gemächern hier im Palast?" schlug Tárdur vor.
"Ich.. habe hier eigene Gemächer?" fragte Kerry. "Ich wohne doch bei Farelyë, in ihrem Haus."
"Dennoch wurden Euch hier eigene Unterkünfte vorbereitet - für den Fall," meinte Tárdur. "Die königliche Residenz ist der sicherste Ort in der ganzen Stadt. Sollte die Behausung der Herrin Farelyë in Gefahr geraten, habt Ihr hier einen Rückzugsort."
Kerry nickte verstehen. "So ist das also. Da sieht man es mal wieder; Faelivrin denkt wirklich an alles." Sie blickte in die Runde. "Also gut, wer von euch kennt den Weg dorthin?"

Sie brauchten nicht weit zu gehen. In den oberen Stockwerken, die sie über eine gewundene Treppe erreichten, waren viele Gemächer eingerichtet worden nachdem die Bauarbeiten am Palast fertiggestellt worden waren. Kerrys persönliches Gemach lag an der linken Flanke des Gebäudekomplexes und besaß einen kleinen Erker mit runden Fenstern. Türkise Vorhänge filterten das Sonnenlicht, das hereinfiel. Kerry war froh, drei Stühle neben dem Bett zu entdecken, das für sie vorbereitet worden war. Sie bat ihre Leibwächter, Platz zu nehmen, doch sie stieß dabei auf Widerwillen.
"Ich möchte euch dreien keine Befehle geben," sagte sie notgedrungen. "Das passt nicht zu mir. Aber mir wäre es wirklich lieber, wenn ihr mich nicht so auf ein Podest stellen würdet... ich habe wirklich nichts dagegen, wenn ihr sitzt. Ich werde mich aufs Bett niederlassen und ihr stellt die Stühle daneben, in Ordnung?"
"Wie unschwer festzustellen ist, hat die junge Dame noch viel über ihre hohe Stellung zu lernen," scherzte Tárdur, dann tauschte er sich im Flüsterton mit seinen Kameraden aus. Den Quenya-Dialekt, den sie dabei benutzten, konnte Kerry kaum verstehen, doch sie war erfreut festzustellen, dass zwei der Elben schließlich Platz nahmen. Tárdur hingegen blieb stehen. "Ich werde vor der Türe Wacht halten, bis Ihr Eure Neugierde im Bezug auf diese beiden befriedigt habt. Danach werden sie meinen Platz auf dem Flur einnehmen und ich werde mich Euren Fragen stellen, hírilya."
Kerry erkannte, dass sie nicht mehr erreichen würde als das. Also nickte sie und bat dann die beiden Gardisten, ihre Helme abzunehmen und sich ihr vorzustellen.
"Ramatar," sagte der erste.
"Ristallë", sprach die zweite Gardistin, deren Stimme Kerry bislang nicht gehört hatte. Sie war erstaunt, eine Frau hinter der schwarzen Gesichtsmaske vorzufinden.
Beide Krieger stammten aus den Neuen Landen und waren vergleichsweise jung, geboren während der Herrschaft Finuor Mârins. Ramatar war ursprünglich Marinesoldat gewesen und hatte sich in mehreren Seegefechten ausgezeichnet, was ihm seinen Aufstieg zur ehrenvollen Position der Palastgarde ermöglicht hatte. Ristallë stammte von einer der kleinsten Inseln des Seereiches der Manarîn, die immer wieder Ziel von Überfällen durch Piraten gewesen war, die in den Meeren südlich der Neuen Lande ihr Unwesen trieben. Sie hatte von klein auf gelernt, sich und andere zu verteidigen und war dem Weg der Kriegskunst bis zur Ehrengarde gefolgt.

Nachdem Kerry ihre beiden Beschützer eine Weile mit Fragen gelöchert hatte, entließ sie Ristallë und Ramatar schließlich. Sofort setzten die beiden ihre Helme wieder auf und bezogen vor Kerrys Tür Stellung, während Tárdur Kerry damit überraschte, dass er sich neben sie auf das Bett setzte.
"Nun, meinen Namen kennt Ihr bereits," begann der Gardist, ehe er seinen Kopfschutz abnahm. Sein Haar war blond und relativ kurz; eine Seltenheit unter den Manarîn, wie Kerry wusste. "Was möchtet Ihr wissen?"
Kerry überlegte. Sie war mit Tárdur bereits viel vertrauter als sie gedacht hatte. Sie legte den Kopf um eine Winzigkeit schief und sagte: "Erzähl' mir eine unterhaltsame Anekdote aus deinem Leben, Tárdur."
Der Gardist strich sich mit einem Finger über das Kinn, doch er zeigte keinerlei Überraschung hinsichtlich der ungewöhnlichen Frage Kerrys.
"Weißt du, als ich zum Gardisten ausgebildet wurde, passierte mir einmal etwas sehr Peinliches", begann er. "Ich war damals noch sehr unerfahren und hatte Schwierigkeiten, mich an die strenge Ausbildung anzupassen."
Kerry nickte und hörte aufmerksam zu.
"Eines Tages wurden wir aufgefordert, einen Hindernisparcours zu absolvieren, bei dem wir unser Gleichgewicht und unsere Koordination beweisen mussten", fuhr Tárdur fort. "Ich war so nervös und aufgeregt, dass ich auf einer der Herausforderungen stolperte und mit dem Gesicht voran in einem Haufen Stroh landete."
Kerry kicherte, während Tárdur weitersprach.
"Ich war so beschämt, dass ich mich nicht einmal traute, aufzustehen", sagte er. "Aber meine Ausbilder und die anderen Anwärter lachten nicht über mich. Stattdessen halfen sie mir auf die Beine und sagten, dass ich es beim nächsten Mal besser machen würde."
"Das ist schön zu hören", sagte Kerry lächelnd. "Es zeigt, dass die Gardisten eine starke Gemeinschaft sind, die zusammenhält und sich gegenseitig unterstützt."
Tárdur nickte. "Genau das ist es. Und ich bin stolz darauf, Teil dieser Gemeinschaft zu sein."
"Und hast du den Hindernislauf dann im zweiten Versuch erfolgreich abgeschlossen?" hakte Kerry nach. Dass ein so ruhiger und erfahren wirkender Krieger auch einst ein blutiger Anfänger gewesen war, machte ihn umso nahbarer für sie.
"Es hat noch mehr als einen Anlauf gebracht," gab Tárdur zu und zeigte wieder das gewohnte Schmunzeln. "Das habt Ihr nicht erwartet, nicht wahr?"
"N-naja, ich schätze... jeder muss irgendwann einen schwierigen Anfang hinter sich bringen, also, im Leben, meine ich," sagte Kerry etwas holprig.
"Und so ist es bei Euch ebenfalls," sagte Tárdur. "Ihr werdet sehen, die Rolle der Prinzessin wird sich schon bald viel einfacher für Euch anfühlen."
Kerry nickte. Er machte ihr Hoffnung, und das war gut. Ihr fiel auf, dass sie schon die ganze Zeit über weder an Aéd, noch an Adrienne oder an Helluin gedacht hatte. Und das war ihr im Augenblick viel wert.
Titel: Valena und Adrienne
Beitrag von: Curanthor am 18. Feb 2023, 20:15
Adrienne stand mit verschränkten Armen an einer Säule gelehnt und hatte der Rede der Königin mit gleichmütiger Miene zugehört. Sie hörte die Stimme der Elbe, aber es war so, als ob sie durch einen dichten Schleier zu ihr sprach. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie irgendwelche Krieger hervorgerufen wurden, dann Mathan. Ihr Blick bemerkte die Fremde die neben ihren ehemaligen Lehrmeister in der Menge stand. Der Anblick versetzte ihr einen Stich. Unwohl wechselte sie das Bein, mit dem sie sich an die Säule lehnte.
 Ihr Ersatz hatte lange rote Haare und schien in einem ähnlichen Alter zu sein. Sie wirkte viel kriegerischer als sie selber, allein dadurch, dass sie stets mit gerecktem Kinn und gerader Statur dastand. Adrienne konnte sich dem Gedanken nicht verschließen, dass die Fremde vielleicht doch eine bessere Wahl war als sie selber. Dann sollte es so eben sein, warum gegen das Schicksal ankämpfen, es war sowieso zwecklos.
Ihr Blick wanderte zu Kerry, als die Versammlung aufgelöst wurde. Die Blonde warf ihr zwar einen Blick zu, den Adrienne jedoch nur gleichmütig erwiderte. Ihr war noch immer nicht klar, was sie dazu gebracht hatte sie zu küssen. Nüchtern betrachtet war es nichts als der Wunsch nach einer engen Freundin und etwas Zuneigung gewesen. Zumindest war sie zu dem Schluss gekommen, nachdem sie mit dem Messer in der Hand vor einigen Stunden wieder aufgewacht war. Alles was sie bisher getan hatte, kam ihr so lächerlich unbedeutend vorgekommen. Warum war sie überhaupt hier? Sie ließ sich mit den übrigen Elben aus dem Thronsaal treiben. Ihr Blick hing auf den wolkenverhangen, dunkelgrauen Himmel. Aus dem Augenwinkel sah sie einen kleineren blonden Haarschopf, der von drei in schwarz Gewandten Elbenkriegern in einen großen Westflügel geleitete wurde. Adrienne atmete tief durch, aber das Gefühl von Enge wollte nicht von ihrem Brustkorb weichen. Sie spürte, wie ihre Augen wieder etwas feucht wurden, bis ein dumpfes Pochen in ihrem verletzten Auge sie zum Blinzeln brachte. Irgendjemand legte ihr einen Mantel um die Schultern.



Valena schaute abwartend zu Mathan, als die Versammlung aufgelöst wurde. Sie fühlte sich etwas fehl am Platz. Der Elb gab ihr mit einem Handzeichen zu verstehen draußen zu warten. Die anfängliche Begeisterung über diesen Ort war bei ihr bereits verflogen, also schritt sie relativ zügig hinaus zu dem großen Portal zur Treppe, die hinaus auf dem Palastvorplatz führte. Niemand sprach sie an, die meisten liefen entweder eilig die Treppen hinunter und verteilten sich, oder warfen ihr einen neugierigen Seitenblick zu. Sie atmete tief durch, als ein Windzug etwas frische Luft mit sich brachte.
Als sie sich wieder umwandte, wurde das Tor zum Thronsaal geschlossen. Inder Vorhalle waren nur ein paar wenige Elben übrig. Etwas verloren stand die verwirrt wirkende Gestalt der anderen Schülerin Mathans in der Mitte der Halle und starrte ins Leere. Valena hatte nur kurz mit ihr zu tun gehabt, aber es hatte gereicht um ihren Geisteszustand anzuzweifeln. Damit war sie offenbar nicht alleine, denn alle die an ihr vorbeigingen, machten einen großen Bogen um sie. Sie seufzte und ging auf sie zu. Die kastanienbraunen Haare der jungen Frau waren durcheinander und eine große Wunde zeichnete ihr Gesicht. Sie musste entweder einen ungleichen Kampf bestritten haben oder eine Menge Glückt gehabt haben. Valena war sich sicher, dass jeder normale Hieb sonst jemanden den Kopf gespalten hätte. Sie löste die Klammern ihres Umhangs und legte sie der Barfüßigen um die Schultern. Erst jetzt, wo sie direkt vor ihr stand nahm sie Notiz von ihr. Ein Anflug von Hass flackerte in den nussbraunen Augen auf, der aber sofort mit Gleichmut ersetzt wurde.
„Ist dir nicht kalt?“, fragte Valena etwas unbeholfen.
Erst starrte die Angesprochene nur an ihr vorbei, bis sich ihr Blick unwillig auf ihr Gesicht fixierte. „Etwas“, entgegnete sie nur knapp.
„Du bist Adrienne, auch eine Schülerin von dem Elbenherrn“, stellte Valena unbeeindruckt fest und nickte dabei zur verschlossenen Türe des Thronsaals, „Hab‘ ich von den anderen gehört.“
Ein knappes Nicken. Adrienne begann etwas auf den Fußballen hin und her zu wippen.
„Vielleicht sollten wir dich einkleiden.“
Sie stoppte und legte fragend den Kopf schief.
Valena stöhnte genervt auf. „Wenn du dich selbst umbringen möchtest…“ begann sie mit einem Blick auf den dunkelroten, verlaufenen Fleck auf Herzhöhe ihres weißen Oberteils, „Da gibt es andere Wege.“ 
„Hmm?“, machte Adrienne überrascht. Ihr trüber Blick wurde plötzlich klar und ihre Augen fixierten sie. „Warum sollte ich so etwas Dämliches tun?“
Valena runzelte die Stirn. „Du hast eben ziemlich selbstzerstörerisches Zeug von dir gegeben, schon vergessen?“
„Oh, das.“ Adrienne schaute wieder über Valenas Schulter in die Ferne, „Warum gegen das Schicksal ankämpfen? Es holt doch sowieso wieder einen ein.“
Valena rollte die Augen. „Schwachsinn. Ich glaube nicht an Schicksal, aber das sei jedem selbst überlassen.“
Adrienne schnaubte leise. „Bist du nur hier um mich zu nerven?“
„Ich mache mir nur Sorgen um dich an der Stelle unseres Lehrmeisters. Er hat im Moment wichtigere Aufgaben.“
„Ja, so ist das mit den feinen Elben. Immer gibt es etwas Wichtiges, oder jemanden anderen. Es gibt immer jemanden an letzter Stelle. Dort habe ich mich selbst hin befördert. Es lieg nicht an dir, das zu korrigieren, dafür ist es zu spät.“
Valena erschauderte unwillentlich. Sie kannte diesen Blick nur vom Schlachtfeld -  oder von den Lagern des roten Auges. In den Tiefen der schwarzen Iris Adriennes brannte ein gefährliches Feuer. Scheinbar hatte sie akzeptiert was geschehen würde, was auch immer es war wovon sie überzeugt war. Es hatte kaum einen Sinn gegen jemanden, der abgeschlossen hatte anzureden. Sie seufzte und antwortete, dass sie von solchen Dingen nicht viel verstand.
Adrienne legte fragend den Kopf schief.
„Ich erzähle dir jetzt nicht meine Lebensgeschichte. Bei uns gab es keine Elben, nur alte Geschichten und andere Bräuche. Jetzt sei nicht so stur.“  Valena verlor allmählich die Geduld und schob sie an den Schultern einfach in die Richtung, wo sie die Rüstkammer vermutete. Adrienne schien sich kurz zu widersetzen, gab dann aber plötzlich nach. Einer der herumstehenden Elben in Schwarz beschrieb ihr einen Raum, in dem behelfsmäßig Ausrüstung ausgegeben wurde. Valena wunderte sich noch immer über ihren Zweck, bedankte sich aber bei dem Mann und ging in den Ostflügel. Mittlerweile musste sie Adrienne auch nicht mehr vor sich herschieben, sondern sie an der Schulter gepackt bestimmt leiten.

Als sie an der unscheinbaren Türe, die aus frischem Holz bestand angekommen waren, befreite sich Adrienne mit einem Schulterzucken von dem Griff und klopfte. Ein Ruf aus dem Inneren ließ die beiden eintreten. Ein dunkelhaariger Elb mit einer breiten Narbe auf der Stirn und einfachen Roben gekleidet blickte von einem kleinen Tisch auf. Rechts und links von ihm türmten sich Truhen, Schachteln und Kisten, aus denen Griffe aller Art und allerlei Ausrüstungsgegenstände ragte. Auf einigen simplen Rüstungsständern hinter ihm hingen mehrere Elbenrüstung unterschiedlicher Machart.
„Valena vom Raureiftal“, stellte sie sich mit einem knappen Nicken vor und deutete auf die leicht bekleidete Adrienne, „Ich denke unser Anliegen ist offensichtlich.“
Der Elb legte eine Zange beiseite, mit der er an einem Kettenhemd gearbeitet hatte. „Und auf wessen Geheiß seid Ihr hier, Dame Valena?“ Er hatte eine sanfte, melodische Stimme, wie fast alle Elben die sie in den letzten Tagen sprechen gehört hatte.
„Mein Lehrmeister ist der ehrenwerte Herr Mathan“, antwortete sie knapp.
Der Elb hob eine Braue. „Ach, tatsächlich.“ Er griff erneut nach seiner Zange und arbeitete einige weitere Ringe in das Kettenhemd. „Und was wünscht Ihr nun von mir?“, fragte er ohne aufzublicken. 
„Eine neue Ausrüstung für meine…“, Valena blickte aus dem Augenwinkel zu Adrienne, die eine unergründliche Miene aus Gleichmut aufgesetzte hatte, „Mitschülerin. Ein Paar Schuhe allen voran.“
„Davon ging ich aus.“ Der Elb legte erneut seine Zange zur Seite und beugte sich nach rechts hinab. Als er sich aufrichtete, warf er ein Paar Lederstiefel quer durch den Raum. Valena und Adrienne fingen jeweils einen Schuh. Es waren Reiterstiefel, die fast bis zu den Knien reichten. Das Leder war sehr weich und dunkelbraun, fast schwarz.  Valena reichte ihn prompt weiter. Adrienne nickte sogar knapp.
„Eben fertig geworden. Neu besohlt. Dürften eine lange Zeit halten“, brummte der Elb. Er deutete mit dem Daumen hinter sich auf zwei etwas kleiner wirkende Rüstungen, die auch schon mit Schulterschutz, Arm- und Beinschienen versehen waren. „Je nach euren Kampfstil. Genietetes Leder für Beweglichkeit, oder ein Stahlkürass für die Schlacht. Für Extrawünsche müsstet ihr zu Herrn Amarin gehen, er hat auch eure Maße genommen.“
„Oh“, machte Adrienne und klang tatsächlich erstaunt, „Danke.“
Der Elb brummte etwas Unverständliches in einer unbekannten Sprache, sagte aber dann etwas unwirsch: „Unterkleidung und dergleichen sind in der Truhe links von den Streithämmern. Hosen und Beinbekleidung in der Kiste links von der Tür. Ich empfehle eine mehrschichtige Lederhose.“
Valena hob überrascht eine Braue und wandte den Kopf langsam zu Adrienne. Wäre sie so verrückt ohne Unterkleidung herzumzulaufen? Eine leise Stimme in ihrem Kopf stimmte dem zu. Valena schloss genervt die Augen, hörte aber wie Adrienne die Truhe öffnete und sich die übrigen Kleidungs- und Ausrüstungstücke zusammensuchte, die der Elb ihr beschrieb wo sie zu finden waren.

Jemand tippte ihr dann nach einer kurze Weile auf die Schulter. Adrienne stand vor ihr, einen Berg Ausrüstung auf beiden Armen, neben ihr der etwas garstige Elb. Erst jetzt bemerkte sie, dass eines seiner Hosenbeine ins Leere ging und er auf einem Bein balancierte. Rasch fixierte sie seine Narbe, den missbilligenden Blick vermeidend.
„Besser Ihr helft ihr, Dame Valena“, brummte der Elb und hielt sich an einer Kiste fest, als er zu seinem Tisch zurückkehrte, „Damit sie wenigstens etwas in Würde herumläuft. Und jetzt lasst mich alleine, ich habe noch sehr viel zu tun.“
Valena kam der Aufforderung gerne nach und verließ recht eilig das Arbeitszimmer des unwirschen Elben. Adrienne folgte ihr auf dem Fuß. Auf dem Korridor tauschten sie einen Blick. Scheinbar hatte auch sie auch noch nie so eine Begegnung gehabt.
„Dann wollen wir dich mal einkleiden“, schlug Valena mit einem Blick auf dem genieteten Lederharnisch vor.
Adrienne brummte zustimmend und nickte zu dem Nachbarraum, dessen Tür einige Schritte weiterlag.
Vielleicht war sie doch nicht so verloren wie sie dachte. Aber stark war sie, fiel ihr auf. Allein das Kettenhemd auf ihren Armen wog einiges, ging es ihr durch den Kopf als sie in einen leeren Raum traten. Er besaß keine Fenster und schien erst vor kurzem fertig gestellt worden zu sein.
Sie wechselten keine weiteren Wörter, während Valena Adrienne half sich anzukleiden und die Rüstung anzulegen. Sie bemerkte drei gewaltige Narben, wobei eine sich quer über den Oberkörper zog. Auch sonst war der Körper ihrer Mitschülerin so sehr gezeichnet, als ob sie hunderte Schlachten erlebt hatte. Überall waren feine weiße Narben von Schnitten, Stichen und anderen alten Wunden.
Als sie fertig waren, blickte Adrienne zweifelnd an sich herab. „Ich würde es schätzen, wenn du das was du gesehen hast für dich behältst.“ Ihr Blick traf Valena und sich wirkte das erste Mal nicht abweisend, „Manche Augen lassen sich leider nicht täuschen. Du hast einen starken Blick.“ Ein Anflug eines Lächelns lag in ihren Augen, der rasch verschwand, als sie ihr den Mantel zurückgab, doch Valena schüttelte den Kopf.
„Behalte ihn. Als Entschädigung für unsere… missglückte erste Begegnung.“
Adrienne legte kurz den Kopf schief, nickte aber dann. „Wenn du es so willst.“ Sie zögerte kurz und setzte nach: „Er wird mir gute Dienste leisten.“ Sie ging an ihr vorbei und öffnete die Tür, „Ich werde dir diesen Dienst erwidern.“ Mit den Worten fiel die Tür wieder zu.
Valena blickte mit einem verwirrten Gesichtsausdruck auf die Tür und schüttelte den Kopf. Eine eigenwillige Art sich zu bedanken, aber der Gedanke zählt. Wer weiß was sie erlebt hat...