Am Abend des selbem Tages rastete die Reisegemeinschaft ein kleines Stück südlich der Straße an einem windgeschützten Platz. Ein ausgetrockneter Bach verlief in der Nähe, dennoch wurde die Umgebung langsam grüner und bewachsener.
Eine willkomene Abwechslung zur felsigen Einöde der Wetterberge, dachte Kerry, die am Ufer des Baches stand und abwesend in die Ferne blickte. Schon begann es zu dämmern und die ersten Sterne wurden sichtbar.
Es ist nicht mehr weit bis Bree. Sie freute sich darauf, denn sie besuchte die Stadt gerne und hatte dort einige Bekanntschaften. Als sie erfahren hatte, dass man die Gasthäuser im Allgemeinen und das Tänzelnde Pony im Besonderen geschlossen hatte war sie sehr aufgebracht gewesen, denn sie war dort immer gerne zu Besuch gewesen seitdem sie nach Norden gekommen war. Schon immer hatte sie sich am liebsten mit fröhlichen Leuten umgeben und Gesang und Heiterkeit genossen. Ihre frühsten Kindheitserinnerungen beinhalteten den Klang einer Laute und von zwei Stimmen, eine tief und fröhlich, die andere hoch und samten.
Ohne dass sie es verhindern konnte war sie unvermittelt wieder an jenem Ort:
Eine Festung, hoch oben in den Wolken. Die siegreiche Rückkehr der Helden. Die hoffnungsvolle Stimmung am Tag, an dem die Soldaten gegen den Feind ausgerückt waren. Und dann das böse Erwachen in den Wochen darauf. Ich bin gerannt und gerannt, und habe nie zurückgeblickt. Denn dort gibt es nichts mehr für mich. Alles was ich habe - alles was ich brauche - ist hier. In Arnor.
Als sie an das Land dachte, fiel ihr ein altes Gedicht ein, das sie vor einigen Jahren über dessen Bewohner gehört hatte:
Hohe Schiffe, hohe Herrscher,
Drei mal drei,
Was brachten sie aus versunkenem Land
Über das flutende Meer?
Sieben Sterne und sieben Steine
Und einen weißen Baum.
Eine Berührung an der Schulter riss sie aus ihren Gedanken, und sie stieß einen erschrockenen Schrei aus.
"Maggie! Du hast mich beinahe zu Tode erschreckt!"
"Tut mir Leid!", kam die Antwort. "Ich wusste nicht, dass du mit offenen Augen schläfst, Kerra."
"Ich habe nicht... ich habe die Sterne beobachtet!"
"Sicher hast du das," tat ihre Freundin die Bemerkung ab. "Sieh mal, wer hier ist!"
Erst jetzt sah Kerry den Elb der mit Magrochil gekommen war.
"Ach, du wieder," sagte sie, denn es war der Reiter mit dem sie am Vormittag gesprochen hatte. "Der Pferdefreund."
"Eigentlich ist mein Name Lindir," gab der Elb zurück und schmunzelte. "Allerdings habe ich schon gehört, dass ein jeder es erwarten kann, von dir einen besonderen Spitznamen zu erhalten, Kerevalline."
Sie blickte ihn wütend an. "Ich frage mich, woher du all dieses Wissen über mich hast," sagte sie misstrauisch.
"Man hört so einiges unter den Wanderern in der Wildnis, zu denen unter anderem mein guter Freund Rilmir von den Dúnedain gehört. Mehr als deinen Namen und eine grobe Beschreibung weiß ich aber nicht. Rilmir hat mir nur erzählt, mit wem er gerne durch die Lande reist."
"Er hat gesagt er reist gerne mit mir?" fragte sie eilig nach.
"Nun... mit dir, dem guten Lónar und mit Magrochil," sagte Lindir, der wohl nicht ganz wusste was er von ihrer Frage halten sollte.
Magrochil lachte. "Du bist so offensichtlich, Kerra."
"Bin ich überhaupt nicht!" wehrte diese sich. "Erzähl uns doch bitte etwas mehr über den Grund eurer Reise, Pferdefreund. Was genau wollt ihr im Auenland?"
"Hast du vorhin nicht aufgepasst?" warf Magrochil ein, doch Lindir hob die Hand und lächelte. "Ich werde die Tatsache dass dies wohl ein Versuch ist, von einem anscheinend heiklen Thema abzulenken außer Acht lassen. Wir bringen den Halbling Bilbo Beutlin zurück in seine Heimat, die er verlassen hatte um bei uns in Imladris zu leben. Er war ein außergewöhnlicher Hobbit und ein guter Freund," fügte er mit ernster Stimme hinzu.
"Ihr wollt also mit einem toten Hobbit im Gepäck einfach so ins Auenland platzen? Keine gute Idee," sagte Kerry.
"Oh, wir kennen einige verborgene Pfade. Die Leute werden uns kaum bemerken."
"Das hoffe ich für euch. Dort hat sich in den letzten Jahren einiges geändert."
Lindir setzte sich mit den beiden Mädchen an eines der nahen Feuer, denn die Elben hatten mehrere angezündet, die seltsamerweise kaum zu rauchen schienen. Auch warfen sie kein weit scheinendes Licht, spendeten aber dennoch ausreichend Wärme.
Diese Elben, dachte Kerry. Für alles scheinen sie eine Lösung zu haben.
Sie unterhielten sich einige Zeit mit Lindir über dies und das. Schließlich fragte er sie, wo sie ursprünglich herkamen.
"Ich stamme aus Arandol," sagte Magrochil. "Es ist eine kleine Stadt in den Pinnath Gelin. Fürst Elatan lebt dort mit seinem Gefolge. Meine Eltern sind reiche Grundbesitzer aus der Umgebung und haben ein großes Haus in Arandol. Es ist beinahe schon ein Palast. Dort bin ich aufgewachsen."
"Wieso kamst du in den Norden?" wollte Lindir wissen.
"Ich wollte ein Abenteuer erleben," antwortete Magrochil schulterzuckend. "Ich schloss mich einer Gruppe Flüchtlinge aus dem Osten Gondors an, die durch die Stadt zogen und auf dem Weg nach Arnor waren. Doch jetzt, wo Enedwaith und die Gegenden südlich des Breelandes immer unsicherer werden kann ich nicht mehr zurück. Nicht dass ich das wollte. Ich bin nicht geschaffen für das Leben einer Dame am Hofe irgend eines Fürsten oder Statthalters."
Lindir nickte. "Du bist mutig, Magrochil. Ohne Sorgen kamst du hierher und gabst den Reichtum deiner Familie auf. Das war keine leichtfertige Entscheidung."
Er schwieg einen Moment und wandte sich dann Kerry zu. "Was ist mit dir? Was ist deine Geschichte?"
"Oh, da gibt es nicht viel zu erzählen," entgegnete sie leichthin. "Ich habe in Archet ein Huhn gestohlen und bin seitdem auf der Flucht vor dem Gesetz."
"Du hast ein Huhn gestohlen?" fragte er ungläubig.
"Nicht irgendein Huhn. Das Lieblingshuhn des Ortsvorstehers. Es war was ganz Besonderes, denn es legte goldene Eier. Es hatte..."
"Schon gut, schon gut," unterbrach Lindir ihre Erzählung lachend. "Ich sehe, dass du deine Vergangenheit noch niemandem preisgeben willst. So sei es denn. Aber mein Herz sagt mir, dass du erst Frieden finden wirst wenn du deine Last mit jemandem teilst."
Kerry blickte als Antwort nur schweigend in die Flammen des Lagerfeuers.
Kurz darauf löschten sie die Feuer und stellten Wachposten auf. Am folgenden Tag würden sie Bree, die große Menschenstadt im Norden erreichen.
Arwen, Lindir, Kerry, Rilmir, Lónar, Magrochil und die Elben von Imladris nach Bree und Umgebung (http://forum.modding-union.com/index.php/topic,29211.msg405706.html#msg405706)