Name: Aldoc Tuk
Geschlecht: Männlich
Rasse: Hobbit
Alter: 32 (geboren 2990 D.Z.)
Geburtsort: Tuckbergen (Auenland)
Start: Dunland (http://forum.modding-union.com/index.php/topic,29059.msg369355.html#msg369355)
Aussehen:
Aldoc zählt mit seinen über 4 Fuß zu den größeren Hobbits. Er ist (für Hobbit-Maßstäbe) ziemlich schlank und auch ein wenig muskulös. Er besitzt grüne Augen und schwarzes Haar, sowie eine kleine Narbe unter dem rechten Auge, die er sich bei einem seiner "Abenteuer" zugezogen hat.
Charakter:
Aldoc ist für einen Hobbit ziemlich abenteuerlustig, was wahrscheinlich an seinem Tuk-Blut liegt, und zeigt zudem auch eine Menge Mut, vor allem wenn es darum geht, etwas neues zu wagen. Er gibt so gut wie nie auf, sondern sucht immer nach einem Ausweg, auch wenn die Situation ausweglos scheint. Er ordnet sich nicht gerne unter, da er sich sonst in seiner Freiheit eingeschränkt fühlt, aber kann dennoch Befehle befolgen, wenn er die Notwendigkeit dazu sieht. Außerdem hört er bei Gesprächen zumeist erst zu, bevor er seine eigenen Gedanken äußert. Schon seit dem Kindesalter ist Aldoc fasziniert von Elben und Zwergen. Er bewundert sie und ihre Handwerkskunst und liebt Geschichten über diese Wesen und über fremde Länder, weshalb er auch stets ein begeisterter Zuhörer bei Bilbos Erzählungen ist.
Allerdings hält sich Aldoc nicht gerne an Orten auf, an denen es viele Leute auf engem Raum gibt. Von solcherart Ansammlungen, wie es sie zum Beispiel auf Festen, in Großstädten oder Heeren gibt, hält er sich wenn möglich fern. Auch gibt es eine Sache, die seinem Mut entgegenwirken kann: Wölfe, vor denen er aufgrund eines traumatischen Erlebnisses in seiner Kindheit eine höllische Angst hat.
Fertigkeiten:
+Gut im Schleichen
+Mutig (kann in Gefahrensituationen die Ruhe bewahren)
+Kann Lesen und Schreiben
+Spricht Quenya und Sindarin
+Kann schwimmen
-Durch seine Abenteuerlust bringt er sich oft selbst in Gefahr
-Kann gerade gut genug mit Schwert und Bogen umgehen, um im Kampf nicht vollkommen verloren zu sein, aber es gibt sehr viele wesentlich bessere Krieger
-Ungeeignet als Soldat in einem Heer, da er große Menschenmengen nicht mag und sich zu eingeengt fühlen würde, um ordentlich zu kämpfen
-Angst vor Wölfen
Ausrüstung:
-Gemütliche Reisekleidung
-Ein Kurzschwert aus Mithlond
-Ein Hobbitbogen
-Pony "Bert"
-Satteltaschen und Rucksack mit Proviant und Landkarten
-Pfeifenkraut und Pfeife
Geschichte:
Die Geschichte als PDF (https://www.dropbox.com/s/92y5a153kzmau2b/Aldoc_Geschichte.pdf?dl=0)
Aldoc erklomm den Hügel, dessen steiler, steiniger Hang von den Wurzeln der Bäume durchzogen war, die hier überall wuchsen. Der Hobbit nutzte diese Wurzeln für den Aufstieg, ergriff sie und zog sich an ihnen hoch, während er seine nackten Füße in den Boden stemmte, um nicht abzurutschen.
Die Erde unter seinen lederartigen Sohlen war feucht vom Regen der vorangegangenen Nacht, noch immer hingen schwarze Wolken drohend am Himmel und trübten das Licht der mittaglichen Sonne. Hier im Schatten der Bäume würde sich die Feuchtigkeit noch lange halten, aber Aldoc störte sich nicht daran.
Für ihn zählte nur das Ziel, und das war der höchste Punkt des Hügels, der schon eher einem kleinen Berg ähnelte. Nun ja, richtige Berge hatte er noch nie gesehen, mit seinen neun Jahren war er noch nicht viel herumgekommen, aber der alte Bilbo von Beutelsend, der erzählte immerzu von den nebligen Bergen im Osten.
Höher als alles, was ihr euch vorstellen könnt, so beschrieb er sie immer, wenn er wieder mal eine seiner Geschichten zum Besten gab. Dann schüttelten die Erwachsenen nur den Kopf und murmelten etwas davon, wie seltsam dieser Bilbo doch sei, wohingegen die Kinder nur gebannt an seinen Lippen hingen.
Aldoc hätte so gerne einmal Berge gesehen, richtige, große Berge, nicht die Hügel im Auenland, die einer wie der andere waren. Eines Tages, so schwor er sich, würde auch er auf ein großes Abenteuer gehen, genau wie Bilbo Beutlin! Das hatte er auch seiner Mutter gesagt, die daraufhin herzhaft gelacht hatte. "Wirklich, Aldoc, du bist ein Tuk durch und durch."
Vater hingegen schien nicht sehr begeistert von den Ideen seines Sohnes zu sein. Obwohl er auch den Namen Tuk trug, zog er ein gemütliches Leben vor, wie die Boffins und Bolgers und Hornbläsers und wie die langweiligeren Hobbit-Familien alle hießen, die lieber zuhause Pfeife rauchten, anstatt hinaus in die Natur zu gehen und Abenteuer zu erleben.
Endlich erreichte Aldoc den Gipfel des Hügels und befand sich weit über dem Rest des Umlandes, welches er von hier aus wunderbar überblicken konnte. In der Ferne sah er den Rauch aus den Schornsteinen von Wasserau aufsteigen. Eigentlich lebten seine Eltern wie die meisten Tuks in Tuckbergen, aber hin und wieder hatte sein Vater Reginard an anderen Orten des Auenlandes zu tun und Aldoc begleitete ihn zumeist auf seinen Reisen.
Beim ersten Mal, als sie gemeinsam losgezogen waren, hatte er ganz ungeduldig immer wieder gefragt, wann sie denn zu den Trollhöhen kämen, oder zum letzten heimeligen Haus. Nach einiger Zeit hatte sein Vater genervt geantwortet: "Gar nicht! Du hast dem alten Bilbo viel zu lange zugehört. Du kommst niemals zu irgendeinem letzten Haus!"
Daraufhin war er fortgelaufen und hatte sich auf einem nahen Baum versteckt, wo sein Vater ihn Stunden später fand. Sein Zorn war gewaltig, das war ihm anzusehen, er wechselte an jenem Tag kein Wort mehr mit seinem Sohn und nahm ihn erst ein ganzes Jahr später wieder auf eine Reise mit.
Während sein Vater also in Wasserau zu tun hatte, streifte Aldoc durch die Umgebung, erforschte jeden Hügel, den er finden konnte, und stellte sich vor, in der Ferne die Nebelberge zu sehen, mit dem letzten heimeligen Haus im verborgenen Tal an der westlichen Flanke der Berge. Und dahinter der große Düsterwald und der einsame Berg mit der Stadt Thal vor seinen Toren. Nichts hätte er lieber getan, als dorthin zu reisen, ins große Reich der Zwerge, wo bisher nur ein einziger Hobbit gewesen war.
So sehr war er in seine Gedanken versunken, dass er die beiden gelben Augen, die ihn aus dem Unterholz musterten, zuerst gar nicht bemerkte. Als die Bestie jedoch schließlich mit leisen Schritten auf ihn zukam, die Zähne fletschte und ihn bedrohlich anknurrte, wurde er aus seinen Tagträumen vom Erebor gerissen und starrte entsetzt auf den Wolf, der keine zwei Meter vor ihm stand und ganz und gar nicht freundlich wirkte.
Ängstlich wich Aldoc einen Schritt zurück, aber der graue Wolf folgte ihm und kam immer Näher. Der Hobbit stieß mit dem Rücken gegen einen Baum, sodass er gefangen war zwischen ihm und der Bestie. Er hob die Hände schützend vor sich. "Ich bin nicht lecker, nein, bin ich nicht!", schrie er panisch. "Lass mich in Ruhe."
Der Wolf schien durch sein Geschrei nur noch wütender zu werden und schnappte nach dem jungen Halbling. Der Kiefer des Ungetüms schloss sich um einen kleinen Arm, unsäglicher Schmerz brachte Aldoc zum Kreischen, doch der Wolf ließ nicht locker.
Dann krachte auf einmal etwas silbernes auf die Schnauze des zornigen Tiers, das seine Beute losließ und sich der neuen Gefahr in Gestalt eines Hobbits mit Schwert stellte. Der unverhoffte Retter wedelte mit der Klinge vor den Augen des Wolfes herum und wirkte nicht einmal ansatzweise eingeschüchtert. "Ja, ja, an kleinen Kindern kannst du dich gütlich tun, aber jetzt bist du nicht Manns genug, mich anzugreifen?", rief der Hobbit herausfordernd. "Hau ab, du blödes Vieh, ich habe schon Wölfe brennen sehen, die waren drei Mal so groß wie du!"
Der Wolf duckte sich, wich aber nicht zurück, sondern knurrte den plötzlich aufgetauchten Feind an, der sich davon wenig beeindruckt zeigte und dem Raubtier ein weiteres Mal mit der Breitseite des Schwertes auf die Schnauze schlug. Gepeinigt jaulte der Wolf auf und zog sich nun endlich ein wenig zurück, bevor er sich komplett umdrehte und das Weite suchte.
Der Hobbit steckte das Schwert zurück in die Scheide an seinem Gürtel. Er besaß krauses Haar und ein rundliches Gesicht. Einfache Reisekleidung trug er, dieser kühne Hobbit, und einen Wanderstock hielt er in der linken Hand, ein Rucksack hing an seinem Rücken. Aldoc konnte nicht glauben, wer ihm da so unerwartet zu Hilfe gekommen war. "Herr Beutlin?", fragte der Junge ungläubig.
"Ruhig, mein Kind, lass mich das mal ansehen", sagte Bilbo und beugte sich zu ihm herunter. Er warf nur einen kurzen Blick auf die Wunde am Arm, dann nickte er geistesabwesend. "Er hat dich nicht schlimm erwischt. Die Wunde muss gereinigt und verbunden werden, aber es sollte schnell heilen. Du hast viel Glück gehabt, weist du das?" Der ältere Hobbit schüttelte den Kopf. "Ein Wolf, der so nahe an einer Siedlung ein Kind angreift, unglaublich. Entweder war er sehr, sehr hungrig oder etwas hat ihn aufgehetzt. Hat auf mich so launisch wie ein Warg gewirkt."
"Ein Warg?", fragte Aldoc, der dieses Wort nicht kannte.
"Ein sehr großer, aggressiver Wolf", erklärte Bilbo. "Üble Biester, diese Warge, Orks reiten auf ihnen. Steh auf, wir gehen nach Wasserau zu deinen Eltern."
"Da ist nur mein Vater", erklärte Aldoc dem Abenteurer. "Eigentlich wohnen wir in Tuckbergen. Ich bin nämlich ein echter Tuk, Herr Beutlin! Ein Urururenkel vom Alten Tuk!"
Der junge Hobbit stand mit Bilbos Hilfe auf. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zurück nach Wasserau. Aldoc wusste, dass sein Vater sehr wütend werden würde, sobald er erfuhr, was geschehen war, aber davor fürchtete er sich nicht. Wenn er jedoch an die Begegnung mit dem Wolf zurückdachte, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Lieber ertrug er zehn Mal eine Strafe seines Vaters, als dass er noch einmal dieser Bestie begegnete.
"Was hast du eigentlich bei dem Hügel gemacht, Herr Beutlin?", wollte Aldoc wissen.
"Ach..." Bilbo kratzte sich am Kopf. "Ich hab nur einen kleinen Spaziergang unternommen, mehr nicht. Du kannst froh sein, dass ich zufällig vorbeigekommen bin."
"Einen Spaziergang?" Das schien ihm nicht gerade logisch zu sein. "Von Hobbingen bis hierher?" Das war eine ziemlich weite Strecke für einen gewöhnlichen, kurzen "Hobbit-Spaziergang". Zumindest für die Verhältnisse normaler Hobbits. Bilbo war nicht normal, so viel war sicher.
"Nun, vielleicht wollte ich nicht mehr nach Hobbingen zurückgehen", gestand dieser.
"Du wolltest wieder auf ein Abenteuer gehen!", rief Aldoc aufgeregt. "Zum einsamen Berg, um einen Drachen zu töten?"
"Es gibt keinen Drachen mehr im Erebor", berichtigte der ältere Hobbit ihn.
"Oh..." Natürlich, Drachen waren Einzelgänger, er hätte sofort wissen müssen, dass es dort nur einen gegeben hatte! "Aber Spinnen, im Düsterwald, die gibt es noch, oder?"
"Ja, vermutlich schon, aber ich wüsste nicht, warum das wich..."
"Ich würde gerne mal so eine große Spinne sehen. Das muss sicher total aufregend sein!"
"Eklige Biester, diese Spinnen. Habe ich dir eigentlich schon Mal erzählt, wie mein Schwert seinen Namen "Stich" bekommen hat?"
Aldoc nickte heftig. "Ja, schon zwei Mal, aber erzähle es mir bitte trotzdem nochmal, Herr Beutlin!"
Bilbo seufzte resigniert. "Ich verliere langsam den Überblick, was ich welchem Kind im Auenland schon alles erzählt habe... also gut, ich erzähle es dir. Nachdem die dreizehn Zwerge unserer Gemeinschaft und ich uns am Saum des Düsterwaldes von Gandalf getrennt hatten, betraten wir diesen einst wundervollen Wald, der von einer dunklen Macht korrumpiert worden war..."
So viele waren gekommen! Wo man auch hinsah, tummelten sich Hobbits aus allen Gegenden des Auenlandes. Tuks von Tuckbergen, Boffins und Bolgers, der Alte Ohm und Willi Weißfuß, Bürgermeister von Michelbinge, und dann waren da natürlich noch die Sackheim-Beutlins, nahe Verwandte des alten Bilbo. Aber das war noch nicht alles, denn sogar aus Bockland waren Gäste gekommen, Brandybocks vom Brandygut beim Brandywein-Fluss. Aldoc hatte kurz Merry hier irgendwo gesehen, mit dem er entfernt verwandt war, da Merrys Mutter eine geborene Tuk war.
Ja, so viele Hobbits, überall saßen und liefen sie auf dem vollen Festplatz, und Aldoc mitten unter ihnen. Wie er das hasste! Große Mengen an Leuten bereiteten ihm einiges an Unbehagen. Er fühlte sich eingeengt, wie gefangen in einer engen Kerkerzelle, aus der es vorerst kein Entrinnen gab. Aber alle waren hier, bestimmt mehr als das halbe Auenland, also auch er.
Seine Beklemmung nahm stetig zu, während er über die Festwiese schritt und nach einem Ort suchte, an dem er allein und ungestört sein konnte, ohne die lästige, laute Gesellschaft unzähliger Hobbits, deren Gespräche sich hauptsächlich um die Frage drehten, welche unnützen Mathoms sie von Bilbo bekommen hatten.
Am Geburtstag eines Hobbits war es üblich, dass der Feiernde Geschenke an seine Gäste verteilte. Daher stand Herr Beutlin, der an diesem Tag seinen einundelfzigsten Geburtstag feierte, am Rande der Festwiese, begrüßte geladene und ungeladene Gäste und verteilte ein Geschenk nach dem anderen, meist Mathoms, nutzlose Gegenstände, die man zuhauf in jedem Smial fand, die den meisten Auenlandbewohnern jedoch zu schade zum Wegwerfen waren.
Natürlich war auch Aldocs Familie vom alten Bilbo herzlich begrüßt worden, all die Tuks aus dem Tukland. Ferumbras, der als nächstes Thain werden würde, Paladin Tuk mit Frau und Kindern und natürlich Adelard und Reginard, Großvater und Vater von Aldoc. Es gab noch viele Tuks mehr auf der Feier, aber Aldoc war nicht in der Stimmung, sie alle aufzuzählen.
Viel lieber dachte er daran, wie er von Herrn Beutlin begrüßt worden war. "Willkommen auf der Feier zu meinem einundelfzigsten Geburtstag!", hatte Bilbo Adelard und Reginard fröhlich gegrüßt und ihnen jeweils ein Geschenk überreicht. Dann war sein Blick zu Aldoc gewandert, der sichtlich nervös vom einen Bein auf das andere getreten war. "Na, an dich erinnere ich mich sehr gut!", waren Bilbos nächste Worte gewesen. "Der Junge, der mit dem Wolf aneinander geraten ist, nicht wahr? Für dich habe ich ein ganz besonderes Geschenk." Damit holte er einen weißen, spitzen Gegenstand hervor, der Aldoc entfernt an einen Dolch erinnerte, nur viel kleiner, aber nicht weniger gefährlich. Irgendwie rief der Gegenstand einen Zustand der Aufregung bei ihm hervor, der nicht von den vielen Leuten in seiner direkten Umgebung stammen konnte.
"Was ist das?", fragte der junge Hobbit und Bilbo antwortete: "Der Zahn eines Wargs. Davon gab es unzählige beim Erebor nach der Schlacht der fünf Heere. Hier nimm ihn."
Und so besaß Aldoc nun einen Zahn von einem großen, blutrünstigen Wolf, der vor langem in einer Schlacht weit weg vom Auenland verschieden war. Unwillkürlich legte er die Hand auf den Beutel an seinem Gürtel, wo er den Zahn hineingelegt hatte, woraufhin ihm die Anwesenheit so vieler Hobbits nicht mehr ganz so einengend vorkam. Dafür erfasste ihn ein ganz anderes Gefühl, das eher der Angst glich, die er dem Wolf gegenüber verspürt hatte, aber mit dieser Art der Furcht konnte er fertig werden.
Nach einiger Zeit, es war schon dunkel, das Festmahl war soeben vorbei, erhob sich Bilbo, um eine Rede zu halten, wie es nach dem Mahl auf einer Feier Sitte war. Aldoc richtete seine volle Aufmerksamkeit auf den alten Mann, der gar nicht so alt wirkte, und hörte gespannt zu.
"Meine lieben Leute", begann Herr Beutlin. Nach einigen Zwischenrufen ging er unter einen hell von Laternen erleuchteten Baum, wo er von neuem begann. "Meine lieben Beutlins und Boffins. Und meine lieben Tuks..." Aldoc fühlte sich direkt angesprochen, obwohl er wusste, dass seine ganze Familie gemeint war. "...und Brandybocks, Grubers und Pausbackens, Lochners und Hornbläsers und Bolgers, Straffgürtels, Gutleibs, Dachsbaus und Stolzfußens.."
"Stolzfüße!", kam ein Zwischenruf von einem älteren Hobbit. Aldoc warf ihm einen wütenden Blick zu, weil er hören wollte, was Bilbo zu sagen hatte, aber das bemerkte niemand, denn alle starrten nur gebannt auf den Gastgeber. Bilbo scherte sich nicht um den Einwand und fuhr fort:
"Stolzfußens. Außerdem meine guten Sackheim-Beutlins, die ich endlich wieder in Beutelsend willkommen heiße. Heute ist mein hundertelfter Geburtstag: einundelfzig bin ich heute!"
Jubelrufe kamen von den Zuhörern. Mussten die denn immer dazwischenfunken? Konnten sie nicht einfach still sein und Herrn Beutlin reden lassen? Der ließ sich wieder Mal nicht stören. "Ich hoffe, ihr freut euch ebenso sehr wie ich." Lauter Beifall, der Aldoc in den Ohren schmerzte, erklang. Einige bekundeten lauthals ihre Zustimmung, andere reifen spaßeshalber
nein. Ein paar Tuks und Brandybocks in seiner Nähe stellten geschwind ein Orchester auf und begannen einige fröhliche Lieder zu spielen. Konnte das etwa schon alles gewesen sein, die ganze Rede? Kein Wort von Abenteuern und großen Reisen? Enttäuscht stützte Aldoc den Kopf auf die Hände und war wohl der einzige Hobbit hier, der nicht in Feierlaune war. Plötzlich jedoch erklang drei Mal kurz hintereinander ein Horn, woraufhin wieder Stille einkehrte im Zelt. Bilbo war noch nicht fertig gewesen.
"Ich will euch nicht lange aufhalten!", versprach er den Anwesenden. "Ich habe euch alle aus einem bestimmten Grund zusammengerufen. Ja, eigentlich aus drei Gründen. Erstens vor allem, um euch zu sagen, dass ich euch alle unerhört gern habe und dass einundelfzig Jahre eine viel zu kurze Zeit sind, um unter so vortrefflichen und bewundernswerten Hobbits zu leben."
Der Beifall war so ohrenbetäubend, dass Aldoc sich die Ohren zuhielt, um nicht taub zu werden. "Ich kenne die Hälfte von euch nicht halb so gut, wie ich es gern möchte, und ich mag weniger als die Hälfte von euch auch nur halb so gern, wie ihr es verdient."
Schweigen und verhaltenes Klatschen. Adloc verstand nicht, was Bilbo da gesagt hatte, aber es klang aufregend. Bestimmt mochte der alte Gastgeber ihn!
"Zweitens", erklang Bilbos Stimme erneut. "Um meinen Geburtstag zu feiern. Eigentlich sollte ich sagen, UNSEREN Geburtstag. Denn es ist natürlich auch der Geburtstag meines Erben und Neffen Frodo. Heute wird er mündig und tritt sein Erbe an."
Aldoc kannte diesen Frodo vom Sehen her. Hatte wohl auch Tukblut in den Adern, das hatte er irgendwo einmal aufgeschnappt, aber ganz sicher war er sich nicht. Er suchte in der Menge nach dem erwähnten Erben des alten Herrn Beutlin, aber entdeckte ihn gerade nicht. Wie toll musste es sein, Bilbos Erbe zu sein und dieses Erbe heute... schlagartig wurde ihm bewusst, was Bilbo da gesagt hatte.
Frodo tritt sein Erbe heute an? Wie meint er das?"Zusammen sind wir hundertvierundvierzig Jahre alt. Die Zahl der Tischgenossen sollte dieser bemerkenswerten Gesamtsumme entsprechen: ein Gros, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf. Außerdem ist es, wenn ich die alte Geschichte erwähnen darf, der Jahrestag meiner Ankunft mit dem Fass in Esgaroth am Langen See; obwohl ich die Tatsache, dass es mein Geburtstag war, damals vergessen hatte. Ich wurde nämlich erst einundfünfzig, und in diesem Alter sind Geburtstage noch nicht so wichtig."
Da erwähnte er endlich seine Abenteuer, und anstatt sie zu erzählen, schweifte er ab und faselte etwas über die Wichtigkeit von Geburtstagen? Auf einmal erkannte Aldoc, dass diese Rede nicht mehr zu einer Geschichtsstunde mutieren würde, also sehnte er sich ihr Ende herbei. Schließlich sprach Bilbo noch vom Bankett in Esgaroth, bei dem er erkältet gewesen war, und bedankte sich noch einmal für die Anwesenheit seiner Gäste. Aldoc dachte sich indes nur, dass er doch endlich zum Punkt kommen sollte.
"Drittens und letztens", sagte Bilbo schließlich. "Möchte ich etwas KUNDTUN. Ich bedaure, es kundtun zu müssen, dass dies – auch wenn ich gesagt habe, einundelfzig Jahre in eurer Mitte seien eine viel zu kurze Zeit – das ENDE ist. Ich gehe nun. Ich verlasse euch JETZT.
LEBT WOHL!"
Dann stieg er vom Stuhl und verschwand in einem grellen Lichtblitz.
Aldocs erster, entsetzter Blick galt der Stelle, wo Herr Beutlin bis vor wenigen Sekunden gestanden hatte, sein zweiter Blick galt Gandalf, dem alten, bärtigen Zauberer in seinem grauen Mantel. Was hatte dieser Kerl mit Bilbo angestellt? Er musste es gewesen sein, außer ihm beherrschte hier niemand die Zauberei! Aldoc wollte schon wütend aufspringen und auf den Grauen Pilger deuten, da sah er die Besorgnis in dessen Gesicht.
Und mit diesem kurzen Zögern war die Gelegenheit auch schon verstrichen, Gandalf erhob sich von seinem Stuhl und verschwand in Richtung Beutelsend. Die restlichen Hobbits schienen das in der Aufregung, die auf Bilbos Verschwinden gefolgt war, gar nicht zu bemerken, aber Adloc sah es und fragte sich, was der alte Zauberer jetzt in Bilbos Smial wollte. Irgendetwas stimmte da ganz und gar nicht.
Jeder der anwesenden Hobbits redete nun aufgeregt mit seinen Nachbarn. Aldoc hörte etwas von einem "schlechten Streich" und dass der alte Bilbo einfach verrückt sei. Empören und Verwunderung waren die vorherrschenden Gefühle, wenngleich es einige, vor allem junge Hobbits gab, die die Vorstellung recht amüsant gefunden hatten. Schließlich verlangte der Großvater des jungen Merry von Frodo, er solle den Wein noch einmal kreisen lassen, und damit ging die Feier in gewisser Weise gewöhnlich weiter, das Hauptgesprächsthema war nun jedoch der Abschied von Bilbo.
Zu dieser Zeit verließ Aldoc das Fest und eilte geschwind nach Beutelsend, denn schon längst war ihm klar, wohin Herr Beutlin verschwunden sein musste. Auf einmal hörte er voraus im Dunkeln eine Stimme, die ein fröhliches Wanderlied sang:
Die Straße gleitet fort und fort,
Weg von der Tür, wo sie begann,
Weit überland, von Ort zu Ort,
Ich folge ihr, so gut ich kann.
Ihr lauf ich raschen Fußes nach,
Bis sie sich groß und breit verflicht.
Mit Weg und Wagnis tausendfach.
Und wohin dann? Ich weiß es nicht.
Da erkannte der junge Hobbit Bilbo, wie er mit seiner Reisekleidung, dem Wanderstab, dem Schwert Stich und dem Rucksack den Weg herunter kam, alles genau das selbe wie schon an jenem Tag, als er den Wolf in die Flucht geschlagen hatte. Als Bilbo des Jungen gewahr wurde, der auf dem Weg stand und ihm entgegen starrte, hielt er an und sagte: "Oh, na so was, sollten nicht noch alle auf dem Fest sein? Du bist Aldoc Tuk, nicht wahr? Ich habe einen Schirm für deinen Großvater zurückgelassen. Wusstest du, dass Adelard regelmäßig Schirme mitgehen ließ, wenn er in Beutelsend zu Besuch war?
Den Schirm kann er jedenfalls nun behalten!"
Aldoc interessierten irgendwelche blöden Schirme nicht. "Gehst du wieder auf ein Abenteuer, Herr Beutlin?"
"Es ist wohl eher eine Reise, wie weit sie mich führen wird, das weiß ich noch nicht", gestand der ältere Hobbit. "Aber wer weiß? Vielleicht wird noch das ein oder andere Aufregende geschehen? Im einen Moment wandert man noch auf sicherer Straße und schwupps! Auf einmal stolpert man in das nächste Abenteuer."
"Eines Tages werde ich dir folgen", versprach Aldoc. "Wenn ich alt genug bin, finde ich das letzte heimelige Haus und ich werde Spinnen töten und mit einem Drachen sprechen!"
"Aber sicher doch", sagte Bilbo lächelnd. "Wenn du nun so freundlich wärst, den Weg frei zu machen. Es ist schon spät und ich habe noch einen weiten Weg vor mir."
Aldoc trat schnell zur Seite und ließ den Abenteurer passieren. Mit ein wenig Melancholie blickte er seinem großen Vorbild hinterher. Irgendwie glaubte er, Bilbo nie wieder zu sehen.
Die Jahre zogen ins Land und Bilbo kehrte nicht zurück. Beutelsend ging an seinen Neffen Frodo, doch die Sackheim-Beutlins gaben die Hoffnung nicht auf und schielten weiter eifersüchtig auf die prächtige Hobbithöhle, die ihrer Meinung nach ihnen gehören sollte. Noch lange Zeit wurde von dem erstaunlichen Fest erzählt, im ganzen Auenland verbreitete sich die Geschichte von Bilbos verschwinden. Nur wenigen fiel dabei auf, dass Gandalf noch am selben Abend ebenfalls verschwunden war.
Aldoc indes hielt an seinem Entschluss fest, eines Tages ein Abenteurer wie Herr Beutlin zu werden, doch er hütete sich, diese Gedanken laut vor seinem Vater Reginard auszusprechen. Weniger schweigsam dagegen war er in der Gegenwart der anderen Tuk-Kinder, von denen die meisten ähnliches vorhatten.
Wie sich jedoch herausstellte, waren das alles nur leere Worte, die meisten wandten sich irgendwann von den Abenteuerträumen ab und fingen an, wie gewöhnliche, erwachsene Hobbits zu denken. Nur Peregrin schien Aldocs Gesinnung zu teilen, wenngleich es unwahrscheinlich war, dass er Aldoc begleiten würde, wenn dieser beschloss, das Auenland zu verlassen.
Deshalb schmiedete Aldoc heimlich seine eigenen Pläne, die er niemandem mitteilte. Er besorgte sich einen ordentlichen Rucksack, von dem er glaubte, er eignete sich für längere Reisen und versuchte, an gute Karten zu gelangen.
Dabei ereilte ihn jedoch die nächste Enttäuschung: Alle Karten, die er im Auenland finden konnte, reichten kaum über dessen Grenzen hinaus. Über Merry gelangte er zwar an eine Karte, die im Osten bis zu einer Siedlung namens Bree reichte, aber das war auch schon alles. Von den wundersamen Ländern aus Bilbos Erzählungen war auf diesen Karten nichts zu sehen.
Schließlich kam ihm eine gute Idee. Die Länder aus Bilbos Geschichten würden sicherlich auf Bilbos Karten verzeichnet sein! Wenn er also nicht alle davon mitgenommen hatte, gab es vielleicht noch welche in Beutelsend. Daher machte er sich auf nach Hobbingen und genoss auf dem Weg dorthin die idyllische Landschaft des Auenlandes mit seinen sanften Hügel und gemäßigten Wäldern.
Schließlich stand er eines Nachmittags vor der runden Tür von Beutelsend, deren Farbe bereits ein wenig verblasste. Wann die Tür wohl zuletzt gestrichen worden war? Ach, das waren Fragen für normale Hobbits, aber nicht für einen Abenteurer! Aldoc nahm all seinen Mut zusammen und betätigte die Klingel.
Kurz darauf wurde ihm die Tür von einem Hobbit in den besten Jahren geöffnet, mit hellem Haar und einem gespaltenen Kinn, der ihn aus klugen Augen musterte. Aldoc hatte Bilbos Neffen auf dessen Abschiedsfeier mehrmals gesehen, der neue Herr von Beutelsend war ein angesehener Hobbit, wenn man davon absah, dass er eine Zeit lang bei Bilbo gelebt und von diesem gelernt hatte, was manch einer tatsächlich als Makel bezeichnete.
Eben dieser Neffe – sein Name war Frodo Beutlin – stand ihm nun gegenüber und fragte höflich danach, was Aldoc von ihm wolle.
"Es tut mir leid, falls ich ungelegen komme, Herr Beutlin", sagte der junge Hobbit. "Aber ich habe gehofft, sie könnten mir da bei einer Sache behilflich sein."
"Ich helfe gerne", behauptete Frodo. "Nur musst du mir schon sagen, um was es geht, damit ich wirklich helfen kann."
"Mich faszinierten immer die Geschichten ihres Onkels", begann der junge Tuk sein Problem zu beschreiben. "Da fragte ich mich, wo genau diese Länder liegen, von denen er immerzu sprach. Aber auf den Karten, die ich bekommen konnte, sind nur das Auenland und Bockland verzeichnet. Ich habe mich also gefragt, ob sie nicht noch ein paar alte Karten vom Herrn Bilbo besitzen, die sie mir überlassen könnten. Ich würde sie auch bald wieder zurückgeben, nachdem ich sie abgezeichnet habe."
"Na dann, komm herein", forderte Frodo ihn freundlich auf. "Ich bin sicher, wir finden schon noch irgendeine alte Karte."
Das taten sie auch. Nachdem die Beiden fast eine ganze Stunde lang das Gerümpel durchstöbert hatten, welches sich in Beutelsend stapelte (Frodo hatte nach Bilbos Verschwinden nicht wirklich viel aufgeräumt), fanden sie schließlich tatsächlich ein vergilbtes Stück Papier, auf dem undeutlich eingezeichnete Berge, Flüsse und Wälder zu erkennen waren, sowie deren Namen in kleinen Schriftzeichen daneben.
"Das sind Tengwar", stellte Frodo erstaunt fest. "Elbische Schriftzeichen. Ich glaube, diese Karte würde dir nicht viel nutzen, wenn sie niemand übersetzt."
Aldoc betrachtete die wunderschön geschwungenen, anmutig wirkenden Zeichen und bedauerte, sie nicht lesen zu können. Er beherrschte durchaus Lesen und Schreiben, aber eben nur mit jenen Zeichen, die im Auenland gebräuchlich waren. "Kannst du das lesen?", wollte er von Herrn Beutlin wissen, dessen Antwort nur teilweise zufrieden stellend war. "Ein wenig. Aber ich bezweifle, dass ich dir von großem Nutzen sein kann. Wenn nur Gandalf hier wäre."
Der alte Zauberer war der letzte, den Aldoc nun sehen wollte. Obwohl er wusste, dass Gandalf nichts mit Bilbos Verschwinden zu tun hatte, hegte er seit jenem Abend eine leichte Abneigung gegen ihn. Sie war einfach so entstanden, ohne dass er es mit Logik hätte begründen können.
"Darf ich die Karte trotzdem abzeichnen? Auch wenn ich nicht entziffern kann, wie die Orte heißen, zeigt sie doch zumindest ein wesentlich größeres Gebiet als alle anderen meiner Karten."
"Ich wüsste nicht, warum ich sie dich nicht abzeichnen lassen sollte", gab Frodo seine Erlaubnis. "Nimm sie nur und lass dir Zeit. Ich werde auch in vielen Jahren noch hier sein."
Aber ich nicht, dachte sich Aldoc innerlich lächelnd. Mit dieser Karte beginnt mein Abenteuer.
Wenige Wochen später war er bereit.
Die Karte war kopiert, er hatte sie ihrem Besitzer bereits zurückgegeben, mit viel Mühe und Sorgfalt hatte er alle Linien, Symbole und sogar die Tengwar abgezeichnet, auch wenn er letztere nicht verstand. Danach hatte er die Karte einige Tage lang intensiv studiert und meinte nun, ziemlich sicher sagen zu können, wo dort das Auenland lag. Demnach schloss er, dass das große Gebirge im Osten die Nebelberge sein mussten, und hatte dementsprechend unter die Tengwar den Namen auch noch in Hobbit-Buchstaben niedergeschrieben.
So war er bei den meisten Orten vorgegangen, sodass nun vieles schon "übersetzt" war, auch wenn er sich bei manchem nicht sicher sein konnte, ob er es wirklich richtig zugeteilt hatte. Was das Auenland und Bockland anging, war er zuversichtlich, alles richtig entziffert zu haben, über diese Grenzen hinaus allerdings gab es nur wenige Orte wie die Nebelberge, von denen er ganz sicher sagen konnte, wie sie genannt wurden.
Am meisten hatte ihn der westliche Teil der Karte überrascht. Während Bilbo immer nur von den Orten im Osten seiner Heimat gesprochen hatte – von Bruchtal, dem Düsterwald, dem Erebor und vielem mehr –, beinhaltete die Karte auch noch andere Gegenden, welche Aldoc nicht kannte. So gab es auch ein großes Gebirge im Westen des Landes und sogar einige Städte, die sein Interesse weckten. Daher beschloss er, auch mal in die andere Richtung zu marschieren, nach Westen, zum großen Meer.
Vorerst lautete sein Ziel jedoch Bree. Er wusste, dass das kein sonderlich weiter Weg war, vermutlich nicht einmal weit genug, um etwas abenteuerliches zu erleben, aber es war ein guter Punkt, von dem aus er über den weiteren Verlauf seiner Reise entscheiden konnte. Außerdem schien es ihm unwahrscheinlich, dass er sich auf der Reise dorthin verirrte, denn immerhin war die Siedlung auch noch auf einigen der umfangreicheren Hobbit-Karten verzeichnet.
Bree also, wo Menschen und Hobbits gemeinsam lebten, dorthin würde ihn seine erste Reise außerhalb des Auenlandes führen. Mit gemischten Gefühlen dachte er an das, was ihm bevorstand, noch niemals hatte er das Auenland verlassen. So ungern Aldoc es zugab, so hatte er doch ein wenig Angst, die sich unterschwellig unter der freudigen Aufregung bemerkbar machte und ihm keine Ruhe ließ. Nichts sehnte er sich mehr herbei, als seiner tristen Heimat endlich zu entfliehen und sich nicht mehr die ewigen Vorträge seines Vaters über seine Pflichten gegenüber der Familie anhören zu müssen, aber er konnte einfach nicht umhin, sich vor einem Scheitern seines Vorhabens zu fürchten.
Aber jetzt konnte er keinen Rückzieher mehr machen. Die Reise war beschlossen und geplant, der Proviant gepackt, die Karten vorbereitet, der Weg festgelegt. Nun musste er es nur noch aus den Groß-Smials der Tuks und schließlich aus Tuckbergen heraus schaffen, ohne dabei bemerkt zu werden. In seiner Familie war es ein offenes Geheimnis, dass Reginard seinem Sohn verboten hatte, auf ein Abenteuer zu gehen. Aber Aldoc war nun zwanzig Jahre alt und konnte seine eigenen Entscheidungen treffen!
Dennoch war er kein Risiko eingegangen und hatte nur seinen besten Freund und entfernten Verwandten Peregrin, von vielen schlicht Pippin genannt, eingeweiht, und das auch nur nach einigem Hadern und Überlegen. Der wiederum hatte ihm garantiert, niemandem etwas über Aldocs heimlichen Aufbruch zu erzählen und danach dafür zu sorgen, dass nicht lange nach ihm gesucht werde. Natürlich würde Aldocs Vater toben vor Wut und er hoffte, dass seine Taten nicht negativ auf Pippin zurückfielen, aber Reginard würde sich früher oder später wieder beruhigen. Dennoch sehnte Aldoc die Begegnung mit seinem Vater bei seiner Rückkehr nicht gerade herbei.
Der junge Hobbit warf einen Blick aus dem runden Fenster seines Zimmers und beschloss, dass er lange genug gewartet hatte. Der Mond stand hoch am Himmel, Mitternacht war nicht mehr fern, die meisten Bewohner des Dorfes schliefen nun und jene, die es nicht taten, saßen in ihren Häusern und würden sich wohl kaum Gedanken darüber machen, wenn sie nach draußen sahen und einen gewöhnlichen Hobbit erblickten.
Leisen Fußes – niemand konnte sich lautloser Bewegen als ein Hobbit – schlich er sich zuerst aus seinem Zimmer, vorbei an der Tür des Schlafzimmers seiner Eltern und hin zur roten, runden Eingangstür der Hobbithöhle. Ohne die nächtliche Stille zu stören schwang sie auf, denn Aldoc hatte die Scharniere vor wenigen Tagen erst geölt, um ein verräterisches Knarren bei seinem Aufbruch zu vermeiden. Als er auf die Straße hinaus trat, konnte er sich ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen.
Er wandte sich nach Süden, wo der Rand der Siedlung am nächsten lag und marschierte los, während sich in seinem Inneren mit jedem Schritt eine größere Freude ausbreitete, zusammen mit dem aufgeregten Kribbeln der Abenteuerlust, welche die Angst vertrieb. Sobald er genug Distanz zwischen sich und Tuckbergen gebracht hätte, würde er sich nach Osten und Norden wenden und die alte Oststraße suchen, die auf direktem Wege nach Bree führte.
"Aldoc Tuk!", rief plötzlich eine hohe Stimme hinter ihm, die ihn ertappt zusammenzucken ließ. Aldoc blieb stehen, wagte es jedoch nicht, sich umzudrehen. Hatte sein Vater ihn etwa doch bemerkt? Nein, dazu war die Stimme zu hoch gewesen. Seine Mutter vielleicht? Die schlief für gewöhnlich so tief, dass man neben ihr eine Trommel hätte schlagen können, ohne dass sie aufgewacht wäre.
Schritte näherten sich über den breiten Weg, der mitten durch die Siedlung führte. Schließlich erklang die Stimme noch einmal direkt hinter ihm. "Wusste ich doch, dass du etwas im Schilde führst."
Nun endlich meinte er, die Stimme zu erkennen, und drehte sich überrascht um. Vor ihm stand ein Mädchen, nein, eine zierliche junge Frau, einen halben Fuß kleiner als er, und starrte verärgert zu ihm herauf. Das Lächeln auf ihren vollen Lippen nahm dem Ausdruck in den Augen jedoch den Stachel. Goldenes Haar, in dem sich eine rote Schleife befand, reichte ihr fast bis zur Hüfte und ein Duft nach Kräutern umgab sie und ihr wertvolles, purpurnes Kleid.
"Petunia?", fragte Aldoc überrascht, der den Blick nicht von ihrem Gesicht abwenden konnte. "Was machst du denn hier?"
Petunia Tuk, jüngste der drei älteren Schwestern seines Freundes Pippin, schnaubte ganz unmädchenhaft und erwiderte in spöttischem Ton: "Das gleiche wollte ich dich fragen. Auch wenn ich ahne, was das Ganze soll."
Mit tadelndem Blick musterte sie Aldocs Reisekleidung und den Wanderstab, der Bilbos Stab nachempfunden war, bevor ihre Augen schließlich zu dem Messer in seinem Gürtel wanderten. Normalerweise konnte der junge Abenteurer gut einschätzen, was andere Leute dachten, aber in diesem Moment rasten seine Gedanken zu sehr im Kopf umher, während ihm Petunias Nähe nur allzu bewusst war. Fünf Jahre älter als er war sie, aber was spielten fünf Jahre schon für eine Rolle?
"Hat Pippin es dir verraten?", brachte Aldoc schließlich heraus. Er verfluchte sich dafür, nicht mehr sagen zu können.
"Pippin weiß davon?" Verdammt. "Vielleicht sollte ich meinem kleinen Bruder dafür eine Rüge erteilen." Sie seufzte und schüttelte den Kopf. "Ich bin nicht dumm, Aldoc. Du hast dich seltsam verhalten in letzter Zeit, und dann dieser Besuch in Hobbingen, nur um eine Karte zu holen? Ich kenne dich. Du willst auf ein Abenteuer gehen. Reginard wird toben, wenn er davon erfährt."
"Wenn es so weit ist, bin ich schon längst über alle..." Eigentlich war nichts dabei, sich dieses alten Sprichwortes zu bedienen, aber irgendwie erschien es ihm nicht richtig, da es im Auenland keine Berge gab. "...in Bree."
"Nicht, wenn ich dich davon abhalte, eine Dummheit zu begehen. Was hat die Welt da draußen schon zu bieten?"
Alles, wollte Aldoc sagen, doch jetzt, da er genauer darüber nachdachte, fiel ihm die eine Sache auf, die die Welt nicht für ihn bereithielt. Mit auf einmal stark getrübter Laune betrachtete er Petunia und versuchte, es ihr zu erklären: "Es gibt nur... weniges, was mich hier hält. Das Auenland ist langweilig. Ich will nicht gemütlich in einer Wohnung sitzen, eine Familie gründen und Pfeife rauchen wie ein gewöhnlicher Hobbit. Ich will Berge sehen, und das Meer. Ich will Zwerge und Elben kennenlernen und gegen Orks und Trolle kämpfen. Ich bin wie der alte Herr Bilbo und ich ziehe nun in ein Abenteuer."
"Sind denn die Hügel unseres Landes nicht genug? Und die Seen und Flüsse? Hin und wieder sieht man hier Elben oder hört sie singen in der Nacht, wenn sie nach Westen ziehen, und auch Zwerge kommen gelegentlich hier durch. Und was die Kreaturen angeht, gegen die du so gerne kämpfen willst, solltest du bedenken, dass sie stärker sind als du und du sterben könntest. Dein Vater, so streng er auch sein mag, liebt dich, Aldoc, und er wäre am Boden zerstört, ganz zu schweigen von deiner Mutter... und auch ich würde um dich trauern. Du hast hier eine Familie, ob du es willst oder nicht. Stirb nicht fernab von deiner Heimat."
Ihre Worte trafen ihn härter, als er erwartet hatte, denn sie enthielten mehr Wahrheiten, als er in diesem Augenblick gebrauchen konnte. Aldoc bemerkte, dass Petunia Tränen in die Augen stiegen, auch wenn sie den Kopf abwandte und sich nichts anmerken lassen wollte. Er ertrug es nicht, sie so traurig zu sehen, aber er wollte die lang geplante Reise auch nicht abbrechen, ehe sie richtig begonnen hatte.
"Ich werde zurückkehren", durchbrach er das Schweigen schließlich. "Ich werde gehen, werde tun, wonach es mein Herz verlangt, aber wenn ich die Welt außerhalb des Auenlandes gesehen habe, komme ich zurück. Zurück... zu meiner Familie. Das verspreche ich dir, Petunia."
"Ich kann dich nicht von der Reise abhalten?" Aldoc schüttelte den Kopf und in Petunias Gesicht trat eine Härte, die er von ihr nicht kannte. "Na gut. Dann geh, Aldoc. Ich werde dir nicht im Weg stehen." Mit einem geschickten Handgriff löste sie die rote Schleife aus ihrem wunderschönen Haar und schnürte ihm das weiche Band um den rechten Arm. "Das soll dich an dein Versprechen erinnern. Wenn du nicht zurückkommst, solltest du den Tag fürchten, an dem wir uns wieder begegnen."
Mit diesen Worten wandte sie sich ab und rannte zurück nach Hause. Wie schon damals, als Bilbo gegangen war, hatte Aldoc das Gefühl, einen wichtigen Teil seines Lebens zu verlieren. Dennoch begann er sein erstes Abenteuer.
Aldoc Tuk brach in jener Nacht ohne weitere Zwischenfälle in Richtung Bree auf. Obwohl er frohen Mutes war ob des Abenteuers, das er zu erleben hoffte, war er nun auch fest entschlossen, irgendwann wieder heimzukehren. Hin und wieder zurück, genau wie Herr Beutlin.
Es dauerte gar nicht so lange, wie er erwartet hatte, um nach Bree zu gelangen. Er wurde einfach in die Stadt gelassen, die ihm zum damaligen Zeitpunkt so gewaltig erschien, dass er sich nicht vorstellen konnte, es könne noch größere und eindrucksvollere Städte geben. Nachdem er sich bei ortsansässigen Hobbits – die Menschen traute er sich nicht anzusprechen – nach einer Taverne erkundigt hatte, wurde er auf das Gasthaus Zum Tänzelnden Pony verwiesen, wo tatsächlich ein annehmbares Bier ausgeschenkt wurde und es sogar Zimmer in Hobbitgröße gab. Er verbrachte nicht viel Zeit im Schankraum, denn dort waren ihm zu viele Leute, sondern zog sich rasch auf sein Zimmer zurück und ließ sich sein Essen dorthin bringen. Die ganze erste Nacht in Bree brütete er über seinen Karten und überlegte, wohin er sich als nächstes wenden sollte.
Die Entscheidung fiel im letzten Endes doch nicht sehr schwer, bereits am nächsten Tag brach er gen Osten auf und ließ die Stadt der Menschen und Hobbits hinter sich, um in Bilbos Fußstapfen zu wandeln. Bruchtal lautete sein nächstes Ziel, das letzte heimelige Haus östlich der See.
Auf dem Weg nach Bruchtal brach ein heftiger Sturm über das Land herein, sodass Aldoc gezwungen war, sich schnellstens einen Unterschlupf zu suchen, um dem tobenden Wind zu entkommen, der Steine und Äste durch die Luft schleuderte. Er fand eine geräumige, aber leider stinkende Höhle, in der er sich ein kleines Feuer machte, um sich zu wärmen, und in der er schließlich auch nächtigte.
Am darauffolgenden Tag stieß er unweit der Höhle auf drei Trolle, große, grimmige Biester, die ihm wohl mit einer einzigen ihrer hässlichen Pranken hätten zerquetschen können – wenn sie denn noch am Leben gewesen wären. Nach dem ersten Schreck, der ihn beim Anblick der Monstren durchfuhr, erkannte er aus der Deckung des Busches heraus, in den er überhastet gesprungen war, dass die drei Trolle komplett aus Stein bestanden.
So also fand er Bilbos Steintrolle, die von Gandalf verzaubert worden waren, und bestaunte die beinahe noch lebendig wirkenden Statuen, die ihm einen solchen Schrecken eingejagt hatten. Und in diesem Moment beschloss Aldoc, dass er weit genug gegangen war, und kehrte zurück nach Bree und von dort aus ins Auenland, wo er nach dieser ersten, kurzen Reise schließlich an einem sonnigen Nachmittag wieder in Tuckbergen angelangte. Und – welch Überraschung – seine Besitztümer wurden noch nicht versteigert.
Wie vorhergesehen tobte sein Vater Reginard aufs Übelste, als Aldoc vor der Tür stand, und danach sprach er über eine Woche kein Wort mehr mit seinem Sohn. Aldocs Mutter dagegen schien einfach nur erleichtert über seine Rückkehr zu sein, ebenso Petunia, die ihn für die Einhaltung seines Versprechens lobte. Pippin dagegen wollte einfach nur hören, wie es ihm ergangen war und welche Abenteuer er erlebt hatte.
Keines, dachte Aldoc. Im Grunde bin ich nur ein wenig umher gewandert.
Den Rest des Jahres verbrachte er in Tuckbergen. Er erwarb ein eigenes Smial und zog aus der Hobbithöhle seiner Eltern aus. Noch immer wanderte er regelmäßig durch die Gegend, erklomm Hügel und kletterte auf Bäume, erschauderte, wenn die Wölfe heulten, und plante insgeheim seine nächste Reise.
Er war nicht bis nach Bruchtal gekommen, aber das war nicht schlimm, denn wenigstens die Steintrolle hatte er gesehen. Seine ersten Überlegungen gingen daher wieder in östliche Richtung. Erneut nach Bree, zu den Trollen und dieses Mal weiter nach Bruchtal? Das schien ihm eine gute Option zu sein. Andererseits hielt Bilbos Landkarte noch viele weitere Möglichkeiten bereit.
So vieles hatte er über die Länder im Osten gehört, so viele Geschichten und Fakten aus dem Munde seines großen Vorbildes. Lange Zeit hatte Aldoc davon geträumt, eines Tages die selben Wege zu beschreiten, doch nun, da er die Möglichkeit dazu besaß, bemerkte er erstmals, dass er viel lieber neue Orte entdecken wollte, an denen noch kein Hobbit vor ihm gewesen war.
Bruchtal war eine Option ja, aber Aldoc ließ seinen Finger auf der Karte nach Westen gleiten, bis er schließlich auf einer Stadt am Meer zu ruhen kam, deren Namen er zwar nach wie vor nicht entziffern konnte, die ihm aber dennoch als ein lohnenswertes Ziel erschien. Denn der junge Hobbit wollte das Meer sehen.
So kam es, dass er im Frühling des Jahres 1411 nach Auenland-Zeitrechnung das zweite Mal auf und davon war, dieses Mal, ohne von irgendjemandem bemerkt zu werden und auch ohne jemanden einzuweihen, nicht einmal Pippin. Oder eher vor allem nicht Pippin, nach dem, was das letzte Mal geschehen war. Aldoc glaubte einfach nicht daran, dass Petunia rein zufällig genau am richtigen Tag zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen war, um ihn abzufangen.
Der Weg nach Westen war – das stellte Aldoc schon bald nach seinem Aufbruch fest – wesentlich hügeliger, um nicht zu sagen bergiger als der Weg nach Osten. Obwohl die Oststraße laut der Karte bis zu jener Stadt führte, die er zu seinem neuen Ziel erkoren hatte, ereilte ihn schneller die Erschöpfung, da viele Passagen der Straße bergauf gingen. Das lag daran, dass sie mitten durch ein kleines Gebirge führte, die sogenannten Turmberge, die man vom Auenland aus noch sehen konnte.
Manches Mal erblickte er in der Ferne einen eindrucksvollen, hohen Turm, der weiß in der Sonne glänzte und höher schien als alle Gebäude in Bree. Wie ein Speer, der von einem mächtigen Wesen mit dem Schaft voran in den Boden gerammt worden war, stachen die Türme der Turmberge in die Höhe und erreichten dabei anscheinend sogar die Wolken.
Gerne hätte Aldoc sich einen dieser Türme aus der Nähe angesehen, aber sie waren sehr weit weg und er fand keinen richtigen Weg, der von der Straße zu ihnen abzweigte. Querfeldein über die Berge zu wandern war ihm dann allerdings doch zu riskant. Nächstes Mal, schwor er sich. Auf dem Rückweg such ich mir einen Pfad zu einem dieser Türme. Auch wenn es gefährlich ist. Petunia muss ja nichts davon erfahren.
Schließlich – es kam ihm vor wie eine halbe Ewigkeit – ließ er die Turmberge hinter sich. Das Land fiel ab und wurde langsam flacher, frischer Westwind kam vom Meer und zerzauste ihm die Haare. Der junge Hobbit schloss die Augen und genoss die kühle, salzige Brise. Die Stadt am Meer war nicht mehr fern.
Einige Tage später, nachdem er sich gerade einen kleinen Hügel hinauf gekämpft hatte, erblickte er die Stadt zum ersten Mal und erstarrte vor Staunen.
Die Stadt – später erfuhr er, dass sie Mithlond hieß, in der Gemeinsprache Graue Anfurten – war mehr als doppelt so groß und zehnmal so prächtig wie Bree, das er bisher für eine sehr große Siedlung gehalten hatte. Eine hohe Mauer umgab die Anfurten, deren graue Gebäude eher wie Kunstwerke als wie Wohnhäuser wirkten. Die meisten Ecken und Kanten waren abgerundet, viele Balkone erhoben sich über den Straßen, und alles bestand aus demselben grauen Gestein.
In der Ferne sah Aldoc das Meer glitzern, weiße Schiffe kreuzten auf dem ruhigen Wasser, liefen aus dem Hafen aus oder kehrten zu ihm zurück. Mehrere große Bauwerke, die der Hobbit nicht recht einordnen konnte, erhoben sich nahe an den Anlegestegen und besaßen teilweise eine direkte Verbindung zum Wasser. Vielleicht, so dachte er, wurden dort drinnen die Schiffe abgestellt, die an den Stegen keinen Platz mehr fanden. Oder dort wurden neue gebaut.
Staunend näherte er sich Mithlond von Osten her, während die Mauer immer mehr vor ihm in die Höhe wuchs. Von weitem sah sie schon eindrucksvoll aus, aber je näher er der Mauer kam, desto unglaublicher wirkte sie auf ihn. Wer konnte Stein so hoch aufschichten? Und wer wollte bitteschön so weit oben stehen?
Bald schon wurden ihm diese Fragen beantwortet, als er vor dem Tor der Grauen Anfurten stehen blieb, dessen beide hölzerne Torflügel weit offen standen, sodass theoretisch ein jeder passieren konnte. Dennoch war es Aldoc nicht möglich, einfach hinein zu spazieren, denn zwei Wachen in silbernen Rüstungen hielten ihn auf.
Sie waren groß, ungefähr wie die Menschen in Bree, aber ihre Gesichter waren viel ebenmäßiger, die Haut schien weicher und sie war heller. Die Ohren erinnerten ihn eher an sein eigenes Volk, denn sie waren spitz, allerdings noch spitzer als Hobbitohren. Die Bewegungen der Wächter wirkten auf eine selbstverständliche Weise elegant und erhaben, fast schon als seien diese beiden Krieger irgendwelche hohen Herren, die von klein auf gelernt hatten, sich wie ein Herrscher zu bewegen.
Elben, schoss es dem jungen Abenteurer durch den Kopf. Das sind echte Elben!
Der eine der beiden Elben-Wächter hielt einen bedrohlich aussehenden Speer in der Hand und trug ein Schwert in einer Scheide über dem Rücken. Der andere dagegen hatte keine Waffe gezogen, aber er war keineswegs unbewaffnet, sondern besaß ganze zwei Schwerter, die noch größer waren als das des ersten Wächters. Beide waren sie schlank und schwarzhaarig, doch die Augen des Speerträgers waren grau, wohingegen die des anderen hellgrün waren.
"Halt, Reisender", rief der Grauäugige mit erhobener Hand. Aldoc folgte dem Befehl, da er sich keinen Ärger einhandeln wollte, und blieb vor dem Tor stehen. Die Wachen betrachteten ihn mit gerunzelter Stirn, bevor der mit den zwei Schwertern erstaunt sagte: "Na so was, das ist ein Halbling! Ein Hobbit aus dem Auenland östlich von hier."
"Ein Hobbit?" Der andere schien nicht viel mit dem Begriff anfangen zu können. "Ah, ich erinnere mich. Du meinst diese kleinen, friedlichen Wesen, nicht wahr? Die, die angeblich das Pfeifenkraut rauchen erfunden haben, das die Zwerge so gerne praktizieren?"
"So, wie du es sagst, klingt es ein wenig negativ", bemerkte der erste Wächter. "Vergiss nicht, dass auch Mithrandir dem Pfeifenkraut der Halblinge verfallen ist. Und du willst doch Mithrandir nicht mit einem Zwerg gleichsetzen?"
"Ähm, Entschuldigung", meldete sich nun auch Aldoc zu Wort. "Ich störe ja nur ungern euren kleinen Disput, aber darf ich die Stadt betreten?"
"Oh, verzeih uns die Unaufmerksamkeit", bat der Speerträger um Verzeihung. "Ich nehme an, dass du nicht mit Orks oder ähnlichem Gesindel in Verbindung stehst?"
"Farodas!", rief der andere Wächter. "Das ist ein Hobbit und kein Troll! Er ist uns nicht feindlich gesonnen." An Aldoc gewandt fuhr er fort. "Du kannst eintreten, kleiner Reisender. Willkommen in Mithlond, dem größten und schönsten Hafen in diesem Teil von Mittelerde."
Mithlond war tatsächlich ein sehr schöner Hafen und ohne Zweifel ziemlich groß. Schon nach wenigen Schritten fühlte Aldoc sich verlorener zwischen all den hohen Gebäuden, als er sich im Auenland oder in Bree jemals gefühlt hatte. Obwohl es hier viel mehr Platz gab als in Bree, waren weitaus weniger Leute auf den Straßen unterwegs. Zudem waren es auch noch alles Elben.
Sein Herz frohlockte zwar ob dieses Umstandes, denn die Elben hatten ihn schon immer fasziniert, allerdings traute er sich aus irgendeinem Grund nicht, einen von ihnen anzusprechen, um sich nach einem Gasthaus zu erkundigen, wo er die Nacht verbringen könnte. Die neugierigen Blicke, die sie ihm zuwarfen, machten die Sache auch nicht gerade angenehmer.
So durchquerte er die Stadt einmal komplett auf der großen Straße, die vom Tor direkt zu den Anlegeplätzen am Meer führte. Und als er dort stand, an der Kaimauer, widmete er seine Aufmerksamkeit erstmals dem Meer, das er zuvor nur von dem Hügel aus in der Ferne gesehen hatte. Beim Anblick der unendlichen Wassermassen, die sich weit wie der Himmel vor ihm ausstreckten, klappte Aldoc die Kinnlade vor Staunen herunter. Obwohl ihm bewusst war, wie lächerlich er in diesem Moment aussah, konnte er den starren Blick nicht vom glitzernden, bis zum Horizont reichenden Wasser abwenden.
Ach, wenn er doch nur in die Fluten eintauchen und erleben könnte, wie sich das Meer anfühlte! Aber er hatte niemals schwimmen gelernt, deshalb sah er davon ab, von der Hafenmole zu springen.
Als nächstes wanderte sein Blick zu den beeindruckenden, weißen Elbenschiffen, von denen es hier anscheinend hunderte gab. Manche von ihnen ähnelten den Booten, mit denen die Bewohner Bocklands über den Brandywein fuhren, nur waren sie viel größer. Andere wiederum besaßen hohe, dicke Masten, die Aldoc an Bäume erinnerten. Er sah sogar einige riesenhafte Schiffe mit bis zu drei solcher Masten und einer Vielzahl an weißen Segeln.
Er wollte eines dieser Wasserfahrzeuge genauer begutachten, wollte die Deckplanken unter sich spüren, das sanfte Schaukeln auf den Wellen wahrnehmen. Kurzerhand begann er an der Kaimauer entlang zu hasten und hielt nach einem Schiff Ausschau, auf das er hinauf gelangen konnte. Vielleicht hätte er auch mal nach vorne blicken sollen und nicht nur zu den Schiffen. Vielleicht hätte er langsamer gehen sollen, immerhin hatte er mehr als genug Zeit.
Vielleicht wäre er, wenn er das getan hätte, nicht plötzlich mit jemandem zusammengestoßen, ins Taumeln geraten und hätte sich nicht mit den Armen rudernd am Rande der Kaimauer wiedergefunden. Und schließlich – selbst war er schuld – versagte alles Ringen um Gleichgewicht, sodass er rücklings ins Wasser hinab stürzte.
Klatschend schlug er im Wasser ein und versank sofort einen Meter tief, bevor er schließlich wild zappelnd wieder auftauchte und nach Luft rang. Er wedelte mit den Armen und strampelte mit den Beinen, um sich irgendwie über Wasser zu halten, aber bald schon drohte er wieder in den eisigen Fluten zu versinken. Er kam nicht einmal dazu, nach Hilfe zu schreien.
War das also das Ende, vor welchem ihn Petunia gewarnt hatte? Stirb nicht fernab von deiner Heimat, das hatte sie gesagt. Oh, warum nur habe ich nicht auf sie gehört? Nun werde ich in einem fremden Hafen weit weg vom Auenland ertrinken. Ich unachtsamer Idiot!
Plötzlich durchbrach etwas neben ihm die Wasseroberfläche, die dadurch ausgelösten Wellen ließen ihn herumwirbeln wie ein Blatt im Sturm, sodass er danach nicht mehr wusste, wo oben und wo unten war. Gerade wollte er sich schon darüber aufregen, als ihn kräftige Hände packten und in eine Richtung zerrten, vermutlich nach oben.
Und dann durchstieß er endlich die Wasseroberfläche, schnappte nach Luft und atmete tief durch. Nur am Rande bekam er mit, wie ihn einige Elben aus dem Hafenbecken holten, aber er war ihnen nichtsdestotrotz sehr dankbar. Endlich war er dieser kalten, nassen Hölle entflohen. Und doch... irgendwie sehnte er sich wieder dorthin zurück. Versonnen blickte er aufs Meer hinaus, das ihm fast das Leben gekostet hätte und das er dennoch nicht hassen konnte wie die Wölfe.
Erst nach ungefähr einer Minute realisierte Aldoc, dass er von Elben umringt war, die aufgeregt miteinander tuschelten. Eine große, wunderschöne Elbe stand direkt neben ihm und wrang sich das Wasser aus dem nassen, schwarzen Haar. Als sie seinen Blick bemerkte, lächelte sie. "Stürze lieber nicht noch einmal ins Wasser, mein kleiner Freund, ich fange gerade an zu trocknen."
"Ich wollte euch keine Umstände bereiten, Herrin", beteuerte Aldoc. "Ich habe nur zu den Schiffen gesehen und nicht auf meinen Weg geachtet."
"Herrin?" Wieder lachte die Elbe. "Ich bin nur eine einfache Händlerin. Nenn mich Varnawen, kleiner Hobbit."
"Varnawen", wiederholte Aldoc den Namen. "Danke, dass du mich gerettet hast, Varnawen. Ich muss jetzt los und ein Gasthaus finden."
"Wie wäre es, wenn du mit mir kommst?", fragte die schöne Elbe. "In meinem Haus gibt es ein freies Zimmer mit einem Bett. Dort könntest du übernachten. Ich verlange dafür nicht einmal Geld."
Das war nun ein Angebot, das er nicht ausschlagen konnte. Einige Zeit später betrat er ein zweistöckiges, weißes Haus im Norden der Grauen Anfurten, an das ein kleiner, aber schöner Garten angrenzte. Es gab eine bescheidene Küche und einen großen Raum mit Sesseln und gepolsterten Bänken, sowie einem edlen Tisch. In der oberen Etage, so erklärte ihm Varnawen, gab es ein Schlafzimmer und einen kleinen Abstellraum voller Gerümpel.
Aldocs Schlafstätte befand sich zu seiner Erleichterung im Erdgeschoss. Es war nur ein kleiner Raum mit einem gemütlichen Bett, einem Kleiderschrank und einem Nachtkästchen. Nach elbischen oder menschlichen Maßstäben musste das Bett wohl als klein bezeichnet werden, für ihn jedoch war es trotzdem noch sehr groß, was ihn allerdings nicht weiter störte.
Die Elbe und der Hobbit setzten sich in die zum Garten hin geöffnete Stube mit den bequemen Sesseln und begannen eine Unterhaltung über das Auenland. Begeistert erzählte Aldoc von Tuckbergen und Hobbingen, von der legendären Abschiedsfeier von Herrn Beutlin – dabei stellte sich heraus, dass Varnawen schon von Bilbo Beutlin gehört hatte – und natürlich erzählte er auch vom legendären Pfeifenkraut der Hobbits, von dem sie seltsamerweise noch nicht gehört hatte, auch wenn sie sich wie der Wächter am Tor daran erinnerte, einen gewissen Mithrandir beim Rauchen gesehen zu haben.
Da ihm dieser Name jetzt schon zum zweiten Mal unterkam, fragte Aldoc, wer denn dieser Mithrandir sei. "Er ist ein Istar", erklärte die Elbe. "Dein Volk würde ihn wahrscheinlich als Zauberer bezeichnen. Er hat die Gestalt eines alten Mannes, mit einem langen, grauen Bart. Auch seine Kleidung ist immerzu grau und er stützt sich auf einen hölzernen Stab."
"Meinst du etwa Gandalf?", fragte der junge Hobbit, dem diese Beschreibung verdächtig nach Bilbos altem Freund klang. Tatsächlich nickte Varnawen. "Ja, ich glaube, so wird er an manchen Orten genannt. Kennst du ihn?"
"Flüchtig", antwortete Aldoc. In Wirklichkeit hatte er noch nie ein Wort mit dem Grauen Pilger gewechselt. Zauberei war ihm einfach suspekt. Aber natürlich kannte er ihn vom Sehen her und er kannte seine Feuerwerke, so wie fast jeder Hobbit. Das laute Knallen, wenn diese Dinger explodierten, die Gandalf bei den Feuerwerken verwendete, konnte er zwar nicht leiden, aber die Lichtmuster waren ganz schön anzusehen.
Plötzlich hörte er ein Klicken am Schloss der Haustür, die kurz darauf aufsprang. Herein kam ein großer Elb, der seinen Speer an die Wand lehnte, die Tür hinter sich verschloss und danach zu ihnen ins Wohnzimmer geschlendert kam. Als er des Hobbits auf einem der Sessel gewahr wurde, hob er überrascht die Augenbrauen. "Na so was. Der Hobbit von vorhin."
Von vorhin. Aldoc musterte das Gesicht des Fremden verwirrt, bevor ihm wieder einfiel, woher er es kannte. Das war einer der Wächter vom Tor! Der, der sich erst nach kurzem Nachdenken an die Existenz der Hobbits hatte erinnern können. Wie war er noch von seinem Gefährten genannt worden? "Farodas?"
"Sieh mal einer an, der Halbling hat ein gutes Gedächtnis", sagte Farodas respektvoll. "Was verschafft uns die Ehre, diesen Gast in unserem Haus bewirten zu dürfen?"
Aldoc errötete und schwieg, daher übernahm es Varnawen, die Geschichte von seinem Sturz ins Wasser zu erzählen. Farodas lauschte geduldig und fragte danach überrascht: "Du kannst nicht schwimmen?"
"Nein", gestand Aldoc. "Das können nur wenige Hobbits. Eigentlich fast nur die, die am Brandywein-Fluss leben."
"Hm, ich kann mir das gar nicht vorstellen." Entschuldigend hob Farodas die Hände. "Bei uns in Mithlond kann jeder schwimmen. Immerhin ist das ein Hafen und viele hier sind Seefahrer."
Der Halbling seufzte resigniert. "Ich würde es gern können. Aber zuhause schien es mir nicht wichtig und wer hätte es mir schon beibringen können?" Wenn er so darüber nachdachte, war er sich nicht einmal sicher, ob der alte Bilbo schwimmen konnte. Nun ja, er hatte immerhin Teile seines Weges auf einem Fluss zurückgelegt. Aber da war er doch auf einem Floß aus Fässern gewesen, oder?
"Also wenn du es lernen willst, können wir es dir gerne beibringen", meinte Varnawen freundlich.
"Können wir das?", fragte Farodas scherzhaft. "Ich bin mir nicht sicher, er scheint mir doch ein recht hoffnungsloser Fall zu sein."
"Farodas!", herrschte die Elbe ihn an. "Sei höflich! Nun, was sagst du, Aldoc? Sollen wir dir das Schwimmen beibringen?"
Da brauchte er nicht lange zu überlegen. "Ja, bitte bringt es mir bei!"
So entschloss er sich, länger in Mithlond zu verweilen, wobei er bei Varnawen und Farodas bleiben konnte, die jeden Tag mit ihm die Stadt verließen und einige Meilen vom Hafen entfernt zur Küste gingen, wo sie ihm nach und nach beibrachten, wie er sich über Wasser halten konnte. Irgendwann kam die Sprache auf Waffen, ein Thema, an welchem Farodas scheinbar ein besonderes Interesse hegte.
Die favorisierte Waffe des Elben war der Speer. Stundenlang konnte er über die Vorteile eines Speers und Kampftechniken mit einem Speer reden, aber auch über andere Waffen vermochte er viel zu sagen. Aldoc zeigte ihm seinen Bogen, ein einfacher kleiner Hobbit-Jagdbogen, mit dem er ganz akzeptabel umgehen konnte.
Als Farodas jedoch erfuhr, dass Aldoc sonst keine Waffen besaß, bestand er darauf, dass der Halbling den Umgang mit einer Nahkampfwaffe erlernte, damit er sich besser verteidigen konnte. Aldoc wollte zuerst ablehnen, aber dann dachte er sich, dass es nichts schaden konnte. Also lernte er neben dem Schwimmen auch den Schwertkampf, obwohl er sich in letzterem wesentlich ungeschickter anstellte als in ersterem. Bald schon konnte er schwimmen gehen, ohne dabei die Hilfe von Varnawen oder Farodas zu benötigen.
Aber das war noch nicht alles, was sie ihm beibrachten. Nachdem er ihnen seine Karte zeigte, halfen sie ihm auch noch dabei, die elbischen Wörter zu entziffern und die Karte endlich vollständig zu beschriften. Daraufhin lehrten sie ihn die Sprache der Elben und auch ein wenig die Tengwar, sodass er bald schon in der Lage war, die Karte auch ohne seine selbst hinzugefügten Notizen zu lesen.
Den ganzen Sommer und danach Winter über blieb er in Mithlond und übte sogar weiter, als das Meer schon eisig kalt war. Immer, wenn er nach den Schwimmübungen zurückkam, gab es frischen, heißen Tee zum Aufwärmen und danach Schwertkampfübungen bis zur völligen Erschöpfung. Das tägliche Training machte ihn stärker und schlanker, auch wenn er ein kläglicher Schwertkämpfer blieb.
Schließlich nahte der Frühling und der kleine Hobbit wurde wieder von der Abenteuerlust erfasst. Eines schönen Morgens teilte er den beiden Elben mit, dass er bald wieder aufbrechen wollte. Sie reagierten enttäuscht darauf und versuchten, ihn zum Bleiben zu überreden, aber letztlich akzeptierten sie seine Entscheidung und wünschten ihm viel Glück auf seinen weiteren Reisen.
So ließ er schließlich am fünfzehnten April des Jahres 1412 der Auenland-Zeitrechnung die Grauen Anfurten hinter sich und begann seinen Weg zurück ins Auenland.
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In den darauffolgenden Jahren zog er immer wieder los und verließ das Auenland, sodass er länger auf Reisen war als Zuhause. Einige Male ging er nach Bree, wo sich nichts veränderte, und sogar einmal noch bis zu den Steintrollen, wo er allerdings erneut umkehrte. Er wanderte durch die Hügelgräberhöhen, in denen ein dunkler Schrecken hauste, vor dem er des Nachts fliehen musste, und betrat einmal sogar den alten Wald, in dem die Bäume zu flüstern schienen.
Er erklomm die Wetterspitze, einen Berg, auf dessen Gipfel sich die Ruinen eines alten, großen Wachturms befanden, und genoss die Aussicht, die er von dort hatte. Er wich in den Turmbergen absichtlich vom Weg ab und gelangte endlich zu einem der Türme, der jedoch verschlossen war. Er reiste in das Gebirge im Nordwesten, die Ered Luin, und lernte einige Zwerge in Thorins Hallen kennen. Während all der Zeit arbeitete er stetig daran, seine Kenntnisse des Elbischen zu verbessern, indem er elbische Gedichte und Lieder las.
Das alles und noch mehr tat er auf seinen weiten Reisen, aber nur zwei Orte gab es, an die er regelmäßig zurückkehrte: Das Auenland, das trotz allem noch seine Heimat war, und Mithlond, der graue Hafen, der ihn so sehr faszinierte. Jedes Mal, wenn er Varnawen und Farodas besuchte, freuten sich die beiden ehrlich darüber. Dann erzählte er ihnen immer stundenlang von seinen Abenteuern, während Farodas sich über die endlosen Wachschichten beklagte und Varnawen von ihren Ausflügen mit ihrem kleinen Segelschiff berichtete.
Und dennoch stimmte etwas nicht. Sie verbarg es gut, aber er bemerkte es eines Tages trotzdem: Etwas bedrückte Varnawen. Und nicht nur sie, sondern auch die meisten anderen Elben, wie er feststellte. Farodas Scherze brachten sie irgendwann nicht mehr zum Lachen, sondern nur zu einem gekünstelten Lächeln, und sogar das Meer klang traurig. Immer mehr Elben fuhren fort und kamen nicht zurück, blieben im Westen bei den Valar.
Diese Entwicklung machte ihm Angst. Vor allem, da er nicht wusste, durch was sie ausgelöst wurde. Irgendetwas braute sich zusammen in Mittelerde, ein Sturm, der kurz davor war, loszubrechen.
Und so kam es schließlich im September 1418 nach Auenland-Zeitrechnung dazu, dass Aldoc erstmals auf die Bedrohung stieß, die den Elben solche Sorgen bereitete.
Aldoc kam in diesem Monat von Osten her ins Auenland, denn wieder einmal war er in Bree gewesen. Nach seinem Aufenthalt dort hatte er sich ein zweites Mal in den Alten Wald gewagt und in der Ferne seltsamen, fröhlichen Gesang gehört, der aber so schnell wieder verschwand, wie er gekommen war. Er hatte sich nicht weit in den Wald hinein gewagt und war schnell wieder gegangen, aber diese Stimme ging ihm nicht aus dem Kopf.
Gedankenverloren schlenderte die Oststraße entlang und erwartete nichts Schlimmes, als ihn vom einen Moment auf den anderen eine tiefe Furcht ergriff, die ihn zittern ließ. Er glaubte, von jemandem beobachtet zu werden, doch so sehr er sich auch umsah, konnte er doch niemanden in seiner näheren Umgebung entdecken. Gerade wollte er die beinahe kindliche Angst schon auf die Dunkelheit der Nacht schieben, auch wenn er schon seit über zehn Jahren keine Angst im Dunkeln mehr bekam, als sich die Furcht plötzlich noch intensivierte.
Was auch immer dort war, es kam näher. Mit langsam aufkeimender Panik blickte er über die Schulter. Nichts. Rechts und links ebenfalls nichts. Voraus auch nichts. Aldoc zwang sich, ruhig zu bleiben und nicht schreiend loszurennen, auch wenn ihm das zunehmend schwer fiel. Wie angewurzelt blieb er also stehen und rührte sich nicht. Er lauschte nun auf die Umgebung... und tatsächlich hörte er etwas!
Ein Schnauben, dann das Scharren von Hufen. Ein Pferd. Aber davon konnte der Schrecken doch nicht ausgehen, der ihn erfasst hatte? Und wo war das Pferd? Die Geräusche waren von vorne gekommen, aber dort konnte er nach wie vor nichts in der Finsternis erkennen. Es kam ihm zwar dumm vor, aber dennoch schrie er in die stille Nacht hinein, in der sogar die Grillen verstummt waren: "Ist da jemand?"
Und dann sah er ihn: Einen Reiter in schwarzem Gewand auf einem schwarzen Pferd kam plötzlich keine zwanzig Schritte voraus aus der Dunkelheit und ritt im Trab auf den kleinen Hobbit zu. Aldoc wollte um Hilfe schreien, denn dieser Reiter konnte nichts Gutes bedeuten, das spürte er, aber er schwieg. Warum er leise blieb, wusste er nicht. Vielleicht hatte er einfach Angst davor, dieser Kerl würde ihn umbringen, wenn er nach Hilfe rief.
Schließlich hielt der Schwarze Reiter vor ihm an, sodass Aldoc zu ihm hinauf blicken musste. Er konnte das Gesicht nicht erkennen, aber etwas sagte ihm, dass das nicht an der Kapuze lag. "W...was wollen sie?", fragte der Abenteurer.
"Ich suche Beutlin", krächzte der Fremde, dessen Stimme klang wie aus einer ausgetrockneten Kehle. "Er ist nicht in Hobbingen. Wo ist Bockland?"
Der Schwarze Reiter suchte Herrn Beutlin? Meinte er den alten Bilbo, weil er sagte, er sei nicht in Hobbingen? Oder war Frodo inzwischen auch auf eine Reise gegangen? Und warum Bockland? Nun, was auch immer hier vorging, es lag sicher nicht in Herr Beutlins Interesse, von diesem Schwarzen Reiter gefunden zu werden. Bockland lag südlich von hier, also antwortete Aldoc: "Bockland? Das sind sie wohl etwas zu weit nach Süden abgedriftet. Es liegt nur eine kurze Strecke nördlich von hier."
Der Reiter starrte ihn eine Weile an und schien zu überlegen. Dann gab er seinem Pferd, dessen Augen rot waren, wie Aldoc nun erstmals auffiel, die Sporen und preschte los, direkt auf den jungen Hobbit zu. Geistesgegenwärtig warf sich der Halbling zur Seite und entging somit den Hufen des Pferdes. Danach drehte er sich fluchen auf dem harten Boden um und blickte dem seltsamen Fremden hinterher. Er ritt gen Norden.
Erst jetzt ging Aldoc auf, dass er nicht über die Folgen seiner Worte nachgedacht hatte. Wenn der Schwarze Reiter bemerkte, dass Bockland nicht im Norden lag...
"Verflucht!", rief er, rappelte sich auf und rannte los. Er musste hier weg, so lange der andere noch getäuscht war, sonst würde ihn wohl dessen Zorn ereilen.
Nach seiner Rückkehr ins Auenland und der Begegnung mit dem Schwarzen Reiter im Jahre 1418 der Auenland-Zeitrechnung blieb der junge Hobbit vorerst zuhause in Tuckbergen. Ein Gefühl sagte ihm, dass bald jeder mutige Hobbit hier gebraucht werden würde. Die Dunkelheit, die er schon so lange in Mithlond bemerkt hatte, war mit den Schwarzen Reiter, von denen auch andere Hobbits aufgeregt erzählten, nun auch in seine Heimat gekommen.
Das Leben ging seinen normalen Lauf, die Hobbits lachten und waren fröhlich, gingen ihren alltäglichen Arbeiten nach und genossen die zahlreichen, über den Tag verteilten Mahlzeiten. Alles schien friedlich und normal zu sein, aber Aldoc wurde dieses ungute Gefühl einfach nicht los. Oft zog er los, um in den Wäldern und auf den Hügeln des Auenlandes nach dem Grund dafür zu suchen, auch wenn er nicht so recht wusste, was genau er zu finden hoffte.
Eines bemerkte er jedoch: Die Wanderungen der Elben nach Westen häuften sich. Man hörte sie singen in der Nacht, und fand sie dort, wo sich das Licht befand. Sie zogen nach Westen, so erzählten sie ihm, um in Mithlond ein Schiff zu nehmen, das sie von Mittelerde fortbrachte. All die Elben wollten weg... aber warum? Aldoc glaubte, sie flohen vor etwas, auch wenn er nicht sagen konnte, was das sein mochte. Er wagte nicht, danach zu fragen, vielleicht weil er die Antwort auf diese Frage fürchtete.
Irgendwann beschloss er, in einer anderen Richtung Nachforschungen anzustellen. Denn so abenteuerlich manche der Geschichten über die seltsamen Schwarzen Reiter auch waren, sie alle enthielten eine Gemeinsamkeit: Der Reiter hatte stets nach Herrn Beutlin von Beutelsend gefragt. Aldoc ging davon aus, dass sie den jungen Beutlin meinten, nicht den alten.
Daher fragte er herum, ob denn jemand etwas über Frodo Beutlin wisse, und erfuhr dadurch von dessen Umzug nach Krickloch. Krickloch war allerdings kurz nach dem Umzug von den Schwarzen Reitern angegriffen worden, von Frodo fehlte jede Spur. Aldoc befragte einfach jeden, der vielleicht etwas wissen konnte, aber ohne Erfolg. Wie auch Bilbo einst war Frodo einfach fort und niemand schien zu wissen, wohin er gegangen war.
Doch er war nicht der einzige. Auch Meriadoc Brandybock und Herr Beutlins Gärtner waren verschwunden, sowie Aldocs langjähriger Freund und entfernter Verwandter Peregrin Tuk. So sehr konzentrierte er sich darauf, etwas über diese vier herauszufinden, dass er zu spät bemerkte, was wirklich vor sich ging.
Der Übeltäter war Lotho Sackheim-Beutlin, der nun in Beutelsend wohnte. Nach und nach kaufte Lotho mehr und mehr Land und heuerte einige Menschen an, die es bewachten. Viele Hobbits wunderten sich freilich über dieses unübliche, seltsame Verhalten, aber sie dachten sich nichts dabei. "Wenn der junge Lotho sein Land bewachen will, soll er das tun", hörte man die Hobbits oft sagen.
Und dennoch lag eine Spannung in der Luft. Tag für Tag kamen mehr Söldner ins Auenland und wurden immer gemeiner. Schließlich ernannte sich Lotho zum Oberst der Landbüttel, schickte seine Söldner los, um jegliche Widersprüche im Keim zu ersticken, und riss innerhalb weniger Tage die Herrschaft über das Auenland an sich.
Erst jetzt erkannte Aldoc, dass er seinen Blick lieber auf das Auenland hätte richten sollen, als auf die Länder außerhalb davon, wo vier Hobbits eine Reise unternahmen. Welche Bedeutung hatten vier verschwundene Hobbits schon, wenn Zuhause alles den Bach runter ging? Warum war er nur so ein blinder Narr gewesen?
Die Hobbits begehrten anfangs noch öfters auf, vor allem, als der Bürgermeister von Michelbinge, Willi Weißfuß, eingesperrt wurde, aber nach einigen öffentlichen Vorführungen der Kraft der Menschen verstummten die Halblinge und ließen die Unterdrückung über sich ergehen. Bald schon begannen erste Gerüchte zu kursieren, dass nicht Lotho hinter alledem stecke, sondern ein Mann namens Scharrer. Niemand wusste, wie dieser Scharrer aussah oder woher er kam, aber alle waren sich einig, dass er hinter Lothos Handlungen stand.
Kaum einen Hobbit gab es, der Scharrer nicht hasste. Unter seiner Herrschaft musste an einem Tag mehr geschuftet werden, als ein gewöhnlicher Hobbit, der auf einen ausgewogenen Tagesablauf achtete, für gewöhnlich in einer ganzen Woche arbeitete. Und so sehr viele auch hofften, es wurde nicht besser, nur immer schlimmer. So ging das Auenland langsam unter der Tyrannei von Lotho und Scharrer zu Grunde.
Doch nicht alle Halblinge wollten sich einfach so geschlagen geben und sich unterwerfen. Aldoc zog im Auenland umher, um der Zwangsarbeit zu entgehen, und versuchte in manchen Orten andere Hobbits davon zu überzeugen, die Arbeit ebenfalls zu verweigern, aber die meisten wollten keinen Ärger und scheuchten ihn fort. Einmal verriet ihn ein Hobbit in Wasserau sogar an Scharrers Söldner, die daraufhin mit Knüppeln kamen, um Aldoc damit zu verprügeln.
Natürlich floh der junge Hobbit vor ihnen, aber die Menschen waren schneller, holten ihn ein und schlugen mit ihren Knüppeln auf ihn ein. Nachdem sie ihre Aggressionen an ihm ausgelassen hatten, ließen sie ihn einfach liegen. Aldoc gab sich jedoch nicht geschlagen, sondern stand auf und kehrte nach Tuckbergen zurück. Das musste ein Ende haben, beschloss er. Keinen Tag länger würde er unter dieser Schreckensherrschaft leben wollen.
Also ging er zum Thain, Paladin II., Vater seines Freundes Pippin und auch Vater von Petunia, die sich sofort um ihn kümmerte, als sie die Blutergüsse sah. "Ist etwas gebrochen?", fragte sie besorgt, aber Aldoc schüttelte den Kopf. "Was haben die nur mit dir gemacht?"
Paladin hörte sich an, was Aldoc zu sagen hatte. "Ich bin mir sicher, Lotho hatte nichts böses im Sinn, aber die Sache ist eindeutig aus dem Ruder gelaufen. Wir müssen etwas unternehmen, Thain Paladin, oder das Auenland wird auf ewig unter Scharrers Tyrannei leiden."
So kam es, dass der Thain eine Besprechung einberaumte, zu der alle Tuks eingeladen waren. Eine Besprechung, in der über die Zukunft des Auenlandes beraten werden sollte. Bald versammelten sich alle Tuks in einem großen Raum in den Groß-Smials, wo es Platz genug für die ganze Familie gab. Aldoc hoffte inständig, dass nun endlich ein ordentlicher Widerstand entstehen würde.
Auch sein Vater Reginard und sein Großvater Adelard, der den Schirm als Stütze verwendete, den er einst von Bilbo geschenkt bekommen hatte, waren gekommen, um sich anzuhören, was der Thain unternehmen wollte. Nachdem sich endlich alle in dem Raum versammelt und an dem großen Tisch in dessen Mitte Platz genommen hatten, eröffnete Paladin die Besprechung über die Zukunft des Auenlandes.
"Ich danke euch, dass ihr alle gekommen seid", begrüßte er die Mitverschwörer. Aldoc meinte, man konnte sie so nennen, da es immerhin verboten war, was sie hier taten, und man es tatsächlich als eine Art Verschwörung sehen konnte. Eine Verschwörung gegen Scharrer und für die Hobbits. "Ihr alle wisst, dass unser einst so friedliches Land von Fremden eingenommen wurde, viele von euch haben am eigenen Leib erfahren, was deren Herrschaft bedeutet. Arbeit und Schmerz. Den Verlust der Freiheit. Und – was für viele von euch wahrscheinlich am wichtigsten ist – weniger Mahlzeiten!"
Vereinzeltes Lachen und zustimmendes Nicken.
"Die Menschen, die unsere Heimat zerstören, werden von Tag zu Tag mehr. Mittlerweile hat ihre Anzahl derartige Ausmaße angenommen, dass wir sie nicht mehr besiegen könnten, selbst wenn wir sie in eine Falle lockten. Es scheint, als seien wir verloren. Müssen wir für immer unter der Tyrannei der großen Leute leiden?"
Schweigen folgte auf diese Worte, viele der Anwesenden hielten den Kopf gesenkt und dachten über die letzte Frage des Thains nach. Der fuhr nach kurzer Pause fort.
"Ich sage nein! Nein, und nochmals nein! Wir können nicht länger dulden, was Scharrers Söldner im Auenland anrichten! Wir können nicht weiter zulassen, dass sie Hobbits schlagen, demütigen und einsperren! Das muss ein Ende haben!"
"Aber was können wir schon tun?", rief ein Halbling vom anderen Ende des Raumes. Entsetzt stellte Aldoc fest, dass es sein Vater war. Diese Tatsache veranlasste ihn, nun selbst etwas zu rufen: "Wir können vieles tun! Einige von euch glauben vielleicht, Hobbits seien nicht zum Kämpfen fähig. Sind wir nicht nur einfache Bauern? Ja, die meisten von uns. Aber heißt das, dass wir nicht für unsere Freiheit kämpfen können? Im Westen, am Meer, lehrte mich jemand die Kunst des Schwertkampfes. Ich gebe zu, dass ich mich darin nicht allzu geschickt anstelle, aber zumindest kann ich nun kämpfen! Und seht her." Aldoc hob seinen Bogen. "Wir haben Bögen! Ein guter Hobbit-Bogenschütze ist zehn, nein zwanzig mal mehr Wert als einer von Scharrers Rüpeln! Warum also glaubt ihr, wir seien wehrlos?"
Diese kleine Rede verfehlte ihre Wirkung nicht. Einige der jüngeren Tuks hoben sofort begeistert die Hände und riefen: "Ja, kämpfen wir! Werfen wir sie aus unserem Land!"
Auch von den älteren und besonneneren Tuks war leise Zustimmung zu hören, aber Paladin hob beschwichtigend die Hände und sprach: "Sicher ist es wahr, was der junge Aldoc gesagt hat. Wir können kämpfen. Aber bedenkt, wie viele Hobbits dabei sterben werden. Zum jetzigen Zeitpunkt mögen sie nur mit Knüppeln auf uns losgehen, aber bestimmt habe nicht nur ich die Schwerter bemerkt, die manche von ihnen mit sich herumtragen, wenngleich noch nie einer eines gezogen hat. Große Schwerter, wie sie ein Hobbit niemals halten könnte. Was glaubt ihr, vermag ein Mensch mit einer solchen Waffe zu tun, wenn ein paar wütende Halblinge vor ihm stehen? Vielleicht werden wir anfängliche Erfolge haben, wenn wir gegen sie zu kämpfen beginnen, aber sobald sie realisieren, dass sie uns mit Knüppeln nicht mehr beikommen, wird sich das Blatt wenden."
"Da hört ihr es, wir sind verloren", meinte ein Hobbit. "Wir..."
"...brauchen Hilfe!", beendete jemand anderes den Satz. Es war Petunia. Sie stützte sich mit den Händen auf den Tisch, felsenfeste Entschlossenheit war in ihrem Gesicht zu sehen. "Die einen hier wollen ihr Leben riskieren, um das Auenland selbst zu befreien, die anderen würden am liebsten verzagen und nichts tun. Bin ich denn die einzige, die erkennt, dass wir keines von beiden tun sollten? Wir müssen kämpfen, aber nicht allein! Wir brauchen Hilfe! Von außerhalb!"
"Von dort, wo diese Menschen herkommen?", warf Reginard ein. "Die Leute außerhalb des Auenlandes haben uns immer nur Ärger bereitet. Bitten wir sie um Hilfe, so werden wir eines Tages eine bittere Rechnung dafür bezahlen müssen. Wollen wir wirklich den einen Unterdrücker durch einen anderen ersetzen?"
"Nein, das wollen wir natürlich nicht", sagte Paladin. "Deshalb ist es von enormer Wichtigkeit, dass wir die richtigen Leute um Hilfe bitten. Aldoc, du kennst die Lande jenseits unserer Grenzen. An wen sollen wir uns wenden? Gibt es in Bree Menschen, die uns helfen werden?"
Aldoc fühlte die Blicke aller Anwesenden auf sich ruhen. Beinahe hätte ihm seine Stimme den Dienst verweigert, doch dann sah er Petunias ermutigenden Blick. "In Bree werden wir keine Hilfe finden", verkündete er, woraufhin einige Hobbits sagten, dass das ja zu erwarten war. Doch Aldoc war noch nicht fertig. "Die Menschen und Hobbits in Bree werden vielleicht selbst unterdrückt, denn sie sind ebenso kriegerisch wie die meisten Leute hier. Aber es gibt andere, die uns vielleicht helfen würden. Ich spreche von Elben und Zwergen und möglicherweise auch den Dúnedain."
"Wer oder was sind denn bitteschön Dudedin?", fragte ein junges Mädchen.
"Dúnedain", korrigierte Aldoc sie. Danach wandte er all das Wissen auf, dass er sich in Mithlond angeeignet hatte, um in einfachen, für Hobbits verständlichen Worten zu erklären, wer die Dúnedain waren. "Es sind Menschen von numenorischem Blute. Einst gab es hier viele von ihnen, aber sie wurden von einem finsteren Schrecken aus dem Norden besiegt und leben seither als Waldläufer in der Wildnis Eriadors. Sie sind... anders als die meisten großen Leute. Ich hege die Hoffnung, dass sie uns helfen könnten."
"Ihr seht", rief nun wieder Thain Paladin. "Dass es einige gibt, denen unser Schicksal nicht egal ist. Elben, Zwerge und sogar Menschen! Wir müssen jemanden zu ihnen schicken, um Beistand zu erbitten im Kampf gegen Scharrer."
"Das ist ja schön und gut." Wieder war es sein Vater Reginard, der das Wort ergriff. "Aber wo genau finden wir diese Leute, die uns helfen können? Der alte Bilbo Beutlin sprach immerzu von einem letzten heimeligen Haus, bei dem es Elben geben sollte, oder vom einsamen Berg, wo Zwerge leben. Aber wo liegen all diese Orte? Für uns sind sie nur Kindergeschichten, keine Realität. Wer weiß, was sich Bilbo davon alles einfach ausgedacht hat."
"Er hat sich nichts ausgedacht!", verteidigte Aldoc die Ehre seines Idols. "Die Geschichten sind wahr. Ich habe die Steintrolle mit eigenen Augen gesehen. Von Elben wurde mir die Existenz des letzten heimeligen Hauses östlich der See und des Düsterwaldes und des Erebors bestätigt. Jenseits von Auenland und Bockland ist Bilbo der berühmteste aller Hobbits. All diese Orte, die du als das Gerede eines seltsamen Hobbits abtust, Vater, sind so real wie Hobbingen, Tuckbergen und der Brandywein-Fluss."
"Nun, wenn du weißt, wo diese Orte liegen, warum gehst du dann nicht selbst und bittest die Elben und Zwerge und diese Dunaden um Hilfe?", fragte Reginard lächelnd. Bestimmt erwartete er, dass sein Sohn nun einen Rückzieher machte, wie es ein vernünftiger Hobbit tun würde, aber da hatte er sich gewaltig getäuscht.
"Genau das werde ich tun, Vater", sagte er entschlossen. "Mit eurer Erlaubnis, Thain Paladin, werde ich Imladris aufsuchen, wo sich Elronds Haus befindet, das letzte heimelige Haus östlich der See. Ich werde mit den Elben sprechen und dafür sorgen, dass das Auenland befreit wird."
Paladin lächelte zufrieden. "Ich könnte mir keinen besseren für diese Aufgabe wünschen. Du bist ein Abenteurer, Aldoc, und viele hier mag das stören, aber in diesen Zeiten brauchen wir jemanden wie dich. Einen Hobbit, der nicht davor zurückschreckt, eine weite Reise ins Ungewisse auf sich zu nehmen. Ich ernenne dich zu meinem persönlichen Gesandten. Berichte den Völkern Mittelerdes, was hier geschieht, und bitte sie in meinem Namen und dem aller Hobbits um Unterstützung." Er legte eine kurze Pause ein, in der ein durch die Überraschung entstandenes Schweigen herrschte. Reginard wirkte geschockt über die neueste Entwicklung. Schließlich fuhr Paladin fort: "Für den Rest von uns gilt es, Verbündete in allen Ecken und Enden des Auenlandes zu finden. Wir werden nicht untätig sein, während Aldoc uns die benötigte Hilfe verschafft. Diese Sitzung ist beendet. Ab heute treffen wir uns wöchentlich. Und kein Wort zu einem Menschen oder einem Hobbit, der treu zu Scharrer steht."
Die Versammlung löste sich auf, auch Aldoc kehrte in seine Hobbithöhle zurück. Dort machte er sich umgehend daran, seine Sachen für die bevorstehende Reise zu packen. Nachdem er nun so lange herumgereist war, würde es erstmals nach Bruchtal gehen, wo der Elbenfürst Elrond regierte. Aldoc hoffte, dass er schnell zu diesem vorgelassen wurde, um sein Anliegen vorzutragen.
Natürlich wäre es ihm auch möglich, nach Westen zu gehen, zu den Grauen Anfruten, wo er sich an Farodas und Varnawen wenden könnte, aber aus irgendeinem grund glaubte er nicht, dort besonders viel Hilfe zu finden. Was war Mithlond noch anderes als eine Ablegestelle für all jene Elben, die Mittelerde verlassen wollten? Bruchtal, so glaubte Aldoc, besaß mehr Macht und vor allem Kontakte zu anderen mächtigen Völkern und Reichen, zum Beispiel den Erebor. Wenn er irgendwo richtige Hilfe finden konnte, dann dort.
Nachdem er seine Reisekleidung angelegt und den Rucksack gepackt hatte, verließ er sein Smial und wandte sich nach Osten. Die Versammlung war gerade erst eine Stunde her, aber er wollte keine Zeit verlieren. Schnellen Schrittes begann er zu gehen, doch schon bald erklang eine ihm nur allzu bekannte Stimme.
"Aldoc Tuk!" Der Abenteurer erstarrte und drehte sich vorsichtig um. Zwei Hobbits näherten sich, Petunia und ihr Vater Paladin, der Thain. Sie kamen kurz vor ihm zum Stehen.
"Meine Tochter hat mir gesagt, du würdest so bald wie möglich aufbrechen", erklärte Paladin sein Erscheinen. "Ich wollte dich offiziell verabschieden und dir noch einmal in Erinnerung rufen, wie wichtig dein Auftrag für unser Volk ist. Du hast das doch verstanden?"
"Natürlich", sagte Aldoc. "Ich werde dich nicht enttäuschen."
"Gut, das habe ich auch nicht erwartet. Ich habe auch noch eine Bitte an dich. Wie du weißt, ist mein Sohn Peregrin vor einiger Zeit verschwunden, zusammen mit seinem Vetter Meriadoc, Frodo Beutlin und dessen Gärtner. Der Junge bringt sich immer wieder in Schwierigkeiten, daher... ich mache mir einfach unglaubliche Sorgen um ihn. Bitte versuche herauszufinden, wo er steckt, Aldoc, denn ich ertrage die Ungewissheit nicht. Ich will wissen, was mit meinem einzigen Sohn geschehen ist."
Aldoc nickte ernst. "Ich werde Pippin finden. Er ist mein Freund, auch ich mache mir sorgen."
"Danke." Der Thain legte eine Hand auf seine Schulter. "Viel Glück, Aldoc." Damit wandte er sich um und ging.
Petunia dagegen blieb und sah ihn aus traurigen Augen an. "Ich will nicht, dass du gehst", sagte sie. "Vielleicht kommst du nie wieder zurück."
"Befürchtest du das nicht bei jeder meiner Reisen?"
"Dieses Mal ist es anders!", rief sie zornig. "Das wird keine Reise. Das wird ein richtiges Abenteuer. Es wird dunkler auf der Welt. Ich glaube, das Auenland ist nicht als einzige Gegend betroffen. Vielleicht wirst du kämpfen müssen."
Aldoc erinnerte sich an seine Schwertkampfstunden mit Farodas. "Ich komme schon zurecht", meinte er. "Nach Imladris werde ich ohne Probleme gelangen, denke ich. Ich war immerhin schon bei den Steintrollen. Von dort aus ist es nicht mehr weit."
Petunia schien seine Zuversicht nicht zu teilen. Sie packte das Band, das sie ihm einst geschenkt hatte und das er sich bei jeder Reise um das rechte Handgelenk schnürte. "Du gabst mir einst ein Versprechen, Aldoc. Du versprachst mir, dass du zurückkehren würdest. Erneuere es. Versprich mir erneut, nach Hause zurückzukehren."
"Na gut." Aldoc legte seine Hand auf ihre, sodass ihrer beider Hände auf dem roten Band ruhten. "Ich schwöre dir bei dem Band, das uns verbindet, dass ich eines Tages nach Hause zurückkommen werde." Er seufzte. "Bist du nun zu..."
Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. "Kein weiteres Wort mehr. Ich warte auf dich. Vermassle es nicht."
So begann die nächste Reise des Aldoc Tuk, dieses Mal in Richtung Westen, nach Bruchtal. Der Hobbit nahm nicht die Oststraße wie sonst immer, da dort zu viele von Scharrers Handlangern unterwegs waren und man zudem auf diesem Weg nicht mehr aus dem Auenland gelangte, da sie ein Tor an der Grenze errichtet hatten, das stets bewacht wurde. Zuerst überlegte er, durch den Alten Wald zu gehen, aber er wollte keine unnötigen Risiken eingehen, also umging er den Wald und die Hügelgräberhöhen im Süden und bewegte sich dann wieder in Richtung Norden.
Auch Bree besuchte er nicht, da er sich bei seinem Marsch nach Norden auch immer weiter nach Osten bewegte, sodass er irgendwann zur Wetterspitze gelangte, wo er in einer nahen kleinen Höhle nächtigte, bevor er am nächsten Morgen seine Reise fortsetzte. Schließlich erreichte er die Steintrolle und bewältigte danach auch noch den letzten Rest des Weges, sodass er eines Mittags endlich Imladris erreichte.
Elronds Haus lag in einem Tal am Rande der Nebelberge am Fluss Bruinen. Der Weg in das Flusstal war beschwerlich, aber letztlich gelang es Aldoc, das unwirtliche Gelände hinter sich zu lassen und in den weniger unfreundlichen Teil des Tales zu gelangen, wo eine Treppe zum Talgrund hinab führte und er einem angelegten Pfad zum Haus folgen konnte, welches man nur zu sehen vermochte, wenn man sehr nahe dran war.
Als er schon fast am Ziel war, wurde er wie in Mithlond von einigen Wachen aufgehalten, die genauso überrascht waren, einen Hobbit zu sehen, wie es Jahre zuvor Farodas gewesen war. Nachdem er ihnen erklärt hatte, dass der Thain ihn schickte, ließen sie ihn passieren, allerdings begleitete ihn einer der Elbenwächter. Es seien dunkle Zeiten, so begründeten sie diese Maßnahme, und man könne niemandem trauen.
Letztendlich kam er also mehr oder weniger als Gefangener nach Imladris, wo man ihm ein Zimmer zuwies, in welchem er warten sollte. Das Zimmer war fürstlich eingerichtet, auch wenn die Möbel zu groß für ihn waren. Das Bett zum Beispiel hätte wahrscheinlich Platz für fünf Hobbits geboten. Er setzte sich auf die weiche Federmatratze und wartete, wie es ihm befohlen worden war. Schließlich klopfte es an der Tür.
Aldoc erhob sich und ging zur Tür, um sie zu öffnen. Davor stand ein schwarzhaariger Elb, der ihn aus traurigen, grauen Augen betrachtete. Der Halbling meinte zuerst, es sei ein Traum, aber es war tatsächlich Farodas, der da vor seinem Zimmer stand. Er bat den Elb einzutreten und bot ihm einen Platz auf einem wundervollen Sessel an, in den sich Farodas erschöpft sinken ließ.
Dunkle Ringe lagen unter den Augen des einstigen Torwächters von Mithlond, er wirkte deprimiert und müde. Dennoch rang er sich ein Lächeln ab. "Ich habe gesehen, wie sie dich ins Haus gebracht haben, Aldoc. Bald wird Erestor sich anhören, was du zu sagen hast. Ich... ich wollte dich davor besuchen."
"Ich bin froh, dass jemand hier ist, den ich kenne", sagte Aldoc ehrlich. "Kannst du mir sagen, was los ist? Alle scheinen so bedrückt zu sein. Warum?"
Farodas seufzte. "Jeder sollte in diesen Zeiten bedrückt sein. Die Dunkelheit rückt aus dem Osten und Süden heran und alles Kämpfen scheint vergebens."
"Sprich nicht in Rätseln, sondern fang am Anfang an", verlangte der Halbling von seinem Freund. "Von welcher Dunkelheit sprichst du?"
"Du erinnerst dich an alles, was wir dir in Mithlond beigebracht haben?" Aldoc nickte. "Auch an die Geschichtsstunden?" Aldoc nickte erneut. "Sauron ist zurück. Und er hat den Ring."
Zwei kurze Sätze, die alles auf den Kopf stellten. Sauron, der dunkle Herrscher von Mordor, sollte zurückgekehrt sein? Und er war erneut im Besitz des mächtigsten Ringes der Macht, des Einen? Das war... schrecklich. Aldoc vermochte sich gar nicht vorzustellen, was das für ganz Mittelerde bedeuten mochte. Plötzlich bekam er Angst, furchtbare Angst.
"Aber... aber wie konnte das geschehen?", stotterte er. "Ich meine, ging der Ring nicht verloren? Wie konnte er ihn wiederfinden?"
"Er hat ihn nicht gefunden, sondern einer aus deinem Volk. Ein Hobbit. Bilbo Beutlin. Und dessen Neffe Frodo Beutlin sollte den Ring vernichten. Er und sein mutiger Gefährte wurden jedoch erwischt und getötet. Dadurch bekam Sauron zurück, was sein ist."
Das musste Aldoc erstmals verdauen. Frodo war tot? Und sein mutiger Gefährte? Etwa der Gärtner? Oder vielleicht Merry oder Pippin? Was war mit ihnen? "Und Bilbo... du sagtest, er hatte den Ring als erster. Wo ist er? Wurde er auch... umgebracht?"
Farodas schüttelte den Kopf. "Er starb in Frieden hier in Imladris. Ich war bei der Trauerzeremonie anwesend, so wie viele andere. Sogar zwei Istari waren dort."
Also war Bilbo auch tot. Er und Frodo und dessen Gärtner und vielleicht auch Merry und Pippin. Was sollte er Petunia und Paladin sagen? Könnte er ihnen noch in die Augen sehen, nachdem er die Nachricht von Peregrins Tod überbracht hatte? Ach, was spielte das schon für eine Rolle? Was spielten die Probleme des Auenlandes für eine Rolle? Wenn Farodas die Wahrheit sagte – und daran zweifelte Aldoc nicht – dann waren sie alle verloren.
"Wo ist Varnawen?", fragte Aldoc, nachdem sie einige Zeit geschwiegen hatten.
"Nach Westen gesegelt", teilte Farodas ihm tonlos mit. "Ich dagegen bin nach Osten gegangen. Ich will Mittelerde nicht aufgeben, ohne vorher darum gekämpft zu haben. Deshalb will ich mich dem Heer von Bruchtal anschließen."
"Erzähl mir alles", forderte Aldoc von seinem Freund. "Von Anfang an. Alles, was du weißt. Über Frodo, den Krieg, die Erfolge ... und Niederlagen der freien Völker. Ich will es alles wissen. Ich muss es alles wissen. Wenn ich vor die Könige und Fürsten der freien Völker trete, will ich kein Unwissender sein."
Farodas nickte und begann zu erzählen. Der Elb wusste nicht alles, viele Details fehlten, aber er war dennoch gut genug informiert, um die Zusammenhänge nachvollziehbar darstellen zu können. Er erzählte von den ersten Kämpfen in den südlichen Reichen der Menschen, Gondor und Rohan, von den großen Schlachten und den Siegen der Menschen. Dann kam er zum Wendepunkt des Krieges, als Sauron den Ring zurückbekam und der neue König von Gondor am Schwarzen Tor scheiterte. Er erzählte auch von den Schlachten die danach ausgefochten worden waren, von der Eroberung Thals und des Erebors durch den Nazgul Khamul, den Kämpfen im Süden Gondors und der Einnahme Lothloriens durch Saruman.
Kurz nachdem er endete, klopfte es erneut an der Tür. Dieses Mal stand ein Elb davor, den Aldoc nicht kannte und der sich ihm als Erestor vorstellte. Farodas verließ das Zimmer, damit sich der Halbling und Elronds Vertreter alleine unterhalten konnten, dann nahmen die beiden Platz. "Als mir die Wachen berichteten, ein Halbling sei nach Bruchtal gekommen, dachte ich zuerst, es sei einer von den beiden noch lebenden Hobbits, die Teil der Gemeinschaft waren. Aber wie ich sehe, habe ich mich getäuscht. Dürfte ich deinen Namen erfahren?"
"Aldoc Tuk", stellte sich der Abenteurer vor. "Ich wurde von meinem Herrn, dem Thain des Auenlandes, Paladin II., hierher geschickt, um Beistand für meine Heimat zu erbitten. Als ich aufbrach, wusste ich nichts von dem Krieg, der im Gange ist. Nun jedoch, da ich hier bin und all dies erfahren habe, weiß ich nicht, ob die Umstände im Auenland noch von Bedeutung sind."
"Nichts besitzt keine Bedeutung, und sei es noch so klein", meinte Erestor nur. "Einst spielte ein Hobbit eine große Rolle in der Geschichte Mittelerdes. Ihm ist es zu verdanken, dass der Drache Smaug getötet wurde. Wenn die Hobbits Probleme haben, so glaube ich, dass es einige Personen gibt, die sich noch gut genug an Bilbo erinnern, um ihm dankbar zu sein für das, was er getan hat. Gib die Hoffnung nicht so schnell auf, junger Aldoc."
"Ich danke euch für die aufmunternden Worte", dankte Aldoc dem Elben. "Die Probleme, von denen ich sprach ... das Auenland wird unterdrückt. Von Menschen, die unter dem Kommando von jemandem mit dem Namen Scharrer stehen. Es ist grausam für unser Volk, aber dieser Tage leiden viele Leute, nicht wahr? Ich denke, wir können noch froh sein, eine Heimat zu haben. Nicht wie all die Flüchtlinge aus Gondor, Lorien und dem Erebor."
"Du magst vielleicht richtig liegen." Erestor wirkte sehr ernst. "Aber wie ich bereits sagte, verzage nicht zu schnell. Es sind zwei Hobbits in Aldburg, Meriadoc Brandybock und Peregrin Tuk, die einige der Könige und Fürsten kennen. Wenn du dich dorthin begibst, wer weiß, vielleicht erreichst du dann jemanden, der die Macht hat, etwas gegen die Unterdrückung im Auenland zu tun."
"Pippin und Merry leben?", fragte Aldoc erfreut. "Sie sind nicht tot?"
Für diese wunderbaren Neuigkeiten hätte er Erestor am liebsten umarmt. Nun würde er Peregrins Schwester und seinem Vater nicht die Nachricht von dessen Tod überbringen müssen. Außerdem musste er nun unbedingt nach Aldburg, um dafür zu sorgen, dass Pippin auch weiterhin am Leben blieb. Dieser Narr brachte sich fast genauso oft in Schwierigkeiten wie Aldoc.
"Also gut", beschloss Aldoc. "Ich gehe nach Aldburg und sehe, was ich für das Auenland tun kann. Und wenn ich das erledigt habe, so werde ich vielleicht versuchen, im Kampf gegen Sauron und Saruman zu helfen, auch wenn ich wahrscheinlich nicht viel bewirken kann."
So wurde seine nächste Reise beschlossen, dieses Mal weit in den Süden. Bevor er jedoch aufbrach, blieb Aldoc noch ein paar Tage in Bruchtal, das trotz der hier herrschenden Traurigkeit noch immer ein wunderschöner Ort war. Er erforschte Elronds Haus von oben bis unten, bewunderte die kunstvollen Gärten und Gebäude, und durchstreifte das Flusstal des Bruinen.
Er begegnete einigen Elben, mit denen er Gespräche anfing, ein jeder hatte seine eigene Geschichte zu erzählen und manche wussten von Dingen, die Farodas nicht bekannt waren, sodass Aldoc nach und nach ein noch vollständigeres Bild der Geschehnisse bekam. So erfuhr er beispielsweise davon, dass Gandalf im Alten Wald schlief und Pallando in Lorien gegen Saruman gekämpft hatte.
An einem Abend sah er eine Elbe, auf deren Gesicht sich tiefe Sorgen, Furcht und Traurigkeit zeigten. Er wagte nicht, sie anzusprechen, denn sie wirkte schlimmer betroffen von den Schrecken dieser Zeit als die meisten anderen. Später erzählte ihm Erestor, dass dies Arwen Undómiel gewesen sei, die Tochter des Elbenfürsten Elrond und Verlobte des gefangenen Königs von Gondor. Sie sorgte sich um Aragorn, der in der Gefangenschaft bestimmt einiges erleiden musste.
Drei Tage nach seiner Ankunft schließlich war es so weit, dass er Imladris wieder verlassen musste, so gut es ihm hier auch gefiel. Gerne hätte er Elronds Haus in fröhlicheren Zeiten erlebt, aber vielleicht könnte er das eines Tages wieder, wenn der Krieg gewonnen wurde. Sauron hatte den Ring, ja, aber war er nicht schon einmal trotz dieser Tatsache besiegt worden? Aldoc jedenfalls war nicht gewillt, die Hoffnung aufzugeben. Und dass sich so viele Fürsten und ihre Heere in Aldburg versammelten, sagte ihm, dass auch viele andere die Hoffnung nicht aufgegeben hatten. Es war Zeit, sich ihnen anzuschließen.
Farodas hatte bereits am Tag von Aldocs Ankunft bekanntgegeben, dass er den Hobbit nach Aldburg begleiten würde und dafür war Aldoc sehr dankbar. Er brach nun in Lande auf, die er noch nicht kannte und in denen es sehr gefährlich war, da konnte es nicht schaden, einen Gefährten zu haben. Zudem stellte Erestor ihm ein Pony aus den Ställen von Bruchtal zur Verfügung, damit er den Weg nicht zu Fuß bewältigen musste. Aldoc nannte das Pony "Bert", nach einem der drei Trolle aus Bilbos Geschichten.
Schließlich verabschiedeten sie sich von Erestor, bei dem sich Aldoc für die Gastfreundschaft bedankte, bevor er sich umdrehte und Imladris hinter sich zurückließ. Einmal blickte er noch zurück und sah auf einem Balkon die traurige Elbe stehen, Arwen, wie sie ihm und Farodas hinterher blickte. Und unter all der Melancholie und Sorge meinte er in ihren Augen eine schwache Hoffnung zu erkennen.
Der Kampf war nicht vorbei. Sauron konnte noch besiegt werden. Sie mussten nur alle mutig zusammenstehen.
Aldoc und Farodas beschlossen, die Nebelberge an keinem der Pässe zu überqueren, sondern an ihnen entlang nach Süden zu ziehen und schließlich über die Pforte von Rohan in die Westfold zu gelangen. Der junge Hobbit musterte die neuen Karten des Südens interessiert, denn seine eigene Karte endete im Süden ungefähr auf der Höhe Morias. Erstmals sah er nun, wie der südliche Teil Mittelerdes aufgebaut war, wo Gondor und Rohan lagen und natürlich Mordor, wo der dunkle Herrscher feige in seiner Festung saß.
Aldoc deutete mit dem Finger auf eine Stadt am östlichen Rand des Weißen Gebirges. "Minas Tirith", las er den Namen der Stadt laut vor. "Dort liegt es also." Seine Augen suchten nach anderen Orten aus den Geschichten über den Krieg gegen Sauron und Saruman. Er entdeckte Lothlorien und Dol Amroth und Isengard. Und natürlich Aldburg, wo sie hin wollten.
Die Reise nach Süden war im Großen und Ganzen ein ruhiger Ritt, bei dem sie viel Zeit hatten, sich zu unterhalten. Obwohl sie des Nachts Wache hielten, ließ die Bedrückung hier ein wenig nach, denn die Natur schien nichts von der Dunkelheit zu bemerken, die über Mittelerde hereingebrochen war. Es war... befreiend, zu zweit durch die Lande zu reisen, nur von Pflanzen und Tieren umgeben.
Die beiden Gefährten sprachen über die guten, alten Zeiten in Mithlond, über Varnawen, welcher Farodas hinterher trauerte, als wäre sie tot. Aldoc riet ihm, selbst nach Westen zu segeln, sobald Sauron besiegt wäre. "Vielleicht haben sie ja auf dem Schiff auch noch einen Platz für einen Hobbit frei?", fragte er lachend. "Ist denn jemals ein Hobbit nach Aman gesegelt?"
"Nein", antwortete Farodas ebenfalls lachend. "Aber vielleicht nehme ich dich eines Tages mit. Einen munteren Gefährten kann man auf jeder Schifffahrt gebrauchen." Plötzlich trübte sich die Freude auf dem Gesicht des Elben jedoch. "Du redest so leicht über eine glückliche Zukunft. Sobald Sauron besiegt ist, das sagst du so, als sei es eines der einfachsten Dinge der Welt, den Krieg zu gewinnen. Ich weiß nicht, ob ich dich um diese Zuversicht beneiden soll."
Nun wurde auch Aldoc ernst. "Ich bin nicht so zuversichtlich, wie es vielleicht den Anschein hat. Ich versuche nur, der Situation noch ein wenig Freude abzugewinnen. Warum sollten wir uns keine glückliche Zukunft vorstellen, solange wir das noch können? Eine Zukunft, in der du Varnawen wiedersiehst und ich lebend in ein freies Auenland zurückkehre? Wir alle hoffen in diesen Zeiten. Nimm dir nicht selbst die Hoffnung, mein Freund. Kämpfe um sie, denn viel mehr haben wir alle nicht mehr."
"Weise Worte aus einem jungen Mund", meinte Farodas. "Es gibt Jahrtausende alte Elben, die wohl noch einiges von dir lernen könnten. Langsam verstehe ich, warum Mithrandir von euch Hobbits so fasziniert war."
Einige Tage später rasteten sie in einer kleinen Höhle in den Ausläufern der Nebelberge, die scheinbar unbewohnt war. Natürlich erinnerte sich Aldoc an Bilbos Geschichte und teilte Farodas seine Sorgen mit, daher durchsuchten sie die ganze Höhle nach etwaigen versteckten Eingängen, fanden aber nichts. Nach der Suche entzündeten sie ein kleinen Feuer und redeten noch ein wenig, bevor Aldoc schließlich einschlief. Farodas übernahm wie stets die erste Wache.
Der Hobbit erwachte durch ein Rütteln an der Schulter. Es war dunkel in der Höhle, das Feuer war erloschen, aber nachdem sich seine Augen an die Finsternis gewöhnt hatten, konnte er Farodas erkennen, der vor ihm kniete und einen Finger auf die Lippen legte. Aldoc nickte und begab sich gemeinsam mit dem Elben zum Eingang der Höhle, wo sie angestrengt auf die nächtliche Landschaft hinaus starrten.
"Was ist los?", fragte Aldoc flüsternd. "Ich sehe nichts."
Wie auf Kommando erklang ein fernes Heulen, das ihn zusammenzuckend ließ. Unwillkürlich schnellte seine Hand zu dem Wargzahn, den er als Anhänger an einer Kette um den Hals trug. Bilbos Geschenk an ihn, damals, während der Abschiedsfeier. "Warge", stellte Farodas fest. "Ganz nahe."
"Warge." Aldoc stieß das Wort hervor wie einen Fluch. Den Namen der Bestien auszusprechen, nahm ihnen irgendwie einen Teil ihres Schreckens. Dennoch begann er zu zittern. "Ich hasse Wölfe. Ich... ich weiß nicht, ob ich gegen sie kämpfen kann."
"Vielleicht kommt es nicht zum Kampf", sagte Farodas hoffend. "Sie haben uns noch nicht gewittert, glaube ich. Außerdem sind wir hier in einer guten Position. Es können nicht viele Warge auf einmal durch den Höhleneingang kommen."
Aldoc zitterte noch stärker und stellte fest, dass er sich nicht mehr bewegen konnte. "Einer ist schon zu viel."
Farodas musterte ihn besorgt. "Du wirkst sehr angespannt. Was ist los?"
"Ich ... ich ..." Aldoc hatte noch nie mit jemanden außer Bilbo über den Angriff des Wolfes vor all den Jahren gesprochen. Doch nun, da ihn die Angst zu überwältigen drohte, sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus. "Ich wurde einst von ... einem Wolf ... angegriffen. Eine wütende Bestie, die mir in ... den Arm biss. Ich ... hasse Wölfe seither über alles. Und ich ... fürchte mich ... vor ihnen."
"Du bist mutig, Aldoc", entgegnete der Elb, während er seinen Speer zur Hand nahm. Anscheinend glaubte er doch, dass es zum Kampf kommen würde. "Mut heißt, die Angst zu überwinden. Wenn es hart auf hart kommt, wirst du gegen die Warge kämpfen können, davon bin ich überzeugt."
Diese Überzeugung teilte Aldoc nicht, aber es war nun keine Zeit mehr, darüber zu diskutieren. Weiter unten am Hügel, in welchem sich die Höhle befand, konnte er nun einige schwarze Gestalten ausmachen, die sich dem Höhleneingang langsam näherten. Schnüffelnd und knurrend kamen sie den Hügel empor, wo Farodas mit vorgestrecktem Speer bereits auf sie wartete.
Der Kampf begann so unmittelbar, dass Aldoc zuerst überrascht zurückwich. Einer der großen Wölfe sprang schlagartig auf den Höhleneingang zu und wurde noch im Flug von Farodas aufgespießt, der die Wucht des Sprunges gekonnt in eine Drehung umleitete, bei der der Kadaver von der Speerspitze rutschte, sodass sie wieder frei war.
Der nächste Warg griff ebenso stürmisch an. Farodas nutzte den Speerschaft, um den Biss der Bestie abzuwehren, und schlug ihr danach mit der Faust auf die Schnauze, sodass sie sich winselnd zurückzog. "Aldoc!", rief der Elb. "Sie bluten und sterben wie alle Wesen. Du kannst sie besiegen! Nimm deinen Bogen!"
Dieses Mal griffen sie zu dritt an, einer kam von rechts, einer von links und einer von vorne. Sie sprangen gleichzeitig auf Farodas zu, der den vorderen Wolf aufspießte und mit der gleichen Bewegung dem linken Wolf mit dem stumpfen Ende des Speeres einen Schlag an den Kopf verpasste, der ihn taumelnd zurückweichen ließ. Der rechte Warg dagegen wurde nicht aufgehalten und verbiss sich in Farodas' Arm. Gepeinigt schrie der Elb auf und ließ den Speer fallen. Mit der linken Hand zog er einen Dolch und rammte ihm der bösartigen Kreatur durchs Auge ins Gehirn. Die Zähne lösten sich von seinem Arm, aber der Angriff war noch nicht vorbei.
"Hilf mir, Aldoc!", schrie Farodas verzweifelt, während er mit dem Dolch einen weiteren Wolf tötete. Sein rechter Arm hing schlaff an seiner Seite herab.
Der Hobbit konnte nur erstarrt zusehen, wie die Warge Farodas nach und nach immer mehr Wunden zufügten. Irgendwie hatte er seinen Bogen in die Finger bekommen und einen Pfeil aufgelegt, aber er war nicht imstande, diesen auch abzufeuern. Das war ihrer beider Tod. Die Warge würden sie hier zerfleischen, das wusste er.
Ich warte auf dich, gingen ihm Petunias Worte durch den Kopf, vermassle es nicht. Aldoc traten die Tränen in die Augen. Ich kann das nicht. Es sind Wölfe! Er meinte zu hören, wie Petunia abfällig schnaubte. Wolltest du nicht ein Abenteurer sein? Beweise, dass du das Zeug dazu hast!
Farodas wich zur Seite, als ein Warg nach ihm schnappte, und kam damit in Reichweite eines anderen Wargs, der ihm ins linke Bein biss. Der Elb sank auf die Knie, ein weiterer Wolf kam auf ihn zu und öffnete das Maul mit den spitzen Zähnen direkt vor seinem Gesicht. Gleich würde er zuschnappen und dem tapferen Krieger ein Ende bereiten.
Doch das ließ Aldoc nicht geschehen. Ehe er das Gesicht des Elben zerfleischen konnte, traf den Warg ein Pfeil in den Kopf, tot sank er auf der Stelle zusammen. Der andere Wolf, der noch immer Farodas' Bein umschlungen hielt, wurde kurz darauf von einem weiteren Pfeil erlegt. Der Elb versuchte sich zu erheben, sank jedoch sofort wieder auf den Boden zurück. Die Warge – es waren nur noch zwei – erkannten die Gelegenheit und stürzten sich auf ihn. Aldoc erledigte den einen von ihnen mit einem Schuss ins offene Maul, doch er war nicht schnell genug, um auch den anderen rechtzeitig zu erwischen.
In dem Moment, als Aldoc den nächsten Pfeil auflegte, riss der Wolf Farodas ein Stück Fleisch aus der Hüfte. Keine Sekunde später wurde er von dem Pfeil durchbohrt und brach winselnd zusammen. Der Kampf war vorbei, Aldoc war am Leben und unverletzt. Doch das Gleiche konnte nicht über Farodas gesagt werden.
Der Hobbit rannte zu seinem Freund und kniete sich neben ihn. Der Elb blutete aus zahlreichen Wunden, doch am schlimmsten sah die letzte aus, wo ein Stück seiner Hüfte fehlte, und stöhnte vor Schmerz, aber als er Aldoc sah, lächelte er. "Tapferer ... Hobbit", brachte er keuchend hervor. "Wenn du jemals ... nach Aman kommst ... sag Varnawen, sie soll mich ... in Mandos Hallen besuchen kommen."
Dann tat Farodas von Mithlond seinen letzten Atemzug.
Aldoc hatte nicht die Mittel, Farodas ordentlich zu begraben, und er wusste auch nicht, wie Bestattungen bei Elben genau abliefen. Daher suchte er in einem nahen Wald ein wenig Holz zusammen, um einen behelfsmäßigen, kleinen Scheiterhaufen zu errichten, und verbrannte Farodas. Es war ihm bewusst, dass der Rauch meilenweit zu sehen sein würde, aber er wollte seinen Freund nicht hier liegen lassen, damit er einfach verrottete.
Als er am brennenden Scheiterhaufen stand, traten ihm die Tränen in die Augen. "Es tut mir leid, Farodas. Wenn ich meinen Mut früher gefunden hätte, wärst du nicht... es tut mir so leid."
Danach setzte er die Reise alleine fort, denn er hatte das Ziel nicht aus den Augen verloren. Farodas' Pferd ließ er laufen, da er es nicht brauchen konnte, sodass er und sein Pony Bert nun alleine waren. Die Richtung war nach wie vor Süden, wo er irgendwann die Pforte von Rohan erreichen musste, über die er in die Westfold und dann nach Aldburg käme.
Dieser Weg, das war ihm bewusst, stellte noch eine längere Strecke dar, als er auf seinen Reisen nach Mithlond zurückgelegt hatte, aber das ließ ihn nicht zurückschrecken. Ob mit oder ohne Farodas, er würde Aldburg erreichen, Merry und Pippin finden und dem Auenland die Unterstützung der Fürsten und Könige von Mittelerde sichern.
Glorfindel, Galadriel, Eowyn, Thorin III., das waren nur ein paar der Namen, die er in Bruchtal erfahren hatte, allesamt gehörten sie mächtigen Personen. Auch von Aragorn, Legolas und anderen gescheiterten Helden hatte er gehört, die ihr Leben oder ihre Freiheit im Kampf gegen Sauron gegeben hatten. Wie konnte er es wagen, sich unter diese Leute zu gesellen, wie konnte er sich wünschen, mit erhabenen Elbenfürsten und mächtigen Königen der Menschen und Zwerge zu sprechen?
Aber hatten es Pippin und Merry nicht auch geschafft? Was auch immer kommen mochte, Aldoc würde sich nicht einfach einschüchtern lassen. Nein, ganz im Gegenteil, er würde sich einen Platz unter diesen Helden verdienen!
Leider wurde diesen Träumen nur allzu schnell ein Ende gesetzt. Wie sich herausstellte, war der Rauch des brennenden Scheiterhaufens tatsächlich nicht unbemerkt geblieben. Nicht einmal einen ganzen Tag nach Farodas' Tod erspähte der Hobbit in der Ferne eine Gruppe Menschen, die nach Norden zog und scheinbar auf der Suche nach etwas war. Da sie den Halbling anscheinend noch nicht bemerkt hatten, zog er sich schnell in eine Senke hinter einem Hügel zurück, sodass sie ihn nicht sehen konnten.
Dort wartete er eine Zeit lang angespannt, während Krähen über ihn hinweg flogen, und lauschte auf die Gruppe, die keine fünfzig Schritt östlich seiner Position an ihm vorüber zog. Laut seiner Karte befand er sich hier in Dunland, das seines Wissens nach nicht unter der Herrschaft eines jener Herrschers stand, die sich in Aldburg versammelt hatten. Zudem wirkten diese Kerle nicht gerade freundlich. Schließlich glaubte er, die Menschen seien an ihm vorbeigezogen, und erklomm den Hügel, um sich von der genauen Lage der Schar zu überzeugen.
Zu seinem Entsetzen befand sich eine weitere Gruppe direkt auf der anderen Seite des Hügels. Als er auf der Kuppe angelangte, traf sein Blick den eines Menschen, für kurze Zeit schien die Welt stillzustehen und die Luft anzuhalten. Nun, eigentlich war es nur Aldoc, der unwillkürlich die Luft angehalten hatte und sie wieder ausstieß, als der Mensch die Hand hob und mit einem aufgebrachten Schrei auf ihn deutete.
So viel zum Verstecken, dachte der Hobbit noch, bevor er auf der Stelle kehrt machte und den Hang, den er soeben empor gekommen war, wieder hinunter sprintete. In der Senke kaute Bert zufrieden auf einem Büschel Gras und starrte seinem flüchtenden Herrn unbeeindruckt entgegen. Aldoc sprang mit einem Satz auf Bert, dem vor Überraschung das Gras aus dem Maul fiel und spornte das Pony sofort zum Galopp an.
Wenn Bert seinen Namen verdient hatte, dann wohl aufgrund seiner unglaublichen Schnelligkeit, denn er setzte sich so träge wie ein fetter Troll in Bewegung. Die Dunländer, die johlend und mit erhobenen Waffen nun ebenfalls den Hügel hinunter stürmten, würden das schwerfällige Pony wohl bald schon einholen.
"Du Dummkopf!", rief Aldoc und schlug Bert mit der flachen Hand auf die Schnauze. "Tu gefälligst was für unser Überleben!"
Bert blieb trotzig stehen. Im ersten Moment realisierte Aldoc gar nicht, was das für ihn bedeutete, dann brach es jedoch mit aller Klarheit über ihn herein: Sein Pony hatte ihn verraten! So zornig er auch über den bockigen Bert war, so unwillig war er auch, von den Dunländern getötet zu werden. Er beachtete sein ungehorsames Reittier nicht weiter, sprang von dessen Rücken und floh zu Fuß.
Sehr weit kam er jedoch nicht, denn plötzlich kam über einem vor ihm liegenden Hügel jene erste Gruppe von Menschen gerannt, von der er angenommen hatte, sie sei an ihm vorbeigezogen. Derart zwischen den beiden Scharen eingekesselt blieb er entsetzt stehen. Doch das Entsetzen lähmte ihn nicht, wie es bei den Wargen der Fall gewesen war. Nein, ganz im Gegenteil, es verwandelte sich in eine tiefe Ruhe, die sein Innerstes ausfüllte und ihn alle Angst vergessen ließ. Das hier waren nur Menschen und keine Wölfe, er konnte sie vielleicht nicht besiegen, aber er konnte zumindest einige von ihnen mit in den Tod nehmen.
Der Hobbit nahm seinen Bogen zur Hand, legte einen Pfeil auf, zog die Sehne nach hinten und ließ den Pfeil fliegen, und das alles in einer geschmeidigen, schnellen Bewegung. Ein Dunländer wurde in der Brust getroffen und stürzte, seine Leiche rollte den Hang hinunter. Der Rest der Menschen ließ sich durch diesen Verlust jedoch nicht aufhalten, sondern rannte unaufhaltsam weiter. Aldoc tötete noch zwei Dunländer, bevor die Distanz zu gering wurde und er seinen Bogen gegen das Schwert eintauschte, mit welchem er stets Übungskämpfe gegen Farodas ausgetragen hatte. Er wollte jetzt lieber nicht daran denken, wie ungeschickt er sich in den Übungen angestellt hatte.
Der erste Dunländer, der ihn erreichte, brüllte ihm seinen fauligen Atem ins Gesicht und schlug aus dem Lauf heraus mit einer doppelschneidigen Axt nach Aldoc. Der junge Hobbit versuchte, den Hieb mit seinem Schwert abzuwehren, was ihm auch gelang, allerdings besaß der Schlag eine solche Wucht, dass Aldoc ins Taumeln geriet. Sein Kontrahent setzte sofort nach und führte die Axt dieses Mal seitlich gegen den Kopf des Halblings, der dem tödlichen Streich nur entkam, indem er sich reflexartig fallen ließ. Ohne genau darüber nachzudenken, was als nächstes zu tun war, stach er dem Feind in den Fuß, sodass dieser ebenfalls stürzte, wobei er seine Axt losließ. Aldoc nutzte diese Gelegenheit und schnitt ihm die Kehle durch.
Ächzend rappelte er sich auf und wollte sich mutig den nächsten Gegnern stellen, als er feststellte, dass er von Dunländern umringt war, die seinen Kampf anscheinend beobachtet hatten, so wie sie ihn jetzt stumm beobachteten. Sie hatten ihre Waffen nicht gesenkt, griffen aber auch nicht an. Was ist los?, fragte sich Aldoc. Habe ich sie durch meinen Sieg gegen diesen Krieger etwa so eingeschüchtert, dass sie es nicht wagen, sich mir zu nähern? Dieser Gedanke war so lächerlich, dass er beinahe laut gelacht hätte, aber er hielt sich zurück. Wer weiß, wie diese Menschen darauf reagiert hätten.
Plötzlich drängte sich ein hünenhafter Krieger mit nacktem, stark vernarbten Oberkörper durch die Menge, die ihm bereitwillig Platz machte und eine Gasse für ihn bildete. Der Mann besaß wie die meisten Dunländer schwarzes Haar, welches er zu mehreren Zöpfen gebunden hatte, verschlungene Linien waren ihm auf Gesicht, Arme und Brust gemalt worden. Sein Bart war lang und mit verschiedensten Dingen geschmückt, darunter Knochenstücke. Dieser Dunländer muss eine Art Häuptling sein, mutmaßte Aldoc.
"Auf welcher Seite steht ihr?", wollte der Hobbit wissen. "Untersteht ihr Saruman, kämpft ihr noch für ihn wie in Helms Klamm?" Erestor hatte ihm von der Schlacht um die Hornburg erzählt, da Farodas ihm nicht viel darüber hatte sagen können. "Wenn es nicht so ist, bitte ich euch, mich gehen zu lassen." Kam diese Bitte nicht etwas zu spät? Eigentlich bezweifelte er, dass sie ihn einfach so laufen ließen, wo er doch vier ihrer Gefährten getötet hatte. Es war wohl die Verzweiflung, die ihn zu dieser Bitte getrieben hatte. "Bestimmt fürchtet ihr auch die Dunkelheit, die über Mittelerde hereinbricht. Aber wir haben noch eine Chance! Sauron hat noch nicht gewonnen! Begleitet mich nach Aldburg und schließt euch den Völkern an, die gegen den Dunklen Herrscher ankämpfen! Wollt ihr nicht einen Teil zur Freiheit Mittelerdes beitragen?" Das war eine gute Rede, fand er. Leider war der Häuptling da anderer Meinung.
"Wir dienen nicht mehr dem Mann mit der Zauberzunge", sagte der Mann in astreinem Westron. "Aber auch keinem anderen. Wir sind nun unsere eigenen Herren. Und du bist unser Gefangener."
Gefangener? Das war immerhin besser, als von ihnen umgebracht zu werden. Dennoch zog er die Freiheit vor. "Ich flehe euch an, nehmt mein Angebot an! Geht nach Aldburg, helft dort, sofern ihr helfen könnt!"
"Sei still, kleiner Mann", fuhr ihn der Häuptling an. "Du kommst nun mit uns. Für deine Größe hast du großen Mut bewiesen. Wir entscheiden später, was wir mit dir anstellen. Aber mache dir keine großen Hoffnungen."
Nun rief er einen Befehl in der kehligen Sprache der Dunländer. Sofort traten einige Krieger auf Aldoc zu, entledigten ihn seiner Waffen und banden ihm die Hände hinter den Rücken. Nein, dachte Aldoc. So darf diese Reise nicht enden! So hat noch nie eine meiner Reisen geendet. Da erkannte er plötzlich die Wahrheit, die er schon bei seinem Aufbruch aus dem Auenland tief in seinem Inneren gewusst hatte, die ihm jedoch erst jetzt in aller Klarheit bewusst wurde. Das ist keine gewöhnliche Reise. Es ist nicht wie sonst immer, als ich ein wenig in diese und ein wenig in jene Richtung gewandert bin. Nun bin ich letzten Endes doch in Bilbos Fußstapfen getreten. Ich bin in ein Abenteuer gezogen.