Das Haus Lenwe
Die ist die Geschichte des Hauses Lenwe, begonnen von Nellas aus Doriath zu Anfang des zweiten Zeitalters von Mittelerde im vergangenen Lórinand, vollendet von ihrem Sohn Oronêl in Lindon zu Anfang des vierten Zeitalters. Dies sind die letzten Worte, die ich in dieser Welt schreiben werde bevor ich das Schiff nach Westen besteige, denn die Geschichte der Elben sollte auch in der Welt der Menschen nicht vergessen werden. Und so wird eine Abschrift diese Buches niedergelegt werden in der Bibliothek der Fürsten von Dol Amroth, die ihre Abstammung auf Lenwe selbst zurückführen können.
Oronêl Galion, im vierten Jahr des vierten Zeitalters der Sonne.
Teile dieses Buches wurden in den Trümmern der fürstlichen Bibliothek von Dol Amroth gefunden, nachdem diese durch ein Feuer zerstört wurde. Obgleich es sich in einem nur der fürstlichen Familie zugänglichen Teil der Bibliothek befand, stellt der Fürst dem königlichen Archiv von Minas Tirith eine Abschrift der lesbaren Teile zur Verfügung.
Landil, Schreiber im königlichen Archiv
Erster Teil: Erwachen
Lange noch, bevor Mond und Sonne am Himmel schienen, hängte Elbereth, die Sternenentzünderin, die Sterne an den Himmel, und als Menelmarca, der Krieger zum ersten Mal über den klaren nördlichen Himmel wanderte, begann die Geschichte der Elben und auch die Geschichte des Hauses Lenwe.
Unter Menelmacars Licht erwachten die ersten unseres Volkes: Imin und Iminye, Tata und Tatie, und Enel und Enelye. Nach und nach fanden diese weitere Schlafende, und weckten diese. Einige schlossen sich Imin an, und wurden als Minyar bekannt. Ein größerer Teil, der als Tatyar bekannt wurde, wählte sich Tata zum Fürsten, doch der größte Teil der Quendi schloss sich Enel an und wurde als Nelyar bekannt.
Für lange Zeit lebten die Quendi in Frieden an den Wassern des Cuiviénen, und von jenen ersten Tagen ist ihren Nachfahren wenig bekannt, doch wurden in jener Zeit, als die ersten Worte erdacht wurden, Enel und Enelye vier Söhne geboren: Elwe, der älteste, der später König in Doriath wurde, Olwe, der einige der Nelyar nach Aman führte, Alwe, und Elmo, der jüngste, der bei seinem Bruder Elwe in Doriath wohnte.
Doch nach einiger Zeit wurde das Dasein der Elben bemerkt: Orome, der Jäger, kam nach Mittelerde, und jagte in der Nähe des Cuviénen, und das Schicksal wollte es das er die Elben erblickte, die am Ufer des Sees lagerten. Und er sprach mit ihnen, und begann dieses neue Volk in der Schöpfung zu lieben. Und so sprach er sich bei seiner Rückkehr nach Aman dafür aus, das Böse, das im Norden lauerte, zu bekämpfen um die Elben zu schützen, und die Valar zogen in den Krieg. Die Elben bemerkten wenig von dem Krieg, der ihretwillen geführt wurden, außer einem Licht, wie Wetterleuchten, am nördlichen Himmel. Und es kam eine Zeit, da bebte die Erde, und der Norden wurde von Blitzen erhellt. Es war die Zeit der Niederlage Melkors, und zu dieser Zeit wurde Lenwe als Sohn des Alwe und Enkel des Enel und der Enelye geboren. Es ist nicht bekannt, wer seine Mutter war, denn Alwes Geschwister sind dahin, und er selbst und seine Eltern sind in den Wäldern des Ostens verschwunden.
Nach der großen Schlacht kamen die Valar erneut zu Elben, und boten ihnen an, mit ihnen nach Aman zu kommen. Viele sprachen sich dafür aus, unter ihnen auch Elwe, und Finwe aus dem Stamm der Tatyar und Ingwe aus dem der Minyar. Doch sprachen auch einige dagegen, weil sie die Wälder und Wasser von Cuiviénen nicht verlassen mochten, darunter auch Alwe und sein Bruder Elmo. So gingen zunächst nur Ingwe, Finwe und Elwe als Botschafter nach Aman, und nach ihrer Rückkehr strahlten ihre Augen in ungewohntem Glanz, denn sie hatten das ungetrübte Licht der zwei Bäume gesehen. Sie sprachen von dem Glanz und der Schönheit Valinors und der Freundlichkeit der Valar, und viele folgten ihren Worten. Doch Alwe sprach gegen sie, und sagte: "Warum sollen wir unsere Heimat verlassen, die uns gegeben waren, uns auf eine lange, beschwerliche Reise begeben, obgleich wir hier alles haben, was mein Herz begehrt? Ich werde nicht gehen." Doch seinen Worten zum Trotz schlossen sich viele der Nelyar Elwe an, auch sein Bruder Elmo, aus Liebe zu Elwe, und sein Sohn Lenwe, denn er war jung und war es nicht zufrieden, für immer in Cuiviénen zu bleiben.
So kam es zur ersten Spaltung unter den Elben: Ungefähr die Hälfte der Nelyar schloss sich Elwe an, unter ihnen seine Brüder Olwe und Elmo, und sein Neffe Lenwe. Diese wurden unter dem Namen Teleri bekannt. Der Rest blieb unter der Führung Alwes am Cuiviénen, oder verstreute sich in den Wälden des Ostens. Diese nannte man später die Avari. Vor dem Abschied, traf Lenwe noch einmal auf seinen Vater, und [...]
Anmerkung des Archivars:An dieser Stelle sind mehrere Seiten größtenteils unleserlich. Aus den wenigen erhaltenen Stellen lässt sich erkennen, dass nun ein Gespräch zwischen Lenwe und seinem Vater Alwe folgt, in dem Lenwe Alwe beschwört ihn zu begleiten, Alwe jedoch ablehnt und mit seinen Eltern nach Osten zieht. Daraufhin bricht der Zug der Elben auf. Die nächste lesbare Stelle handelt bereits vom Zug der Elben.
Ab diesem Punkt ist wieder einiges unleserlich, dass sich mit Ardirs Leben unter Túrins Männern befasst.
[...], doch gegen die heimtückischste Waffe des Feindes konnte auch Túrin nicht lange bestehen: Er wurde verraten, und der Kleinzwerg Mîm führte, von Túrins Getreuen auf der Ebene unbemerkt, Morgoths Orks in das Versteck auf dem Amon Rûdh. Dort wurden alle von Túrins engsten Vertrauten erschlagen, bis auf Túrin selbst, der gefangen wurde, und seinen elbischen Freund Beleg, den die Angreifer für tot hielten.
Bald nach Túrins Gefangennahme kamen die Orks in solchen Mengen aus dem Norden, dass seine verbliebenen Getreuen, unter ihnen Ardir, versprengt wurden und, so sie nicht erschlagen wurden, in ihre Heimat zurückkehrten. Auch Ardir kehrte nach Nargothrond zurück, und wurde von Orodreth, der ihm seinen Fortgang verzieh, wieder aufgenommen.
Nur wenige Zeit später erreichte Túrin, der aus seiner Gefangenschaft entkommen war, in Begleitung Gwindors aus Nargothrond die Stadt, und hauptsächlich durch Gwindors Fürsprache wurde er in Nargothrond willkommen geheißen. Doch auch Ardir sprach für Túrin, denn er hatte die Hoffnung, dass Túrin den König von seinem Weg des heimlichen Kriegs abbringen würde. Und tatsächlich gelang es Túrin, Nargothrond wieder in den offenen Krieg gegen Angband zu führen, und Ardir schloss sich ihm erneut begeistert an.
Aber wenige Jahre nach Túrins Ankunft in Nargothrond kam Glaurung der Schreckliche, der Vater der Drachen, mit einer Armee aus dem Norden, um Nargothrond zu vernichten, und das Heer von Nargothrond zog ihm unter Túrins und Orodreths Führung entgegen.
[...]
Auch an dieser Stelle wird wieder vieles unleserlich, doch es folgt offenbar ein Bericht über die Schlacht auf der Tumlahad, in der das Heer von Nargothrond vernichtet wurde und Orodreth fiel. Ardir konnte um Haaresbreite entkommen, doch als er Nargothrond erreichte, war es zu spät. So verließ er den Norden und kam nach Balar, denn er hatte keine Hoffnung mehr, Morgoth im Krieg zu besiegen.
Fünfter Teil: Das Ende des Zeitalters
In Balar begrüßte Círdan ihn freundlich, und Ardir antwortete: "Die Zeit hat mich die Weisheit deiner Worte, die du bei unserer letzten Begegnung sagtest, gelehrt. Im Krieg gibt es nichts mehr für mich, und nun werde ich hier bleiben, in Frieden."
In Doriath lebten zu dieser Zeit noch immer Linwiel, Malgalads Tochter und ihr Gemahl Anvíron. Sie waren bislang von den Wirren Beleriands wenig berührt worden, auch wenn sie in Doriath Túrins Familie kennen gelernt hatten, und freundschaftlich mit seiner Mutter Morwen standen, bis diese Doriath verließ, um ihren Sohn zu suchen.
Doch sieben Jahre nach dem Fall von Nargothrond kam der Krieg auch nach Doriath: Thingol wurde von Zwergen im Streit um das Nauglamir erschlagen, doch die meisten dieser Zwerge ebenso. Also sandten die Zwerge aus den Ered Luin ein Heer nach Doriath, um den Tod der ihren zu rächen, und sie überfielen Menegroth und töteten viele, und namen das Nauglamir mit dem Silmaril fort. An diesem Kampf namen Anvíron und Linwiel noch nicht teil, denn sie verabscheuten das Handwerk des Tötens. Aber nachher bereuten sie ihre Entscheidung als sie die Erschlagenen und die Zerstörung, die die Zwerge angerichtet hatten, sahen.
Zu dieser Zeit floh die Elbe Nellas, die einst eine Freundin von Túrin in dessen Jugendzeit gewesen war, mit vielen anderen aus Doriath nach Balar. Dort traf sie Ardir, der im Haus Círdans lebte, und bald verliebten sie sich ineinander, und nur sieben Jahre später wurden sie von Círdan vermählt.
Anvíron und Linwiel jedoch blieben zunächst unter der Herrschaft Diors, des Halbelben in Doriath, denn sie mochten die Wälder noch nicht verlassen.
Aber Feanors Söhne erhoben Anspruch auf den Silmaril, den Dior nach dem Tod seiner Eltern trug, und als er diesen Anspruch zurückwies, überfielen sie Doriath im zweiten Jahr seiner Herrschaft. Dior fiel bei diesem Angriff, doch seine Tochter Elwing entkam mit dem Silmaril und vielen andern Elben. Auch Anvíron und Linwiel, die tapfer gekämpft hatten, schlossen sich den Flüchtlingen an, und so kamen sie zu den Mündungen des Sirion, wo sie sich niederließen.
Dort wurde schließlich drei Jahre nach ihrer Flucht ihre Tochter Malire geboren, die ihrer Mutter sehr ähnlich war, in Gestalt und Gemüt. Dreizehn Jahre später folgte Oropher, der eher Anvíron und den Sindar Doriaths ähnelte als den Nachkommen Lenwes, und schließlich weitere sechzehn Jahre später Amdír, der seinem Vetter Ardir sehr ähnelte.
Im Jahr nach Amdírs Geburt überfielen die Söhne Feanors, die erneut den Silmaril erlangen wollten, die Siedlung an den Sirionmündungen, und töteten viele der Flüchtlinge aus Doriath und Gondolin. Auch Anvíron und Linwiel fielen, doch ihre Kinder wurden gerettet und entkamen mit vielen anderen nach Balar.
Círdan erkannte sie als Nachkommen Lenwes, und gab sie in die Obhut von Ardir und Nellas. So wurden die beiden lang getrennten Zweige von Lenwes Nachkommen wieder vereint.
[...]
Hier folgt offenbar ein Bericht über das friedliche Leben auf Balar und das Heranwachsen der Kinder Linwiels während im Norden der Krieg des Zorns tobte, und Morgoth niedergeworfen wurde. Als Beleriand unterging, bauten die Elben auf Balar unter Círdans Anleitung Schiffe und segelten nach Osten, wo sie sich zunächst in den Resten Ossiriands, das nun Lindon genannt wurde, niederließen. Dort wurde Ereinion Gil-Galad aus dem Volk der Noldor König, und Círdan Fürst der grauen Anfurten.
... doch Amdír und Oropher waren zu stolzen Elben herangewachsen und es verlangte sie nach eigenen Reichen, die sie beherrschen konnten. Ardir dagegen war in Lindon glücklich, denn es erinnerte ihn an seine Zeit in den Falas, aber Nellas sehnte sich danach, erneut in Wäldern zu leben, denn sie vermisste Doriath. Und ihr zuliebe schlossen sie sich den Kindern Linwiels an, als diese mit vielen aus dem Volk der Laiquendi und einigen Sindar nach Osten wanderten. So überquerten sie die Hithaeglir, die nun weniger hoch und gefährlich waren als zu der Zeit, da ihr Ahne Lenwe vor der Überquerung zurückschreckte.
Auf der anderen Seite des Gebirges kamen sie in das Land Lórinand, das bereits von einigen Elben bewohnt wurde, die einst ebenfalls zum Volk der Nandor gehört hatten. Und das Land erschien Ardir und Nellas gut, und so entschlossen sie sich, dort zu bleiben. Auch Amdír blieb dort, doch Oropher wanderte weiter nach Norden und Osten, denn er wollte sein eigenes Reich begründen und nicht unter der Herrschaft seines jüngeren Bruders stehen, und ihre Schwester Malire begleitete ihn.
So wohnten nun die Nachkommen Lenwes wiederum getrennt: Oropher und Malire im Norden des großen Grünwaldes, wo Oropher bald ein Fürst wurde, und Amdír und Ardir in Lórinand, am Fuß der Hithaeglir.
An dieser Stelle endete der fünfte Teil, und der junge Prinz hörte auf zu lesen. Es war ihm nicht bewusst gewesen, wovon dieses Buch, dass ihm der alte Archivar gegeben hatte, handeln würde. Er hatte eher mit einer langweiligen Abhandlung über den Fehler des Stolzes gerechnet, als mit einem solchen Werk. Die Geschichte dieser Elben fesselte ihn mehr, als er geglaubt hatte.
Er las weiter.