Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Dol Amroth
Die Verteidigungs- und Maueranlagen
Eandril:
Obwohl die Verteidiger die Orks Schritt für Schritt zurück drängten, obwohl ein Haradrim nach dem anderen fiel, obwohl kein Soldat Dol Amroths floh, schien ein Sieg immer noch weit entfernt zu sein. Der Strom der Gegner wollte einfach nicht nachlassen, und die meisten der Verteidiger kämpften bereits mit ihren allerletzten Kraftreserven.
Oronêl sah sich ein weiteres Mal einem in Rot und Schwarz gekleidetem Haradrim gegenüber, der seine hässlich gezahnte Klinge schwenkte und versuchte, ihm den Arm abzutrennen. Oronêl führte seine Axt schräg nach oben und fing den Schlag mit dem hölzernen Stiel Hatholdôrs ab. Die Zacken der Klinge verhakten sich im Holz des Stiels, und mit einem plötzlichen Druck konnte er den Haradrim zurückschleudern. Dieser stolperte zurück, kämpfte mit dem Gleichgewicht, und starb mit einem überraschten Ausdruck auf dem Gesicht und Oronêls Klinge in der Brust.
Da war Amdír! Er hatte ihn wiedergefunden, inmitten des Schlachtengetümmels. Die meisten seiner Krieger waren bereits den erbarmungslosen Orks zum Opfer gefallen und würden die Wälder Lórinands nie wieder sehen, und wenn er ihm nicht half, würde es Amdír, der mit mehr Zorn und Wut als Geschick kämpfte, ebenso ergehen. Oronêl schlug einen Ork zu Boden und hatte es fast geschafft, seinen Herrn zu erreichen, als ein in Rot, Schwarz und Gold gekleideter Mensch in seinen Weg sprang.
Endet diese Flut denn niemals? Und ich Narr dachte, ein Sieg wäre möglich. Aber ich habe mich wohl geirrt, wie immer...
Gerade in diesem Moment ertönte ein grauenvolles, hohes Kreischen: Die Stimme des Nazgûl! Doch sie war nicht mehr wie zuvor kalt und voller Grausamkeit und Wut, sondern von Panik und Erstaunen erfüllt, aller ihrer furchbaren Kraft beraubt. Oronêl fuhr herum, und sah den Nazgûl, mit einem klaffenden Loch in der rechten Brustseite, auf sich zu taumeln, und hinter ihm die Elbe, mit der er gekämpft hatte, regungslos auf dem Pflaster liegen. Der Nazgûl hielt sich die Brust, doch statt einer Wunde befand sich hinter der Rüstung nichts, nur Schwärze.
Er ist nicht aus Fleisch und Blut, also ist er schwächer als wir...
Der Nazgûl kam direkt auf ihn zu und Oronêl traf eine Entscheidung. Er verließ die Schlachtreihe und stellte sich dem Nazgûl in den Weg. Der Nazgûl blieb stehen und keuchte mit schmerzverzerrter Stimme: "Du kannst mich nicht aufhalten, Menschlein! Nicht einmal diese Elbenhexe konnte es, und du wirst sterben, wie sie!"
"Und doch hat sie dich so sehr verwundete, das du fliehst und dein Blick getrübt ist! Vor dir steht kein Mensch, sondern Oronêl von Lórinand! Erzähle deinem Meister, dass die Menschen nicht mehr allein stehen, sondern Seite an Seite mit den Elben. Niemals wird Sauron die freien Völker besiegen. Und nun krieche davon, du Nichts von einem Geist!", erwiderte Oronêl, obwohl ihm die Aura der Kälte und des Todes, die der Nazgûl verbreitete, fast den Atem nahm.
"Du nennst mich ein nichts, Elb? Du bist ein Nichts, und für deine Frechheit sollst du sterben!" Mit diesen Worten führte der Nazgûl einen Hieb gegen Oronêls Hals, doch der tauchte unter dem Schwert hindurch und stand nun dicht bei dem Nazgûl. "Stirb, Elbenfluch!", flüsterte er, ließ seine Axt fallen, und packte die Ränder der Wunde, die Klinge der Elbenfrau dem Nazgûl zugefügt hatte. Mit aller Kraft riss er die Gewänder auseinander und vergrößerte die Wunde so noch. Der Nazgûl brach in die Knie und ließ sein Schwert fallen.
"Nun, Oronêl von Lórinand, was jetzt?", flüsterte er. "Während du hier den Helden spielst, schwebt dein neuer Freund Amroths in großer Gefahr. Hast du dir nicht geschworen ihn zu beschützen?" Oronêl wich zurück. "Oh ja, großer Held, ich weiß, was du denkst. Willst du schon wieder versagen? Schon wieder einen Schwur brechen? Dreh dich um, lauf, und rette deinen Freund. Noch kannst du es tun, vertraue mir nur Oronêl von Lórinand. Du kannst dein Versagen endlich wieder gut machen, ich biete dir die Gelegenheit dazu, wenn du deine Niederlage gegen mich erkennst!"
Inzwischen hatte Oronêl den Nazgûl losgelassen und seine Axt wieder ergriffen. "Lügner! Du redest um dein Leben, das längst seit vielen tausend Jahren beendet ist! Ich werde nicht auf dich hereinfallen, Bote Saurons, der seine Lügen verbreitet!", rief Oronêl, der kalkweiß im Gesicht war.
Der Nazgûl fauchte, packte sein Schwert, und stieß es in einer blitzschnellen Bewegung nach vorne. Die kalte Stahlklinge bohrte sich in Oronêls Seite und schleuderte ihn herum.
Amdír erhob sich vom Körper des schwarzen Númenorers und drehte sich zu ihm um, einen Triumphruf auf den Lippen. Doch plötzlich stach eine Schwertspitze aus seiner Brust hervor, und er brach zusammen. "Amdír!" wollte er rufen, doch er brachte keinen Ton heraus. Eine Keule traf ihn an der Schläfe und Schwärze umfing ihn.
Wie durch einen Schleier nahm Oronêl den Nazgûl wahr, der wieder vor ihm stand. Vor seinem inneren Auge tanzten Gesichter: Amdír, Amroth, Mithrellas, Nimrodel, seine Eltern, Mithéldir, Amrothos, die Elbe, die gegen den Nazgûl gekämpft hatte. "Eure Überheblichkeit ist eure Schwäche. Ihr Elben seid doch wirklich erbärmlich, kurz vor dem Ziel scheitert ihr alle!", zischte der Nazgûl, doch obwohl noch immer abgrundtiefe Bosheit in seiner Stimme lag, waren die Kälte und die Kraft aus ihr gewichen. "Stirb, großer Held!"
Doch bevor ihn die Klinge des Nazgûl durchbohren konnte warf Oronêl sich zu Boden. Von der Wunde in seiner Seite ging Kälte aus, und die ganze Körperhälfte wurde allmählich taub. Er packte den Fuß den Nazgûl und zog daran, der Nazgûl verlor das Gleichgewicht und ging erneut zu Boden. Oronêl warf sich mit letzter Kraft auf ihn und schlug ihm seine Axt in die klaffende Brustwunde. "Diese Waffe wird kann mich nicht besiegen, Narr!", fauchte der Nazgûl. Er drückte Oronêl die gepanzerte Hand gegen das Gesicht und presste ihn zurück.
Da, an der Hand, sein Ring...
Die Zeit schien sich endlos hinzuziehen. Oronêl packte den Ring des Nazgûl und zog ihn ihm vom Finger. Es ging überraschend einfach.
Nein!, fuhr die Stimme des Nazgûl durch seine Gedanken, dann hatte der Ring die Hand des Nazgûl verlassen, und Oronêl spürte, wie der Wille, der die Rüstung und die Gewänder des Nazgûl zusammengehalten hatte aus ihnen wich und sie zusammensackten wie eine leere Hülle. Der Geist des Nazgûl verschwandt ohne einen Laut. Oronêl spürte, wir jemand ihn vom Nazgûl herunter zerrte und umdrehte, dann verschwand sein Bewusstsein aus der Schlacht.
Er rannte mit Amdír durch den Wald aus Mallornbäumen. Es war Winter, und die Blätter hatten sich golden gefärbt. Sie liefen durch eine Halle mit goldenem Dach und silbernen Säulen.
Er saß mit einer Elbenfrau am Ufer des Silberlaufes. Es war Frühling, und die Bäume hatten ihre Blätter verloren. Der Mond tauchte alles in blasses silbernes Licht.
Er stand mit Amdír an der Spitze seiner Krieger. Es war Sommer, und die Sonne brannte heiß vom Himmel. Vor ihnen lag wie eine schwarze Masse das Heer der Feinde.
Er stand allein auf einem Berggipfel im Gebirge. Es war Herbst, und ein Sturm kam aus dem Norden. Er war allein und hatte versagt.
Eandril:
Oronêl hatte das Gefühl, zu schweben. Mühsam öffnete er die Augen und erblickte über sich den noch immer von schwarzen Wolken bedeckten Himmel, und ein Gesicht, das ihm entfernt bekannt vor kam...
"Wer... was?" "Ich bin es, Herr Oronêl, Hauptmann Mithéldir von Dol Amroth.", antwortete das Gesicht. "Mithéldir... ich erinnere mich.", brachte er mit Mühe hervor. "Wohin bringt ihr mich?" "Wir bringen euch fort von der Schlacht. Ihr seid verletzt und könnt nicht mehr weiterkämpfen. Ihr habt einen Nazgûl besiegt!" Jetzt lag so etwas wie Ehrfurcht in Mithéldirs Stimme.
Ja, ich habe gegen ihn gekämpft und gewonnen. Aber er hat mich wohl auch erwischt, mit seiner verfluchten Klinge... Diese Kälte. Amrothos!
"Nur, weil er schon fast besiegt war... Was ist mit Amrothos, dem Prinzen?", krächzte er. "Ich fürchte, ich weiß es nicht. Ich habe ihn noch nicht wieder gesehen.", antwortete Mithéldir. "Woher kennt ihr ihn? Und was meintet ihr damit, der Nazgûl war schon fast besiegt? Wie habt ihr ihn vernichten könne?"
So viele Fragen...
"Ich...", setzte er an, doch die Kälte und Taubheit in seiner Seite breitete sich immer mehr aus und nahm ihm den Atem.
Mithéldir blickte besorgt auf den Elben hinunter. Er war grau im Gesicht, und auf seiner Stirn sammelten sich Schweißperlen, obwohl er zu frieren schien. Es stand offensichtlich nicht gut um ihn. Ob das der Preis für einen Sieg über einen Nazgûl war? Sie mussten sich beeilen, um ihn ins Lazarett zu bringen, damit sich ein Heiler seiner annehmen konnte, denn obwohl Mithéldir durchaus mit Wunden umzugehen wusste, war ihm diese Verletzung unheimlich. Die Waffe die diese Wunde geschlagen hatte, war keine normale Klinge gewesen, da war er sich sicher.
Oronêl wünschte sich zu fliegen, und seinen müden Körper zurückzulassen. Er schloss seine Augen, und ließ seinen Erinnerungen wieder freien Lauf.
"Oronêl!", hörte er ihre warme Stimme hinter sich. Er drehte sich um, und sie stand vor ihm, in lichtes Grün gekleidet, eine schlanke, junge Elbenfrau. "Oronêl", wiederholte sie. "Warum läufst du vor mir davon?" "Weil..." Er räusperte sich. "Ich laufe nicht vor dir davon. Ich muss zu Amdír, wir wollten Jagen gehen." Sie lachte, es war ein wunderbares Geräusch, wie der Gesang eines Vogels und das Murmeln des kleinen Flüsschens an der Nordgrenze. Er spürte, wie er Rot anlief, doch sie ergriff seine Hand, und sagte:"Du brauchst dich vor mir nicht zu schämen, Oronêl. Ich weiß wie du fühlst." Sanft befreite er seine Hand aus ihrem Griff. "Ich muss jetzt wirklich gehen.", sagte er, drehte sich um, und ging so schnell wie möglich davon. Sie folgte ihm nicht.
Oronêl ins Lazarett
Thorondor the Eagle:
Peitschend hohe Wellen vor sich, zuckende Blizte über sich und die tiefe, grollende Stimme der Dunkelheit; so kam es Amrûn auf dem Schlachtfeld vor. Verzweifelt und erfolglos versuchte er sich durch die hereintreibenden Mengen einen Weg zu bahnen. Es waren zahllose Hiebe, die er den Feinden entgegnete und die sie zu Fall brachten. Doch dieses Mal zeigte er keine Müdigkeit, keine Erschöpfung und ließ keinen Schmerz zu.
„Wir müssen ihr helfen!“, brüllte der Elb wahllos in die Menge und hoffte, dass er gehört wurde. Er sah zwei drei silberne Spitzen von Metallhelmen und focht sich durch das Getümmel.
„Wir müssen nach vorne, den Kreis um das Tor wieder verkleinern“, schrie der Elb überzeugend „Kommt schon!“ Sie stellten sich Rücken an Rücken im Kreis auf. Es war schwieriger geworden, denn nun kamen die Feinde auch von hinten an sie herangekrochen. Ihre Schwerter waren unzähmbar, sodass Amrûn erbarmungslos auf die Köpfe und Körper der Orks und Ostlinge einschlug. Langsam um behände näherten sie sich wieder dem Tor und somit auch Celebithiel.
Plötzlich setzte ein grauenvoller, mit Qual erfüllter Schrei ein. Amrûn und alle anderen auf dem Schlachtfeld hielten sich reflexartig die Ohren zu. Da war sie, die Chance für Amrûn ungebremst die Reihen zu durchbrechen. Er beugte seinen Oberkörper leicht nach hinten um Schwung zu holen und setzte mit dem ersten Schritt an. Mit dem Ellenbogen voran preschte er gegen die Orks, die verängstigt in Richtung Tor starrten.
Er hatte das Gefühl, dass sein Kopf platzte, seine Trommelfelle rissen, seine Adern zersprangen und sein Ellenbogen splitterte, aber er hielt durch und so erreichte er einen freien, nahezu kreisrunden Platz inmitten der Masse. Ihm blieb das Herz stehen, als er Celebithiel auf dem Boden liegen sah und der schwarze Umhang in der Menge verschwand.
Bedenkenlos lief er zu ihr und noch ehe er sie erreichte setzte das Kampfgeschrei wieder ein. Doch nun hatten sich die Soldaten um Celebithiel eingefunden und verteidigten ihren leblos wirkenden Körper wie ein Heiligtum.
Aus purer Wut heraus griff er sich ein herrenloses Schwert vom Boden und rammte es dem nächstkommenden Ostling erbarmungslos in den Bauch. Doch im nächsten Moment schon fiel er auf die Knie und rang sich so bis zu ihr durch.
Amrûn wagte es kaum die porzellanene Haut anzugreifen. Sanft entfernte er den Helm vom Kopf und strich mit dem Finger über ihr Gesicht. Es war kühl wie frischer Tau in den Morgenstunden. Er erinnerte sich, an seine erste Begegnung mit Celebithiel. Er selbst war ein Gefangener der Orks und hatte jede Hoffnung auf Leben aufgegeben. Der Elb sah es noch vor sich, wie sich die Berge, die Wiesen, der Grashalm vor sich in fließendes Gold und Silber verwandelten. Eine Liebe und Wärme umfing ihn, wie er es niemals zuvor fühlen durfte. Er spürte noch die gschmeidige Hand über seine Wange streicheln und den bequemen Schoß der Elbe unter seinem Gesicht.
War es der Weg nach Aman den ich dort sah… War es der Übertritt in Mandos‘ Hallen und der Emfpang meiner Ahnen oder doch der wärmende Schoß, die Geborgenheit und die bedingungslose Liebe Celebithiels die ich damals sehen durfte und deren Einfluss, der mich ins Leben zurückholte… Wenn auch ich diese Macht hätte, könnte ich sie retten?
Behutsam griff er nach ihren Händen und hielt sie locker fest. Er schloß die Augen dabei und murmelte leise einige elbische Worte. Anschließend legte er seine flache Hand über ihre Stirn und ihre Augen. Er sprach sein Gebet zu Ende und blickte nochmal in ihr Gesicht, das paradoxerweise einen gütigen Ausdruck hatte. „Komm zurück und erblicke den silbernen Abkömmling erneut“, sagte er zu ihr und küsste sie dabei auf die Stirn.
Den regungslosen rechten Arm legte er sich um die Schulter und hob Celebithiel hoch. Amrûn musste der ganze Körper schmerzen, aber in diesem Moment spürte er gar nichts. Er sah nur in das zauberhafte Gesicht seiner Retterin.
Amrûn vor die Stadt...
Fine:
Valion aus dem Palast des Fürsten
Seit dem Ende der Belagerung von Dol Amroth waren die Verteidiger der Stadt nicht untätig geblieben. Sämtliche Schäden, die die Horden Mordors, das Heer Harads und die Flotte Umbars an Mauern und Verteidigungsanlagen verursacht hatten, waren repariert worden, und überall gab es Zeichen der voranschreitenden Bauarbeiten. Große Teile der hohen, grauen Mauern waren in den Frühjahrs- und Sommermonaten mit starken Wehrgängen versehen worden, und an vielen Abschnitten der Verteidigungsanlagen waren neue Maschinen angebracht worden, die feindliche Belagerungsgeräte zerstören und hohe Verluste unter etwaigen Angreifern verursachen konnten. Und mit jedem Tag schritt die andauernde Befestigung der Schwanenstadt fort; da nun der Konflikt mit Mordor erneut ausgebrochen war.
Valion bemerkte kaum etwas von all dem. Er hatte Imrahils Palast ohne ein echtes Ziel verlassen und war durch die Straßen der Stadt gestreift, bis er vor den südlichen Mauern gestanden hatte, auf denen er einst Seite an Seite mit seiner Schwester gekämpft hatte, als die Orks des Roten Auges Dol Amroth angegriffen hatten. Schweigend stand er auf der Brüstung des Walls und ließ seinen Blick über das Gebiet schweifen, das sich vor ihm ausbreitete. Zu seiner Rechten lag der endlose Ozean Belegaer, und zur Linken die Berge von Dor-en-Ernil. Dazwischen lag der Streifen Land, der Belfalas genannt wurde und sich nach Südwesten bis zur Hafenfestung von Lontirost ausbreitete.
Und hinter Lontirost lag die Bucht von Belfalas, und die Mündung des Großen Stromes... der Ethir.
"Wir hätten Belegarth niemals verlassen sollen," sagte eine leise Stimme neben ihm. Es war Valirë. Valions Zwillingsschwester stützte sich mit beiden Händen an der Spitze einer der Zinnen ab und ihr Blick ging ebenfalls nach Südwesten. "Wären wir dort gewesen, hätten wir vielleicht verhindern können, dass Mordor unsere Heimat in eine rauchende Ruine verwandelt..."
"Vielleicht," entgegnete Valion. "Aber Imrahil rief uns, und wir kamen. Wie zwei verdammte Schoßhündchen."
Valirë machte ein abschätziges Geräusch. Ihre Augen waren gerötet und ihr Haar nach wie vor unordentlich. Valion hatte seine Schwester erst einmal zuvor weinen sehen: Als sie auf dem Schiff Faltharans, des Herrn von Lebennin, aus dem brennenden Pelargir geflohen waren. Dort war der Vater der Zwillinge gefallen, und ihre Flucht hatte die Eroberung des Ethirs bedeutet. Und sie hatten so viel riskiert, um ihre Heimat zu befreien. Sie waren durch Tod und Verderben gegangen... und hatten nun dennoch alles wieder verloren.
"Wir haben unsere Leute im Stich gelassen," fuhr Valion fort. "Doch keiner von ihnen - nicht ein Einziger! - war bereit, den Ethir wieder zu verlassen, nachdem wir Belegarth befreit hatten. Wir hätten längst Verstärkung schicken sollen - noch vor unserer Fahrt nach Umbar. Jetzt sind sie alle tot."
"Ich bin mir sicher, sie haben Mordor teuer dafür bezahlen lassen. Sie waren Ethir-Krieger, jeder Einzelne von ihnen," meinte Valirë grimmig.
Valion antwortete mit einem Nicken. "Das waren sie," stimmte er zu.
Sie blieben eine ganze Weile schweigend so stehen. Zu ihrer Rechten ging langsam die Sonne unter, und tauchte den Ozean in rötliches Licht. Schließlich jedoch kam Valirë auf die Beine und ergriff Valions Hand.
"Wir bringen das wieder in Ordnung," versprach sie entschlossen. "Nicht heute, nicht morgen, aber bald schon. Wir bringen das in Ordnung."
"Ich weiß," sagte er leise. "Wir stehen das durch. Wie wir es immer getan haben."
"Verdammt richtig, kleiner Bruder. Wenn du mich brauchst: Ich werde in der nächsten Schänke sein, und mich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken. Mach' derweil keine Dummheiten, hörst du?"
Valion war sich der Ironie ihrer Aussage zwar allzu deutlich bewusst, doch er verspürte keinerlei Bedürfnis, einen Witz darüber zu machen. Also nickte er einfach und sagte: "Wir sehen uns, Flinkklinge."
Valirë wandte sich ab und war kurz darauf verschwunden.
Valion verbrachte die folgenden Minuten damit, unzählige Pläne zu schmieden und wieder zu verwerfen. Er wusste, dass es kaum eine Chance geben würde, den Ethir in nächster Zeit zurückzuerobern, aber als Lehensfürst Gondors fühlte er sich dazu verpflichtet, es zumindest zu versuchen. Er fragte sich, ob abgesehen von dem Boten, der die Nachricht vom Fall Belegarths an Imrahil überbracht hatte, irgendjemand die Belagerung überlebt hatte... und ob er denjenigen jemals wieder in die Augen blicken konnte. Seit der Rückkehr der Zwillinge aus Umbar war mehr als genug Zeit gewesen, den Ethir mit zusätzlichen Soldaten zu bemannen und die beschädigte Burg von Haus Cirgon zu reparieren. Doch Valion war in Dol Amroth geblieben und hatte später in Morthond gekämpft, ohne sich um seine Heimat zu scheren. Dass Mordor nun erneut seine schwarze Klaue nach dem Ethir ausgestreckt hatte, kam ihm mehr und mehr wie eine gerechte Strafe für seine Nachlässigkeit vor.
Sein Zorn auf Imrahil und die übrigen Fürsten Gondors war noch immer stark, doch natürlich wusste Valion auch, dass ein direkter Gegenangriff keinen strategischen Sinn ergeben würde. Sicherlich könnte die Garnison von Dol Amroth den Ethir erneut befreien, doch zu welchem Preis? Um dabei Erfolg zu haben, müssten Verteidiger von der Front abgezogen werden und Mordor würde die perfekte Gelegenheit für einen Angriff ins Herz Gondors erhalten. Mehr und mehr wurde Valion klar, dass ein militärischer Schlag gegen den Ethir genau das sein könnte, worauf die Feinde Dol Amroths jetzt hofften. Und dennoch war genau das sein erster Impuls gewesen, und noch immer drängte ihn sein Herz dazu, alles daran zu setzen, seine Heimat erneut zu befreien...
"Du weißt, dass das eine Falle ist," sagte Lóminîth, und ihre Stimme klang kalt und gefühllos. "Wenn Gondor jetzt zum Gegenschlag ausholt, werden Dol Amroth und Linhir in großer Gefahr sein."
Valion drehte sich langsam zu seiner Verlobten um, die zu ihm auf die Mauer gekommen war und eine kleine Laterne in der Hand hielt, denn es war inzwischen dunkel geworden. Lóminîths Gesicht wurde vom warmen Schein der Laterne beleuchtet, doch in ihrem Blick lag keinerlei Wärme. "Sei kein Narr, Valion. Hör auf Fürst Imrahil, und gedulde dich! Du kannst jetzt nichts daran ändern, dass Belegarth und der Ethir gefallen sind. Eines Tages mag sich daran etwas ändern, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für tollkühne Taten. Das Wohl der Vielen wiegt mehr als das Wohl der Wenigen; oder des Einzelnen. Der Ethir mag gefallen sein, aber Gondor besteht fort. Verstehst du?"
"Natürlich verstehe ich es," gab Valion etwas heftiger zurück als er es vorgehabt hatte. Doch Lóminîths kühle Logik machte ihn wütend. "Aber ich habe eine Verantwortung meiner Heimat gegenüber. Soll ich einfach hier stehen bleiben, und nichts tun? Soll ich diese... Beleidigung einfach so hinnehmen? Ich muss ein Zeichen setzen und..."
"Nein," unterbrach Lóminîth ihn. "Das würde nur zu deinem Tod führen, und dann wären die Menschen vom Ethir führungslos. Damit wäre niemandem geholfen. Jeder Krieger, den deine Schwester und du damals nach Belegarth gebracht haben, wusste genau, worauf er sich einlässt. Sie waren Soldaten, und im Krieg sterben Soldaten nun einmal. Es wird niemals ohne Verluste gehen. Sei froh, dass jene, zu deren Schutz du verpflichtet bist - das einfache Volk, die Männer und Frauen vom Ethir, alt und jung - diesem Schicksal entronnen sind, indem sie noch nicht in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Dir muss doch klar gewesen sein, dass die Garnison von Belegarth auf verlorenem Posten stand, so weit hinter feindlichen Linien und fernab der Front am Gilrain."
"Ich weiß," gab Valion zerknirscht zu. "Aber ich hoffte... dass Mordor sie dort in Ruhe lassen würde."
"Die Hoffnung eines Narren," meinte Lóminîth, doch ihre Stimme hatte nun einen sanfteren Klang angenommen. Sie kam zu Valion herüber und nahm seine Hand. "ich weiß, wie es ist, wenn man seine Heimat verliert," sagte sie leise. "Du warst dabei. Sie haben das Anwesen meiner Schwester niedergebrannt, bis auf die Grundfesten; genau wie sie die Burg deiner Vorfahren niedergebrannt haben."
"Damit kommen sie nicht durch," antwortete Valion mit zusammengebissenen Zähnen. "Ich lasse es nicht zu!"
"Nein, das wirst du nicht. Aber ich bitte dich, Valion: Sei geduldig! Lass uns einen Plan schmieden, und die Sache vorsichtig angehen. Mein Einfluss in Dol Amroth wird wachsen, und wenn wir ihn nutzen, werden wir auf schlagkräftige Hilfe zurückgreifen können. Doch noch nicht jetzt. Jetzt muss Gondor seine Grenzen verteidigen. Ich fürchte, es wird bald einen weiteren Angriff geben."
"Doch wo? Auf Tolfalas? In Linhir? Oder gar ein Angriff auf Dol Amroth selbst?"
"Ich weiß es nicht, Valion. Ich weiß nur, dass dies schwierige Zeiten sind. Aber gemeinsam können wir sie überstehen."
"Gemeinsam..." wiederholte Valion leise. "Und du... hilfst mir dabei? Und nicht nur, damit deine neuen Titel wieder eine echte Bedeutung haben?"
Lóminîth brachte tatsächlich ein kleines, listiges Lächeln zustande. "Nun, es sorgt natürlich für mehr Ansehen, wenn die Herrin des Ethirs tatsächlich über echtes, freies Land herrscht, und nicht nur des Namens nach."
"Du bist unverbesserlich," meinte Valion kopfschüttelnd. Dann küsste er sie lange und innig.
"Ich sollte meine Schwester suchen, ehe sie sich so tief in den Rausch stürzt, dass sie vergisst, wer sie ist," sagte Valion wenige Minuten später.
"Das solltest du," stimmte seine Verlobte zu. "Ich werde in meinen Gemächern auf dich warten... aber komm nicht zu spät!"
"Mach dir darüber mal keine Sorgen," verprach Valion. "Wir sehen uns später."
Valion in die Stadt
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