Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Dol Amroth
Vor der Stadt
Eandril:
Hilgorn vom Palast des Fürsten...
Gerade als Hilgorn das Stadttor durchquert hatte, hörte er von rechts eine bekannte Stimme: "Was ist das? Mein Freund Hilgorn verlässt die Stadt, ohne sich zu verabschieden?"
Hilgorn wandte den Kopf und sah Elphir im Schatten des Tores stehen. Er zügelte Nacht, saß ab und ergriff die ausgestreckte Hand des Prinzen. "Ich wusste nicht, dass du schon wieder da bist.", erwiderte er. Elphir war einen Tag zuvor aufgebrochen, um an der Stelle seines Vaters eine Streitigkeit zwischen zwei Adligen in der Nähe von Edhellond zu schlichten.
"Es ging schneller als erwartet.", meinte der Prinz und hob die Schultern. "Ich habe die Nacht im Haus von Amros von Edhellond verbracht, und bin früh wieder aufgebrochen. Wohin gehst du, eine Frau besuchen?" Elphir grinste, auch wenn es etwas bemüht wirkte. Das Verschwinden seiner Schwester belastete natürlich auch ihn. "Wird ja auch Zeit dass du heiratest." Obwohl Hilgorn dreizehn Jahre jünger als der Prinz war, ließ Elphir keine Gelegenheit aus ihn damit aufzuziehen.
Hilgorn schüttelte verneinend den Kopf. "Nein, ich will meine Familie besuchen. Ich war seit bald zehn Jahren nicht mehr in Tíncar, und ich habe einige Zeit keine Nachrichten mehr erhalten. Ich mache mir Sorgen.", gestand er.
"Um deinen Bruder?", fragte Elphir ungläubig nach. "Ich dachte, du kannst ihn nicht leiden?"
"Kann ich auch nicht.", gab Hilgorn zurück. "Aber meine Mutter lebt noch dort."
"Das verstehe ich." Elphir schwang sich auf sein eigenes Pferd, und auch Hilgorn stieg wieder auf. "Nun denn, ich hoffe deiner Familie geht es gut. Gute Reise!"
Damit trennten sie sich voneinander, Elphir setzte seinen Weg in die Stadt fort und Hilgorn folgte der Straße nach Süden.
Hilgorn ins Tum-en-Dín...
Eandril:
Hilgorn aus Tum-en-Dín...
Sie waren früh am Morgen aufgebrochen, und erreichten Dol Amroth am späten Nachmittag des selben Tages, denn mit Belegorn und Iorweth kamen sie nur langsam voran. Die Kinder hatten sich am Morgen tränenreich von ihrer Großmutter verabschiedet, die in Tíncar bleiben wollte, und der Aldar noch für einige Tage Gesellschaft leisten würde, bevor er zur Flotte zurückkehrte.
"Die Flotte wird ohne mich schon nicht untergehen", hatte er gesagt, "Und ich bin für eine Woche freigestellt, da werde ich nicht früher zurückgehen solange der Krieg nicht plötzlich von neuem ausbricht."
Jetzt saß Iorweth vor Hilgorn auf Nachts Rücken, und Belegorn ritt auf seinem eigenen kleinen Pony, dass ihn sicher die Cirith Lenthir hinunter und entlang der Küste nach Norden getragen hatte. Seit einiger Zeit hatte Iorweth bei jedem Dorf, dass sie auf ihrem Weg passierten gefragt, ob das nun Dol Amroth sei, und Hilgorn hatte jedesmal lächelnd verneint. Schließlich führte ihr Weg sie um einen Ausläufer der Berge, der bis ans Meer heranragte und ihnen den Blick nach Norden versperrte, herum, und Hilgorn hörte seine Nichte entzückt aufseufzen.
"Das ist Dol Amroth", sagte er.
"Es ist so schön." Hilgorn nickte langsam, denn Dol Amroth zeigte sich heute von seiner besten Seite. Die weißen Mauern und Türme leuchteten im Licht der sinkenden Sonne, und das Wasser der Bucht schien heute besonders blau zu sein. "Das ist es. Eine der schönsten Städte in Mittelerde, sagen die Leute."
Neben ihm lächelte Faniel glücklich, denn beim Anblick der in der Sonne leuchtenden Schwanenstadt schien es für jedes ihrer Probleme eine Lösung zu geben - auch wenn Hilgorn diesbezüglich weniger sicher war.
Hilgorn, Faniel und die Kinder zum Palast des Fürsten...
Eandril:
Hilgorn aus der Stadt
Die morgendliche Sonne schien hell und ein leichter Wind wehte aus dem Westen, vom Meer her, als Hilgorn durch das Stadttor nach draußen trat. Der Abschied von den Kindern war ihm schwer gefallen - vor allem von Iorweth - doch noch mehr graute ihm vor dem Abschied von Faniel. Sie hatte ihn vor die Stadt begleitet, wo sich die Truppen versammelten, die nun nach Linhir aufbrechen sollten. Bereits der Aufbruch nach Morthond war schwer gewesen, doch damals hatte er sich nicht vor dem, was vor ihm lag, gefürchtet - im Gegensatz zu heute.
"Ich werde zurückkehren", sagte er, und nahm Faniels Hände in seine. "Ich verspreche es."
"Versprich mir nichts, was du vielleicht nicht halten kannst", erwiderte sie leise und mit festem Blick. "Versprich mir nur, dass du es versuchen wirst - und dass du kein unnötiges Risiko eingehen wirst." Hilgorn lächelte unwillkürlich. "Na schön. Dann verspreche ich, dass ich so gut wie möglich auf mich achten werde. Und dass ich alles tun werde, um zurückzukehren."
"Das genügt mir." Faniel küsste ihn. "Jetzt geh, und gewinn die Schlacht für mich."
Hilgorn spürte sein Lächeln schwinden. "Ich weiß nicht, ob das möglich sein wird. Ich habe ein schlechtes Gefühl bei der Sache..."
"Ihr werdet es schaffen", erwiderte Faniel. "Ihr hab das letzte Mal bei Linhir gewonnen, und ihr habt in Morthond gewonnen. Dann könnt ihr es auch wieder schaffen."
Hilgorn rang sich ein erneutes Lächeln ab, und nahm die Zügel seines Pferdes entgegen, die ihm ein Soldat reichte. "Wir werden jedenfalls unser Bestes geben."
"Und mehr erwarte ich nicht von euch", hörte Hilgorn Imrahils Stimme hinter sich sagen, und als er sich umwandte, sah er den Fürsten in Begleitung Elphirs vor sich stehen. "Marschiert rasch", fuhr Imrahil fort. "Ich fürchte, Saurons Angriff auf Linhir wird bald erfolgen."
"Wir werden schnell sein", antwortete Hilgorn, und neigte den Kopf vor dem Fürsten. "Und ich werde euch nicht enttäuschen - Linhir wird nicht fallen." Er sagte es mit aller Entschlossenheit, die er aufbringen konnte, trotz der düsteren Vorahnungen, die ihn plagten. Ohne zu wissen, wieso genau, hatte er das dumpfe Gefühl, in eine Katastrophe zu marschieren, die nicht aufzuhalten war.
Imrahil legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Ihr enttäuscht mich nur, wenn ihr flieht, ohne zu kämpfen. Verteidigt unsere Grenze so gut wie möglich - doch bedenkt, dass es Grenzen des Möglichen gibt. Wenn das Ostufer nicht zu halten ist, zieht euch zurück, und opfert nicht das Leben eurer Männer für eine verlorene Sache." Imrahil hatte leise gesprochen, doch seine sonst meergrauen Augen erschienen in diesem Moment wie reiner Stahl.
"Ich werde tun, was ihr verlangt", erwiderte Hilgorn, und schwang sich auf Nachts Rücken.
"Wir haben Nachrichten ausgesandt", ergriff Elphir das Wort. "Wenn Linhir angegriffen wird, wird die Flotte euch so gut wie möglich unterstützen." Er trat einen Schritt näher an Hilgorn heran und sagte: "Bleib sicher, mein Freund. Denk an das, wofür es sich lohnt, zu überleben." Elphir zwinkerte Hilgorn zu, obwohl sein Gesicht ernst blieb, und trat wieder zurück.
Hilgorn blickte Imrahil an, in der Erwartung, dass dieser noch ein letztes Wort an die Soldaten richten würde. Doch der Fürst sagte nur schlicht: "Viel Glück, Hilgorn." Einen letzten Blick tauschte Hilgorn mit Faniel - er wollte den Anblick ihres Gesichts in sich aufnehmen - bevor er sein Pferd antrieb, und sich an die Spitze seiner Soldaten setzte. Balvorn ritt neben ihn, als das Heer sich langsam in Bewegung nach Südwesten setzte, um die Stadt herum in Richtung Belfalas. Das letzte Mal waren sie unterwegs gewesen, um Linhir zurück zu erobern, dieses Mal würden sie es verteidigen müssen.
Hilgorn nach Linhir
Curanthor:
Verdandi aus der Stadt
Sie war fast die ganze Nacht ziellos vor der Mauer der großen Stadt herumgeschlendert und hatte große Menschenansammlungen vermieden. Im Inneren war es ihr einfach zu voll. Ein ungutes Gefühl überkam sie immer dann, wenn sie sich in großen, sehr belebten Straßen befand. Ein weiterer Grund die Nacht außerhalb zu verbringen war der, dass sie sich schlicht keine Unterkunft leisten konnte. Den eher zwielichten Gestalten der Nacht wollte sie ebenfalls nicht begegnen und so blieb sie stets in dem Fackelschein, mit dem die mächtigen Mauern erleuchtet wurden. Nachdem sie einige Runden auf und abgegangen war, bemerkte hatte sie, dass die Wachen sie hin und wieder gelangweilt beobachteten. Sie selbst war sich darüber im Klaren gewesen, dass man sie auch für eine Spionin gehalten haben könnte, doch scheinbar war das nicht der Fall. Man ließ sie unbehelligt. Verdandi war froh darum, endlich wieder alleine zu sein, zu viel erinnerte sie an die Lager. Ihr Blick wanderte an den dicken Steinmauern hinauf und wieder runter. Spuren von einer Belagerung waren noch immer zu erkennen. In der Gefangenschaft hatte sie von den schweren Kämpfen um Dol Amroth gehört, sich dafür aber weniger interessiert. Nachdem, was in Minas Thirit geschehen war, wollte sie sich nicht kopfüber in die nächste Stadt stürtzen. Sie vermisste ihre Heimat. Das verborgene Tal, umringt von undurchdringlichen Tannenwäldern, Geröllhängen und ein Krater in der Mitte, wo das beschauliche Dorf lag. Sie lächelte bei dem Gedanken an die recht einfachen Langhäuser, deren Bauweise im Vergleich zu den gondorischen Meisterwerken erbärmlich war. Zumindest würden die Adligen es so bezeichnen. Ihr Gedanke schweifte von den Dorf mit fünf Langhäusern, die sich im Kreis um den Dorfbrunnen tummelten zu Valion. Der Kerl hatte sie zwar nicht belogen, aber für sich behalten, dass er besser bestellt war. Sie wusste auch nicht, woher die Abneigung kam. Vielleicht missfiel ihr das Klassensystem der Gesellschaft. In ihrem Dorf gab es nur einen Dorfvorsteher, der von den Dorfältesten gewählt und auch abgewählt werden konnte. Volljährig und somit stimmberechtigt bei wichtigen Fragen, die das ganze Dorf betrafen, war man schon mit zwölf. Verdandi dachte amüsiert an die Kinder, die sie in der weiten Welt gesehen hatte, die in dem Alter noch ohne Verantwortung mit Holzschwertern Drachen jagten, oder Zwergenschätze suchten. Namen stiegen in ihrem Gedächtnis. Melancholisch lehnte sie sich an die Mauer und betrachtete versunken den Mond. Ihre Kindheit war keineswegs harsch, aber auch nicht wohlbehütet. Im Gegensatz zu anderen Kindern, die sie kennenlernte, hatte sie schon mit elf Jahren ihren ersten Wolf erlegt. Zwar war es ohne Jagdauftrag der Alten und somit den Ahnen gewesen, doch wollte sie sich beweisen. Den Pelz hatten sie in ihrem Langhaus über den Kamin aufgehangen. Sie hatte das nur mit einem Speer geschafft und einer Priese Glück. Doch ihr Vater war das egal gewesen. Er war stolz wie noch nie gewesen. Zu dem Anlass hatte sie auch die Axt Tiwaz ihres Großvaters überreicht bekommen. Wie es sich herausstellte, war es auch nicht zu früh. Noch im selben Jahr erfolgte einer der gefürchteten Überfalle der Orks aus den Nebelgebirge auf ihr Dorf. Es war ihre erste Schlacht gewesen.
"Verdandi! Schlag Alarm, sie sind gekommen!"
Die Stimme ihres Freundes hallte durch den sonst so stillen Nadelwald.
"Orks! Sie kommen aus allen Richtungen!", brüllte Sigurd erneut, kurz darauf erschien sein gerötets Gesicht vor ihr im Unterholz. Kreischen und Johlen hallte hinter ihm zur Antwort. Trommeln schlugen, dumpf und schrecklich. Ihre Knie wurden weich. Die Geißel der Gebirge hatte es in ihr verstecktes Tal getrieben. Verdandis Herz schlug auf einmal schneller. So wie vor zwei Monaten, als sie im tiefsten Winter mit einem Speer bewaffnet in die Berge gegangen war, ihren Mut zu beweisen und die Ahnen zu ehren. Das Wolfsheulen hatte sie damals verunsichert. Doch das Gekreische der Orks war schlimmer. Der Wolf war auch sofort vor ihre Füße gesprungen. Ihre dicke Kleidung aus dutzenden Fellen schützt vor einigen Bissen, doch gegen Orkklingen war sie nutzlos.
Ihr Freund rüttelte ihr panisch am Arm, doch die Furcht saß zu tief. Wie angewurzelt starrte sie in das Dickicht, aus dem bald die Horde hervorbrechen würde. Sigurd fluchte und rannte an an ihr vorbei. Verdandis Hand taste leicht zitternd nach ihrer Axt. Sie wollte ihre Eltern warnen, doch wollten sich ihre Beine nicht bewegen. Hinter ihr, auf dem kleinen Dorfplatz ertönte die Glocke und riss die Bewohner aus dem Schlaf. Rufe wurden laut. Sofort wurde ihr Name gebrüllte. Die Stimme ihres Vaters. Bjorn war sein Name. Ein starker Name und ein starker Krieger. Sie war seine Tochter. Mut stieg in ihr auf und sie machte einen Schritt rückwärts. Sie würde noch lange mit ihm Zeit verbringen können und seinen meist erfunden Heldentaten lauschen. Ihr Funken Mut, der gerade anfing zu lodern verlosch sofort, als vor ihr der Haselnussstrauch raschelte. Eine gräßliche Gestalt sprang vor ihre Füße. Krummbeinig, gebeugt, mit übergroßen Augen und schrumpilger Haut. Ein Ork. Das Wesen starrte sie an und leckte sich über die in Fetzen hängenden Lippen, als sein Blick auf ihre zitternde Axt fiel. Verdandi fühlte sich in der Zeit zurückversetzt. Als der Wolf aus einem verschneiten Gebüsch vor ihr auf den Pfad gesprungen war. Ihr Speer hatte damals auch gezittert, aber nur weil ihre Hände froren. Sie pirschte um dem Wolf herum, der sich flach gemacht hatte und bedrohlich die Leftzen zurückzog. Ein Knurren entrang sich seiner Kehle. Sie war damals die Jägerin und er die Beute, doch das wollte der Wolf nicht geschehen lassen. Nun war es fast genauso, nur anders herum. Der Ork bleckte die spitzen Zähne und schlich um seine Beute herum. Zögerlich folgte sie seinen Bewegungen. Wie der Wolf einst. Doch griff sie nicht zuerst an, denn sie war klüger als das Tier. Ihr Herz schlug so laut wie eine Kriegstrommel, das Blut rauschte in ihren Ohren. Hatte sich so der Wolf gefühlt? Wohl wissend, dass er bald sterben würde. Ein tiferes Trommeln rüttelte sie aus dem Schock. Die Kriegstrommeln ihres Dorfes und das wütende Brüllen der Männer, die in die Schlacht stürmten hallte in dem Wald wieder. Der Orks reagierte sofort und eröffnete den Kampf. Er holte weit aus und wollte ihr den Kopf spalten. Sie reagierte im letzten Moment und lenkte den Schlag ab. Die Wucht des Aufpralls ließ sie leicht Taumeln. Der Ork grinste in dem Zwielicht der Waldes, als er scheinbar bemerkte, dass sie eine Anfängerin war. Sein schartiges Schwert schnellte auf ihren Bauch zu. Verdandi machte einen seitlichen Schritt zurück und schlug mit der Axt nach der Hand ihres Gegners. Ihr Schlag war gut geführt und traf, doch nicht kräftig genug. Eine schwarzblutiger Schnitt prangte auf dem Handgelenk des Orks, der nun nicht mehr gierig grinste sondern wütend zum Sprung ansetzte. Verdandi wusste nicht, wie sie reagieren sollte und machte einen Schritt zurück. Ihr Fuß blieb an einer Baumwurzel hängen. Sie stolperte und fiel auf den Hintern.
"Frischfleisch!", rief der Ork jauchzend und schnellte ihr unerwartet heftig entgegen. Panisch sah sie das Monstrum immer näher kommen, als ob die Zeit sich verlangsamte.
Ein wütender Schlachtruf drang in ihr Ohr und eine bullige Gestalt rammte den Ork von Verdandi fort. Die Krallen des Wesen kratzten ihr schmerzhaft über das Gesicht, dann war er fort. Das Kreischen des Orks erstickte in einem gurgelnden Geräusch. Mit schreckensweiten Augen erkannte sie erleichtert ihren Vater, der wie ein wild gewordener Beserker auf den Leichnahm einhackte. Sie ließ einen keuchend Laut von sich, was ihn zur Besinnung brachte. Bjorn erbhob sich und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. Er reichte ihre die glitschige Hand und zog sie auf die Beine.
"Alles noch dran? Hat er dich erwischt?", fragte er besorgt.
Sie schüttelte den Kopf und flüchtete sich in seine starken Arme. Bjorn erwiderte die Umarmung und legte ihr die blutverschmierte Hand auf die Schulter. Ringsherum ertönte das Klirren von Metall auf Metall. Gekreische und Hilferufe hallten durch den düsterten Wald. So hob den Blick und starrte in das Gesicht ihres Vaters. Sein prächtiger, roter Bart war benetzt mit schwarzen Blut, die buschigen Augenbrauen angespannt zusammengezogen.
"Geh zu deiner Mutter", befahle er mit grimmiger Stimme.
Verdandi erwachte aus ihrer Starre und wollte aufbegehren. Sie wollte ihren Fehler wieder gut machen, dort rausgehen und die Feinde ihres Dorfes töten. Ehe sie etwas sagen konnte, packte Bjorn sie an den Schultern. Seine prankenähnlichen Hände waren wie ein Schraubstock.
"Es sind viel zu viele. Hör mir zu. Du bist mit den anderen Jünglingen die letzte Verteidigung. Verbarrikadiert euch auf dem Dorfplatz und schützt die Kinder, Kranken und Alten. Hörst du? Geh und trommel alle zusammen, die eine Waffe halten können. Die Ahnen sind mit uns. Wir werden uns nach der Schlacht wiedersehen."
Verdandi gab ihren Protest auf und nickte. Sie packte ihre Axt fester. Die Ahnen wachen über sie. Sie hatten auch dafür gesorgt, dass ihr Vater Bjorn war, einer der besten Krieger des Dorfes und dass er somit rechtzeitig zu ihrer Rettung eilen konnte. Er legte kurz seine Stirn an ihre. Sein warmer, nach Honigwein riechender Atem streifte ihr Gesicht. Sie schlossen kurz die Augen und klopften sich auf den Rücken. Verdandi löste sich von ihm und trat zu dem Ork. Ihr Vater hatte die Leiche bereits zerstückelt, doch überkam sie bei dem Anblick der Zorn. Sie holte aus und zerstörte mit wütenden Hieben die letzten Reste des häßlichen Gesichts. Ihr Vater blickte ihr wachsam über die Schulter und gebot ihr schließlich Einhalt, als sie begann in Rage zu verfallen und wütend auf den toten Ork einzuschlagen. Bjorn zog sie fort und nickte ihr noch einmal zu. Verdandis Blut rauscht wieder in den Ohren, doch diesmal vor Zorn, nicht vor Furcht. Sie war schwach gewesen. Sie hasste sich dafür. Diesen Hass würden nun alle jene zu spüren bekommen, die sich an ihrer Dorfgemeinschaft vergreifen wollte. So schnell sie konnte sprintete sie zurück in das Dorf.
Jemand trat ihr gegen den Stiefel. Verdandi schreckte auf und zog sofort ihre Axt. Als sie den blinzelte und den Blick hob, erkannte sie den Wachsoldaten vom Tor, der sie hinausgeführt hatte. Offensichtlich war sie an der Mauer gelehnt, eingeschlafen. Der Mann trug zwar keine Rüstung mehr, aber er wirkte genauso belustigt wie am Abend zuvor. Sein Gesicht war unter dem dichten Bart kaum zu erkennen.
"Das solltest du da draußen aber nicht machen. Sei froh, dass die Jungs von der Mauer oben auf dich aufgepasst haben. Sie schuldeten mir einen Gefallen.", erklang die basslastige Stimme des Mannes.
Verdandi rieb sich rasch die Augen und erhob sich.
"Dann nehme ich an, dass ihr den Gefallen nun bei mir einfordernd wollt?"
Der Wachmann grinste und nickte zu dem Feldlager, das ihr am Abend zuvor gar nicht aufgefallen war. Wo war sie nur mit dem Gedanken gewesen? Im Gedanken schalte sie sich für ihre heftige Unaufmerksamkeit.
"Ich hätte bei dem Lärm nicht schlafen können. Wenn Ihr mir bei einem Bier erklärt, was Euch so sehr beschäftigt, wäre der Gefallen getan.", bot der Mann an.
Sie machte scheinbar ein so abstoßendes Gesicht, dass er sich beeilte zu sagen, dass er nichts im Schilde führt . Verdandi erwiderte daraufhin nichts, sondern wurde sich erst über die Worte vom dem Kerl klar.
"Das Heer ist schon nach Linhir unterwegs?", frage sie hastig.
Für einen Moment wirkte der Wachmann irritiert, nickte aber dann. Enttäuschung machte sich in seinem Gesicht breit.
"Dann nehme ich an, dass ihr eine Sölderin seid und mit dem Heer ziehen wolltet. Es ist schade, wenn so ein junges Ding in die Schlacht zieht."
Verdandi hob eine Augenbraue.
"Ich habe schon mehrere Schlachten geschlagen, werter Herr. Mit elf habe ich einen Wolf erlegt. Ich weiß mich durchaus zu verteidigen."
Ihr Gegenüber wirkte nun ehrlich überrascht und musterte sie nun mit einem neuerlichen Blick. Weniger freundlich, mehr abschätzend und berechnen.
"Woher kommt Ihr denn und wie ist Euer Name?"
"Das kann ich Euch auch fragen. Barianna, wenn es genehm ist."
"Magrodil, Hauptmann der Nachtwache. Einer der letzten alten Hasen", stellte er sich schließlich vor und deutete eine Verneigung an, "Wenn Ihr das Heer noch einholen wollt, solltet Ihr Euch beeilen, Barianna."
Verdandi überlegte kurz, beschloss aber, dass es besser war dem Heer auf dem Fuß zu folgen. So würde sie vor Räubern geschützt sein, wenn eine so große Streitmacht in direkter Nähe war. Sie bedankte sich für den Rat und hielt kurz inne, sagte aber dann: "Wenn mich mein Weg wieder zurückführt, Magrodil, werden wir einen Humpen gemeinsam heben gehen. Dann erzähle ich Euch von meinen Schlachten. Als Lohn für Eure Wachsamkeit, die ich Euch sonst nur schwerlich vergelten kann."
Der alte Soldat wirkte erleichtert und bekräftigte die Verabredung und versicherte, dass auch er viel zu erzählen hatte. Verdandi grinste und war sich sicher, dass er die Wahrheit sprach. Magrodil wirkte zwar schon sehr alt, aber bewegte sich noch immer zielsicher und wirkte wie ein Kämpfer, der mit Würde alterte. Das behielt sie aber lieber erstmal für sich, da er eigentlich noch immer ein Fremde war. Sie verabschiedte sich schließlich von Magrodil und machte sich auf dem Weg. Während sie auf die Straße einbog, spürte sie das Goldstück von Amrodin auf ihrer rechten Brust, da es sich durch die Gehbewegung nun mitbewegte. Das Metall lag auf ihrer nackten Haut und war warm, somit hatte sie es fast vergessen. Jetzt war sie sich dem wieder bewusst geworden und auch die Worte des Mannes, der ihr einen Kontakt in Linhir genannt hatte. Dass die Stadt bald zu einem Schlachtfeld werden würde, machte die Sacht nicht einfacher. Die Aussicht auf einen Kampf weckte aber dennoch in ihr das Verlangen Blut zu vergießen. Zu lange hatte sich sich nicht mehr dem Wüten hingegeben. Viel zu lange. Verdandi spürte wie sich ihr Puls beschleunigte und schüttel rasch den Kopf. Sie beschleunigte die Schritte und konzentrierte sich auf das Gehen. Nicht nachgeben, ich schaffe das schon, dachte sie sich und kämpfte den Ruf nach Blut nieder. Ihre Augen suchten die Straße nach herrenlosen Besitztümern ab. Sie konnte ja nicht ihr Leben lang mittellos sein, außerdem lenkte es sie davon ab zu viel zu grübeln.
Verdandi nach Linhir
Fine:
Valion, Ardóneth, Lóminîth, Damrod und Imrahil aus der Stadt
Zwei Nächte später ging gerade die Sonne auf, als Valions Kompanie sich vor den Toren der Stadt versammelte. Nur wenig Verstärkung für die strapazierte Garnison Linhirs konnte Fürst Imrahil entsenden; gerade einmal zehn Dutzend berittene Soldaten hatten sich im Schatten der mächtigen Mauern der Prinzenstadt eingefunden und warteten nun auf das Zeichen zum Aufbruch. Die meisten von ihnen waren junge Rekruten, die man in den kriegsfernen Gebieten im Westen einberufen hatte, doch auch eine kleine Gruppe der ruhmreichen Ritter von Dol Amroth befand sich unter ihnen. Drei schnelle Wägen mit Vorräten hatte man ihnen für die Truppen in Linhir mitgegeben. Außerdem hatten sich unter Damrod zwei Dutzend Waldläufer von Ithilien dem Trupp angeschlossen, die jedoch für sich blieben. Auch der Arnorer Ardóneth war zu dieser Gruppe gestoßen. Seine Schwester war, soweit Valion wusste, in Dol Amroth geblieben, um mit der Unterstützung des Archivars Thandor nach dem Verbleib des geheimnisvollen Schlüssels zu suchen.
Der Fürst war in Begleitung seiner Ritter gekommen und würde sie auf den ersten Meilen auf ihrem Ritt nach Osten begleiten. Imrahil hatte davon gesprochen, schon viel zu lange an den Stuhl des Truchsessen gefesselt gewesen zu sein, und davon, dass ihm ein kurzer Ausritt gut tun würde und ihm helfen würde, seine Gedanken zu ordnen. Bei Imrahil war auch Lóminîth, die dunkle, enge Reitkleidung trug und in einen tiefroten Umhang mit schwarzem Pelzkragen gehüllt war. Trotz des bislang milden Winterwetters und dem Ausbleiben von Schnee war es an diesem Morgen so kühl, dass Valion seinen Atem weiß aufsteigen sehen konnte. Lóminîth trug schwarze Handschuhe aus Seide und unterhielt sich leise mit Imrahil. Valion fragte sich, ob sie tatsächlich an dem Inhalt der Unterhaltung interessiert war, oder ob sie dem Fürsten verborgene Worte zu ihrem eigenen Vorteil einflüsterte.
Rinheryn lenkte ihr hellbraunes Ross neben ihn und riss Valion aus seiner Grübelei. Duinhirs Tochter schien die Einzige der Anwesenden zu sein, die sich auf den kommenden Ritt wirklich zu freuen schien. In den Gesichtern der Soldaten sah Valion zumeist Ungewissheit und auch Angst. Die Ritter von Dol Amroth und die Waldläufer Ithiliens, allesamt kriegserfahrene Veteranen, zeigten hingegen kaum Gefühlsregungen. Mit stoischen Gesichtsausdrücken warteten sie geduldig auf den Aufbruch.
"Auf den Straßen von Belfalas werden wir zu Pferde rasch voran kommen," sagte Rinheryn und zeigte nach Südosten, wo sich die mit hellem Gestein gepflasterte Straße durch die dicht besiedelten Küstengebiete bis zum Kap von Belfalas hinzog. "Morgen schon werden wir vor den Toren Linhirs stehen."
"Und dann wird sich zeigen, wie schlimm die Lage wirklich ist," murmelte Valion düster. Ihm war nicht nach Scherzen zumute. Die Aufgabe, die Imrahil ihm diesmal aufgebürdet hatte, kam ihm viel gravierender als alle vorherigen Missionen vor.
"Wie schlimm kann es schon sein?" meinte Rinya. "Das Westufer ist gesichert und der Angriff Mordors wurde abgewehrt. Unsere Flotte kontrolliert die Bucht und die schiffbaren Teile des Flusses Gilrain und hindert die Orks daran, unsere Verteidigungen zu umgehen."
"Ich habe das Gefühl, der Dunkle Herrscher spielt nur mit uns," sagte Valion. "Bei all seiner Macht hätte er unsere Abwehr längst durchbrechen und Gondor wie ein lästiges Insekt zerquetschen können."
"Du täuschst dich," erwiderte die Morthonderin. "Gondor ist nicht der einzige Feind, den Sauron sich gemacht hat. Er darf Rohan nicht aus dem Auge lassen, wie du selbst gesehen hast. Und nun, da Krieg in Harad herrscht, kann er auf keine Unterstützung aus dem Süden hoffen. Darüber hinaus sagten mir die Rohirrim, dass es Saruman trotz seines Verrates an den Freien Völkern gelungen ist, den Horden Mordors im Norden große Verluste beizubringen."
Valion schwieg. Er wusste nur wenig über den Kriegsverlauf jenseits der Grenzen Gondors. In Rohan hatte er Faramirs Kampfbereitschaft gesehen, doch der Vorstoß dessen Reiterheeres nach Anórien war gescheitert. Gondor konnte sich nicht darauf verlassen, dass Rohan die Horden Mordors in Schach hielt. Doch auf wessen Hilfe konnten sie sonst hoffen? Valion wusste es nicht. Er schüttelte den Kopf. "Für den Augenblick ist nur Linhir wichtig. Ich habe eine Aufgabe erhalten: Die Grenze zu verteidigen, um jeden Preis. Und das werde ich tun."
"Das höre ich gerne," sagte Fürst Imrahil, der sich in Begleitung Lóminîths genähert hatte. "Es ist gut zu sehen, dass du deinen Auftrag ernst nimmst, Valion. Wir können nicht zulassen, dass Hilgorns bedauerlicher Verlust unsere Verteidigungen empfindlich schwächt."
"Seid unbesorgt, mein Fürst," sagte Lóminîth. "Die Verteidigung wird halten."
Rinheryn warf Valions Verlobter einen misstrauischen Blick zu. Ohne ein weiteres Wort lenkte sie ihr Pferd davon und verschwand in der Masse der Reiter, die langsam Aufstellung annahmen.
"Nun denn," sagte Imrahil. "Es ist hell genug," sagte er mit einem Blick auf die aufgehende Sonne. "Wir sollten aufbrechen."
Posaunen gaben den Befehl zum Abmarsch. Die Reiterkolonne setzte sich in Bewegung, mit dem Fürsten von Dol Amroth an der Spitze. Valion und Lóminîth ritten dicht hinter ihm, gefolgt von der Masse der berittenen Soldaten. Am Ende kamen die Versorgungswägen und die Waldläufer von Ithilien. So brachen sie nach Osten hin auf, während das Land rings um sie herum langsam erwachte.
Valion, Ardóneth, Lóminîth, Damrod, Glóradan und Rinheryn nach Linhir
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