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Der Königspalast

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The Chaosnight:
Salia, von: Ein Schatten vergeht nie[...]

Die Treppe war größtenteils nur notdürftig in den Stein gehauen oder schlichtweg durch einen hölzernen Anbau ersetzt worden und je weiter sie sich nach oben kämpften, desto stechender wurde die Luft und desto mehr Ungeziefer krabbelte über den schmutzigen Boden oder schworr durch die Luft. An vielen Stellen lagen Felsbrcken auf dem Weg oder an den Wänden und dienten zeitweise sogar als Trepenersatz, an denen man hochklettern musste um voranzukommen. Lichtquellen gab es hier kaum mehr und schienen mit steigender Höhe immer seltener zu werden.
In Salia weckte dieser Tunnel Erinnerungen an die erste Belagerung des Erebors: Dort war sie ebenfalls in schmalen Seitentunneln gefangen, die von Dreck und Fäkalien überflutet wurden und konnte nur hilflos auf ein Ende hoffen. Sie hasste dieses Gefühl der Machtlosigkeit, das sie schon fast ihr ganzes Leben verfolgte und in diesem Tunnel wurde es mit jedem Meter näher an sie heran gebracht: Die Erinnerungen an das Ausharren im Berg, der beißende Geruch menschlicher Abfälle vermischt mit der steigenden Panik, die letzten Erinnerungen an ihre Schwester, ihre eigene Hilflosigkeit und die allgegenwärtige Enge. Nur hier war sie auch noch alleine und beinahe blind, in einem Tunnel eines fernen und verhassten Landes. Instinktiv versuchte sie schneller zu laufen, doch die Felsbrocken und die Geschwindigkeit Morrandirs und Rylthas hinderten sie daran. Geschlagen ließ sie sich weiter zurückfallen, während sich die Wände immer enger zusammenzogen und ihr kaum mehr Freiheiten ließen.
Als sie schließlich durch eine Art Falltür an der Decke kletterte, konnte sie nur schwer atmen und ihre Stoffkleidung, die sie unter der Rüstung trug war vollkommen durchnässt. Sie lehnte sich erschöpft gegen die Wand und blickte sich um: Sie war in einem größerem Raum, der Decke nach zwar immer noch unter der Erde, aber um einiges weiträumiger und heller, auch wenn ein seltsamer Geruch von fremdartigen Sträuchern von ihm ausging. Ein großes Loch befand sich in der einen Ecke, über dem mehrere Löcher in der Decke hingen und vor allem um dieses herum sah der Boden nass aus und war von allerhand Körnern und Fasern umgeben. Mehrmals atmete sie bewusst ein und aus, bevor sie zu einer eisernen Leiter schritt, die in den Stein gehauen war und diese hinaufkletterte.

Nachdem sie durch eine weitere Falltür geklettert war, fand sie sich inmitten von Stoff wieder, der um sie herumhang und ihr kurzzeitig wieder das ungeheure Gefühl gab, das sie schon in dem Tunnel heimgesucht hatte. Erst als sie an eine metallene Klinke stieß, verstand sie: Sie stieß sie herunter, platzte in den Raum und holte erstmal tief Luft: Sie war endlich wieder an der Oberfläche!
Den Raum um sich herum, der einem Fürsten angemessen erschien, nahm sie kaum war, zu froh war sie endlich wieder oben zu sein und eine andere Sache beanspruchte ihre Augen zu sehr: Laladria saß mit rotunterlaufenen Augen auf ihrem Bett und starrte nur auf die Tür, während Morrandir neben ihr saß und sie hielt und Ryltha hastig einige Blüten kleinmörserte. Sie schüttete die fertige Tinktur in eine Kanne mit Wasser und übergab diesen Laladria, die diesen gierig verschlang und sich sofort sichtbar entspannte.
"Willst du mir wirklich nicht sagen, was los ist", fragte Morrandir sanft.

The Chaosnight:
Laladria antwortete langsam: "Mein Leben begann, als ich hier beim König anheuerte. Ich hatte nur, was ich bei mir trug, zerrissene Kleidung und ein Armband aus halbdurchsichtigen Kristallen. Ich weiß nicht was vorher war, nur dass ich für Rhun töten musste. Fast zwei Jahre erledigte ich die grausamsten Dienste, bis ich diesen Gefangenen sah, der mir irgendwie bekannt vorkam und behauptete mich zu kennen...ich hielt ihn für verrückt und beachtete ihn nicht weiter, doch in meinen zahlreichen Reisen nach Thal und Seestadt, wo ich mich um alte Handelspartner kümmern sollte und die Wachen studierte, entdeckte ich ein weiteres Relikt meiner Vergangenheit...doch bevor wir uns richtig freuen konnten, musste ich wieder verschwinden. Am nächsten Morgen fehlte mein Gifbeutel...ich habe sie nie wieder gesehen."
Sie brach wieder in Tränen. "Sie war meine beste Freundin...unsere Bindung hat die stärksten Zauber, Gifte oder wasauchimmer des ganzen Königreichs gebrochen und ich habe sie getötet." Morrandir strich ihr leich über den Arm, "Das weißt du nicht."
"Ich bin dutzende Male zurückgekehrt, kein einziges Lebenszeichen! Ich habe dutzende Händler abgefangen, die zu den Eisenbergen aufwaren und sie ausgequetscht, sie haben mir gesagt sie hätte sich und ihren Mitbewohner zur Hölle geführt!" Laladria griff wieder zu Kanne und trank mehrere große Schlucke, bis Morrandir ihr die Kanne abnahm, "Das ist genug! Du weißt wie das wirkt!", sagte sie, selbst schon den Tränen nahe.
"Wenn man sein ganzes bekanntes Leben in Lebensgefahr schwebt und immer wahnsinnigere Taten vollbringen und den einzigen Menschen, der dich seit deiner Kindheit kennt und davon abhält vollkommen wahnsinnig zu werden, Tag für Tag anlügen muss, braucht man seine Ruhe. Allein die Arbeit reicht schon um einen Menschen zu brechen...nach und nach fallen die Gestalten weg, mit denen ich angefangen habe...nur die besten bleiben länger als zwei Jahre und nur die wenigsten länger als vier. Selbst dieser Verrückte hat es nicht ausgehalten...kurz nachdem er seinen wohl größten Auftrag erfüllen sollte, ist er verschwunden."
"Können wir dir nicht helfen?", fragte Morrandir verzweifelt, doch Laladria schüttelte nur kurz den Kopf: "Ihr seid gute Menschen, doch dabei seid Ihr machtlos. Ihr kennt mich nur als Laladria, er kennt mich so wie ich früher war und hilft mir dabei zumindest Grundzüge meiner wahren Identität zu bewahren. Sobald ich dies verliere bin ich wieder das, was ich sein sollte: Eine willenlose Mörderin. Der Wahnsinn wäre die einzige Möglichkeit dem zu entkommen!"

Sie ließ sich nach hinten fallen und schlief sofort ein. Morrandir blickte sie kurz an und griff dann zu der Kanne und nahm sich selbst einen großen Schluck. Sofort entspannte sie sich merklich und sagte leise: "Nach all den Jahren wo wir zusammenarbeiten erfahre ich dies zum ersten Mal." Ryltha, die still und in sich gekehrt dagesessen hatte und nichts getan hatte, hatte direkt nach Morrandir zum Krug gegriffen und daraus getrunken.
"Nimm lieber auch einen Schluck", sagte sie zu Salia, "Du siehst nicht gut aus."
Langsam ergriff sie den Krug, etwas Ruhe könnte sie jetzt ganz gut gebrauchen.
Schon nach dem ersten Schluck kehrte das in letzter Zeit bekannt gewordene Gefühl der Leere in sie zurück.

The Chaosnight:
Bevor Salia dieses Gefühl richtig einordnen konnte, sprang die Zimmertür auf und ein Diener des Palastes stürmte hektisch herein. "Frau Morrandir! Der..Der König...sucht Euch!"
Noch unter der Wirkung ihres Trankes nickte sie nur und erhob sich, dicht gefolgt von Ryltha und kurz darauf Salia. "Verzeiht, aber er verlangt nur nach Euch!", sagte der Bote, doch Ryltha wunk ihn ab: "Wir gehen nur bis zur Eingangshalle und warten dort."

Bevor der Diener Morrandir in den Audienzsaal führen konnte, trat Rog aus ihm hervor - stolz lächelnd mit einem Pergament in der Hand und einem strahlendem Orden an der Brust.
"Ich bin Ehrenhauptmann der königlichen Garde und Mitglied des 'Rates der Zehn'", sagte er ohne vorherige Nachfrage, "Ich übernehme den Platz von General Fong, der zum Jahresende in den Ruhestand tritt."
"Ihr habt es Euch verdient", antwortete Ryltha, "Aber sagt mal, was ist denn da drinnen passiert? Ihr wart ziemlich lange dort."
"Ich erzähle es Euch gleich, doch vorher würde ich noch gerne meine Habseligkeiten wieder an mich nehmen, als General käme ich mir schlecht vor unbewaffnet herumlaufen zu müssen." Er rief einen Wächter herbei, der kurz darauf mit einer Kiste zu ihm kam, die Rogs Waffen enthielt. Während er sich diese wieder umband, begann er von der Audienz zu erzählen: Der König sei noch immer wütend über die Deserteure...Der König sei noch immer wütend über Brodderick...Der König werde persönlich einen Botschafter zu den Eisenbergen schicken...Fast jeder Satz Rog beinhaltete irgendeine Aktion oder irgendein Gefühl des Königs und schien sich endlos hinzuziehen. Selbst unter dem Beruhigungsmittel wirkte es für Salia langweilig und ermüdend und erst nach gefühlten Stunden schwang erneut die Tür zum Audienzsaal auf: Nun trat Morrandir heraus, ebenso stolz wie Rog und ebenso mit Pergament und Orden. "Ich bin befördert worde", sagte sie, "Ich darf nun den Titel 'Hohe Heerführerin' tragen und darf jedwede Ausbildung übernehmen, erfahren oder überprüfen."
"Das ist ja wundervoll", kreischte Ryltha und umarmte sie.
"Es kommt noch besser", sagte Morrandir, "Es ist mein Auftrag möglichst viele rhuntreue Soldaten zu finden und diese so auszubilden, dass sie auch höhere Stellen besetzen können." Sie holte einen Siegelring aus ihrer Tasche, "Du hast mich jahrelang begleitet und alles gelernt, was ich dir zeigen konnte. Ich möchte, dass du als meine Nachfolgerin eine Unterdivision Gortharias Soldaten anführst."
Ryltha standen Tränen in den Augen, als sie Morrandir erneut umarmte. Nachdem sie sich wieder gelöst hatten, richtete sich Morrandir an Salia: "Ich weiß, dass du das Potential hast in dieser Stadt Großes zu vollrichten. Ryltha wird dich gut lehren, höre auf sie und habe Geduld. Sobald deine Ausbildung abgeschlossen ist, werde ich dafür sorgen, dass auch du einen höheren Stand bekommst."
Salia nickte nur ohne eine andere Regung zu zeigen. Sie hatte Morrandirs Beförderung wahrgenommen, doch das Geschehen darum nur still beobachtet, ein Umstand für den sie den Trank verantwortlich machte.

Zuletzt blickte Morrandir Rog an, der sie beglücktwünschte und dann anschloss: "Wie es aussieht, bin ich jetzt Euer direkter Vorgesetzter. Ich freue mich schon auf unsere weitere Zusammenarbeit!"
"Ich mich auch", antwortete Morrandir, "Doch leider muss ich Euch in einer Sache verbessern: Ihr seid nur im Krieg mein direkter Vorgesetzter oder wenn ich explizite militärische Angelegenheiten regele, mein Ausbildungsauftrag unterliegt streng genommen nur dem König."
Bevor Rog antworten konnte, verließ der König den Audienzsaal in Richtung seiner Privatgemächer. Da die Gruppe noch immer fast direkt vor der Tür stand, ging der König nur knapp an ihnen vorbei und Salia hätte schwören können von seinem Gewand gestriffen zu werden. Sofort überkam sie ein unbekanntes Gefühl, welches sich jedoch schnell wieder verflüchtigte und sie wieder nur leeren Blickes seinen Schritten folgen ließ. Kaum war er verschwunden, wurde Salia eines klar: Das war nicht mehr sie selbst!

The Chaosnight:
Während Salia noch damit Kämpfte ihre Gedanken in den Griff zu bekommen, war auch Alatar aus dem Audienzsaal geschritten. Gemäß der höfischen Regeln nickte er der Gruppe kurz zu und war schon fast an ihr vorbeigeschritten, als er plötzlich stehen blieb. Salia war nicht entgangen, dass seine Augen kurz aufflackerten, als er in die Gruppe blickte, konnte dies jedoch nicht weiter zuordnen. Der Berater wandte sich zuerst an Rog: "Mir ist neu, dass Ihr zwei Schwerter tragt, General. Reicht Euch die Waffe Eurer Väter nicht mehr?"
"Das Schwert meiner Familie wird auf Ewig meine einzige wahre Waffe bleiben, Herr.", sagte Rog, "Die andere Klinge trug Brodderick bei sich, als ich ihn festsetzte. Ich habe sie ihm abgenommen und behalte sie seitdem als Blutpfand bei mir. Sie sah mir wertvoll genug aus, dass ich mit ihrem Gegenwert die Familien meiner Wächter auszahlen kann, die bei Broddericks Angriff auf mich fielen."
"Könnte ich mir die Waffe ansehen", fragte Alatar mit leichten Anzeichen von Neugier, "Ich kenne mich etwas in der Waffenkunde aus und könnte Euch eine erste Einschätzung liefern."
Sofort löste Rog die Waffe von seinem Gürtel und übergab diese dem Berater, in dessen Augen Salia erneut dieses Funkeln erkannte. Behutsam strich er über die Klinge der Waffe und betrachtete sie sorgfältig. Schlussendlich blickte er Rog ins Gesicht und sagte kühl: "Diese Waffe! Sie kommt nicht von hier. Ich kenne ihren Ursprung nicht, doch ich weiß nur, dass sie kein Ostling ins Feld geführt hatte. Ebenso weiß ich, dass Brodderick eigentlich Bogenschütze war. Aus welchen Gründen er auch immer dieses Schwert genommen hat, es muss ihm was bedeutet haben. Ihr wisst sicher, dass der König jeden Beweis von Broddericks Verrat durchsucht haben möchte, dieses Schwert wohl eingeschlossen. Ich fürchte also, dass ich diese Waffe bis auf weiteres an mich nehmen muss." Er blickte Rog scharf an, "Aber ich will nicht bösartig zu Euch sein und Euch ohne Blutpfand auf unbestimmte Zeit warten lassen, daher mache ich Euch ein faires Angebot: Ich gebe Euch das Doppelte für das Schwert, was Euch ein gewöhnliches Offiziersschwert bringen würde, weit mehr also als Broddericks normale Waffen."

Es war deutlich, dass dies kein "Angebot" war, doch ebenso, dass man gegen Alatars Argumente nichts tun könnte als zumindest etwas Gewinn daraus zu ziehen. Daher nickte Rog auch nur und sagte: "Ich Euch viel zu verdanken, Herr. Daher weiß ich, dass ich Euch gut und gerne diese Waffe übergeben kann ohne mich bei den Familien entschuldigen zu müssen." Er holte tief Luf und seine undwinkel machten deutlich, dass er ein "Aber" anführen wollte, doch Alatar hatte sich stattdessen an Morrandir gewand:
"Ihr sagtet, dass Ihr Euch bereits eine Nachfolgerin vorstellen könntet?"
"Sie steht neben mir. Ich habe ihr all mein Wissen anvertraut und bin mir sicher, dass sie den Anforderungen entspricht." Alatar nickte beiläufig und stellte ein paaar weitere Fragen, bei denen Salia sich aber sicher war, dass er diese in jeder Akte finden könnte. Schließlich sagte er: "Ich werde dem König mitteilen, dass ich Eure Entscheidung gutheiße. Ich halte es für angemessen, dass als Zeichen des Wandels Eur Nachfolgerin und erste voll ausgebildete Schülerin offiziell vorgestellt wird. Ich denke, dass dies unserer aller Pläne gut tun würde."

Er wandte sich zum Gehen, drehte sich auf halben Wege jedoch nochmal um: "Ach ja, habt Ihr Aufzeichnungen zu der Kriegsbeute und deren Trägern?"
"Sie liegen Euren Schreibern vor. Ich weiß jedoch nicht, wie aktuell diese bis zu dem Dreifürsteneck gehalten wurde, da die meisten Divisionen schon vor meiner Ankunft desertiert waren und ihr kennt ja die Desertationslisten und deren Glaubwürdigkeit."
Wortlos drehte der Berater sich um und verließ die Halle zu den Gemächern des innersten Hofstaates.

Salia, zu: Rylthas Haus

Fine:
Cyneric vom Hafen


Der Palast war nicht schwer zu finden gewesen, denn die meisten Straßen führten entweder auf ihn zu oder davon weg. Cyneric trug die schwere Rüstung der gortharischen Gardisten, aber aufgrund der strengen Kontrollen am Palast reichte dieser Fakt natürlich nicht aus, um ungefragt eingelassen zu werden.
"Wer bist du? Woher hast du diese Rüstung?" fragte ihn der Gardist der ihn am Betreten des Palastes hinderte.
Cyneric erinnerte sich daran, was ihm gestern gesagt worden war. "Heerführerin Morrandir schickt mich. Ich soll heute Mitglied der Garde werden, bei Sonnenaufgang."
"Ach, bist du dieser Nordmensch? Zeig' mal dein Gesicht," verlangte sein Gegenüber.
Er tat wie ihm geheißen und nahm den Helm sowie das Tuch, das seine untere Gesichtshälfte bedeckte ab. Der Andere nickte. "Aussehen und Aussprache stimmen. Nun gut. Die Rüstung hast du ja schon; eine Pike erhältst du von dem Kamerad da drüben." Er deutete auf einen der übrigen fünf Gardisten, die den Eingang bewachten. "Seine Schicht ist jetzt zuende. Du wirst ihn ablösen. Du weißt, was du zu tun hast?"
Cyneric nickte. Mit Wache stehen kannte er sich aus.
"Gut, gut. Aber denk' dran, ich behalte dich im Auge!" sagte der Gardist. "Keine Dummheiten! Sonst zerren wir dich schneller in die Verliese als du "Morgengrauen" sagen kannst!"

Cyneric nahm die Waffe von dem Wächter entgegen, den er ablöste, und bezog rechts neben dem protzigen Eingang des Palastes Stellung. Die Sonne stieg höher und höher und der Vormittag brach an. Die jahrelange Erfahrung übernahm und ließ ihn die Schicht problemlos überstehen. Doch ihm fiel auf, dass im Gegensatz zu Rohan die Gardisten in Gortharia aktiv gegen einfache Leute vorgehen mussten, die ihre Unzufriedenheit vor den König bringen wollten. Immer wieder gab es Rangeleien und Provokationen, doch die Gardisten ließen sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie waren all dies offenbar schon lange gewohnt. Bei Cyneric stellte sich immer mehr der Eindruck ein, dass der König Gortharias und die Oberschicht das Volk wirklich schlecht behandeln mussten, und Rylthas und Morrandirs Ziele kamen ihm immer sinnvoller vor. Dieses Land leidet unter der Unterdrückung durch die Reichen und Mächtigen, wie Ryltha gesagt hat, dachte er. Vielleicht ist es das Richtige, sie zu unterstützen..

Nach dem Ende seiner ersten Schicht erhielt er unverhofft ein Lob vom Kommandanten des Palasttores. "Gut gemacht, Nordmann. Ich sehe, die Heerführerin hat ein gutes Auge bei deiner Wahl bewiesen. Du hast Erfahrung bei dieser Aufgabe." Er nickte Cyneric anerkennend zu, dann ließ er ihn wegtreten.
Cyneric betrat den Palast nachdem er die Pike an seine Ablösung weitergegeben hatte. Im Inneren würdigte ihn kaum jemand eines Blickes; er war nur ein weiterer Gardist auf dem Weg zu einem Vorgesetzten. Er musste nicht lange nach der Halle des Rats der Zehn suchen, denn dort war gerade eine Ratsitzung zu Ende gegangen, und die Ratsherren und -herrinnen strömten heraus, begleitet von ihrem Gefolge. Erstaunt sah Cyneric, dass sich auch ein alt wirkender Mann unter ihnen befand, der blaue Gewänder trug und eine Ausstrahlung hatte, die Cyneric bisher nur bei zwei anderen Personen gespürt hatte.
Wenn mich nicht alles täuscht, handelt es sich hier um einen Zauberer, dachte er. Doch bevor er mehr herausfinden konnte wurden seine Gedanken von Morrandirs scharfer Stimme unterbrochen.
"Du bist pünktlich. Sehr gut. Komm, folge mir," sagte sie und marschierte schnellen Schrittes los. Cyneric schloss zu ihr auf und folgte der Heerführerin durch den weitläufigen Palast.
"Präge dir den Weg gut ein," meinte Morrandir. "Es ist von Vorteil, wenn du dich hier bald gut auskennst."
Sie erreichten ein kleines Zimmer in einem der höheren Stockwerke, aus dessen Fenster man einen guten Blick nach Süden über die Stadt hatte.
"Hier wirst du mich für gewöhnlich tagsüber finden," erklärte Morrandir. "In diesem Teil des Palastes sind auch die anderen Kommandanten und Würdenträger des Militärs von Rhûn untergebracht. Tritt ein. Und schließe die Türe hinter dir!"

Cyneric tat wie geheißen. Kaum war die Tür geschlossen trat Morrandir an das Fenster und blickte hinaus. Sie senkte ihre Stimme zu einem Wispern.
"Du bist heute um Mitternacht zur Nachtwache eingeteilt," erklärte sie so leise dass er es kaum verstehen konnte. "Du wirst am Eingang zu den Palastgärten Wache stehen. Ungefähr zwei Stunden nach Wachbeginn wird Ryltha eintreffen. Du musst sie passieren lassen und ihr bei dem helfen, das sie tun wird."
Er wollte fragen, was sie damit meinte, doch Morrandir brachte ihn mit einem Wink zum Schweigen. "Keine Zeit für Fragen. Du wirst es verstehen wenn es soweit ist. Jetzt geh' und ruhe dich aus. Wir sehen uns wieder, wenn ich dich das nächste Mal rufen lasse."
"Wie Ihr wünscht," sagte Cyneric und ging.
Was heute Nacht wohl geschehen wird? fragte er sich während er den Palast verließ.

Er verbrachte Nachmittag und Abend damit, in der Kaserne etwas Schlaf zu finden. Cyneric war unregelmäßige Schlafzeiten ebenso gewohnt wie der Fakt, dass man als Gardist des Öfteren zwischendurch Zeit totschlagen musste. Nachdem er am späten Abend wieder wach geworden war schlenderte er einige Zeit am Hafen entlang und genoss den Ausblick auf das stille Meer, auf dem sich die Sterne spiegelten. Es war eine wolkenlose Nacht. Seine Gedanken waren bei seiner Tochter.
Wie es ihr wohl gerade geht? fragte er sich. Er nahm sich vor, Ryltha oder Morrandir bei der nächsten Gelegenheit mehr Fragen über Déorwyn zu stellen. Ob sie auch gerade dieselben Sterne betrachtet? Ich hoffe, sie ist in Sicherheit.
Als es Zeit wurde, zum Palast zurückzukehren, schob er alle Gedanken, die ihn noch beschäftigten, so gut es ging beiseite und konzentrierte sich auf den Wachdienst. Die großen Gärten des Palastes lagen auf der Nordseite, zum Meer hin, und besaßen eine kleine Pforte in der Mauer, die den Palast umgab, wo Cyneric nun Stellung bezog.

Wie Morrandir gesagt hatte dauerte es ungefähr zwei Stunden, bis Ryltha auftauchte. Dass sie es war erkannte Cyneric nur an ihrer Stimme, denn sie trug dunkle Kleidung und ihr Gesicht war von einer Kapuze verdeckt. In der Hand hielt sie einen Stahlbogen und auf dem Rücken einen gut gefüllten Köcher.
"Hallo, Cyneric," sagte sie leise, mit Belustigung in der Stimme. "Wie gut, dass du hier bist. Es gibt Arbeit. Komm mit!"
"Ich kann meinen Posten nicht verlassen," widersprach er. "Das würde auffallen."
"Keine Sorge, Cyneric. Du bist gleich wieder hier. Niemand wird merken, dass du überhaupt weg warst," beschwichtigte Ryltha. Sie schob sich an ihm vorbei und durchquerte die kleine Pforte. Cyneric folgte ihr durch den Garten, die Pike griffbereit.

Kurze Zeit später kamen sie an einen kleinen Zierteich, an dem ein Adliger stand und sich leise mit einer Hofdame unterhielt. Zwei von dessen persönlichen Leibwachen flankierten den Mann.
"Geh hin und lenke sie ab," wisperte Ryltha aus den Schatten. Cyneric marschierte auf den Teich zu und wurde von den Leibwächtern aufgehalten.
"Was gibt es, Gardist?" wollten sie wissen. Doch bevor er antworten konnte kamen zwei Pfeile aus dem Dunkeln geflogen und fällten die Männer. Entsetzt taumelte der Adelige einen Schritt zurück und wollte sich zur Flucht wenden, doch die vermeintliche Hofdame legte ihm blitzschnell ein Messer an die Kehle.
"Was... was hat das zu bedeuten?" stammelte er angsterfüllt.
Ryltha trat aus den Schatten hervor, den Bogen griffbereit. "Lesztan von Dervesalend! Ihr richtet dieses Land zugrunde!" rief sie. Schneller als man es sehen konnte hatte sie einen Pfeil aufgelegt - und schoss ihn dem Mann ins Herz.
"Wer war er?" fragte Cyneric, als er sich kurz darauf von dem Schock erholt hatte.
"Ein Vetter des Fürsten von Dervesalend, dem Gebiet im Nordosten Rhûns," erklärte Ryltha. "Lilja hier wird die Leiche verschwinden lassen." Sie gab der Hofdame ein Zeichen und diese nickte.
"Sie gehört auch zu euch?" fragte Cyneric und meinte damit Morrandir und Ryltha.
"Nicht direkt," antwortete Ryltha. "Sie hilft uns hin und wieder. Komm, du solltest jetzt auf deinen Posten zurückkehren."
Er tat wie ihm geheißen. Der Rest seiner Schicht verlief ereignislos nachdem Ryltha verschwunden war.

Am Tag darauf gab es im Palast viel Gerede um das das spurlose Verschwinden des von Ryltha erschossenen Adligen. Doch offenbar kam es hin und wieder vor, dass wichtige Personen ermordet oder aus dem Weg geschafft wurden, denn die Palastwache erhielt zwar offiziell den Auftrag, nach Spuren zu suchen, doch Cynerics Kameraden rieten ihm, seine Zeit nicht damit zu verschwenden.
"Wenn es eine der Gilden oder Attentäterorden war, wirst du sowieso nichts finden," sagten sie.
Und genauso war es auch. Ryltha und Lilja hatten die Leiche spurlos verschwinden lassen. Nach einer kürzeren Zeit als Cyneric erwartet hatte, kehrte wieder Normalität im Palast ein.
Er fragte sich, wie viele Tote in nächster Zeit wohl noch folgen würden...


Ryltha und Cyneric in den Untergrund von Gortharia

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