Nach dem Ende seiner Geschichte saßen sie noch ein Weile schweigend nebeneinander, nur um nach so langer Zeit die Gegenwart des Anderen wieder zu spüren. Doch bald erhob sich Mithrellas und sagte: "Komm, ich muss dir etwas zeigen.", und begann die Leiter hinunter zu steigen. Verwundert stand auch Oronêl auf und folgte ihr.
Als sie am Fuße des Baumes standen, zeigte Mithrellas den Hügel hinab nach Westen. "Siehst du sie? Die Lichter?" Er folgte ihrem Blick, und sah am Fuß des Hügels einige Lichter in den Bäumen leuchten. "Was ist das?", fragte er.
"Dort unten befindet sich eine Siedlung der Waldelben. Sie nennen sich "Die Erben Lenwes", und erkennen die Herrschaft von Celeborn und Galadriel über dieses Land nicht an, da sie ihrer Meinung nach nur einem Erben Lenwes zusteht. Ich lebe bei ihnen." Oronêl blickte sie an und hob missbilligend eine Augenbraue. "Lenwe war niemals König Lóriens. König von Lórien war Amdír, und Amroth nach ihm. Da Amroth dieses Land ohne Erben verlassen hat, kann jeder, den die Bewohner für würdig erachten, die Herrschaft übernehmen. Ich dachte, du seiest auch dieser Ansicht."
Mithrellas nickte. "Das stimmt auch. Ich bin nur Amroths wegen hierhergekommen, weil er hier lebte. Sie wollten mich zu ihrer Anführerin machen, weißt du, weil Lenwe mein Vorfahr war, aber ich habe abgelehnt. Danach haben sie mich nicht wieder gefragt, aber ich denke mir, dich würden sie mit Vorliebe zu ihrem König krönen, wenn sie von dir erfahren."
Und plötzlich überkam Oronêl eine Vision von sich, wie er sich von diesen Elben zum Anführer machen ließ... er führte sie in die Schlacht gegen Saruman, gerade noch rechtzeitig, um Lórien zu retten... Galadriel verzichtete freiwillig auf die Herrschaft, und er wurde von den dankbaren Elben zum König gekrönt... mithilfe des Rings erhielt er auch Macht über die Menschen... Er führte Menschen und Elben vereint gegen Saurons Heere...
"Vater?" Mithrellas Stimme durchbrach seine Vorstellungen. Er schloss die Augen und atmete tief durch, dann sagte er: "Nein. Ich bin kein Fürst oder gar König. Ich tauge höchstens zum Berater oder Truppenführer, und ich bin damit zufrieden. Aber sag mir, haben einige dieser Elben dort unten für Lórien gekämpft, als der Hexenkönig angriff?"
"Nein“, antwortete Mithrellas leise, "sie wollen nicht unter 'fremder Führung', wie sie es nennen, kämpfen."
"Dann muss ich zu ihnen gehen. Sie müssen mit uns gegen Saruman kämpfen, denn ich fühle, dass wir jeden Mann brauchen werden, und selbst das könnte noch zu wenig sein.", meinte er.
"Gut. Ich werde mit dir gehen. Vielleicht finden wir einen Weg, sie zum kämpfen zu bringen."
Am Fuß des Hügels angekommen, sammelte sich schnell eine kleine Menge um sie. Mithrellas stupste ihn sanft an und sagte: "Steig auf diesen Stein, damit sie dich sehen können, und dann rede!" Er tat, wie ihm geheißen, und als er den Stein erklommen hatte, ging ein Raunen durch die Menge.
"Ihr Elben des Goldenen Waldes!", begann er. "Mein Name ist Oronêl Galion, Sohn des Ardir und der Nellas. Einige von euch mögen sich vielleicht an mich erinnern, denn einst lebte ich hier, als Berater Amroths, und gemeinsam mit ihm verließ ich dieses Land. Doch nun bin ich zurückgekehrt, denn wieder einmal ist unsere Heimat einer schrecklichen Bedrohung ausgesetzt, durch den verräterischen Zauberer Saruman. Gegen seine Krieger werde ich kämpfen, deshalb bin ich hier.
Ich habe gehört ihr nennt euch "Die Erben Lenwes", und wollt nur von einem Nachkommen Lenwes beherrscht werden. Nun, das ist eure Sache. Aber ich habe auch gehört, in der Schlacht gegen den Hexenkönig von Angmar, Saurons grausamsten Diener, habt ihr keinen Finger für Lórien gerührt, weil ihr nicht unter dem Befehl von Celeborn und Galadriel kämpfen wolltet."
"Werft ihr uns Feigheit vor?", rief ein großer Elb dazwischen. "Wenn ja, mit welchem Recht tut ihr das? Über tausend Jahre wart ihr verschwunden, habt nicht ein einziges Mal für Lórien gekämpft, und nun bezichtigt ihr uns der Feigheit?"
Oronêl räusperte sich. "Ich bezichtige euch nicht der Feigheit. Damals hattet ihr vielleicht noch keine Vorstellung von den Mächten, die gegen und kämpfen. Möglicherweise hätte ich damals, wäre ich derselben Ansicht wie ihr, auch so gehandelt. Aber heute wisst ihr, das Lórien in Gefahr ist, und dass alle, die kämpfen können, auch kämpfen müssen. Ich bitte euch, überwindet euren Stolz. Auch für mich gab es einen Moment, in dem ich meinen Stolz vergessen musste.
Meine Tochter Mithrellas, die ihr alle kennt, hat mir von euch erzählt, und ich wurde von der Vorstellung durchaus angezogen, euer Fürst zu sein, denn auch ich bin ein Nachkomme Lenwes. Doch ich bin mir darüber klar geworden, dass ich kein König bin. Ich müsste euch also enttäuschen, solltet ihr mir nur aufgrund meinte Abstammung die Herrschaft antragen wollen."
Inzwischen war es totenstill unter den Bäumen geworden, so still, dass man den Wind in den Blättern hören konnte.
"Aber wenn ihr nicht unter dem direkten Befehl Galadriels kämpfen wollt, so kann ich euch ein Angebot machen. Ich werde jene von euch, die mit mir kommen, anführen, aber nicht als euer Herrscher. Außerdem werde ich mich selbst unter den Befehl Galadriels stellen, denn sie ist die rechtmäßige Herrin dieses Landes. Dies ist das beste Angebot, dass ich euch machen kann. Vergesst euren Stolz, kämpft mit mir, und rettet Lórien!"
Mit diesen Worten schloss er, und verließ seinen Platz.
Tatsächlich schien seine Rede Eindruck auf die Elben gemacht zu haben, denn bald sammelte sich eine Gruppe hauptsächlich mit Bogen bewaffneter Elben um ihn und Mithrellas, unter ihnen auch der große Elb, der sich als Ladion vorgestellt hatte. Der Rest zerstreute sich allmählich, bis nur noch sie übrig waren.
"Nun gut.", sagte Oronêl. "Lasst uns aufbrechen."
Oronêl und Mithrellas in die Wälder Lothlóriens