Fioras Start:Es war eine laue Nacht. Spät hatte sich die Sonne über die westlichen Ziegel der Stadt gelegt und die Obhut der Welt in die Hände des silbernen Halbmondes mit seinen Millionen Gehilfen gelegt. Friedlich schwamm er nun in einem Meer aus ebenholzschwarzer Nacht.
Die schlanke Frau, namens Fiora, ließ sich auf die Bettkante gleiten und betrachtete nun ihren Körper im Spiegel vor sich. Ihr dunkelblondes Haar hatte sie in einen Fischgrätenzopf zusammengeflochten und um ihren langen, zierlichen Hals gelegt. Ansonsten war sie komplett in schwarz gehüllt, sodass sie niemand in der fahlen Dunkelheit dieser Julinacht sehen würde. Es war äußerst wichtig, dass sie niemand sah, denn heute hatte sie eine sehr heikle Mission geplant.
Nachdem sie in ihre Stiefel geschlüpft war und sie fest verschnürt hatte, richtete sie sich auf und ging zu einer Kommode. Fiora öffnete die unterste Schublade und ein verschmitztes Lächeln trat auf ihr Gesicht als sie die Sammlung von Dolchen und Messern vor sich, im Kerzenschein, funkeln sah.
Na meine Freunde. Wir unternehmen einen kleinen Ausflug. Wie gefällt euch das?Sie befestigte die Halterung für zwanzig Wurfmesser an ihrem rechten Oberschenkel, während sie zwei Dolche an ihrem Gürtel schnallte. Vollkommen automatisiert, als würde Fiora Tag ein Tag aus nichts anderes machen, wanderte sie zu ihrem Schreibtisch befestigte das Bündel mit den Armbrustbolzen ebenfalls an ihrem Gürtel und steckte den Kampffächer an seinen Platz.
Zu guter Letzt legte sie die Armbrust über ihre Schulter und befestigte sie an ihrem Rücken.
Sieht so aus, als wären wir Aufbruch bereit…Wo steckt Càha überhaupt? Nunja sie wird sich schon keine Sorgen machen, wo ich bleibeBei diesem Gedanken lachte sie kaum hörbar auf. Wie immer, wenn es um ihre Freundin Càha ging, wusste Fiora nie genau, was sie denken sollte und konnte.
Ein kurzer Blick aufs Bett versicherte ihr, dass der Kater sich bereits auf einem der Kopfkissen zusammengerollt hatte und zufrieden schnurrte. Lächelnd löschte Fiora die Kerze und noch bevor der Rauch verschwunden war, hüpfte sie bereits vom Fenstersims auf das Dach gegenüber.
Blitzschnell und fast geräuschlos segelte die graziöse Frau über die Dächer der Stadt Gortharia. Nie landete sie unsicher auf den Ziegeln oder Dächern der Hauptstadt Rhûns.
Sie kannte die Stadt bereits wie ihre Westentasche und es gab keinen Winkel, der ihr nicht vertraut vorkam oder wo sie sich nicht auskannte.
Plötzlich verharrte sie und versteckte sich im Schatten eines Schornsteins. Sie war nun in der Nähe des mit goldenen Ziegeln oder seltsamen Ornamenten verzierten Palastes. In vielen Kammern brannte noch Licht und Fioras messerscharfe Augen erblickten Bogenschützen, die auf diversen Balkonen der Stadt patroullierten.
Ist mein guter Stiefvater wohl paranoid. Oder besitzt er einen guten Menschenverstand? Immerhin sollte der Sieg über den Erebor doch Anlass genug sein niemanden mehr zu fürchten…Was solls ich bin mir sicher, dass die Bogenschützen mich nicht sehen.Dennoch ging sie auf Nummer sicher und hangelte sich auf einen Balkon und hüpfte von Geländer zu Geländer, bis sie aus dem Blickwinkel des Palastes entkommen war. Leise und behände wie eine Katze sprang sie zu Boden, als sie ihr Ziel erreicht hatte.
Leicht keuchend hechtete sie in eine Seitengasse. Da war jemand. Im Schatten presste sie sich gegen eine Wand, die Hand instinktiv an einen ihrer Dolche. Doch es war nur ein ärmlicher, alter Mann, der zeternd an ihr vorbeihuschte, ohne auch nur eine Notiz von ihr zu nehmen. Dennoch atmete sie kurz aus, bevor sie auf der anderen Seite wieder eine Treppe hinauf spurtete und sich in einem Arkadengang versteckte.
Und da lag er vor ihr. Der Platz des goldenen Drachen. Fast an derselben Stelle stand sie, als sie vor nicht allzu langer Zeit mit ansehen musste, wie ihr Stiefvater, der König von Rhûn, ihre Mutter hinrichten ließ. Nur weil sie Fiora zur Flucht verholfen hatte.
Ihr Blick wanderte über den Platz und es bestätigte eine Tatsache über die sie sich absolut sicher war. Der König hatte bei der Bewachung des Platzes Abstriche gemacht. Es waren sogar weniger Waffen als sie erwartet hatte. Vier bewachten die Käfige direkt. Je zwei an einem Käfig. Desweiteren patrouillierten zwei Gruppen, bestehend aus zwei Mann, um den Platz im Uhrzeigersinn herum.
„Wird ja einfacher als ich dachte“, flüsterte eine Stimme neben ihr und Fiora wusste, dass es Càha war, die eine Säule weiter neben ihr stand und ebenfalls auf die Wachen blickte.
„Wie wollen wir es machen?“, fragte sie mit kecken Lächeln auf den Lippen und Fiora musste lächeln.
„Wie schon, wohl?“, erwiderte sie mit sarkastisch freundlichen Ton, „Erst einmal die außen eliminieren und von der Ferne so viele auf den Platz wie möglich ausschalten.“
Ohne ein weiteres Wort löste sich Fiora aus dem Schatten. Sie wusste wie sie vorgehen musste, um unbemerkt im Alleingang die Wachen auszuschalten. Wenn Càha ihr helfen wollte, war es ihr Recht, aber sie würde es auch allein schaffen. Sie spurtete in die Gasse zu ihrer Linken, die sternförmig vom Platz des Goldenen Draches wegführten, und fing an um Hilfe zu rufen. Sie machte es dezent genug, damit keine Zivilisten geweckt wurden und nur die nahepatrouillierenden Wachposten sie hören würden. Immer wieder Spitzte sie die Ohren und plötzlich hörte sie eine heisere Stimme.
„Lass mich nachsehen, Alir! Ist bestimmt nur wieder eine der Huren aus dem Bordell, die belästigt werden. Da muss ich eh nur pro Forma einschreiten, vielleicht springt dabei ja noch eine nette Abendgesellschaft für uns drei raus“, flötete der mit der heiseren Stimme und seine zwei Gefolgsleute lachten laut.
Fiora lotste den großen schlaksigen Soldaten, der die Standardtracht Rhûns trug. Bordeauxrote Leinengewänder und vergoldete Brustharnische. Dennoch war er an Hals und Beinen nur leicht durch seine Leinengewänder geschützt.
Seine Stimme war beinahe enttäuscht als er Fiora am Boden kauern sah, die ihre Arme um ihre Knie geschlungen hatte, und unverständlich wimmerte.
„ Was machst du für ein Gejammer, Weib?“, forschte er sie an. Er beugte sich halb zu ihr hinunter, um zu sehen, was er ihr fehlte; doch dies war bereits sein Fehler. In dem Moment als er ihr fast bereitwillig seinen Hals hinstreckte und seine Hauptschlagader präsentierte, hatte der Fächer mit den rasiermesserscharfen Klingen seine Ader bereits zerfetzt und der Mann verendete in einer Lache aus blutroten Blut.
Ohne Reue und ohne zu zögern kletterte sie an einem Spalier die Wand hinauf und hockte sich auf das Geländer eines Balkons, welcher genau über den Eingang zur Gasse lag.
Auch hier bewahrheitete sich ihre Vermutung, denn die übrigen Wachen machten sich auf die Suche nach ihrem verschollenen Freund. Als sie in die Gasse eintraten, stürzte sich Fiora vom Geländer und rammte die beiden Dolche die sich in beiden Händen fest umklammert gehalten hatte, direkt in die Nacken ihrer ahnungslosen Opfer.
Fiora verharrte einen Moment wischte sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn und als sie sicher war, dass niemand ihnen folgte zerrte sie die drei Körper in eine Ecke, welche vollkommen von der Dunkelheit verschluckt wurde.
Da waren es nur noch sieben, summte eine Stimme in ihren Kopf und sie begab sie sich auf die andere Seite des rechteckigen Platzes, der mit vergoldeten Steinplatten ausgelegt war.
Die weitere Dreiergruppe erledigte sie mit Wurfmesser, die sie aus der Deckung eines Baumes, der den Platz säumte, abfeuerte. Ein pummeliger Soldat, den das Messer wohl nicht sofort den Gar ausmachen konnte, erledigte Fiora indem sie schnell zu ihm spurtete und ihm den Hals umdrehte.
Wieder zog sich zurück und beobachtete von einem, von der Nacht verschluckten, Dachgarten aus die zwei Käfige, die silbrig im fahlen Mondlicht schimmerten.
„ Hast du dir schon überlegt, wie du dir die vier restlichen vornimmst, liebe Fiora?“
„ Càha!“, entfuhr es Fiora, die Càha nicht gesehen hatte wie sie auf einem Stuhl im Halbdunkel lungerte, „ Wo warst du die ganze Zeit?“
„ Ach, ich habe gesehen, dass du meine Hilfe nicht nötig hast und da hab ich mich bedeckt gehalten. Jetzt werde ich dir aber helfen. Ich übernehm den zweiten Käfig und du den vorderen, einverstanden?“
Fiora nickte und sah zu, wie Cáha davon eilte. Sie selbst würde die Armbrust nutzen, denn auch wenn der zweite Soldat mitbekommen würde, wie der andere vom Bolzen durchbohrt fiel. So würde das Überraschungsmoment genügen, um den zweiten auszuschalten.
So begab es sich auch und Fiora sah zu, wie beide zusammen sackten, wie ein Sack Kartoffeln.
Fiora trat aus dem Schatten eines Baumes und als sie erkannte, dass Càha es geschafft hatte, auch die beiden anderen Wachen zu erledigen, atmete sie erleichtert aus. Emotionslos durchsuchte sie die Wachen und fand zwei Schlüssel. Beide waren nötig, um die Käfige aufzusperren.
Das kühle Mondlicht erleuchtete den Platz und Fiora bemerkte, dass die Gefangenen alle zu schlafen schienen. Niemand hatte anscheinend mitbekommen, was sie getan hatte.
Mehr oder weniger abschätzend musterte sie die Gefangenen. Wie sie es einschätzen konnte waren es fast ausnahmslos Gefangene, die während der Schlacht gemacht worden. Die übrigen Kriegsgefangen waren es wohl nicht wert öffentlich gedemütigt zu werden. Unter ihnen befanden sich viele Menschen, aber auch Zwerge und Elben, sofern das Fiora einschätzen konnte. In ihrem Leben war sie noch nie einem Spitzohr begegnet und es scherte sie auch nicht, wer sich ihr anschließen würde.
Ihre Augen blieben an etwas hängen und vor Schreck hätte sie fast die Schlüssel fallen gelassen. Nein sie musste sich getäuscht haben und das Mondlicht hatte ihren Augen einen Streich gespielt. Doch, als sie erneut die Ecke absuchte, wo sie die blitzenden blauen Augen gesehen hatte, lernten sie die Augen Lügen strafen.
Ein Gestalt, die sich in Ecke des Käfigs gedrängt hatte, funkelte sie mit einer Mischung aus Neugier, Furcht und Arroganz an.
Fiora brauchte einen Moment bis sie die Fassung wiedererlangen konnte, bevor sie die Schlüssel gegen die Käfigstangen scheppern ließ.
Die Gefangen schreckten auf, vermutlich aus Angst von den Wachen gepiesackt zu werden. Alle waren sprachlos, als sie die Frau vor den Käfig stehen sahen, die lässig mit den Schlüsseln wackelte.
„ Macht ihr nur einen Mucks schneide ich euch die Kehle durch, wie denen da!“
Es war überflüssig auf die toten Wachen zu deuten, denn allen war bewusst, dass sie tot sein mussten.
„ Die Soldaten Rhûns überfielen euer Land, schändeten eure Frauen und verschleppten euch hierher“. Ihre Stimme war klar und gefasst und auf eine gewisse gebieterisch, wie sie dort stand, beschienen vom Mondlicht.
„ Sie demütigten euch. Nahmen euch eure Ehre und euren Stolz. Dies alles taten sie auf Geheiß des Königs! Nun frage ich euch, wollt ihr Rache?“
Fiora wartete keine Reaktion ab, sondern fuhr unentwegt fort mit ihrer Rede.
„ Wenn ihr ebenso wie ich Rache wollt dann frage ich euch, wollt ihr mir helfen? Wollt ihr mir helfen diesen Mann büßen zu lassen, der euch alles genommen hat?“Jetzt wartete sie eine Reaktion ab und sah in Manchen Gesichtern Furcht und Verwundern, aber in einigen erkannte sie pure Entschlossenheit.
„ Dann soll hervortreten wer bereit ist meiner Sache zu Dienen und im Name der Schwarzen Rose den König zu vernichten.“
Schnell hatten sich sieben Gefangene gefunden, die ihm helfen wollten. Darunter drei Menschen, zwei Zwerge und zwei Elben. Wie Fiora erkannte war auch der Mann mit den blauen Augen dabei, der sie immer noch mit denselben Gesichtsausdruck, wie vorher begutachtete.
Fiora hatte die Gefangenen freigelassen und diejenigen die fliehen wollten, machten sich auf den Weg, während Fiora mit den sieben willigen de Platz verließ.
Es war ein sonniger Morgen als der König sich aufmachte den Platz des goldenen Drachen zu besuchen, um die Gefangenen noch einmal zu begutachten und zu sehen, wer sich als Sklave in seinem Dienste machen würde, als ein verschreckter Diener hereingestürmt kam.
Der Wutschrei und der Gesichtsausdruck des Königs amüsierte Fiora, die sich hinter einer Säule versteckt hielt. Puterrot rüttelte er an den Käfigstanden, als er zehn seiner eigenen Wachen tot in den Käfigen liegen sah. Eine einzelne Rosenblüte an die Stange geheftet, fast schwarz, da sie Fiora vorher in das Blut ihrer Opfer getränkt hatte.
Zufrieden lächelnd verließ Fiora den Platz, betrat die unterirdische Bibliothek und begutachtete ihre neuen Rekruten, die begierig auf sie warteten.
„ Er hat sich über unser Geschenk gefreut“, antwortete Fiora verschmitzt.
Fiora und die Mitglieder der Schwarzen Rose in das Ordensversteck