Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Umbar

Der Hafen von Umbar

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Fine:
Valion und Valirë von Tol Thelyn


"Das Schicksal scheint auf unserer Seite zu sein," sagte Valirë lächelnd.
"Schicksal. So ein Unsinn. Wir haben eine Gelegenheit gesehen und sie ergriffen. Mehr war nicht dabei." gab Valion zurück.
Sie standen am Bug des kleinen umbarischen Fischerbootes, den Blick auf die Lichter der gewaltigen Hafenanlagen gerichtet. Es war mehrere Stunden vor Sonnenaufgang, doch sie verspürten keine Müdigkeit. Zumindest noch nicht. Der Hafen der Korsaren erwartete sie.

Kapitän Veantur hatte sie in der Nähe des Leuchtturms an der Meerenge abgesetzt, der den Eingang zur Bucht vom Umbar beleuchtete. Die Súlrohír würde mit äußerster Vorsicht in den Gewässern westlich der Bucht kreuzen und sich bereit halten, nachdem die Mannschaft sich mit zusätzlichen Vorräten versorgt hatte. Der Kapitän hatte von einem Fischerdorf an der Küste nördlich von Umbar gesprochen, wo er einige Bekanntschaften hatte die Gondorern gegenüber freundlich gesinnt waren. Dort würde sich die Besatzung des Schiffes genug Verpflegung besorgen um einige Wochen für Valion und Valirë in Bereitschaft zu bleiben.
Am Fuße des Leuchtturms war es den Zwillingen gelungen, einen umbarischen Fischer zu bestechen, sie mit seinem Boot in den Hafen der Stadt der Korsaren zu bringen. Beim Anblick der Münzen in Valions Hand hatte der Mann ein gieriges Leuchten in den Augen bekommen und war schnell überzeugt gewesen. Doch bereits kurz nachdem das Fischerboot abgelegt hatte und Kurs auf Umbar gesetzt hatte, hatten die Zwillinge dem Mann die Kehle durchgeschnitte und die Leiche über Bord geworfen.
Wir sind im Krieg, dachte Valion. Gewisse Opfer sind notwendig. Er wusste, dass seine Schwester genauso dachte.

Ihre Umhänge flatterten im Fahrtwind, doch die einfache Stoff- und Lederbekleidung die die Zwillinge nun trugen hielt sie warm genug um nicht zu frieren und würde sie nicht allzu auffällig in den Straßen Umbars machen. Die Ufer zu beiden Seiten rückten nun immer näher als sich die Bucht in Richtung der Stadt immer mehr verengte. Beeindruckt betrachtete Valion die Lichter, die von den Befestigungen links und rechts leuchteten und in ihrem flackernden Schein allerlei Verteidigungsanlagen und Belagerungsmaschinen enthüllten. Die Stadt der Korsaren nun mit eigenen Augen zu sehen ließ seinen Respekt vor Thorongil, dem Fluch Umbars, weiter wachsen. All dies musste er nur mit einer so kleinen Flotte überwinden. Doch er hat es dennoch geschafft und einen großen Sieg für Gondor errungen. Ich verstehe nun, dass der Angriff wohl nur mit Hilfe aus dem Inneren möglich war. Die Spione der Turmherren müssen wirklich außergewöhnlich fähig sein.

Das Boot näherte sich den Kais und sie konnten einen Blick auf das werfen, was von der großen Korsarenflotte nach den Schlachten von Dol Amroth, Linhir und Pelargir noch übrig war. Zwar waren die mit schwarzen Segeln versehenen Kriegsschiffe noch immer ein beeindruckender Anblick, doch sie waren nun im Hafen weit in der Unterzahl gegenüber den Handelsgaleeren und Transportschiffen, die jeden Tag Waren nach Umbar und von dort an andere große Häfen des Südens trugen. Valion sah auch neue Korsarenschiffe die sich momentan noch im Bau befanden, doch er schätzte, dass es noch einige Zeit dauern würde bis sich die Schwarze Flotte wieder von ihren schweren Verlusten erholt hatte. Und er dachte darüber nach, einige dieser Schiffe in Brand zu setzen, wie es einst Thorongil getan hatte, um die Korsaren daran zu hindern, den Ethir oder Pelargir jemals wieder zu überfallen.

Sie steuerten das Fischerboot an einen der kleineren Anlegeplätze und machten es mit den Tauen die sie an Bord fanden am Kai fest. Keiner der Seefahrer an Bord der Súlrohír hatte sie begleitet; der Kapitän hatte niemanden entbehren können da das Schiff bereits mit der Minimalbesatzung fuhr. Doch die Zwillinge waren zuversichtlich, auch ohne Veanturs Hilfe gut zurechtzukommen.
Edrahil, der alte Geheimniskrämer, wird sicherlich schon seine Netze in dieser Stadt gesponnen haben, dachte Valion. Wahrscheinlich weiß er bereits, wohin man Lothíriel gebracht hat und ihm fehlt nur noch ein starker Arm und etwas Mut und Entschlossenheit, um die Befreiung durchzuführen. Und da kommen wir ins Spiel. Greifen wir dem Flüsterer von Dol Amroth unter die Arme und ernten den Ruhm.

Eine Hafenwache kam gelangweilt zu ihnen hinübergeschlendert.
"Habt ihr was anzumelden?" fragte der Mann mit starkem Südländerakzent.
"Sieh's dir selbst an, Freund," antwortete Valirë mit einem falschen Lächeln und deutete auf die Tür zum kleinen Lagerraum des Fischerbootes.
Stirnrunzelnd kam der Wächter an Bord und stieg die Stufen zum Lagerraum hinunter. "Wovon sprecht ihr?" fragte er verwirrt als er mit seiner Fackel in Innere leuchtete und nichts als gähnende Leere vorfand.
"Von der Leiche auf dem Boden," gab Valirë zurück - und stieß dem überraschten Mann ihre Klinge von hinten durch die Brust. Röchelnd brach er zusammen und die Fackel fiel zu Boden, das dort verstreute Stroh in Brand setzend. Die Zwillinge wandten sich ab und verließen das Boot. Gelassen marschierten sie den Kai entlang während das Schiff hinter ihnen in Flammen aufging.

Eine Alarmglocke erklang von einem der Türme und der Hafen verwandelte sich ein einziges Chaos. Hafenarbeiter stürzten an ihnen vorbei, jeder darauf bedacht, die Flammen zu löschen oder andere Schiffe vor dem Feuer zu retten, das auf sie überzuspringen drohte. In dem Durcheinander kamen die Zwillinge problemlos an allen anderen Wächtern vorbei und erreichten das Ende des Hafens, das von einem steinernen Torbogen markiert wurde.
"Gehen wir Edrahil suchen," sagte Valion.


Valion und Valirë auf die Straßen Umbars

Eandril:
Edrahil aus seinem Versteck...

Nur wenige Minuten später erreichten Edrahil und seine kleine Führerin das Kai, wo das Fischerboot noch in hellen Flammen stand. Eine kleine Menge hatte sich um den Anlegeplatz versammelt, doch Edrahil konnte nirgends jemanden erkennen der aussah als ob er aus Gondor käme. Er blieb stehen und wandte sich an das Mädchen. "Bist du sicher, dass du sie hier gesehen hast?" Sie nickte eifrig. "Und hast du auch gesehen, wo sie hingegangen sind?" Ein Kopfschütteln. "Nein, ich bin doch gleich zu euch gelaufen, Meister Edrahil."
Edrahil zuckte mit den Schulter und hielt ihr eine Goldmünze hin, die sie sofort schnappte und an sich presste wie einen Schatz. Selbst wenn er die beiden Gondorer nicht sofort fand, alleine die Information dass sie sich in Umbar befanden war nützlich.
Seine Gedanken wurden unterbrochen als ihn die raue Stimme eines Bettlers von der Seite ansprach. "Wenn ihr Edrahil heißt, dann könnte ich die Leute gesehen haben, nach denen ihr sucht." Dem Mann fehlte das linke Bein unterhalb des Knies, und er war auf eine Krücke gestützt heran gehumpelt. "Vielleicht hättet ihr auch so ein bisschen was für mich, wenn ich euch davon erzähle?"

Edrahil blickte den Mann scharf an, doch er roch keinen Alkohol an ihm - auch wenn der Bettler ansonsten nicht gerade einladend duftete. "Also gut." Er reichte dem Krüppel fürs erste eine kleine Kupfermünze. "Als Anreiz, jetzt erzählt mir mehr."
"Nun, ich war gerade dahinten, am Hafentor." Er zeigte auf das Ende des Hafens, auf eines der Tore das in die Stadt hinausführte. "Da kamen zwei Leute vorbei als gerade das Feuer ausgebrochen war, ein Mann und eine Frau, die irgendwie nordländisch aussahen. Und sie haben gesagt, dass sie euch suchen wollten."
Mich suchen! Wenn die Neuankömmlinge von seiner Anwesenheit in Umbar wussten, dann waren es mit größter Wahrscheinlichkeit Boten aus Dol Amroth. Und wenn Fürst Imrahil weitere Leute nach Umbar entsandt hatte, dann musste etwas passiert sein.
Er warf dem Bettler eine Goldmünze zu, die dieser geschickt auffing und dann über das ganze dreckverkrustete Gesicht strahlte. "Habt ihr gesehen, wohin die beiden gegangen sind?"
"Sie sind hinter dem Tor nach Norden abgebogen, aber es sah nicht so aus als hätten sie es eilig." Der Mann kratzte sich gedankenverloren hinter dem rechten Ohr. "Wenn ihr euch ein wenig beeilt und das Seitentor", er deutete auf eine dunklere Stelle in der Hafenmauer ein paar Meter nach Westen, "nehmt, könntet ihr sie erwischen."
"Danke", sagte Edrahil, und reichte dem Mann ein paar weitere Münzen. "Wenn ihr je weitere interessante Informationen für mich haben solltet, sucht euch ein Straßenkind und fragt nach mir."

Er wandte sich um und ging so schnell seine Beine ihn trugen in Richtung des Seitentores und auf die Straßen der Stadt.

Edrahil auf die Straßen von Umbar...

Eandril:
Edrahil aus seinem Versteck...

Der Ort, den Edrahil für sein Treffen mit den Verbrechern ausgewählt hatte, war ein heruntergekommenes Lagerhaus am Hafen. Das Haus lag etwas abseits vom Trubel des Hafengeschehens in einer Sackgasse, was es eigentlich ungeeignet für Edrahils Zwecke gemacht hätte, besaß aber einen versteckten Hinterausgang, der hinaus in ein Gewirr von kleinen Gassen führte in denen man eventuelle Verfolger leicht verlieren konnte.
Edrahil öffnete langsam die Tür und trat ins Halbdunkel der Halle, wo eine alte Frau gerade dabei war, Öllampen an die hölzernen Säulen zu hängen. "Wie kommst du voran, Izînel?", fragte Edrahil, und die Frau fuhr erschrocken herum, eine Hand auf die Brust gepresst.
"Oh, Meister Edrahil. Ich habe euch nicht kommen hören." Izînel war er begegnet als er das Lagerhaus zum ersten Mal besucht hatte, da war sie eine Bettlerin gewesen. Sie war als kleines Kind aus Gondor entführt und als Sklavin verkauft worden, und als ihr Herr gestorben war hatte sein Erbe sie freigelassen, weil sie ihm zu alt für eine Dienerin war.  So war sie auf der Straße gelandet, und dort hatte Edrahil sie gefunden und beschlossen sich ihre Fähigkeiten als Dienerin zunutze zu machen.
Beim ersten Mal war das Lagerhaus noch von Spinnweben überwuchert gewesen, und der Staub hatte fingerdick auf dem Boden gelegen, doch inzwischen hatte Izînel ganze Arbeit geleistet. Staub und Spinnweben waren verschwunden, sie hatte mehrere Öllampen aufgehängt, und einen alten Sessel den Edrahil und Bayyin herangeschafft hatten, auf einem kleinen Podest am hinteren Ende des Raumes aufgestellt.
"Ich wollte dich nicht erschrecken", sagte Edrahil entschuldigend. "Das habt ihr aber", erwiderte die Alte, und ließ sich schwer atmend in den Sessel fallen. "Was habt ihr euch nur dabei gedacht?"
Edrahil musste unwillkürlich lächeln, denn es hatte schon lange niemand mehr gewagt so mit ihm zu sprechen. "Du warst so in deine Arbeit vertieft, du hättest vermutlich nicht einmal einen Olifanten zur Tür hereinkommen hören. Aber man sieht, dass du sehr gute Arbeit geleistet hast." Izînel lächelte zufrieden. "Ja, nicht war? Ach, ich bin so froh dass ihr mich wieder meine Arbeit tun lasst."
Offensichtlich hatte sie in den Jahren als Dienerin ihre Arbeit geradezu liebgewonnen. Edrahil beschrieb ihr den Weg zu seinem Versteck, und schloss mit den Worten: "Dort müsste vielleicht auch ein bisschen durchgefegt werden, du solltest dich dort also wohlfühlen. Pass nur auf dass dir niemand folgt!"
Er nahm die Alte nicht aus reiner Mildtätigkeit auf, sondern weil sie in mehreren Adelshäusern Umbars und bei mächtigen Händlern gedient hatte, und Edrahil erhoffte sich auch von ihr die ein oder andere interessante Information.


Nur kurze Zeit später fand Edrahil sich in einer Taverne am Hafen wieder, die ein beliebtes Ziel für arbeitslose Seeleute war, und hier hoffte er die Männer zu finden, die er brauchte.
"Gibt es hier ein paar kräftige Männer, die nach Arbeit suchen?", fragte er den Wirt, der nur wortlos die Hand aufhielt. Nachdem Edrahil mit einem Stoßseufzer einige Münzen hineingelegt hatte, antwortete er: "Da hinten in der Ecke könnten einige für euch sein." Edrahil nickte, und ging zu den drei Männern, auf die der Wirt gezeigt hatte.
"Grüße", sagte er, und die Seeleute unterbrachen ihr Armdrücken und wandten sich ihm zu. "Ich habe gehört, ihr sucht Arbeit?"
"Das tun wir", antwortete einer der Armdrückenden, und ließ die Hand seines Gegners los. Edrahil sah zufrieden, wie die Muskeln des Mannes in seinem nackten Oberarm spielten. Das konnten genau die Leute sein, die er brauchte. "Seit ihr ein Kapitän?", fragte der zweite, der einen dünnen schwarzen Schnauzbart zur Schau trug, und Edrahil schüttelte langsam den Kopf. "Nein, und ich besitze auch kein Schiff. Die Arbeit, an die ich dachte, soll hier in Umbar stattfinden."
"Und was für Arbeit soll das sein?", fragte jetzt wieder der erste der Männer. Seine Stimme klang misstrauisch.
"Ihr sollt ein Lagerhaus bewachen und möglichst einschüchternd aussehen. Keine Kämpfe, kein Risiko, gute Bezahlung", erwiderte Edrahil, und bot ihnen die Hand dar. "Schlagt ihr ein?" Die drei Seemänner wechselten einen Blick, dann ergriff der erste, der ihr Anführer zu sein schien, Edrahils Hand und sagte: "Also gut, wir übernehmen die Arbeit."
"Sehr gut." Edrahil beschrieb ihnen den Weg zum Lagerhaus. "Seid morgen früh nach Sonnenaufgang dort und wartet auf mich oder eine Nachricht von mir."


Als er die Taverne mit etwas erleichtertem Geldbeutel verließ, war der Nachmittag bereits weit fortgeschritten, doch er würde gerade noch rechtzeitig wieder ins Versteck kommen, bevor Bayyin einen Boten zu den Zwillingen schicken würde. Edrahil schlängelte sich durch die Menschenmenge in Richtung Hafentor, als er plötzlich von der Seite angesprochen wurde: "Möchtet ihr vielleicht einen Diamanten kaufen? Er kostet auch nur zehn Silber."
Er wandte sich um, und sah sich dem jungen Mann gegenüber dem er am Abend zuvor im Laden des Boten begegnet war. "Zu diesem Preis könnte man darüber reden", gab er vorsichtig zurück. "Nun, dann folgt mir bitte."
Während sie gingen, raunte der Mann Edrahil zu: "Der Bote entbietet seine Grüße, und ist stolz euch mitteilen zu können, dass er euren Auftrag ausgeführt hat." Edrahil musste nicht nachfragen, welchen Auftrag genau er meinte, denn für die erfolgreiche Lieferung der Briefe hätte der Bote sicherlich niemanden geschickt um ihn zu benachrichtigen.
Ihr Weg führte sie in einen Innenhof hinter einem Gasthof, wo Edrahils Führer auf eine Leiter deutete, die zu einem hölzernen Balkon führte. "Dort oben wohnt euer Gesuchter im Augenblick."
Kaum hatte Edrahil einen Fuß auf die Leiter gesetzt, war der Mann verschwunden. Er verharrte für einen Augenblick an Ort und Stelle, denn er befürchtete, in eine Falle geraten zu sein, doch als nichts passierte kletterte Edrahil so gut er mit seinem Bein konnte, die Leiter hinauf. Hinter dem Balkon lag ein kleines Zimmer, das lediglich mit einem Strohlager und einem kleinen runden Tisch, auf dem eine Waschschüssel stand, eingerichtet war. Vorsichtig machte Edrahil einen Schritt in den Raum, und ließ seinen Blick aufmerksam schweifen. Auf den ersten Blick fiel ihm nichts ungewöhnliches auf. Ein Wetzstein auf dem Tisch, einige Kleidungsstücke auf dem Strohlager... Edrahil hob die Ecke eines braunen Mantels an, und wurde fündig: Unter dem Mantel lag ein geöffneter Brief, dessen gebrochenes Siegel zwei gekreuzte Dolche zeigte.
Die Nachricht begann mit den Worten "An unseren getreuen Diener Mustqîm...", die in Sprache und Schrift von Qafsah verfasst waren. Edrahil wollte den Brief gerade aufnehmen, als er Schritte von der Treppe des Gasthauses hörte. Er fuhr herum, zog den Mantel wieder über den Brief und eilte wieder auf den Balkon hinaus, wo er auf den obersten Stufen der Leiter verharrte. Tatsächlich hörte er, wie die Tür zu Mustîms Zimmer geöffnet wurde, und er blieb nicht um herauszufinden ob es tatsächlich der Bandit selbst war. Leise stieg er die Treppe hinunter und verließ den Innenhof um auf der Hafenstraße wieder in die Menge einzutauchen. Auch wenn Bayyin und mit ihm die Zwillinge inzwischen vermutlich in heller Aufregung waren, war dieser Abstecher keine völlige Zeitverschwendung gewesen, denn endlich war Edrahil der Zusammenhang zwischen den Geschichten, die der Bote ihm über Mustqîm erzählt hatte, aufgefallen: In jedem Fall war der Mann noch nicht lange in Umbar, und handelte vermutlich im Auftrag eines anderen - worauf der Brief, den er gesehen hatte, hindeuten konnte.

Edrahil in sein Versteck

Eandril:
Edrahil, Valion und Valirë von den Straßen der Stadt...

Im Lagerhaus angekommen, beeilte Edrahil sich, alles für die Ankunft seiner zukünftigen Verbündeten herzurichten und seinen Leuten die letzten Anweisungen zu geben. Valion und Valirë namen ihre Plätze rechts und links neben seinem Sitz, der absichtlich halb im Schatten lag, ein, während sich zwei der Seeleute neben der Tür postierten. Der dritte stellte sich hinter Edrahil, und so erwarteten sie ihre Gäste.
"Äußerst dramatisch", meinte Edrahil als er sich setzte, und sah Valirës Mundwinkel zucken. "Aber es geht nichts über eine Prise Einschüchterung beim Umgang mit solchen Leuten." Außerdem half es ihm, sich von dem Gedanken an Minûlîth und ihren Sohn abzulenken, die ansonsten wohl seine ganze Aufmerksamkeit für sich beansprucht hätten. Stille senkte sich über das Lagerhaus, und nur von außen drangen gedämpft die Geräusche des Hafens herein. Dann öffnete sich zögerlich die Vordertür, ein Streifen hellen Sonnenlichts erhellte das dämmrige Innere des Lagerhauses, und ein Mann trat vorsichtig ein, den Edrahil nach Bayyins Beschreibung als den Schmuggler Izem erkannte.
Hinter Izem folgten zwei seiner Männer, und Edrahil sagte: "Bitte. Eure Männer sollten draußen bleiben, wie besprochen." Izem blieb stehen, und betrachtete den Raum eingehend. "Warum sollte ich euch trauen?", fragte er misstrauisch. "Ich weiß ja nicht einmal was ihr wollt, und ihr habt eure eigenen Leute hier."
"Das ist richtig", erwiderte Edrahil. "Und deshalb ist eure Sicherheit ausreichend gewährleistet." "Pah", spuckte der Schmuggler zur Antwort aus. "Und wer beschützt mich vor euch?"
Edrahil seufzte, und lehnte sich ein Stückchen weiter zurück. Er hatte damit gerechnet, dass die Köpfe von Umbars Unterwelt trotz seiner Forderung auf ihrem Begleitschutz bestehen würden, und sagte: "Also gut. Einer darf reinkommen, alle anderen bleiben draußen." Auf diese Weise würde er, wenn er die Kampfkünste der Zwillinge richtig einschätzte, trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit die Kontrolle über den Raum behalten könne.
Izem zuckte mit den Schultern, und sagte etwas in einem Edrahil fremden Dialekt zu seinen Männern, woraufhin einer der beiden sich umwandte und wieder in die Gasse hinaus ging. Edrahil neigte dankbar den Kopf, doch bevor er etwas sagen konnte, öffnete sich die Tür erneut, und ein bulliger Mann mit dunkler Haut trat ein. Bei Izems Anblick blieb er wie angewurzelt stehen, und zischte: "Izem!"
Der Angesprochene fuhr herum, erstarrte ebenfalls und sagte verächtlich: "Was macht der hier?"
"Ich habe Farnaka eingeladen", sagte Edrahil ruhig, obwohl er sich gewünscht hätte dass die beiden Schmuggler in etwas größeren Abstand eingetroffen wären. "Ich weiß, dass ihr Konkurrenten seid..."
"Konkurrenten?", fuhr Izem dazwischen. "Dieser Hund..." Edrahil ließ sich jedoch nicht beirren. "...aber ich brauche euch beide - und ihr braucht mich." Trotzdem legte Izem die Hand an seinen Dolch, und augenblicklich schlossen neben Edrahil auch die Zwillinge die Hände um die Griffe ihrer Waffen.
"Bitte, lasst den Dolch stecken." Edrahils Stimme war eisig, und er ließ keinen Zweifel daran, dass es sich keineswegs um eine Bitte handelte.
Der Blick des Schmugglers flackerte zu ihm hinüber, und er ließ seinen Dolchgriff los. "Auch für euch gilt, dass ihr einen eurer Männer mitbringen dürft - nur einen", sagte Edrahil nun zu Farnaka, als ob nichts passiert wäre. Hinter dem größeren Schmuggler standen mindestens drei seiner Männer, anscheinend war er trotz seiner einschüchternden Statur wesentlich vorsichtiger - oder feiger - als Izem. Farnaka nickte, und stellte sich gefolgt von einem seiner Männer in einigem Abstand zu Izem vor Edrahil auf.
"Also, was soll das ganze Schauspiel?", fragte er, und Edrahil hob abwehrend die Hand. "Ich werde euch alles erklären sobald..." Er unterbrach sich kurz, als die Tür sich erneut öffnete. "Nein, ich werde es euch jetzt erklären."

Das Lagerhaus betraten zwei weitere Männer. Der eine war groß und muskulös, mit heller Haut und braunen Haaren. Bei ihm musste es sich um Teijo handeln, und der andere, ein typischer Bewohner Umbars mit hellbrauner Haut und schwarzen Haaren, war nach Bayyins Beschreibung As'ar, dem die meisten Bordelle der Stadt gehörten. Beide Männer waren - im Gegensatz zu den Schmugglern - offenbar selbstsicher genug, dass sie ihre Leibwächter von selbst draußen gelassen hatten.
Edrahil breitete die Arme aus, wobei er darauf achtete dass sein Gesicht weiterhin im Halbschatten verborgen blieb, und sagte: "Willkommen, As'ar und Teijo. Ich freue mich, dass ihr euch entschieden habt, zu kommen."
Die Neuankömmlinge stellten sich zwischen Izem und Farnaka, und Teijo sagte mit leiser Stimme, die dennoch den ganzen Raum zu erfüllen schien: "Und ich freue mich über eure Einladung." Edrahil wurde sofort klar, dass der Ostling mit Abstand der gefährlichste der vier war.
"Ich komme gleich zum Punkt", sagte Edrahil, und spannte sich innerlich an. Er spielte ein gefährliches Spiel, nicht weniger als während seiner ersten Tagen in Umbar. Und damals war er in doppelter Hinsicht gescheitert. Er beugte sich vor, sodass sein Gesicht nun im Licht der Lampen deutlich zu sehen sein musste.
"Mein Name ist Edrahil, und ich werde euren Fürsten stürzen." Die unterschiedlichen Reaktionen auf den Gesichtern seiner Gegenüber waren interessant zur beobachten. As'ar und Farnaka zeigten ganz unverholen ihre Überraschung, Izem schien ebenso überrascht, konnte es aber besser verbergen, während Teijo nur mäßig interessiert schien und eine Augenbraue in die Höhe zog.
"Und was soll das hier dann werden?" Farnaka schien sich halbwegs gefangen zu haben, wirkte aber nach wie vor aufgeregt. "Von so etwas habe ich keinen Verdienst."
Teijo lachte nur leise, und Edrahil antwortete: "Erzählt mir, welchen Nutzen ihr von Hasael habt."
Farnaka wich seinem Blick aus, und sagte dann trotzig: "Keinen. Aber das ist noch lange kein Grund, warum..."
Edrahil ließ ihn nicht ausreden. "Doch, das ist ein Grund. Ihr schmuggelt Waffen aus der Stadt um sie anderswo in Harad zu verkaufen. Doch Hasael braucht diese Waffen selbst, solange er gegen Gondor Krieg führt, also sorgt er dafür, dass die Waffen in Umbar bleiben. Also geht er gegen euch vor." Der Ausdruck auf Izems und Farnakas Gesichtern verriet ihm, dass er ins Schwarze getroffen hatte.
"Wenn ihr Hasael stürzt, wer wird dann Fürst von Umbar?", fragte Teijo mit seiner leisen Stimme. "Etwa ihr?"
Diese Frage hatte Edrahil erwartet, und er schüttelte den Kopf. "Nein, nicht ich, sondern sein Neffe Qúsay."
"Der Bastard." Teijo strich sich über das Kinn, an dem er einen dünnen Bart trug. "Nun, wenn das so ist..." Für einen Herzschlag sah Edrahil Gier in den Augen des Mannes aufblitzen. "Ich werde euch helfen. Von Hasael habe ich nichts einzukommen, aber ein neuer Fürst, der mir Dank schuldet..."
"Und ihr, As'ar?", fragte Edrahil, und bemühte sich, sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Dass Teijo zugestimmt hatte kam einem Sieg gleich, denn eigentlich hatte er erwartet, dass der Ostling am schwersten zu überzeugen wäre. Gleichzeitig erwachte aber auch sein Misstrauen über die Bereitwilligkeit mit der Teijo sich bereiterklärt hatte, ihm zu helfen. Der Bordellbesitzer breitete die Hände, die in teuren Lederhandschuhen steckten, aus und sagte: "Ich hoffe nicht, dass ihr von mir Hilfe bei einem gewaltsamen Umsturz erwartet, denn das ist nicht mein Fachgebiet."
Edrahil schüttelte den Kopf. "Nein, ich erwarte von euch eher... andere Hilfe."
As'ar lächelte, neigte kurz den Kopf und erwiderte: "In diesem Fall werde ich es mir überlegen." Edrahil wusste, dass der Mann Hasael keineswegs wohlgesonnen war, und die Steuern die der Fürst auf seine Freudenhäuser erhob, mit Freuden loswerden würde.

Izem schnaubte. "Ihr lasst euch von dem Alten einwickeln wie Fliegen von einer Spinne. Aber er hat insofern Recht, dass Hasael uns mit seinem Krieg allen schadet. Also werde ich es mir ebenfalls überlegen."
"Mehr verlange ich nicht", meinte Edrahil. "Ihr müsst mir lediglich einen Boten schicken, und ich werde euch in alles einweihen." Er wandte sich Farnaka zu, doch der Schmuggler schüttelte vehement den Kopf. "Nein, euer Vorschlag ist Wahnsinn, und ich werde auf gar keinem Fall mit dem zusammenarbeiten. Gehabt euch wohl." Mit drei Schritten war er an der Tür, riss sie auf und verließ mit seinem Leibwächter die Halle. Für einen Augenblick herrschte Schweigen, dann wandte auch Izem sich ab. "Ihr hört von mir." As'ar verließ das Lagerhaus schweigend, und übrig blieb nur Teijo, den Edrahil die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen hatte, und der diesen Wink offenbar verstanden hatte. Bevor er den Ostling allerdings ansprach, sagte Edrahil über die Schulter zu Valion: "Folgt Izem und Farnaka. Tötet Farnaka bevor er sein Versteck erreicht, und legt seinen Kopf vor Izems Versteck ab."
Er wartete nicht ab, ob der Junge etwas zu sagen hatte, sondern bedeutete den Zwillingen mit einem Wink, aufzubrechen.

Valion und Valirë zur Verfolung Farnakas auf die Straßen...

Eandril:
Sobald Valion und Valirë das Lagerhaus verlassen hatten, sagte Teijo: "Da habt ihr ja zwei interessante Gestalten, Edrahil. Schade, dass sie schon für euch arbeiten..."
Edrahil ging nicht darauf ein, sondern stand auf und warf dem Ostling das Metallplättchen, dass Valirë bei Bayyins Rettung erbeutet hatte, zu. "Kommt euch das bekannt vor?"
Teijo fing das Plättchen geschickt auf und betrachtete es einen Augenblick eindringlich, wobei er mit der linken Hand seinen Bart zwirbelte. "Sicher, aber wie kommt ihr..." Er stockte, hob den Kopf und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Grinsen. "Ah. Dann waren es diese beiden, die vor nicht allzu langer Zeit einen meiner Trupps niedergemacht haben? Mutig von euch, mir das zu verraten."
Edrahil zuckte nur die Schultern, denn er hatte in den Augen seines Gegenübers trotz dessen Worten keine echte Drohung erkennen können. "War nicht persönlich gemeint." Teijo lachte auf, ein kurzes, hartes Lachen. "Ihr habt Humor, Mann. Aber ihr habt Glück, ich bin deswegen nicht wütend auf euch. Schließlich seit ihr ja nicht gezielt gegen mich vorgegangen - oder?" Edrahil schüttelte den Kopf, obwohl die Frage sicherlich nur rhetorisch gemeint gewesen war. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Teijo nicht im Detail über den Vorfall Bescheid und den Auftrag seines Schlägertrupps Bescheid wusste.
"Nein, meine Leibwächter haben nur einen weiteren meiner Leute verteidigt. Leider ist uns der Anführer des Trupps entkommen." Er beobachtete Teijo, der interessiert eine dünne Augenbraue hob, aufmerksam. "Nach meinen Informationen haben eure Kampfhunde meine Männer sehr gründlich getötet", widersprach der Ostling, und drehte dabei nachdenklich das Erkennungszeichen zwischen den Fingern. Edrahil beschloss, zumindest einen Teil seiner Karten auf den Tisch zu legen.
"Ein Mann namens Mustqîm ist ihnen entkommen, und später noch einmal über den Weg gelaufen", erklärte er, und ein Schatten der Verärgerung huschte über Teijos Gesicht. Dieses Detail war dem Söldnerführer offenbar bislang entgangen, und Edrahil vermutete, dass dafür schon bald der ein oder andere seiner Untergebenen würde büßen müssen. "Sagt euch dieser Name etwas?"
Teijo hatte sich schnell wieder gefangen, und seufzte theatralisch. "Edrahil, versucht ihr mich auf so plumpe Art und Weise auszuhorchen? Ich pflege nichts über meine Kunden herum zu erzählen."
Edrahil lächelte. "Er ist also keiner eurer Männer, wie ich mir gedacht hatte." "Ihr seid klug, das muss ich euch lassen", erwiderte Teijo, und dieses Mal funkelte in seinen dunklen Augen eine echte Drohung. "Vielleicht klüger als gut für euch ist."
"Ja, das habe ich auch bereits festgestellt", meinte Edrahil, vordergründig unbekümmert, doch er musste an seinen Aufenthalt in Hasaels Kerker denken, und wie er sowohl Hasael als auch Saleme zugleich unterschätzt hatte. Noch einmal würde ihm das nicht passieren, dieses Mal würde er sich besser vorbereiten. Also beschwichtigte er: "Es war auch gar nicht meine Absicht, euch eure Geheimnisse zu entlocken. Aber ihr und ich, wir haben das gleiche Ziel: Den Sturz Hasaels."
Teijo nickte widerwillig. "Je früher wir ihn los sind und dieser Krieg, der mir meine Männer stielt vorbei ist, desto besser." Daher wehte also der Wind, dachte Edrahil sich zufrieden. Teijos Motivation, ihm zu helfen, war ihm im Gegensatz zu Izem und As'ar bis jetzt nicht klar gewesen, doch nun hatte er begriffen. Offenbar gingen dem Ostling durch den immer länger werdenden Krieg langsam aber sicher die Handlanger aus.
"Dieser Mustqîm steht diesem Ziel im Wege, und er benutzt eure Männer dazu." Der erste Teil war selbstverständlich Spekulation bis Lüge - zum einen wusste Edrahil bis auf die Tatsache, dass Mustqîm es anscheinend darauf abgesehen hatte, sie am erreichen von Arandirs Reisebericht zu hindern, nahezu nichts über dessen Ziele, und zum anderen hatte das wenig direkt mit Hasaels Sturz zu tun. Die Wahrheit war aber, dass Mustqîms Einmischung sich auch störend auf den Versuch, den Fürsten zu stürzen, auswirken konnte.
"Ihr habt vermutlich recht", meinte Teijo zögerlich. "Ich kann euch allerdings nicht wirklich weiterhelfen, denn ich weiß nichts über diesen Mustqîm. Ich wusste darüber Bescheid, dass er einen einzelnen Mann überfallen wollte - auch wenn er dazu alleine sehr wohl in der Lage gewesen wäre - aber nicht mehr." Edrahil fragte sich, ob der Mann log um etwas vor ihm zu verbergen, kam jedoch zu dem Schluss, dass Teijos Geschichte glaubhaft war. "Aber wenn ihr wollt, kann ich meine Männer nach dem Kerl suchen lassen", bot der Ostling an, und überraschte Edrahil damit. Anscheinend meinte er es ernst und war gewillt, viel zu tun um Hasaels Sturz in die Wege zu leiten. "Tut das", antwortete Edrahil, und kratzte sich nachdenklich am Kinn. "Aber vorsichtig, er darf nicht merken, dass ihr ihm auf den Fersen seid."
Teijo zog spöttisch beide Augenbrauen in die Höhe, nickte aber und machte einen Schritt zu Tür. "Braucht ihr sonst noch irgendwas von mir?"
Edrahil verneinte. "Ich kontaktiere euch, wenn ich eure Hilfe brauchte."
Bevor Teijo das Lagerhaus verließ, warf er einen Blick auf die beiden muskelbepackte Seeleute, die immer noch regungslos zu beiden Seiten der Tür standen, und fragte mit der Hand auf dem Türgriff und eine spöttischen Lächeln: "Ich hoffe doch, ihr habt mir nicht die gleiche Behandlung zu gedacht wie dem armen Farnaka?" Edrahil schüttelte nur stumm den Kopf, und Teijos Lächeln wurde noch breiter. "Gut. Das könntet ihr euch auch nicht erlauben." Mit diesen Worten verschwand er auf der sonnendurchfluteten Straße, und ließ Edrahil mit dem Gedanken zurück, dass er einen sehr gefährlichen Verbündeten gewonnen hatte - ein zweischneidiges Schwert.

Edrahil in sein Versteck

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