Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Gondor (West)
Belfalas
Rabi:
Auch wenn es nur wenigen Minuten gedauert hat, Wogrin kam es beinahe wie eine Ewigkeit vor als der der Hauptmann zu seinem Prinzen gegangen war um ihn zu fragen. Als er dann jedoch eine positive Antwort erhielt freute er sich innerlich darüber, blieb außen aber so kalt wie zuvor. „Wogrin…“, flüsterte er beinahe unverständlich. Er erkannte dass der Mensch ihm gegenüber gerade anfangen wollte nachzufragen als er seine Worte noch einmal eindringlicher wiederholte: „Mein Name ist Wogrin.“, die tiefe Stimme würde wohl bei einigen Menschen zu Unwohlsein führen, denn die Ähnlichkeit zu einem richtigen Zwerg war beinahe vergangen. „Und mein Freund hier ist Belgor.“, man merkte dass er sich ziemlich kurzhielt, als ob er den Menschen misstrauen würde.
„Wogrin, alter Freund, hast du verlernt mit anderen zu sprechen.“, die Mine wirkte etwas erzürnt und die röte stieg in Belgors Gesicht: „Reiß dich zusammen, wir können jeden Verbündeten benötigen, immerhin steht auch unser Volk kurz vor dem Untergang. Sonst lass mich sprechen.“ , abermals gab es keine Antwort und der weißbärtige Zwerg stand regungslos mit dem Rücken zu ihm und würdigte niemanden eines Blickes. Doch plötzlich drehte er sich um und seine Augen hatten sich verengt: „Es wäre uns eine Freude mit euch zu ziehen und das böse in diesem Land zu vernichten. Ich hoffe ihr verzeiht mich.“, er musste angestrengt schlucken und versuchte sich ein leichtes Lächeln aufzuzwingen: „Ich hoffe ihr wisst was ich meine.“, und noch schneller als es gekommen war verschwand es auch wieder aus seinem Gesicht. „Ich kann für euren Prinzen eine Unterkunft besorgen wo er sich sicherlich wohler fühlen wird als in einem Zelt.“, fügte er noch an und ging in Richtung eines am Boden liegenden Menschen der ihm sehr bekannt vorkam. RUDO, schoss es ihm durch den Kopf und sein Schritt beschleunigte sich. Als er näher rankam konnte er bereits erkennen dass sich der Brustkorb noch leicht bewegte. Er kniete sich neben seinen Freund und legte dessen Kopf auf seine Hand. „Rudo, du hast tapfer gekämpft.“, sprach er mit ihm, unhörbar für alle anderen Anwesenden. Blut sickerte aus seinem Mund und bei jedem Wort dass der Mensch herausdrückte quoll mehr heraus und ebenfalls die Wunden in seiner Magengegend ließen kleine Rinnsale in Richtung Boden entstehen: „Töte mich Herr Zwerg, töte mich und beende mein Leiden.“, er musste einen schmerzerfüllten Schrei ausstoßen als er versuchte seinen Oberkörper nur ein wenig anzuheben. „Ich danke dir, als Geschäftspartner und als Freund.“, antwortete ihm der Zwerg und nahm einen kleinen Dolch den er immer an seinem Gürtel befestigt hatte. Mit einem hastigen Schnitt war die Kehle durch und große Blutmengen schossen ihm aus dem Hals, nur Sekunden darauf war sein Leben beendet. Nahezu in derselben Sekunde konnte er hinter sich ein Raunen durch die Krieger gehen hören und auch die tiefere Stimme Belgors konnte er vernehmen. Doch auch er selbst wusste dass es sicherlich kein gutes Bild gemacht hatte. Langsam ging er wieder in Richtung der Reiterei und steckte den noch blutverschmierten Dolch wieder in seine Halterung. Die Waffen wurden auf ihn gerichtet die Pferde wurden etwas unruhig, doch er ging trotzdem weiter bis er wieder vor dem Hauptmann stand. „Er hat mich darum gebeten, er war ein Freund von mir.“ Und auch Belgor verteidigte seinen alten Freund, auch wenn er die Tat an sich ehrenhaft fand, war es für die Augen der anwesenden Menschen wohl nicht nachvollziehbar.
Eandril:
Zunächst war Hilgorn über die Tat des Zwergen entsetzt gewesen - wieso hatte er einen jener getötet, die er zuvor noch beschützt hatte? Doch die Verteidigung Wogrins hatte ihn nachdenklich gemacht. Was sollte man tun, wenn ein Freund um den Tod bat?
Ist es nicht gnädiger, sein Leiden zu beenden?
"Es ist in Ordnung. Dafür seit nur ihr und euer Freund verantwortlich, und ihr müsst mit eurer Tat im Reinen sein." Er gab den umstehenden Soldaten ein Zeichen, und sie senkten ihre Waffen. "Schlagt das Lager auf.", wies er sie an, und meinte dann zu Wogrin: "Wärt ihr nun so freundlich, dem Prinzen die versprochene Unterkunft zu zeigen?"
Wogrin nickte knapp, und folgte ihm zu Elphir.
Die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen, sondern erhob sich gerade über den Horizont, als Hilgorn zum Aufbruch blasen ließ.
Gestern Abend hatten sie noch die Gefallenen begraben, die Dörfler neben den Soldaten. Es waren zum Glück nicht viele, doch machte es den Verlust für die Bewohner des Dorfes nicht leichter zu ertragen. Hilgorn hatte außerdem erfahren, dass Wogrin einige Monate bei seinem Freund, den er getötet hatte, in der Schmiede gearbeitet hatte, und zwar besser als jeder Mensch es vermocht hätte. Er nahm sich vor, den Zwerg zu bitten, ihnen auf diesem Feldzug auch in dieser Hinsicht behilflich zu sein, doch er machte sich keine große Hoffnung, denn er schien nur am Töten von Orks interessiert zu sein.
Nicht nur Elphir, sondern auch Hilgorn und viele andere Offiziere hatten in dieser Nacht nicht in einem Zelt schlafen müssen. Viele der für ihre Rettung dankbaren Dorfbewohner hatten ihnen ihr Bett überlassen, und so hatte Hilgorn komfortabler geschlafen, als viele Nächte zuvor... Doch in seinen Träumen suchten ihn noch immer die widerlichen Fratzen der Orks heim, und so fand er wenig Schlaf.
Als der Weckruf verklungen war, waren bereits alle Soldaten auf den Beinen, wie Hilgorn nicht ohne Stolz bemerkte, und begannen, das Lager abzubauen. Auch Elphir kam aus dem Haus, bereits vollständig angekleidet und bereit.
"Wie lange werden wir wohl noch brauchen, bis wir Linhir erreichen?", fragte er. "Ich schätze, noch etwa fünf oder sechs Tage, wenn wir ohne Zwischenfälle wie diesen davon kommen. Wir sollten hoffen, dass unsere Feinde bis dahin nichts von uns wissen, denn sonst werden wir Linhir nicht einnehmen können."
Hilgorn, Elphir und Wogrin mit dem Heer nach Linhir...
Eandril:
Hilgorn, Aerien, Ladion, Serelloth und Damrod aus Tum-en-Dín...
Auf dem schmalen Feldweg, der sie nach Bar-Erib führen würde, war höchsten genug Platz dass zwei Leute nebeneinander gehen konnten. Ladion übernahm die Spitze, in einigem Abstand von Serelloth und Aerien gefolgt, die angeregt miteinander plauderten - wobei Serelloth mit Abstand am meisten sprach. Hilgorn bildete gemeinsam mit Damrod den Schluss, und nachdem sie schweigend ein ganzes Stück weg zurückgelegt hatten, sagte Damrod: "Ihr habt... etwas von der Rückkehr des Königs gesagt. Wir haben Gerüchte davon gehört, aber es natürlich nicht wirklich geglaubt. Und ich muss sagen, selbst jetzt... fällt es mir schwer, es wirklich zu glauben."
Hilgorn lächelte in sich hinein. Hätte er dem König nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüber gestanden, wäre es ihm selbst vermutlich schwer gefallen daran zu glauben. "Ich verstehe", erwiderte er. "In diesen Tagen fällt es schwer, wirklich zu hoffen. Doch in diesem Fall... lasst die Hoffnung zu. Ihr werdet nicht enttäuscht werden."
Das müde und grimmig wirkende Gesicht des Waldläufers entspannte sich etwas. "Ich habe ihn auf dem Pellenor gesehen, als er das feindliche Heer vor Minas Tirith zerschmetterte - bevor er nach Osten aufbrach und nicht zurückkehrte. Ich hoffe, es geschieht nicht noch einmal. Dieser kurze Moment der Hoffnung, und dann die Niederlage. Das würde Gondor nicht überleben."
"Vieles hängt von dem ab, was unsere Verbündeten tun", meinte Hilgorn ernst. "Die Rückkehr des Königs wird unsere Männer beflügeln, doch ohne Hilfe aus dem Norden - oder dem Süden - wird auch das nicht reichen, fürchte ich." Von Harad zu sprechen lenkte seine Gedanken auf die Verbindung zwischen Damrod und Aerien, und er fügte hinzu: "Woher kommt euer Misstrauen Aerien gegenüber? Die Rückkehr des Königs ist zu einem großen Teil ihr Verdienst, und sie hat sich auch auf unserer jetzigen Reise bislang als vollkommen vertrauenswürdig erwiesen."
Damrod kratzte sich das stoppelige Kinn. "Sie hat euch nicht viel über ihre Vergangenheit erzählt, nicht wahr?" Als Hilgorn den Kopf schüttelte, fügte er hinzu: "Nun, dann steht es mir auch nicht zu, das zu tun. Es gibt gewisse Dinge, die es schwer machen, ihr zu vertrauen - auch wenn meine Tochter das anscheinend vollständig tut, und ich es gerne können möchte."
Hilgorn nickte nur stumm und verzichtete auf die Frage, die ihm auf den Lippen brannte. Damrods Tonfall machte sagte eindeutig, dass das Thema für ihn erledigt war.
Nur wenig später erreichten sie eine Hügelkuppe, und konnten von dort auf Bar-Erib hinunter blicken. Der Sitz Gilanors war um einiges herrschaftlicher als Tíncar - an eine Bergflanke geschmiegt blickte die aus hellgrauem Stein erbaute Burg nach Nordosten auf das breite, flache Tal hinunter. Im Gegensatz zu Tíncar besaß Bar-Erib gleich drei Türme, einen Burggraben mit Zugbrücke und eine deutlich dickere und höhere Ringmauer.
"Ich hoffe, es wird kein Frontalangriff nötig sein", meinte Aerien, die Hand auf den Schwertgriff gestützt, beim Anblick der Festung.
"Wahrscheinlich nicht." Hilgorn betrachtete die Mauern nachdenklich. "Ich denke nicht, dass das Reinkommen die Schwierigkeit sein wird."
"Vielleicht wäre es das beste, ich bliebe außerhalb der Festung", schlug Ladion vor. Die Augen des Elben wanderten aufmerksam über die Umgebung von Bar-Erib. "Wenn ihr bis Mitternacht kein Signal gegeben habt, hole ich euch raus." Es war leicht dahingesagt, doch sein Tonfall ließ keinen Zweifel aufkommen dass Ladion meinte, was er sagte.
"Serelloth wird ebenfalls draußen bleiben." Auf Damrods Worte hin öffnete Serelloth empört den Mund, doch ihr Vater schüttelte nur knapp den Kopf. "Das war ein Befehl." Serelloth senkte den Blick, widersprach aber nicht, und Hilgorn sah Aeriens Mundwinkel belustigt zucken. "Man muss sich nicht immer selbst in Gefahr begeben", sagte sie an Serelloth gewandt. "Wenn etwas schief geht seid du und Ladion unsere Rückversicherung."
"Hoffen wir, dass es nicht dazu kommt", schloss Hilgorn, und folgte dem Weg den Hügel hinunter in Richtung der Burg.
Die Zugbrücke von Bar-Erib war hinuntergelassen, doch das Tor verschlossen. Ohne lange zu zögern hieb Hilgorn mit der Faust dagegen, was das dicke Holz dumpf erzittern ließ. Nachdem er dem Tor zwei Schläge versetzt hatte, öffnete sich eine in einen Torflügel eingelassene Tür und ein Soldat mit dem Wappenrock der Herren von Bar-Erib trat hinaus. "Wer seid ihr und was führ euch nach Bar-Erib."
"Hilgorn Thoron, General von Gondor", stellte Hilgorn sich vor, und bemerkte zufrieden, wie der Soldat zusammenzuckte. "Wir hätten gerne mit Meister Gilanor gesprochen."
"Äh... mein Herr empfängt zu dieser Stunde keine Gäste mehr", erwiderte der Soldat nervös.
Hilgorn zuckte mit den Schultern, und setzte unauffällig einen Fuß so vor die Tür, dass sie nicht zugeschlagen werden konnte. "Wir sind keine Gäste, sondern haben etwas dringendes mit Gilanor zu besprechen. Ich rate dir also, die Tür freizugeben, mein Sohn", sagte er leise.
"Mein Herr empfängt im Augenblick nicht", wiederholte der Soldat, und versuchte, rasch die Tür zu zu ziehen - scheiterte aber daran, dass Hilgorn die Tür mit dem Fuß geöffnet hielt. Hilgorn machte einen Schritt nach vorne und nickte gleichzeitig Damrod zu. Der Waldläufer holte aus und versetzte dem Wächter einen Fausthieb an die bloße Schläfe, der den Mann bewusstlos zusammensacken ließ.
"Der Weg nach draußen wird also vermutlich tatsächlich der schwierigere sein", merkte Aerien an, als sie hinter Hilgorn über den bewusstlosen Wächter stieg.
Der Innenhof von Bar-Erib lag im rötlichen Abendlicht verlassen da. "Das gefällt mir nicht sonderlich", knurrte Damrod, die Hand auf dem Griff seines Schwertes. Hilgorn stimmte ihm zu. "Mir auch nicht sonderlich. Ich fürchte, hier geht mehr vor sich als man auf den ersten Blick sieht."
Sie überquerten den Hof vorsichtig, jederzeit mit einem Angriff rechnend, doch nichts geschah. Der Eingang zum Hauptgebäude war unbewacht und stand offen, doch an der Tür zur Halle der Herren von Bar-Erib warteten zwei Wächter mit Speeren in der Hand.
"Wie seid ihr hier hereingekommen?", fragte der rechte der Wächter misstrauisch. Durch die Tür in seinem Rücken drangen viele gedämpfte Stimmen - offenbar hatten sich eine ganze Menschenmenge in der Halle versammelt.
"Durch das Tor", antwortete Hilgorn trocken. "Wir haben dringendes mit Meister Gilanor zu besprechen, und der Tag neigt sich dem Ende zu."
Die Wachen wechselten einen Blick, und einer von ihnen schlüpfte durch die Tür in die Halle hinein. Während sie warteten, fragte Hilgorn den verbliebenen Wächter: "Wie lange stehst du schon in Gilanors Diensten?"
"Bald zwanzig Jahre", erwiderte sein Gegenüber, dem sichtlich unwohl zumute war.
"Mhm", machte Hilgorn. "Ich hoffe, hier ist alles wie immer? Nichts hat sich zum schlechteren verändern in der letzten Zeit?"
Der Wächter schluckte sichtlich, und wich seinem Blick aus. "Ich bin nicht befugt, darüber zu sprechen."
"Das heißt wohl ja", warf Aerien leise ein. "Seltsam, wie stumm Menschen werden, wenn es darum geht schlecht über ihre Herren zu sprechen."
Die Tür zur Halle öffnete sich erneut, als der zweite Wächter zurückkehrte und seinen Gefährten erlöste: "Der Herr von Bar-Erib wird euch empfangen - gebt mir eure Waffen, wir werden sie hier für euch aufbewahren."
Aerien und Damrod machten gleichzeitig einen Schritt zurück, und der Waldläufer hatte sogar eine Hand auf den Griff seiner Waffe gelegt. Hilgorn schüttelte den Kopf. "Dies ist noch immer Gondor, nicht wahr? Euer Herr ist Ardamir von Belfalas verpflichtet, und jener wiederum dem König von Gondor - in dessen Auftrag wir hier sind."
Beide Wächter stutzten, und der Ältere der beiden hätte vor Schreck beinahe seinen Speer fallen gelassen. "Der... König?"
Hilgorn lächelte. "König Elessar ist aus der Gefangenschaft nach Gondor zurückgekehrt, dem Willen Mordors zu Trotz. Gilanors lächerliche Fehde gefährdet den Frieden innerhalb des Königreichs, und endet am heutigen Tage auf Befehl des Königs. Ich schlage also vor, dass ihr uns auf der Stelle eintreten lasst, wenn ihr nicht die Schuld des Verrats auf euch laden wollt." Beide Männer tauschten einen Blick, und traten dann zur Seite. Als Hilgorn zwischen ihnen hindurch ging stellte er fest, dass sie bereits aufgeregt zu tuscheln begonnen hatten.
Die Halle der Herren von Bar-Erib war hoch und luftig, mit hohen Glasfenstern nahe der Decke, durch die das letzte Abendlicht hinein fiel. Drinnen hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt, der Kleidung zu folge vornehmlich kleinere Adlige aus der Umgebung und ihr Gefolge. Gilanor von Bar-Erib, ein kräftiger Mann von etwa sechzig Jahren mit schulterlangen, von Grau durchzogenen hellbraunen Haaren, saß auf dem etwas erhöhten Sitz am hinteren Ende der Halle, und blickte Hilgorn, Aerien und Damrod entgegen.
"Ihr seid doch einer von Ithons Söhnen", sagte er ungehalten, als Hilgorn auf wenige Schritt herangekommen war. "Welcher seid ihr?"
Hilgorn verneigte sich bewusst so knapp, dass es beinahe unhöflich war. "Hilgorn Thoron, General von Gondor."
"Aaaah", machte Gilanor, und rutscht ein wenig auf seinem Sitz hin und her. "Ich nehme an eure Mutter hat euch geschickt, Junge?"
Bei Gilanors letzten Worten beschloss Hilgorn, auch auf den letzten Rest Höflichkeit zu verzichten. "Keineswegs", erwiderte er, was nur halb gelogen war. "Eure widerrechtliche Besetzung von Tugobel stört den inneren Frieden des Königreichs. Ich würde ja fordern, eure Männer abzuziehen, wenn sie nicht bereits tot wären."
Er stellte mit einiger Befriedigung fest, dass Gilanor das Blut aus dem Gesicht wich, und ein Raunen durch die Anwesenden ging. Der Herr von Bar-Erib beugte sich ein wenig vor. "Wenn ihr sie getötet habt, habt ihr den Frieden in diesen Landen gebrochen! Ich habe sie entsandt um einen rechtmäßigen Teil meiner Ländereien zu sichern, und ihr habt sie getötet - ist das die Gerechtigkeit, die wir aus Dol Amroth zu erwarten haben?"
Seine Worte erinnerten Hilgorn nur allzu sehr an das, was vor nicht zu langer Zeit in Anfalas und den Pinnath Gelin vor sich gegangen war. Was, wenn Gondor am Ende nicht durch Mordor zu Fall gebracht wurde, sondern durch die eigene Uneinigkeit? "Söldner aus dem Osten", gab er zurück. "Ausgeschickt, um Ländereien zu besetzen die durch das Recht Gondors meinem Neffen Belegorn gehören."
"Dessen Stiefvater ihr praktischerweise kürzlich geworden seid." Gilanor lehnte sich wieder zurück, offenbar überzeugt, die Oberhand zurückgewonnen zu haben. "Kein Wunder, dass ihr ein solches Interesse an der Sicherung seines angeblichen Erbes habt - offenbar ist Imrahil von Dol Amroth nicht sonderlich großzügig dabei, seine treuen Diener zu entlohnen."
Hilgorn spürte, wie Aerien ein wenig näher an ihn heran trat. "Sie versuchen uns einzukreisen", flüsterte sie so leise, dass er es kaum verstehen konnte. Hilgorn berührte sie leicht am Arm zum Zeichen, dass er verstanden hatte, und sagte an Gilanor gewandt: "Es gibt andere Beweggründe zu handeln als Gier nach Macht. Der König von Gondor ist zurückgekehrt."
Schlagartig wurde es still in der Halle. Sämtliche Überheblichkeit war mit einem Schlag von Gilanor abgefallen, als er schließlich die Stille brach: "Der... König? Aber... sie haben gesagt... es ist unmöglich."
"So erscheint es, nicht wahr? Doch ich habe ihn mit meinen eigenen Augen - nun, Auge - gesehen, und ich bin gerne bereit jeden Eid zu schwören, dass König Elessar selbst nach Dol Amroth zurückgekehrt ist." Als wären seine Worte ein Signal gewesen, breitete sich aufgeregte Geflüster und Getuschel in der Halle aus. Eine ältere Frau in kostbarer Kleidung trat vor. "Ich glaube, dass ihr die Wahrheit sagt - ich will es gerne glauben. Aber... wie konnte er aus Mordor entkommen? Und was bedeutet das für uns?"
Bevor Hilgorn antworten konnte, drängte sich ein hochgewachsener, schwarzhaariger Mann, der wie eine jüngere Ausgabe von Gilanor aussah, durch die Menge. "Das sind gute Fragen. Kaum jemandem gelingt die Flucht aus Mordor, schon gar nicht aus dem Dunklen Turm selbst. Wie können wir uns sicher sein, dass dies keine Täuschung ist?"
"Berenor!", stieß Gilanor hervor. "Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt, mein Sohn." Sein Sohn beachtete ihn nicht, und sprach weiter: "Was, wenn Mordor ihn absichtlich freigelassen hat, damit er uns verraten kann? Es wäre schließlich nicht das erste Mal." Bei diesen Worten warf er Hilgorn einen vielsagenden Blick zu, und Hilgorn biss die Zähne aufeinander. Er wusste sehr genau, worauf Berenor anspielte. "Und ist es nicht verdächtig, dass der König bei seiner Ankunft in Gondor von jemandem aus dem Volk begleitet wurde, dass man die schwarzen Númenorer nennt? Jenen Nachfahren Númenors, die seit Jahrtausenden dem Dunklen Herrscher dienen?"
Hilgorn spürte, wie es ihm bei diesen Worten eiskalt den Rücken herunter lief. Er wollte es nicht zulassen, doch Berenors Worte rührten an seine eigenen Zweifel, die er unterdrückt und tief verborgen hatte - wieso sollte der dunkle Herrscher mit dem König von Gondor nicht genau das getan haben, was Arnakhôr mit Hilgorn selbst vorgehabt hatte? Wäre nicht das der beste Weg, Gondor ein für alle Mal ins Verderben zu stürzen? Und da war noch etwas... Berenor hatte von einer aus dem Volk der schwarzen Númenorer gesprochen. Er konnte nicht Narissa gemeint haben, denn ihre Abstammung war eindeutig, also... Hilgorn blickte zu Aerien, die bleich geworden war, und nur stumm den Kopf schüttelte. Sie machte den Eindruck, als würde sich ein alter Albtraum für sie wiederholen.
Ohne es bewusst zu bemerken hatte Hilgorn das Schwert gezogen, und für einen Augenblick zögerte er, wusste nicht, gegen wen er es richten sollte - Aerien, falls das überhaupt ihr Name war, oder Berenor. Nach einigen qualvollen Augenblicken richtete er die leicht zitternde Spitze auf Berenor.
"Gilanor von Bar-Erib", sagte er mit mühsam beherrschter Stimme. "Ihr und euer Sohn habt den Frieden Gondors gebrochen, nur für ein Stückchen Land und Einfluss. Ihr habt Söldner aus den Landen des Feindes ins Land geholt, nur für ein wenig Land und Einfluss - Damrod von Ithilien wird dies bezeugen können." Damrod nickte grimmig, die Hand immer noch auf dem Schwertgriff. "Ich erkläre euch im Namen des Königs beide für verhaftet, und ihr werdet euch in Dol Amrothd er Gerechtigkeit des Königs stellen."
Gilanor erhob sich langsam aus seinem Sitz, doch Berenor hatte bereits sein eigenes Schwert in der Hand. "Mutig mutig", zischte er. "Einen Mann in seiner eigenen Halle verhaften zu wollen. Vergesst nicht, dass ihr nur zu dritt seid..."
"GENUG!", donnerte Gilanor, und kam zwei Stufen von seinem erhöhten Sitz hinunter. "Leg dein Schwert nieder, mein Sohn. Hier wird heute kein Blut vergossen."
"Was bist du nur für ein Jämmerling, Vater", stieß Berenor verächtlich hervor, doch sein Vater unterbrach ihn. "Ich erkenne, was hier vorgeht. Ich weiß, woher deine Freunde kommen, die dir die deine Ideen und Pläne eingeflüstert haben. Unseren Nachbarn Land zu stehlen. Die Männer, die du über den Gilrain geschmuggelt hast. Genug." Gilanor hatte die letzten Stufen zurückgelegt, und stand nun direkt vor seinem Sohn, das Schwert zwischen ihnen. "Der König ist zurückgekehrt. Ich bin ihm nach Pelargir gefolgt, und weiter in die große Schlacht auf den Pelennor. Niemand, nicht einmal Sauron selbst könnte diesen Mann unterwerfen. Die Schleier, die du und deine Freunde um mich gelegt haben, sind zerissen. Ich werde kein Diener Mordors sein!"
Berenors Schwerthand zuckte, als würde er mit dem Impuls kämpfen, seinen Vater einfach niederzustechen, doch bevor irgendjemand handeln konnte, zischte etwas durch die Luft und ein schwarzer Pfeil durchbohrte Berenors Hals. Der Erbe von Bar-Erib tastete verwirrt nach dem in seinem Hals steckenden Stück Holz, bevor er zusammensackte. Er öffnete den Mund, doch nur ein Schwall Blut kam heraus. Gilanor sank neben seinem sterbenden Sohn auf die Knie, während Hilgorn nach oben zu den Fenstern blickte.
"Einem Fenster fehlt das Glas", stellte Damrod fest. "Der Schütze muss dort oben gestanden haben. Soll ich..."
Hilgorn nickte knapp, und der Waldläufer eilte davon, das Schwert in der Hand, während Aerien wie angewurzelt stehen blieb, noch immer totenbleich. Berenors Augen brachen, während sein Vater neben ihm kniete. Gilanor schloss mit einer Bewegung Berenors Augenlieder, und betastete dann den Schaft des schwarzen Pfeils. Als er sich wieder erhob wirkte er um Jahre gealtert.
"Ich... habe geahnt, dass es ein böses Ende nehmen würde", sagte er mit zitternder Stimme, und blickte hinab auf das blasse Gesicht seines Sohnes und die sich rasch ausbreitende Blutlache. "Aber..."
"Kein Vater sollte sein Kind sterben sehen", sagte Hilgorn leise. "Ganz gleich, was seine Taten gewesen sein mögen."
Gilanor nickte, den Blick auf das geheftet, was er vom Pfeil gezogen hatte - eine kleine, blutbeschmierte, Rolle Papier. "Dann... nun, es ist eine Botschaft an euch." Mit einem unguten Gefühl in der Magengrube nahm Hilgorn das Papier entgegen.
General Hilgorn,
ihr macht mehr Ärger als man euch zutrauen würde. Nach dem Zusammenstoß mit meinem Bruder sollte man glauben, dass ihr euch von meiner Familie fernhalten würdet. Ich schlage euch einen Tauschhandel vor: Ihr bringt mir meine Schwester Azruphel und bekommt dafür euren Neffen zurück. Kommt morgen um Mitternacht zu dem verlassenen Hof östlich von Bar-Erib.
Balakân Balákanar von Durthang
Hilgorn wandte sich langsam zu Aerien um, das Schwert noch immer in der Rechten, die Botschaft in den zitternden Fingern der linken Hand. Er streckte Aerien das Papier entgegen, und sie nahm es zögerlich entgegen, wobei sie seinem Blick auswich. Nachdem sie es gelesen hatte, fragte er leise: "Wirst du freiwillig mitkommen? Oder..."
Er musste den Satz nicht beenden. "Ich werde mitkommen. Es... tut mir leid." Da war eine Müdigkeit in ihrer Stimme, als hätte sie genau das schon einmal erlebt, doch Hilgorn verschloss sich gegen das aufkommende Mitgefühl. Ihretwegen befand sich Belegorn in der Gefangenschaft Mordors - ein kaum zehnjähriger Junge, und Faniels eigener Sohn, der Junge, den Hilgorn als seinen eigenen Sohn angenommen hatte.
"Ich muss mich um das Begräbnis meines Sohnes kümmern", durchbrach Gilanors erschöpfte Stimme das unangenehme Schweigen. "Danach werde ich mit eurer Erlaubnis nach Dol Amroth aufbrechen, um mich der Gerechtigkeit des Königs zu stellen. Bis dahin seid ihr in Bar-Erib willkommen, um euch auf die nächsten Schritte vorzubereiten."
Hilgorn nickte nur abwesend, ohne den Blick von Aerien abzuwenden. "Gib mir dein Schwert", sagte er leise. Sie zögerte nicht, schnallte den Schwertgurt ab und hielt ihm die Waffe entgegen. Nachdem Hilgorn sie entgegengenommen hatte, sagte er tonlos: "Und nun geh mir aus den Augen."
Fine:
Aerien verließ das Gebäude, in dem Hilgorn ihre wahre Herkunft erfahren hatte, ohne einen klaren Gedanken fassen zu können. Sie fühlte sich, als würde sich alles um sie herum drehen und ihr gleichzeitig der Boden unter den Füßen weggerissen werden. Nach außen hin blieb sie so ruhig, als wäre nicht gerade wieder einmal jemand aus ihrem vergangenen Leben in Mordor aufgetaucht, um ihr jetziges Leben in Freiheit zu gefährden. Aber innerlich tobte ein Sturm. Ein Sturm, den vermutlich außer Narissa niemand Aerien ansehen konnte.
Sie kam in den Innenhof des Anwesens. Die Wachen waren verschwunden, vermutlich waren sie gemeinsam mit Damrod auf der Jagd nach dem Attentäter. Sie würden ihn nicht finden, wie Aerien nur zu gut wusste. Ihr älterer Bruder Balákan war zu geschickt und verschlagen. Er würde nur an einem einzigen Ort zu finden sein: Auf dem verlassenen Gehöft, ein Stück abseits von Bar-Erib, wo er den kleinen Belegorn gefangen hielt. Und sobald jemand anderer als Hilgorn und Aerien sich diesem Ort nähern würde, wäre Balákan verschwunden, und Belegorn wäre verloren.
“Was ist geschehen?” erklang Serelloths Stimme, als sich die zierliche Waldläuferin durch den dunklen Nebel schälte, der Aeriens Sichtfeld trübte. “Wo ist mein Vater? Und der General?”
“Es gab einen... Zwischenfall,” sagte Aerien so ruhig, als spräche sie über das Frühstück, oder die neusten Gerüchte aus Dol Amroth. “Der Sohn Gilanors wurde von einem Angreifer ermordet. Dein Vater hat sich ihm an die Fersen geheftet.”
Serelloth gab ein frustriertes Geräusch von sich. “Ich wusste doch, dass ich hätte mitkommen sollen! Immer verpasse ich die aufregenden Sachen... hast du gesehen, wo der Kerl hin ist? Vielleicht können wir ihn noch einholen...”
Aerien winkte ab. “Mach dir keine Mühe. Ich denke nicht, dass selbst Damrod dazu in der Lage wäre.”
“Hmm,” machte Serelloth unzufrieden. “Und jetzt? Warten wir hier einfach ab?”
Aerien rang mit sich. Sollte sie Serelloth erzählen, was geschehen war? Immerhin war das Mädchen ihre Freundin, und wusste über Aeriens Geheimnisse Bescheid. Und es würde gut tun, sich jemandem anzuvertrauen, nun, da Narissa weit fort war.
Sie entschied sich dennoch dagegen. Der Grund dafür war einfach: Sollte Serelloth erfahren, dass Hilgorn Aerien gegen den kleinen Belegorn eintauschen wollte, würde sie zu einem Problem werden, da sie diesen Tausch niemals akzeptieren würde. Es schmerzte Aerien, ihre Freundin über die wahren Begebenheiten im Dunkeln zu lassen aber sie tat es zu Serelloths Besten, da war sie sich nun sicher.
“Der General und ich werden später eines der Gehöfte in der Nähe untersuchen,” sagte sie als wäre das keine große Sache. “Vielleicht finden wir dort noch einen Hinweis, wie Gilanor es geschafft hat, die Ostlinge aus dem Dorf unten in seinen Dienst zu ziehen. Du solltest Ladion, den Elb finden, würdest du das für mich tun?” bat sie. “Wir müssen wissen, ob er etwas gesehen hat. Weißt du, wo er sein könnte, Serelloth?”
“Er sprach davon, sich auf der hinteren Seite des großen Anwesens umzusehen. Ich finde ihn schon, keine Sorge! Treffen wir uns hinterher wieder hier, vor dem großen Tor, ja?”
“J-ja...” sagte Aerien zögerlich. Es kostete sie all ihre Kraft, um die Lüge über die Lippen zu bringen. “Bis später, Serelloth.”
Den Rest des Abends verbrachte Aerien schweigend, auf einem kleinen Mäuerchen entlang der Straße nach Tum-en-Dín sitzend, einen Steinwurf von Bar-Erib entfernt. DIe Sonne ging unter, und es wurde dunkel. Und obwohl sie zu frieren begann, rührte sie sich nicht vom Fleck. Hilgorn hatte ihr nich gesagt, wo er sich mit ihr treffen wollte, also wartete sie hier an einer Stelle, wo sie ihn nicht verpassen konnte. Sie hatte das Gefühl, ihm zumindest das schuldig zu sein.
Innerlich trug sie einen Streit mit sich aus. Ein Teil von ihr vertrat die Meinung, dass sie an den Geschehnissen keine Schuld trug und nur den Fehler gemacht hatte, Hilgorn nicht von Anfang an in ihre Geheimnisse einzuweihen. Oder vielmehr hätten Aragorn oder Imrahil das tun sollen. Sie konnte nichts dafür, dass sie in Mordor geboren und aufgewachsen war, und durch ihre Mithilfe bei der Befreiung Aragorns hatte sie hoffentlich allen bewiesen, dass sie auf der Seite Gondors stand und die Schatten hinter sich gelassen hatte.
Die andere Seite war der Meinung, dass Aerien durchaus Schuld an den Ereignissen hatte. Immerhin war es ihr eigener Bruder, der den Sohn Gilanors ermordet hatte, und wenn sie Hilgorn richtig verstanden hatte, war Balákan ihretwegen hier. Und obwohl sie ihr verfluchtes Schwert in Barad-dûr gelassen hatte, hatte Aerien immer wieder das Gefühl, dass der Blick Saurons sie immer noch verfolgte. Der falsche Edrahil, der in Dol Amroth aufgetaucht war, war nur eines der vielen Indizien dafür.
“Gut. Du bist noch hier,” erklang Hilgorns kühle Stimme. “Komm. Es wird Zeit, bald ist Mitternacht.” Der General war neben sie getreten und ließ die Hand auf seinem Schwertgriff ruhen. “Wenn du etwas zu deiner Verteidigung zu sagen hast, tu’ es unterwegs.”
Sie marschierten los, zwei dunkle Gestalten unter dem Zwielicht von Mond und Sternen. Aerien wagte anfangs nicht, zu sprechen. Doch irgendwann hielt sie es nicht mehr aus. “Mit Verlaub, Hilgorn, es tut mir Leid. Ich hätte es dir früher sagen sollen.”
“Oder gar nicht erst mit mir kommen sollen,” knurrte Hilgorn überraschend grimmig. “Dann wäre mein Neffe vielleicht jetzt nicht in den Klauen eines Mörders. Deines Bruders.”
Aerien schwieg. Er hatte recht, das wusste sie. Überraschenderweise sprach Hilgorn nach einem Augenblick weiter. “Es wird so ablaufen. Wir machen es ganz genau wie dieser Abschaum es verlangt hat. Ich bekomme Belegorn zurück, dann bekommt er dich. Irgendwelche Einwände dagegen?”
“Keine,” sagte Aerien tonlos. Sie wusste nicht, was ihr Bruder vorhatte. Aber dass er seine Geisel einfach so gehen lassen würde, konnte sie sich bei ihm nicht vorstellen. “Nur eines... ich werde erst zu ihm gehen, wenn Belegorn in Sicherheit ist. Nicht eher.”
“Natürlich. Habe nichts anderes vorgehabt,” kam es knapp von Hilgorn.
Damit war die kurze Unterredung beendet. Sie marschierten weiter, und Hilgorn zog sein Schwert. Bis zu dem Hof war es nicht mehr weit.
Das verlassene Gehöft lag im Dunkeln und nichts regte sich, als Hilgorn und Aerien dort ankamen. Einzig in der großen Scheune neben dem Haupthaus war Licht zu sehen, das flackernd durch das halb offen stehende Tor drang. Es schien von einer Fackel zu stammen.
“Dort hinein,” sagte Hilgorn und steuerte auf das Scheunentor zu. Er hielt an, ehe er das Gebäude betrat, und packte Aerien unsanft am Oberarm. Sie vor sich schiebend und blanker Klinge in der Hand durchschritt er dann den Durchgang.
Balákan erwartete sie bereits. Er saß lässig auf einem Stapel Mehlsäcke, in der linken Hand hielt er eine schussbereite Armbrust. Das schwarze Haar fiel ihm über die Stirn, und der Bart war eine Spur dichter als bei ihrer letzten Begegnung, aber das heimtückische Lächeln und die unnachgiebigen Augen waren dieselben wie damals, inmitten der Schlacht am Rande von Kerma. Aerien spürte, wie sich ihre Hände zu Fäusten ballten.
“Gute Soldaten befolgen Befehle, werter General,” lobte Balákan spöttisch. “Und wie ich sehe, seid Ihr in der Tat ein guter Soldat. Überlasst mir jetzt bitte meine Schwester.”
“Zuerst lässt du Belegorn gehen,” knurrte Hilgorn und seine Hand krallte sich in Aeriens Schulter.
Balákan grinste. “Nun gut. Hier ist der Knirps.” Er riss einen der Mehlsäcke hoch, und darunter kam ein gefesselter, geknebelter kleiner Junge hervor. Aerien schätzte ihn auf zehn Jahre. Ihr Bruder zog Belegorn mit einem Ruck auf die Beine, die nicht gefesselt waren, und schubste ihn dann in Richtung Hilgorn. Kaum machte der Junge die ersten Schritte, zielte der schwarze Númenorer mit der Armbrust auf ihn. “Schick mir Azruphel herüber! Oder unser Handel ist hinfällig, und ich setze meine Waffe ein!” drohte Balákan.
Hilgorn ließ Aerien widerwillig los. Sie schloss die Augen und machte den ersten Schritt in Richtung ihres Bruders, und atmete tief durch, als sie dann weiterlief. Sie wusste nicht, was geschehen würde. Es war anders als damals, als sie von Karnuzîr gefangen genommen worden war. Sie waren mitten im Herzen Gondors, und sowohl Serelloth als auch Damrod und Ladion waren noch in der Nähe. Aerien hatte noch Hoffnung, dass ihre Situation ein gutes Ende nehmen konnte. Aber zuerst galt es, für die Sicherheit Belegorns und Hilgorns zu sorgen.
Als Aerien an Belegorn vorbei kam, versuchte sie dem Jungen beruhigend in die Augen zu blicken. Aber stattdessen erreichte sie das Gegenteil. Als er ihr Gesicht sah, wurde er noch bleicher als zuvor und beschleunigte seine Schritte. Aerien musste sich sehr beherrschen, nicht die Fassung zu verlieren. Auch sie ging etwas schneller und kam schließlich bei Balákan an, der sie bereits erwartete.
“Sehr gut. Und jetzt, verschwindet, ihr beiden,” sagte Balákan in Richtung des Eingangs der Scheune.
Hilgorn hatte einen schützenden Arm um Belegorn gelegt, der sich ängstlich an seinen Onkel drückte. Der General blieb noch einen Moment in der Tür stehen und sein Blick schien Aerien beinahe zu durchbohren. Doch dann verschwand Hilgorn, ohne noch ein Wort zu sagen.
“Und was geschieht jetzt?” fragte Aerien nach einer Weile, als sie den kalten, starrenden Blick ihres Bruders und die Stille nicht mehr ertrug.
“Jetzt unterhalten wir beide uns, kleine Schwester. Du wirst mir erzählen, wie du Mutter getötet hast. Und weshalb.”
Damit hatte Aerien nicht gerechnet. Sie riss die Augen auf und schaute Balákan ungläubig an. “Mutter ist tot?”
“Deine falschen Gesichtsausdrücke wirken bei mir nicht, Azruphel. Du kannst mir nicht erzählen, dass du es noch nicht gewusst hast. Sie starb an dem Abend an dem du den Wächterstein aus Vaters Solar holtest.”
“Aber... ich habe sie nicht getötet, ich könnte es nicht... niemals. Selbst nicht, nachdem sie versucht hat, mir das Leben zu nehmen. Sie hatte eine Morgulklinge...”
Balákan musterte sie mit einem eiskalten, durchdringenden Blick. “Aber wenn du es nicht warst, wer... ah. Diese Weißhaarige. Sie muss es gewesen sein.” Zu Aeriens Erstaunen begann ihr Bruder zu lachen. Aber es war kein fröhliches Geräusch, das zum Mitlachen anregte. Es war ein bösartiges, grausames Lachen. Den Grund dafür sollte sie gleich darauf erfahren. “Deine tapfere Narissa war es, nicht wahr? Und sie hat es dir verschwiegen! Wie köstlich! Liebt sie dich so sehr, dass sie nicht will, dass du herausfindest, dass sie unsere Mutter ermordet hat, hm? Ist es das? Oh, wie es mich in den Fingern juckt, dich mit ihr zu konfrontieren... aber sie rennt gerade in Harad in ihren sicheren Tod, und du.. du wirst schon bald wieder dort sein, wo du hingehörst. Durthang braucht eine neue Fürstin, jetzt wo unsere Mutter fort ist. Eine, die dem Gebieter absolut treu ergeben sein wird... sei unbesorgt. Varazîr wird dafür sorgen, dass deine Loyalität dem Auge gegenüber über jeden Zweifel erhaben sein wird, wenn er mit dir fertig ist...”
Aerien konnte sich nur grob vorstellen, was ihr jüngerer Bruder mit ihr anstellen würde, aber der Gedanke daran nahm nur wenig Raum in ihrem Kopf ein. Stattdessen wiederholte sich in ihrem Innersten ein einzelner Satz immer wieder und wieder...
Narissa hat meine Mutter getötet. Sie hat sie getötet und es vor mir verheimlicht.
Balákan versetzte ihr einen Schubser, der sie wieder zurück in die Wirklichkeit brachte. Aerien wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Es kam ihr beinahe vor, wie eine Unendlichkeit.
“Ich habe mich um entschieden,” sagte ihr Bruder. “Ich überlasse dich deinem selbst gewählten Schicksal.” Er trat von ihr weg und schleuderte seine Fackel kurzerhand auf einen der herumliegenden Heuballen, welcher sofort Feuer fing. Als das Feuer aufloderte, trat er zum Tor. “Wähle, Schwesterchen! Du kannst entweder hier bleiben, bis die Flammen dich nehmen, und findest dann vielleicht deinen Frieden, oder du gehst hinaus und stellst dich denjenigen, von denen du dachtest, dass sie deine Freunde waren, die dich wegen deiner Abstammung hassen, und stellst dich dem wissen, dass deine geliebte Narissa deine Mutter getötet hat. Entscheide dich! Wir sehen uns wieder... so oder so...”
Balákan verschwand durch das einen Spalt offen stehende Scheunentor. Aerien blieb allein zurück, während sich die Flammen immer schneller in der staubtrockenen Scheune ausbreiteten. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Balákans Worte nagten an ihr. Hilgorn verachtete sie dafür, dass sie seinen Neffen in Gefahr gebracht hatte. Und Damrod hatte sie schon von Anfang an nicht ausstehen können, da war sie sich sicher. Was würde der Rest Gondors von ihr denken, wenn sie das Geheimnis ihrer Abstammung erführen? Der Schatten Mordors verfolgte sie, und sie würde immer wieder Unheil über jene in ihrer Nähe bringen, das hatte das Bespiel Belegorns nicht zuletzt gezeigt. Selbst Narissa schien sie nicht so zu lieben, wie sie gedacht hatte, hatte sie doch das Geheimnis um den Tod von Aeriens Mutter vor ihr geheim gehalten. Aerien haderte lange mit sich. Sie wollte ihre angestaute Wut und Angst herausschreien, doch ihre Kehle war wie ausgedörrt. Nur ein leises Krächzen kam heraus, als sie den Mund öffnete. Dann musste sie husten, als sich Rauch in der Scheune auszubreiten begann. Aerien sprang erschrocken beiseite, als ein brennender Dachbalken krachend vor ihr herabstürze. Sie wusste, dass ihr die Zeit davon lief. Es war bereits unerträglich heiß im Inneren.
Da endlich fand sie die Entschlossenheit, eine Wahl zu treffen. “Mordor... kann nicht für immer siegen,” murmelte sie in der Elbensprache, und die Worte gaben ihr Kraft. Sie warf einen Blick zur Tür und taumelte hustend darauf zu, doch ehe sie dort ankam, brach ein Teil des Daches zusammen und versperrte ihr den Ausgang. Sie saß fest, und die Flammen kamen immer näher...
Eandril:
Hilgorn warf Aerien einen letzten Blick zu, bevor er sich abwandte und Belegorn mit sich aus der Scheune zog. Sobald sie das Gebäude verlassen hatten, begann der Junge sich zu winden und gegen Hilgorns Griff zu wehren, doch Hilgorn ließ ihn nicht los bevor sie den Rand eines kleinen Wäldchens, dessen Bäume dunkel in den Nachthimmel ragten, erreicht hatten.
Erst dort ließ Hilgorn seinen Neffen los, ging vor ihm auf die Knie und legte ihm die Hände auf die schmalen Schultern. "Bist du verletzt? Hat er dir irgendetwas angetan?"
"Nein", murmelte Belegorn beinahe unhörbar, den Kopf zur Seite gewandt. Hilgorn zögerte einen Augenblick. "Du glaubst, das ist meine Schuld, nicht wahr?", fragte er leise und mit unsicherer Stimme. Belegorn nickte, sichtlich gegen Tränen ankämpfend.
Hilgorn suchte nach den richtigen Worten, denn insgeheim stimmte er Belegorn zu. Hätte er Aerien nicht vertraut und sie mit nach Tíncar genommen, wäre ihr verfluchter Bruder niemals auf die Idee gekommen, ausgerechnet Belegorn als Druckmittel zu verwenden. "Und du hast Recht", fuhr er schließlich langsam fort. "Ich... hätte besser auf euch aufpassen müssen, auf dich, deine Mutter und deine Schwester." Ihm kam ein furchtbarer Gedanke. "Geht es... geht es ihnen gut?"
"Ich weiß nicht", antwortete Belegorn so leise, dass es beinahe ein Flüstern war. "Sie haben mich draußen vor der Stadt erwischt, ich wollte mich mit meinen Freunden treffen."
Hilgorn verzichtete darauf, Belegorn Vorwürfe zu machen, sondern sagte stattdessen nur: "Dann geht es ihnen sicher gut. Ich glaube nicht, dass dieser Bastard damit nicht vor mir geprahlt hätte." Belegorn sah ihn erschrocken an, und Hilgorn musste unwillkürlich lächeln. Faniel achtete sehr genau auf die Ausdrucksweise ihrer Kinder, und 'Bastard' gehörte ganz sicher nicht zu den erlaubten Wörtern. "Manchmal geht es einfach nicht anders, und man muss ein wenig fluchen", sagte er, und fügte im Verschwörertonfall hinzu: "Aber das bleibt unter uns, in Ordnung? Kein Wort zu deiner Mutter." Zu seiner Erleichterung zuckten Belegorns Mundwinkel ein wenig, und er wirkte ein klein wenig fröhlicher als zuvor.
Eine Bewegung in Richtung der Scheune erregte Hilgorns Aufmerksamkeit. Eine dunkle, hochgewachsene Gestalt war aus dem Tor hervorgetreten. Durch den offenen Spalt hinter ihm flackerte orangenes Licht.
"Noch da, General?", fragte Balákan in spöttischem Tonfall. "Schön, schön. Meine... Schwester wird gleich hier herauskommen, und ihr könnt mit ihr machen was ihr wollt." Er sprach das Wort 'Schwester' aus wie eine Beleidigung. "Oder sie wählt den leichten Ausweg und bleibt einfach drinnen. Wie auch immer, es war mir eine Freude." Als Hilgorn aufstand und das Schwert zog, richtete Balákan die Armbrust auf ihn. "Na, keine unüberlegten Handlungen." Hilgorn blieb stehen, in der einen Hand sein Schwert, die andere Hand auf Belegorns Schulter gelegt.
"Sehr gut. Ihr seid wirklich ein braver Soldat." Er war zu weit entfernt und es war zu dunkel um seine Miene erkennen zu können, doch Hilgorn konnte das höhnische Grinsen in seinen Worte geradezu hören. "Ich soll euch auch von meinem Bruder Varazir grüßen... eure kleine Begegnung an der Furt hat ihn gut unterhalten. Bis zum nächsten Mal dann."
Mit den letzten Worten wandte er sich um, und verschwand in der Dunkelheit.
"Bastard", sagte Belegorn leise, und Hilgorn lächelte angespannt. "Du sagst es, mein Junge." Seine Aufmerksamkeit wurde von der Scheune angezogen. Offenbar hatte Balákan Heu und Stroh in Brand gesetzt, und erste Flammen begannen bereits an der Außenwand zu lecken. Hilgorn warf dem brennenden Gebäude einen langen Blick zu, und drückte dann Belegorns Schulter.
"Komm", sagte er leise. "Hier gibt es nichts mehr für uns zu tun."
Hinter ihm knackte es hörbar, und zu Hilgorns nicht allzu großer Überraschung brach Serelloth aus dem Gebüsch hervor, zerzaust, außer Atem und sichtlich zornig.
"Du kannst doch nicht einfach abhauen!", stieß sie hervor, und deutete in Richtung der brennenden Scheune. "Aerien ist noch dort drin!"
Hilgorn warf ihr einen langen Blick zu, und hob dann die Schultern. "Weiß dein Vater dass du hier bist?"
Serelloth schüttelte heftig den Kopf. "Nein, aber das ist doch jetzt völlig egal. Wir müssen Aerien da rausholen!"
"Ihr Leben liegt in ihrer eigenen Hand", erwiderte Hilgorn tonlos. "Es ist ihre eigene Entscheidung, was geschieht."
"Ach, Unsinn!", gab Serelloth zurück. "Ich weiß nicht, was dieser Kerl zu ihr gesagt hat, aber es war bestimmt irgendein düsteres Geheimnis aus ihrer Vergangenheit. Jetzt fühlt sie sich nicht würdig, unter uns edlen, tapferen, guten Menschen zu leben, will sich auch Mordor nicht wieder anschließen, und glaubt, nirgendwo hinzukönnen. Lieber lässt sie sich lebendig verbrennen!"
Bei ihren letzten Worten stürzte mit einem hörbaren Krachen ein Teil des Scheunendaches ein. "Ich kenne Aerien schon deutlich länger als du, General, und auch deutlich besser", fuhr Serelloth fort. "Weißt du, dass ihre Familie genau diese Sache schon einmal versucht hat? Ihr Vetter hat mich in seine Finger bekommen und das benutzt um Aerien zu erpressen. Und sie hat alles getan damit mir nichts passiert - genau wie jetzt. Es ist doch völlig egal, woher jemand kommt, ein guter Mensch ist ein guter Mensch. Was muss sie denn noch tun, um das zu beweisen?" Gegen Ende waren Serelloths Worte beinahe verzweifelt geworden, und eine einzelne Träne lief ihre Wange hinunter. Hilgorn warf einen Blick hinunter zu Belegorn, der dem Austausch mit aufgerissenen Augen gefolgt war, und mit einem Mal schämte er sich ein wenig. Er ließ Belegorns Schulter los, und stieß sein Schwert in die Scheide zurück, bevor er zu seinem Neffen sagte: "Belegorn, bleib bei Serelloth." An letztere gewandt fügte er hinzu: "Pass gut auf ihn auf."
Serelloth nickte eifrig, und Hilgorn ging entschlossen in Richtung der Scheune davon. Noch bevor er am Tor angekommen war, brach ein weiterer Teil des Dachs direkt vor dem Ausgang zusammen, und Hilgorn zuckte vor der Hitzewelle, die davon ausging, zurück. Dieser Weg kam offenbar nicht mehr in Frage. Er eilte um das langgezogene Gebäude herum, doch die Seitenwand war aus massivem Holz ohne einen Weg nach drinnen. Auf der Rückseite hatte er mehr Glück. Oben in der Wand öffnete sich ein kleines Fenster, gerade groß genug dass sich ein Mensch hindurch quetschen konnte - doch es war zu weit oben um es ohne Hilfe zu erreichen. Kurzentschlossen zog Hilgorn sein Schwert und rammte es so tief er konnte ungefähr auf halber Höhe zwischen Boden und Fenster in die Holzwand. Er atmete tief durch, und stellte mit etwas Mühe einen Fuß auf die Klinge. Das Metall zitterte, aber es hielt - noch. Er schüttelte über sich selbst den Kopf, und stieß sich dann mit aller Kraft von der Schwertklinge ab. Sie brach mit einem scharfen Knacken, doch der Schwung genügte dass Hilgorn die Unterkante des Fensters mit beiden Händen packen konnte. Mit einiger Mühe zog er sich nach oben, wo ihm die Hitze im Inneren der Scheune wie eine Wand entgegen schlug. Er befand sich auf einem erhöhten Boden, der sich knapp unter dem Dach einmal rundherum entlang der Scheunenwände zog. Hier hatte es offenbar eine Leiter gegeben, doch irgendjemand hatte sie entfernt.
Das Gesicht mit den Händen vor umherfliegenden Funken schützend, blickte Hilgorn suchend hinunter in den Hauptraum der Scheune. Aerien stand ungefähr in der Mitte an eine der Außenwände gedrückt, rings um sie herum Flammen. Sie hatte einen Arm zum Schutz vor dem Rauch vor das Gesicht gepresst, doch es schien nicht viel zu helfen. Den Weg zur Tür versperrte eine einzige Feuerwand wo die beiden Dachbalken heruntergekommen waren, und auch zur anderen Seite hin war ihre Flucht von brennendem Stroh abgeschnitten.
"Hier!", rief Hilgorn, und musste sofort von dem dichten Rauch husten. Er musste noch zwei Mal rufen, bevor Aerien ihn über das Tosen der Flammen hörte. Ein Funken traf ihn, und versengte ein Stück Haut auf seiner Wange, doch Hilgorn beachtete den Schmerz nicht. "Durch das Feuer!", rief er, legte sich flach auf den Bauch und streckte seine Hand nach unten aus. Aerien zögerte. "Nun mach schon!"
Aerien straffte sich sichtlich, und stürmte dann mit zwei, drei langen Schritten durch das Feuer, dass ihr den Weg zu Hilgorn versperrte. Die Flammen leckten an ihren Stiefeln, doch nur kurz, und dann machte sie einen Sprung und ergriff Hilgorns ausgestreckte Hände. Mit beinahe unmenschlicher Anstrengung richtete Hilgorn sich langsam auf und zog Aerien dabei mit in die Höhe. Zum Glück wurde es leichter sobald sie ihre Ellbogen auf den hölzernen Boden stützen konnte, und nur wenig später lag sie hustend auf den rauen Brettern. Hilgorn warf einen Blick zu den Stützstreben, die bereits munter brannten. Lange würden sie hier nicht mehr sicher sein, also packte er Aerien unsanft an den Armen und zog sie auf die Füße. Er deutete auf das schmale Fenster. "Dort hindurch!" Als Aerien zögerte und ihm offenbar den Vortritt lassen wollte, stieß er sie grob in Richtung des Fenster. "Geh schon!"
Die Füße voran quetschte Aerien sich durch die schmale Öffnung. Nur einen Herzschlag später tat Hilgorn es ihr gleich, mit dem Effekt, dass er beinahe auf ihr gelandet wäre.
Einen Augenblick lagen sie nebeneinander auf dem wunderbar kühlen, nachtfeuchten Gras, noch immer hustend vom Rauch. Schließlich richtete Aerien sich ein wenig auf, und sagte: "Ich... hätte nicht gedacht, dass du zurückkommst."
Hilgorn tat es ihr gleich, und erwiderte noch im Aufstehen: "Ich hatte es auch um ehrlich zu sein nicht vor." Er streckte ihr die Hand entgegen, die sie ohne Zögern ergriff und sich auf die Beine helfen ließ. "Serelloth hat mich eines besseren belehrt. Sie... hatte gute Argumente." Er warf einen Blick zurück auf die brennende Scheune, und in diesem Augenblick stürzte mit einem gewaltigen Krachen das gesamte restliche Dach auf einmal ein. Eine Rauchwolke hüllte sie ein, und gemeinsam wichen sie einige Schritte zurück bis sie weit genug von den brennenden Trümmern entfernt waren. Hilgorn holte tief Luft, und die kalte Nachtluft linderte das Brennen in seinem Hals ein wenig.
"Bevor wir zurückgehen...", begann er, und zwang sich, Aerien anzusehen. "Ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe zugelassen, dass meine Vorurteile und mein Hass auf Mordor meine Blick getrübt haben und verhindert haben dass ich sehe, wovon Serelloth mich überzeugt hat: Du bist ein guter Mensch, Aerien, und dein Überleben ist ein größerer Sieg gegen Mordor als sie sich vielleicht vorstellen können."
Aerien erwiderte seinen Blick für einen Augenblick, bevor sie sich abwandte: "Ich hätte es dir nicht verschweigen sollen", sagte sie leise. "Aber..." Hilgorn legte ihr eine Hand auf die Schulter, bevor sie aussprechen konnte. "Ich verstehe", sagte er. "Vermutlich hätte ich es genauso gemacht. Tatsächlich habe ich als junger Mann auch ungern über meine Herkunft geredet, und ich hatte viel, viel weniger Grund dazu, darüber zu schweigen."
Aerien nickte nur. Sie wirkte ein wenig abwesend, und Hilgorn bekam das Gefühl, dass Serelloth auch in dieser Beziehung Recht gehabt hatte. Irgendetwas hatte Balákan zu ihr gesagt, was sie tief erschüttert hatte, doch er fragte nicht nach. Ob und mit wem Aerien sprechen wollte, war ihre eigen Entscheidung.
"Komm", sagte er, und drückte ihre Schulter. "Lass uns Serelloth und Belegorn suchen, und dann von hier verschwinden. Es wird Zeit, dass wir nach Dol Amroth zurückkehren."
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