Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Gondor (Süd)

Unter den Emyn Arnen

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Thorondor the Eagle:
In den folgenden Wochen:

„Elea, wenn ihr kämpfen wollt, so müsst ihr das Schwert auch in der Hand halten!“, redete ihr Doreal zu.
„Ich weiß!“, fauchte sie zurück.
„Hier!“
Zögernd hob sie ihre Hand und kam dem Heft Milimeter für Milimeter näher. Das Blut in ihren Adern war am gefrieren und ihr Körper bebte…


Ein kalter Schauder lief Elea den Rücken hinunter. Ihre Hand zitterte.
„Was ist los mit euch? Mit solch einer zittrigen Hand könnt ihr nie und nimmer eine Karte abmalen… es sei denn ihr wollt Berge versetzten oder Flüsse umleiten.“
„Verzeiht, lasst mir einen Moment ruhe, dann wird es sicher gleich besser.“
„Was beschäftigt euch denn so?“
„Nichts, gar nichts“, sie schwieg einen Moment, hakte aber dann gleich nach: „Sagt, gibt es noch mehr von diesen Berichten, wie jenen aus vorletzter Nacht… von Ioreth?“
„Diese Art sind eher eine Seltenheit. Aber es gibt die Chroniken und dies sind mehrere hundert Bände seit der Gründung der Stadt. Unsere Zunft hat ihren Ursprung bereits in Numenor und die Tradition alles zu vermerken haben meine Vorfahren mit in dieses Land gebracht. Seit Beginn dieses Reiches wird alles von uns notiert was auch nur irgendwie von höchstem belangen ist, oder auch weniger.“
„Habt ihr auch Berichte über den König aus dem Norden?“
„Oh das ist wahrlich lange her, diese Berichte findet ihr in Minas Tirith, aber nicht hier.“

Die Hand Eleas hatte sich ein wenig beruhigt. Lautlos griff sie nach der Feder und dem Tintenfass. Sie starrte auf den harten Griffel in ihrer Hand…


„Seht ihr, jetzt habt ihr es doch geschafft“, freute sich Doreal.
Es kam der Dunedain wie eine Ewigkeit vor, als sie das Schwertheft in ihrer Hand sah. Es kam ihr nicht so vor als wären es ihre eigenen Finger die diese metallene Waffe festhalten: „Und nun?“
„Nun legen wir es wieder weg und verwenden etwas weit aus weniger gefährliches.“
„Du scherzt?“
„Nein leider, aber alles was wir jetzt lernen wäre umsonst, wenn ihr nicht in der Lage seit ein Schwert zu führen.“
„Da hast du vermutlich Recht, Doreal.“

Mit einem Mal nahm er ihr das Schwert aus der Hand und reichte ihr einen nicht weniger langen Stock: „Beginnen wir mit der ersten Attacke. Ihr müsst auf jedenfall darauf acht geben, dass ihr euch verteidigen könnt, ob mit Schwert oder Schild oder lediglich einem Stock. Schaut!“

Der Soldat hielt das Schwert etwa in einem 45 Grad Winkel von seinem Oberkörper entfernt. Langsam zeigte er eine Art Grundattacke, die aussah als würde er auf jemanden einhacken. Unaufgefordert machte es Elea ihm nach. Sie empfand es als erstaunlich einfach.

„Und nun stellt euch gegenüber von mir hin. Dasselbe nochmal!“
Elea holte nach rechts aus, genauso wie Doreal. Die Stöcke prallten aufeinander. „Genauso!“ Rechts, links, rechts, links…
Plötzlich beugte sich der Soldat übernatürlich weit nach hinten, holte mit seinem Stock aus und schlug ihn ein Stück über der Hüfte auf Eleas Körper. „Au!“


Ein Schmerz durchfuhr ihren Körper als sie sich den Stuhl zurecht rückte. Vorsichtig griff sie sich auf den Bluterguss auf ihrer Hüfte.
„Was ist los? Tut euch etwas weh?“, fragte Thandor aufmerksam, obwohl er kaum von seinem Manuskript aufsah.

„Seht ihr, mir fällt gerade ein, dass ihr mich in den vergangnen Tagen nach den Königen des Nordens gefragt habt. Schaut, dies dürfte euch interessieren.“ Er überreichte ihr ein in Leder gebundenes Buch mit der Aufschrift Heldenlieder des Nordens.
„Ihr seid sehr aufmerksam. Aber ich meinte nicht die Könige aus der altvorderen Zeit…“
Thandor wurde aufmerksam: „Ihr fragt nach ihm? Kanntet ihr auch ihn?“
„Nur aus Erzählungen von Ioreth“, redete sich Elea aus.
„Zu kurz war seine Herrschaft über Gondor als das er irgendwo Erwähnung fand. Wenn ihr etwas über ihn wisst, dann müsst ihr es mir sagen oder aufschreiben. Er ist die größte Hoffnung der letzten Jahrzehnte die das Volk Gondors jemals hatte. Gutmütig, gerechet, weise und erfahren; furchtlos aber nicht tollkühn… Ein Held so wie er in diesem Buche steht. Ein Held so wie wir ihn brauchen.“
„So sprach auch Ioreth von ihm“, lächelte Elea und sie bemerkte, dass ihre Augen feucht wurden.
„Meine Liebe, ihr müsst mir nicht sagen wer ihr seid, aber euer Gesicht verrät mir, dass ihr den Mann von dem wir sprechen, gekannt habt. Es sei den ihr wärt überdurchschnittlich patriotisch, sodass euch allein meine Worte so berühren… Für seine Geliebe vergießt ihr ein bisschen zu wenig Tränen, aber für eine Konkubine würde es vermutlich reichen.“
Das traurige Gesicht wich schlagartig einem zornigen: „Was fällt euch ein so über ihn und über mich zu sprechen. Sein Herz war vergeben und niemals würde er sie, die eine die er liebt, verletzen“, antwortete sie bestimmt.
„Der Mantel einer zornigen Frau ist nicht sehr dick, aber bitte, verzeiht mir meine Anmaßung.“

In der Aufregung hatte Elea vergessen die Tinte abzutupfen ein Tropfen löste sich von der Feder und fiel nach unten...


„Au!“, schrie Doreal. Elea sah wie der rote Tropfen auf dem kalten Steinboden zersprang.
„Nein, verzeiht… verzeiht mir!“, stotterte sie und drückte ihm sofort ein Tuch gegen die Wunde auf der Hand.
„Ihr müsst mich ja nicht gleich umbringen. Ich bin doch euer Freund.“
„Verzeih mir!“, sagte sie nochmals.
„Ihr seid gut geworden in den letzten Wochen. Das harte tägliche Training hat sich durchaus rentiert.“
„Aber die Übung fehlt mir in jedem Fall noch!“
„Ich hoffe ihr seid mir nicht böse, wenn ich mich dafür nicht mehr zur Verfügung stelle. Ich würde gerne Arme und Beine weiterhin verwenden.“
„Vielleicht sollten wir wieder die Stöcke verwenden.“
„Das wäre wohl nur ein Rückschritt nach all den Strapazen und draußen auf dem Schlachtfeld nützt euch ein Stock nur äußerst wenig“, sagte der Soldat.
„Ein gutes Stichwort mein Freund, ich denke es ist an der Zeit dieses schützende Höhlensystem zu verlassen. Es gibt wichtiges zu berichten.“
„So? Was kann das denn sein?“

Sie reichte Doreal das Schwert und zog aus der Tasche ein zusammengefaltetes Pergament. Ihr Blick verharrte auf dem Dokument.
„Herrin?“, fragte Doreal.
Aus dem Gedanken gerissen antwortete sie: „Ich hab noch etwas zu erledigen. Aber Doreal, begleitest du mich, wenn ich die Emyn Arnen verlasse?“
„Überall hin!“, sagte er mit Überzeugung.

Der Dunedain huschte ein Lächeln über die Lippen als sie sich umdrehte und den Raum verließ.

Thorondor the Eagle:
Aus der Sicht Thandors

Sorgsam rollte der Archivar eine Schriftrolle auseinander. Sie war sehr alt und sehr lang. „Ah, ich sehe, du wurdest lange nicht mehr angeschaut und erneuert. So mancher würde mich fragen ob es denn noch Sinn macht dich zu ergänzen, aber erstens, wer weiß das schon und zweitens hat es uns nie gekümmert wie sinnhaft unsere Arbeit ist oder auch nicht.“, nuschelte er zu sich selbst.
Verkrampft versuchte er sich an alles zu erinnern was er aufschreiben wollte, aber es viel ihm nicht ein. Er starrte in die einsame Flamme der Kerze, welche vor ihm stand. Wie auch schon fünf Tagen zuvor brannte sie unbekümmert der Anwesenden vor sich hin.

„Ich wollte mich nur noch von euch verabschieden und mich ein letztes Mal bedanken“, sagte Elea leise und sie spürte, dass ihre Augen feucht wurden.
„Das war zu erwarten“, entgegnete Thandor.
„Das ich gehe?“
„Nein, dass ihr euch aus lauter Schuldgefühlen heraus zum hundersten Mal bei mir bedankt… Natürlich, das ihr geht.“
„Eure provokante Art werde ich wohl nicht vermissen, aber alles andere. Diese Hallen gaben mir doch die nötige Ruhe und Kraft um wieder auf die Beine zu kommen und zu der zu werden die ich war.“
„Wenn ihr wieder so seid, wie ihr ward, solltet ihr lieber bleiben!“, scherzte er.
„Sehr witzig. So wie ich vor meiner Ankunft in den Höhlen war, vor meiner Ankunft in Minas Tirith… oder besser gesagt in Gondor.“
„Ich habe vermutet, dass ihr von weiter her kommt. Zu wenig kennt ihr von unseren Gebräuchen und unseren Sitten.“
„Ihr seid sehr scharfsinnig.“
„Ich bin Archivar, Details sind mein Leben“, grinste er „Wartet einen Moment…“. Wie gewohnt stand er auf und kramte in seinen Unterlagen herum. „Ich kenne euch nun gut genug um zu wissen, dass es bei euch nicht in den falschen Händen ist; außerdem lautete der Befehl bloß, nicht das Schreiben selbst in falsche Hände zu geben aber von einer Abschrift war nie die rede. Haltet es gut versteckt, wenn es stimmt was darin steht, so darf es nicht an die Öffentlichkeit gelangen… der Norden ist sicher und noch nicht verloren. Geht dorthin wenn euch an eurem Leben etwas liegt.“

Besorgt und ein wenig zittrig nahm sie das Pergament entgegen.
„Ich danke euch für euren Rat und eure Freundschaft. Ich werde zurück in den Norden gehen, aber nicht aus Gründen der Sicherheit.“
„Wie auch immer.“, antwortete er „Lebt wohl.“

Am nächsten Morgen kam Thandor wie gewohnt in seine Halle. Die Kerzen waren alle erloschen und es roch noch nach kaltem Rauch und Kerzenwachs. „Guten morgen“, richtete er an die Bücher und Schriftrollen. Petantisch musterte er die Regale und seinen Tisch ehe er den Brief am Pult entdeckte.

Lieber Thandor,
ich habe euren Rat befolgt und obwohl die Zeit knapp war und meine Kräfte begrenzt, so habe ich doch die heutige Nacht genutzt um euch dieses Geschenk zu bereiten. Bis zu unserem nächsten Treffen, In Dankbarkeit, Elea

Er schob den Brief beiseite und fand etliche Blätter an beschriebenen Pergamentstücken:

Es gibt nicht viel über mich zu sagen, mein lieber Thandor, außer dass ich – wie du schon weißt – eine der Dunedain bin. Meine Großmutter war Ivorven, Mutter von Arathorn dem II und meiner Mutter,…
…Es war ein kühler Herbsttag, als ich besorgt um das Leben meines Großvaters zitterte. Ich saß an der Kante seines Bettes und streichelte behutsam über seine Stirn. An meinem Hals glitzerte unser ältestes Erbstück, der Stern Elendils. Ich sah wie das Leben aus seinen Augen wich und die Worte „Lote in Dunadan“ seinen lahmen Lippen entwichen. So nannte er mich seit ich ein Kind war. Die letzte weibliche Nachfahrin Elendils…
…der frühe Herbst legte sich über das Blätterdach der Wälder um Annuminas. Ich werde diesen Tag niemals vergessen, an dem Haldar mit dem Rest der Grauen Schar in den Süden ritt. Er lies mich und meinen Sohn Helluin allein, wie wir erfahren sollten – für immer…
…und in einer Stunde, in der ich jegliche Hoffnung verloren hatte, in der mein Sohn mich verlassen hatte um Soldat zu werden, traf ich auf Brianna, die Kräuterfrau. Ich wusste nicht viel über sie, doch war ihr Herz rein und ihre Hilfe bedingungslos. Sie machte sich mit mir auf in Richtung Süden um Haldar zu finden und um die düsteren Jahre meines Lebens ungeschehen zu machen…
…wir trafen auf ein zerstörtes Edoras und auf ein übervölkertes Aldburg. Flüchtlinge aus allen Windrichtungen waren dort versammelt und warteten auf den Hungertod oder auf das Erfrieren… Wenige Wochen nur war ich Gehilfin Ioreth‘ in den Heilhäusern und Ihrer Versammlung an Königstreuen ehe ich in eine Rolle gezwängt wurde die ich niemals einnehmen wollte. Als Verlobte des Feindes wurde ich zur Verräterin und zur Hassfigur des Volkes…
…Als Herumor fiel und Minas Tirith im Chaos versank, fasste man mich und folterte mich über Tage, Wochen oder Monate. Ich weiß es nicht mehr, denn ich habe diese Zeit verdrängt. Das nächste was ich weiß, war dass ich meine Freunde verlor, Beregond den Turmwächter, Brianna die Kräuterfrau, Paola die Kurtisane… Minas Tirith versank für immer im Dunkeln…

Und nun war ich hier bei euch in den verborgenen Hallen der Emyn Arnen und verstecke mich und meinen Namen vor der Welt, aber nichts wünsche ich dem Volke mehr, als Aragorn den II. auf dem Thron. Nichts wünsche ich Gondor mehr als Freiheit. Nichts wünsche meinen Freunden mehr als ein Leben in Frieden. Nichts wünsche ich mir mehr als meinen Sohn zu sehen. Ich habe ihn verlassen um meine Familie zu finden und habe dabei völlig vergessen, dass er es ist und immer war.

Die Flamme flackerte weiterhin stumm vor sich hin. Sorgsam streifte Thandor die überschüssige Tinte von der Feder. In seiner schönsten Schrift, schrieb er „Erelieva, Lote in Dunadan“ auf das Pergament, daneben Haldar und darunter Helluin. Er verband die Namen mit den dafür vorgesehen Strichen.
„Jetzt bist du wieder vollständig“, sagte er zufrieden zu sich selbst und rollte den Stammbaum der Erben Elendils zusammen.


Elea und Doréal den Anduin hinab...

Fine:
Beregond, Aerien und die Waldläufer Ithiliens von Süd-Ithilien


Ungefähr eine Stunde lang war Aerien von den Waldläufern geführt worden - oder vielmehr vor ihnen hergeschoben worden, ohne dass sie sehen konnte, wohin sie ging. Sie waren die meiste Zeit auf leicht ansteigendem, aber recht unwegsamem Gelände gegangen, doch nun begann der Weg mit einem Mal deutlich steiler zu werden. Oben angekommen spürte sie, wie der Untergrund fester wurde. Der Boden hier scheint aus glatten Felsen oder gemauerten Steinen zu bestehen, dachte sie und versuchte mit ihrem Gehör einen Anhaltspunkt zu erhalten, wo sie sich befand.
Der Waldläufer, der hinter ihr her ging, stieß sie weiter vorwärts. Ihr Fuß trat ins Leere und sie stolperte nach vorne. Sie wäre gestürzt wenn man sie nicht am Arm festgehalten hätte, denn es ging nun eine steile Treppe die sich im Kreis nach unten wand hinab. Aerien hörte, wie die Schritte der Gruppe laut zu hallen begannen. Wir müssen in einer Art Höhle sein, schlussfolgerte sie.

Sie wurde noch eine ganze Weile weitergeführt bis jemand ihr endlich die Augenbinde abnahm. Sie blinzelte aufgrund des plötzlichen Lichtes, das von einer nahen Fackel stammte. Sie befand sich tatsächlich in einer Höhle. Es schien eine Sackgasse zu sein, denn der einzige Zugang war der, durch den man sie offenbar gerade gebracht hatte. Im Durchgang standen zwei grimmig dreinblickende Waldläufer - ein Mann und eine Frau - die ihre Hände nie weit von den Griffen ihrer Schwerter entfernten. Meine Bewacher, stellte sie fest. Sie blickte sich weiter um. Einige leere Kisten standen am hinteren Rand der Höhle und zwei einfache Betten standen an einer der beiden gemauerten Wände, die vom Eingang ausgingen.
Aerien begann zu überlegen, wie sie am besten mit den Gondorern reden sollte. Sei diesmal wenigstens vorbereitet. Und vor allem: Überlebe!

Allzu weit kam sie nicht mit ihren Gedanken, denn schon bald darauf kündigten nahe Schritte mehrere Besucher an. Beregond trat herein, gefolgt von dem Waldläufer, dessen Leben Azruphel in dem Gefecht gegen die Orks gerettet hatte. Zuletzt kam ein Mann, der seine grüne Kapuze (im Gegensatz zu seinen Kumpanen) abgesetzt hatte. Er hatte dunkles Haar und musterte sie durchdringend.
Das muss ihr Anführer sein, vermutete Aerien.
Beregond trug nicht mehr die arg mitgenommene Kleidung eines Sklaven, in der er aus Minas Tirith geflohen war sondern war nun in ein Kettenhemd von gondorischer Machart und Brust- und Rückenpanzer gehüllt. Außerdem trug er einen schwarzen Wappenrock. Auch er warf Aerien einen undeutbaren Blick zu.
Vorsichtig machte sie einen Schritt rückwärts. Der Waldläufer, der als letzter die Höhle betreten hatte kam auf sie zu und blieb in ungefähr zwei Metern Abstand vor ihr stehen. Einen Moment lang blickte er in die Augen und sie stellte fest, dass seine grau wie tiefer Nebel waren.
"Mein Name ist Damrod," erklärte er. "Ich würde gerne wissen, wie deiner lautet. Beregond hast du dich als Aerien vorgestellt, doch glauben wir nicht, dass dies dein richtiger Name ist, Mornadan."
Aerien sah keinen Sinn darin, Damrod zu belügen. Sie hoffte, dass man ihr zuhören würde, wenn sie von Anfang an die Wahrheit erzählte.
"Azruphel,"(1) sagte sie leise. "Mein Name ist Azruphel."
"Das ist schon besser," stellte Damrod fest. "Und wie weiter?"
"Azruphel von Haus Balákar. Bêlkali(2) von Aglarêth,"(3) antwortete sie.
Damrod schien damit nichts anfangen zu können. "Holt Thandor," befahl er, und einer der Waldläufer eilte hinaus.
"Ich will wissen, was du in Minas Tirith zu schaffen hattest," sagte Damrod. "Wieso hast du Beregond aus der Gefangenschaft befreit? Welchen Plan hattest du mit ihm?"
"Ich kam um mein Wissen über die Dúnedain von Gondor zu erweitern," erwiderte sie wahrheitsgemäß. "Und um meine Hilfe gegen Mordor anzubieten."
"Und du denkst, ich glaube dir das, nur weil du ein paar entbehrliche Orks erschlagen hast?" frage Damrod mit kalter Stimme. "Dieser Ort blieb den Dienern Saurons bisher verborgen und ich habe nicht vor, ihn auffliegen zu lassen indem ich dir leichtfertig vertraue."
"Ich habe nicht vor, euch zu verraten!" rief Aerien. "Ich kann euch helfen!"
Bevor Damrod antworten konnte kehrte der Waldläufer den er entsandt hatte in Begleitung eines alten Mannes zurück. Dieser kam näher und musterte sie einen langen Augenblick ohne etwas zu sagen.
"Azruphel von Durthang," sagte er schließlich leise. "Ich habe schon einiges über dein Haus gehört. Viele mächtige Feinde Gondors entstammen daraus."
"Also sagt sie die Wahrheit über ihre Herkunft?" schlussfolgerte Damrod.
"In der Tat," stimmte der alte Thandor zu. "Freunde, ihr wisst nicht, welch großen Fang ihr gemacht habt. Dies ist die Tochter des Fürsten der Mornedain(4), Varakhôr Adûnphazan."(5)

Erstauntes Schweigen folgte auf diese Feststellung. Aerien beschloss, die Gelegenheit zu nutzen.
"Ihr wisst, wer ich bin, und welches Gewicht mein Name hat. Könnt ihr denn nicht sehen, wie wenig Sinn es für meinen Vater ergeben würde, mich als Spionin zu euch zu schicken? Ihr würdet jemandem wie mir nie vertrauen. Versteht doch, dass ich aus eigenem Entschluss hergekommen bin. Ich habe Beregond befreit weil mich sein Leid bewegte und ich habe erkannt, dass Sauron der Feind aller Menschen, aber besonders der Feind der Erben Númenors ist. Er muss aufgehalten werden und ich will meinen Teil dazu beitragen."
"Du hattest also doch Mitleid mit mir?" sagte Beregond. "Warum gerade ich? Wieso hast du nur mich befreit und nicht auch den Rest der guten Männer, die sich in Minas Tirith zugrunde schuften?"
"Ich bin aus Mordor geflohen, gegen den Befehl meines Vaters. Ich hatte nicht viel Zeit bevor meine Tarnung auffliegen würde," erklärte sie.
"Sie hat mir auf der Straße das Leben gerettet," mischte sich der Waldläufer ein, an dessen Seite sie gegen die Orks gekämpft hatte.
"Still, Glóradan," sagte Damrod scharf. "Ich werde entscheiden, was mit ihr geschieht. Thandor?"
Der Alte trat vor. "Ja?"
"Du bist vertraut mit Elessar und den Dúnedain des Nordens. Wenn sie wirklich mit unserem König gesprochen hat wie sie Beregond gegenüber behauptet hat, dann soll sie es beweisen!"
"Wie?" fragte Aerien. "Ihr geht davon aus, dass jedes meiner Worte Lüge ist!"
Thandor blickte ihr in die Augen. "Du sagst, du hast mit Aragorn gesprochen und er hat dir vieles über Gondor, Arnor und die Dúnedain erzählt. Sprach er jemals auch von seiner Familie? Hat er dir von seinen Verwandten erzählt?"
"Er erwähnte einen Vetter... Halbarad, der im Kampf fiel. Geschwister hat er keine," antwortete Aerien, die angestrengt darüber nachdachte, worüber sie sich mit Aragorn unterhalten hatte.
"Und weiter?" verlangte Thandor.
"Es gab noch jemanden... eine Cousine... ihr Name war Elea."
Thandor zeigte zunächst keine Regung. Ein Augenblick der Anspannung verstrich, doch dann lächelte der Alte zufrieden. "Sie sagt die Wahrheit, Freunde. Damrod, mein Rat an dich ist, ihr zu vertrauen. Mein Herz sagt mir deutlich, dass sie gute Absichten hat."
"Die Entscheidung treffe ich selbst," sagte Damrod grimmig. Er ging mehrere Minuten in der Zelle auf und ab, tief in Gedanken versunken. Aerien hielt ihren Atem an. Ihr Schicksal stand auf Messers Schneide.

Ohne Vorwarnung kam eine junge Botin in den Raum gestürzt. "Damrod, wo ist Damrod? Ich habe eine dringende Nachricht für ihn!"
Alle blickten die Waldläuferin an, doch Damrod hob die Hand um sie zum Schweigen zu bringen. Ein weiterer langer Augenblick verging, dann öffnete er die Augen. "Sprich, Serelloth."
"Ich bringe eilige Kunde von Ioreth aus Linhir!" sprudelte es aus Serelloth hervor, deren hellbraunes Haar ganz zerzaust war. "Fürst Imrahil lässt dir ausrichten, dass Belfalas gesichert ist und er ein Bündnis mit den Haradrim Harondors und Nah-Harads geschlossen hat. Im Süden wird es Krieg geben. Er befiehlt dir, alle Männer die du entbehren kannst, kampfbereit zu machen und dem neuen Fürsten von Harondor zur Unterstützung zu entsenden."
Damrod blickte Serelloth einen Moment nachdenklich an. "Die Befehle des Truchsessen von Gondor werde ich nicht infrage stellen," sagte er dann. "Doch nur wenige Kämpfer kann ich momentan entbehren. Dieser neue Fürst Harondors, dieser Qúsay... er wird seinen Wert beweisen müssen bevor ich mich ihm vollends anschließe. Er wird sich zunächst damit begnügen müssen, dass wir die Nordgrenze Harondors, den Übergang über den Poros und den Turm von Barad Harn(6) bewachen werden. Er soll keinen Angriff aus Mordor fürchten müssen. Doch dies ist vorerst alles, was ich ihm anbieten kann."
Die Waldläufer Glóradan und Serelloth eilten davon, um Damrods Anweisungen weiterzuverbreiten.
Damrod wandte sich wieder Aerien zu. "Dies nun also ist mein Urteil über dich, Azruphel Bêlkali. Du wirst mir alles über die in Mordor verbliebenen Truppen, die Verteidigungsanlagen im Morgul-Tal und was du sonst über die militärische Einsatzbereitschaft Saurons weißt verraten. Lasse nichts aus! Dann wirst du von deinen Fesseln befreit werden, doch mein Vertrauen musst du dir verdienen. Du wirst dem Fürst Qúsay die Nachricht überbringen, dass ich auf Imrahils Anweisung seine nördliche Grenzen schützen und ihn im Krieg unterstützen werde, wenn er sich als treu zu Gondor stehend erweist. Du wirst noch heute nach Süden aufbrechen. Beregond wird mit dir gehen. Wenn du diesen Auftrag ohne Verrat ausführst wirst du dir mein Vertrauen erworben haben."

Aerien atmete lauthals auf. Allzu begeistert von Damrods Auftrag war sie zwar nicht, doch sie tröstete sich damit, auf dem Weg durch Ithilien und Harondor viele Orte zu sehen, die ihr Wissen über die Dúnedain Gondors erweitern würden. Sie erzählte Damrod alles, was er von ihr wissen wollte während der alte Thandor die wichtigsten Punkte mitschrieb. Dann führte man sie durch die Gänge des verborgenen Stützpunkts der Waldläufer nach draußen. Sie blickte sich um und sah Minas Tirith in weiter Ferne.
"Wir befinden uns am höchsten Punkt der Emyn Arnen," erklärte Beregond, der zwei gesattelte Pferde herbeiführte. "Dies," sagte er und wies auf die überwucherten Ruinen die sie umgaben, "ist Bâr Húrin(7), der alte Wohnsitz des Hauses Húrin."
"Das Haus der Truchsessen Gondors," stellte Aerien fest.
"Sehr gut, Aerien," nickte Beregond und lächelte. "Ich hatte gehofft, dass dein Herz so rein ist wie du es vorgabst," fügte er hinzu.
"Und dennoch hast du mich verraten."
"Ich musste sicher gehen, dass es keine Täuschung war. Ich wollte dir vertrauen. Doch Damrod ist ein vorsichtiger Mann. Nicht zuletzt deswegen gibt es seine Widerstandsgruppe hier in Ithilien überhaupt noch. Oft schon sind sie nur knapp der Entdeckung durch die Orks entronnen."
Aerien erwiderte nichts. Sie musste das Erlebte erst einmal verarbeiten. Unbeholfen schwang sie sich in den Sattel des hellbraunen Pferdes. Lôminzagar hatte man ihr zurückgegeben und ihre Rüstung sowie den grauen Mantel trug sie nach wie vor. Sie war bereit für die Reise nach Harondor.
Beregond trieb sein Ross an und preschte im Eiltempo in südlicher Richtung los. So gut sie konnte folgte Aerien ihm hinab von den Emyn Arnen auf dem Weg nach Harondor...


Aerien und Beregond nach Süd-Ithilien
(1) adûnâisch "Meerestochter"
(2) adûnâisch "Strahlende Jungfrau"
(3) adûnâisch "Glorreiche Festung" (Durthang)
(4) sindarin "Dunkelmenschen[/i] (Schwarze Númenorer)
(5) adûnâisch "Prinz des Westens"
(6) sindarin "Südturm"
(7) sindarin "Húrins Haus"

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