Valion, Ardóneth, Lóminîth, Rinheryn, Glóradan und Damrod aus Dol AmrothEinen ganzen Tag hatte ihr Ritt durch Belfalas und Dor-en-Ernil gedauert, doch nun, als die Sonne im Westen langsam unterging, näherte sich die Kolonne der gondorischen Verstärkungstruppe der Stadt Linhir. Fürst Imrahil und seine Eskorte waren bereits nach wenigen Meilen des Rittes nach Dol Amroth zurückgekehrt. Valion hatte einen berittenen Boten im Galopp vorausgeschickt, um der Garnison Linhirs ihre Ankunft anzukündigen. Als sie nur noch einige wenige Meilen von den Toren der Stadt entfernt waren, kehrte der Bote in Begleitung zweier weiterer Reiter zurück. Wie Valion schon bald erfuhr handelte es sich dabei um zwei der Offiziere des gefallenen Generals Hilgorn: dessen Adjutant, Balvorn, sowie ein weiterer gondorischer Hauptmann mit Namen Berion, der ebenfalls in der Schlacht im Schwarzgrundtal gekämpft hatte.
Valion lenkte sein Pferd auf einen kleinen Hügel etwas abseits der Straße und wies die Soldaten an, mit den Versorgungswagen weiter in die Stadt vorzurücken. Die Kommandanten Balvorn und Berion erstiegen den Hügel, nachdem sie abgesessen waren und sich ihre Helme unter den Arm geklemmt hatten. Rinheryn, Ardóneth und Damrod schlossen sich ihnen an, während Lóminîth beschlossen hatte, mit den Soldaten nach Linhir zu reiten. Sie würde dort auf Valion waren, der inzwischen ebenfalls abgesessen war.
"
Hír Valion," grüßte Balvorn und deutete eine knappe Verbeugung an. Berion, der neben ihm stand, tat es ihm gleich.
Valion war entschlossen, direkt zur Sache zu kommen. "Was gibt es, Kommandant?" fragte er.
"Nun, zunächst einmal bin ich froh, euch alle hier zu sehen," sagte Balvorn. "Auch wenn ihr weniger Schwerter bringt als wir erhofft hatten, wird doch jeder zusätzliche Mann von großer Hilfe sein."
"Wie ist die Lage in der Stadt?" wollte Valion wissen.
"Wir halten das Westufer des Gilrain-Flusses auf der gesamten Länge," sagte Berion. "Auch Linhirs Westhälfte ist noch immer in unserer Hand. Nur wenige der Stadtbewohner sind noch hier; die meisten sind nach Ethring evakuiert worden."
"Gab es Angriffe Mordors in den letzten Tagen?"
Balvorn warf Valion einen erschöpften Blick zu. "Seit Hilgorns Verschwinden haben die Gefechte nie mehr richtig aufgehört. Zwar haben die Orks bislang keinen neuen Großangriff gewagt, doch immer wieder wagen sie kleinere Vorstöße und prüfen unsere Wachsamkeit. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht die Pfeile schwirren."
Valion nickte. Die Situation entsprach seinen Erwartungen. "Wie sieht es mit dem Kampfgeist der Soldaten aus, meine Herren? Ist ihr Mut noch ungebrochen?"
Eine Pause entstand, ehe schließlich Berion antwortete. "Der Verlust des Generals war ein schwerer Schlag für die Moral der Männer, Herr. Noch halten sie stand, doch die Schrecken Mordors werden Tag für Tag bedrohlicher. Hilgorns Tod..."
"...ist noch nicht bestätigt worden," unterbrach Balvorn seinen Kameraden.
Berion seufzte niedergeschlagen. Offensichtlich lag hier eine Uneinigkeit vor, über die die beiden gondorischen Kommandanten schon viele Male gestritten hatten. "Es gab genug Leute, die gesehen haben, wie er durch dem Angriff der Schattengestalt in die Fluten des Gilrain stürzte," sagte Berion. "Der Meister der Delferyn, Gilheston, ist kein Lügner, das weißt du so gut wie ich. Und er und der Herr Dervorin können bezeugen, wie Hilgorns leblose Gestalt aufs Ostufer gezerrt wurde. Gesteh' es dir endlich ein, Balvorn. Er ist tot."
"Das glaube ich erst, wenn ich seine Leiche gesehen habe," hielt Balvorn dagegen. Valion glaubte zu sehen, wie der Unterkiefer des Mannes sich verkrampfte, um ein Zittern zu unterdrücken.
"Ob der General nun tot oder lebendig ist spielt im Augenblick keine Rolle," warf Rinheryn ein. "Hört auf euch darüber zu streiten! Wir sind hier, um die Stadt zu verteidigen und die Front zu sichern. Das ist alles, was uns im Augenblick Sorge bereiten sollte."
"Sie hat recht," sagte Valion. "Dennoch weiß ich, wie sehr die Soldaten zu ihrem General aufgesehen haben. Sobald wir in Linhir sind, werde ich diesbezüglich eine Entscheidung treffen. Aber zuvor müssen wir unsere nächsten Schritte besprechen. Kommandant Balvorn, ich weiß, dass im Namen des Herrn der Spione, Amrodin, entlang der Grenze viele Spähposten errichtet worden sind, um nicht nur unser Ufer, sondern auch das besetzte Land jenseits des Flusses zu beobachten. Ist diese Überwachungslinie noch intakt?"
Balvorn schüttelte den Kopf. "Wir haben allzu oft jeden kampffähigen Mann benötigt. Die Spähposten sind größtenteils aufgegeben worden. Wir wissen nicht, was im Land hinter dem Ostufer vor sich geht."
Valion nickte, denn nichts anderes hatte er erwartet. "Damrod," sagte er und warf dem Kommandant der Waldläufer einen raschen Blick zu. "Denkt Ihr, Eure Leute könnten sich dieser Aufgabe annehmen?"
Damrod bestätigte den Auftrag mit einer stummen, bejahenden Geste. Er nickte Valion knapp zu, dann winkte er seine Waldläufer zu sich. Auch Ardóneth schloss sich ihnen an, als sie auf ihre Pferde stiegen und in nördlicher Richtung davonritten.
Rinheryn hatte den Blick zur Stadt hinunter gerichtet. "Ich sehe mehrere Schiffe, die im Hafen Linhirs liegen," sagte sie. "Inwiefern steht die Flotte zu unserer Verfügung?"
Balvorn erwiderte darauf nichts. Stattdessen sagte Hauptmann Berion: "Ein etwas kniffliges Thema,
híril. Der Anführer der Kapitäne, Aldar Thoron, ist der ältere Bruder General Hilgorns."
Valion glaubte, sich verhört zu haben. "Noch einer?" stieß er verdutzt hervor.
Berion, der in der Schlacht im Schwargrundtal Zeuge des Todes von Imradon Thoron - ebenfalls Bruder Hilgorns - geworden war, hob rasch die Hände. "Aldar Thoron ist ein ehrenhafter Mann und steht in keinerlei Vergleich zu dem Verräter Imradon. Seine Flotte hat uns bislang unschätzbare Hilfeleistungen bei der Verteidigung der Stadt geliefert, doch nun, da der General tot..." An dieser Stelle räusperte sich Balvorn scharf, und Berion korrigierte sich rasch: "...für tot gehalten wird, hat Kapitän Aldar seine Pflichten vernachlässigt. Er trauert, Herr."
Na großartig, dachte Valion, ohne jedoch seine Verärgerung zu zeigen. Er verstand natürlich, dass Aldar Thoron um seinen Bruder trauerte, doch diese Trauer durfte sich nicht auf die Sicherheit von ganz Gondor auswirken. Er würde sich darum kümmern müssen...
"Also gut," sagte er. "Auch mit ihm werde ich sprechen, sobald wir uns die Lage in der Stadt angesehen haben. Außerdem müssen wir uns um die Unterbringung der neuen Soldaten kümmern."
"Ich habe die übrigen Offiziere angewiesen, Eure Verlobte in die Residenz des Stadtherren zu geleiten. Sie wird dort auf Euch warten," sagte Balvorn.
"Habt Dank. Nun, wenn sonst keine Frage mehr offen sind, schlage ich vor, wir verlieren keine Zeit mehr, und..."
"Sieh mal einer an. Wenn das nicht Valion ist."
Die Stimme war von der Straße her gekommen, und überrascht wandten alle ihr den Kopf zu. Dort stand eine gerüstete Frau mit Schild und Speer in den Händen, deren dunkles, rötlich schimmerndes Haar zu einem Zopf geflochten war. Da es bereits dunkelte, dauerte es einen Augenblick, ehe Valion sie erkannte.
"Verdandi?"
"Du erinnerst dich also noch," sagte sie und kam näher. "Wie ich sehe hast du es inzwischen zum Heerführer gebracht," merkte sie mit einem Blick auf die übrigen Kommandanten an.
"Wer ist das denn?" wollte Rinheryn mit offenem Misstrauen wissen.
"Eine Freundin. Oder vielleicht mehr eine Bekanntschaft. Ich traf sie einst, als sie versuchte, bei Fürst Imrahil vorzusprechen," erklärte Valion rasch. An Verdandi gerichtet fragte er: "Was tust du hier? Wolltest du nicht in die besetzten Gebiete zurückkehren, um dort Gefangene zu befreien?"
Verdandi legte den Kopf schief. Valion musste zugeben, dass sie nicht sonderlich gut aussah - sie wirkte angeschlagen, als ob eine Krankheit sie befallen hätte. Hin und wieder war ein Husten zu hören, wenn sie sprach. "Das hat sich als komplizierter als gedacht erwiesen. Niemand kommt ungesehen über den Fluss... jedenfalls nicht ohne Hilfe." Dabei sah sie Valion genau in die Augen, und er verstand.
"Du willst mich um einen Gefallen bitten."
"Ich sehe, du hast aufgepasst," lobte Verdandi, doch sie lächelte nicht. "Ich brauche eine Ablenkung, damit ich ans andere Ufer gelangen kann, ohne dass die Orks es bemerken. Und du kannst mir eine solche Gelegenheit verschaffen."
"Wir werden sehen, was sich machen lässt," sagte Valion. "Ich schlage vor, fürs Erste kommst du mit uns in die Stadt. Wenn ich die Lage eingeschätzt habe, können wir einen Plan machen."
"Ist diese Frau vertrauenswürdig?" wollte Rinheryn wissen. Balvorn schien ähnliche Gedanken zu haben, Berion hingegen betrachtete Verdandi mit offenem Interesse. Sie jedoch schenkte ihm kaum Beachtung.
"Lass es gut sein, Rinya," sagte Valion leise zu Duinhirs Tochter. "Sie ist keine Verräterin, auch wenn sie nicht aus Gondor stammt."
"Wenn du es sagst..." erwiderte Rinheryn ebenso leise.
"Also denn," sagte Valion und nahm sein Pferd am Zügel. "Die Nacht bricht herein. Ich verspüre nur wenig Lust, sie hier draußen zu verbringen. Linhir mag Kriegsgebiet sein, doch immerhin wird es dort ein warmes Feuer und eine Mahlzeit geben."
Er stieg in den Sattel. Auch die übrigen Gondorer saßen auf. Berion überließ Verdandi sein Pferd und würde sich zu Fuß in der Garnison einfinden. So legten sie das letzten Stück des Weges nach Linhir zurück.
Valion, Verdandi, Rinheryn, Lóminîth Balvorn und Berion zu Marwans AnwesenArdóneth, Damrod, Glóradan und die Waldläufer nach Lebennin