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Autor Thema: Nordöstliche Grenze des Fangorns  (Gelesen 15323 mal)

Gnomi

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Nordöstliche Grenze des Fangorns
« am: 14. Mär 2009, 09:30 »
Nîdanadh aus Fangorn - im Wald


Wie lange wanderte er schon so umher? Stunden? Tage? Wochen? Er wusste es nicht. Der Wald hatte schon lange von ihm Besitz ergriffen und er hätte nicht einmal mehr sagen können, ob es Morgen oder Abend war. Dass es nicht Nacht war konnte er sagen, da die Sonne schien. Oder war es der Mond? Durch die dichte Schicht aus Blättern und Ästen schien nur ein blasser Dunst, gerade genug, dass man die Hand vor Augen erkennen konnte.
Nîdanadh musste schon tief im Wald sein, zumindest schloss er dies aus den Lichtverhältnissen. 
Seinen ganzen Weg über hatte er das Gefühl, dass ihn vereinzelte Bäume beobachteten und mit den Ästen raschelten. Doch keiner dieser komischen Wesen schien sich ihm gegenüber feindselig zu verhalten.
Immer weiter lief er durch den dunklen Wald. Hinter jedem Baum erschienen zwei neue Bäume, hinter jeder Pflanze kamen zwei weitere Pflanzen zum Vorschein. Gräser schauten nur vereinzelt aus dem Boden, der sonst fast nur von Pilzen und anderen lichtscheuen Gewächsen besiedelt war. Die meiste Zeit spürte er unter seinen Füßen kleine halb vermoderte Äste.
Stunden – oder doch Tage? – später lichtete sich auf einmal langsam der Wald. Es war immer noch dunkel, doch die Äste ließen mehr Licht durch und Nîdanadh erkannte, dass es Nacht war. Vereinzelte Sterne schickten ein leicht bläuliches Licht und erhellten den dunklen Wald. Immer weiter lief er durch den nächtlichen Wald und erkannte nun Bäume und andere Pflanzen, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Doch alle wirkten niedergeschlagen, nirgendwo erblickte er auch nur eine Pflanze, die Freude am Leben zu haben schien. Es war ein ungewohntes Gefühl, die Traurigkeit war er gewohnt, seit dem schicksalhaften Tag hatte er mit ihr gelebt, hatte sich nie mit ihr angefreundet, doch die Trauer hielt seine Hoffnung am Leben. Im dunkeln der letzten Zeit hatte er die geballte Trauer der ältesten Lebewesen gespürt, aber sie nie gesehen, er hatte nur gefühlt, dass ständig um ihn herum tiefste Trauer herrschte… nun sah er sich in einem Wald wieder, der keine Hoffnung mehr hatte und auf den Tod wartete. Selbst diese Bäume und Pflanzen sind anscheinend gefühlsstärker als Menschen… Ihre Trauer… so tief und so erdrückend habe ich sie nie von anderen Menschen wahrgenommen, anscheinend müssen die Elben hier sehr gute Arbeit geleistet haben…
Auf einmal war der Wald zu Ende. Von einer Sekunde auf die nächste stand er im Freien. Verwirrt blieb er stehen und blickte sich um.
Vor ihm war eine riesige freie Fläche. Vereinzelt lagen gefällte Bäume, manche schon halb vermodert, andere frisch gefällt. Alles war übersät mit vereinzelten Baumstümpfen.
Alle kleineren Pflanzen waren zertreten und dem Erdboden gleichgemacht.
Weit weg erkannte er einen kleinen Mauerring mit einem hohen schwarzen Turm in der Mitte. Von dort musste die Zerstörung ausgegangen sein… Auf den Feldern erkannte er nun auch vereinzelte Zeltlager mit kleinen Feuerstellen davor.
„He, was machst du hier?“
Blitzschnell drehte sich Nîdanadh um und suchte den Besitzer der kratzigen Stimme und erkannte einen kräftigen Ork vor sich stehen. Binnen einer Sekunde bemerkte auch dieser, dass er keinen Freund vor sich hatte und zog eine große Axt, die an seiner Seite hing, während Nîdanadh bereits mit gezogenem Schwert vor ihm stand, doch er wartete ruhig den Angriff des Orks ab. Dieser machte langsam einen Schritt auf ihn zu. Als Nîdanadh immer noch keine Regung zeigte zögerte er verunsichert.
Danach kniff er seine Augen zusammen und stürzte sich mit einem Kampfschrei auf seinen Feind.
Blitzschnell wich Nîdanadh ihm aus und blieb wieder ruhig stehen. Er wollte sehen, wie der Ork verzweifelt. Die Trauer in den Bäumen… er hatte sie gespürt, als ob es seine eigene gewesen wäre und nun wollte er sie rächen. Der Übeltäter sollte leiden, leiden wie es die Bäume im Fangorn taten.
Schon stürzte sich sein Gegner mit einem weiteren Schrei auf ihn. Ohne Probleme parierte Nîdanadh den Hieb und griff nun seinerseits mit einfachen Kombinationen den Ork an. Selbst diese genügten schon um den Arbeiter in Verzweiflung zu bringen. Mit Müh und Not schaffte er es die einzelnen Schläge zu parieren. Nîdanadh strengte sich nicht wirklich an, sein Feind war ein ungeübter und schlecht bewaffneter Kämpfer. Nach einigen Hieben schließlich zielte das Schwert auf einen der beiden Arme.
Bevor sich der Ork wehren konnte zischte das Schwert durch die Luft und zerschnitt Sehnen, Fleisch, brach knackend den Knochen und durchtrennte schließlich vollkommen den Arm. Vor Schmerz brüllend schrie er auf und lies seine Axt fallen, woraufhin Nîdanadh ihm den zweiten Arm ebenfalls abtrennte. „Nun geh“ befahl er seinem Gegner. „Und erzähle allen, was passiert wenn man anderen so großes Leid zufügt, ich werde nicht zulassen, dass noch mehr Unheil geschieht, mein Leben ist verwirkt und ich werde nie Ruhe finden. Doch dieser Wald hat das Leben verdient.“
Der Ork drehte sich um und rannte, stolperte, konnte sich nicht auffangen und stürzte. Ungelenk rappelte er sich auf und rannte weiter.
Als das Schmerzensgeheul nur noch leise zu vernehmen war blickte Nîdanadh auf und suchte eine Wasserquelle. Der Kampf hatte ihm gezeigt, dass er schon lange nichts Flüssiges mehr getrunken hatte. Doch wo er auch hinblickte, nirgends war Wasser aufzufinden. Seufzend machte er sich in Richtung des Gebirgszuges im Osten auf. Wo ein Gebirge war, gab es auch meist Flüsse, die dieses verließen.
Ein kleiner Rand des Mondes war noch zu sehen, als Nîdanadh schließlich am Gebirge ankam und auch rasch einen größeren, langsam fliesenden Fluss vorfand.
Vorsichtig watete er in das eiskalte Wasser, bis sein Unterkörper vollständig unter Wasser war.
Das Wasser tat gut und zögernd entspannte sich schließlich auch sein gesamter Körper. Danach schöpfte er vorsichtig ein bisschen Wasser aus dem Fluss und trank es. Er spürte, wie das Wasser seine trockene Kehle befeuchtete, dann im Hals hinunterfloss und sich schließlich in seinem Bauch der Körpertemperatur anpasste… Immer mehr Wasser trank er, bis ihn plötzlich ein harter Schlag am Rücken traf.
Ruckartig drehte er sich um und erkannte was ihn gerammt hatte:
Ein Körper eines Menschen oder eines Elbes, er konnte es nicht sicher sagen.

Als er den leblosen Leib an das Ufer gebracht hatte schaute er ihn sich genauer an. Es war ein Mensch, da war er sich nun sicher. Und er trug große Verletzungen und war total aufgeweicht.
Anscheinend hatte er einen harten Kampf hinter sich und war danach durch das halbe Nebelgebirge von diesem Fluss getragen worden.
Ein Mensch… wodurch hat er es verdient gerettet zu werden…. Nîdanadh hatte sich gerade abgewandt, als er auf einmal ein Husten hinter sich hörte. Als er sich umschaute sah er, dass  der Mensch große Mengen an Wasser aushustete und ihn mit leicht glasigen Augen anschaute.
« Letzte Änderung: 12. Feb 2016, 15:09 von Fine »

Tom Bombadil

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Re: Nordöstliche Grenze des Fangorns
« Antwort #1 am: 14. Mär 2009, 17:49 »
Nerblog von Moria


Stöhnend kam Nerblog wieder zu Bewusstsein. Als er versuchte, mit einem tiefen Atemzug seine Lebensgeister wieder zu wecken, begann er heftig zu husten. Wasser spritzte aus seinem Rachen und sein Bauch schmerzte stechend, als sich sein Zwerchfell an- und wieder entspannte.
Blinzelnd schlug er die Augen auf. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Dem Ostling war eiskalt. Seine Kleidung war völlig durchnässt. Ein grauer Nebel hatte sich über seine Augen gelegt und er konnte nur Splitter seiner Umgebung erkennen. Plötzlich beugte sich eine schemenhafte Gestalt über ihn.
Nerblog versuchte, das Wesen von sich zu stoßen, doch seine Glieder gehorchten ihm nicht. War er gelähmt? Mit einem letzten, kräftigen, und äußerst schmerzhaften Husten- anfall wich die Betäubung von ihm. Er zitterte. Wo beim Streitkolben des Dunklen Herrschers war er?
Eine sanfte Brise strich durch sein verklebtes Haar. Warmes Sonnenlicht kitzelte seine Nase. Nerblog war nicht imstande, sich aufzurichten. Die Wunde am Bauch verhinderte seinen Versuch. Schmerzerfüllt verzog er das Gesicht und wälzte sich auf die Seite.
Er lag in einer etwas kahlen Wiese in der Nähe eines Waldrandes. Dutzende Baumstum- pfe ragten aus dem Boden.
In der Ferne sah er einen sehr hohen, schwarzen Turm. Rauchwolken gingen von seiner Umgebung aus und unzählige kleine Punkte wuselten vor seinem Tor herum. Nerblog erinnerte sich- Elebert hatte ihm davon erzählt: Dies war der Turm eines Zauberers, doch seinen Namen hatte Nerblog vergessen.
Die Sonne stand tief im Westen, während ihre Wärme allmählich das Eis aus Nerblogs Adern vertrieb. Dennoch machte er sich große Sorgen. Er lag wehrlos wie ein Säugling im Gras. Raubtiere aus dem Wald oder Feinde, die von dem Turm kamen, könnten ihn finden. Da kam ihm wieder die Kreatur in den Sinn, die sich vor einiger Zeit über ihn gebeugt hatte.
Er drehte sich auf die rechte Seite und sah einen sehr großen Menschen mit Vollbart, der ein recht verschlissenes Hemd trug. Darunter vermutete Nerblog sofort eine Rüstung. Der Kerl hockte im Gras und säuberte sein Schwert mit einer Art Lappen vom Blut. Nerblogs Blut?
Neben dem Hünen sammelte sich ein Rinnsal von Blut. Sofort fiel Nerblogs Blick auf seinen eigenen Körper, aber neben der alten Wunde am Bauch war kein Einschnitt zu erkennen. Als er wieder aufschaute, identifizierte er das Blut als schwarz. Der Ostling entspannte sich ein wenig. Allerdings war ihm der seltsam traurige Ausdruck im Gesicht des Mannes nicht geheuer.
Nerblog schalt sich einen Dummkopf. Er war nicht in der Position, wählerisch zu sein. Er würde die Hilfe des Menschen benötigen, um zu überleben. Der Hüne selbst schien Nerblog zu ignorieren.
"Hi....", würgte der verwundete Ostling hervor und spuckte noch ein wenig Wasser. "Hilfe!"   
« Letzte Änderung: 12. Feb 2016, 10:47 von Fine »
manana

Gnomi

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Re: Nordöstliche Grenze des Fangorns
« Antwort #2 am: 16. Mär 2009, 20:05 »
Nîdanadh ließ sich viel Zeit, während er langsam seine Augen von dem Schwert abwandte und den Menschen vor sich anschaute. Es hatte lange gedauert, bis der andere zu sich kam nachdem er das erste Mal gehustet hatte. Nîdanadhs Schwert blitzte wieder vollständig gesäubert auf. Er merkte, dass der Fremde seine Waffe kurz misstrauisch beäugte, bevor er sich wieder mit um Hilfe bittenden Augen an ihn wandte. 
Er kannte den Blick, es war ein blick den viele auf ihn warfen, immer wenn sie sich unsicher waren, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollten. Vor allem in Lorien hatte er den Blick oft gespürt. Er erinnerte sich an eine Gruppe Soldaten aus Gondor? Rohan? Auf jeden Fall hatten auch sie ihn vorsichtig beäugt und sich nicht getraut ihn anzusprechen. Sie waren unter ein paar Bäumen stehen geblieben und hatten gewartet, bis er vorbei gelaufen war, doch kaum hatte er ihnen den Rücken zugedreht, hatte er sie flüstern gehört.  Ähnlich fühlte er sich jetzt.
„Du willst also Hilfe...“, flüsterte er mehr zu sich, als zu dem anderem. „Doch ist dieses Leben wirklich so wertvoll, dass es sich lohnt zu helfen und Leben zu retten? Wäre es nicht manchmal schöner, wenn alles... alles einfach zu Ende wäre?“
Langsam erwachte er aus seinem Selbstgespräch und schaute dem Menschen vor sich direkt in die Augen.
„Sag mir, warum sollte ich einem Wesen wie dir, einem Menschen helfen? Nie hat euer Geschlecht etwas für mich getan und jetzt soll ich helfen?“

Tom Bombadil

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Re: Nordöstliche Grenze des Fangorns
« Antwort #3 am: 16. Mär 2009, 21:45 »
Nerblog versuchte, sich einen ungläubigen Gesichtsausdruck zu verkneifen, doch es gelang ihm nicht vollends. Was redete dieser Kerl denn da? Er war doch schließlich selbst ein Mensch... Oder nicht? Doch war er sich eindeutig im Klaren, dass er sich im Ton mit seiner einzigen Hoffnung nicht vergreifen durfte.
Nervös blickte er zu dem bärtigen Gesicht auf, das die Sonne verdunkelte. Der Mann hatte normale Ohren, er war also kein Elb oder irgendetwas anderes. Der traurige Ausdruck des Verlustes von etwas unschätzbar Wertvollem war ihm tief ins Gesicht eingegraben.
"Ich... Ich kann euch nichts als Gegenleistung bieten", begann er stockend. Es fiel ihm schwer, nach so langer Bewusstlosigkeit wieder fließend zu sprechen. "Ich kann euch nur bitten. Bitten, mich an einen sicheren Ort zu bringen."
Nerblog sah betroffen zu Boden. Es war nicht seine Art, Leute anzuflehen, doch die Situation kam ihm absurd vor; Er lag, unfähig, sich zu regen, im Gras vor einem kräftigen Mann in guter Verfassung und dieser weigerte sich, ihm zu helfen? Zugegeben, der Ostling kannte die Gewohnheiten des Westens schlecht, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass man hier so miteinander umging.
Immer mehr drängte sich der Verdacht in seinen Kopf, dass er es mit einem Spinner zu tun hatte. Es war höchste Vorsicht geboten. Nerblog wusste, der Faden, an dem sein Leben hing, spannte sich unumgänglich über diesen Hünen.
Er blickte wieder zu ihm auf und bemühte sich, einen möglichst flehentlichen Ausdruck in seine Augen zu legen. 
manana

Gnomi

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Re: Nordöstliche Grenze des Fangorns
« Antwort #4 am: 19. Apr 2009, 21:29 »
Stirnrunzelnd schaute Nîdanadh den Mann vor sich an. Wie tief muss man gesunken sein, um einen fremden Menschen so anzuflehen...
„Sicher? Was ist für dich sicher?“ fragte er ihn. „Wenn du mit Orks und ihres Gleichen gut stehst, dann bist du hier sehr sicher, wenn ich nicht da bin. Wenn du hingegen mit ihnen auf Kriegsfuß stehst, dann solltest du gleich zurück in den Fluss springen.“
Langsam stand Nîdanadh auf. Er hatte dem Menschen das Leben gerettet, das genügte seiner Meinung. „Ansonsten ist etwas westlich von hier ein Wald. Doch wie lang man sich dort drinnen noch vor Orks verstecken kann... zumindest solltest du dort alles finden, was du brauchst, ich muss weiter. Doch du wirst es schaffen, ich weiß nicht, ob ich froh oder traurig darüber sein soll; du bist stark – obwohl du ein Mensch bist.“


Nînadadh nach Thal und Umgebung
« Letzte Änderung: 12. Feb 2016, 15:34 von Fine »

Tom Bombadil

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Re: Nordöstliche Grenze des Fangorns
« Antwort #5 am: 20. Apr 2009, 20:53 »
Bei den Worten des Mannes stutzte Nerblog. Doch ehe er noch einmal versuchen konnte, mit ihm zu reden, fuhr der Mann herum und verschwand schnellen Schrittes hinter einer sanften Hügelkuppe. "Aber...", murmelte der Ostling ihm mehr verblüfft denn verzweifelt hinterher und blickte ihm nach.
Die Grashälme auf dem Hügel wiegten sich in einer stärker werdenden Brise. Es würde bald dunkel werden. Nerblog reckte seinen Hals in die Richtung, in die der Hühne gewiesen hatte. Etwa dreihundert Schritt hinter ihm befand sich der abrupte Rand eines finsteren, wenig einladenden Waldes. Immer wieder drang ein seltsam gequältes, wehklagendes Geräusch zwischen den dicht beieinander stehenden Baumstämmen hervor, das verblüffende Ähnlichkeit mit dem Ächzen der alten kahlen Bäume im Sturm, die vor der Farm seines Vetters Galblog östlich von Gortharia standen, besaß.
Die Hoffnung wich aus Nerblogs Herzen wie Luft aus dem Körper eines Westmenschen, dem man mit der Faust in die Magengrube geschlagen hatte. Kein Wunder, dass der Kerl ihm geraten hatte, dort Schutz vor Orks und Wölfen zu suchen. Kein kluges Wesen würde sich dort hineinwagen.
Nerblog dachte wieder an den Mann, der ihn offenbar hierher gebracht hatte. War er etwa aus dem Wald gekommen? Möglicherweise. Doch wahrscheinlich hatte er das nur überlebt, da er, wie Nerblog gesehen hatte, ein kräftiger, großer Mann in guter Verfassung gewesen war. Als Nerblog an sich hinunterblickte, musste er sich eingestehen, dass nur wenige dieser Punkte zurzeit auf ihn zutrafen. Ihm stand eine schwierige Entscheidung bevor: Was sollte er als größere Bedrohung einstufen? Den schwarzen Turm und seine Orks im Westen, oder den finsteren, unbekannten Wald hinter ihm?
manana

Tom Bombadil

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Re: Nordöstliche Grenze des Fangorns
« Antwort #6 am: 26. Apr 2009, 14:37 »
Seufzend wälzte sich Nerblog auf den Rücken und betrachtete den dunkler werdenden Himmel. Bald waren die ersten Sterne zu sehen. Sein Magen knurrte. Er musste seit Ewig-keiten nichts gegessen haben. Der Ostling versuchte sich zu erinnern, was geschehen war. Wie war er in dieses Schmelzbach gelangt? Woher stammte seine Wunde?
Alles, woran Nerblog sich noch erinnern konnte, dass man ihn in eine Mine entsandt hatte, irgendeines dieser Spitzohren hatte ihn damit beauftragt. Doch sein Gedächtnis war bruch-stückhaft. Er wusste weder, warum er dort gewesen, noch was ihm dort zugestoßen war. "Das spielt auch keine Rolle", murmelte er seiner Muttersprache. "Was im Moment zählt, ist die Gegenwart."
Nerblog blickte nach Westen. Um den schwarzen Turm herum wurden Wachtfeuer für die Nacht entzündet. Der Ostling blinzelte, als er einen großen schwarzen Fleck vor den Mauern, die den Turm umgaben, entdeckte. Was konnte das sein?
"Urks!", keuchte Nerblog und versuchte, sich aufzurichten, doch ein brennender Schmerz ließ ihn zurückzucken. Er verzog das Gesicht. Nun blieb ihm keine Wahl mehr. Der Ork- Trupp bewegte sich direkt auf ihn zu.
Nerblog konnte den Wald unmöglich vor ihnen erreichen.
Der Ostling brüllte einen zornigen Schrei der Verzweiflung, unfähig, sich zu bewegen und schlug wutentbrannt mit den Fäusten auf die Erde ein. Wüst verfluchte er Sauron und seine Schergen, die Elben und alle anderen mit dazu.
"Dieser verdammte Hundesohn! Warum hat er mich hier nur liegen gelassen?"
Nerblog blinzelte einige Tränen aus den Augen und entspannte sich wieder ein wenig.
Die Sonne versank hinter dem Horizont. Kein Mond war zu sehen. Nur die Fackeln der sich nähernden Orks.
"Ork-Abschaum", zischte Nerblog. Die Feinde waren nur noch etwa eine halbe Meile entfernt. Der Ostling schätzte ihre Zahl auf etwas mehr als hundert, doch in der Finsternis der Nacht konnte er sie nicht genau erkennen.
Die Zeit des Wartens zog sich in Ewigkeiten. Der Boden erbebte unter den Schritten der schweren Panzerstiefel. Befehle drangen aus rauen Kehlen und Nerblog glaubte zu ver- stehen, wie sich einige Orks über die Zubereitung ihrer Opfer unterhielten.
"Am besten brät man sie richtig knackig und dann würzt man sie ordentlich mit..." Der Rest verlor sich in den Gesprächen anderer Orks, doch kurz darauf drang eine andere Stimme an Nerblogs Ohr: "Braten? Ach was! Menschen isst man am besten roh, wenn sie noch bluten, mit einem großen Kübel Schnaps." Der Ork grunzte erheitert bei der Vorstellung des bevorstehenden Mahls.
"Maul halten! Wir sind bald da!", schrie plötzlich eine durchdringende, schrille Stimme. "Wenn hier überhaupt noch jemand ist, dürfen wir sie doch nicht erschrecken! Dann laufen sie vielleicht noch weg- Hey, da vorne liegt doch einer!"
Nerblog sah den Ork, an, der ihn entdeckt hatte. Es war ein kräftig gebauter, großer Ork, der kaum gebeugt marschierte. "Gark'urks", erkannte Nerblog und erinnerte sich an die Unholde, die er vor einiger Zeit am Großen Strom angetroffen hatte.
Der Ork stand nun direkt vor Nerblog und die anderen Nachzügler bildeten eine große Traube um ihn herum. Der scheinbare Hauptmann des Trupps legte den Kopf schief und beäugte ihn misstrauisch.
Dann richtete er sich auf. "Was steht ihr hier so faul herum? Steckt den Wald in brannt, sucht nach anderen! Bewegt eure fetten Hintern!"
Mürrisch löste sich die Ansammlung auf. Die Orks warfen Fackeln in den Wald und durchstöberten die Umgebung.
"Wen haben wir den hier?", hauchte der Hauptmann und ließ Nerblog seinen widerwär- tigen Atem schmecken. Nerblog, versuchte, keine Miene zu verziehen. "Ich... Ich komme aus dem Osten", sagte er.
"So?", meinte der Ork. "Und was treibst du dann hier?"
"Ich bringe Botschaft aus dem Schwarzen Land. Der Dunkle Herrscher traut Menschen mehr, als...", Nerblog zwang sich zu einem gespielten Lächeln. "Er traut Menschen mehr als Ork-Abschaum."
Der Gark'urk fletschte die Zähne und stellte dem Ostling einen seiner Stifel auf die Brust, sodass dieser nur noch schwer atmen konnte.
"Geh besser nicht zu weit, du Würmchen. Du sprichst hier mit Snaga, dem Unterstellten des Mundes und...." Der Hauptmann unterbrach sich und lächelte gehässig. "Er wird seinen Spaß mit dir haben", lachte er dann und nahm seine Stiefel von Nerblogs Brust.
Qualm waberte durch die Luft. Die Ork vom Turm hatten den Wald angezündet.
"Uruk-hai Isengards!", brüllte Snaga, "zurück zum Orthanc!" Die Anderen ließen ab vom lichterloh brennenden Wald und formierten sich wieder zu einer langen Kolonne.
"Galophor, du nimmst diesen Sack hier mit!", befahl Snaga, wandte sich von Nerblog ab und begab sich zur Spitze des Trupps. Ohne zu wissen, wie ihm geschah, wurde Nerblog von einem Ork gepackt. Der stinkende Kerl, warf ihn sich über den Nacken und gliederte sich in den aufbrechenden Zug ein. Nerblog ächzte vor Schmerz, doch er biss die Zähne zusammen, als sie hinab ins Tal des schwrzen Turmes marschierten.


Nerblog mit den Orks zum Haupttor Isengards 
« Letzte Änderung: 12. Feb 2016, 10:49 von Fine »
manana

Tom Bombadil

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Re: Nordöstliche Grenze des Fangorns
« Antwort #7 am: 1. Feb 2010, 21:08 »
Galadriel, Gandalf, Radagast, Celebithiel, Nerblog, Antien und Amrûn von Fangorn - im Wald


Nerblog war in Hochstimmung, trotz des einsetzen schwachen Nieselregens, des wolkenverhangenen Himmel sund des scharfen Windes, die den kommenden Winter ankündigten.
Fröhlich pfiff er vor sich hin, während er behutsam einen Fuß vor den anderen setzte. Er marschierte etwas außerhalb des großen Trosses, um nicht anderen Leuten im Weg herumzulaufen. Der Ostling glaubte, es mit wichtigen Leuten zu tun zu haben. Viele, die meisten von ihnen waren Elben, doch auch einige Angehörige seiner Rasse folgten dem schmalen Pfad nach Norden, linker Hand das Nebelgebirge, von dem man nur die untersten Berghänge erkennen konnte. Der Rest wurde von einer dichten Wand aus Nebelbänken und Wolkenfetzen verschleiert, die sich kontinuierlich bewegte.
Es war ein faszinierender Anblick. Nerblogs fröhliches Lied verstummte und er starrte fasziniert in das sich ihm bietende Naturschauspiel.
Es kam oft vor, dass er, wenn er geradezu euphorisch gestimmt war, wesentlich mehr Eindrücke aufnahm als gewöhnlich. Die sich unter seinen Füßen knickenden Grashälme, das schlürfende Geräusch, wenn er mal einen Fuß in eine Pfütze setzte, das Klimpern der Töpfe, die die Wanderer auf ihren Rücken transportierten. All das setzte sich in seinem Kopf zu einem Bild zusammen, dass er für lange Zeit nicht mehr vergessen würde.
Ein Aufbruch in einen neuen Lebensabschnitt? Vielleicht. Tatsache war, dass er sehr lange Zeit nicht mehr so fröhlich gewesen war.
Die Aussicht auf Erholung im Goldenen Wald von den Strapazen im Nan Curunir, neuer Gefährtenim Kampf gegen den gemeinsamen Gegner, ließ in seinem Herzen eine Hoffnung keimen, die ihm zu brechen in diesem Moment unmöglich schien.
Als der Ostling den Kopf wieder hob, sah er , dass Amrun und Celebithiel sich ebenfalls hatten zurückfallen lassen und in ein tiefes Gespräch vertieft waren. Mit einigen großen Sätzen war er bei ihnen und nickte ihnen ehrlich lächelnd zu.
"Na? Wann meint ihr, sind wir in Lorien?"
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manana

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Re: Nordöstliche Grenze des Fangorns
« Antwort #8 am: 2. Feb 2010, 20:52 »
Celebithiel hielt inne als eine kleine weiße Schneeflocke leise und zögerlich auf ihre Nasenspitze sank. Intuitiv knöpfte sie ihren Mantel weiter zu und blickte gedankenverloren in die Ferne und erblickte schon die ersten Baumkronen des Goldenen Waldes.
Dort sind sie die goldenen Blätter nach denen sich mein Herz sehnt...dort ist meine Familie...ich kehre endlich wieder Heim
Amrûn war nicht stehen geblieben, sondern weiter gegangen und redete intensiv mit einem der Galadhrim. Die Worte ihrer Konversation vermochte Celebithiel nicht zu verstehen.
Weitere Schneekristalle gesellten sich zu, der mittlerweile geschmolzenen, auf ihrer Nase und taten es ihr gleich. Innerhalb von wenigen Minuten war ihr gesamter Mantel von pulvrigem Schnee bedeckt. Sie drehte sich um und erkannte Nerblog, der ebenfalls seine Umgebung musterte und denn es kaum kümmerte, dass er mittlerweilen voll Schnee bedeckt war.

„ Hey endlich weiß ich deinen Namen! Amrûn hat es mir erzählt du bist Nerblog“, rief Celebithiel ihm lächelnd zu. Jener hingegen wirkte, wie aufgeschreckt als er ihre Stimme vernahm und es dauerte einen Moment bis er ihr antwortete.
„ Ja mein Name“, begann er vor sich hin brummend, „ aber was ist schon ein Name? Trägt er eine Bedeutung?“, erwiderte er nun und sah Celebithiel so durchdringend an, als hoffte er die Antwort in ihrem Inneren lesen zu können.

Die Schneeflocken tanzten um die beiden einen freudigen Tanz, denn der Wind scheuchte sie immer wieder auf und so umgarnten sie die beiden, während Celebithiel schweigend da stand, um sich zu sammeln.

„ Dein Name...ja dein Name“, begann sie zögerlich, „ natürlich hat er auch eine Bedeutung. Er ist Teil deines Lebens und dient als Spiegel deines Seins. Dein Name ist sehr wohl von Bedeutung, denn er definiert sich. Doch bist du nicht an ihn gebunden. Sieh auch ich hieß früher anders und Gandalf schenkte mir einen neuen Namen. So begann ich ein neues Kapitel in meinen Leben, auf eine unbeschriebene Seite Pergament setzte ich die Feder und schrieb „Celebithiel“ darüber. Mein altes Leben und mein alter Name sind Teil meines Ichs und meiner Seele, aber das Buch ist beendet und steht im Regal meiner Gedanken. Möchtest denn auch du ein neues Kapitel beginnen?“
Celebithiel sah Nerblog mustern an, der sein Gesicht zu Boden gesenkt hatte und schwieg. Plötzlich hob er seinen Kopf und antwortete mit entschlossener und fester Stimme.


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Tom Bombadil

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Re: Nordöstliche Grenze des Fangorns
« Antwort #9 am: 2. Feb 2010, 23:16 »
"Ja!", rief Nerblog bestimmt. "Meine Zeit als einsamer Wanderer in der Leere ist vorüber. Es ist nötig, diesen trostlosen Abschnitt zu beenden, um von vorn anfangen zu können." Der Ostling sah Celebithiel tief in ihre blauen Augen. "Und was gedenkt ihr, soll die Überschrift dieses neu begonnenen Kapitels sein?"
manana

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Re: Nordöstliche Grenze des Fangorns
« Antwort #10 am: 6. Feb 2010, 15:18 »
„ Die neue Überschrift lautet Aphadon“, vollkündete Celebithiel kurz und knapp. Sie sah zu Aphadon hinüber und erkannte, dass der Name ihn sofort zusagte und so kommentierte keiner der beiden mehr die Situation und sie schlossen sich wieder der Gruppe an.

Es schneite nun immer stärker und so fingen sie an Gandalf mit Decken zu umhüllen und setzten ihre Reise schnell fort. Es dauerte nur noch wenige Stunden bis sie die Grenzen des goldenen Waldes erreicht und überquert hatten.


Galadriel, Gandalf, Radagast, Amrûn, Antien, Aphadon, und Celebithiel zur Grenze Lóriens
« Letzte Änderung: 11. Feb 2016, 10:38 von Fine »


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Kurz vor der Heimat
« Antwort #11 am: 4. Okt 2018, 19:35 »
Oronêl und Kerry aus Rhovanion


Obwohl sie den Anduin seit vielen Meilen hinter sich gelassen hatte, war Kerry noch immer ziemlich ungehalten über die Art und Weise, wie sie den Fluss schlussendlich überquert hatten. Zwar hatte Rilmir ihr einst, während sie mit ihm zwei Jahre voller Abenteuer in Eriador verbracht hatte, das Schwimmen beigebracht, doch in den vergangenen, turbulenten Monaten hatte Kerry keinerlei Gelegenheit gehabt, ihre Schwimmfähigkeiten aufzufrischen. Es hatte nicht sonderlich geholfen, sie dazu ermutigen, als sie festgestellt hatte, dass das Wasser des Anduins tief und sehr kalt war, und sehr schnell dahin strömte. Oronêl hatte sich sogleich unerschrocken in die Fluten gewagt, doch Kerry hatte gezögert. Selbst als ihr das Wasser schon beinahe bis zur Brust gestanden hatte, hatte sie noch nicht den Mut gefunden, sich vom schlammigen Flussgrund abzustoßen und so richtig loszuschwimmen.
Oronêl hatte schließlich genug davon gehabt. Der Waldelb hatte etwas in der Richtung wie „Das dauert zu lange, Kerry, du weißt nicht, ob wir verfolgt werden,“ gesagt und ihr kurzerhand den Arm um die Hüfte gelegt und sie - mehr schlecht als recht - mit sich in den eiskalten Fluss gezerrt. Dabei war Kerry mehr als nur einmal vollständig unter Wasser geraten und sie waren nicht sonderlich schnell voran gekommen. Bis sie endlich das Westufer des breiten Stromes erreicht hatten, war es Kerry wie eine schiere Ewigkeit vorgekommen.
Ihr Gepäck, ihre Kleidung und insbesondere ihre Haare waren nass geworden, was ihrer beider Laune nicht gerade zuträglich gewesen war. Den weiteren Weg über die still und verlassen wirkende Ebene von Celebrant hatten sie in unangenehmem Schweigen verbracht.
Während sie am Nordufer des kleinen Flusses Limklar nach Westen marschiert waren, hatte Kerry sich dabei ertappt, wie sie immer wieder Blicke auf die andere Seite des Grenzflusses geworfen hatte. Der Limklar verlief am Boden einer nicht besonders tiefen, aber dafür recht breiten Schlucht, an dessen Südseite eine schier endlos wirkende Graslandschaft ihren Anfang nahm. Die fruchtbaren Felder Rohans lagen dort... Déorwyns einstige Heimat, die sie seit ihrer Flucht aus Hochborn vor vier Jahren nicht betreten hatte.
Kerry hatte sich oft gefragt, wie sie sich fühlen würde, wenn sie einst nach Rohan zurückkehren würde. Nun hatte sie feststellen müssen, dass die meisten Gedanken an ihre Heimat von ihrer schlechten Laune überdeckt wurden. Sie war sauer auf Oronêl, weil sie seinetwegen nass geworden war, weil er es so eilig hatte und damit die Reise zu einer Anstrengungssache machte, und vor allem, weil er vorhatte, Mittelerde - und damit all seine Einwohner - im Stich zu lassen. So war sie missmutig hinter dem Waldelb hergestapft, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Sie hatte gespürt, dass sie sich vielleicht etwas kindisch verhielt, doch sie hatte nicht anders gekonnt. Am liebsten hätte sie ihr Versprechen gebrochen, und eine erneute Diskussion über Oronêls Entscheidung begonnen, doch je weiter sie nach Westen kamen, desto weniger dachte sie daran. Mit jedem Schritt, den sie getan hatte, wurde ihr deutlicher und deutlicher bewusst, dass sie tatsächlich nach Rohan zurückkehren würde. Dorthin, wo sie einst alles verloren hatte.

Kerry stand im Schatten der mächtigen Bäume des Fangorn-Waldes, der hier zu beiden Seiten des Limklar wuchs und einen nicht sonderlich einladenden Eindruck machte. Ihr war noch immer kalt und sie spürte, dass sie sich eine ordentliche Erkältung eingefangen hatte. Das Atmen durch die Nase fiel ihr schwer und immer wieder musste sie niesen. Umso mehr beneidete sie Oronêl dafür, dass er ein Elb war - denn wie Irwyne Kerry einst erzählt hatte, mussten sich Elben für gewöhnlich mit Krankheiten nicht herumschlagen.
„Jetzt ist es also gleich soweit,“ murmelte sie mehr zu sich selbst als an Oronêl gewandt, als sie hinab zum Fluss blickte. Direkt bevor er im Schatten der Bäume verschwand, floss das Flusswasser um eine seichte Ansammlung von flachen Felsen hindurch, die eine gut zugängliche, natürliche Furt bildeten. Die Schlucht in der der Fluss dahinplätscherte, war hier nicht mehr als wenige Meter tief und beide Hänge waren so niedrig, dass man sie problemlos hinabgehen konnte, ohne klettern zu müssen.
„Lass uns hier eine kleine Pause einlegen, ehe wir den Limklar überqueren,“ sagte Oronêl, als hätte er Kerrys Worte gar nicht gehört. Seine Aufmerksamkeit schien sowieso kaum dem Fluss oder dem jenseits davon liegenden Land Rohan zu gelten. Stattdessen schienen Oronêls Blicke von den Bäumen Fangorns angezogen zu werden. Der Waldelb legte sein Gepäck an einem der gewaltigen Baumstämme nieder und strich bewundernd über die dicke Rinde. Rasch umrundete er den Baum, dabei den Blick in die Krone gerichtet haltend, ehe er vorsichtig ein zu Boden gefallenes Blatt aufhob und es sanft zwischen den Fingern dicht vor sein Gesicht hielt. Dann ließ er es fallen und wandte sich an Kerry.
„Was hast du vor?“ fragte sie, auch wenn sie schon ahnte, was er sagen würde.
„Warte hier auf mich, Kerry,“ antwortete er und bestätigte ihren Verdacht. „Es ist beinahe ein Zeitalter her, seitdem ich diese Gegend und insbesondere diesen Wald zuletzt bereiste. Ich muss ihn mir einfach ansehen, ehe ich...“
„Ehe du nie mehr die Möglichkeit dazu haben wirst,“ beendete Kerry den Satz für ihn, bemüht um einen möglichst neutralen Tonfall. Vollständig gelang es ihr nicht, wie ihr Oronêls wissender Blick deutlich zeigte.
„Ganz recht,“ sagte der Waldelb. „Also bleib bitte hier und hab ein Auge auf unsere Sachen. Es wird nicht lange dauern.“
Kerry blieb nichts anderes übrig, als sich zu Oronêls Gepäck unter den breiten Baum zu setzen, wo es wenigstens etwas trocken war. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte trübsinnig nach Süden, wo Rohan lag, während Oronêl zwischen den wie wild wachsenden Büschen des Fangorn verschwand. Kerry fühlte sich auf ungute Art und Weise an den Alten Wald in Eriador erinnert, den sie einst gemeinsam mit Rilmir und Elronds Tochter Arwen durchquert hatte. Das dichte Blätterdach des Fangorn ließ kaum einen Sonnenstrahl hindurch und erzeugte selbst zur Mittagszeit eine eher finstere Atmosphäre zwischen den krummen Bäumen, die auf Kerry beinahe so wirkten, als wären sie mitten in der Bewegung erstarrt und könnten jederzeit wieder anfangen, ihre Äste frei zu bewegen.

Eine halbe Stunde verging, dann eine ganze, ohne dass Oronêl wieder auftauchte. Es wurde Nachmittag. Kerry nahm ein kärgliches Mittagessen zu sich, das aus feuchten Rationen bestand, die längst ihren eigentlichen Geschmack verloren hatten. Je länger sie wartete, desto ungehaltener wurde sie. Eine weitere Stunde verging, ohne dass Oronêl auftauchte. Dafür, dass er es vorhin so eilig hatte, lässt er sich jetzt aber mächtig Zeit dort drinnen, dachte Kerry verärgert. Ihre Kleidung und Haare wollten einfach nicht richtig trocknen und die Erkältung wurde nur noch schlimmer. Ihre Nase lief und es vergingen kaum fünf Minuten, in denen sie nicht von Niesanfällen geschüttelt wurde.
Schließlich hatte sie genug. Sie warf die Vorsicht in den Wind und beschloss, ein Feuer zu machen, um sich aufzuwärmen und zu trocknen. Darüber hinaus war sie sich sicher, dass es Oronêl anlocken würde, damit er sie für ihre Unvorsichtigkeit schimpfen konnte. Also suchte sie das Gras am Waldrand nach leicht brennbarem Holz ab, doch sie fand nichts als ein paar Äste, die viel zu feucht waren um damit ein anständiges Feuer in Gang zu bekommen. Obwohl es ihr dabei ein wenig mulmig zumute war, beschloss sie daher, im Wald nach Zunder und Reisig zu suchen. Und so betrat sie den Fangorn, den Blick stets auf den Waldboden geheftet.
Es dauerte nicht lange, bis sie ein hübsches Bündel am brennbarem Material beisammen hatte. Sie spürte, wie ihre Laune sich bereits ein wenig hob und begann, eine fröhliche Melodie zu summen, die sie als Kind einst von ihrem Onkel gelernt hatte. Da entdeckte sie unter einem etwas kleineren Baum ein großes Stück Rinde, das vor einiger Zeit abgefallen sein musste. Es würde sich perfekt als Herzstück ihres geplanten Lagerfeuers eignen, weshalb Kerry kurzerhand davor in die Hocke ging und das Rindenstück mit der freien Hand ergriff.
Noch während sie es dem Stapel Holz auf ihrem Arm hinzufügte, erhaschte sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung, doch es war zu spät: Etwas sehr großes und hartes legte sich um ihre Hüfte, und sie wurde in die Luft gehoben, wobei sie mit einem überraschten Aufschrei all ihr gesammeltes Holz fallen ließ. Sie starrte entsetzt an sich herab und erkannte, dass sie sich im Griff einer großen Hand befand, die beinahe wie ein Teil eines Baumes wirkte. Kerrys weit aufgerissene Augen folgten dem Verlauf der Hand, die an einem astähnlichen Arm saß, der wiederum Teil eines geradezu baumgleichen Körpers war. Und schon fand sie sich Auge in Auge mit einer so wunderlichen Kreatur wieder, wie sie Kerry noch nie in ihrem Leben gesehen hatte. Zwei tiefgrüne Augen, die in einem bemoosten, hölzernen Gesicht saßen, musterten Kerry gründlich und nachdenklich, während das Wesen mit einer tiefen Stimme einen grollenden Ton von sich gab. Beinahe klang es wie...
„Hmmmmh,“ machte der Baum. „Kleiner Holzdieb, hrrrrmm.“
Kerry war viel zu überrascht um darauf auch nur etwas zu erwidern. Das einzige, was ihr wieder und wieder durch den Kopf ging, war ein einziger Satz: Der Baum kann sprechen. Der kann wirklich sprechen.
„Wir Ents mögen kein Feuer, hrrrmm. Vielleicht sollte ich dich an einen Ast hängen, bis du getrocknet bist.“
„D-du bist ein Ent?“ entfuhr es Kerry, als sie ihre Sprache wieder gefunden hatte. „Bitte lass mich wieder runter, ja? Ich verspreche, niemals mehr ein Feuer anzuzünden. I-ich wusste ja nicht, d-dass es Ents wirklich gibt, ich...“
Ihr blieb der Rest des Satzes im Hals stecken, als sie spürte, wie sich der Griff des Ents um ihre Hüfte verstärkte. Die Baumkreatur schien beschlossen zu haben, Kerry einfach wie ein lästiges Insekt zu zerquetschen. Verzweifelt versuchte sie, mit den Händen die Umklammerung zu lösen, doch die Ent-Finger hielten sie fester als ein Schraubstock gefangen.
„Hrrrrmmmm,“ grollte der Ent. „Niemand betritt diesen Wald. Und niemand verlässt ihn wieder.“
Der Griff wurde noch enger und Kerry bekam Atemschwierigkeiten. Ihre Kleidung riss an mehreren Stellen ein, als die raue Haut des Ents fester zudrückte. „B-bitte nicht,“ stieß sie hervor.
„Ich würde vorschlagen, ihr macht dieses Mal eine Ausnahme, Freund Baumhirte,“ sagte Oronêls Stimme unter ihr.
Der Ent hielt tatsächlich inne. Kerry blickte nach unten und entdeckte Oronêl, dessen Gesichtsausdruck eine Mischung aus Sorge und Belustigung zeigte. Sie war noch nie froher gewesen, ihn zu sehen, egal was sie im Augenblick von seinen Taten hielt.
„Dieses Kind hatte die Absicht, Feuer zu entfachen, Waldsohn“, grummelte der Ent, doch sein Griff lockerte sich und langsam senkte er die Hand, die Kerry umklammert hielt, zum Waldboden hinab.
„Wie ich sehen kann, hast du sie ja noch rechtzeitig daran gehindert,“ erwiderte Oronêl. „Wie lange ist es jetzt her, dass wir uns zuletzt getroffen haben, Fichtenarm?“
„Hrrrmmm. Viele Jahreszeiten sind seither vergangen, selbst nach der Zeitrechnung der Ents.“ antwortete der Baumhirte.
„Ihr kennt euch?“ fragte Kerry ungläubig, als Fichtenarm sie auf dem Boden abgesetzt hatte.
„Im Zweiten Zeitalter gab es eine Zeit, in der ich die umliegenden Lande Lothlóriens bereiste. Bei einem Abstecher in diesen Wald lernte ich meinen alten Freund hier kennen.“
„Und nun hast du dich verabschiedet, bis diese Welt eine andere wird,“ ergänzte der Ent mit seiner merkwürdigen, langatmigen Sprechweise. Er schien also bereits darüber Bescheid zu wissen, dass Oronêl vorhatte, Mittelerde zu verlassen.
„Moment mal, bedeutet das etwa, du warst die ganze Zeit über in der Nähe und hättest auch schon viel früher einschreiten können?“ hakte Kerry nach.
„Möglich,“ erwiderte Oronel und legte den Kopf schief. „Ich sprach bereits vor einer Stunde mit Fichtenarm und beschloss dann, noch einen kleinen Spaziergang unter dem Blätterdach tiefer im Wald zu machen. Auf dem Rückweg habe ich gleich gesehen, dass ihr beiden euch kennengelernt hattet.“
Kerry warf dem Waldelb einen vernichtenden Blick zu, während sie gebührenden Abstand zu dem Ent wahrte. Ihre bissige Erwiderung behielt sie lieber für sich, solange Oronêls alter Freund in der Nähe war.
Ehe sie gingen, gab ihnen der Ent noch einige merkwürdig aussehende Früchte mit, die ihren Proviant ergänzen sollten. Kerry hoffte, dass sie rechtzeitig an einem rohirrischen Dorf oder einer Stadt vorbeikommen würden, ehe sie darauf zurückgreifen müssten.

Und so standen sie wenige Minuten später abreisefertig am Nordufer der Furt, die über den Limklar nach Rohan hinein führte. Oronêl ging wie immer voraus und war schon zur Hälfte hinüber, als er bemerkte, dass Kerry stehen geblieben war.
„Was ist, Kerry?“ fragte er und blickte sie über die Schulter an. „Komm schon. Das Wasser ist bei weitem nicht so tief wie am Anduin.“
„Das ist es nicht, Oronêl,“ gab sie mit leiser Stimme zurück. Sie war sich sicher, dass er sie dank seiner Elbenohren trotzdem deutlich verstehen konnte. „Wenn ich noch einen Schritt mache, überschreite ich die Grenze nach Rohan... meiner einstigen Heimat.“
Oronêl drehte sich vollständig zu ihr um und kam zu ihr ans Nordufer zurück. Der Waldelb nahm ihre Hand. „Ich verstehe,“ sagte er. „Du hast Angst, was dich hier erwarten wird, nicht wahr? Und das wird dir erst jetzt, wo es soweit ist, so richtig bewusst.“
Kerry nickte.
„Atme tief durch, Kerry,“ sagte Oronêl. „Im Gegensatz zu mir wohnt dein Volk noch in deiner Heimat, und als ich das letzte Mal hier war, ging es den Rohirrim vergleichsweise gut. Die Schrecken, die einst dein Dorf verwüstet haben, sind fort und alle Orks in Rohan verrotten längst unter der dichten Grasdecke. Also komm schon. Die Heimkehr wird dir nicht schwer fallen. Ich verspreche es.“
Kerry zögerte noch einen langen Augenblick. Vor ihrem inneren Auge sah sie erneut den Tod und die Zerstörung, die über Hochborn gekommen waren wie ein blutiger Sturm. Dann verbannte sie diese schmerzhaften Erinnerungen in einen dunklen Winkel ihres Verstandes und tat, wie Oronêl ihr geraten hatte. Sie nahm einen langen, tiefen Atemzug und tat dann, ohne Oronêls Hand loszulassen, einen zaghaften Schritt nach vorne.


Oronêl und Kerry nach Edoras
« Letzte Änderung: 2. Nov 2018, 12:07 von Fine »
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