Brianna nach mehrwöchiger Reise durch die Wälder südlich Minas TirithsEine schwarze Wolke schob sich über den diesigen Himmel dieses frühsommerlichen Tages, während Brianna mit dem kleinen Dolch geschickt die Haut vom Leder des Hirsches abzog. Fast monoton folgte sie dieser Arbeit und bekam gar nicht mit, wie der kleine Fuchs anfing mit nach den Innereien zu schlagen, die aus dem Kadaver herausquollen.
Er war in den wenigen Monaten, die sie nun schon unterwegs waren, zu einer stattlichen Größe herangewachsen und war der Menschenfrau aus Thal seitdem keinen Meter mehr von der Seite gewichen.
„Hier mein Kleiner“, sprach sie liebevoll zu ihrem tierischen Begleiter, während sie ihm ein größeres Stück Fleisch herausschnitt und vor die Füße warf, „iss dich satt. Es reicht mühelos für uns drei.“
Unbewusst fuhr sie sich bei den Worten über den gewölbten Bauch, der sich nun schon deutlich unter ihrem verschlissenen Leinenkleid abzeichnete.
„Wir drei schaffen das…wir drei werden überleben..“, murmelte sie wie in Trance, ehe sie begann großzügige Streifen des Fleisches herauszuschneiden und in den kochenden Topf voller Wasser zu werfen.
~ * ~
Die Sonne stand schon tief über den Mauern der Ruine, aber der Fuchs schlief immer noch, erschöpft von den Schmerzen, den ihn seit Tagen schüttelten. Sie richtete sich auf und deckte ihn mit dem Mantel zu. Die Kratzwunden am Hals des Fuches waren gut verheilt, aber Brianna, welche ihre haselnussbraunen Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden hatte, machte sich immer noch schreckliche Vorwürfe.
Ihre meergrauen Augen tasteten über das rotblonde Fell des Fuches, welches ab und an schneeweiße Flecken aufwies und zu den Pfoten hin in einen milchigen Farbton hinüberfloss.
Von der Ruine konnte man gut auf den Eichenwald hinabsehen und die letzten Sonnenstrahlen des Tages legten sich wie ein goldenes Spinnennetz über ihre Kahlen Baumwipfel.
In der Ferne bedeckten pechschwarzer Ruß und dunkle Wolken, den sonst wolkenlosen Dämmerungshimmel. In den Monaten, seit sie Minas Tirith fluchtartig verlassen hatte, war die Dunkelheit schleichend vorgerückt. Mit der erneuten Eroberung der weißen Stadt waren sie endgültig zur permanenten Gesellschaft geworden.
Der Fuchs seufzte leicht im unruhigen Schlaf und auch Brianna merkte wie die Müdigkeit sie zu übermannen schien. Spätestens morgen müsste sie wieder jagen gehen, denn ihre Vorräte neigten sich dem Ende zu.
~ * ~
Der Morgen weckte sie mit einer warmen Brise und der Duft von wildem Bärlauch stieg ihr in die Nase. Brianna hatte nie vergessen, wie sehr sie der Geruch von Kräutern und Gewürzen beruhigte und ihrem ungeborenen Kind schien es dabei genauso zu gehen. Er hatte aufgehört sie zu treten, sobald sie angefangen hatte in den steilen Berghängen und hohen Wäldern der Ered Nimrais nach Heilkräutern zu suchen, um ihre Übelkeit zu lindern und das dürftige aufgekochte Wasser wenigstens nach irgendetwas schmecken zu lassen.
Wie jeden Morgen wachte sie mit einer Wehmut auf, die sich wie eiserne Ringe um ihr Herz legten. Sie unterdrückte die bitteren Tränen, die in ihr aufstiegen und klopfte sich die Reste von Kiefernnadeln von ihrem Kleid. Es war zerschlissen und schmutzig, aber es war das einzige gewesen, neben dem Dolch, einen Topf und einen Bogen, was sie bei ihrer überstürzten Abreise aus Minas Tirith hatte mitnehmen können.
Der Fuchs hatte sich in seine Ecke der zugigen Ruine zurückgezogen und schlummerte immer noch vor sich hin. Er war ihr nützlicher als sie gedacht hätte, denn oftmals brachte er ihr von seinen spätabendlichen Jagdausflügen einen der hiesigen Vögel oder eine Ratte mit.
Doch vor ein paar Tagen hatte ihn ein anderes Tier übel zugerichtet. Brianna, die nicht wusste, was für Lebewesen in diesen Teilen Gondors lebten, hatte sich nicht erschließen können, von welchem Tier die Wunden stammen konnten. Allerdings verheilten die Wunden gut und schienen sich nicht infiziert zu haben.
Die schneebedeckten Gipfel der Berge, die sich vor ihr wie Riesen auftürmten, funkelten im strahlenden Licht der Sonne, die sich durch den dichten Wolkenvorhang kämpfen konnte. Es war einer der ersten Tage, wo sie am Horizont keine Rauchsäulen sehen konnten. Die Lage in Minas Tirith schien sich allmählich beruhigt zu haben, aber zu welchem Preis?
Sie seufzte und knabberte an den Kiefernnadeln, die sie gesammelt hatte. Sie waren äußerst nahrhaft und hielten Brianna und ihr Kind nun schon seit längerer Zeit über Wasser. Auch der Hirsch war ein Glückstreffer gewesen, den sie vorgestern mit ihrem Bogen erlegt hatte. Sie kam besser zurecht, als sie gedacht hätte. Außer die Einsamkeit. Oft erwischte sie sich dabei, wie sie allein in den fahlen Wäldern anfing mit den wichtigen Menschen aus ihrer Vergangenheit zu reden, obwohl diese nicht da waren. Niemand war mehr da. Sie war allein. So allein und es raubte ihr den Verstand. Die ersten Monate waren besonders schlimm gewesen. Oftmals hatte sie allein unter den sternenklaren Firmament gelegen und sich leise in den Schlaf geweint oder war schreiend durch den Wald gerannt, ehe sie schluchzend zusammenbrach und in einen unruhigen, rastlosen Schlaf verfiel.
„Paola, Araloth, Elea…warum habt ihr mich alle im Stich gelassen…wie soll euch ich ohne euch nur überleben…wie sollen –wir- überleben?“, schluchzte sie schon wieder und erst die feuchte Nase des Fuchs vermochte sie aus ihren dunklen Gedanken zu reißen. Denn sie wusste sie musste immer nur einen Tag nach dem anderen überstehen.