Aivaris Start:Ein großer Mensch mit dunklem Haar und einem ernsten Gesichtsausdruck trat in den Lichtsaum des Lagerfeuers, das Aivari hier zwischen Bäumen und Sträuchern in einem kleinen Waldstück entzündet hatte.
Ich wusste ich würde es bereuen ein Feuer zu machen..., dachte der Zwerg bei sich, doch die Kälte und der Wunsch nach einer warmen Mahlzeit hatten ihn dazu gezwungen.
Nach Wochen in den Tiefen Khazad-dûms war ihm ein warmes Plätzchen zwischen den Baumwipfeln unter freiem Sternenhimmel wie ein persönliches Geschenk Aules vorgekommen. Warum hätte er es ablehnen sollen?
Der Mann wirkte auf den ersten Blick verzweifelt und war ebenso zerzaust, wie es Aivari nach einer gefühlten Ewigkeit in der Dunkelheit Morias war. Er hatte sich am Spiegelsee immerhin ein wenig waschen und pflegen können, sodass er nun zumindest nicht mit einem haarigen Waldtroll verwechselt werden würde.
Beim Anblick des Mannes, steckte Aivari die mattschwarze Klinge seines Schwertes
Azanul wieder in seine Schwertscheide am Gürtel und er setzte sich zurück auf den kleinen Baumstamm, den er an die Lagerstelle an das Feuer gerollt hatte. Seinen Fund von vor ein paar Tagen, eine alte zwergische Insignie, die er gerade begutachtet hatte, bevor er auf das Rascheln im Dickicht aufmerksam geworden war, ließ er schnell in einem seiner Beutel am Gürtel verschwinden.
»Ihr solltet euch bei Nacht nicht so anschleichen, mein Freund. Es streifen auch finsterere Gestalten durch diese Lande, die euch nicht so wohlwollend gesinnt sind wie ein Zwerg auf der Durchreise.«
Unter dem dichten weißen Bart, der bis auf die Brust reichte, formte sich ein sanftes Lächeln, als er den Menschen spaßeshalber ein wenig tadelte. Es war gefühlte Monate her seit der Zwerg das letzte Mal mit einem intelligenten, freundlich gesinnten Wesen gesprochen hatte. Wochenlang waren seine einzigen Begegnungen weglagernde Orks, Ratten und anderes Getier in den Hallen und Schächten Khazad-dûms gewesen. Sein einziger Gesprächspartner waren die eigenen Gedanken, der einzige einigermaßen wohlwollende Anblick sein Spiegelbild in einer Wasserpfütze in den Minen von Zwergenbinge gewesen.
»Verirrt habt ihr euch also. Nun, der Wege sind viele, doch das Ziel ist eins. So sagt man doch, nicht?«
Während er sprach griff der Zwerg in seinen liebsten Beutel am Gürtel, nämlich den, der bis zum Rand mit feinstem Pfeifenkraut gefüllt war. Ein wenig davon rieb er zwischen Zeigefinger und Daumen noch etwas weicher und ließ es danach in die Öffnung seiner Pfeife rieseln. Dann entzündete er sie über dem Feuer und passte dabei auf, dass ihm sein Bart nicht zu nah an die Flammen kam. Diese Vorsicht hatte er vor etlichen Jahren nicht walten lassen und die Erfahrung noch Wochen später den Geruch von verbranntem Haar in der Nase zu haben, wollte er sich dieses Mal ersparen.
»Nun setzt euch endlich und sagt mir euren Namen, Herr Störenfried.«, meinte Aivari schließlich, nachdem der Mensch einige Momente lang, von der unerwarteten Begegnung überrascht, wie angewurzelt fest stand.
»Ehrm... entschuldigt bitte! Ich bin Eddy Weingarten. Ihr dürft mich gerne Ed nennen.«, erwiderte der Mensch schließlich mit einer unvorhergesehenen Höflichkeit und setzte sich schnurstraks gegenüber von Aivari auf einen kleinen Stein am Feuer.
»Eddy Weingarten! Ein vorzüglicher Name. Habt ihr da wo ihr herkommt etwa Wein angebaut?«
Aivari nahm einen kräftigen Zug aus seiner Pfeife und blies ein paar formschöne Ringe in den aufsteigenden Rauch des Feuers, die sich langsam zu einer Einheit zusammenfügten und in den Sternenhimmel zwischen den Baumwipfeln aufstiegen.
»Nein, nein. Die Weingartens haben eine lange Familientradition im Breeland, besonders in Archet, wo ich lebte. Ich selbst... nun... man könnte mich am ehesten als Baumeister bezeichnen. Gebt mir einen Hammer und ein paar Nägel in die Hand, ein paar Bretter und Metalle und ich kann euch fast alles zusammenbauen.«
»Nun einem Zwerg braucht ihr vom Bauen nichts erzählen. Wir hauen unsere Häuser schließlich einfach in die Berge hinein, schmücken sie ein wenig aus und dann leben wir bestenfalls für den Rest unserer Tage im Kerzenschein nach Diamanten schürfend, haha!«
Als der Breeländer – noch etwas verhalten – lachen musste, erfreute das Aivari um so mehr und er kramte erneut in einem seiner Beutel herum.
»Hier, nehmt meine Ersatzpfeife. Die ist zwar schon etwas älter, hat dafür aber schon das ein oder andere besondere Kraut aus dem fernen Osten zum Glimmen gebracht.«
Er reichte dem Breeländer die Pfeife herüber, nachdem er sie mit dem selben Pfeifenkraut vollgestopft hatte wie zuvor. Er fragte gar nicht erst, ob Eddy überhaupt rauchte. Für den Zwerg war das gemütliche Pfeiferauchen am Lagerfeuer bereits zur Gewohnheit geworden und nachdem er sich innerhalb von Moria nur selten die Zeit genommen hatte ein wenig Kraut zu rauchen, nahm er einfach an, dass Eddy ebenso begierig darauf war.
Ed nahm die Pfeife dankbar entgegen und zündete sie über dem Feuer an. Als er beim ersten, tiefen Zug bereits das halbe Kraut einatmete und wild loshusten musste, konnte sich Aivari vor Lachen kaum mehr auf seinem Baumstamm halten. Dabei erschrak er selbst ein wenig, denn er hatte sein Lachen seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gehört. Zu dunkel waren seine Tage in letzter Zeit.
»Ihr seid wohl nicht so der Pfeifenkrautraucher, was?«, meinte er schließlich vergnügt zum Breeländer.
Eddy nickte nur verhalten, schien nun aber mit etwas gemäßigteren Zügen Gefallen am Geschmack zu finden.
»Mein Name ist übrigens Aivari. Aivari Stormborinn um genau zu sein und ich stamme aus den Eisenbergen.«
Er seufzte unhörbar beim Gedanken an sein scheinbar unendlich weit in der Vergangenheit liegendes Leben mit seiner Familie und fuhr sogleich fort, mit etwas ernsterer Stimmlage.
Er war selten so offenherzig Fremden gegenüber wie er es gerade gewesen war, doch die Einsamkeit in Moria hatte auch an seiner zurückgezogenen Art ihre Spuren hinterlassen, sodass er die Begegnung genoss.
»Also, ihr sagtet ihr habt euch verirrt. Wohin sollte euch euer Weg denn führen, Ed, wenn nicht an mein nächtliches Lager?«
»Nach Rohan. Wisst ihr in welcher Richtung es liegt?«
Aivari griff sich mehrmals langsam in den Bart und dachte nach. Er war noch nie in Rohan gewesen, trotzdem wusste er nach so vielen Jahren, die er nun schon in Mittelerde verweilte, ziemlich genau wo Rohan lag. Er fragte sich viel mehr, was einen Breeländer überhaupt so weit in den Osten trieb.
»Südwesten.«, erwiderte Aivari schließlich knapp und deutete in die Richtung.
»Geht bis euch der Limklar den Weg versperrt, überquert ihn an einer seiner Furten und schon befindet ihr euch in Rohan, genauer gesagt in der Wold. Dann immer schön nach Süden und ihr werdet euch in Ost-Emnet wiederfinden. Von dort aus könntet ihr nach Westen nach Edo...«
Plötzlich ertönende fremde Stimmen in einiger Entfernung ließen Aivari abrupt verstummen. Einen Moment sahen sich Eddy und er wortlos an, schließlich nahm der Zwerg eine seiner rundlichen Trinkflaschen und erstickte mit dem Wasser das Lagerfeuer, während er Eddy bedeutete ruhig zu sein.
Sein Leichtsinn bei Nacht ein Feuer zu machen, würde sich vielleicht doch noch rächen, obwohl er jede Vorsichtsmaßnahme getroffen hatte, die ihm möglich war. Schließlich war nicht unbedingt zu erwarten, dass man das Feuer außerhalb des Waldstückes überhaupt sah.
Er schüttelte das feine Pfeifenkraut mit gequältem Gesicht aus der Pfeife und trat ein paar Mal darauf, sodass es den moosigen Waldboden nicht noch entzündete. Eddy tat ihm gleich und beide sahen sich in gebückter Haltung um. Jetzt wo das Licht des Feuers erloschen war und nur noch ein wenig kalte Glut nachglimmte, konnten sie ein paar Lichtquellen zwischen den Bäumen erkennen, die sich bewegten.
Ein halbes Dutzend, vielleicht mehr.
»Ihr hattet nicht zufällig ein paar Verfolger, Herr Weingarten.«, meinte er flüsternd mit vorwurfsvollem Unterton zu dem Breeländer, dessen raues Gesicht im Halbdunkel recht blass geworden war.
»Ich bin ein Deserteur.«, platzte es aus ihm heraus, etwas lauter als Aivari für gut empfand, weshalb er ihm einen hastigen Blick zuwarf und mit seiner Hand bedeutete leiser zu sprechen, bevor er sich auf das Gesagte einlassen konnte.
»Ich wurde als Baumeister in die Reihen von Sarumans Armee rekrutiert, aber er hat uns hintergangen... zumindest glaube ich das. Ich weiß nicht wem ich noch trauen kann, deshalb bin ich auf der Flucht.«
»Saruman?!«, platzte es nun im Gegenzug aus Aivari heraus, sodass nun Eddy einen angespannten Gesichtsausdruck auflegte und ihm mit einer Handbewegung bekundete leiser zu sein.
»Das letzte Mal als ich von Saruman gehört habe, war er mit einer tausende Köpfe starken Armee auf dem Weg nach Lóthlorien, um die freien Völker von dort zu vertreiben.«
»Was? Wo wart ihr denn die letzten Monate, wenn ich fragen darf?«
In Eddys Stimme klang eine ordentliche Portion Überraschung mit. Er drehte sich mit verblüffter Gestik zu dem neben ihm kauernden Zwerg um, während sie weiter geduckt hinter kleinen Steinen und einem größeren Baumstamm die Umgebung im Auge behielten.
»Das ist eine lange Geschichte, die ich mir für eine andere Gelegenheit aufspare. Lasst uns einfach warten und hoffen, dass sie uns nicht entde...«
»Halt!«, ertönte plötzlich eine tiefe Stimme, die so nah war, dass Eddy und Aivari beide aufschreckten.
»Hier brennt Glut! Hierher, hierher!«, ging es weiter und ein in einen grauen Umhang gehüllter Mensch ohne Fackel, jedoch mit einem Langschwert bewaffnet, trat aus dem Dickicht heraus ins Halbdunkel. Dabei erkannte er nun auch den Zwerg und den Breeländer im Schatten lauernd.
»Wer seid ihr?«, wollte der Graue nun wissen und hielt sein Langschwert dabei auf die beiden gerichtet.
Bevor einer von ihnen antworten konnte, rückte bereits Verstärkung an, mindestens ein halbes Dutzend bewaffneter Bogenschützen, die ihre Pfeile auf Aivari und Eddy richteten.
Auch die in der Entfernung erspähten Fackelträger stießen binnen Sekunden zur erloschenen Feuerstelle.
»Das ist er!«, rief ein anderer und deutete im Schein der Fackeln auf den Breeländer.
»Fesselt ihn und werft ihm einen Sack über den Kopf.«, meinte ein Dritter, der wohl ihr Anführer war. »Er wird noch lernen, was es heißt Saruman zu hintergehen.«
»Was ist mit dem Zwerg?«, erwiderte einer der Bogenschützen, der seinen Pfeil auf Aivari gerichtet hatte.
»Habt ihr diesem Verbrecher Unterschlupf gewährt?«, fragte der vermeintliche Anführer wieder.
Aivari schaute einen Augenblick zu Eddy, der ihn durch seine blauen Augen entmutigt ansah. Mehrere Gedanken schossen dem Zwerg durch den Kopf. Sein Ziel war es zwar seinen Vater zu finden und die zwergische Insignie war ein vielversprechendes Teilstück dieser Suche, doch er konnte den Breeländer unmöglich im Stich lassen, auch wenn er ihn noch nicht lange kannte. Eddy war ihm gegenüber ehrlich gewesen und seine Verzweiflung war nicht vorgetäuscht. Nun gebot es allein schon Aivaris Pflicht als Mann von Ehre ihm zu helfen. Wer wusste schon, was diese Menschen mit ihm machen würden? Warum überhaupt waren sie ihm so feindlich gesinnt und hatten ihn offenbar lange verfolgt? Nur weil er, ein einzelner Mann desertiert war? Und was hatte es mit Saruman auf sich, der nun anscheinend Breeländer und Menschen des Nordens unter seinem Banner vereint hatte. Die beste Möglichkeit Eddy zu helfen, die Aivari in der Kürze der Zeit einfiel, war sich zu ergeben und dann gemeinsam einen Plan zu schmieden.
»Ja das habe ich. Und ich würde es wieder tun.«, sprach er schließlich nach einer fast schon zu lange andauernden Stille und legte dabei größtmöglichen Trotz in seine Stimme.
»Schafft ihn ebenfalls weg! Soll Saruman über ihr Schicksal entscheiden.«, befahl der Anführer der Menschen mit angestrengter Stimme und drehte sich dabei schon wieder auf der Stelle um und verschwand im Dickicht. Er schien es eilig zu haben.
Die anderen sammelten die herumliegen Habseligkeiten ein, entwaffneten und fesselten Aivari und Eddy, die sich nur widerwillig unterwarfen, und packten sie getrennt hinter zwei Reiter auf ihre Pferde.
Das Letzte, das Aivari sah, war das dankbare Gesicht von Ed, der eine Mundbewegung machte, die der Zwerg nur als »Es tut mir leid« deuten konnte. Er nickte dem Menschen wissend zu, bevor ihnen Leinensäcke über die Köpfe gezogen wurden...