Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Thal

Ebenen vor Thal

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Tauriel?:
Die Funken, welche Eryniel entfacht hatte, begannen das trockene Geäst und Stroh zwischen den Holzscheiten zu entflammen. Bald schon knisterte das brechende Holz unter den züngelnden Flammen und Eryniel hing einen Topf mit Wasser über die Feuerstelle. Um das Lagerfeuer hatten sich auch andere Elben des Spähtrupps zusammen gefunden und es sich, auf zurecht gerückten Stämmen, bequem gemacht.
Manche nahmen sich ein Tuch und säuberten ihre Waffen, welche sie vergangene Nacht mit dem Blut der Ork-Patrouillen getränkt hatten. Eryniel kramte in einem Rücksack herum bis sie zwei Beutel und ein gefaltetes Tuch herauszog. Bevor sie aus Esgaroth aufgebrochen waren, hatte sie etwas Proviant besorgt. Sie reichte beide Beutel ihren Kameraden. Diese begannen gleich, dass sich darin befindende Gemüse, zu schneiden und in das kochende Wasser zu geben. Eryniel entfaltete das Tuch, in dem sich einige Kräuter befanden. Prüfend nahm sie eines der Blätter zwischen zwei Fingerspitzen und zerrieb es. Sogleich verbreitete sich ein intensiv süßer Geruch und stieg ihr in die Nase. Sie nahm eine Priese und gab sie in den Kessel. Eine Elbe rührte mit ihrem Kochlöffel um.
Es war irgendwie eigenartig im Kriegslager zu sitzen und zu kochen. Eryniel setzte sich auf den Boden zu den anderen. Es dauerte nicht lange, bis die Suppe fertig war und dampfende Schalen verteilt wurden. Dankend nahm Eryniel zwei entgegen. Wo beleibt er denn? Ihr Blick schweifte suchend umher. Mit erhobener Hand tauchte er in der Gasse zwischen den Zelten hinter ihr auf. Erleichtert ließ er sich neben ihr nieder und sie reichte ihm grinsend eine Suppe.
“Danke, Eryniel. Ich habe versucht mich zu beeilen, aber dieser Dúnadan war eine echt harte Nuss. Wenn es um Rationen geht, kennen die kein Mitleid, sag ich dir.“ Stolz reichte Paladir ihr ein Leib Gebäck. “Aber ich müsste mich schämen, wenn ich mich davon abhalten ließe.“
Eryniel lachte. “Ich hätte auch nichts anderes erwartet, mein Freund. Ich hoffe nur, er war nicht alt zu verärgert.“
“Der kriegt sich schon wieder ein. Außerdem wird der Zauberer es nicht vermissen, soviel wie er auf seinen Karren mitgebracht hat.“
“So werden wir Saruman los; indem wir ihn einfach aushungern lassen. Ausgemergelt und schwach wie er dann sein wird, kann er sich vor lauter Hunger nicht wehren.“
“Ein brillanter Schachzug.“, feigste Paladir. Genüsslich roch er an der Suppe und leerte die Schüssel in einem Zug.
“Du würdest es gewiss allein fertigbringen das Lager des Zauberers zu leeren, wenn man dich nur ließe.“

Nach dem Essen erhoben sich beide und wanderten etwas durch das Lager. Es gefiel Eryniel nicht so lange warten zu müssen, doch die Orks des Nebelgebirges in Sarumans Diensten, ließen ein Wandern während die Sonne schien nicht zu und so viel massig Zeit an, in der das Heer ausruhen konnte.
“Wie lang wird es wohl noch dauern, bis wir Thal und den Einsamen Berg erreichen?“, fragte Paladir als er in Richtung der gewaltigen Bergspitze schaute.
“Ich weiß nicht recht. Ich habe gehört es sollen noch etwa zwei Tage Fußmarsch bevorstehen, ehe wir an der Stadt am Fuße des Berges eintreffen. Ich selbst war nie dort.“, sprach sie nachdenklich. “Wir würden schneller vorankommen, wenn diese Ungetüme uns nicht behindern würden.“
“Wie bereits gesagt, könnten wir Saruman immer noch verhungern lassen“ Paladir knuffte sie in die Seite und sogleich entspannte sie sich wieder.
“Nun mehr als ärgern dürften wir ihn nicht. Nur seinetwegen kämpfen die Orks an unserer Seite und ohne ihn würden sie auf uns losgehen. Fürs Erste können wir uns den Luxus eines toten Zauberers nicht leisten.“ ,gab sie mit einem bitteren Lächeln zurück.
“Nun dann sollte uns Ärgern erst einmal reichen.“ Eryniel kannte diesen Ausdruck in seinen Augen.
Später am Nachmittag hörte man von einem Brand in dem privaten Vorratszelt des Zauberers. Die Rede war von einem “unachtsamen Aufstellen einer Fackel“ und man beschuldigte die Orks, in dessen Bereich das Zelt gestanden hatte. Eryniel konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen als die Kreaturen zu ihrem erbosten Gebieter kommandiert wurden. Von Paladir hörte sie an diesem Tag nichts mehr.

Bei Einbruch der Nacht war das gesamte Heer wieder auf den Beinen und bewegte sich entlang der alten Straße in Richtung des Berges. Wieder zog Eryniel mit den Spähern aus, doch diese Nacht verging vollkommen ereignislos. Die Ebene stieg gegen Morgen immer weiter an und auch die letzten jungen Bäume wichen den Moosen und Kräutern des Hochlandes. Der Berg kam immer näher und sein schneebedeckter Gipfel funkelte, als die Sonne im Osten aufging. Sogleich schlug man das Lager auf. Sie rasteten dieses Mal zwischen zwei Felswänden in der Mulde eines kleinen Tales. Hier waren sie geschützt vor dem kalten Wind, der aus dem Norden kam. Die Stimmung im Lager begann nun umzuschlagen, denn man wusste, dass sie bald am Ziel sein würden. Mit einem unguten Gefühl im Bauch ging es am Abend weiter. Immer noch wehte der beißende Wind ihnen entgegen.
“Ihr übernehmt den Westhang.“ schnell verschwand der Dúnadan Richtung Osten.
Heute werden wir besonders aufmerksam sein müssen.
Eryniel machte sich daran den schmalen, steinigen Pfad links der Straße zu folgen. Sie lief weiter vor und ließ die anderen Späher hinter sich zurück bis sie vor einer Felswand halt machen musste. Es sah so aus, als könnte man das brüchige Gebilde erklimmen. Sogleich machte sie sich an den Aufstieg. Der Wind zerrte immer stärker an ihr, je höher sie kam, doch trittsicher setze sie einen Fuß nach dem anderen an Spalte und Vorsprünge der Felswand. Oben angekommen, stemmte sie sich mit den Armen auf den Rand des Abgrunds, welcher sich nun unter ihr auftat. Oben auf dem Plato war nichts zu sehen, als sich im Wind biegende Gräser und vereinzelte Felsformationen. Unter ihr konnte sie den Heerzug beobachten, welcher sich entlang der Straße in Richtung des Berges bewegte. Eryniel beschloss, sich auf dem Plato umzusehen. Nur das Pfeifen des Windes durchschnitt die Nachtluft. Kein Zirpen oder Zwitschern war zu hören, was Eryniel etwas beunruhigte. Erste vereinzelte Schneeböen wehten vom Berg herüber, der nun nicht mehr weit entfernt war und dessen Größe Eryniel Ehrfurcht einflößten.
Als sie durch einen Spalt zwischen zwei Felsen ging bemerkte sie einen eigentümlichen Geruch. Schnell griff sie nach ihrem Schwert. Diesen Geruch hatte sie in letzter Zeit nur alt zu genau kennengelernte. Orks!  Die Diener Sarumans konnten es nicht sein, denn sie hatten man nicht ausgesandt. Fußspuren waren im gefrorenen Boden nicht zu erkennen, doch das zertrampelte Grün deutete auf eine kleine Gruppe von etwa fünf hin. Sie folgte der Spur durch die kahle Hügellandschaft bis sie sich plötzlich Teilte und eine weitere Spur hinzukam. Eryniel kannte die Abdrücke des Tieres nicht von dem sie stammten, doch es musste sich um etwas von der Größe eines Ponys handeln, etwas gedrungener vielleicht. Sie entschloss sich zunächst der Spur zu folgen, welche nach Norden abbog. Schnellen Schrittes ging es nun wieder bergab. Es dauerte nicht lang, bis Eryniel erste schwarze Kleckse entdeckte am Ende der Spur fand sie einen enthaupteten Orkleichnam. Angewidert kniete sie neben dem verstümmelten Körper. Lange klaffende Wunden zogen sich über Hals und Rücken der Kreatur. Was kann das gewesen sein? Eryniel beschloss wieder zurückzugehen und der zweiten Spur zu folgen.
Auch hier fand sie bald, die aufgeschlitzten Körper welche in einigem Abstand voneinander entfernt lagen, verfolgt von den Abdrücken der unbekannten Kreatur. Um die Orks schien man sich keine Sorgen mehr machen zu müssen, doch Eryniel wollte wissen, um was sie nun endlich niedergeschlagen hatte. Es schien nicht um Nahrung gegangen zu sein, denn keiner der Leichen war angefressen und nur der Kopf der einen Leiche schien zu fehlen. Erneut beschloss sie sich die Wunden anzusehen und bemerkte bei genauerem hinsehen das die klaffenden Schnitte Stiche überdeckten. Es konnte sich also nicht um eine wilde Bestie handeln. Blieben nur noch die eigentümlichen Abdrücke, welche immerhin schwer genug waren, um im harten Spuren zu hinterlassen. Sie folgte den Spuren. Irgendwann kam ein weiteres Paar derselben Spuren dazu, welche sich gemeinsam Richtung Berg bewegten. Ein schmetternder Schrei ließen sie anhalten. Wieder ertönte das schrille Röhren. Geduckt und mit ihrem Bogen bewaffnet schlich Eryniel sich näher an das Geräusch. Unter dem Dach zweier schräg liegender Felsplatten flammte ein kleines Licht auf. Vier große Schatten standen nah beisammen. Die haarigen Wesen erinnerten Eryniel an große Ziegen. Sogleich fielen ihr die Reittiere der Zwerge aus den Eisenbergen ein, über die sie einmal etwas gelesen hatte. Wie um sie in ihrer Ahnung zu bestätigen ertönte ein tiefes Schnaufen einer Männerstimme in Nähe des Lagerfeuers. Eryniel erkannte die zusammengekauerte Gestalt des Zwerges, welcher sich mit  einem weiteren in ihrer Sprache unterhielten. Zwei weitere kleine Schatten traten auf das Lagerfeuer zu und wurden schallend begrüßt. Vier Zwerge. Eryniel hatte nicht erwartete  Zwerge vorzufinden. Sie war davon ausgegangen, dass alle Zwerge sich aus dieser Gegend zurückgezogen hatten, doch da saßen vier schwerbewaffnete Zwerge.
Sie hielt den Bogen weiterhin gespannt, doch ging geradewegs auf die Versammlung zu.
Erschrocken standen alle vier auf und griffen zu ihren Waffen, zögerten jedoch, als Eryniel ins Licht trat.
“Elb!“ ,brüllte einer der Zwerge. “Bleibt stehen und sagt, was ihr von uns wollt!“
Des öfteren hatte Eryniel Zwerge gesehen die über den Waldpfad ihre Waren transportierten. Sie hatte sie nicht sonderlich geschätzt und immer für sehr leicht reizbar gehalten, wenn man eine neckische Bemerkung machte. Gekämpft hatte sie gegen Zwerge, jedoch noch nie und hatte es auch nicht vor. “Beruhigt euch, Graubärte. Keine bösen Absichten führen mich zu euch.“
Einer der Zwerge schnaufte inbrünstig. “Viel könnt ihr uns erzählen, Spitzohr.“
Eryniel grinste schelmisch. Sie nahm den Zwerg die abfällige Bemerkung nicht übel. “Ich fand die Spur aus toten Orks, welche ihr hinter euch zurückgelassen habt und musste mich vergewissern, wer sie erlegt hat.“, sprach sie wahrheitsgemäß. “Ich war zunächst davon ausgegangen eine wilde Bestie hätte die Unholde zu Fall gebracht. Wie ich sehe, hatte ich mit meinen Befürchtungen nur zur Hälfte recht.“, fügte sie amüsiert hinzu.
Die Zwerge bestanden darauf zu erfahren, was eine Elbe in der Nähe des einsamen Berges zu suchen habe. Im folgenden Bericht erklärte Eryniel, was sie in diese Gegend führte und von dem Bündnis der Waldelben mit Saruman. Ihrerseits erzählten nun die Zwerge von ihrer Jagd nach dem Orktrupp und ihren Beweggründen sich allein soweit in die Nähe des besetzten Berges zu wagen. Sie seien aus den Eisenbergen und sollten auskundschaften wie es um den Einsamen Berg und Thal stünde.
Als sie fertig waren, begann die Morgendämmerung die vom Frost überzogene Landschaft zu erhellen. Die Armee müsste bald Thal erreichen, überlegte Eryniel. Gemeinsam mit den Zwergen, die ihre Widder an den Zügeln führten, wanderten sie weiter Richtung Nord-Ost, wo sie bald die Straße erreichen müssten. Die Zwerge wollten, bevor sie zurückkehren würden, noch einmal mit Thranduil reden, um einen ausführlichen Bericht der Lage zu erhalten. Als sie einen letzten Hügel erklommen hatten und mit den Abstieg begonnen, erreichten sie die gepflasterte Straße die geradewegs nach Thal führte. Das Heer musste bereits vorbeigekommen sein, also sattelten die Zwerge auf und Eryniel lief neben den Zwergen mit ihren gehörnten Reittieren her.

Fine:
Kerry starrte trübsinnig über die Ebenen hinweg, an deren Nordende der gewaltige Einsame Berg aufragte. Die Spitze des Erebors war mit jedem Schritt weiter in die Höhe gewachsen, seitdem das große Heer den Langen See hinter sich gelassen hatten. Die Zwergenstraße, die entlang des Flusses verlief, war zwar nicht breit genug für die in loser Formation marschierenden Orks, doch sie wies ihnen dennoch die Richtung.
Als ob man sich in dieser Gegend verlaufen könnte, dachte Kerry. Der Einsame Berg war eine so gewaltige Orientierungshilfe, dass sie bezweifelte, dass die Straße als Richtungsweiser wirklich notwendig gewesen wäre. Sie hoffte, dass die Elben bald ins Waldlandreich zurückkehren würden. Dort hatte es ihr deutlich besser gefallen. Zwar war die Landschaft hübsch anzuschauen, doch je weiter sie nach Norden kamen, desto kälter wurde es. Und nicht nur das Wetter schlug Kerry auf die Laune. Auch die heraufziehende Schlacht machte sie nervös. Sie wusste, dass all ihre Freunde es am liebsten sähen, wenn sie sich so weit von den Kämpfen wie möglich entfernt hielt. Sogar Helluin - der nun wirklich nicht ihr Freund war - hatte etwas ganz Ähnliches vorgeschlagen.
Der Berg streckte ihnen zwei breite Ausläufer entgegen - einen nach Südwesten, einen nach Südosten. Dazwischen breitete sich ein weites Tal aus, aus dem der Fluss hervorströmte, dem sie bislang gefolgt waren. Es war nur spärlich bewachsen und bot eigentlich nur einen einzigen interessanten Anblick: Die fernen Mauern einer Stadt am anderen Ende der Ebene.
"Dort liegt Thal," sagte Helluin, als er neben sie trat. "Unser nächstes Ziel."
Kerry gab ihm keine Antwort. Sie fror und hatte sich ihren Umhang eng um die Schultern geworfen, doch es waren vor allem ihre Stiefel, durch die sie die Kälte spürte. Ich sollte mir wirklich so langsam ein neues Paar besorgen, dachte sie.
Helluin schien ihr Schweigen korrekt zu deuten und versuchte nicht, sich weiter mit ihr zu unterhalten. Stattdessen begann er, leise Anweisungen an die umstehenden Dúnedain zu verteilen. Kerry, die die Ohren spitzte, erfuhr daraus, dass die Waldläufer des Nordens auf dem Bergkamm im Südwesten von Thal Stellung beziehen würden, sobald die Schlacht begonnen hatte. Dort gab es offenbar einen alten Wachturm der Zwerge, der für diesen Zweck gut geeignet war. Innerlich atmete Kerry auf, denn wenn die Schlacht auf den Ebenen vor der Stadt stattfinden würde, wäre sie auf dem Beobachtungsposten der Dúnedain sehr weit weg davon.
"Komm mit mir, Kerry," sagte Helluin einige Minuten später. "Ich werde mit den Elben sprechen, denn es gilt nun, Kundschafter auszusenden. Das dürfte dich ebenfalls interessieren."

Während die Orks der Weißen Hand und der Großteil der Elben des Düsterwaldes ihren langsamen Marsch in Richtung Thal weiter fortsetzten, hatten sich einige wenige am Ende des Heereszuges versammelt, wohin Kerry Helluin nun folgte. Im Schatten eines der seltenen Bäume standen Thranduil und seine Tochter, sowie die wichtigsten Kommandanten des Elbenheeres. Kerry entdeckte auch Bard, den König von Thal unter ihnen, als sie näher gekommen waren. Etwas abseits stand Oronêl, die Axt in der Linken haltend und mit schwer zu deutendem Blick im Gesicht.
Der König des Düsterwaldes hielt sich nicht lange mit Begrüßungsformeln auf. Als er Helluin sah, nickte er nur leicht und erklärte rasch: "Die Waldgarde wurde bereits entsandt, um die umliegenden Hügel auszuspähen. Bleibt noch die nahe Umgebung der Stadt."
"Wie unser Meister angeordnet hat, werden die Dúnedain auf dem südöstlichen Bergkamm Stellung beziehen," antwortete Helluin.
"Auf dem Rabenberg?" fragte Finelleth, die die Stelle offenbar kannte. "Wer hält dann die östliche Flanke?"
"Mein Vorfahr, Bard der Bogenschütze, kämpfte dort einst in der Schlacht der Fünf Heere," sagte König Bard. "Ich werde den Osten übernehmen, mit all jenen, die mir folgen wollen. Doch vergesst nicht, dass Thal meine Heimat ist und dass mein Volk dort wohnt. Die meisten von ihnen werden sich uns anschließen, wenn es zur Schlacht kommt. Wenn es mir gelingt, ungesehen die Stadt zu betreten, kann ich womöglich dafür sorgen, dass sie uns ohne Blutvergießen in die Hände fällt."
"Die wahre Gefahr sitzt im Erebor," sagte Thranduil. "Die Anführer der Ostlinge und der Orks von Mordor haben sich dort verkrochen. Sicherlich haben sie das Tor schwer befestigt. Selbst wenn Thal problemlos erobert wird, ist der Sieg noch fern solange der Berg nicht gestürmt ist."
Eine kurze Pause trat ein. Kerry, die gebührenden Abstand hielt und in den hinteren Reihen der Dúnedain stand, strengte sich an, um alles zu verstehen. Die Heerführer schienen sich einig zu sein, dass mit einem Sieg in Thal noch nichts gewonnen war. Thranduil sprach einige Zeit darüber, dass der Mangel an Bäumen den Bau von Belagerungsmaschinen erschweren würde, doch Helluin wendete rasch ein, dass Saruman bereits vorgesorgt hatte.

Die Lagebesprechung wurde durch einen der Elben Thranduils unterbrochen, der leise zu seinem König trat und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Thranduil hob daraufhin die Hand und sagte: "Eine meiner Kundschafterinnen ist zurückgekehrt - mit unerwarteten Nachrichten. Lasst sie vortreten."
Zu Kerrys Erstaunen kam nun Eryniel in ihr Sichtfeld - gefolgt von mehreren, schwer gerüsteten Zwergen. Es war lange her, dass Kerry einen echten Zwerg gesehen hatte. Eryniel sagte mehrere Sätze auf Sindarin, die Kerry nicht verstand, und Thranduil nickte, ehe er die Zwerge anblickte. Der Älteste der Langbärte trat vor, ein alter Krieger mit grauem Haar und Bart.
"Euch hier zu sehen ist eine Überraschung, das muss ich zugeben, Gunri," sagte der Elbenkönig.
"Euch ebenfalls, König Thranduil," antwortete Gunri. "Das letzte Mal, als ich Euch sah, trennten uns drei Heere der Ostlinge voneinander. Doch die Zwerge Erebors vergessen es Euch nicht, dass Ihr zumindest versucht habt, die Belagerung durch den Schatten des Ostens zu brechen, obwohl Ihr Euer eigenes Reich zu diesem Zeitpunkt bereits verloren hattet."
"Ich habe es zurückgewonnen," antwortete Thranduil. "Und es wird Zeit, dass den Menschen von Thal dasselbe Glück zuteil wird. Doch wusste ich nicht, dass es noch immer Zwerge am Erebor gibt."
"Mein Herr, Fürst Gráin Feuerfaust, der Herr der Eisenberge, entsandte mich und meine Begleiter, um die Lage am Erebor auszukundschaften. Wir hörten Gerüchte darüber, dass ein großer Sieg über den Dunklen Herrscher im Düsterwald errungen wurde, und dass der Erebor als nächstes auf der Liste stehen könnte."
"Die Zwerge der Eisenberge sind uns willkommen," sagte der Elbenkönig. "Auch wenn ihr nicht gerade eine vielzählige Streitmacht seid."
"Wenn der Erebor von seinen Besatzern befreit wurde, kann das Zwergenvolk zurückkehren," fügte Finelleth hinzu, doch Thranduils Miene besagte, dass er diese Meinung nicht ganz ohne Vorbehalte teilte.
Während Gunri dem König und seinen Kommandanten ausschweifend davon zu erzählen begann, wie es um die Eisenberge stand, dachte Kerry darüber nach, was sie gesehen und gehört hatte. Ich denke ebenfalls nicht, dass Saruman den Zwergen den Erebor einfach so überlassen würde. Eher würde er die Situation zu seinen Gunsten ausnutzen. So wie er es mit den Menschen von Thal vorhat. Er gibt ihnen ihre Heimat zurück und dafür müssen sie ihm dienen. Doch Zwerge können stur sein, wenn es stimmt, was man sich über sie erzählt. Würden sie auf Sarumans Angebot eingehen? Sie fürchtete, dass es über die Zukunft des Einsamen Berges viel Streit und womöglich sogar einen neuen Krieg geben könnte.

Ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, tauchte Helluin neben ihr auf und zog sie beiseite. "Die Dúnedain werden schon bald zum Rabenberg aufbrechen, denn die Schlacht um Thal ist nun nicht mehr ferne. Hab' keine Angst - du wirst dort oben sicher sein. Doch wir müssen rasch losziehen, wenn wir die Spitze des Bergkammes vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wollen." Er marschierte los, und Kerry blieb nur ein kurzer Augenblick, um sich nach Oronêl, Finelleth oder Eryniel umzusehen. Die Kundschafterin stand neben ihrem König und war offenbar an der weiteren Diskussion beteiligt, die zwischen Elben und Zwergen geführt wurde. Finelleth hingegen schien sich nicht länger daran zu beteiligen, sondern warf besorgte und nachdenkliche Blicke in Richtung Thal. Oronêl schien Kerrys Blick auf sich zu spüren, und wandte ihr den Kopf zu. Sein Gesichtsausdruck war fest, doch sein Blick sagte: Gib auf dich Acht. Du wirst es überstehen.
Kerry atmete tief durch. Dann folgte sie Helluin in nordwestlicher Richtung, einen Bogen um Thal und die Ebenen schlagend auf denen nun das Heer der Weißen Hand Aufstellung bezog.


Helluin und die Dúnedain mit Kerry zum Rabenberg

Eandril:
Der Anführer der Zwerge - Gunri - wandte sich Oronêl zu. "Von euch habe ich noch gar nichts gehört, Herr Elb", begann er unverblümt, wie es für Zwerge üblich war. "Ihr steht nur da und macht ein mürrisches Gesicht. Passt euch unsere Anwesenheit hier nicht?"
Oronêl schüttelte den Kopf. Auch, wenn das Verhältnis zwischen Elben und Zwergen allemal Grund zu dieser Annahme bot, war es nicht das, was Oronêl störte. "Ich will nicht leugnen, dass ich in der Vergangenheit keine gute Meinung von Zwergen hatte - meine Eltern stammten aus Doriath", erklärte er, und Gunris buschige Augenbrauen zogen sich missmutig zusammen. Bevor er etwas sagen konnte, fuhr Oronêl fort: "Aber ich habe in Lórien an der Seite eurer Verwandten gekämpft, gegen Sarumans Horden. Seitdem hege ich keinen Groll gegen euer Volk mehr, denn seit jenen unglückseligen Tagen im ersten Zeitalter haben die Zwerge oft genug an der Seite der Elben gegen das Dunkel gekämpft, um ihre Schuld abzutragen." Bei dem Wort Schuld verdüsterte sich Gunris Miene, die sich zuvor etwas entspannt hatte, wieder, doch er hört Oronêl weiterhin schweigend zu, auf den Griff seiner Axt gestützt. "Ich habe jedoch Saruman in den letzten Monaten gut kennengelernt", sprach Oronêl weiter, und lies den Blick über das kahle Tal und den Erebor, dessen Spitze wolkenverhangen war, schweifen. "Er teilt seine Macht nicht - wenn er jemandem hilft, seine Heimat wieder zu erlangen, dann nicht aus Freundlichkeit, sondern um diejenigen zu benutzen und auf die ein oder andere Art zu beherrschen." Er war sich der Blicke, die Thranduil ihm bei diesen Worten zuwarf nur allzu bewusst, und die Worte waren ebenso sehr an den König des Waldlandreichs wie an Gunri gerichtet. "Ich würde es ungern sehen, wenn die Zwerge der Eisenberge und des Erebor als Diener des Zauberers, der meine Heimat zerstört hat, enden würden", schloss Oronêl. Deutlicher wollte er nicht werden, nicht in Gegenwart Thranduils, doch es war deutlich genug gewesen. Auch Gunri blickte nachdenklich auf das Tal zwischen den beiden südlichen Ausläufern des Erebor, und strich mit dem Daumen über die Spitze seiner Axt. "Der Erebor gehört Durins Volk", sagte er schließlich. "Und wir sind keine Diener von Zauberern... Doch entscheiden kann nur Gráin Feuerfaust, nicht ich." Er neigte leicht den Kopf, zunächst in Oronêls, dann in Thranduils Richtung - eine unerwartete Geste des Respekts. "Ich danke euch für eure Offenheit, und ich werde unserem Fürsten berichten, was ich hier vorgefunden habe. Und auch, dass Thorin Steinhelm sich nicht in Sarumans Heer befindet, wie wir eigentlich erwartet hätten." Die dunklen Augen des Zwerge blitzten unter seinen buschigen Augenbrauen hervor, als er ein weiteres Mal den Kopf neigte, und sich zum Gehen wandte.
Einen Augenblick herrschte Schweigen unter dem Baum, dessen wenige verbleibende Blätter im schwachen Wind raschelten. Ein Blatt riss sich los, und segelte direkt vor Oronêl zu Boden. "Nun, Saruman würde sicherlich nicht begeistert sein, wenn er dies gehört hätte", ergriff schließlich Thranduil das Wort. "Sicher nicht", erwiderte Oronêl, und blickte seinem Vetter fest in die Augen. "Aber es gibt hier sicher niemanden, der ihm davon berichten würde." König Bard hatte sich bereits zur östlichen Flanke des Heeres aufgemacht, und Helluin war mit den Dúnedain zu seiner Stellung am Rabenberg aufgebrochen, sodass die Elben nach dem Abgang der Zwerge unter sich waren. Thranduil hielt Oronêls Blick einige Zeit stand, wandte den Kopf dann jedoch ab. "Nein, es wäre wahrlich unter der Würde eines jeden einzelnen von uns, sich zu Sarumans Zuträger zu machen", sagte er. Betretene Stille folgte, in der nur das leise Geräusch des kalten Nordwindes zu hören war.
Schließlich straffte Finelleth sich sichtlich, und wandte sich an ihren Vater: "Also, was sind deine Befehle?" Thranduil atmete durch. "Den Hauptschlag werden Saruman und seine Orks von Süden gegen Thal führen. Wir werden uns aufteilen, die Dúnedain im Westen und König Bard im Osten unterstützen. Faerwen und Oronêl, ihr werdet die Krieger anführen, die mit König Bard kämpfen - er wird euch den genauen Plan mitteilen. Und ihr... Eryniel, richtig?" Die rothaarige Elbin nickte, und Thranduil sprach weiter: "Ihr werdet die Kundschafter und Bogenschützen sammeln, und euch mir und meiner Garde auf dem Rabenberg anschließen." Eryniel verneigte sich knapp - was Thranduil nicht aufzufallen schien - und eilte davon. Finelleth warf Oronêl ein Lächeln zu, dass eher tapfer als fröhlich war.
"Also schön." Thranduil streckte seiner Tochter die Hände entgegen, und Finelleth ergriff sie zögerlich. "Mögen die Valar dich in der Schlacht geleiten, meine Tochter. Wir werden uns in Thal wiedersehen."
"Und mögen sie auch auf dich achtgeben... Vater", erwiderte Finelleth mit belegter Stimme, als sie Thranduils Hände losließ.

Einige Minuten später trafen Oronêl und Finelleth im Lager der Elben ein, wo bereits hektische Betriebsamkeit herrschte. Dort, wo sie ihre Ausrüstung zurückgelassen hatten, hatten sich Mírwen, Celebithiel und Glorfindel versammelt, die ihre Ankunft bereits erwarteten. "Gwilwileth und ich werden uns Thranduil im Westen anschließen", begann Glorfindel, der bereits seine goldene Rüstung angelegt hatte, und selbst durch die geschlossene graue Wolkendecke das Licht der Sonne zu reflektieren schien. "Wir werden die östliche Flanke anführen", erklärte Finelleth. Mírwen befestigte noch ihr kurzes Schwert am Gürtel, die zwergische Armbrust und den Köcher mit Bolzen trug sie bereits auf dem Rücken, und sagte: "Ich werde mit nach Osten kommen. Werden die Zwerge an unserer Seite kämpfen? Ich habe gehört, dass einige von ihnen aus den Eisenbergen gekommen sind."
"Sie sind lediglich als Kundschafter hier", erwiderte Oronêl. "Und sie werden erst kämpfen, wenn ihr Fürst es ihnen befiehlt." "Was unwahrscheinlich sein dürfte nach dem, was Oronêl ihnen erzählt hat", stichelte Finelleth, und Oronêl verspürte einen Anflug von Schuldbewusstsein. Was, wenn die Zwerge das Zünglein an der Wage sein konnten, und er dafür gesorgt hatte, dass der Feldzug in einer Katastrophe enden würde? Er schob den Gedanken rasch beiseite, während Mírwen meinte: "Nun, ich hätte gerne an der Seite von Zwergen gekämpft - ich hatte bislang nie die Gelegenheit dazu."
"Wer weiß was die Zukunft bringt", erwiderte Oronêl. "Vielleicht schließen sich uns die Zwerge trotz der Wahrheiten die ich ihnen gesagt habe, an." "Dazu müssen wir aber zuerst die Schlacht gewinnen", warf Finelleth ein, rückte ihre Waffen zurecht und fügte mit einem etwas fröhlicheren Grinsen hinzu: "Also sollten wir uns in Stellung bringen, sonst fangen sie noch ohne uns an."
Bevor sie sich trennten, nahm Oronêl Celebithiel zur Seite und sagte: "Hab ein Auge auf Kerry, wenn du kannst. Sie weiß zwar auf sich aufzupassen und wir hoffentlich hinter den Kämpfen zurückbleiben, doch Mathan würde mir nicht verzeihen können, wenn ihr in der Schlacht etwas zustieße - und ich mir auch nicht." "Immer wieder hängen Elben ihr Herz an einen Menschen, und selten geht es gut aus", meinte Celebithiel mit einem traurigen Lächeln, als würde sie sich an etwas schmerzhaftes Erinnern. "Aber ich will versuchen dafür zu sorgen, dass es dieses Mal anders kommt."  Sie schloss Oronêl für einen kurzen Augenblick in die Arme, eigentlich untypisch für Elben, und sagte: "Viel Glück, und achte auf dich, und auf Finelleth und auf Mírwen. Unser Weg soll nicht in einer Schlacht für Saruman zu Ende gehen."

Das Heer weiter in Richtung Thal

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