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Ebenen vor Thal

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Khamul:
Khamûl, General Brodda und Oran mit dem großen Heer Rhûns von Südwesten, aus Rhûn


Am westlichen Ende des Celduin-Flusses befindet sich der Düsterwald. Hier stand Dol Guldur, die Festung, die Sauron jahrtausende lang als Versteck gedient hatte und nun zerstört ist. Dennoch ist der Düsterwald immer noch nicht vom Bösen, vor Allem von der Brut Kankras, befreit. Das Hauptereignis findet jedoch am Ostufer statt. Auch hier gibt es kleinere Ausläufe des Düsterwaldes, die viel Holz bieten. Zu genau solch einem Wälchen am Rande des Düsterwaldes ist Orans Bataillion jetzt unterwegs.

Unter der Führung Broddas war die vierzehnte Horde die ganze Nacht hindurch im Gewaltmarsch Richtung Thal marschiert. Die meisten der Männer waren bereits Müde, und ebenso erging es Oran. Ihr reicher Feldherr würde das Marschieren wohl auch bald überdrüssig werden und ihnen eine längere Rast erlauben. Es würde sowieso weit mehr als einen Tag dauern, bis der Rest des Heeres zu ihnen stoßen würde. So lange hatten die tausend Mann der vierzehnten Horde Zeit, Belagerungswaffen zu bauen. Für diese Aufgabe waren sie mit Seilen, Lederstreifen, Hämmern und Äxten ausgerüstet worden, außerdem waren einige der Bataillionsmitglieder durch erfahrenere Waffenbauer ausgetauscht worden. Vierzig Männer und zehn Frauen waren ausgewählt worden, die Horde in Gruppen aus je 20 Soldaten einzuteilen. Oran gehörte zur Gruppe einer Frau namens Merissa, die allem Anschein nach sehr autoritär war. Sie würde sicherlich mit großer Härte vorgehen, um die Belagerungswaffen bauen zu lassen.

Während ihm seine Schritte schon immer schwerer fielen, rückte der Einsame Berg immer näher. Von ihrer Entfernung aus betrachtet sah er immer noch so aus wie ein kleiner Stein, doch auch aus dieser Weite sah er majestätisch aus. Bestimmt würden sie viele Belagerungswaffen brauchen, um dieses Bollwerk der Zwerge einnehmen zu können!
Unweit entfernt entdeckte Oran einen Wald "Wenn wir die Bäumen erreicht haben, werden wir rasten!", ertönte Broddas Stimme. Dies brachte die Soldaten wieder in Stimmung, und auch Oran fühlte, wie ihm seine Schritte wieder leichter fielen. Es dauerte gar nicht lange, bis sie endlich da waren und ihre müden Füße ausruhen konnten. Den gesamten Marsch lang hatte niemand der tausend Soldaten ein Wort gesprochen, doch nun entstand überall heiteres Geschwatze.
Oran mochte dies nicht. Er redete nicht gerne mit anderen Menschen, besonders nicht mit diesen Soldaten, denn sie waren eigentlich seine Feinde. Während er sich an den Rand der Gruppe setzte, in der Hoffnung, dort ein wenig Ruhe zu haben, bemerkte er aus den Augenwinkeln, dass Merissa ihn beobachtete. Ihre Augen waren schwarz wie glänzende Käfer, so wunderschön und durchdringend. Trotz des Gesichtsschleiers sah man bei ihr auch Ansätze von nussbraunen Haaren.
Solches Nussbraun kenne ich. Auch Semiramis, meine geliebte Frau, hat solche Haare. Wie sehr habe ich es geliebt, während unserer Liebesnächte mit den Fingern durch ihr feines Haar zu ziehen! Wo sie wohl ist? Hoffentlich ist ihr nichts passiert, und auch nicht meiner kleinen Merima! Um Gurthar und Ibrahim mache ich mir keine solchen Sorgen, sie sind ja beinahe schon erwachsen. Doch ich würde es mir nie verzeihen, wenn meinem Mädchen etwas zustoßen würde, während ich nicht bei ihr bin...

"Du bist sehr nachdenklich", schreckte ihn Merissas Stimme aus seinen Gedanken: "Ich sehe es dir an. Du redest mit niemandem und weichst den Blicken der Anderen immer aus. Nur deine Vorgesetzten siehst du mit solcher Verachtung an, als würdest du sie im nächsten Moment erdrosseln können." Unter ihrem Gesichtsschleier deutete sich ein Lächeln an. Doch Oran war nicht danach, dieses Lächeln zu erwidern. Wie konnte sie nur einfach so in seinen Augen seine Gedanken lesen?
Sie schien wirklich eine solche Fähigkeit zu besitzen, denn sie sagte sogleich: "Ich sehe, es ist auch so. Du hasst unseren König Khamûl dafür, dass er uns von Sauron gegeben wurde, anstatt der Herrschaft über alle Königreiche Mittelerdes. Ich fühle genau dasselbe. Du fragst dich bestimmt, wie ich so gut in deinen Augen lesen kann. Dies ist eine Gabe, die mir von meinem Vater in die Wiege gelegt wurde. Er ist Anführer der Stadtwächter von Gortharia und bekannt dafür, jedem Menschen durch seine Augen in die Gedanken zu blicken."
Oran erinnerte sich, er hatte schon vom berüchtigten Bralon gehört, dem bis auf die gelben Schatten noch niemand entkommen war. Nie hatten sie es gewagt, ihn herauszufordern, nie hatten sie sich in die Nähe der Stadtwächter getraut. Um nicht unhöflich zu erscheinen, antwortete er ihr: "Du meinst sicher den berühmten Bralon, dem nur selten jemand entwischt ist?"
Merissa machte nun eine kurze Pause. Wahrscheinlich überlegte sie gerade, was sie ihm sagen sollte. Sie nahm den Schleier von ihrem Gesicht, sodass Oran ihr gesamtes Gesicht sehen konnte. Sie war gerade in ihren besten Jahren, wahrscheinlich ein wenig jünger als Semiramis. Eine gewisse Ähnlichkeit zu seiner Frau könnte er ihr tatsächlich zusprechen.
Ihre Lippen formten jedoch kein Lächeln mehr, sondern gingen in eine ausdruckslose Position, während ihre Augen plötzlich leer erschienen. "Mein Vater war in gleichem Maße schlecht zu uns, wie er berühmt war. Meine Mutter hat er beinahe jeden Tag blutig geprügelt, und mich und meine ältere Schwester hat er auch häufig geschlagen. Sie ist vor mehr als zwanzig Jahren von zu Hause weggelaufen, und Vater hat keinen Finger gerührt, um sie wieder zu finden! Als er mich dann noch gegen meinen Willen verheiraten wollte, habe ich auch die Flucht ergriffen und bin zum Heer gegangen. Ich kann mich nicht beklagen, obwohl ich bei der ersten Belagerung des Erebor nicht ungeschoren davongekommen bin."
Oran musste sich bemühen, seinen Mund nicht ungläubig aufklappen zu lassen. Diese Ähnlichkeit zu Semiramis... Ihre ältere Schwester, vor zwanzig Jahren davongelaufen... War sie etwa gar ihre Schwester? Er entschied sich, nicht zu fragen, und zog stattdessen seine Axt aus seinem Reisegepäck. "Was für Sorten von Holz sind denn am Besten geeignet für Belagerungswaffen, Waffenmeisterin?"
Ihre Lippen formten wieder ein Lächeln. ihr wunderschöner, leicht rosig umrahmter Mund formte Worte, die sofort an Orans Ohr drangen: "Danke, dass du das Thema wechselst. Ich rede eigentlich nicht gerne über meine Familie, ich weiß selbst nicht, warum ich dir das erzählt habe..." Sie machte eine kurze Pause, und dann setzte sie nach: "Also, eine Belagerungswaffe besteht nicht nur aus einer Art von Stämmen. Jeder Teil braucht seine eigene Biegsamkeit und Widerstandskraft..."

Khamul:
Die Sonne war gerade dabei, hinter dem Nebelgebirge zu versinken. Es waren mehrere Töpfe auf kleinen Lagerfeuern aufgesetzt und die Abendrationen verteilt worden. Die vierzehnte Horde hatte gute Arbeit beim Bau der Belagerungswaffen geleistet, denn beinahe jededer fünfzig Gruppen hatte schon je ein Katapult fertig gestellt. Obwohl die Gruppen zu je zwanzig Soldaten eingeteilt worden waren, hatte jede auf Befehl von Feldherr Brodda zwei Mitglieder als Wachen entbehren müssen. Und der fette Günstling des falschen Königs Khamûl hatte natürlich bei keinem einzigen Handgriff mit angepackt!
Merissa war, wie Oran es erwartet hatte, äußerst streng mit ihrer Gruppe umgegangen. Sie hatte jedoch die beruhigende Eigenschaft, ihre Gedanken jederzeit laut auszusprechen. Somit wusste jeder, was sie dachte. Nur Brodda gegenüber verbarg sie, was sie dachte. Das war auch gut für sie, ansonsten wäre sie wahrscheinlich schon längst am Galgen gehangen.
Wie sehr sich Oran auch nach ihrer gemeinsamen Unterhaltung bemüht hatte, Merissa nicht mehr zu nahe zu kommen, er hatte einfach nicht gegen seine Gefühle ankämpfen können. Sie wirkte auf ihn extrem anziehend, und er wusste, dass seine Gefühle für Merissa seiner Frau Semiramis gegenüber Betrug waren. Irgend etwas in seinem Inneren wollte jedoch ständig Blickkontakt zu ihr halten und jeden einzelnen Zentimeter ihres vollkommenen Körpers betasten. Und sie hatte dies mit Sicherheit bereits bemerkt, mit ihrer Gabe. Bestimmt war es bereits jedem in seiner Gruppe aufgefallen, dass er sich hoffnungslos in Merissa verliebt hatte.
Vor beinahe zwanzig Jahren habe ich einer Frau ewige Treue geschworen. Ich habe ihr versprochen, sie nie zu betrügen. Doch genau das tue ich jetzt schon alleine durch meine Gedanken! Warum passiert mir das gerade jetzt! Ich muss mich voll und ganz auf meinen Auftrag konzentrieren und nicht wie ein verliebter Pfau eine Frau anbalzen!

Abgelenkt stocherte Oran in der Schüssel mit seiner Abendration herum. Sie bestand aus einem einfachen Eintopf, zusammengekocht aus Speck, Zwiebeln und Korn. Dieser Schweinefraß war das Einzige, was es während der Reise zu Essen gab, und er schmeckte abscheulich! Doch er konzentrierte sich gar nicht auf den Geschmack, denn sein er mit dem Essen begonnen hatte, musterten seine Augen wieder Merissa, die unweit von ihm saß. Er verfluchte sich selbst dafür, doch er brachte nicht genug Willenskraft zusammen, seinen Blick von ihr abzuwenden.
Sie sah eben von ihrer Schüssel auf, und ihre Blicke kreuzten sich. Verlegen wandte sie sich ab, beinahe wie ein schüchternes Schulmädchen. In Oran regte sich der unerklärliche Drang, sich zu ihr setzen zu wollen. Er wollte jedoch nicht nachgeben! Er wollte Semiramis nicht betrügen!
Merissa sah wieder zu ihm. Als sie bemerkte, dass er sie immer noch anstarrte, erhob sie sich und ging in seine Richtung. Sein Herz begann zu rasen. Sein Verstand sträubte sich, doch sein Körper verfiel in Aufregung. Er reagierte genau gleich wie bei seinem ersten Treffen mit Semiramis! Obwohl es schon beinahe zwanzig Jahre her war, konnte er sich noch genau daran erinnern. Er hatte damals genau dasselbe gefühlt!

Merissa setzte sich ihm gegenüber. Er öffnete den Mund, doch kein Laut kam heraus. Er war es nun, der sich verhielt wie ein Schulmädchen! Nach endlos langen Sekunden begann sie schließlich das Gespräch mit ihm: "Unsere Rationen werden von Tag zu Tag schlechter. Es müsste mal ein wenig Abwechslung her."
Orans Herz pochte so heftig, dass er es schon direkt in seinen Ohren dröhnen hören konnte. "Abwechslung wäre nicht schlecht", brachte er mit großer Mühe hervor.
Sie lächelte: "Weißt du, dass du deine Gefühle ebenso schlecht verbergen kannst wie ein kleines Kind? Ich sage zwar oft, was ich denke, doch auch ich kann meine Gedanken verbergen. Du jedoch bist wie ein offenes Buch, jedenfalls für mich."
"Also weißt du..."
"Ja, weiß es."
Für einen Moment lang schien die Zeit stillzustehen. Oran hörte sein pochendes Herz nicht mehr, fühlte nicht mehr den ekligen Geschmack des Essens auf seiner Zunge, dachte nicht mehr an Semiramis. Sein gesamtes sein, all seine Sinne waren nun auf Merissa konzentriert.
Sie berührte seine Hand.
Er bekam eine Erektion.
"Komm mit mir mit", sagte sie.
Und Oran hatte nun die schwierigste Entscheidung seines Lebens vor sich.

Khamul:
Am nächsten Tag war Oran mit gemischten Gefühlen gefüllt. In der Nacht hatte er sein größtes Versprechen gebrochen, seinen Eid fürs Leben. Und doch fühlte er sich ebenso glücklich wie schuldig. Merissa war eine andere Frau, ihr gegenüber konnte niemand seine Gefühle verbergen. Besonders er nicht.

Die Sonne strebte bereits dem Zenit entgegen, an den Belagerungswaffen wurden noch die letzten Handgriffe angelegt. Mehr als zweihundert Katapulte und einige Rammböcke waren in Rekordzeit gefertigt worden. Wie er erwartet hatte, war Merissa mit ihrer Gruppe noch einmal gnadenlos umgegangen, um die letzten Belagerungsmaschinen fertig zu stellen. Oran jedoch wusste, dass sie auch eine weiche und feinfühlige Seite hatte. In dieser Nacht hatte er alle ihre Seiten erlebt, sowohl die äußerlichen, als auch die inneren.
Sie stand in seiner Nähe, während er gerade mit einem Ruck die Festigkeit des oberen Querbalkens des Katapultes zu prüfen. Kurz darauf ertönte ihre Stimme zu ihm hinüber, doch sie hatte eine solche Schärfe inne, dass er innerlich zusammenzuckte: "Soldat! Was prüfst du die Stärke des Balkens mit deinen Armen? Wie stark du auch sein magst, dies hier ist zehnmal mächtiger!" Mit diesen Worten löste sie den Sicherheitshebel an der Seilkurbel, worauf der Wurfarm in die Höhe schoss und gegen den Querbalken krachte. Das gepolsterte Holz jedoch hielt stand.
"Damit wäre die Stabilität dieses Katapultes bewiesen, Oran." Ihre Worte begleitete sie mit einem so wunderschönen Lächeln, dass ihm das Herz zu zerschmelzen drohte. Obwohl seine Schuldgefühle Semiramis gegenüber nur noch lauter wurden, wollte er nicht mehr auf Merissa verzichten. Er traute sich gar nicht, an die vor ihnen liegende Schlacht zu denken. Es war nicht auszumalen, wie stark sich diese verfluchten Zwerge verteidigen würden, welche teuflischen Waffen sie wohl einsetzen würden.
Oran richtete seinen Blick auf die hölzerne Stadt, die man nur verschwommen am nordöstlichen Horizont erkennen konnte. Unter zweihundert Felsen pro Salve würde sie sicher fallen, daran war für ihn kein Zweifel. Doch... Plötzlich wurde ihm etwas klar:
Über Merissa hinweg hatte er seinen Plan vergessen, Khamûl auszuschalten! Die Schlacht stand ihm schon kurz bevor, und er hatte noch keine Idee, wie er vorgehen sollte! Würde er Khamûl während der Schlacht ausschalten, wäre die Armee ohne Feldherr zum Untergang verdammt, und der wahre König Ulfang wäre um mehrere tausend Mann beraubt. Daher musste er die Ohren offen halten und die erste Unzufriedenheit innerhalb der Armee ausmachen. Würde er es schaffen, genug Soldaten auf seine Seite zu bringen, dann hätte er sogar eine Chance, den Anschlag auf Khamûl zu überleben.
Gedankenverloren wandte er sich wieder dem Katapult zu, doch dann merkte er, dass es bereits fertig gestellt war. Irgendwie wünschte er sich bereits den Beginn der Schlacht herbei, um nicht ständig über das Zukünftige nachdenken zu müssen. Er war sich dessen bewusst, dass sich nie die perfekte Gelegenheit ergeben würde, um Khamûl zu töten. Würde er alles einfach nur auf sich zukommen lassen, dann würde sie sich ihm sicherlich bieten. Während er diesen Wunsch noch in seinem Kopf hatte, ertönte ein Signalhorn von Südosten. Er sah in diese Richtung und erblickte neunzehntausend Mann, die in ihre Richtung marschierten. Sie waren hier.
Nun war es nicht mehr lange bis zur Schlacht!

Khamul:
Aus der Sicht Khamûls

Auf seinem stolzen braunen Hengst ritt er an der Spitze des gewaltigen Ostheeres, welches soeben auf den Ebenen vor Thal angekommen war. Dieses Schauspiel war noch prächtiger als der Marsch des Heeres von Mordor nach Minas Tirith, und das aus einem einfachen Grund: Ostlinge trugen Uniformen, wodurch sie allesamt geordneter wirkten. Er erinnerte sich noch an die Zeiten, in denen das Ostreich nur ein kleiner Haufen aus herrscherlosen Stämmen gewesen war, und er diese mit der Hilfe des dunklen Gebieters geeint hatte. Damals hatte er während seiner Herrschaft den Grundstein für dieses prunkvolle Heer gelegt, das nun die Zwerge und ihre Verbündeten zermalmen würde.
Vor zwei Tagen hatte er tausend Mann unter der Führung seines Feldherrn Brodda vorrausgeschickt. Die ständige Gesellschaft dieses Speichelleckers war er längst überdrüssig geworden, und daher war dies ein guter Schachzug gewesen. So hatten sie nämlich auch Belagerungswaffen, die sie vom Beginn an gegen die Menschen aus Thal und die Zwerge vom Erebor einsetzen konnten.
Wenige Meter vor dem Lagerplatz der Vorzügler hielt er sein Pferd an und hob seine Rechte Hand. Sofort verstummte der gleichmäßige Marschschritt der Soldaten, und sie blieben wie ein Mann stehen. Diese Disziplin hatte er jahrtausende lang in den Orkheeren vermisst. Trotz seiner schweren Rüstung glitt er schier geräuschlos wie ein Schatten vom Pferd und richtete seine Schritte direkt auf das prunkvolle Zelt Broddas. Die Soldaten, an denen er vorbeiging, wichen allesamt vor ihm zurück und hielten ihre Blicke gesenkt. Sie zollten ihm den Respekt, der ihm gebührte! Noch ehe er an den seidenen Zeltwänden angekommen war, wurde die Plane am Eingang zurückgeschlagen. Das bleiche Gesicht Broddas erschien über einer Uniform, die eigentlich nicht für Männer mit seinem Bauchumfang gefertigt worden war. Der Feldherr konnte es äußerst schlecht verbergen, wie viel Angst er vor Khamûl hatte.
Er begann mit zitternder Stimme zu sprechen, doch hatte sich bald schon unter Kontrolle: "M-Mein König... Ich bin sehr... sehr erfreut, Euch zu sehen! Wir haben bereits mehr als zweihundert Katapulte vorbereitet und warten nur noch auf Euren befehl."
"Ich bin zufrieden mit Euch, Feldherr. Und ich habe vor, Euch für die erfolgreiche Ausführung Eures Auftrages zu belohnen. Ihr werdet die Armee in vorderster Reihe anführen, um der erste zu sein, der durch das Tor der Stadt stürmt!"
Falls dies noch möglich war, wurde das Gesicht des Feldherrn noch blasser. Deutlich roch man den Angstschweiß, der ihm nun über die Stirn strömte. "Danke, mein König. Do-Doch das wäre wirklich nicht nötig, es gibt bestimmt einige, nein, genug andere Männer in dieser Armee, die dieser Aufgabe gewachsen wären!"
Es bereitete Khamûl sadistische Freude, den fetten Ostling vor ihm so leiden zu sehen. Außerdem wäre er mit dem Tod von Brodda den mächtigsten Adeligen los, und könnte sich dessen Reichtümer zu eigen machen. Also antwortete er, während er sich zum Gehen wandte: "Ich dulde keine Widerrede, Feldherr! Euer Ruhm wird unsterblich sein, wenn ihr die reiche Stadt Thal einnehmen werdet!" An der Schwelle des Einganges verharrte er aber noch eine Weile und rief Brodda zurück: "Weniger Speichellecken hätte Euch dieses Schicksal erspart! Steht es durch, oder Ihr werdet ein schlimmeres Schicksal erfahren als den Tod!" Den noch mehr verstärkten Geruch von Angstschweiß nahm Khamûl noch wahr, bevor er aus dem Zelt hinaus ins Freie trat.
Dort rief er sofort seine ersten Befehle aus: "Alle Bataillione sollen sich sofort formieren und in Reihen zu je fünfhundert Mann, bestehend aus je fünf Bataillionen, aufstellen! Quadratische Anordnung der Horden! Der Reihenfolge nach! Ein Mann jedes Bataillions an je ein Katapult!" Die Feldwebel und Gefreiten nahmen sofort die Rufe ihres Königs auf und begannen damit, die Angriffsordnung vorzubereiten. Ein Heer mit Reihen von fünfhundert Mann und vierhundert Schlachtreihen erstreckte sich über eine fläche von zirka zweihundertfünfzig mal zweihundert Metern. Wahrscheinlich würde er die Breite der Reihen noch einmal verkleinern müssen, mit Sicherheit für den Marsch durch das Tor, doch er bezweifelte, dass sich die geordneten Reihen bis dahin halten würden. Einige wenige, verschmerzbare Verluste würden ihnen die Menschen aus Thal dennoch zufügen. Für die Feldschlacht würde er die Kathaphrakten und die Variags aufteilen, um die Flanken zu schützen. Er selbst würde die reichte Flanke übernehmen, da diese dem Erebor zugewandt war und er so den einsamen Berg aus der Ferne beobachten konnte.

Auf dem Weg zu den Reitern kam Khamûl an einem Mann und einer Frau vorbei, die sich voneinander verabschiedeten, doch er nahm keine Notitz von ihnen.

Aus der Sicht Orans

"Wir werden nicht lange getrennt sein, Merissa, doch mir wird jeder Herzschlag wie eine Ewigkeit vorkommen. Ich gehöre zum hundertdreiunddreißigste n Bataillion, und du bist Feldwebel des hundertzweiundvierzigste n. Obwohl die Entfernung zwischen uns beiden in den Schlachtreihen nicht so groß sein wird, ist jeder Meter zwischen uns groß wie eine bodenlose Kluft..." Oran wollte seine Verabschiedung noch weiter ausführen, doch Merissa legte ihm einen Finger auf seinen Mund. "Du musst mir nicht sagen, wie sehr es dir widerstrebt, von mir getrennt zu sein", antwortete sie ihm: "Mir geht es genauso. Wenn wir unseren Abschied noch länger hinauszögern, wird er nur noch schlimmer. Er ist ja nur für kurze Zeit." Sie hauchten sich noch gegenseitig einen zärtlichen Kuss zu, dann trennten sie sich voneinander. Oran nahm seinen Speer und seinen großen viereckigen Schild, dann begab er sich zu seinem Bataillion.

Die Aufstellung des Heeres dauerte nicht lange. Oran stand, soweit er richtig gezählt hatte, in der zweihundertdritten Schlachtreihe. Eigentlich brauchte er sich nicht darauf zu verlassen, da die Reihung sowieso geändert werden würde. Khamûl, der unrechtmäßige König, befand sich bei den Reitern der rechten Flanke, daher sollte Brodda für diese Schlacht das Heer führen. Von den hintersten Reihen aus konnte Oran ihn nicht sehen, doch seine laute Stimme war kaum zu überhören:

"Männer und Frauen des Ostens! Ich bin kein Mann der großen Worte, und ich sage immer: Worte habe noch niemanden weit gebracht! Das einzige, was zählt, ist der blanke Stahl, der den Feinden ihre Adern durchtrennen wird! Seid dieser Stahl, der dem Widerstand gegen den dunklen Gebieter einen seiner Arme abschlagen wird! Vernichtet die Stadt Thal!" Jubel brach im Heer aus.

Khamûl jedoch fiel nicht in den Jubel mit ein. Er war erfreut, dass er seinen Feldherrn nicht foltern hatte müssen, doch sogar durch seinen Gesichtsschleier hindurch sah man die Furcht in seinen Augen. Auch wenn Brodda ein Feldherr war, er hatte nie an vorderster Front gestanden. Dies machte den Unterschied zwischen einem reichen Feldherrn und einem wahren König aus. Und Khamûl würde sich als der wahre König Rhûns erweisen, indem er die Zwerge besiegte!

Auch Oran jubelte dem Feldherrn nicht zu. Ihm war es egal, ob die Menschen Thals Widerstand leistete oder nicht, er musste nur den unrechtmäßigen König Khamûl entmachten und mit Merissa wieder nach Gortharia zu entkommen. Semiramis hatte er schon beinahe vergessen, er beruhigte sein Gewissen mit dem Gedanken, dass sie wahrscheinlich schon tot war oder ihn aufgegeben hatte. Er musste nun einfach überleben, bis sich die Gelegenheit, seinen Auftrag zu erfüllen, endlich ergeben würde.

"Zum Angriff!", ertönte die Stimme Broddas, und die Soldaten marschierten im gleichmäßig schallenden Marschtritt in die Richtung der hölzernen Stadt. Dieser Takt war für viele von ihnen das gleichmäßige Metrum ihres eigenen Todesliedes.

Rabi:
Wogrin, Thanderin und Thondin von Thal - In der Stadt


Wogrin konnte es kaum erwarten, dutzende von Ostlingen standen am Ende der Ebene vor ihm, eine riesige Streitmacht unter dessen Füßen die Erde zu beben begann. Nun würde es nicht mehr lange dauern dann würde er endlich die Schädel dieser bösen Menschen spalten können. Er blickte noch einmal zu beiden Seiten, auf einer stand Thondin auf der anderen sein guter und alter Freund Thanderin. "Ich hoffe ihr seid bereit unsere Heimat zu unterstützen.", nun blickte der alte Zwerg kalt nach vorne auf die Ostlinge und fuhr nur wenige Zeit danach fort. "Und deinen Vater.", er erhob seine Hand und klopfte Thondin auf die Schulter. "Bleibt zusammen, damit wir uns nach dieser Schlacht wieder eines guten Stückes Pökelfleisches erfreuen können.", ein leichtes Grinsen konnte sich der Zwerg nun nicht mehr verkneifen, doch dieses Grinsen verging sofort wieder als sich die gewaltige Armee aus dem Osten anfing zu bewegen und Wogrins gesamter Körper zu vibrieren begann. Noch bevor die gewaltige böse Streitmacht bei ihm angekommen war, stieß er einen gewaltigen Kampfschrei aus und stürmte mit erhobener Axt auf seine Feinde zu, als er beim ersten angekommen war sprang er so hoch er konnte in die Luft und schlug dem ersten Ostling direkt in die Brust, sodass er zu Boden sackte. Gleich hinter ihm, als der erste Feind gefallen war, sah er wie seine beiden Freunde die ersten Gegner neben ihm niedermetzelten. Und nur Sekunden darauf folgten die Massen der Thalkrieger und ein paar weitere Zwerge.

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