Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Gondor (West)
Tum-en-Dín
Eandril:
Hilgorn blieb über seinem bewusstlosen Bruder stehen, und über den Innenhof legte sich eine gespenstische Stille. Die Diener die den Kampf beobachtet hatten standen wie angewurzelt da, und die herbeigeeilten Wachen ebenso. Als Hilgorn sich umsah stellte er zu seinem Entsetzen fest, dass seine Mutter an dem kleinen Zaun stand, und neben ihr Imradons Kinder. Iorweth liefen Tränen über das Gesicht, und Belegorn starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
Hilgorn warf Faniel, die noch immer in der Tür des Haupthauses stand von wo aus sie den Kampf beobachtet hatte, einen bittenden Blick zu, und sie eilte zu ihren Kindern. Als sie mit ihnen in den Garten verschwunden war, wandte Hilgorn sich an die Wachen, die sich inzwischen vorsichtig genähert hatten.
"Fesselt ihn, und bringt ihn in eine der Zellen. Es gibt die Zellen doch noch, oder?"
Ergon, der alte Wachmann der ihm am Abend zuvor das Tor geöffnet hatte, nickte. "Ja, die gibt es noch. Aber warum sollen wir..."
Hilgorn schnitt dem Alten mit einer gebieterischen Geste das Wort ab, und sagte, wobei er alle Autorität als General von Dol Amroth in seine Worte legte: "Ich möchte das nicht in aller Öffentlichkeit besprechen. Ihr müsst nur wissen, dass mein Bruder Gondor verraten hat, und unseren Feinden Informationen zugespielt hat."
Ergon blickte ihm für einen Moment in die Augen, und nickte dann langsam. "Also gut." Er wandte sich an die anderen Wachmänner. "Ihr habt den Herrn Hilgorn gehört, fesselt ihn und sperrt ihn weg."
Die Männer tauschten rasche Blicke untereinander aus, gehorchten dann aber, wobei sie äußerst vorsichtig mit ihrem bewusstlosen Herrn umgingen. Als sie ihn schließlich weggebracht hatten, wandte Hilgorn sich an Ergon, der zurück geblieben war.
"Schickt einen Boten zu Aldar, er soll herkommen falls es ihm möglich ist." Er betastete vorsichtig die Wunde in seiner Seite, die inzwischen einen guten Teil seines Gewands rot gefärbt hatte. Ergon nickte. "Sofort." Mit einem besorgten Blick fügte er hinzu: "Ihr solltet diese Wunden versorgen." Hilgorn winkte ab. "Nur ein Kratzer, da hatte ich bereits schlimmeres. Ich muss nach Faniel und ihren Kindern sehen."
"Wie ihr befehlt." Ergon salutierte, indem er die rechte Faust vor die Brust schlug, und verschaffte Hilgorn damit ein Gefühl der Zufriedenheit.
Während der alte Wachmann davon ging um einen Boten loszuschicken, humpelte Hilgorn langsam in Richtung des Gartens. In seiner verletzten Seite breitete sich inzwischen ein Gefühl der Taubheit aus, doch er musste unbedingt mit Imradons Kindern sprechen, ihnen irgendwie erklären was geschehen war. Die kleine Iorweth würde es ihm vermutlich leichter machen als Belegorn, denn sie schien kein besonders enges Verhältnis zu ihrem Vater zu haben.
Als er die Gartenpforte erreichte, kam Faniel ihm bereits entgegen. "Wo willst du hin?", fragte sie besorgt.
"Ich muss mit deinen Kindern sprechen. Es ihnen erklären..."
"Aber nicht in diesem Zustand.", gab sie in bestimmtem Tonfall zurück, und legte ihm stützend den Arm um die Taille, als er plötzlich zur Seite taumelte. Sie achtete nicht darauf, dass sie ihr Kleid dabei mit seinem Blut verschmierte. "Sie sind jetzt bei ihrer Großmutter, die wird sie ablenken bis ich dich verarztet habe."
"Du..."
"Ja, ich.", unterbrach Faniel ihn. "Imradon hat sich auf der Jagd hin und wieder verletzt, und ich habe gelernt ihn zu verarzten. Schwertwunden hatte er zwar noch keine, aber ich denke dass ich das hinkriegen werde. So schwierig kann es ja wohl nicht sein, oder?" Ihr Tonfall war fröhlich als sie Hilgorn in Richtung des Haupthauses führte, doch er konnte den besorgten Unterton darunter deutlich hören.
Eine halbe Stunde später lag Hilgorn mit einem dicken Verband um seine Seite in seinem Bett, während Faniel ihm sorgfältig das Blut aus dem Gesicht wusch, dass aus der Wunde in seiner Wange geflossen war. Trotz der Schmerzen hatte er die sanfte Berührung ihrer Hände genossen, und nun ergriff er ihre Hand.
"Faniel... es tut mir Leid."
"Was tut dir Leid?", fragte sie, machte aber keine Anstalten ihre Hand aus seinem Griff zu befreien. "Dass du mich von Imradon befreit hast? Dass du zu mir zurückgekehrt bist?"
Hilgorn schüttelte den Kopf. "Nein.", sagte er sanft. "Es tut mir Leid dass ich dich damals nicht gebeten habe, bei mir zu bleiben. Dass ich dir damals nicht gesagt habe... dass ich dich liebe." Als Antwort befreite sie ihre Hand nun doch, nahm dann aber sein Gesicht in ihre Hände und antwortete ebenso sanft: "Das sollte es auch." Und dann küsste sie ihn, und Hilgorn wusste dass er sie nie wieder gehen lassen würde.
Eandril:
Am Morgen des nächsten Tages saß Hilgorn auf einer Bank im Garten von Tíncar, Faniel neben ihm und ihnen gegenüber ihre Kinder.
"Euer Vater... hat etwas sehr schlimmes getan.", versuchte Hilgorn vorsichtig zu erklären. "Und deswegen wolltet ihr ihn töten?", fragte Belegorn. Die Stimme des Jungen klang feindselig, und dass er Hilgorn gegenüber eine formelle Ansprache verwendete, war ein schlechtes Zeichen.
Faniel sprang zu Hilgorns Verteidigung ein. "Hilgorn wollte ihn nicht töten, nur entwaffnen." "Ja... richtig." Hilgorn zögerte einen winzigen Moment, denn im Kampf hatte er tatsächlich einen Augenblick das Bedürfnis verspürt, Imradon zu töten. "Eure Mutter und ich hatten etwas schlimmes über ihn herausgefunden, und als er uns entdeckt hat, hat er mich angegriffen?"
"Was war es denn?", fragte Iorweth mit offen stehendem Mund. Das Schicksal ihres Vaters schien sie weitaus weniger zu berühren. Hilgorn schüttelte zur Antwort den Kopf. "Ich kann es dir nicht erklären, Iorweth, auch wenn du eine äußerst kluge junge Dame bist." Ein zaghaftes Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Mädchens. "Er hat vielen Menschen Unrecht getan, und durch seine Schuld sind Menschen gestorben."
"Ihr hasst ihn.", sagte Belegorn plötzlich mit erstickter Stimme, und erwischte Hilgorn damit vollkommen unvorbereitet. "Und ihr wollt ihm Tíncar wegnehmen."
Daher weht also der Wind... "Hat dein Vater nach meiner Ankunft mit dir darüber geredet?"
Der Junge nickte, und zog geräuschvoll die Nase hoch, worauf er einen vorwurfsvollen Blick Faniels erntete. Trotz der ernsthaften Situation hätte Hilgorn beinahe unwillkürlich gelächelt, doch er behielt seine ernste Miene bei. Belegorn durfte nicht glauben, dass er sich über ihn lustig machte. Hilgorn stand auf, ging vor dem Jungen in die Hocke um sich die Knie nicht zu beschmutzen, und blickte ihm offen ins Gesicht.
"Es ist richtig, dass ich mit Imradon nicht besonders gut ausgekommen bin.", gab er zu. "Aber was ich getan habe, habe ich nicht deshalb getan, sondern weil dein Vater mehr als nur ein Unrecht begangen hat. Und ich will ihm Tíncar nicht wegnehmen, denn es stand mir nie zu. Trotz allem ist er noch der rechtmäßige Herr von Tíncar, und nach ihm wirst du es sein, und dafür werde ich einstehen."
Bevor er mehr sagen konnte, hörte er vom Gartentor ein Räuspern. Als er den Blick dorthin wandte, stand dort ein junger Wachmann, der vorsichtig sagte: "Herr Hilgorn, verzeiht dass ich störe. Aber euer Bruder Aldar ist eingetroffen, und wartet im Studierzimmer auf euch."
Hilgorn nickte, und erhob sich. "Danke, ich komme sofort." Er wandte sich noch einmal an die Kinder. "Was auch immer mit eurem Vater passiert, dies hier wird immer euer Zuhause bleiben, und euer Mutter und - wenn ihr wollt - auch ich werden immer für euch da sein." Beide nickten, Iorweth mit kindlichem Ernst, Belegorn etwas zurückhaltender. Offenbar hatte Hilgorn den Jungen noch nicht restlos überzeugt, aber das hatte er auch gar nicht erwartet. Auch Faniel erhob sich, tauschte einen raschen Blick mit ihm und drückte sanft seine Hand. Wie es aussah, hatte er seine Sache gut gemacht, also wandte Hilgorn sich an den noch immer wartenden Wächter und sagte: "Gehen wir."
Im Studierzimmer stand sein Bruder Aldar vor den geöffneten Truhen und sah sich den an der Wand hängenden Stammbaum des Hauses Thoron an. Als er Hilgorn ins Zimmer kommen hörte sagte er, ohne sich umzuwenden: "Sieh dir das an, lauter Diener der Könige, Verwandte der Fürsten von Pelargir und Dol Amroth... und alles ewig in der Vergangenheit. Wir sind ganz schön heruntergekommen, nicht?"
"Das kann man wohl sagen.", meinte Hilgorn, und stellte sich mit auf dem Rücken verschränkten Händen neben ihn. "Hm, ich wusste gar nicht, dass wir auch mit den Fürsten von Dol Amroth verwandt sind... dann ist Imrahil ja so etwas wie unser Onkel."
"Eher wie unser Vater, schließlich ist er unser Fürst." Aldar lachte, wandte sich dann zu Hilgorn um und schloss ihn kurz in die Arme.
"Es ist gut dich zu sehen, Bruder."
"Dich auch.", antwortete Hilgorn, und er meinte es wirklich so. Auch wenn sie beide in Dol Amroth dienten, bekam er seinen älteren Bruder doch nur selten zu Gesicht, denn Aldar war Kapitän eines Kriegsschiffs der Flotte und Hilgorn an Land stationiert.
"Also, was gibt es. Warum hast du mich hergerufen?"
Hilgorn rieb sich die Stirn und erzählte, wie er Imradons Verrat aufgedeckt hatte, und von seinem Kampf mit ihrem Bruder. Als er fertig war, war Aldars Miene ernst geworden.
"Dieser Mistkerl.", knurrte er. "Ich konnte ihn ja nie leiden, aber so etwas habe ich ihm nicht zugetraut. Und dann nutzt er auch noch meine Briefe um Informationen an Umbar oder die Valar wissen, wen zu verscherbeln!"
Hilgorn lächelte schwach, auch wenn ihm eigentlich nicht fröhlich zu Mute war. Allerdings war er in Aldars Gesellschaft seit jeher entspannter gewesen, und sein Bruder ließ auch die größten Probleme etwas kleiner erscheinen. Aldar machte ein paar Schritte um den wuchtigen Schreibtisch herum und ließ sich dahinter in den Stuhl fallen.
"Verdammt unbequem.", beschwerte er sich.
"Das liegt daran, dass du nur die schwankenden Planken eines Schiffes gewohnt bist.", gab scherzhaft zurück, schloss eine der beiden Truhen und ließ sich auf dem Deckel nieder. Aldar grinste und strich sich über den schwarzen Vollbart, den er seit einiger Zeit trug. Er war schon immer wesentlich lockerer als Hilgorn gewesen, der sich bereits nach einem Tag ohne Rasur ungepflegt zu fühlen begann.
"Das mag schon sein." Aldars Gesicht wurde wieder ernst. "Hast du schon mit Imradon gesprochen?"
"Ja." Die Erinnerung an das Gespräch war nicht besonders schön für Hilgorn. Nachdem Faniel ihn am gestrigen Tag verarztet hatte, war er in die Kaserne gegangen und hatte mit Imradon gesprochen - so viel schuldete er seinem Bruder, so sehr er ihn hasste und verachtete. Imradons Zustand hatte ihn erschreckt, denn von dem selbstbewussten, ja arroganten Herrn von Tíncar war nicht mehr viel geblieben. Stattdessen wirkte Imradon fahrig und trübsinnig, und zu Hilgorns Überraschung hatte er alle Verbrechen, selbst die, die Hilgorn nur vermutet hatte, ohne Umschweife zugegeben.
"Er hat die Truppen Mordors tatsächlich nach Tugobel geschickt um Lanhael zu töten und ihn zum Herrn von Tugobel zu machen. Dann hat er das Belagerungsheer von Dol Amroth mit Nahrung versorgt."
"Und wir haben die Stadt währenddessen mit unserem Leben verteidigt.", warf Aldar grimmig ein.
"Später hat er dann eine Botschaft gefunden, in der ihm das Angebot gemacht wurde, Informationen gegen Geld zu verkaufen. Er wusste nicht, wer sein Auftraggeber war, aber er hat es trotzdem ohne Zögern getan."
"Die Gier nach Macht und die Gier nach Geld.", sagte Aldar, und fügte mit einem Augenzwinkern hinzu: "Wie gut, dass wir von so etwas vollkommen frei sind sondern nur andere Gelüste haben."
Hilgorn erwiderte nichts, denn er wusste dass sein Bruder es nicht ernst meinte und auf ihn und Faniel anspielte.
"Also, was machen wir jetzt mit ihm?"
Hilgorn zupfte seinen Ärmel zurecht, was Aldar mit verdrehten Augen quittierte, und erwiderte: "Ich hatte vor ihn nach Dol Amroth zu bringen. Weder du noch ich haben das Recht über ihn zu richten, das kann nur der Fürst."
"Du hast Recht.", stimmte Aldar mit einem Nicken zu. "Aber dir ist klar, dass er dann vermutlich hängen wird."
"Ja, ich weiß.", antwortete Hilgorn kalt. "Und es macht mir nichts aus. Dir etwa?"
Sein Bruder stand auf, und warf einen Blick aus dem Fenster auf den Limceleth und die Wälder dahinter. Er schüttelte den Kopf. "Nein, er ist ein Verräter und muss bestraft werden, und ich konnte ihn sowieso nie leiden. Aber..." Aldar breitete ein wenig hilflos die Arme aus. "Mir ist nicht ganz wohl dabei, meinen eigenen Bruder an den Henker zu liefern."
"Mir ebenfalls nicht.", gab Hilgorn zu. "Aber es muss sein."
Bevor Aldar etwas erwidern konnte, kam ein atemloser Soldat in das Studierzimmer gestürmt. "Herr Hilgorn, kommt schnell. Es geht um euren Bruder!"
Eandril:
Augenblicklich sprang Hilgorn von der Truhe auf. "Was ist passiert?"
"Er ist fort, und Ergon ist tot." Der junge Mann sah aus, als würde er mit den Tränen kämpfen. "WAS?", stießen Aldar und Hilgorn gleichzeitig entsetzt aus. Der alte Ergon hatte schon seit der Zeit ihres Großvaters auf Tíncar gedient, und beide konnten sich das Gut kaum ohne den Mann vorstellen. Aber noch viel bedeutender war die Nachricht, dass Imradon entkommen war.
"Bring uns sofort hin." Anstatt zu salutieren nickte der Soldat nur, und eilte den Brüdern voran. Als sie die Treppe hinuntergingen begegneten sie Faniel, die ihnen fragend entgegen blickte, doch Hilgorn winkte ab. "Später.", sagte er knapp, die Gedanken ganz auf seinen ältesten Bruder gerichtet. Wie konnte er entkommen sein, und wo mochte er inzwischen sein? So leicht ließ Faniel sich allerdings nicht abspeisen, und sie schloss sich den Männern an. "Was ist passiert?", fragte sie nach, und als Hilgorn nicht sofort antwortete, wandte sie sich an Aldar. "Sag mir sofort was geschehen ist. Ist es Imradon?" Ihr Tonfall war einer Herrin von Tíncar mehr als würdig und hätte auch einer Königin gut angestanden. Im Augenblick spürte Hilgorn nichts mehr von der Verletzlichkeit, die sie vorletzte Nacht auf dem Turm gezeigt hatte - bis auf eine winzige Spur von Angst in ihrer Stimme.
Aldar seufzte, während sie auf den Hof hinaustraten. "Ja, es sieht so aus als wäre er entkommen."
"Wie konnte das passieren? Und wieso wolltest du es mir nicht sagen?", setzte sie an Hilgorn gerichtet hinzu, während sie sich bemühte mit den Brüdern Schritt zu halten. "Ich wollte dich nicht beunruhigen bevor wir genau wissen was passiert ist.", antwortete Hilgorn unbehaglich, denn offenbar hatte er genau das Gegenteil davon erreicht.
"Mich nicht beunruhigen!" Faniels Stimme wurde lauter, doch bevor sie weitersprechen konnte hatten sie zu Hilgorns Erleichterung die kleine Kaserne neben dem Tor erreicht.
Der junge Soldat der sie benachrichtig hatte machte für Hilgorn Platz, der das Gebäude von Aldar und Faniel gefolgt betrat. Sie kamen zunächst in die Wachstube, in der sich die Soldaten die gerade nicht schliefen oder Dienst auf den Mauern hatten, meistens aufhielten. Jetzt waren allerdings kein Lachen und das Geräusch von Würfeln zu hören, sondern es herrschte eine bedrückende Stille. Auf einem der Tische lag der alte Wachmann Ergon, die Augen geschlossen als ob er schlafen würde.
"Wie ist er gestorben?" fragte Hilgorn, und erschrak über den erschütterten Klang seiner eigenen Stimme. Er hatte Ergon gekannt seit er denken konnte, und der Alte hatte ihn als Kind immer freundlich und respektvoll behandelt - seinetwegen hatte Hilgorn sich in der Kaserne immer heimisch gefühlt. Seinetwegen war er heute ein General von Dol Amroth und Vertrauter des Erben des Fürstentums.
"Ein Stich ins Herz.", gab einer der Soldaten zur Antwort, den Hilgorn nicht kannte. "Wir glauben, dass er gerade mit Herrn Imradon gesprochen hat, als ihn jemand von hinten überraschte und ihm ein Messer ins Herz stieß."
"Ist die Zelle aufgebrochen worden?"
Der Soldat schüttelte den Kopf und verneinte: "Nein, jemand hat sie mit dem Schlüssel geöffnet. Einer von uns, fürchte ich."
Aldar warf ihm einen scharfen Blick zu. "Und ihr wisst nicht, wer es war? Oder wollt es nicht sagen?"
"Herr Hilgorn hat uns erzählt was euer Bruder getan hat.", gab der Soldat in respektvollem Ton zurück. "Und daher ist unser Treueid ihm gegenüber erloschen. Einer von uns fehlt, ein Mann der erst vor zwei Jahren zu uns gekommen ist. Er behauptete, ein Flüchtling aus Ithilien zu sein und Herr Imradon hat ihn in die Wache aufgenommen, obwohl er niemals wirklich einer von uns geworden ist."
"Und ihr meint, er hätte Imradon befreit und Ergon getötet? Wie heißt der Mann überhaupt?", fragte Hilgorn nach.
"Gelion.", antwortete zu seiner Überraschung Faniel. "Ich mochte ihn nicht, er hatte etwas merkwürdiges an sich, und hat nie etwas von sich erzählt... ich dachte, es läge daran dass er ein Flüchtling ist und seine Vergangenheit vergessen wollte."
"Er wusste jedenfalls, wo die Zellenschlüssel sind, und er und Ergon waren die einzigen die heute morgen in der Kaserne waren.", fügte der Soldat hinzu.
"Sehr gut." Hilgorn wandte sich zum Gehen, und vergaß vollkommen den Mann nach seinem Namen zu fragen. "Wir müssen Imradon sofort verfolgen.", sagte er zu Aldar, doch Faniel unterbrach ihn: "Und mich alleine mit den Kindern hier zurücklassen? Was, wenn er zurückkommt und sie mir wegnehmen will? Oder mich mitnehmen will?"
"Ich kann mir kaum vorstellen dass du das zulassen würdest.", warf Aldar mit einem Grinsen unter seinem Bart ein, und Hilgorn ergriff ihre Hände. "Du wirst zehn Männer der Wache hierhaben, und er hat nur einen einzigen. Er wird nicht an dich herankommen, das verspreche ich dir." Er küsste sie auf die Wange, und sah über Aldars hochgezogene Augenbraue hinweg. Hilgorn wusste, dass es seinem Bruder an sich egal war, wie sein Verhältnis mit Faniel aussah, doch in den Augen des Gesetzes war Faniel noch immer verheiratet - und obendrein mit seinem Bruder, was sie strenggenommen zu seiner Schwester machte.
Er räusperte sich. "Könntest du die Pferde bereitmachen?" Aldars Augenbraue verschwand beinahe unter seinen schwarzen Haaren, so sehr schoss sie in die Höhe, doch er nickte und wandte sich zum Gehen. Bevor jedoch mehr als zwei Schritte in Richtung der Ställe zurückgelegt hatte, hörte Hilgorn, wie der Wächter über dem Tor jemanden anrief. Die Antwort konnte er nicht verstehen, doch der Wächter wandte sich um, sah ihn auf dem Innenhof stehen und sagte: "Dort ist einer, der behauptet in eurem Auftrag unterwegs zu sein, Herr Hilgorn."
Hilgorn, der Faniels Hände schnell losgelassen hatte, rief nach oben: "Wie heißt er?"
"Er nennt sich Ladion. Soll ich das Tor öffnen?"
Hilgorn erinnerte sich an Ladion, einen der Elben aus Lothlórien. Er hatte zu denen gehört, die Hilgorn losgeschickt hatte um das Land zwischen Dol Amroth und dem Gilrain nach versprengten Feinden zu durchkämmen. Er nickte. "Öffnet das Tor!"
Eandril:
Einer der Soldaten zog ächzend einen der beiden Torflügel aus Eichenholz auf, und der grüngekleidete braunhaarige Elb trat in den Innenhof. Ladion neigte respektvoll den Kopf vor Hilgorn, der zwischen Faniel und Aldar stand und sagte: "Ah, General Hilgorn. Ich hatte nicht erwartet, euch hier zu treffen."
"Ich hatte auch ursprünglich nicht vor, hierher zu kommen", erwiderte Hilgorn. "Dies ist das Gut meiner Familie, und ich bin hergekommen um hier nach dem Rechten zu sehen."
"Das ist verständlich. Es freut für euch, dass der Krieg euer Zuhause noch nicht erreicht hat." Bei diesen Worten flackerte Schmerz in den Augen des Elben auf, und Hilgorn erinnerte sich daran, dass Ladion aus dem zerstörten Lothlórien nach Gondor gekommen war.
"Nun, ganz so kann man es nicht sagen.", warf Aldar ein, und streckte Ladion eine Hand entgegen, die dieser zögerlich ergriff. "Ich bin Aldar, Hilgorns Bruder, und das ist Faniel, die Frau unseres Bruders Imradon", stellte er sich vor, und warf Hilgorn, der dies versäumt hatte, einen vorwurfsvollen Blick zu.
Ladion neigte auch Faniel gegenüber den Kopf und sagte dann: "Ich weiß was ihr meint. Ich bin am anderen Ufer dieses Sees auf die Ruinen eines Dorfes gestoßen, dass offenbar vor nicht allzu langer Zeit niedergebrannt wurde."
"Tugobel", meinte Faniel leise.
"Ihr kommt von dort?", fragte der Elb. "Dann tut es mir Leid, was mit eurer Heimat geschehen ist."
"Und mir tut es Leid um die eure", erwiderte Faniel leise, und Ladion neigte erneut dankbar den Kopf, sagte aber nichts.
Hilgorn nutzte die Pause, um Ladions Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen. Obwohl der Elb, wie alle seines Volkes die Hilgorn getroffen hatte, immer sehr höflich und freundlich war, legte er immer eine gewisse Distanziertheit an den Tag, und Hilgorn wurde nie ganz schlau aus ihm. Trotzdem, gerade jetzt konnte er die scharfen Augen des Elben gut gebrauchen.
"Mein Bruder Imradon, der Herr von Tíncar, hat Gondor verraten", sagte er, doch in Ladions Gesicht zeigte sich kein Zeichen der Überraschung.
"Ich hatte bereits gespürt dass etwas hier nicht stimmte. Ist das der Grund, warum das Gut und das Dorf unberührt sind?" Der Scharfsinn des Elben überraschte Hilgorn, und er bejahte: "Er hatte einen Pakt mit Mordor geschlossen, und sie im Gegenzug mit Nahrung beliefert. Später hat er Informationen über Dol Amroth an unsere Feinde geliefert."
"Verzweifelte Zeiten erfordern verzweifelte Maßnahmen", erwiderte Ladion, und Hilgorn fragte sich ob er an die Elben aus dem Waldlandreich dachte, die sich nach der Zerstörung Lothlóriens Saruman angeschlossen hatten. Als er mit Mithrellas, der Anführerin der Erben Lenwes, wie die Elbentruppe sich nannte, über Lothlórien gesprochen hatte, hatte sie mit großer Bitterkeit von Thranduils Bündnis mit Saruman erzählt. "Aber Verrat kann nicht geduldet werden", fügte er Elb hinzu. "Habt ihr ihn gefangen genommen?"
"Ja", erwiderte Aldar an Hilgorns Stelle. "So wie ich gehört habe hat Hilgorn ihm kräftig die Fresse poliert, aber der Bastard ist entkommen." Eigentlich hatte Hilgorn eine Reaktions Faniels auf diese deftige Wortwahl erwartet, doch sie ergänzte nur: "Ein Mitglied der Wache hat ihn befreit und dabei einen alten Wachmann getötet. Hilgorn und Aldar wollten gerade aufbrechen um sie zu verfolgen, als ihr angekommen seid."
"Wir könnten eure Hilfe bei der Verfolgung gut gebrauchen", schloss Hilgorn, und blickte Ladion fragend an. Natürlich hätte er es auch einfach befehlen können, aber strenggenommen war Ladion ein Verbündeter und kein Untergebener, auch wenn er in Hilgorns Auftrag unterwegs war.
"Natürlich", erwiderte dieser ohne zu zögern. "Ich bin auf meinem Weg auf keine Feinde gestoßen und war sowieso auf dem Rückweg nach Dol Amroth."
"Sehr gut", meinte Hilgorn, doch Faniel unterbrach ihn. "Wollt ihr vorher noch etwas essen oder trinken?" Der Blick, den sie Hilgorn dabei zuwarf, sprach Bände, und neben ihm verdrehte Aldar die Augen.
Ladion jedoch ließ sich nichts anmerken, und schüttelte höflich den Kopf. "Nein danke, ich habe mich bereits heute morgen kurz gestärkt, und für den Moment brauche ich nichts."
"Also los." Hilgorn konnte die Ungeduld nicht vollständig aus seiner Stimme verbannen, denn mit jeder Minute wurde Imrados Vorsprung größer. Nur zwei Minuten später verließen Aldar, Ladion und Hilgorn das Gut, wobei Hilgorn und Aldar beritten waren und Ladion, der ein Pferd abgelehnt hatte, in lockerem Tempo nebenher lief.
Eandril:
Beinahe den ganzen Tag lang folgten Hilgorn, Aldar und Ladion Imradons Spur, die der Elb mit Leichtigkeit gefunden hatte. Die Fährte führte sie zunächst nach Norden, über die Brücke östlich von Tíncar und dann eine längere Strecke entlang des Nordufers des Cenedril. Mehrmals hatte Hilgorn geglaubt, den Entflohenen schon direkt auf den Fersen zu sein, doch immer wieder wurde die Spur undeutlicher und sie fielen wieder zurück.
So ging es den ganzen Tag, bis die Fährte nach Norden in die Berge in ein Geröllfeld abbog, in dem selbst Ladion mit seinen Elbenaugen sie nicht mehr verfolgen konnte, und inzwischen stand die Sonne auch schon tief.
"Wir haben ihn verloren, fürchte ich", sagte Aldar.
"Wir könnten auf die andere Seite der Felsen steigen und nachsehen, ob wir seine Spur dort wiederfinden", schlug Hilgorn vor, der abgestiegen war und sein Nacht an den Zügeln hielt. Der Rappe wieherte, als ob er die Unruhe seines Herrn spürte.
Ladion, der bereits ein paar Meter in das Geröllfeld vorgedrungen war, schüttelte den Kopf. "Nein, ihr solltet umkehren. Die Sonne geht bald unter, und eure Augen sind nicht gut genug um euch im Dunkeln zurecht zu finden. Außerdem nehme ich keine Geräusche der Flüchtigen mehr wahr."
"Also komm schon", meinte Aldar ungeduldig an Hilgorn gewandt. "Unser lieber Bruder wird sich alleine nicht nach Tíncar zurückwagen, und neue Informationen kann er dem Feind auch nicht liefern."
Hilgorn presste die Lippen zusammen, nickte aber und schwang sich wieder in den Sattel. "Vielleicht habt ihr Recht."
"Du hast doch nur Angst, Faniel ohne deine Beute unter die Augen zu kommen." Hilgorn reagierte nicht, denn die Vermutung seines Bruders war überraschend zutreffend. Tatsächlich wollte er ungern mit leeren Händen zurückkehren, weil er wusste dass Faniel in Tíncar keine Ruhe finden würde, solange Imradon in Freiheit war.
"Mit eurer Erlaubnis werde ich die Spur weiter verfolgen, wenn ich sie auf der anderen Seite wieder finde", sagte Ladion beruhigend, und Hilgorn nickte dankbar.
"Ihr habt meine Erlaubnis - und meinen Dank."
"Dankt mir, wenn ich euren Bruder zurückbringe", gab der Elb zurück. Mit diesen Worten wandte er sich um und lief mit leichten Schritten über die Felsen davon.
"Na komm, Bruder", sagte Aldar. "Lass uns nach Hause reiten."
Da sie auf dem Rückweg keiner Fährte folgen mussten, kamen sie deutlich schneller voran und erreichten Tíncar mit den letzten Sonnenstrahlen. Faniel erwartete sie bereits im Innenhof, und ihr genügte ein Blick in Hilgorns Gesicht um zu erkennen dass ihre Suche nicht erfolgreich gewesen war. Nachdem die Brüder abgesessen und ihre Pferde in den Stall gebracht hatten warf Aldar einen Blick von Faniel zu Hilgorn und sagte dann: "Ich, äh... gehe mich mal waschen, ich stinke nach Pferd."
Während er mit schnellen Schritten dem Haupthaus zustrebte, gingen Hilgorn und Faniel Seite an Seite langsam zum Garten auf der Ostseite des Hauses. Sobald sie im Garten vor jeglichen neugierigen Blicken geschützt waren, gab Hilgorn ihr einen zärtlichen Kuss, denn sie zwar erwiderte aber gleichzeitig die Nase kraus zog.
"Was ist?", fragte er, als sie sich voneinander gelöst hatten, und Faniel lachte. "Das was Aldar gesagt hat war nicht nur ein Vorwand um uns alleine zu lassen - du stinkst wirklich nach Pferd." Hilgorn konnte nicht anders, als sich von ihrem hellen Lachen anstecken zu lassen, erwiderte aber: "Ich finde nicht, dass Pferde stinken."
"Nein", gab Faniel immer noch lachend zurück, ließ sich auf einer der steinernen Bänke nieder, und zog ihn an der Hand mit sich. "Aber sie riechen manchmal sehr intensiv."
Dann wurde ihre Miene ernst. "Ihr habt Imradon nicht gefunden, oder?"
"Nein." Sein Versagen einzugestehen schmerzte Hilgorn. "Wir haben seine Spur an einem Geröllfeld für den Moment verloren, aber Ladion sucht weiter. Er wird ihn finden." Faniel legte den Kopf auf seine Schulter.
"Dann nimm mich und die Kinder mit nach Dol Amroth. Lass den Fürsten einen Verwalter schicken. Ich will nicht alleine hierbleiben, und du kannst nicht hierbleiben."
Eigentlich hatte Hilgorn Bedenken gehegt, sie mit in die Stadt zu nehmen. Was, wenn dort die wahre Natur ihre Verhältnisses bekannt wurde? Nach geltendem Recht würden sie immerhin Ehebruch begehen, doch jetzt, in diesem Moment, konnte er ihr nichts abschlagen.
"Natürlich nehme ich dich mit", sagte er und schob seine Finger durch die ihren. "Lass uns gleich morgen aufbrechen, ich muss dem Fürsten berichten was geschehn ist.
Hilgorn, Faniel und ihre Kinder nach Dol Amroth...
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