Músab, Narissa, Aerien, Gatisen, Aspelta, Aglarân sowie der Rest des königlichen Rates von den Straßen KermasKaum mehr als eine Minute nach ihrem Eintreffen im königlichen Palast war vergangen, als jemand Aerien von hinten in eine stürmische Umarmung schloss und dabei beinahe kindliche, fröhliche Laute von sich gab.
„Kani? Bist du das?“ fragte Aerien, während sie sich bemühte, sich aus dem Griff des Mädchens zu befreien.
„Ihr seid wieder da!“ sagte Kani wieder und wieder, selbst nachdem Narissa sie eine Spur zu grob von Aerien getrennt hatte. „Ich wusste, dass ihr es schafft!“
Hinter ihnen war König Músabs Lachen zu hören. „Tauscht euch in Ruhe aus, Freunde... ich werde derweil Kriegsrat halten und meinen nächsten Zug planen. Doch danach gibt es etwas, worüber ich mit euch beiden sprechen möchte. Warum genießt ihr nicht ein Weilchen die Schönheit der Gärten, bis ich euch rufen lasse?“
„Eine vorzügliche Idee,“ meinte Aerien. „Dort können wir dir alles erzählen, was wir auf unserer Fahrt erlebt haben, Kani.“
Narissa schien von dem Vorschlag deutlich weniger begeistert zu sein als die junge Kermerin, doch nachdem sie ausführlich mit den Augen gerollt hatte, fügte sich die Weißhaarige. „Na schön,“ brummte sie. „Vertreiben wir uns ein wenig die Zeit.“
Músab entfernte sich in Richtung seines Thronsaales, begleitet von Aglâran und dem Rest des Hofstaates.
In den Gärten angekommen stürzte sich Aerien in einen ausführlichen Bericht über die Abenteuer, die Narissa und sie während der Suche nach dem Königssymbol erlebt hatten. Kani hörte aufmerksam zu und stellte zwischendurch oft Fragen zu einzelnen Begebenheiten und Personen. Aufgrund eines eindringlichen Blickes von Narissa beschloss Aerien, jegliche Erwähnungen Elyanas und ihrem Bund der Sieben Schwestern wegzulassen. Kani schien es nicht aufzufallen. Sie wirkte besonders beeindruckt von den Kultisten und deren Anführer, dem falschen Anlamani.
„Dass diese Bande von Fanatikern existiert ist bereits seit mehreren Jahren selbst in meiner Heimat El Kurra bekannt,“ sagte sie. „Aber dass ihr Anführer sich für den unsterblichen Anlamani selbst ausgibt, höre ich zum ersten Mal. Wie unheimlich! Und dass er tatsächlich all die Jahre das Königssymbol in seinem Besitz gehabt haben soll...“
„Jetzt gehört es wieder seinem rechtmäßigen Besitzer,“ stellte Aerien zufrieden klar.
Eine Stunde verging, und die Sonne über ihnen erreichte ihren höchsten Stand. Selbst für die milden Winter im Süden war es ungewöhnlich warm. Kani sorgte schließlich dafür, dass man ihnen Getränke in den Garten brachte. Die Erfrischung - bestehend aus kühlen Wasser und verschiedenen Fruchtsäften - tat gut und half Aerien dabei, ein wenig zu entspannen. Nach den Strapazen der anstrengenden Reise, die nun endlich hinter ihnen lag, tat es gut, zumindest für einen Moment alles um sich herum zu vergessen und sich unbeschwert zu fühlen.
Narissa hingegen schien andere Gedanken zu haben. „Kani,“ sagte sie in die Stille hinein, und fuhr fort, ehe die junge Kermerin auch nur die Gelegenheit zu einer Antwort bekam. „Wärst du so gut, mal nachzusehen, wie weit der Kriegsrat des Königs vorangeschritten ist? Ich weiß, dass er viel zu tun hat, aber wir haben getan, was er von uns verlang hat, und ehrlich gesagt habe ich so langsam genug von Kerma gesehen.“
„Oh, du möchtest also heimkehren?“ fragte Kani. „Ja, das verstehe ich natürlich. Heimweh ist mir nicht fremd.“ Sie hielt für einen Augenblick inne und ihr Blick ging nach Norden, wo die Burg El Kurra über die Grenzen Kermas wachte. Dann nickte sie. „Ich werde es herausfinden,“ sagte sie noch, ehe sie davongeeilt war.
„So,“ sagte Narissa, als Kani außer Hörweite war. „Das sollte uns etwas Zeit verschaffen, in der wir ungestört reden können. Ich habe nicht vergessen, was du in Elyanas Höhle gesagt hast, ehe du mitten im Satz eingeschlafen bist. Willst du mir jetzt davon erzählen?“
Aerien brauchte einen kurzen Moment, um sich daran zu erinnern, was sie im Fieberwahn geträumt hatte. Dann erzählte sie Narissa in wenigen, schnellen Sätzen davon, wie sie ihren Vater inmitten der Finsternis gesehen und mit ihm gesprochen hatte.
„Du hast wirklich gesagt, dass du kommen wirst?“ wunderte sich Narissa.
„Es war nur ein Traum, Rissa,“ hielt Aerien dagegen. „Ich denke nicht, dass man uns in Mordor deswegen erwarten wird.“
„Ich weiß nicht recht,“ sagte Narissa unschlüssig. „Es gibt Geschichten über Zaubergegenstände, die einen weit entfernte Dinge sehen lassen.“
„Du sprichst von den Sehenden Steinen, den Palantíri,“ sagte Aerien, die davon während ihres Studiums der Geschichte Númenors gelesen hatte. „Ich glaube nicht, dass mein Vater Zugang zu einem dieser Steine hat. Und selbst wenn dem so wäre, hätte ich ihm nicht antworten können, ohne selbst einen Palantír zu besitzen.“
Narissa schien diese Erklärung nicht zufrieden zu stellen. „Du willst immer alles mit deinem angelesenen Wissen verstehen und erklären,“ sagte sie. „Aber es gibt Dinge, die kein Buch dieser Welt verständlich machen kann. Dinge, die über unseren Verstand hinaus gehen.“
„...willst du damit sagen, ich werde langsam wahnsinnig?“
„Naja, du hattest immerhin hohes Fieber.“
„Rissa!“
Narissa lachte frech. Dann wurde sie wieder ernst. „Ich meine ja nur. Du hast doch selbst gesehen, was uns allein in Kerma schon für merkwürdige Dinge widerfahren sind. Ein uralter König, der längst tot sein sollte, taucht wieder auf und unterwirft sich eine Gruppe von Fanatikern. Und dann die ganze Angelegenheit mit Elyana und den Schwestern. Diese geheimnisvolle Quelle und das Wesen, das darin lebte. Ganz zu schweigen davon, dass ich offenbar einen Bruder habe... falls dieser Widerling tatsächlich die Wahrheit gesagt haben sollte.“
Aerien musste an Mustqîm denken und sie schüttelte sich. „
Halbbruder, wenn überhaupt. Von der schlechteren Seite deiner Familie.“
„Dass wir verwandt sind ändert gar nichts,“ stellte Narissa klar. „Wenn sich mir die Gelegenheit bietet, ist er tot, ob Halbbruder oder nicht.“
„Genau wie sein Vater, nehme ich an?“ hakte Aerien nach.
„Worauf du Gift nehmen kannst, Sternchen.“
Kurz darauf kehrte Kani zu ihnen zurück. Doch das Mädchen war nicht allein. Dicht hinter ihr kamen Gatisen, General Aspelta, und der König Kermas persönlich.
„Narissa, Aerien, es ist schrecklich!“ rief Kani.
„Was ist geschehen?“ fragte Aerien besorgt.
„Meine Heimat... El Kurra... sie wird von den Armeen der Verräter angegriffen!“
Gatisen legte tröstend einen Arm um Kani, während Músab heran kam. „Noch während wir hier sprechen versammeln sich all meine kampffähigen Truppen auf den Feldern außerhalb der Stadt,“ sprach der König. „Uns bleibt wenig Zeit. Wir werden in Eilmärschen nach Norden ausrücken, um den Angriff Kashtas gegen die Grenzfestungen an der Nordgrenze abzuwehren. Wenn die Berichte der Kundschafter stimmen, hat er seine gesamte Streitmacht zusammengezogen. Er setzt alles auf eine Karte. Deshalb muss ich das ebenfalls tun. Und ich bitte euch, mit mir zu gehen.“
„Aber -„ begann Narissa.
„Ich weiß, dass ihr in eure Heimat zurückkehren möchtet,“ unterbrach Músab die junge Frau. „Doch ich fürchte um euer beider Sicherheit, wenn ihr Kerma jetzt verlasst. Kashtas Diener haben ihre Augen und Ohren überall, und sie werden nicht vergessen haben, wer es gewesen ist, der das Königssymbol an den Hofe Kermas zurückgebracht hat. Ihr steht ganz oben auf seiner Liste. Bitte lasst mich dafür sorgen, dass ihr in Sicherheit seid, bis die Schlacht, die uns nun bevorsteht, geschlagen ist.“
„Wie könnt Ihr Euch so sicher sein, dass die Gefahr vorüber sein wird, wenn die Schlacht geschlagen ist? Wie könnt Ihr Euch des Sieges so gewiss sein?“ hakte Aerien nach.
„Es gibt keine Gewissheit in diesen dunklen Tagen,“ antwortete Músab. „Uns bleiben nur unsere Vorbereitungen, unsere Pläne, und unsere Hoffnung. Von allen drei Dingen habe ich ausreichend angespart, um guten Mutes in die Schlacht zu ziehen. Werdet ihr euch mir ein letztes Mal anschließen?“
Aerien tauschte einen langen Blick mit Narissa, die schließlich einen bestätigenden Seufzer von sich gab.
„Wir werden mit Euch kommen, König Músab,“ sagte Aerien.
Músab, Aerien, Aglarân, Narissa, Gatisen, Alára und Abdul mit dem königlichen Heer Kermas nach El Kurra