Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Umbar

Minûlîths Anwesen

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Valion, Valirë und Minûlîth von den Straßen Umbars


Die Zwillinge staunten nicht schlecht als sie Minûlîth durch das weitläufige Anwesen folgten. Überall sahen sie Diener, die hin und her eilten und denen ihre Herrin nebenbei Befehle zurief. Obwohl es draußen inzwischen dunkel geworden war war das Innere des Anwesens von den unterschiedlichsten Lampen erhellt und war äußerst prunkvoll eingerichtet. Es war offensichtlich, dass Minûlîth eine Dame von hohem Ansehen und Wohlstand war. Selbst der große Fürstenpalast von Dol Amroth konnte nach Valions Meinung nur gerade eben so mit dem Anwesen von Haus Minluzîr mithalten. Die Herrin des Hauses führte sie in einen der kleineren Speisesäle und befahl den Dienern, das Abendessen vorzubereiten.
"Gewiss habt ihr Hunger," sagte sie geradezu fröhlich. "Stärkt euch und lasst es euch schmecken. Wir unterhalten uns hinterher."
Das ließen sich Valion und Valirë, die noch keine einzige richtige Mahlzeit seit ihrer Ankunft in Umbar gehabt hatten nicht zweimal sagen. Es wurde reichlich aufgetragen und es gab alles, was das Herz begehrte: Braten, Fisch, Früchte, helles Brot und edlen Wein, und viel mehr, zu viel um es alles aufzuzählen. Beinahe eine ganze Stunde lang aßen sie, während Minûlîth nur wenige Bissen zu sich nahm. Offenbar aß sie nur aus Höflichkeit und hatte ihr richtiges Abendessen bereits gehabt.

"Also," ergriff die Hausherrin das Wort nachdem die Diener den Tisch abgedeckt hatten und ihm nahen Kamin ein wärmendes Feuer entfacht worden war. "Sicherlich fragt ihr beiden euch, wo ihr hier nur hineingeraten seid. Ich will es euch gerne erklären. Werft am besten zunächst einen Blick auf die Abbildung hinter mir." Sie deutete auf einen großen Wandteppich, der hinter ihr hing und auf dem ein hochgewachsener Mann zu sehen war, der am Steuer eines großen Schiffes mit schwarzen Segeln stand.
"Dies ist mein Vorfahr, Minluzîr der Entdecker, der ein großer Seefahrer war. Er entstammte einen alten númenorischen Haus, dem Haus Balákar, doch sein älterer Bruder Belzagar erbte Titel und Wohnsitz seiner Vorfahren. Minluzîr machte sich daher einen Namen als Kapitän der Aglarbalak und als einer der größten Entdecker und Seefahrer des Dritten Zeitalters. Als seine Verwandten nach Aglarêth zogen blieb Minluzîr in Umbar und gründete sein eigenes Haus. Auf seinen Reisen fand er unzählige Schätze und begründete den Reichtum, in dem ich heute das Privileg habe, zu leben. Doch meine Schwester und ich sind die letzten unserer Linie, denn mein Vater starb ohne männlichen Erben, weshalb das Anwesen nun mir gehört."
Valirë hatte ihre Beine auf den Tisch hochgelegt. "Praktisch, so viel Geld zu haben," meinte sie breit lächelnd und erntete einen missbilligenden Blick von Minûlîth.
"Meine Familie gehörte schon vor der Ankunft der Korsaren zum Hochadel Umbars und hat nie großen Hass für Gondor empfunden," fuhr Minûlîth fort. "Wir haben daher auch immer die eher gemäßigte Politik von Haus Erundur unterstützt, der nach dem Ende der Linie Castamírs den Fürstenstuhl bestieg und an seine Nachkommen vererbte. Doch als Fürst Nostoher vor sieben Jahren ohne Sohn verstarb riss sein Schwiegersohn, Hasael, den Titel an sich, und er ließ sofort alle Zeichen auf Krieg mit Gondor setzen. In meinen Augen ist er kein wahrer Fürst Umbars sondern unrechtmäßig an diese Macht gekommen. Arannis, Nostohers Tochter und sein einziges Kind, ist eine gute Freundin von mir, und wurde gegen ihren Willen mit Hasael verheiratet. Nach allem, was man hört, behandelt er sie nicht gut - sie darf nicht einmal den Palast verlassen..."

"Das ist ja alles sehr interessant," warf Valirë ein.
"Doch was hat das mit uns zu tun?" ergänzte Valion, der genau wusste was seine Schwester sagen wollte, es jedoch ein bisschen höflicher formulierte.
"Ihr plant offensichtlich Hasaels Sturz, gemeinsam mit Edrahil von Belfalas," sagte Minûlîth ohne eine Miene zu verziehen. Als sie sah, wie den Zwillingen die Gesichtszüge entglitten, schlich sich ein kleines Lächeln in ihre Mundwinkel. "Oh, bitte, nun tut nicht so überrascht. Dachtet ihr, euer kleiner Raubzug in der Taverne am Palast wäre unbemerkt geblieben? Einer meiner Diener hat euch gesehen, wie ihr den Rauschmeißer außer Gefecht gesetzt habt und ist euch nach drinnen gefolgt. Habt ihr den Schlüssel zur Bibliothek noch?"
Völlig überrumpelt zog Valion den Schlüssel hervor und zeigte ihn Minûlîth, die zufrieden nickte. "Behalte ihn. Gewiss habt ihr ihn im Auftrag Edrahils beschaffen sollen? Ah, er ist ein gerissener Mann, dieser Edrahil, doch selbst er kann sich nicht immer allen Augen entziehen. Als er vor einiger Zeit im Kerker Hasaels saß gelang es mir, einige wichtige Dinge über ihn herauszufinden."
"Was wisst Ihr?" stieß Valirë aufgeregt hervor.
"Oh, genug um zu wissen, dass ich ihn gewähren lassen sollte," sagte Minûlîth. "Wie ich bereits sagte liegt Hasaels Sturz sehr in meinem Interesse. Wenn Edrahil dafür sorgen kann, werde ich dem nicht im Weg stehen."

Die Hausherrin machte eine kurze Pause, dann fuhr sie fort: "Nun sagt, wie lange steht ihr schon in seinen Diensten? Weshalb kamt ihr nach Umbar?"
Valion überlegte einen Augenblick. Vielleicht wusste diese Frau etwas über Lothíriel und würde ihnen bei der Befreiung der Prinzessin behilfich sein, wenn er ihr Vertrauen gewinnen könnte? Also sagte er die Wahrheit. "Wir kamen heute frühmorgens auf dem Seeweg nach Umbar, im Auftrag Prinz Imrahils von Dol Amroth. Seine Tochter Lothíriel wurde vor zwei Wochen hierher entführt. Habt Ihr vielleicht etwas darüber gehört?"
Doch Minûlîth schüttelte betroffen den Kopf. "Nein, so gerne ich euch helfen würde, doch leider ist mir darüber noch nichts zu Ohren gekommen. Doch würde es mich freuen, wenn ihr mir von eurer Seefahrt erzählen könntet, die euch von Dol Amroth so weit nach Süden getragen hat. Ich selbst bin oft zu Schiff unterwegs gewesen und kenne die Gewässer nahe Umbars gut, denn das Schiff meines Vorfahren, die Aglarbalak, ist noch immer erhalten und befindet sich in meinem Besitz. Im Moment jedoch habe ich sie an... einen guten Freund verliehen."

Und so erzählte Valion von ihrem Aufbruch aus Dol Amroth und der Durchquerung der Flaute in der Bucht von Belfalas. Als er davon sprach, wie sie die Insel Tol Thelyn gesichtet hatten, schien es ihm als würde Minûlîths Interesse um ein Vielfaches zunehmen.
"Wir sahen uns auf der Insel um, doch wir fanden nur Zerstörung vor. Gerade als wir umkehren wollten trafen wir jedoch einen Mann namens Thorongil vom Turm, der - "
"Thorongil! Ihr seid ihm begegnet?" rief Minûlîth überrascht aus.
"Ja - kennt Ihr ihn?" fragte Valirë neugierig.
Minûlîth blieb für einen Augenblick still und man sah ihr an, dass ihre Gedanken rasten. "Er ist also nach all den Jahren auf die Insel zurückgekehrt. Dafür also wollte er die Aglarbalak so dringend ausleihen! Aber weshalb hat er mir das nicht erzählt?" sagte sie mehr zu sich selbst als in den Raum hinein. Als sie kurz darauf die verwunderten Blicke der Zwillinge bemerkte, räusperte sie sich und auf ihren Wangen zeigte sich eine untypische Röte.
"Ich kenne Thorongil, das ist wahr," sagte sie. "Wie ihr wisst ist er der Erbe Hadors vom Turm, doch nach einem Streit verließ er Tol Thelyn für immer. Er legte die Namen Thorongil und Beorn ab und nannte sich Tayyad, und als Tayyad stellte er sich mir bei unserem ersten Treffen vor. Doch je mehr wir uns kennen - und lieben - lernten, desto mehr offenbarte er mir seine wahre Identität. Und aus Liebe unterstützte ich seine Wanderungen und Fahrten mit dem Wohlstand meiner Familie, sodass er nicht auf die Spione und Unterstützung seines Vaters angewiesen war, mit dem er nichts mehr zu tun haben wollte. Doch im Frühling diesen Jahres hörten wir ein Gerücht, dass Suladan die Insel angegriffen haben soll. Und nun ist Thorongil also wirklich dorthin zurückgekehrt..."
"Er sagte, er will von seinem Volk retten, was noch davon übrig ist," sagte Valion.
"Jetzt da sein Vater tot ist ist er der rechtmäßige Turmherr," murmelte Minûlîth. "Er übernimmt also nun diese Verantwortung. Würde ich mir nicht so große Sorgen um ihn machen, wäre ich gerade sehr stolz auf ihn."
"Es ging ihm gut als wir die Insel verließen," warf Valirë ein. "Und er machte auf mich den Eindruck als wäre er jemand, der auf sich aufpassen kann."
Minûlîth nickte, scheinbar für den Augenblick beschwichtigt. "Danke, dass ihr diese wichtigen Informationen mit mir geteilt habt. Ich hätte euch dank unseres gemeinsamen Interesses am Sturz Hasaels sowieso geholfen, doch nun bin ich um so mehr davon überzeugt, dass ihr beiden das Herz am rechten Fleck tragt. Also werde ich euch auch dabei helfen, aus dem Gedächtnis der Stadtwache zu verschwinden. Ihr werdet für zwei Tage untertauchen und in dieser Zeit werde ich meine Diener zum Kommandanten der Stadtwache entsenden und ihn davon überzeugen, euch freie Hand in Umbar zu lassen. Edrahil wird sich sicherlich Sorgen um euch machen - oder auch nicht, wer weiß - doch ich denke, er wird es überstehen wenn er zwei Tage nichts von euch hört."
"Aber - " setzte Valion an.
"Keine Widerrede!" schnitt ihm Minûlîth das Wort ab. "Ihr werdet mir vertrauen müssen, wenn ihr jemals wieder auf die Straßen Umbars treten wollt ohne euch alle fünf Schritte nach Verfolgern umsehen zu müssen."
"Also gut, wir bleiben hier," sagte Valirë und nahm die Füße vom Tisch.
"Und als Erstes werdet ihr euch den Schmutz der Straße abwaschen gehen," befahl die Hausherrin in strengem Ton. "Waschzuber mit heißen Wasser stehen nebenan schon bereit und ich werde euch frische Kleidung bringen lassen."
Sie stand auf und klatschte zweimal. Eine Dienerin eilte herein und löschte das Feuer im Kamin. Dann verließ Minûlîth den Raum und ließ die Zwillinge stehen.

Zwei weitere Bedienstete griffen Valion und Valirë an den Armen und bugsierten sie in separate Badezimmer. Valion konnte durch die dünne Wand den Protest seiner Schwester hören, doch er selbst genoss das heiße Bad. Eine Stunde verbrachte er in dem wohltuenden Becken bis er schließlich die für ihn bereitgelegte Kleidung - eine Hose und ein einfacher Wappenrock in Silber und Rot - anzog und in den Raum zurückkehrte, in dem sie zuvor gegessen hatten. Dort fand er Valirë vor, die ihm einen leidenden Blick zuwarf. Er musste lachen, denn seine Schwester sah sogar noch mehr herausgeputzt als bei ihrer eigenen Verlobung aus: Die Haare waren zu einer komplizierten Hochsteckfrisur aufgetürmt und das rote Kleid das sie trug war geradezu einer Königin würdig. Valirës Augen verengten sich zu Schlitzen als sie das Grinsen im Gesicht ihres Bruders sah, doch sie sagte nichts. Erst jetzt bemerkte er die zweite Frau, die auf einem großen Sessel in der Nähe des nun wieder brennenden Kaminfeuers saß. Erst dachte er, es wäre Minûlîth, doch dann fiel ihm auf, dass sie einige Jahre jünger war, ungefähr in seinem eigenen Alter.
"Dies also sind die Zwillinge vom Ethir", grüßte sie lächelnd. "Ich bin Minûlîths Schwester, Lóminîth. Schön, euch kennenzulernen!"
Valion fühlte sich seltsam. Er hatte schon viele Frauen geliebt oder geglaubt sie zu lieben, doch diesmal fühlte es sich anders an. Er bemerkte mit einem Mal, dass er Lóminîth offen anstarrte. Valirë gab ihm einen heftigen Schubs und er blickte entschuldigend zu Boden. Doch bevor jemand etwas sagen konnte ging die Tür auf und ein Junge von ungefähr acht Jahren kam hereingerannt. Er baute sich vor Lóminîth auf und blickte sie kritisch an.
"Du bist zu spät, Tante!" sagte der Junge.
"Túor, es sind Gäste hier," erwiderte Lóminîth.
"Die, die meinen Vater getroffen haben?" strahlte Túor. "Was hat er gemacht? Ist er wirklich auf die Insel seiner Vorfahren zurückgekehrt? Sah er mutig aus? Bestimmt!"
Valion blinzelte. "Moment mal - du bist doch nicht etwa der Sohn von Tho -"
Lóminîth unterbrach ihn als sie Túor streng anblickte und sagte: "Hast du etwa wieder gelauscht, Tuór? Wir hatten doch darüber geredet. Deine Mutter hat viele Geheimnisse, und sie teilt sie erst mit dir, wenn du bereit bist!"
Túro grinste und war offenbar äußerst zufrieden mit sich selbst. "Wenn du mich bestrafen willst, wirst du mich erstmal erwischen müssen!" Damit rannte er davon. Lóminîth winkte einem Diener zu, der sogleich die Verfolgung aufnahm. Dann wandte sie sich wieder an die Zwillinge.
"Er hätte nicht lauschen dürfen. Thorongil weiß nichts von seinem Sohn. Warum sie ihm nicht davon erzählt hat weiß ich nicht - in die Angelegenheiten meiner Schwester mische ich mich nicht gerne ein."

"Also, das war interessant," sagte Valirë. Sie machte einen Schritt vorwärts und stolperte über den Saum ihres Kleides. Als Valion Lóminîths helles Lachen hörte war es ihm als hörte er die silbernen Glocken von Dol Amroth schlagen, ein Klang, der ihn in Erstaunen versetzte. Das ist... neu, dachte er. Darüber muss ich nachdenken. Er fürchtete, dass er und seine Schwester in eine kompliziertere Situation geraten waren als sie ahnten...

Fine:
Minûlîth stellte den Zwillingen jeweils ein weitläufiges Gästezimmer zur Verfügung. Zwar war Valion daran gewöhnt, an allerlei unbequemen Orten zu schlafen, dennoch freute er sich über den Komfort eines richtigen Bettes. Er zog die Stiefel aus und legte sich auf den Rücken, die Hände unter dem Kopf verschränkt. Nachdenklich starrte er an die hohe Zimmerdecke und ließ den Tag vor seinem inneren Auge noch einmal vorbeiziehen. So viel war geschehen: Am frühen Morgen waren sie mit Feuer und Aufruhr in Umbar eingetroffen, hatten den Vormittag in der kleinen Taverne verbracht und Mittag, Nachmittag und Abend bereits in Edrahils Diensten gestanden. Valion fühlte sich, als wäre er bereits mehrere Wochen in der Korsarenstadt und nicht erst einen Tag.

Innerlich spürte er, dass er all dem Luxus und den freundlichen Gesichtern Minûlîths und ihrer Schwester nicht sorgenfrei trauen sollte, doch er war müde. Er stand noch einmal auf und überprüfte, ob Fenster und Türen des Raumes von innen verschlossen waren. Dann beschloss er, es drauf ankommen zu lassen und legte sich erneut in das weiche Bett. Kaum hatte er die Augen geschlossen war er auch schon in einen tiefen Schlaf gefallen.

Es war der kleine Túor, der ihn weckte. Der Junge stand neben dem Bett und hatte das kürzere von Valions Schwertern in der Hand. Als er damit gegen eine Vase stieß und diese mit lautem Getöse zu Boden fiel schreckte Valion auf.
"Zeigst du mir, wie man damit umgeht?" fragte Túor hoffnungsvoll.
"Gib das her, bevor du dir weh tust," rief Valion und nahm dem Jungen die Klinge aus der Hand.
"Bitte, bitte!" bettelte Túor.
"Das kann ich nicht tun ohne die Erlaubnis deiner Mutter," entgegnete Valion.
"Nein, sprich nicht mit meiner Mutter darüber! Sie würde es verbieten." rief Túor aufgeregt.
"Also... ich fürchte, dann kann ich dir den Wunsch leider nicht erfüllen, Túor," sagte Valion entschuldigend. "Ich möchte mir keinen Ärger mit deiner Mutter einhandeln."
"Spielverderber," meinte Tuór und machte ein beleidigtes Gesicht. "Deine Schwester ist viel netter als du!"
"Was?" rief Valion alarmiert. "Was hat sie getan?" Doch Túor war bereits aus dem Zimmer gestürmt, wahrscheinlich auf der Suche nach einem neuen Abenteuer.

Er legte seinen Waffengürtel um und machte sich auf die Suche nach Valirë, die er schließlich mithilfe der Bediensteten in einem kleinen Garten fand. Der Garten lag zwischen den beiden großen Flügeln des Anwesens und wirkte wohlgepflegt, wie der Rest des Hauses. Valirë trug nun ein hellgrünes Kleid und saß gemeinsam mit Minûlîth und ihrer Schwester Lóminîth an einem Tisch, auf dem ein reichhaltiges Frühstück aufgetischt war. Für Valion wurde auf einen Wink der Hausherrin ein weiterer Stuhl an den Tisch gestellt und er setzte sich zu den Frauen und begann zu essen.
"Was hast du mit dem kleinen Túor angestellt?" fragte er in Richtung Valirës zwischen zwei Bissen.
Valirë lächelte und in ihren Augen blitze die Spitzbübigkeit auf, die so typisch für sie war. "Ich habe ihn mit Gilrist spielen lassen, schließlich wird er bestimmt eines Tages ein großer Krieger werden."
Erneut brachte ihr das einen missbilligenden Blick von Minûlîth ein. "Mein Sohn wird früh genug die Schrecken des Krieges kennenlernen," sagte sie. "Solange ich ihn davon fernhalten kann werde ich das auch tun."
"Er ist aber nicht nur dein Sohn, sondern auch der Sohn seines Vaters," warf Lóminîth ein. "Du weißt, dass in seinen Adern das Blut von Kriegern und Attentätern fließt."

"Weshalb habt Ihr Túor vor Thorongil geheim gehalten?" fragte Valion nach einem Moment der Stille.
"Wir haben niemals geheiratet," beantwortete Minûlîth die Frage mit etwas leiserer Stimme als gewöhnlich. "Thorongil hat mich nie danach gefragt, und als ich zu viele Jahre mit Warten verbracht hatte erkannte ich, dass er auch mir gegenüber seine Unabhängigkeit wahren wollte. Er hat in seinem Leben zu früh zu viel Verantwortung übertragen bekommen und immer das Gefühl gehabt, die hohen Erwartungen, die sein Vater an ihn hatte, nicht erfüllen zu können. Als Túor geboren wurde wollte ich ihm nicht auch noch die Verantwortung übertragen, ein Vater zu sein. Er nimmt an, dass Túor der Sohn meiner Schwester ist."
"Was werdet Ihr tun, wenn Thorongil die Wahrheit erfährt?" warf Valirë ein. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass früher oder später alles ans Licht kommt."
"Ich hoffte, es ihm bei seinem letzten Besuch zu sagen," antwortete Minûlîth. "Doch er war in Eile und sehr besorgt aufgrund der Nachrichten von der Insel. Vielleicht... vielleicht wird sich eine gute Gelegenheit ergeben, wenn er mit meinem Schiff zurückkehrt."

Das Gespräch wurde unterbrochen als ein Diener an den Tisch trat.
"Was gibt es?" fragte Minûlîth, nun wieder im normalen Tonfall.
"Ein Bote ist eingetroffen. Er behauptet, Nachricht von einem gewissen Edrahil zu bringen," sagte der Diener.
Ein Lächeln legte sich auf Minûlîths Gesicht. "Aha. Er ist schneller, als ich angenommen hatte. Also gut, bring' ihn her. Hören wir uns an, was der Meisterspion mir zu sagen hat."
Der Diener verschwand für einige Minuten und kam in Begleitung eines Mannes zurück, der der Hausherrin eine versiegelte Schriftrolle überreichte, eine Verbeugung machte und dann mit dem Diener wieder verschwand.
Minûlîth öffnete die Rolle und überflog den Inhalt, nickte und reichte sie dann an Valion weiter.
"Meine Grüße an Minûlîth von Haus Minluzîr," las leise vor. "Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr zwei meiner Freunde beherrbergt. Bitte leitet diese Nachricht an die Zwillinge Valion und Valirë vom Ethir weiter. Ich vertraue auf Eure Diskretion. Bayyin."
Darunter war ein Absatz, und ein zweiter Text begann: "Edrahil ist verschwunden und ich befürchte, er ist in Schwierigkeiten geraten. Bitte kommt so bald es euch möglich ist zurück. In Eile, Bayyin."
Valion blickte zu seiner Schwester hinüber. "Sieht aus, als bräuchte Edrahil unsere Hilfe," sagte er und machte Anstalten, aufzustehen.
"Ihr könnt nicht gehen," warf Lóminîth ein. "Ihr werdet noch immer von den Wachen gesucht."
Minulîth nickte. "Mein Bote ist gerade auf dem Weg zum Kommandanten, doch es wird noch mindestens bis heute Abend dauern, bis dessen Befehle zu allen Stadtwächtern durchgedrungen sind. Ich rate euch, noch bis morgen früh zu warten."
Valirë machte eine gleichgültige Geste. "Schätze, Edrahil wird sich aus der Lage in die er sich manövriert hat schon irgendwie wieder herauswinden."
"Das wissen wir nicht sicher," entgegnete Valion. "Was, wenn ihm etwas zustößt? Dann wäre es auch für Bayyin bald nicht mehr sicher."
Seine Schwester blickte nachdenklich zu Boden. "Nehmen wir also das Risiko in Kauf, von den Wachen gesehen zu werden?"
"Ich denke, uns bleibt keine Wahl," sagte Valion und stand auf. Als er sich zum Gehen wandte stieß er beinahe mit dem Diener zusammen, der vor kurzem Bayyins Boten hereingeführt hatte.
"Ein zweiter Bote bittet um Einlass," sagte der Bedienstete.

Kurz darauf führte er den zweiten Boten herein. Dieser hatte keine schriftliche Nachricht, sondern sagte: "Ich richte wie befohlen aus: Edrahil lässt euch beide grüßen, hofft, dass ihr eure Pause genießt und gibt Entwarnung. Es geht ihm gut."
"Wie ich es mir dachte," kommentierte Valirë.
"Sag ihm, wir werden ihn morgen am Vormittag bei seinem Versteck treffen," trug Valion dem Boten auf. "Dann stehen wir rechtzeitig zu seinem kleinen Treffen zu seiner Verfügung."
Der Mann nickte und machte sich auf den Rückweg zu Edrahil.

"Ich schließe daraus, dass ihr beiden nun wie geplant noch eine Nacht hier bleiben werden," stellte Minûlîth fest.
"Wenn wir Eure Gastfreundschaft erneut in Anspruch nehmen dürfen," sagte Valion. "Wir danken Euch für die Hilfe, Herrin Minûlîth."
"Oh, dankt ihr noch nicht, noch wisst ihr nicht, mit welchen Verpflichtungen der Aufenthalt in diesem Haus verbunden ist," warf Lóminîth ein.
"Verpflichtungen?" meinte Valirë. "Was soll das heißen?"
"Ihr werdet es sehen," sagte Lóminîth. "Ihr werdet es sehen..."

Fine:
Valion und Valirë tauschten einen unbehaglichen Blick aus. Mit einem Mal kam ihnen die Gastfreundschaft Minûlîths nicht mehr so willkommen vor wie am vorherigen Tag und während des Frühstücks. Doch bevor sie etwas dazu sagen konnten kam ihnen Minûlîth entgegen.
"Meine Schwester drückt sich gerne etwas dramatisch aus," sagte sie und lachte einen kurzen Augenblick auf. "Selbstverständlich ist euer Aufenthalt hier mit keinerlei Verpflichtungen verbunden - abgesehen von gutem Betragen (hierbei warf sie Valirë einen strengen Blick zu). "Es kann jedoch durchaus geschehen, dass ich euch um den einen oder anderen Gefallen bitten werde, nachdem ich euch geholfen habe, der Stadtwache zu entkommen."
"Natürlich," sagte Valion und nickte. "Wir werden nicht vergessen, was Ihr für uns getan habt und es nach unseren Möglichkeiten zu vergelten versuchen."
Minûlîth nickte ebenfalls und eine zufriedene Miene legte sich auf ihr Gesicht. "Ich freue mich, dass ihr dieser Meinung seid."

Lómithîths Gesichtsausdruck hingegen blieb für Valion ein Rätsel. Es kam ihm nicht so vor, als ob ihre Worte nur als Scherz gemeint waren. Er wunderte sich, wie er sich am Tag zuvor so von ihr angezogen gefühlt haben konnte. Die Ausstrahlung, die Lóminîth an Abend gehabt hatte war zumindest für den Augenblick verflogen und etwas Anderem gewichen. Valion wusste nicht, wie er es einordnen sollte, doch er bildete sich ein, eine unterschwellige Drohung von Lóminîth zu vernehmen. Wie unterschiedlich die Warhnehmungen doch sein können, dachte er und nahm sich vor, bei der nächten Gelegenheit mit Valirë darüber zu sprechen sobald sie ungestört wären.

"Woher stammen eure Namen?" fragte Valirë die Schwestern. "Sie klingen nach einem alten Dialekt des Westrons, wie er in einigen Teilen Gondors gesprochen wird."
"Es sind alte númenorische Namen, wie sie die meisten unserer Vorfahren trugen," beantwortete Minûlîth die Frage, offenbar erfreut, das Thema zu wechseln. "Wenn euch Sindarinformen wie bei euren eigenen Namen lieber sind, könnt ihr meine Schwester und mich natürlich auch Melíril und Lómíril nennen. Die Bedeutung bleibt dieselbe."
Valirë nickte. "Ich denke, ich werde bei den númenorischen Namen bleiben. Hat der kleine Túor auch einen anderen Namen?"
"Nein," sagte Minûlîth. "Er erhielt einen Namen aus dem Ersten Zeitalter, wie es in der Familie seines Vaters üblich ist."

Erneut wechselte die Hausherrin das Thema. "Also, ich wüsste gerne, weshalb ihr von Wahab den Schlüssel zur Bibliothek beschafft habt. Gab euch Edrahil diesen Auftrag? Was könnte er dort wollen?"
"Wir wissen es nicht," antwortete Valion. "Es scheint eine Angelegenheit von großer Wichtigkeit zu sein."
"Er traut euch wohl nicht ganz über den Weg, wenn er euch nicht einmal den Grund für einen solchen Auftrag verrät," folgerte Minûlîth.
Valirë winkte ab. "Edrahil war schon immer ein Geheimniskrämer, der stets nur mit so wenig Details wie möglich herausrückt."
"Ich verstehe," murmelte Minûlîth. "Ihr kennt ihn also schon länger?"
Die Zwillinge tauschten erneut einen Blick aus. "Ja," sagte Valion schließlich.
Minûlîth schien zu bemerken dass es den beiden unangenehm war, darüber zu sprechen und blieb einen Augenblick still.

"Hasaels Sturz ist für mich von großer Wichtigkeit," ergriff sie schließlich wieder das Wort. "Seine Herrschaft hat der Stadt in den letzten Jahren sehr geschadet. Es ist so viel Gesindel nach Umbar gekommen und durch den Krieg leidet der Handel, was auch mein Vermögen beeinflusst. Ich konnte nur knapp verhindern, dass die Aglarbalak gegen meinen Willen Teil der Flotte wurde, die zwei Mal Dol Amroth angriff. Mich interessiert es nicht, ob Umbar im Bündnis mit Mordor oder Gondor steht. Dem Haus Erundurs gelang es, die Stadt größtenteils aus diesem Konflikt herauszuhalten, doch Hasael steht offen an Suladans Seite und wird den Krieg, der nun in ganz Harad bevorsteht, auch hierher bringen."
Minûlîth machte eine kurze Pause und sah ihre Schwester einen Moment lang an. Dann fuhr sie fort: "Es geht mir auch um Túors Sicherheit. Sollte es in Umbar zu einer Schlacht kommen fürchte ich um sein Leben."
"Wenn Thorongil auf der Insel eine Zuflucht für sein Volk aufbaut könntet Ihr Euren Sohn vielleicht zu seinem Vater bringen," warf Valirë ein.
Die Hausherrin zog eine Augenbraue hoch. "An diese Möglichkeit habe ich noch gar nicht gedacht," sagte sie. "Das wäre vielleicht eine Lösung... dennoch bleibe ich dabei, dass Hasael gestürzt werden muss. Zu diesem Zweck werde ich Edrahils Pläne nach Kräften unterstützen. Richtet ihm das aus, wenn ihr morgen zu ihm zurückkehrt."

Sie verbrachten den Rest des Tages im Luxus von Minûlîths Anwesend. Valion gewann den Respekt und das Vertrauen Túors zurück indem er ihm alle Fragen über Gondor und Dol Amroth beantwortete. Von den Geschichten über die Helden und großen Krieger der langen Geschichte der Dúnedain konnte der Junge gar nicht genug bekommen. Als es dämmerte wurde er jedoch müde und schlief ein, den Kopf auf Valirës Schoß gebettet. Diener kamen herbei und trugen den schlafenden Jungen davon. Nach einem ausgedehnten Abendessen, bei dem Minûlîth und Lóminîth abwesend blieben gingen auch die Zwillinge bald schlafen, denn sie wollten am nächsten Tag, wenn Edrahils Treffen mit den Anführer von Umbars Untergrund stattfand, im Vollbesitz ihrer Kräfte sein.

Der Morgen kam, und nachdem sie in Eile gefrühstückt hatten verabschiedeten sich Valion und Valirë von ihrer Gastgeberin.
"Passt auf euch auf, ihr beiden! Und richtet Edrahil das aus, was ich euch über Hasael gesagt habe," sagte Minûlîth als sie das Eingangsportal ihres Anwesens aufschloss.
"Das werden wir," antwortete Valirë, die nun wieder ihre normale Kleidung trug. Lóminîth hatte allerdings darauf bestanden, ihr ein feines Kleid mitzugeben.
Sie winkten Minûlîth zum Abschied zu als sie wieder die Straße betraten und sich auf den Rückweg zu Edrahil machten. Wahabs Schlüssel trug Valion diesmal vorsichtshalber fest in seiner Faust verschlossen, damit er nicht befürchten musste, noch eine dritte Verfolgungsjagd bestreiten zu müssen.


Valion und Valirë zu Edrahils Versteck

Fine:
Edrahil, Minûlîth, Lothíriel, Bayyin, Ta-er as-Safar, Azeem, Arannís, Teijo, Lóminîth und die Zwillinge von den Straßen von Umbar


Am Eingang des Anwesens verabschiedete sich Teijo und seine Männer von ihnen. Den gefesselten Azeem übergaben sie Minûlîths Dienern, die auch Ta-er as-Safar ins Innere brachten.
"Ich werde zusehen, dass etwas Ordnung in dieses wunderbare Chaos kommt, so sehr es mir auch gefällt mitanzusehen wie alles zu Asche zerfällt, was Hasael aufgebaut hat," kommentierte der Ostling mit einem hinterhältigen Grinsen. Außerdem..." er warf einen Blick in Richtung Minûlîth, "habe ich das starke Gefühl, dass Leute von meinem Schlage hier nicht allzu gerne gesehen werden. Aber nur keine Angst! Ihr werdet früh genug wieder von mir hören, meine Freunde." Damit wandte er sich ab und ging, gefolgt von seinen Leuten, die Straße in Richtung Hafen davon.

Im Inneren des großen Hauses angekommen machte sich Valion zuerst auf die Suche nach Ta-er, um nach der Assassinin zu sehen. Auf Minûlîths Anweisung kümmerten sich mehrere Bedienstete, die weder Fragen stellten noch Befehle hinterfragten, um die Verletzten. Auch Valirë wurde versorgt und erhielt einen dicken Verband um die Wunde an ihrem Arm. Den Arm in einer Schlinge zu tragen lehnte sie jedoch ab. "Dieser Kratzer wird schon bald verschwunden sein," sagte sie. "Macht euch um mich nur keine Sorgen." Gemeinsam begaben sich die Zwillinge in den großen Saal, in dem sie bei ihrem ersten Besuch bei Minûlîth ein großes Abendessen erhalten hatten. Auch diesmal war der Tisch reich gedeckt, obwohl es bereits spät in der Nacht war. Doch alle waren hungrig nach den Ereignissen des Abends. Daher wurden während des Essens zunächst nur wenige Worte gewechselt während alle ihren Hunger stillten.

"Wie ist es dir ergangen, Lothíriel?" fragte Valion die Prinzessin, die neben ihm saß. Sie wirkte erstaunlich gefasst, wie ihm auffiel.
"Es... ist keine Erfahrung, die ich wiederholen möchte," antwortete sie. "Hasael hat mich zwar einigermaßen gut behandelt, aber in Sûladans Gefangenschaft wäre es mir wohl übel ergangen. Ihr seid gerade noch rechtzeitig gekommen!"
"Also, das ist hauptsächlich Edrahils Verdienst," antwortete Valion. Er blickte zum Ende des Tisches hinüber, wo der Herr der Spione bei Minûlîth saß und eine angeregte Unterhaltung mit der Hausherrin führte.
"Und der deiner Schwester," fügte Lothíriel hinzu. "Ich habe gesehen, wie sie kämpft. Sehr blutig... aber auch sehr tapfer."
Als er zu Valirë hinüberblickte, die zwischen Lóminîth und dem kleinen Túor saß und den Jungen mit Späßen unterhielt fiel Valion etwas ein. "Wusstest du, dass sie deine Verwandte werden wird?"
Lothíriels Gesichtsausdruck wechselte von anfänglichem Unverständnis über grüblerisch zum aufblitzenden Verständnis und dann Ungläubigkeit. "...Erchirion? Wirklich?"
Zur Antwort nickte Valion grinsend. "Dafür kannst du dich bei deinem Vater bedanken."
Lothíriel blieb skeptisch. "Na, das passt ja. Ihr habt ja schon als wir klein waren so gut zusammengepasst, deine Schwester, mein Bruder, und du. Aber die beiden als Ehepaar? Ich weiß nicht."
"Erst einmal müssen wir dich sicher nach Dol Amroth zurückbringen," erklärte Valion. "Doch das wird kein Problem, jetzt, da Umbars Herrscher gestürzt wurde."
"Habt ihr ein Schiff parat?" fragte die Prinzessin.
"Kapitän Veantur wartet mit der Súlrohír vor der nördlichen Küste."
"Veantur! Er hat mich damals auf meiner ersten Fahrt nach Tolfalas gebracht. Der alte Seefahrer ist also immer noch im Geschäft?"
"Und ob," sagte Valion und erzählte Lothíriel ausführlich von der Reise, die die Zwillinge von Dol Amroth über die Insel Tol Thelyn bis nach Umbar und hierher geführt hatte. Die Prinzessin hörte aufmerksam zu und fragte oft wegen einiger Details nach, und es schien, als könnte sie den Schrecken ihrer Entführung und Gefangenschaft in diesen Minuten gut ablegen.

"Wie geht es jetzt weiter?" fragte Edrahil laut und unterbrach damit die am Tisch laufenden Gespräche. "Umbar steht vor dem Umbruch. Der Fürst ist gestürzt und auf der Flucht. Was wird nun aus der Stadt werden?"
"So wie es aussieht sind Hasaels Söhne mit ihm geflohnen," erklärte Minûlîth. "Einer seiner Erben würde aber sowieso nicht als neuer Fürst akzeptiert werden."
"Ich bin die letzte aus Erundurs Linie," sagte Arannís, Hasaels Frau, leise. "Mein Anspruch endet mit Hasaels Sturz."
"Nun, dann werde ich die Adeligen der Stadt zusammenrufen und die Bildung eines Rates vorschlagen, der die Stadt anstelle eines Fürsten regieren wird," sagte Minûlîth. "Mit gewählten Vertretern, die festgelegte Amtszeiten haben." Sie nickte entschlossen. "Ich werde mich gleich morgen darum kümmern, alles in die Wege zu leiten."
"Gut," befand Edrahil. "Dann schätze ich, dass für mich und meine Verbündeten nun erstmal nichts bleibt als auszuruhen und uns zu erholen. Wir werden neue Pläne machen, doch ein großes Ziel wird sein, Euch, werte Lothíriel, wieder nach Hause zu Eurem Vater zu bringen. Abgesehen davon sind noch viele Fragen offen, zum Beispiel wohin Hasael verschwunden ist. Außerdem hätte ich gerne Klarheit darüber, was die Assassinen angeht, die den Palast angegriffen haben. Ich denke, der Gefangene wird uns dazu einiges sagen können."
"Dann solltet Ihr ihn verhören," schlug Minûlîth vor. "Er ist im Kellerverließ. Túor kann euch den Weg zeigen."
"Das mache ich!" rief der Junge entzückt und sprang auf. "Kommt mit!"

Edrahil, Valion, Valirë und Bayyin folgten Túor die Treppen ins Kellergeschoss hinab bis in einen kleinen, fensterlosen Raum, in dem der Assassine gefesselt und geknebelt auf einem Stuhl angebunden war.
"Da wären wir. Ich muss nun wieder zurück!" rief Túor und eilte davon. Valion betrat das Zimmer und lehnte sich mit der Schulter an eine der Wände. Valirë, die den Verband an ihrem Arm betastete, blieb neben Edrahil stehen.
"Also gut," murmelte Edrahil und zog seinen Dolch hervor. "Wollen wir doch mal sehen..." Mit einer geübten Bewegung schnitt er das Tuch entzwei, das den Mund Azeems bedeckt hatte. "Es wäre gut für dich, wenn du anfängst du reden," sagte der Herr der Spione und setzte seinem Opfer die Klinge an die Kehle. "Was haben die Assassinen mit Ta-er as-Safar zu schaffen, und warum wollen sie ihren Tod?"
Bei der Nennung des Namens blitzte Zorn in Azeems Augen auf und er rief: "Der Name dieser Verräterin ist es nicht würdig, genannt zu werden. Sie verdient den Tod, genau wie der Rest von ihren armseligen Freunden!"
"Wovon redest du da, Assassine?" verlangte Edrahil zu wissen.
"Er und der Rest des Ordens der Assassinen sind es, die den Tod verdienen," sagte eine neue Stimme. In der Tür stand Ta-er, gehüllt in die einfache Kleidung einer der Bediensteten Minûlîths. "Sie töten um der Macht und des Geldes Willen, oder um ihren persönlichen Blutdurst auszuleben. Das ist nicht der Weg des wahren verborgenen Dolches, den die Gründer des Ordens einst aufstellten."
"Lügnerin! Verrräterin! Ich werde dir alle Knochen brechen wenn ich dich in die Finger bekomme!" schrie Azeem außer sich vor Wut.
"Bring ihn zum Schweigen," befahl Edrahil. Mit einem schnellen, gut gezielten Fausthieb gegen die Schläfe setzte Valion den Gefangenen außer Gefecht.
Ta-er blickte sie nachdenklich an. "Ich schätze, ich schulde euch eine Erklärung," sagte sie.
"Dafür wäre ich sehr dankbar," kommentierte Edrahil.
"Also gut. Ich gehöre zu einer kleinen Gruppe, die sich, als Saleme zur Anführerin der Assassinen aufstieg, vom Orden abwandte. Meine Freunde und ich sind der Meinung, dass Assassinen nicht als käufliche Mörder oder zum Vergrößern ihrer eigenen Macht arbeiten sollten, sondern ihre Fähigkeiten dafür einsetzen sollten, Harad zu einem besseren Ort zu machen, in dem einflussreiche Personen oder Herrscher, die dem Land schaden, aus dem Weg geräumt werden."
"Nun, das klingt doch vernünftig," warf Valirë ein.
"Aber wer entscheidet, ob jemand dem Land schadet?" wollte Valion wissen.
"Es gibt ein Ritual," sagte Ta-er. "Ich werde euch nicht mit den Einzelheiten langweilen, doch wir glauben fest daran, dass es uns die Wahrheit zeigt. Doch die Assassinen jagen und hassen uns, weil wir sie verraten haben. Deswegen griffen sie den Palast an. Sie wussten von eurem Plan und nutzten ihn, um an mich heranzukommen, weil sie glaubten, dass ich an dem Fest teilnehmen würde."
"Was hattest du dort vor?" fragte Valion.
"Ich kam nach Umbar um Hasael zu töten," offenbarte Ta-er. "Doch nun ist er geflohen, und ich muss ihm folgen. Ich danke euch, dass ihr mich hierher gebracht und versorgt habt. Aber nun muss ich gehen, bevor sich Hasaels Spur verliert."
Sie wandte sich zum Gehen, doch ehe sie verschwand drehte sie sich noch einmal um. "Es ist gefährlich, mit dem Silbernen Bogen befreundet zu sein. Am besten vergesst ihr, dass ihr mich je getroffen habt."
Mit diesen Worten eilte sie davon.

"Also, das war sehr geheimnisvoll," sagte Valirë belustigt.
"Der Silberne Bogen," murmelte Bayyin. "Ich habe in einem alten Buch davon gelesen. Vielleicht sollte ich weitere Nachforschungen anstellen..."
"Nur zu," meinte Valion. "Das kann nie schaden." Er fragte sich, welche auf welche Geheimnisse sie wohl als nächstes stoßen würden...

Eandril:
Edrahil blickte auf die Tür, durch die Ta-er eben verschwunden war, und strich sich dabei nachdenklich über das Kinn. Von einer Organisation die sich Silberner Bogen nannte hatte er noch nie gehört, allerdings schien sie in Harad nicht unbedeutend zu sein. Und wenn sie versucht hatten Hasaël zu töten, konnte das bedeuten, dass sie auf der selben Seite standen.
Er gab sich einen Ruck, und wandte sich wieder dem an den Stuhl gefesselten, von Valions Schlag noch immer bewusstlosen Azeem zu. Er versetzte dem Mann einige rasche Schläge gegen die Wange, bis dieser ein wenig desorientiert wirkend die Augen öffnete.
"Also gut." Edrahil trat wieder zwei Schritte vom Stuhl zurück, und verschränkte die Arme. "Im Grunde interessiert mich der Zwist unter euch Assassinen eher wenig... Allerdings hatte ich den Eindruck, dass ihr mit mir um einiges nachlässiger wart."
"Ihr habt nicht unseren ganzen Orden verraten", stieß Azeem hervor, und fuhr fort: "Und es steht mir nicht zu, die Entscheidungen unserer Anführerin zu hinterfragen."
"Nein, natürlich nicht..." Edrahil begann mit hinter dem Rücken gefalteten Händen auf und ab zu gehen. "Nun, wie gesagt. Dieser Streit interessiert mich eigentlich nicht - eigentlich. Zumindest nicht, bis ihr meinen heutigen Plan nur deswegen völlig ins Wanken gebracht habt." Er warf Azeem einen wütenden Blick zu.
"Wir hatten ihn", sagte er, und spürte, wie der über Stunden beherrschte Zorn langsam in ihm hochkroch. Er würde sich beherrschen müssen. "Wir hatten Hasaël in der Hand, wenn du und deine Freunde euch nicht wegen irgendeiner alten, obskuren Rivalität eingemischt hättet."
Edrahil tauschte einen raschen Blick mit Valion, der noch immer locker an die Wand gelehnt stand und weitaus lockerer wirkte als Edrahil selbst. Valion zuckte mit den Schultern als wollte er sagen: Ärgert euch nicht, wir werden Hasaël schon noch in die Finger bekommen. Edrahil beneidete ihn um seine jugendliche Zuversicht, denn ihnen war eine vermutlich einmalige Gelegenheit genommen worden. Hasaël würde mit Sicherheit am Hof des Sultans Zuflucht suchen, und dort war er außerhalb Edrahils Reichweite.
Edrahil beugte sich zu Azeem vor und sagte: "Ich werde mich klar ausdrücken. Kriech zu deiner Herrin Saleme zurück, und sag ihr folgendes: Wenn sie mich nach Hasaëls Tod unbedingt als ihren Feind betrachten will, dann bitte sehr. Aber eigentlich hatte ich erwartet, zumindest bis dahin Ruhe vor ihr und ihren Kettenhunden zu haben. Von daher betrachte ich unsere Zusammenarbeit ebenfalls als beendet, und werde in Zukunft nicht davor zurückscheuen, die Pläne der Assassinen zu durchkreuzen. Und vielleicht muss ich mir dann in Harad neue Freunde suchen... Ihr könntet es noch bereuen, mich auf den Silbernen Bogen gebracht zu haben."
Edrahil richtete sich wieder zu voller Größe auf. "Wir sind hier fertig. Verbindet ihm die Augen, und sorgt dafür dass er bewusstlos ist, wenn ihr ihn auf die Straße bringt. Irgendeine angemessen schmutzige Ecke, denke ich", sagte er an die Zwillinge gewandt, und verließ den Raum.

Wieder im oberen Teil des Anwesens angekommen, traf Edrahil auf Minûlîth, die anscheinend gerade Túor zu Bett geschickt hatte. "Und, hatte er etwas interessantes zu sagen?"
Edrahil zuckte mit den Schultern. "Nur irgendetwas über eine Rivalität zwischen zwei Gruppen von Assassinen. Warum es ihnen allerdings Ta-ers Tod wichtiger war als der von Hasaël bleibt mir schleierhaft." Minûlîth bot ihm ihren Arm an, den er nach kurzem Zögern ergriff, und gemeinsam traten sie durch eine nahe Tür hinaus in den weitläufigen Innenhof des Anwesens.
"Ich kann euch leider auch nicht mehr über die Assassinen verraten", sagte Minûlîth bedauernd. "Ich fürchte, über alles was über Umbar hinausgeht weiß ich nicht besser Bescheid als ihr."
"Das hatte ich auch nicht erwartet", erwiderte Edrahil, während sie langsam durch den Innenhof gingen. "Habt ihr euch das eigentlich von Anfang an erhofft? Ihr könnt euch doch sicher denken, dass vermutlich derjenige, der als erster handelt die Kontrolle über die Stadt erlangen wird."
"Ich..." Minûlîth blieb stehen, sah zu den Sternen empor, und seufzte. "Ich will ehrlich mit euch sein, Edrahil."
"Das würde ich begrüßen... schließlich bin ich auch ehrlich zu euch", sagte Edrahil, und fügte mit einem leichten Lächeln hinzu: "Größtenteils."
Minûlîth ließ ein leises, helles Lachen hören. "Wenigstens seid ihr ehrlich darüber, dass ihr nicht ganz ehrlich seid." Sie setzte sich auf eine steinerne Bank, die von duftenden Kräutern in Töpfen aus weißem Marmor umgeben waren, und Edrahil ließ sie neben ihr nieder. Es erinnerte ihn an die Gärten des Palasts von Dol Amroth, und er dachte, wie merkwürdig es doch war, dass jene die er immer als seine Feinde empfunden hatte, Freude an den selben Dingen fanden wie die Menschen von Gondor.
"Ich habe davon geträumt, Umbar zu einem besseren Ort zu machen", begann Minûlîth. "Deshalb habe ich mich ja überhaupt erst mit euch eingelassen. Eines Tages habe ich eingesehen, dass das nur über Hasaël Sturz gehen kann, und ihr seid mir als die geeignetsten Verbündeten erschienen. Und nun wo er aus Umbar vertrieben - ist es da verwerflich, dass ich die Gelegenheit nutzen will um meine Träume umzusetzen?"
Edrahil schüttelte langsam den Kopf. "Keineswegs. Ich kann euch verstehen und hätte vermutlich ebenso gehandelt, und ich habe auch nicht aus diesem Grund gefragt. Aber ich habe euch dabei geholfen, dass sich euch nun diese Gelegenheit bietet, und ich wüsste gerne, ob ich das bereuen werde."
Minûlîths dunkle Augen fixierten ihn aufmerksam, während einige Meter entfernt Valion und Valirë den bewusstlosen Azeem zur Haupttür des Hauses schleiften. "Ihr fürchtet, dass ich Hasaëls Treue zu Mordor fortführen werde. Sorgt euch nicht."
Sie wandte den Blick von Edrahil ab, und blickte stattdessen wieder zu den Sternen hinauf. Im Hintergrund fiel die Haupttür hinter den Zwillingen ins Schloss.
"Es ist wunderschön, nicht wahr?", fragte Minûlîth leise. "Die Flecken von Licht auf undurchdringlicher Dunkelheit." Edrahil erwiderte nichts, sondern wartete schweigend ab, was sie zu sagen hatte.
"Viele meiner Vorfahren verehrten Sauron und seinen dunklen Herrn", fuhr Minûlîth nach eine Moment des Schweigens fort. "Man nennt sie in Gondor nicht ohne Grund Schwarze Númenorer. Doch ich folge ihren Gebräuchen nicht, denn ich weiß dass Sauron kein gnädiger Herr und Vater für uns ist, sondern eine Gefahr für alle Menschen - auch die, die ihm folgen."
"Hat Túors Vater euch die Augen geöffnet?", fragte Edrahil, und bei der Erwähnung Thorongils überzogen sich Minûlîths helle Wangen mit einer zarten Röte, doch sie schüttelte den Kopf.
"Nein, es war bereits zuvor so. So kam es ja überhaupt erst dazu, dass wir uns ineinander verliebten." Sie räusperte sich leise, und blickte zu Boden. Edrahil musste lächeln. Gegen seinen Willen ertappte er sich dabei, dass er Minûlîth jedes einzelne ihrer Worte glaubte. Entweder war sie eine unglaublich talentierte Lügnerin, oder sie erzählte ihm die Wahrheit - inzwischen tendierte Edrahil eher zum letzteren.
"Mein Vater war bereits kein besonders Saurontreuer Mann. Er kämpfte gegen Gondor, weil es eine Art Tradition für Umbar ist, und weil er sich davon Reichtum und Macht erhoffte. Und was mich angeht... es gab keinen einzelnen Moment, in dem ich plötzlich begriffen habe, dass Mordor böse ist. Ich wusste es einfach schon immer... irgendwie." Sie hob ratlos die die schmalen Schultern, und Edrahil schwieg für einen Augenblick nachdenklich.
"Nun, ich danke euch für eure Ehrlichkeit", sagte er dann. "Und ich denke... dass Umbar bei euch in guten Händen wäre. Sowohl was die Interessen der Bewohner als auch die Interessen Gondors angeht."

Minûlîth lächelte, und wirkte als hätte sie eine Hürde überwunden. "Ich bin tatsächlich etwas erleichtert", gab sie zu. "Wenn ich einen so misstrauischen Mann wie euch überzeugen kann - vielleicht bin ich dann tatsächlich geeignet, dieser Stadt zu helfen."
Für einen Moment herrschte erneut Schweigen, während im gegenüberliegenden Teil des Hauses das Licht in einem der Zimmer erlosch. Anscheinend hatte Lóminîth sich inzwischen ebenfalls zu Bett begeben. Langsam verstummte auch der letzte Lärm der Aufstände, der bereits den ganzen Abend leise aus der Stadt in das Anwesen drang.
"Nun, da ich euch meine Gründe offengelegt habe, seid eigentlich ihr an der Reihe. Was hat euch überhaupt dazu gebracht, persönlich nach Umbar zu kommen?"
Edrahil lächelte leicht gequält. Eigentlich sprach er nur ungern über sich selbst, egal mit wem. Und auch wenn er Minûlîth inzwischen vertraute, eigentlich gehörte sie nicht zu den Personen mit denen er über seine Motivationen reden wollte. Dennoch, sie hatte ihm seine Fragen wahrheitsgemäß beantwortet, und verdiente eine Gegenleistung.
"Ich hätte auch einen meiner Untergebenen schicken können", begann er. "Aber es erschien mir wichtiger als alles, was ich in Dol Amroth hätte tun können."
Minûlîth zog eine Augenbraue in die Höhe und legte den Kopf schief. "Das war alles?"
"Nun...  nein." Edrahil spürte einen Muskel in seinem Kiefer zucken, und seufzte. "Es gab... persönliche Gründe, die ich ehrlich gesagt lieber nicht weiter ausführen würde."
Minûlîth nickte verständnisvoll, und obwohl sie nicht weiter nachfragte, hörte Edrahil sich sagen: "Ich... bin auf der Suche nach jemandem."
"Vielleicht könnte ich euch dabei helfen", meinte Minûlîth. "Nach wem sucht ihr denn?"
"Das ist... sehr freundlich von euch", erwiderte Edrahil zögerlich. "Aber..." Er stand auf. "Ich muss darüber nachdenken." Er verneigte sich knapp vor der etwas verdutzten Minûlîth und eilte davon, während er sich selbst in Gedanken verfluchte.

An der Haupttür traf er auf Valion und Valirë, die gerade von ihrem Auftrag zurückkehrten. "Wir haben ihn in einer schön schmutzigen Ecke hinter einem Fischlager einige Zeit von hier entfernt abgelegt", sagte Valion, und Valirë fügte mit einem spitzbübischen Grinsen hinzu: "Vielleicht könnten dabei ein paar Fischabfälle auf ihn gefallen sein... ganz versehentlich natürlich."
Edrahil nickte knapp, doch er war nicht mehr in der Stimmung für Scherze. "Sehr gut. Wir treffen uns morgen um die nächsten Schritte zu besprechen. Bis dahin ruht euch aus, ihr habt es euch verdient."

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