Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Umbar

Minûlîths Anwesen

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Eandril:
Die folgenden Tage waren für Edrahil mit Arbeit angefüllt. Er traf sich einmal mit Teijo, Izem und As'ar in deren Organisationen schnell alles zur Normalität zurückgekehrt war - vielleicht die Tatsache, dass sie alle ihren Einfluss über die Stadt ein wenig ausgedehnt hatten. Solange sie Edrahils Pläne nicht durchkreuzten, hatte er nichts dagegen.
Lóthiriel erholte sich in der Gesellschaft von Valion, Valirë und Lóminîth schnell von den Schrecken ihres Kerkeraufenthalts, und war schon bald wieder ganz die Prinzessin, die Edrahil aus Dol Amroth kannte. Am Morgen des fünften Tages nach ihrer Befreiung traf Edrahil sie im Garten des Anwesens an. Die Zwillinge waren gerade mit ihren täglichen Kampfübungen beschäftigt, und Lóminîth hatte ausnahmsweise ihre Schwester in den Palast zur Sitzung des neugegründeten Stadtrates begleitet. Edrahil nahm an diesen Sitzungen selbstverständlich nicht teil, sondern erarbeitete zuvor mit Minûlîth Strategien und Lösungen für die Probleme des Rates.
Er setzte sich der Prinzessin gegenüber auf eine steinerne Bank, und fragte: "Wie geht es euch, Herrin?"
Lóthiriel lächelte, und erwiderte: "Gut. Das Anwesen ist wunderschön, und alle sind sehr freundlich zu mir. Ich habe schon beinahe vergessen, wie es im Kerker gewesen ist." Sie verzog das Gesicht und strich sich eine vorwitzige Haarsträhne aus dem Gesicht. "Nun habe ich mich doch wieder daran erinnert. Aber das geht vorbei."
Edrahil nickte. "Ich freue mich, dass ihr so gut zurecht kommt. Und ich denke es ist bald an der Zeit, euch zurück nach Dol Amroth zu schicken."
"Nach Dol Amroth?" Lóthiriel wirkte verwundert. "So sehr ich mich freuen würde, bei meiner Familie zu sein... nicht nach Aín Sefra zu Qúsay?"
"Nur, wenn dies euer unbedingter Wunsch sein sollte", erwiderte Edrahil. "Aber solange Suladân nicht geschlagen ist, sind weder der Weg nach Aín Sefra noch die Stadt selbst sicher für euch. In der Nähe von Umbar ankert das Schiff, dass Valion und Valirë hierher brachte, und es wird euch gemeinsam mit ihnen wieder zurück nach Gondor bringen."
"Und was ist mit euch?", fragte Lóthiriel, und bewies Edrahil damit einmal mehr die rasche Auffassungsgabe, die sie von ihrem Vater geerbt hatte.
"Ich werde in Harad bleiben." Die Entscheidung war ihm nicht leicht gefallen, doch er war zu dem Schluss gekommen hier im Süden weiterhin mehr für Gondors Sicherheit tun zu können als in Gondor selbst. Und außerdem... in Gondor hätte er sicherlich keine Gelegenheit, seinem Sohn wieder auf die Spur zu kommen. "Ich werde Minûlîth noch einige Zeit dabei helfen, Umbar zu festigen und auf Qúsays Seite zu ziehen, und mich dann vielleicht in Qúsays Dienste stellen."
"Vater wird euch sicherlich vermissen", meinte Lóthiriel, und Edrahil musste lächeln. "Vermutlich. Bestellt ihm meine Grüße wenn ihr ihn seht und erklärt ihm, warum ich euch nicht begleitet habe."
"Das werde ich tun. Wann meint ihr, werden wir abreisen?"
"In drei Tagen", antwortete Edrahil. "Wenn die Kapitäne mit denen ich gesprochen habe recht behalten und der Wind dann günstig steht, und wir Kapitän Veantur bis dahin gefunden haben." Im Augenblick wehte seit Tagen ein kräftiger Wind aus dem Norden, der eine Schiffsreise in diese Richtung beinahe unmöglich machte. Und außerdem war es Edrahils und Minûlîths Leuten bislang nicht gelungen, das Schiff aufzuspüren dass die Prinzessin wieder nach Norden bringen sollte.

Bevor er weitersprechen konnte, betrat Minûlîth den Garten, und ließ sich sehr undamenhaft neben Edrahil auf die Bank fallen.
"Es gibt Tage, an denen ich am liebsten sämtliche Ratsmitglieder mit meinen eigenen Händen erwürgen würde", stieß sie hervor, bevor sie an Lóthiriel gewandt hinzu fügte: "Bitte verzeiht meine unangemessene Begrüßung, Herrin."
"Es gibt nichts zu verzeihen", wehrte die Prinzessin mit einer wahrhaft königlichen Geste ab, doch Edrahil verengte besorgt die Augen. Der nach Hasaels Sturz gebildete Stadtrat hatte sich zwar als überaus stabilisierendes Element für die Lage in der Stadt erwiesen, in anderen Belangen jedoch als mindestens ebenso hinderlich. Dem Rat gehörten vornehmlich Mitglieder des umbarischen Adels und der reichen Kaufleute an, doch eine Minderheit wurde von Vertretern des einfachen Volkes gebildet - und Teijo. Der Ostling hatte den Ratssitz offiziell durch eine Wahl des Volkes und als einfacher Kaufmann erhalten, eigentlich jedoch für seine geleisteten Dienste bei Hasaels Sturz. Dem Rat war es gelungen, einen Großteil von Hasaels Stadtwachen in seine Dienste zu nehmen und die Ordnung in Umbar wieder herzustellen. Bald lief auch der Handel wieder beinahe so wie vor Hasaels Sturz, und das Leben in der Stadt schien bemerkenswert schnell zur Normalität zurückgekehrt zu sein.
Was die Außenpolitik und Umbars Verhältnis zum Rest der Welt anging, stellte der Rat für Edrahils und Minûlîths Pläne jedoch ein großes Hindernis dar. Als Vorsitzende des Rates hatte Minûlîth, die offiziell gemeinsam mit zwei anderen Adligen als Stadtherrin bezeichnet wurde, zwar großen Einfluss auf seine Entscheidungen, doch in diesen Belangen hatte sie sich bislang nicht durchsetzen können.
"Ging es wieder um die Verhandlungen?", fragte Edrahil, und Minûlîth seufzte. "Ja, um die Verhandlungen. Und jedes Mal frage ich mich, wie Menschen so unglaublich stolz und weltentrückt sein können."

Vor zwei Tagen hatte Minûlîth dem Rat vorgeschlagen, Verhandlungen mit Qúsay und Gondor aufzunehmen. Schließlich war Hasaël ein Verbündeter Suladâns, und der Sultan würde mit größter Wahrscheinlichkeit kein Bündnis mit den Menschen eingehen, die den Fürsten gestürzt hatten. Auf der anderen Seite wäre das Malikat und Gondor einem Bündnis mit Umbar vermutlich keineswegs abgeneigt.
Doch seit Minûlîth dem Rat ihren Vorschlag übergeben hatte, waren dessen Mitglieder tief gespalten. Einige wenige waren ihrer Meinung und plädierten ihrerseits, Boten zu entsenden, doch viele andere waren, aus den unterschiedlichsten Gründen, dagegen. Nur sehr wenige Ratsmitglieder hatten dafür gestimmt, sich trotz allem weiterhin an Suladân und Mordor zu halten, doch viele wollten sich nicht mit Gondor, dem alten Feind, oder Qúsay, einem Emporkömmling zweifelhafter Abkunft einlassen. Und noch mehr waren der Ansicht, dass die möglichen Bündnispartner Boten zu ihnen entsenden sollten, denn ihrer Meinung nach hatte die stolze Stadt Umbar es nicht nötig, nach Verbündeten zu suchen.
So war der Rat in dieser Frage tief zerstritten und praktisch handlungsunfähig, ganz gleich was Minûlîth und Edrahil planten.
"Hm", machte Edrahil, und fuhr sich nachdenklich über das Kinn. "Wir werden einen Weg finden müssen, sie zu überzeugen."
"Das versuchen wir bereits seit zwei Tagen, und sind keine Schritt weitergekommen."
Edrahil lächelte, und erwiderte sanft: "Ihr dürft nicht aufgeben, denn ihr seid schon weit gekommen."
Für einen Moment schwiegen sie, dann kam Edrahil eine Idee. "Ich denke, wir haben es bislang vielleicht falsch angefangen. Wir haben versucht, den ganzen Rat zu überzeugen."
"Ihr meint also, wir sollten zunächst einzelne Ratsmitglieder auf unsere Seite ziehen?" Minûlîth hatte offenbar schnell begriffen, worauf Edrahil hinaus wollte, und ihre Miene hellte sich auf. "Das könnte tatsächlich helfen, denn so haben sie keine Gelegenheit sich gegenseitig festzureden."
"Genau", bestätigte Edrahil, und als er Lóthiriel, die noch immer auf der gegenüberliegenden Bank saß und ihrem Austausch interessiert gelauscht hatte, ansah, kam ihm ein weiterer Einfall. "Wir könnte diejenigen, die einem Bündnis mit Gondor nicht abgeneigt wären aber noch unsicher sind, mit einem Verlöbnis ködern."
Minûlîth zögerte nur einen kurzen Moment, bevor sie erwiderte: "Ah. Lóminîth und Valion?"
Edrahil hob die Schultern und meinte: "Ja. Wenn sie einverstanden sind, wäre das die perfekte Möglichkeit ein Bündnis zu festigen. Die Schwester der Stadtherrin von Umbar und ein hoher Adliger aus Gondor." Minûlîth nickte, und wirkte zufrieden. "Ich denke nicht, dass Lóminîth dagegen sein wird. Und vielleicht würde eine Ehe mit Valion ihr auch helfen, die Erziehung unseres Vaters schneller abzuschütteln. Sie war schon immer... empfänglicher als ich für diese Lehren."
"Und um Valion kümmere ich mich", sagte Edrahil. "Er wird keine Schwierigkeiten machen." Er hörte ein unterdrücktes Kichern, und sah zu seiner Überraschung, wie Lóthiriel sich auf der gegenüberliegenden Bank das Lachen verkniff. Auf Edrahils Blick hin unterdrückte sie das Lachen vollständig, richtete sich auf und sagte: "Verzeiht, aber der Gedanke, Valion zu verheiraten ist so... merkwürdig. Ihr wisst doch wie er ist."
"Ja, ich weiß", gab Edrahil zu. "Aber ich hoffe dass er in der Lage ist zu erkennen, wie wichtig dieses Verlöbnis sein könnte."
"Jedenfalls könnten wir die unsicheren unter den Ratsmitgliedern damit ködern", meinte Minûlîth. "Und diejenigen, die zu stolz sind, oder sich lieber mit Suladân verbünden würden... Ihnen machen wir Angst."
Diesmal war es Edrahil, der schnell begriff worauf Minûlîth anspielte. "Wir geben ihnen zu verstehen, dass Suladân den Rat vermutlich nicht in seiner Position lassen wird, sondern Hasaël wieder einsetzen will."
"Und Hasaël wird uns vermutlich nicht vergeben - keinem der Ratsmitglieder. Er ist nicht unbedingt großmütig und gut im Vergeben", schloss Minûlîth. Auf ihrem Gesicht zeigte sich allerdings kein Lächeln sondern Sorge, denn genau wie Edrahil wusste sie, dass diese Gefahr nur allzu real war und es womöglich genau so kommen würde, wenn Umbar nicht schnell Verbündete fand.
"Es ist ein riskantes Spiel, denn wir könnten so auch mögliche Verräter dazu bringen gegen uns zu handeln um ihre eigene Haut zu retten", meinte Edrahil. "Aber ich denke, wir sollten es trotzdem tun."


"Ihr habt was mit uns vor?", fragte Valion ungläubig, und Edrahil musste in sich hineinlächeln. Er, Minûlîth, Lóminîth und Valion hatten sich in dem Raum im Ostflügel des Anwesens versammelt, der Edrahil und Minûlîth als Planungsraum diente. Edrahil lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen hinter Minûlîth, die auf einem bequemen Stuhl hinter einem schlanken Tisch saß, an einem Wandstück zwischen zwei Fenstern, und die beiden baldigen Verlobten saßen nebeneinander auf zwei Stühlen vor dem Tisch.
"Ein Verlöbnis zwischen euch wäre die beste Möglichkeit, dem Rat ein Bündnis mit Gondor schmackhaft zu machen", erklärte Edrahil. "Als ein wichtiger Adliger aus Gondor und die Schwester einer Stadtherrin von Umbar seit ihr äußerst gut geeignet um ein eventuelle Bündnis zu festigen."
"Aber... warum ich?", wagte Valion zu fragen. "Weil du der einzige Adlige in meiner Reichweite bist", erwiderte Edrahil offen. "Außerdem denke ich, du könntest es schlimmer treffen", fügte er mit einem Blick auf Lóminîth hinzu, die den Blick mit einem Lächeln erwiderte. "Ich wäre einverstanden", sagte sie, und legte Valion die Hand auf den Arm. "Außerdem sind wir es ja in gewisser Weise bereits gewohnt, verlobt zu sein."
"Natürlich, aber...", setzte Valion an, brach unter dem Blick aller anderen Anwesenden aber ab und hob die Hände. "Also gut, warum nicht. Irgendwann wäre es ja sowieso so weit gewesen", sagte er mit einem schwachen Lächeln, und Edrahil nickte zufrieden.
"Es freut mich, dass ihr einverstanden seit. Wir werden natürlich mit einem öffentlichen und offiziellen Verlöbnis abwarten müssen - einerseits müssen wir auf das mögliche Bündnis mit Gondor warten, und außerdem sollten wir noch etwas Gras über euren Auftritt beim Fest der Seewinde wachsen lassen."
Mit einem strengen Blick zu Valion fügte er hinzu: "Aber erwartet nicht, dass ich euer Einverständnis vergesse, denn ich sehe es als bindend an. Valion, du und deine Schwester werdet in drei Tagen Umbar verlassen, Lóthiriel nach Dol Amroth bringen und dem Fürsten alles berichten, was geschehen ist. Und damit meine ich wirklich alles."

Fine:
Valion lag in der warmen Sonne und hatte die Augen geschlossen. Nach dem aufregenden letzten Tagen genoss er die Stille, die ihn umgab. Er lag der Länge nach ausgestreckt auf einer weichen Matte im kurz geschnittenen Gras des gut gepflegten Gartens, der sich hinter Minûlîths Anwesen ausdehnte und zum Meer hin leicht abschüssig war. Die Sommersonne legte ein warmes, wohliges Gefühl auf Valions Gesicht und es gelang ihm, an überhaupt nichts zu denken. Mehrere Minuten des (seiner Meinung nach) hochverdienten Ruhens waren ihm vergönnt, bis er jäh von einer aufgeregten Stimme aus dem Halbschlaf gerissen wurde, in dem er dahingedriftet war:
"Valion, Valion, erzähl mir von der Insel!"
Blinzelnd in der grellen Sonne machte Valion die Quelle der Störung aus und fand den kleinen Túor breitbeinig vor sich stehen, ein stumpfes Übungsschwert in der Hand, dessen Spitze sich unangenehm nahe an Valions Gesicht befand. Seitdem Túor ein Gespräch zwischen seiner Mutter und den Zwillingen belauscht und dabei erfahren hatte, dass die beiden auf ihrem Weg von Dol Amroth nach Umbar die Insel Tol Thelyn besucht hatten konnte der Junge gar nicht genug davon bekommen, dass sie ihm beschrieben, wie es dort ausgesehen hatte und was sie dort gesehen hatten.
"Ich habe dir doch bereits alles erzählt, was ich weiß," seufzte Valion, doch er wusste, dass sein Widerstand zwecklos war. Túor besaß eine Starrsinnigkeit, wie sie nur ein zehnjähriger Junge vorweisen konnte, der sich etwas fest in den Kopf gesetzt hatte.
"Wenn ich eines Tages dorthin komme muss ich alles wissen, was es zu wissen gibt," sagte Túor als würde das alles erklären. Er war der festen Überzeugung, die Insel eines Tages wieder zu einem Sitz der Erben des Turms zu machen und ein großes Reich an den Küsten Harads zu errichten.
"Du solltest mit deinem Vater darüber sprechen", warf Valion ein.
"Mein Vater?" wiederholte Túor ungläubig. "Du hast doch gesagt, dass er nach den Überlebenden sucht. Immerhin, er hat das beste Schiff der Welt, also hat er sie bestimmt bald gefunden. Aber wieso sollte er nach Umbar kommen? Er wird natürlich zur Insel zurückkehren und den Turm wieder aufbauen. Nein, meinen Vater werde ich noch lange Zeit nicht fragen können."
"Ich kann dir aber nichts erzählen, was du nicht schon weißt," versuchte Valion erneut, dem Unvermeidlichen zu entgehen.
"Und wenn du ganz fest nachdenkst, ob du etwas vergessen oder übersehen hast? Bist du sicher, dass dir nicht noch ein Detail einfällt, dass du mir noch nicht erzählt hast?"
"Geduld, Meister Túor," sagte eine neue Stimme. Es war Lóminîth, gehüllt in ein kurzes, hellrotes Sommerkleid. "Warum fragst du nicht Valirë, ob sie mit dir ein paar Übungen mit der Klinge macht, die du in der Hand hältst? Ich habe sie bei den Stallungen gesehen, vielleicht ist sie noch dort! Bis du zurück bist hat Valion bestimmt genug Zeit zum Nachdenken gehabt."
Túor strahlte und nickte seiner Tante zu, dann raste er in Richtung der Stallungen über den Rasen davon.

"Danke, Verlobte," sagte Valion und er meinte es nur teilweise im Scherz. In wenigen Tagen seitdem das Gerücht einer Verlobung der Herrin Lóminîth von Haus Minluzîr mit einem Adeligen aus Gondor, der sogar zu den Lehnsfürsten des Truchsessen gehörte umging, hatte sich die Nachricht in Umbar und seinen Vorstädten wie ein Lauffeuer verbreitet. Minûlîth hatte dazu gesagt, dass es besser wäre, wenn die Leute über solche Dinge sprachen als darüber, wie es in der Stadt gerade stand und welche Entscheidungen die neu gebildete Regierung traf oder nicht traf, zu der Lóminîths ältere Schwester ja gehörte. Außerdem hatten sie und Edrahil ihm mit viel Geduld die Vorteile dieser Verbindung erklärt - sogar dann noch, als er längst resigniert und zugestimmt hatte. Dennoch war Valion ganz froh, schon am folgenden Tag nach Dol Amroth zurückzukehren. Es war Edrahil tatsächlich gelungen, das Dorf an der Küste nördlich von Umbar ausfinden zu machen, das Kapitän Veantur Valion beschrieben hatte, eher er die Zwillinge am Leuchtturm von Kap Umbar abgesetzt hatte, und einen berittenen Boten dorthin zu entsenden. Die Súlrohír musste bereits auf dem Weg sein und würde nach aller Vorraussicht gegen Mittag am folgenden Tag im Hafen Umbars einlaufen, um die Zwillinge und Lothíriel zurück in die Heimat zu tragen. Valion stellte sich gerne den Moment vor, in dem er Imrahil seine unversehrte Tochter vorführen und den Ruhm ernten würde. Natürlich würde er auch Edrahils Leistungen nicht außer Acht lassen, aber dennoch würde niemand verleugnen können, dass Valion und Valirë ihren vom Truchsessen Gondors erteilten Befehl buchstabengetreu erfüllt hatten. Lothíriel war gerettet worden und würde unbeschadet nach Dol Amroth heimkehren, und den Zwillingen würde es endlich gestattet werden, den Ethir wieder zu einem Lehen Gondors zu machen und ihren Rang als Erben Cirgons und als Lehnsfürsten des Reiches anzutreten. Valion sah sich bereits in der Festhalle Belegarths stehen, das Banner des Ethirs feierlich ausrollend und den Augenblick seines größten Triumphes in vollen Zügen auskostend. Je mehr er davon träumte, desto weniger konnte er diesen Moment erwarten.

"Gern geschehen," erwiderte Lóminîth mit dem für sie so typischen mehrdeutigen Lächeln. "Túors Fragen ist leicht beizukommen. Erzähl ihm einfach dasselbe wie beim letzten Mal, aber verwende eine etwas andere Beschreibung und andere Worte. Zum Beispiel: Sagtest zuletzt, dass der große Turm von den Flammen verkohlt war, beschreibst du ihn dieses Mal einfach als vom Feuer geschwärzt oder verrußt."
"Äußerst gerissen, meine Liebe," sagte Valion anerkennend. Lóminîth schien wirklich ein Händchen für Worte und Sprache zu haben.
"Werde ich mich in deiner Burg wohlfühlen?" wechselte sie ohne Vorwarnung das Thema, wie sie es oft zu tun pflegte. Und wie eigentlich immer brachte sie Valion damit vollkommen aus dem Konzept.
"Woher... wie sollte ich wissen, ob du dich in Belegarth wohlfühlen wirst?" brachte er durcheinander hervor. "Es ist dort nicht viel weniger warm als hier," sprach er das erste aus, was ihm in den Kopf kam.
"Ich meinte nicht das Wetter," sagte Lóminîth. "Es war dir doch klar, dass unser Verlöbnis zu einer Hochzeit führen wird, oder?" fragte sie mit einer Spur Misstrauen in der Stimme. Valion nickte langsam. "Und als Ehepaar wohnt man für gewöhnlich im selben Wohnsitz," fuhr sie fort, als würde sie mit einem Kind sprechen. "Natürlich würden wir viel Zeit in Umbar verbringen und im Anwesen meiner Schwester leben, aber als Lehensfürstin Gondors müsste ich selbstverständlich auch dort Präsenz zeigen. Die Planung kannst du mir überlassen. Ich brauche aber mindestens drei Zimmer und möchte meine Bediensteten selbst auswählen oder aus Umbar mitbringen. Die Zimmer müssen nebeneinander liegen und gut zugänglich sein, damit alle genug Platz haben und mir jederzeit zur Verfügung stehen können. Ich weiß ja nicht, was mich dort erwartet - in Gondor." Das letzte Wort sprach sie aus, als handele es sich dabei um ein Land von rückständigen Hinterwäldlern.    
"Ähm... sicher, das lässt sich machen," sagte Valion, der dem Redeschwall nur mühsam hatte folgen können. "Moment mal, sagtest du Lehensfürstin?"
"Als Frau des Fürsten des Ethir wäre dies natürlich mein Titel," erklärte Lóminîth. "Und nicht etwa der deiner Schwester. So weit ich weiß gelten in Gondor patrilineare Erbrechte."
Valion blickte zu Boden. "Natürlich," bestätigte er. Noch immer wusste er noch nicht recht, wie er mit dieser neuen Beziehung umgehen sollte. Als er Lóminîth um ersten Mal getroffen hatte war er von ihrem Äußeren beeindruckt und angezogen gewesen, doch ihre Persönlichkeit stellte sich als deutlich komplizierter heraus, als er erwartet hatte. Er rief sich Edrahils Worte ins Gedächtnis, der ihn daran erinnerte, dass er all dies für Gondor und für das Fortbestehen des Reiches tat.

Ehe die beiden das Gespräch fortsetzten konnten kehrte Túor bereits zurück und ließ sich neben Valion ins Gras fallen. Lóminîth, die sich zu Valion auf die Matratze gesetzt hatte, schien die Situation sofort zu erfassen. "Hast du Valirë nicht gefunden?" fragte sie den Jungen. Dieser schüttelte den Kopf. "Du hast gesagt, sie wäre bei den Stallungen, aber dort war sie nicht. Der Stallbursche hat mir erzählt, dass sie einen Ausritt macht. Ich habe ihm aber kein Wort geglaubt, weil er mir schon früher Lügen erzählt hat. Also habe ich in der Waffenkammer, im Verließ und in der Küche nachgesehen, aber auch dort war deine Schwester nicht. Sogar in ihrem Schlafzimmer konnte ich sie nicht finden. Also kam ich wieder hierher. Ist dir schon etwas Neues über die Insel eingefallen?"
"Der... Turm war von den Flammen schwarz wie Ruß geworden?" sagte Valion, der es zumindest auf einen Versuch ankommen lassen wollte. Und tatsächlich nickte Túor zufrieden und schien sich eine geistige Notiz zu machen.
"Wenn ich dorthin komme werde ich ihn wieder weiß machen!" verkündete er und ging mit einem breiten Grinsen davon.

"Sehr gut," sagte Valion zu Lóminîth und blickte ihr dankbar ins Gesicht, auf dem ein echtes Lächeln lag. Doch bevor sie ihm antworten konnte hallte schnell näher kommendes Hufgetrappel durch den Garten. Verfolgt von einem protestierenden Gärtner preschte Valirë auf einem prächtigen hellbraunen Ross über den Rasen, brachte das Tier kurz vor Valion zum Stehen und sprang mühelos aus dem Sattel, die Elbenklinge bereits in der Hand. Er konnte an ihrer Haltung und an ihrem Gesichtsausdruck sehen, dass seine Schwester dringende Nachrichten hatte, und so fragte Valion nur: "Was hast du gesehen?"
"Es ist Hasael," stieß sie mit Zorn und einem Anflug von Furcht in der Stimme hervor.
Valirë machte eine dramatische Pause, ehe sie fortfuhr, und beendete den Satz dann:
"...er kehrt an der Spitze einer Armee zurück!"

Eandril:
"Das sind ausnehmend schlechte Neuigkeiten", sagte Edrahil ernst. Er hatte gerade das Schreiben beendet, dass er Lóthiriel für ihren Vater mitgeben wollte, als die Zwillinge ohne Vorwarnung den Raum gestürmt hatten, den Minûlîth ihm zum Arbeiten zur Verfügung gestellt hatte. Zunächst hatte er wütend auffahren wollen, doch er hatte an den Gesichtern der Geschwister erkannt, dass sie durchaus gute Gründe für ihr Handeln gehabt hatten. Er warf die Feder neben den Brief auf den Tisch und erhob sich aus dem Stuhl.
"Ich nehme an, Minûlîth weiß bereits Bescheid?" Edrahil wartete keine Antwort ab, sondern sprach weiter: "Vergesst es, natürlich weiß sie Bescheid." Es war jetzt wichtig, nicht in Panik zu geraten, sondern bedacht und schnell zu handeln. Er begann hinter dem Schreibtisch auf und ab zu gehen, und warf einen Blick aus dem Fenster dahinter. In der Stadt waren noch keine Anzeichen von einer anrückenden Armee zu erkennen, weder waren Glocken zu hören die Alarm schlugen, noch zu den Mauern eilende Stadtwachen zu sehen. Wenn jedoch Valirë Bescheid wusste und genug Zeit gehabt hatte, die Nachricht hierher zu bringen, müsste sich das Wissen darum eigentlich allmählich in der ganzen Stadt verbreiten.
"Etwas hier ist merkwürdig..." sagte Edrahil langsam. "Außer der Tatsache, dass eine feindliche Armee vor den Toren steht?", fragte Valirë mit spöttischem Unterton, doch Edrahil ging nicht darauf ein. "Um die Stadt gegen eine entschlossene Streitmacht zu verteidigen fehlt dem Rat die Zeit", überlegte er laut. "Und trotzdem sollte wenigstens Alarm geschlagen werden." Bevor er weitersprechen konnte hörte er, wie die Haupttür des Anwesens aufgestoßen wurde, und Minûlîths Stimme schallte durch das Haus: "Túor!"
Edrahil und Valion wechselten einen besorgten Blick, und liefen los.

Nur wenige Meter den Flur entlang stießen sie auf Minûlîth, die kein bisschen ihrem sonst so beherrschten und eleganten selbst ähnelte. Ihre kunstvolle Frisur war in Auflösung begriffen, auf ihrer Stirn glitzerten Schweißtropfen und auf der linken Wange hatte sie einen blutigen Schnitt. Edrahil erfasste mit einem Blick die Lage. "Hasael hat nicht vor die Stadt zu belagern, oder?", fragte er. "Ihr wisst Bescheid? Gut", stieß Minûlîth hervor, und schüttelte dann den Kopf. "Nein, es wird keine Belagerung geben. Wir müssen die Stadt verlassen."
"Verräter?", fragte Edrahil nach. "Ja. Einige vom Rat denken offenbar, sie retten ihre Haut wenn sie Hasael die Stadt überlassen und ihm uns andere ausliefern."
"Und die Stadtwache?" "Steht zum großen Teil auf Hasaels Seite. Am Tor wird noch gekämpft, doch sie werden es bald für Hasaels Truppen öffnen."
"Also haben wir keine Chance zu kämpfen", stellte Valion fest, der dem raschen Austausch bislang schweigend gefolgt war, und Minûlîth schüttelte erneut den Kopf. "Nein. Uns bleibt nur zu retten, was wir retten können, denn Hasael wird keine Gnade walten lassen." Eine einzelne Träne löste sich aus ihrem Auge, und doch sie wischte sie energisch fort. Edrahil legte ihr eine Hand auf die Schulter, denn er kannte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren und den Moment, in dem sich alle Träume in Luft aufzulösen schienen. "Sie mögen uns für heute geschlagen haben, doch wir werden ihnen nicht kampflos das Feld überlassen - jedenfalls nicht für immer." Er blickte ihr fest in die Augen und erkannte, dass sie verstand.

"Mutter?", hörte er Túor unsicher sagen. Der Junge kam den Flur entlang, sein Übungsschwert noch immer in der Hand und offensichtlich verängstigt über den Zustand seiner Mutter. "Ist etwas passiert?"
Minûlîth kniete vor ihrem Sohn nieder und nahm seine Hände. "Wir werden für eine Weile fortgehen müssen, mein Schatz."
"Auf die Insel, zu meinem Vater?" Túors Augen leuchteten, und Edrahil sah Minûlîth schlucken. "Wer weiß schon, wohin der Wind uns treibt?", erwiderte sie. "Nun komm, wir müssen unsere Sachen packen und Lóminîth Bescheid sagen."
Über die Schulter fügte sie an Edrahil gewandt hinzu: "Wir treffen uns sobald wie möglich an der Haupttür." Dann ließ sie Edrahil und die Zwillinge in unbehaglichem Schweigen zurück, das Edrahil schließlich durchbrach: "Ihr habt sie gehört. Packt alles zusammen was ihr nicht entbehren könnt, holt Bayyin und kommt dann zum Eingang. Wie es scheint reisen wir doch etwas früher ab als gedacht."


Die ganze Gruppe hinaus auf die Straßen der Stadt

Eandril:
Edrahil und Minûlîth von den Straßen der Stadt

Als Edrahil das Anwesen erreichte, stand das Gebäude bereits zum großen Teil in hellen Flammen. Aus den oberen Fenstern schlug Feuer, Teile des Daches brannten, und die große Haupttür stand weit offen.
"Oh, bei allen...", knurrte Edrahil, und stieg so schnell es ging die flachen Marmorstufen empor. Er hatte keinen Zweifel daran, dass Hasael den Befehl, das Anwesen von Haus Minluzîr niederzubrennen, eigens gegeben hatte um Minûlîth zu treffen. In der Empfangshalle war es heiß und der Rauch ließ Edrahil husten. Kleine Flammenzungen leckten am Teppich und an allem anderen Brennbaren.
Edrahil kniff die Augen zusammen und sah durch den Rauch eine einzelne schmale Gestalt vor einer Wand aus Flammen stehen. Er tastete sich vorsichtig voran, bis er neben Minûlîth stand und durch die rückwärtigen Fenster hinaus auf den brennenden Garten schaute. "Wir sollten gehen", sagte er, gerade laut genug um das Feuer zu übertönen. Aus einem weiter entfernten Flügel des Anwesens war ein lautes Krachen zu hören, als vermutlich einer der Deckenbalken unter den Flammen nachgab und einstürzte.
"Warum?" Minûlîth wandte sich ihm zu, und Edrahil sah, dass ihr Tränen über die Wangen flossen. "Hasael hat uns geschlagen und vernichtet. Dieser Kampf ist vorüber."
"Er ist nicht vorüber", widersprach Edrahil, und spürte einen Schweißtropfen an seiner Schläfe herunterrinnen. "Nicht, solange wir noch Kraft haben."
"Aber welche Kraft habe ich noch? Seht mich an, Edrahil." Minûlîth wirkte verzweifelt und völlig im Gegensatz zu vorher tatsächlich am Ende ihrer Kräfte.
"Das tue ich", erwiderte Edrahil langsam, und unterdrückte ein erschrecktes Zucken als erneut ein weiter entfernter Teil des Hauses einstürzte. "Denk an deinen Sohn. Deine Schwester. Thorongil. Alle, die du liebst. Willst du sie alle im Stich lassen, nur wegen einer Niederlage?" Minûlîth schloss die Augen, und als sie sie wieder aufschlug spiegelten sich in ihnen die Flammen, doch es lag ein Hauch von Stahl in ihrem Blick.
"Ihr... Du hast Recht. Ich werde sie nicht alleine lassen - und Hasael wird für alles büßen, was er getan hat."

"Warum sagt ihr ihm das nicht selbst?", rief eine männliche Stimme von der Tür her, und Edrahil und Minûlîth fuhren in ihre Richtung herum. Vor der Tür, zwischen ihnen und der Straße hatten fünf Männer in dunklen Rüstungen Aufstellung genommen, mit einer roten Schlange auf den Armen. Edrahil legte die Hand auf seinen Dolch und Minûlîth tat es ihm gleich, während sie den Neuankömmlingen langsam entgegengingen. "Ich bezweifle, dass er sich darüber freuen würde", erwiderte Edrahil, doch der Anführer der Männer lachte nur. "Ganz im Gegenteil, nichts würde ihm mehr Freude bereiten. Er besteht darauf euch beide zu sehen."
"Ihr habt das Feuer gelegt um uns herzulocken", stellte Edrahil fest. Der Anführer ließ grinsend seine weißen Zähne sehen und breitete die Arme aus. "Und weil ein großes Feuer ein wunderschöner Anblick ist. Verzeiht, ich habe mich noch nicht vorgestellt: Mein Name ist Tarek, neuer Anführer der Leibwache des mächtigen Fürsten Hasael. Ich sollte euch danken, immerhin habt ihr mir diese Beförderung durch Aquans Beseitigung erst ermöglicht." Das Grinsen verschwand von seinem Gesicht, als er hinzufügte: "Lasst eure Waffen fallen und kommt widerstandslos mit - ansonsten wird es deutlich schmerzhafter werden als ohnehin schon." In Edrahils Kopf rasten fieberhafte Gedanken umeinander, doch er sah keinen Ausweg aus dieser Situation. Nur eines stand fest: Er würde sich nicht erneut von Hasael in einen Kerker werfen und womöglich foltern lassen. Edrahil fasste seinen Dolch fester, um hier zu kämpfen und zu sterben.

Bevor sich jemand rühren konnte, glaubte Edrahil hinter seinen Feinden einen Schatten vom gegenüberliegenden Dach fallen zu sehen, und im nächsten Augenblick stöhnte einer der Soldaten dumpf auf, stolperte einen Schritt nach vorne und fiel flach zu auf den brennenden Teppich. Aus seinem Nacken ragte ein einzelner Dolch.
Tarek stieß einen Fluch in einer Edrahil unbekannten Sprache aus, und fuhr mit gezogenem Schwert herum. Durch die Lücke in der Formation der Leibwachen sah Edrahil einen hochgewachsenen, schwarzhaarigen Mann in der Tür stehen, ein Schwert nach gondorischer Art in der Hand. Einen Herzschlag lang verharrten alle regunglos, doch dann griffen Hasaels Leibwächter den Neuankömmling gemeinsam an - ein Fehler, wie Edrahil rasch erkannte. Obwohl er alleine gegen vier Gegner stand, hatte der Mann sofort die Oberhand, denn er bewegte sich mit der Anmut einer großen Raubkatze und war um ein vielfaches schneller als seine Gegner. Ein Mann fiel, dann ein zweiter, und Sekunden später stand nur noch Tarek, der von einem kraftvollen Schwerthieb quer über die Brust gegen eine der Steinsäulen neben der Tür geschleudert wurde und dort reglos liegen blieb.
Als der siegreiche Neuankömmling das Schwert in die Scheide stieß und sich ihnen zu wandte, sagte Minûlîth leise: "Thorongil." Der Angesprochene neigte leicht den Kopf, und erwiderte heiser: "Melíril."
"Was...", setzte Minûlîth an, doch Edrahil unterbrach sie kurzerhand. "Für Begrüßungen, Fragen und alles andere ist später noch Zeit, für den Augenblick sollten wir hier verschwinden."
"Ich stimme zu, wer auch immer ihr seid", erwiderte Thorongil. "Ist noch jemand ihm Haus?"
"Nein, niemand." Minûlîth schüttelte den Kopf, und Thorongil streckte ihr die Hand entgegen. "Dann kommt, die Aglarbalak liegt im Hafen vor Anker."

Edrahil, Minûlîth und Thorongil auf die Aglarbalak

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