Narissa, Valion, Edrahil, Qúsay, Valirë, Erchirion, Dírar und Beregond mit dem Heer des Malikats von der Mehu-WüsteValion hatte sich nach dem Gespräch mit seinem Onkel direkt auf die Suche nach Edrahil gemacht, um ihm die Neuigkeiten zu berichten, doch es war ihm nicht gelungen, den Herrn der Spione rechtzeitig vor dem Abmarsch der Malikats-Streitmacht zu finden. Erst als sich das Heer der freien Haradrim bereits in Bewegung gesetzt hatte, erfuhr Valion von seiner Zwillingsschwester, dass Edrahil sich in der Gesellschaft des Fürsten Qúsay befand, der an der Spitze der Armee ritt, wohl um einige Pläne zu besprechen.
Dann wird Onkel Tórdurs Nachricht eben warten müssen, dachte sich Valion, während er sich den übrigen Gondorern bei der Nachhut anschloss. Er konnte sich zwar denken, was Edrahil davon halten würde, die Überbringung wichtiger Neuigkeiten auf später zu verschieben, doch Valion war ebenso klar, dass er den Alten nicht bei seiner "Arbeit" stören sollte.
Da sie nun als Teil einer großen Streitmacht ritten, die zu zwei Dritteln aus Fußsoldaten bestand, ließen Valion und Narissa ihre Pferde im Schritttempo gehen und konnten sich ein wenig unterhalten, während sie entlang einer staubigen Straße langsam in etwas weniger öde Gefilde kamen. Sie hatten nun die Mehu-Wüste hinter sich gelassen und näherten sich den Umlanden der Stadt Ain Salah. Hier und da sahen sie kleinere Zeltsiedlungen oder Gehöfte in der Ferne, denn das Land war hier nicht mehr so trocken, dass sich nichts anbauen ließe. Dennoch war es warm - sehr warm. Die Sonne blickte von einem wolkenlosen Himmel auf die Streitmacht herab, und obwohl der Winter Harad noch immer fest im Griff hatte, war es hier im Süden dennoch deutlich wärmer als in Gondor.
"Hier kennt man wohl keinen Schnee, was?" fragte Valion seine Reisegefährtin.
Narissa schüttelte den Kopf. "Ich habe bis ich in Rohan gewesen bin gar nicht gewusst, wie Schnee überhaupt aussieht," erzählte sie. "Auch auf der Weißen Insel wird es nie so kalt wie in den Ländern im Norden. Dennoch kann man in der Wüste durchaus frieren, wenn es Nacht wird..."
"Ja, das hab' ich gemerkt," sagte Valion und erinnerte sich an ihren Ritt von Tol Thelyn durch die Einöde. "Aber mal eine andere Sache... was kannst du mir über diese Stadt erzählen, gegen die das Heer nun zieht?"
"Ain Salah?" Narissa zog die Brauen ein wenig zusammen, und Valion hätte schwören können, dass für einen Sekundenbruchteil ein Schatten über ihr Gesicht gezogen war. "Ach, es... ist im Grunde genommen eine Stadt wie es viele in Harad gibt," sagte die Weißhaarige dann leichthin. "Sie besitzt einfache Wälle aus Lehm und Stein und wird von einer Mischung aus vielerlei Stämmen bewohnt. Ain Salah lebt vom Handel, denn es ist ein wichtiger Wegpunkt zwischen den Reichen im Osten und denen auf der Westseite Harads."
Valion nickte verstehend, doch ehe er Narissa weitere Fragen stellen konnte, gerieten die Soldaten vor ihnen in sichtliche Unruhe. "Was ist da denn los?" wunderte sich Valion.
Erchirion und Valirë, die ein Stück hinter ihnen geritten waren, schlossen zu Narissa und Valion auf. "Irgendetwas scheint an der Spitze des Heeres zu geschehen," sagte Erchirion. "Lasst uns einen Bogen um die Marschkolonne schlagen, sie überholen und nachsehen."
Sie brauchten eine Weile, um die große Zahl von Kriegern alle hinter sich zu lassen, doch noch ehe sie ganz an der Spitze angekommen waren, sahen sie schon, was den Aufruhr verursacht hatte. Am Horizont erhob sich eine Staubwolke, ganz ähnlich derer, die das Heer der freien Haradrim verursachte. Eine zweite Streitmacht näherte sich ihnen und stellte sich ihnen in den Weg. Und als Valion die vorderste Reihe der Krieger hinter sich gelassen hatte, sah er die roten Banner, auf denen die schwarze Schlange Sûladans prangte. Ein Heer der saurontreuen Haradrim war ihnen aus Ain Salah entgegengekommen, um Qúsays Krieger zur Schlacht zu stellen.
Erneut kam Bewegung in die Reihen der freien Haradrim, als Qúsay und seine untergebenen Kommandanten die Streitmacht hastig in eine grobe Schlachtordnung brachten. Die Gondorer sammelten sich ein wenig abseits, bis ihnen von einem reitenden Boten ein Platz an der rechten Flanke der Schlachtordnung zugewiesen wurde.
"Ich werde das Spektakel aus sicherer Entfernung beobachten," sagte Edrahil, der nun kurzzeitig wieder zu ihnen gestoßen war. Er deutete auf einen nahe gelegenen Hügel. "Von dort sollte ich den Schlachtverlauf gut im Blick behalten können."
"Und ich komme ebenfalls mit," beschloss Narissa. "Große Schlachten sind nichts für mich - die eine, die ich in Kerma erlebt habe, hat mir schon gereicht. Ich gehe mit Edrahil und sorge dafür, dass kein Feind ihm zu nahe kommt."
Erchirion wollte es dabei nicht belassen, und gab den beiden eine zehnköpfige Eskorte mit, wodurch sich die Anzahl der an der Schlacht teilnehmenden Gondorer auf nurmehr ein Dutzend reduzierte.
"Endlich kommt etwas Bewegung in diesen Krieg," sagte Valirë und zog ihr langes Elbenschwert. Gekonnt ließ sie die Klinge hinter dem Rücken kreisen, dann schleuderte sie die Waffe in die Luft und fing sie lässig mit einer Hand auf.
Auch Erchirion und Valion zogen ihre Waffen. Der Prinz trug eine Rüstung, Valion musste allerdings mit seiner festen, ledernen Reisekleidung Vorlieb nehmen, denn seine eigene Rüstung war in Dol Amroth geblieben. Immerhin hatte er daran gedacht, sich von einem der Quartiermeister ein Kettenhemd zu leihen, weshalb er nicht allzu defensiv würde kämpfen müssen - das war ohnehin nicht sein Stil. In jeder Hand ein Schwert haltend nahm er seinen Platz in der Schlachtreihe ein. Nominell besaß Erchirion das Kommando über den gondorischen Trupp, doch Valion wusste, dass der Prinz selbst nur wenige Schlachten miterlebt hatte. Und das Dutzend Gondorer war zwar kampferprobt, aber als Einheit zu klein, um wirklich von taktischer Bedeutung zu sein. Sie würden versuchen, alle Feinde zu besiegen, die sich ihnen entgegenstellten; mehr Strategie hatte Valion nicht im Sinne.
Qúsays Heer besaß mehrere Signalgeber, die sich großer, aus den Stoßzähnen der mächtigen Mûmakîl gefertiger Hörner bedienten, um die Befehle des Heerführers an seine Krieger weiterzugeben. Ein Soldat, der sich neben Valion eingereiht hatte, und sich knapp als Beregond vorstellte, erklärte Valion hilfreich die einzelnen Signale, die die freien Haradrim verwendeten. Beregond hatte an den Schlachten um Ain Séfra und Umbar teilgenommen und kannte daher Qúsays Vorgehensweise.
"Sobald alles auf Position ist, halten wir unsere Stellung, so lange wir kein Signal hören. Ein einzelner Hornstoß ist das Signal zum Vorrücken, zwei Hornstöße signalisieren den Befehl zum Rückzug."
"Und was passiert bei drei Horntönen?"
"Das bedeutet, dass sich das Zentrum ein wenig zurückfallen lassen soll, die Flanken aber vorrücken und um jeden Preis angreifen sollen, um den Feind in der Mitte in die Zange zu nehmen," sagte Beregond. Er trug Schwert und Schild, und deutete auf die nahende feindliche Armee, die keine zweihundert Meter mehr entfernt war, aber zum Stehen gekommen war. Beregond hob den Schild über den Kopf, als er sah, wie die meisten Haradrim ihre Schilde bereits angehoben hatten. "In Deckung," fügte der Gondorer noch hinzu, dann prallte bereits der erste Pfeil gegen seinen Schild.
Valion blieb nichts anderes übrig, als sich zu Boden zu werfen und sich so klein wie möglich zu machen. Mit einem Pfeilhagel vor Beginn der Schlacht hatte er nicht gerechnet, und er hatte keinen Schild, um sich zu schützen. Rings um ihn prasselten die Pfeile auf das Heer Qúsays ein, welches den Beschuss aus den hinteren Reihen, wo die Bogenschützen standen, längst erwidert hatte. Valion, der noch immer auf dem Boden kauerte, spürte, wie die Erde erbebte, als seine Position von rechts von Qúsays Kamelreitern überholt wurde, die gegen die feindliche Kavallerie ausritten. Ein Pfeil erwischte Valion an der Schulter, blieb jedoch zwischen den Kettengliedern hängen und piekste ihn so nur ein wenig. Dann hörte der Beschuss glücklicherweise auf, und ein lauter Hornstoß war zu hören.
"Auf geht's!" brüllte Valirë, die den Pfeilhagel offenbar hinter Erchirions breitem Schild schadlos überstanden hatte. Valion sprang auf die Beine, und marschierte gemeinsam mit den übrigen Gondorern los. Er sah, wie sich die feindlichen Reihen noch nicht rührten, wohl waren sie von dem plötzlichen Vormarsch der freien Haradrim etwas überrascht worden. Valion fragte sich noch, ob es in den Schlachten in Harad üblich war, zunächst eine lange Zeit Pfeilbeschuss auszutauschen und ob es zu Qúsays Strategie gehörte, mit dieser Tradition zu brechen, als wie auf ein unsichtbares Zeichen hin alle verbündeten Krieger in einen Laufschritt verfielen, die Waffen erhoben, und die letzten fünfzig Meter bis zum Feind in einem gewaltigen Ansturm überwanden. Dann prallten die Schlachtreihen in einem gewaltigen Getöse aufeinander.
Valions erster Gegner war ein Speerträger, dessen Waffe er mit einem schnellen Schwerthieb kurzerhand halbierte, um danach mit dem zweiten Schwert die ungeschützte Stelle am Hals des Kriegers zu durchbohren. Ein schneller Tritt ließ den tödlich Verletzten beiseite kippen. Hinter Valion drängten weitere Gondorer nach vorne, die meisten kämpften mit Schwert und Schild, einige verwendeten ebenfalls Speere, die jedoch im Gegensatz zu den einfacheren Waffen aus Harad vollständig aus Metall gefertigt waren, und hohl waren, damit sie nicht zu schwer wurden. Ein solcher Speer flog an Valion vorbei und bohrte sich mitten durch die Brust eines weiteren Gegners. Valion sprang vor und riss die Waffe heraus, dann reichte er sie dem nachrückenden Krieger, der den Speer ursprünglich geworfen hatte. Als Valion sich umblickte, entdeckte er Beregond, der von zwei säbelschwingenden Haradrim bedrängt wurde, und griff in den Kampf ein. Aus der Drehung heraus hieb er dem einen Krieger den Kopf ab, der zweite fand sein Ende durch Beregonds gut gezielten Schwertstoß in den Hals.
Die erste Wucht des Ansturms, die die gesamte Flanke, zu der die Gondorer gehörten, ein tiefes Stück in die feindlichen Schlachtreihen hatte eindringen lassen, war mittlerweile verflogen. Die feindlichen Truppen hatten sich von dem Schock erholt und kämpften verbissen um jeden Meter. Allerdings hatte Valion mehr und mehr den Eindruck, dass sich die freien Haradrim hier leicht in der Überzahl befanden. Dennoch war es ein harter Kampf, und im Laufe der Schlacht erlitt Valion mehrere kleinere Schnitte an Stellen, wo ihn das Kettenhemd nicht schützte. Einmal wurde er von einem heftigen Schildhieb zu Boden geworfen, und von seiner Schwester gerettet, die mit wirbelnder Klinge genug Raum schuf, dass Valion aufstehen und seine Stellung halten konnte. Valirë war für die meisten Haradrim ein sichtlich unerwarteter Eindruck. Ihr langer Zopf fegte wie eine Peitsche hin und her, während sie flink von einem Feind zum nächsten rauschte. Das lange Elbenschwert gab ihr genügend Reichweite, um ihre Feinde auf Abstand zu halten, und der Fakt, dass eine Frau solche Kampfeslust an den Tag legte, verschaffte ihr immer wieder genug Verblüffung ihrer Feinde, dass sie deren kurzes Zögern auf tödliche Art und Weise nutzen konnte. Dies war der Vorteil daran, gegen Menschen zu kämpfen. In der Schlacht auf dem Pelennor waren die Zwillinge nur Orks gegenüber gestanden, die keinen Unterschied zwischen ihren Feinden oder Opfern machten.
Nach ungefähr einer Stunde waren die Schlachtreihen an der rechten Flanke, wo Valion stand, so ineinander verkeilt, dass niemand mehr vorwärts kam. Valion hatte viele Gegner getötet, aber noch immer hielten die feindlichen Reihen stand. Doch dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Aus der Ferne trug der Wind über den Schlachtenlärm drei klare Hornstöße zu ihnen herüber, und beinahe im selben Moment sah Valion, wie die feindliche Ordnung sich aufzulösen begann, und die geordneten Reihen ins Chaos gerieten. Später erfuhr er den Grund dafür: Die Kamelreiter hatten die feindliche Reiterei in die Flucht geschlagen und war nun in einem wilden Ansturm in den Rücken der gegnerischen Flanke gekracht. So eingekeilt zwischen den Gondorern, den freiharadischen Fusssoldaten und der Kavallerie im Rücken begann die Moral der Saurontreuen zu bröckeln. Und Qúsays Krieger hatten eine klare Anweisung erhalten: Vorrücken, um jeden Preis, und dann ins Zentrum schwenken. Schlachtrufe wurden gebrüllt, Banner in die Luft gereckt, und ein jeder warf sich, die letzten Kraftreserven mobilisierend, noch einmal ins Gefecht. Auch Valion und Valirë packten ihre Waffen und schlugen sich ihren Weg durch die sich auflösende feindliche Schlachtordnung frei, bis der feindliche Flügel sich bald darauf vollständig in die Flucht schlagen ließ.
Das Zusammenbrechen der Flanke markierte das Ende der Schlacht bei Ain Salah. Eine große Panik breitete sich im feindlichen Heer aus, als der rechte Flügel der freien Haradrim und Gondorer das Zentrum flankierte und sich auch die bewährten Kamelreiter erneut in die Schlacht stürzten. Als sich das Feindheer in Richtung Osten zurückzuziehen begann, waren wieder Hornstöße zu hören, diesmal waren es zwei.
"Qúsay will von einer Verfolgung der Fliehenden absehen," bemerkte Beregond, der sich schwer auf seinen Schild stützte. Er war unverletzt geblieben, aber ziemlich außer Atem.
"Vielleicht hofft er, dass die Stadt sich dank dieser Milde leichter einnehmen lassen wird," überlegte Valion.
"Ich schätze, wir werden es sehen, wenn wir dort sind," sagte Beregond.
Valion sah nach seiner Schwester, die drauf und dran gewesen war, die Verfolgung entgegen der Befehle ganz alleine aufzunehmen, und von Erchirion gerade noch daran gehindert worden war. Sie hatte ein Stück ihres Zopfes verloren und trampelte gerade auf der Leiche desjenigen herum, der offenbar daran Schuld war.
"Sieht ganz so aus, als hätte unser guter alter Edrahil die Schlacht schadlos überstanden," merkte Erchirion mit einem angestrengten Grinsen an, und deutete in Richtung des Hügels.
Als Valion hinsah, nickte er zustimmend, denn von Ferne sah er Reiter unter dem Banner Gondors herankommen, und deutlich konnte er Narissas weißes Haar daneben hervorleuchten sehen...