Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Dol Amroth

Der Palast des Fürsten

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Fine:
Nach dem Tumult beim Frühstück hatte sich Valion eine ganze Weile mit Narissa unterhalten, dem weißhaarigen Mädchen das mit Mithrandir und Amrothos in die Stadt gekommen war. Sie erinnerte ihn mit ihrer quirligen und ruhelosen Art ein wenig an seine Zwillingsschwester, als sie in diesem Alter gewesen war. Der große Unterschied bestand allerdings darin, dass Narissa im Gegensatz zu Valirë den Fürsten und Rittern in ihrem Umfeld nur das Nötigste an Aufmerksamkeit zu schenken zu schien.
Beinahe eine ganze Stunde lang saßen sie beieinander und tauschten sich aus. Valion stellte fest, dass er das Mädchen wirklich gut leiden konnte. Ihre direkte Art zu denken passte zu seiner eigenen Herangehensweise, und als er erfuhr, dass sie die Nichte Thorongils von Tol Thelyn war, fielen ihm die Gemeinsamkeiten auf, die Narissa mit ihrem Onkel hatte. Er erzählte ihr von seinen Erlebnissen im Krieg gegen Mordor und seiner Reise nach Umbar, während sie ihm aufmerksam und voller Interesse zuhörte und oft Zwischenfragen stellte. Doch ehe Valion Narissa noch mehr kennenlernen konnte, beschloss diese, sich auf die Suche nach ihrer Freundin Aerien zu machen, die seit dem Angriff beim Frühstück verschwunden war.

Valion beschloss, nach seiner Verlobten zu sehen, doch auf dem Weg aus dem Palast hinaus lief ihm Ta-er as-Safar über den Weg, die ein Kleid in der Tracht von Dol Amroth in Silber und Blau trug und die noch immer das Wurfmesser in der Hand hielt, mit dem sie den falschen Edrahil aufgehalten hatte. Die Klinge war blutig, was Ta-er nicht im Geringsten zu stören schien.
"Einen Augenblick deiner wertvollen Zeit, wenn's dir genehm ist," sagte sie und lotste Valion in einen der verwaisten Seitengänge des Prinzenpalastes.
"Was gibt es denn? Neue Geheimnisse?" wollte er wissen.
"Nein. Keine Verschwörungen oder dergleichen. Nur eine simple Bitte."
"Nun gut. Dann lass mich diese Bitte hören."
"Ich brauche deine Hilfe, Valion," sagte Ta-er leise und ernst. "Umbar ist gefallen und der Krieg in Harad geht in die entscheidende Phase. Ich brauche jemanden dort, dem ich absolut vertrauen kann. Jemand, der nicht bereits in die verworrenen Streitigkeiten Harads verwickelt ist."
Valion zog verwundert die Brauen zusammen und warf ihr einen zweifelnden Blick zu. "Was genau verlangst du von mir?"
"Die Assassinen sind von der Bildfläche verschwunden, Valion. Seit ihrem Angriff auf Burj-al-Nar hat niemand etwas von ihnen gehört. Ich... fürchte das Schlimmste, seitdem der Schattenfalke in den Süden gezogen ist. Edrahil kehrte von dort ohne ihn zurück. Der Silberne Bogen ist in Gefahr..."
"Ta-er," sagte Valion ruhig und wiederholte seine Frage etwas deutlicher. "Was verlangst du von mir?"
"Dass du mit Narissa gehst und ihr dabei hilfst, Sûladan zu töten. Und dass du dafür sorgst, dass... Saleme entmachtet wird, am besten durch ihren Tod."
Valions Augen weiteten sich. Wieder einmal war er überrascht davon, wieviel Ta-er as-Safar wusste, obwohl sie keinen großen Wirbel darum machte. "Und du glaubst, dass ich dazu in der Lage sein werde? Oder dass Fürst Imrahil mich einfach so gehen lassen wird?"
"Die Erlaubnis mit Narissa nach Harad zu gehen zu erhalten ist Teil der Herausforderung, welche ich dich bitte, anzunehmen," sagte Ta-er. "Aber soweit ich verstehe weilt deine eigene Schwester in Umbar, an der Seite Erchirions."
"Ich habe das Kommando über Linhirs Garnison erhalten, wie du weißt..."
"Und du hast getan, weswegen du dorthin entsandt worden bist. Gondors General ist frei und bei guter Gesundheit. Er wird den Befehl wieder selbst aufnehmen wollen."
"Nun, da... hast du vermutlich recht," gestand Valion ihr ein.
"Jemand muss ein Auge auf Narissa haben, sonst rennt sie noch in ihr Verderben," fuhr Ta-er as-Safar fort.
"Das verstehe ich, aber... wieso ist sie dir so wichtig?"
Ta-er starrte ihn eine Weile lang an und blieb ihm die Antwort schuldig. "Wirst du es tun, oder nicht?" wollte sie schließlich wissen.
Valion begegnete ihrem Blick. Ein Mann von besonnenerem Gemüt hätte sich an seiner Stelle vermutlich jetzt Bedenkzeit erbeten, doch Valion hatte selten lange über Entscheidungen nachgegrübelt. Er traf sie, indem er auf sein Bauchgefühl vertraute. "Also gut. Ich werde tun was du verlangst."
Sein Gegenüber nickte und für einen kurzen Augenblick erschien es ihm, als huschte ein erleichtertes Lächeln über Ta-ers Lippen, die sonst stets von einem ruhigen, neutralen Ausdruck beherrscht wurden. "Möge dir Erfolg beschieden sein," murmelte Ta-er. "Dieser Krieg in Harad... er dauert bereits viel zu lange. Stell dir vor, was die Menschen erreichen könnten, wenn sie einem vereinten Ziel folgen würden..."
"Und welches Ziel wäre das?"
"Der Sturz des Dunklen Herrschers," antwortete sie prompt. "Er erwartet derzeit keinen Angriff aus dem Süden. Gegen den Osten geht er bereits vor... ich fürchte, die Zeit verrinnt schneller als angenommen, und sie spielt gegen die Haradrim. Eines nicht allzu fernen Tages werden die Horden Mordors sich gen Ain Séfra und Umbar wenden."
Valion verstand. Je eher der Bruderkrieg in Harad ein Ende fand, desto eher konnte Gondor auf eventuelle Entlastung im Krieg gegen Mordor hoffen. "Dann werde ich dafür sorgen, dass Sûladan fällt. Du hast mein Wort."
"Ich danke dir, Valion..." Ta-er nickte ernst, dann wandte sie sich ab und verschwand den Gang entlang.

Valion blieb eine Weile dort stehen und ging in Gedanken durch, was er nun alles zu erledigen hatte, ehe er Dol Amroth verlassen konnte. Er musste mit dem Fürsten sprechen... und mit seiner Verlobten. Er musste die Hochzeit, die Lôminîth und Valions Mutter geplant hatten, verschieben, falls es irgend möglich war. Er musste dafür sorgen, dass Hilgorn - oder jemand anderes - das Kommando über die Garnison von Linhir zurückerhielt. Und er musste mit Narissa über all dies sprechen.
Wie es der Zufall wollte, kamen in jenem Augenblick Narissa und Aerien den Gang entlang geeilt. Valion trat ihnen in den Weg, als er die Mädchen bemerkte.
"Auf ein Wort, Narissa," bat er.
"Wie? Valion? Ähm - nun gut, aber es muss schnell gehen! Der Fürst ruft uns alle zu sich in die große Halle, du wirst dort vermutlich ebenfalls erwartet."
"Ist das so?" wunderte sich Valion, doch dann nickte er. "Vermutlich wollen sie euren Freund Aragorn wieder offiziell auf den Thron setzen... was die Anwesenheit sämtlicher Lehnsfürsten Gondors erforderlich macht." Er grinste. "Und wenn der Herr des Ethirs fehlt, können sie nicht beginnen."
Aerien blickte etwas unbehaglich drein, anscheinend war es ihr unangenehm, zu spät zu kommen, doch Narissa musste lachen. "Ha! Gut mitgedacht. Also, was gibt es denn so Dringendes?"
"Ich weiß, dass du nach Harad zurückkehren wirst," begann Valion und er sah, wie die beiden Mädchen einen erstaunten Blick miteinander wechselten. "Ich bitte um deine Erlaubnis, dich zu begleiten und dir zu helfen... Sûladan zu töten."
Narissa gab ein überraschtes Keuchen von sich. "Woher..."
Aerien schob Narissa beiseite und stellte sich schützend vor sie. Misstrauisch starrte sie Valion an. "Wir haben genug Verrat erlebt um eine so offensichtlichen Falle zu erkennen wenn sie uns gestellt wird," sagte sie kalt. "Ich lasse nicht zu, dass Narissa in noch größere Gefahr gerät als sie dieses Unterfangen es ohnehin schon tut."
"Ich weiß es von Ta-er as-Safar," sagte Valion rasch. "Und ich will dir wirklich helfen, Narissa. Meine Zwillingsschwester ist in Umbar, und ich bin mir sicher, dass sie sich der Mission anschließen wird wenn sie davon hört. Drei Klingen sind tödlicher als nur eine, und je eher Sûladan aus dem Weg geräumt ist, desto eher wird es für Gondor eine Entlastung im Krieg geben."
"Nein," sagte Narissa scharf. "Ich werde diejenige sein, die ihn tötet. Er gehört mir."
"Narissa..." setzte Aerien leise an.
"Du kannst mit mir kommen, wenn du es mir so aus freien Stücken anbietest," fuhr Narissa fort. "Aber Sûladan gehört mir."
"Natürlich," antwortete Valion. "Ich werde ihn nicht anrühren. Aber du hast meine Schwerter, um dir den Weg zu ihm freizuräumen."
"Dann akzeptiere ich dich und deine Klingen gerne," sagte Narissa, und schien bemüht, erst gar keine Diskussion über ihre Entscheidung zu ermöglichen. "Und jetzt sollten wir zum Fürsten, ehe er noch beschließt, dich deines Amtes zu entheben."
Valion nickte, doch als er Aerien ansah, starrte sie ihm mit demselben Blick entgegen, den er von seiner Verlobten nur allzu gut kannte: in ihren grauen Augen leuchtete gut kontrollierter, lodernder Zorn, den ihr Gesichtsausdruck nur begrenzt preisgab. Er hatte das eindeutige Gefühl, dass es darüber noch eine ganze Menge zu reden geben würde...

Eandril:
Hilgorn musste sich zwischen zwei edel gekleideten Adligen hindurchzwängen, um die große Halle des Fürsten zu betreten, was ihm böse Blicke von beiden eintrug. Faniel folgte ihm und lächelte den beiden Männern entschuldigend zu, was sie offenbar ein wenig besänftigte. Ein Bote Lóthiriels hatte sie beide zum Palast gerufen, allerdings ohne Näheres über den Anlasse zu verraten. Angesichts der Tatsache, dass nahezu jeder von Rang und Einfluss sich in der Halle eingefunden hatte, musste allerdings etwas wichtiges bevorstehen.
Hilgorn verschaffte Faniel und sich einen Platz auf der linken Seite der Halle in einer der vorderen Reihen. Direkt vor dem Sitz des Fürsten hatten sich die hochrangigen Fürsten Gondors versammelt - Imrahil stand unterhalb des Thrones, flankiert von seinen Söhnen Amrothos und Elphir. Als Elphirs Blick in Hilgorns Richtung fiel, hob er kurz die Hand zum Gruß. Hilgorn entdeckte außerdem die Fürsten Dervon vom Ringló, seinen Verwandten Ardamir von Belfalas und Elatan von den Pinnath Gelin. Amros von Edhellond war in ein Gespräch mit Golasgil von Anfalas und und Angbor von Lamedon vertieft. Der Anblick Duinhirs von Morthond, der ein wenig abseits mit Faltharan, dem Fürsten von Pelargir im Exil, stand, versetzte Hilgorn einen leichten Stich - immerhin hätte er um ein Haar Duinhirs Tochter auf dem Gewissen gehabt.
Über der ganzen Halle lag eine nervöse, aufgeregte Spannung, der sich auch Hilgorn nicht entziehen konnte. Die Anwesenheit fast aller überlebenden Lehensfürsten Gondors musste bedeuten, dass etwas überaus wichtiges bevorstand.
"Was glaubst du, wo Valion steckt?", flüsterte Faniel ihm ins Ohr. "Immerhin ist er doch auch einer der Fürsten, und wenn alle anderen hier sind..."
Hilgorns Mundwinkel zuckten amüsiert. "Vermutlich kommt er nur zu spät. Es würde..." An der Tür der Halle entstand ein wenig Unruhe, als Valion mit langen Schritten geradezu herein gestürmt kam, dicht gefolgt von zwei jungen Frauen. Hilgorn erkannte eine von ihnen als Narissa, die Nichte des Fürsten Thorongil von Tol Thelyn. "... ihm ähnlich sehen.", beendete er seinen Satz. Während Valion sich, ohne sich um die Unruhe, die er auslöste, zu kümmern, nach vorne zu den anderen Fürsten durchkämpfte, hatten Narissa und ihre Begleiterin offenbar Fürst Thorongil und seine Familie entdeckt, die auf der rechten Seite des Saales dicht an der Wand standen, und gesellten sich zu ihnen.
Als Valion die Gruppe der Fürsten erreicht hatte, nickte Imrahil knapp, und stieg die flachen Stufen zu seinem Sitz hinauf. Oben angekommen setzte er sich nicht, sondern blieb stehen, der Menge zugewandt und den Amtsstab der Truchsessen in der Hand. Schon bald hatte sich Stille in der Halle ausgebreitet, und der Fürst begann zu sprechen.
"Söhne und Töchter Gondors. Ich habe euch hier zusammengerufen, um euch etwas mitzuteilen. Am heutigen Tage lege ich, Imrahil, Adrahils Sohn, Fürst von Dol Amroth, die mir verliehene Macht als Truchsess von Gondor nieder."
Ein Raunen ging durch die Halle, während Imrahil eine Pause machte. Er zeigte ein kaum wahrnehmbares Lächeln.
"Dies hat einen einfachen Grund - es ist im Augenblick nicht nötig, das Amt des Truchsessen auszufüllen, denn... der König von Gondor, Aragorn Elessar, Arathorns Sohn, ist zurückgekehrt."
Wie auf einen Schlag verstummten sämtliche Geräusche in der Halle, und Hilgorn spürte, wie sich Faniels Hand um seine schloss und sie fest umklammerte.
Durch die schmale Tür unterhalb des Thronsitzes trat ein einzelner, dunkelhaariger Mann. Er trug keinen Schmuck und keine Krone, und einfache Gewänder wie sie für die Männer Dol Amroths übrig waren, doch obwohl sein Gesicht gezeichnet und zerfurcht war, erkannte Hilgorn den Mann, unter dessen Führung er in Pelargir und auf den Feldern des Pelennor gekämpft hatte, mit einem Blick wieder. Ohne einen weiteren Gedanken ging er auf die Knie, noch bevor der König die erste Stufe des Thrones erreicht hatte, und zog Faniel mit sich. Um ihn herum taten es ihm immer mehr unter den Anwesenden gleich, bis schließlich der ganze Saal kniete.
Aragorn erreichte die oberste Stufe, und nahm den Stab der Truchsessen, den Imrahil ihm darbot, entgegen. "Imrahil, Fürst von Dol Amroth und Truchsess von Gondor", sagte er mit tragender Stimme. "Unter eurer Führung hat Gondor dem Ansturm des Schattens bis heute widerstanden. Es wäre mir eine Ehre, wenn ihr dieses Amt weiterhin ausfüllen würdet, um zu Zeiten meiner Abwesenheit über das Reich zu regieren." Mit diesen Worten gab er Imrahil den Stab zurück, und der Fürst verneigte sich tief, bevor er die Stufen hinunterstieg und sich zu seinen Söhnen gesellte.
Aragorn ließ währenddessen den Blick über die Halle schweifen, und sprach weiter: "Bitte, erhebt euch. Jedem einzelnen von euch gebührt ebenfalls Dank, denn ohne eure Tapferkeit hätte es kein Gondor gegeben, in das ich hätte zurückkehren können." Er wartete einen Augenblick ab, bis sich alle wieder erhoben hatten und erneut Stille eingekehrt war. "Ihr werdet diese Tapferkeit weiterhin brauchen, denn ich fürchte, gefährliche Tage stehen uns bevor. Der dunkle Herrscher weiß um mein Entkommen aus Barad-Dûr, dem dunklen Turm. Wir sind uns außerdem sicher, dass er inzwischen weiß, dass ich nach Gondor zurückgekehrt bin, und sein Zorn wird schrecklich sein. Noch ist seine Kraft anderswo gebunden, doch schon bald wird sich seine volle Aufmerksamkeit wieder auf uns richten. Dann müssen wir bereit sein."
Er wechselte einen raschen Blick mit Imrahil. "Heere allein werden nicht genügen, um den Schatten abzuwehren. Darum rufe ich am heutigen Tag den Orden des geborstenen Schwertes ins Leben - zum Andenken an die Klinge, die geborsten war." Mit den letzten Worten zog Aragorn das Langschwert, dass er an der Seite trug, aus der Scheide, und hielt es nach unten gerichtet vor sich, sodass die Spitze leicht den Boden berührte. "Die Mitglieder dieses Ordens werden jene sein, die herausragende Taten im Krieg gegen den Schatten vollbracht haben - oder noch vollbringen werden. Sie werden an die gefährlichsten und dunkelsten Orte dieser Welt gehen, und den Kampf zum dunklen Herrscher selbst tragen. Es ist eine Ehre, und gleichzeitig eine Verpflichtung."
Aragorns Blick glitt zur rechten Seite der Halle hinüber, und er lächelte. "Die ersten beiden Mitglieder dieses Ordens sind bereits an den dunklen und gefährlichsten Ort dieser Welt gegangen, und nur ihretwegen stehe ich heute hier. Tretet vor, Narissa, Herlennas Tochter aus dem Haus Ciryatan von Tol Thelyn, und Aerien Bereneth."
Ein Raunen ging durch die Menge, und auf der rechten Seite der Halle entstand ein wenig Unruhe, bevor Narissa und die schwarzhaarige junge Frau, die mit ihr in die Halle gekommen war, vorgetreten waren. Wie auf ein Kommando blieben sie nebeneinander stehen, und sanken vor dem Thron auf die Knie.
Aragorn schüttelte leicht den Kopf, und ging langsam die Stufen hinunter, bis er vor den beiden stehen blieb. "Nein", sagte er, leiser, doch seine Stimme war noch im ganzen Saal zu hören. "Ihr kniet nicht vor mir. Ohne euch säße ich noch immer an der Spitze des Dunklen Turms und mein Geist würde früher oder später dem dunklen Herrscher erliegen und zerbrechen. Ihr habt mich vor diesen Schicksal bewahrt, und mir die Hoffnung zurückgegeben." Damit hob er erst Aerien, dann Narissa auf, und schloss beide nacheinander kurz, aber fest in die Arme.
Neben Hilgorn schniefte Faniel, und wischte sich mit der freien Hand kurz über die Augen. Als sie seinen Blick bemerkte, drückte sie seine Hand ein wenig fester.
Inzwischen hatten sich Aerien und Narissa hinter Aragorn zu Füßen des Throns postiert, und als Hilgorn auffiel, dass sie ebenfalls die Hand der jeweils anderen ergriffen hatten, wurde ihm schlagartig einiges klar.
Jetzt trat Imrahil an Aragorns Seite, und sagte laut: "Der König hat den Fürsten Gondors die Ehre erwiesen, selbst Mitglieder für den Orden des geborstenen Schwertes vorzuschlagen, die sich in den Jahren seiner... Abwesenheit durch Tapferkeit oder große Taten ausgezeichnet haben. Einer dieser Männer ist mein jüngster Sohn Amrothos."
Ein wenig zögerlich trat Amrothos vor, und sank dann vor dem König auf die Knie. Hilgorn konnte sein Gesicht nur kurz sehen, doch die Miene des Prinzen ließ eindeutig erkennen, dass der damit nicht gerechnet hatte. "Amrothos hat tapfer in jener Schlacht gekämpft, die die Belagerung dieser Stadt beendete, und auch wenn sein Weg ihn danach für einige Zeit fort von Dol Amroth und Gondor führte, kämpfte er doch immer auf unserer Seite - selbst im verlorenen Lothlórien." Bei den letzten Worten zuckte Aragorns Wangenmuskel, als wären sie schmerzhaft für ihn. Seine Stimme war jedoch unverändert, als er Amrothos aufhob und ihm beide Hände auf die Schultern legte: "Erhebe dich, Amrothos von Dol Amroth, Ritter vom geborstenen Schwert."
Als nächstes trat Fürst Duinhir von Morthond vor. "Es gibt einen aus unseren eigenen Reihen, den ich für würdig erachte, diesem Orden beizutreten." Er verzog ein wenig das Gesicht. "Allein schon, weil meine Tochter oft genug von seinen Heldentaten schwärmt."
Hinter Duinhir zuckte Valion, der gerade Elphir etwas zugeflüstert hatte, sichtlich zusammen, und Duinhir wandte sich mit einem ein wenig grimmigen Lächeln zu ihm um. "Ja, genau. Die Rede ist von dir, Valion vom Ethir." Wieder an die Menge gewandt, fur der Fürst von Morthond fort: "Valion hatte nicht unbeträchtlichen Anteil daran, einen Einfall von Orks in mein eigenes Fürstentum abzuwehren. Bevor aber jemand unterstellt, man müsste nur mein kleines Fürstentum retten - wie wohl den meisten bekannt ist, befreiten Valion und seine Schwester unsere allseits geliebte Prinzessin Lóthiriel aus der Gefangenschaft in Umbar und brachten sie zu uns zurück. Ich könnte noch ein bisschen länger mit der Aufzählung seiner Heldentaten verbringen, aber fragt ihn am besten selbst danach, er erzählt sie sicher gerne."
Nachdem auch Valion niedergekniet und von Aragorn in den Orden aufgenommen worden war, trat der zurück neben Amrothos, der ihm anerkennend auf die Schulter klopfte. Hilgorn musste bei dem Anblick lächeln. Valion mochte ungestüm und oft voreilig und unvorsichtig sein, doch Hilgorn verdankte ihm mehr als einmal sein Leben.
Gerade als Aragorn ansetzte, etwas zu sagen, trat Lóthiriel aus der Menge hervor.
"Verzeiht", sagte sie respektvoll. "Mein Vater vergisst es gerne, wenn es ihm passt, doch gehöre auch ich als Fürstin von Tolfalas zu den Fürsten Gondors." Imrahil warf ihr einen zornigen Blick zu, doch Aragorns Blick zeigte Interesse, und er bedeutete Lóthiriel fortzufahren.
"Auch ich habe einen Kandidaten für euren Orden", sprach Lóthiriel weiter. "Hilgorn Thoron, General von Dol Amroth."
Hilgorn war geneigt, seinen Ohren zu misstrauen, und offenbar ging es nicht nur ihm so. Fürst Duinhir hatte die Zähne fest zusammengebissen und blickte Lóthiriel ungläubig an, und auch die Gesichter einiger anderer Fürsten zeigten Unverständnis.
"Meine Tochter, hältst du das wirklich für eine gute Idee?", fragte Imrahil leise. "Hast du vergessen..."
"Ich habe nichts vergessen", unterbrach Lóthiriel ihn kurzerhand. "Wir sollten doch nicht vergessen, dass General Hilgorn gemeinsam mit Elphir für den Sieg in der ersten Schlacht von Linhir verantwortlich war?" Sie wandte sich kurz Duinhir zu. "Dass er das Heer angeführt hat, das Morthond vor den einfallenden Orks rettete? Dass er seinen eigenen Bruder als Verräter entlarvte und so eine gefährliche Verschwörung direkt vor unseren Mauern aufdeckte? Dass er Linhir vor dem erneuten Fall bewahrte und dabei beinahe in der Schlacht fiel? Dass er die Furten des Gilrain für Gondor hielt und anschließend in der Gefangenschaft Folter und Zauberei ausstand? Habt ihr das alles vergessen, und straft nun einen eurer getreuesten Gefolgsleute mit Missachtung?"
"Ich schließe mich dem an", ergriff Valion, der vorgetreten war, kurzentschlossen das Wort. "Wie soll eine Tat, zu der er durch dunkle Zauberei gezwungen wurde, Jahre des Dienstes ungeschehen machen? Ich habe an Hilgorns Seite gekämpft, und bürge für ihn." Hilgorn bemerkte kaum, dass Narissa und Aerien bei Valions erstem Satz einen raschen Blick tauschten. Seine Hände zitterten, und er wünschte sich, irgendwo zu sein, nur nicht hier.
Imrahil wirkte nun tatsächlich ein wenig verlegen, wollte aber dennoch etwas erwidern als Aragorn die Hand hob. "Ich werde selbst darüber entscheiden. Tretet vor, Hilgorn Thoron."
Hilgorn rührte sich zuerst nicht, denn seine Beine wollten ihm nicht gehorchen. Schließlich legte Faniel eine Hand auf seinen Rücken und schob ihn langsam nach vorne. Er bewegte sich wie in einem Traum, bis er schließlich vor dem König stand und auf die Knie gehen wollte. Aragorn jedoch bedeutete ihm, stehen zu bleiben, und sah ihm fest ins Gesicht. "Ich sehe keine Bosheit an euch", sagte er leise, und scheinbar mehr zu sich selbst als wirklich an Hilgorn gerichtet. "Was immer die Diener des Schattens getan haben... es ist vergangen." Er legte Hilgorn beide Hände auf die Schultern, und sagte lauter: "Erhebt euch, Hilgorn Thoron, als Ritter des geborstenen Schwertes."
Als Hilgorn sich neben Valion stellte, klopfte dieser ihm auf die Schulter, und sagte etwas, doch Hilgorn nahm es nicht wirklich wahr. Er hörte auch nicht mehr, was der König als nächstes sagte, denn er verspürte nur Erleichterung. Erleichterung, dass er nicht das geringste Bedürfnis verspürt hatte, Aragorn Leid zuzufügen, als er vor ihm gestanden hatte. In diesem Augenblick wagte er zum ersten Mal zu glauben, dass Arnakhôr tatsächlich keinerlei Macht mehr über ihn hatte.

Eandril:
Narissa trat ein wenig ungeduldig von einem Fuß auf den anderen, während Aragorn weiter sprach, jetzt wieder direkt an den ganzen Saal gerichtet.
"Der Krieg ist noch lange nicht vorüber, im Gegenteil - ich fürchte, vor uns allen liegen noch dunkle Tage. Doch vielleicht befinden wir uns an einem Wendepunkt. Und, Männer und Frauen Gondors, erinnert euch immer an eines: Hoffnung kann man selbst an den dunkelsten Orten und in den verzweifeltsten Momenten finden."
Mit diesen Worten trat er von seinem Platz an den Stufen des Thrones zurück, und langsam begann sich die Halle unter allgemeinem Raunen und Getuschel zu leeren. Während sich die Fürsten Gondors um den König scharten, wandte sich Hilgorn Narissa und Aerien zu. Sein eines Auge zeigte Neugierde, vor allem als sein Blick auf Aerien fiel.
"Wir sind einander ja bereits begegnet", begann er, den Blick auf Narissa gerichtet. "Auch wenn mir natürlich die Tragweite nicht bewusst war. Aber wir hatten noch nicht das Vergnügen", fügte er mit einer leichten Verbeugung in Aeriens Richtung hinzu.
"Mein Name ist Aerien... wie ihr ja sicherlich gehört habt", erwiderte Aerien ein wenig unbeholfen, und Hilgorn lächelte. Narissa kam nicht umhin zu bemerken, wie stark dieses Lächeln den Mann veränderte - vorher hatte sein einäugiges Gesicht ein wenig grimmig gewirkt, doch das Lächeln machte ihn um ein Vielfaches sympathischer.
"Ich denke, Förmlichkeiten sind jetzt überflüssig, oder? Unter uns bin ich einfach Hilgorn."
"Diese ganze Förmlichkeit ist sowieso nichts für mich", meinte Narissa. "Ehrlich gesagt kann ich es kaum abwarten, wieder nach Harad zurückzukehren, und mir darum keine Gedanken zu machen." Sie sagte es betont leichthin, und tat so, als spürte sie Aeriens Blick nicht, der sich in ihre Seite bohrte.
"Was führt dich zurück nach Harad?", fragte Hilgorn interessiert. "Der Krieg? Ein geheimer Auftrag von Edrahil?"
"Ihr... du kennst Edrahil also?", mischte sich Aerien wieder ein. Offenbar war sie nicht sehr erpicht darauf, über das Thema Harad zu sprechen. Hilgorn nickte, und antwortete: "Ich war früher Mitglied der Stadtwache, und hatte das ein oder andere mit ihm zu tun. Kurz bevor er nach Umbar aufbrach, haben wir gemeinsam einen Angriff auf die Stadt abgewehrt, was mir letztendlich meine Stellung als General eingebracht hat. Ich war froh zu hören, das er offenbar immer noch in Harad seine Netze gegen Mordors Anhänger spinnt."
"Von ihm stammt der ganze Plan, der uns hierher gebracht hat", sagte Narissa, doch bevor sie noch mehr sagen konnte, traten Aragorn, Thorongil und Valion zu ihnen. Nur einen Augenblick später schloss sich auch Amrothos und sein Vater ihnen an.
Ein wenig überrascht stellte Narissa fest, dass sich die Halle bis auf diese Gruppe inzwischen beinahe vollständig geleert hatte - lediglich Prinzessin Lóthiriel und Hilgorns Begleiterin standen noch in der Nähe der Türen, offenbar wartend.

"Ich hoffe, mein Sohn hat eure Kinder noch zu keinen allzu großen Untaten angestiftet", meinte Thorongil an Hilgorn gerichtet, der mit einem Lächeln abwinkte. "Sie sind beide sehr gut in der Lage, von alleine Unheil anzurichten - vor allem Iorweth." Er schüttelte mit einem kleinen Seufzer den Kopf, und fügte hinzu: "Macht euch darum nur keine Sorgen. Vor allem Iorweth tut es sicherlich gut, einen Spielgefährten in ihrem Alter zu haben."
Aragorn, der den kurzen Austausch geduldig abgewartet hatte, hob eine Hand. "Wir haben einiges zu tun. Sauron weiß über meine Anwesenheit in Gondor Bescheid, und er wird sie nicht lange dulden. Nach allem, was wir wissen, bleibt uns allerdings ein wenig Zeit, denn er ist im Augenblick auf einem Straffeldzug in Rhûn beschäftigt. Diese Zeit sollten wir nutzen."
Aus der Nähe fiel Narissa auf, dass der dunkle Ringe unter den Augen trug und tatsächlich erschöpfter wirkte als vor ihrer Ankunft in Dol Amroth. Sie fragte sich, ob er seitdem überhaupt geschlafen hatte.
"Wir sind uns einig, dass Gondor im jetzigen Zustand einem entschlossenen Angriff Mordors nicht lange standhalten wird", ergriff Imrahil das Wort. "Erst recht nicht, wenn der dunkle Herrscher selbst das Schlachtfeld betritt - zumindest hört man solche Gerüchte aus dem Osten."
Bei diesen Worten zuckte Narissa unwillkürlich zusammen, und ihr fiel auf, das allen anderen bei der Vorstellung ebenso unbehaglich zumute war wie ihr. Sie fürchtete sich nicht vor dem Kampf gegen Mordor, doch Sauron selbst... das war etwas anderes. "Wir brauchen Verbündete", fuhr der Fürst von Dol Amroth fort. "Die Rohirrim werden an unserer Seite stehen, nehme ich an?"
Aragorn nickte. "Ich habe mit Faramir und Königin Éowyn gesprochen, und wenn die Stunde kommt, werden sie alles, was in ihrer Macht liegt, tun um uns beizustehen. Doch es wird nicht reichen. Wir brauchen mehr Verbündete, und wir finden sie im Norden - und im Süden."
"Den Süden übernehme ich", sagte Narissa, ohne groß nachzudenken, und warf einen Seitenblick zu Valion. "Oder - wir?"
"'Rissa...", sagte Aerien leise, doch es klang bedrohlich. Narissa wandte sich ihr zu, ohne dem Zorn in Aeriens Augen auszuweichen. "Ich muss, Aerien. Ich wünsche mir, du kämest mit, aber..." Sie musste schlucken. "Wenn du nicht willst, dann werde ich alleine gehen müssen."
"Nicht ganz alleine", meinte Valion leise, doch in diesem Moment beachtete Narissa ihn nicht, sondern hielt ihren Blick auf Aerien gerichtet. Aeriens Wangenmuskel zuckte einmal, bevor sie sich abrupt abwandte.
Aragorn räusperte sich leise. "Es mag schmerzhaft sein, aber... ich spüre, dass dies tatsächlich der beste Weg ist. Narissa und Valion werden mit dem Auftrag nach Harad gehen, Malik Qúsay und Meister Edrahil dabei zu unterstützen, den Bruderkrieg so schnell wie möglich zu beenden und die Haradrim zu unserer Unterstützung nach Norden zu führen." Aerien blickte ihn an als wollte sie sagen das ist nicht dein Ernst.
Narissa legte eine Hand auf ihre Schulter, doch Aerien schüttelte sie mit einer knappen Bewegung ab.
Thorongil ergriff das Wort. "Ich werde ebenfalls nach Süden gehen, tun was ich kann. Melíril und Túor werden, mit eurer Erlaubnis, hier in Dol Amroth bleiben." Die letzten Worte waren an Imrahil gerichtet, der nickte und entgegnete: "Es wäre mir eine Ehre."
"Wir werden außerdem jemanden brauchen, der nach Norden geht, gemeinsam mit Gandalf", fuhr Aragorn fort. Amrothos hob ein wenig zurückhaltend die Hand. "Das wäre vielleicht eine Aufgabe für mich. Ich glaube, von uns bin ich der einzige, der sich ein wenig im Norden auskennt."
Er warf seinem Vater einen halb entschuldigenden Blick zu, doch Imrahil wirkte zufrieden. "Tatsächlich halte ich mein Sohn für überaus geeignet, Verbündete im Norden zu sammeln."
"Dann ist es beschlossen", meinte Aragorn. "Genaueres werden wir noch besprechen. Und was euch angeht, Hilgorn und Aerien: Ich spüre, dass euer Platz im Augenblick hier ist, in Gondor. Wir werden auch hier Schwerter brauchen und jene, die den Menschen Hoffnung geben."
Er ließ den Blick von Aerien zu Narissa schweifen, und sagte dann: "Wir werden uns später treffen um genauere Pläne zu schmieden. Für den Augenblick hätte ich jedoch gerne mit Aerien und Narissa allein gesprochen."

Als sie schließlich allein waren, ließ Aragorn sich langsam auf die Stufen des Thrones sinken, während Narissa und Aerien unsicher stehen blieben.
"Meine Freunde", begann Aragorn leise. "Meine Retterinnen. Ich trenne euch nicht gerne von einander, und ich tue es nicht mutwillig. Mein Herz sagt mir, dass dies der beste Weg für euch ist, auch wenn es schmerzhaft sein mag. Doch es ist nie gut, im Streit auseinander zu gehen. Gebt euch nicht gegenseitig die Schuld dafür, dass es euch auch an unterschiedliche Wege zieht - Wege trennen sich, und sie vereinen sich wieder. Das ist noch lange kein Ende."
Als weder Aerien noch Narissa etwas sagten, seufzte Aragorn leise. "Sprecht miteinander, bevor es soweit ist. Schweigen... ist Gift. Und gerade in diesem Fall ist es wichtig, einander die Wahrheit zu sagen." Narissa hatte das Gefühl, dass Aragorn sie mit den letzten Worten direkt angesprochen hatte, und sie wusste auch, worum es ging. Doch sie bezweifelte, dass sie tatsächlich tun konnte, was er sich vorstellte.

Sie schwiegen noch den ganzen Weg zurück zu ihren Zimmern, und als Narissa ein wenig unschlüssig auf dem Gang stehen blieb, wandte Aerien sich in der Tür um und sagte: "Nun komm schon mit rein. Ich werde dir nicht den Kopf abreißen." Da es nur einen Stuhl in dem Zimmer gab, ließ Narissa sich schließlich Aerien gegenüber auf der Bettkante nieder.
"Ich..." "...muss nach Harad gehen", beendete Aerien den Satz für sie. "Ja, ich weiß. Aber ist es denn wichtig, wer Sûladan am Ende tötet? Wenn Qúasy ihn in die Finger bekommt, ist er genauso tot, wie wenn du es tust."
"Das weiß ich", entgegnete Narissa heftig, und atmete dann tief durch. "Aber... es würde sich nicht einfach nicht richtig anfühlen. Sûladan... ohne ihn würde ich nicht existieren, doch gleichzeitig ist er verantwortlich für alles Schlechte in meinem Leben. Er hat mir die Männer weggenommen, die ein Vater für mich waren - Yaran und meinen Großvater. Er hat meine Heimat zerstört, zuerst die in Qafsah und dann die auf Tol Thelyn. Er hat meine Mutter jahrelang eingesperrt bis sie... bis sie..." Narissa konnte nicht weitersprechen, und als sie sich mit der Hand über das Gesicht fuhr, spürte sie, dass ihre Wangen feucht waren.
"Sûladan hat mehr als einmal alles Gute in meinem Leben zerstört", fuhr sie schließlich fort. "Und deshalb muss ich es selbst tun. Verstehst du?"
"Rache wird nichts davon zurückbringen", erwiderte Aerien leise. "Aber sie könnte dich zerstören."
Narissa schniefte, und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen von den Wangen. "Das werde ich nicht zulassen. Und du weißt, wenn ich mir einmal etwas vorgenommen habe..." "Dann bringt dich nichts in der Welt davon ab", ergänzte Aerien, und lächelte schwach, bevor sie sich neben Narissa auf die Bettkante setzte, und ihr einen Arm um die Schultern legte.
"Ein nicht allzu kleiner Teil von mir will auch unbedingt mit dir nach Harad zurückgehen", sagte sie. "Denn dummerweise liebe ich dich eben."
"Und ein großer Teil von mir würde am liebsten mit dir hier bleiben", entgegnete Narissa, und lehnte den Kopf sanft gegen Aeriens. "Denn, vielleicht wusstest du es noch nicht, aber ich liebe dich schließlich auch, Sternchen. Aber... es scheint, als hätte das Schicksal andere Pläne mit uns. Normalerweise glaube ich ja nicht an so etwas, aber..."
"Hm", machte Aerien. "Versprich mir nur eins: Dass du heile wieder zu mir zurückkommst. Und ich werde diesem Valion sagen, dass er ja dafür sorgen soll, dass du in einem Stück bleibst."
Narissa schnaubte ein wenig verächtlich. "Wahrscheinlich werde ich eher dafür sorgen müssen, dass er in einem Stück bleibt." Sie wurde rasch wieder ernst. "Ich verspreche es dir. Und du versprichst mir, dass du in der Zeit auf dich acht gibst. Lass dich lieber nicht täuschen - auch die Menschen von Gondor sind nur das: Menschen."
"Ich werde auf mich achtgeben", versprach Aerien. "Wie sollte ich sonst überprüfen, ob du dein Versprechen einhältst?"
"Das ist ein guter Punkt", meinte Narissa leise, und atmete tief durch. "Hör mal, es gibt etwas, das ich dir noch erzählen muss. Ich..." Sie brach ab. Sie fühlte Aeriens warme Schulter an ihrer, den Arm, der um ihre Schultern lag und... brachte es nicht fertig. Stattdessen räusperte sie sich verlegen. "Vielleicht ein anderes Mal. Ist nicht so wichtig."
Aerien löste sich ein wenig, und blickte ihr ins Gesicht. "Es hörte sich aber wichtig an, 'Rissa."
"Nein, es..." Narissa schloss kurz die Augen, und atmete erneut tief durch. "Vielleicht. Aber... jetzt ist kein guter Zeitpunkt. Ich verspreche, ich erzähle es dir, bevor ich aufbreche."

Fine:
Am folgenden Abend nahmen Narissa und Aerien als Ehrengäste an einem offiziellen Bankett zur Feier der Rückkehr Aragorns auf den Thron teil. Aerien erinnerte sich später nur noch ungenau an das Fest, es wurden viele Reden geschwungen und für sie bedeutungslose Worte gemacht. Der König selbst hielt sich im Hintergrund, und der Zauberer Gandalf war der Veranstaltung ganz fern geblieben. Das Einzige, was ihr im Gedächtnis geblieben war, war ein Gespräch, das sie mit Valion gehabt hatte, als dieser sie gegen Ende des Abends überraschend zum Tanz aufgefordert hatte. Aerien wusste, dass es sich nicht schickte, eine Einladung von einer so wichtigen Person abzulehnen, aber beinahe hätte sie darauf gepfiffen. Sie war müde und fühlte sich nicht gut. Sie wollte nicht daran denken, dass Narissa bald ohne sie nach Harad ziehen würde. Aber Valion hatte etwas so entwaffnendes an sich, dass sie seinen Aufforderungen schließlich nachgab.
Für einen so großspurigen Kerl war der junge Fürst vom Ethir ein erstaunlich guter Tänzer. Aerien - die natürlich die höfischen Tänze Gondors kaum kannte - konnte ihm getrost die Führung überlassen. Um sie herum mischten sich die Adeligen Dol Amroths; hier und da sah Aerien ein vertrautes Gesicht wie das von Minûlîth, das der Fürstin Silberglanz oder das von Hilgorn, der mit seiner Frau ebenfalls die Tanzfläche betreten hatte. Von Narissa fehlte jede Spur, denn sie hatte sich mit Ta-er in eine ruhige Ecke zurückgezogen, um die Attentäterin über alles auszuquetschen, was es über die aktuelle Lage in Harad zu wissen gab.
Das blausilberne Kleid das Aerien trug, flatterte, als Valion sie herumwirbelte. "Es gefällt dir nicht, dass Narissa nach Harad geht, so viel kann jedermann sehen," stellte er fest. "Du hast die Angst, dass sie in ihr Verderben rennt."
Aerien machte einen Schritt nach vorn, so wie es der aktuelle Tanz erforderte. "Nein. Ich habe Angst, dass ihre Rachsucht sie umbringt."
"Das bedeutet doch das Gleiche," erwiderte Valion. "Aber lass mich dir das Herz ein wenig leichter machen. Narissa wird nicht alleine gehen. Sie wird äußerst fähige Verbündete haben, Kleine."
Sie musterte Valion misstrauisch. "Du sprichst von dir selbst."
"Oh, nicht nur," antwortete Valion lächelnd und ließ seinen Fuß nach rechts gleiten, Aerien an der Hüfte mit sich schiebend. "Denk nur mal an Edrahil. Er wird dafür sorgen, dass nichts schief gehen wird. Er steckt doch hinter eurem Kunststück in Mordor, nicht wahr? Und ist das schief gegangen?"
"Beinahe," beharrte Aerien und ließ zu, dass er sie für einen Moment rückwärts tief herab sinken ließ und dann wieder zu sich in seinen Arm hob. "Es stimmt, Edrahil hat den Plan entworfen. Aber andere haben dafür gesorgt, dass er auch funktioniert hat. Gimli, Aino... Karnûzîr."
Valion nickte. "Nun, damit hast du Recht. Dieses Mal jedoch wird es anders sein. Edrahil ist dort unten, in Harad, und er wird mit Narissa gehen, dafür sorge ich schon. Und er wird nicht der Einzige sein. Zwar wird Ta-er as-Safar noch in Gondor bleiben, aber sie ist nur eine von vielen Kriegern des Silbernen Bogens. Du bist bei ihnen gewesen, nicht wahr? Ich werde sie bitten, Narissa beizustehen, wenn wir nach Tol Thelyn kommen. Und dann ist da noch jemand ganz besonderes..."
"Wer?" wollte Aerien wissen.
"Meine Zwillingsschwester. Valirë. Die beste Kämpferin die ich kenne. Narissa kann viel von ihr lernen."
Aerien zögerte einen langen Augenblick und wäre dabei beinahe aus dem Tanzschritt gekommen. Valion legte den Arm um ihre Taille und führte sie überraschend sanft in die richtige Position, gerade noch rechtzeitig ehe sie über ihre eigenen Füße stolpern konnte. "Du musst mir eines versprechen," verlangte sie, nachdem der Moment verstrichen war.
"Und das wäre?"
Aeriens Hand, die auf Valions Schulter lag, drückte bei den folgenden Worten etwas fester zu, so ernst meinte sie es. "Dass du Narissa mit deinem Leben beschützt. Versprich es mir, bei deiner Ehre."
Valion blickte sie mit einer Mischung aus Überraschung und Verstehen an, dann nickte er langsam. "So ist das also," murmelte er, ehe er wieder sein charakteristisches schiefes Lächeln im Gesicht hatte. "Ich verspreche es dir, Aerien. Wenn ich Narissa durch mein Leben oder meinen Tod schützen kann, dann werde ich es tun... und wenn sie sich noch so sehr dagegen wehrt, sich helfen zu lassen."
"Oh, ja, das wird sie wohl," pflichtete Aerien ihm bei und musste verlegen lächeln. Wie recht er hatte, ahnte er wohl gar nicht.

Sie bewegten sich tanzend zur Mitte des Raumes und eine Gesprächspause trat ein. Aerien bemerkte, dass Valion sie neben Hilgorn und dessen Frau, Faniel, manövriert hatte.
"Wundervoller Abend, nicht wahr?" fragte Valion gut gelaunt und erntete einen etwas irritierten Blick von Hilgorn, Faniel hingegen lächelte.
"Das ist er in der Tat," sagte sie freundlich."
Aerien sah wie Valion grinste und in seinen Augen blitzte der Schalk auf. Sie erstarrte, als er ihre Hände ohne Vorwarnung losliess, gerade als der Tanz eine komplizierte Drehung der Damen erfordert hätte. "Du entschuldigst, Hilgorn," hörte Aerien Valion frech sagen, dann ertönte ein überraschtes "Huch!" von Faniel, Aerien wurde zweimal um die eigene Achse gedreht und fand sich Auge in Auge mit Hilgorn wieder, die Hand auf seiner Schulter, und seine Hand an ihrer Taille.
"Ich borge mir deine Liebste nur für ein Weilchen aus!" lachte Valion, der Faniel im Arm hielt und mit ihr davontanzte, ehe Aerien oder Hilgorn etwas dagegen unternehmen konnten. Weitere Paare in der Nähe näherten sich und zwangen die beiden, um ihr Gesicht zu wahren, miteinander weiter zu tanzen.
"Dieser... Mistkerl," murmelte Aerien. "Tut mir Leid... ich wollte damit nicht andeuten..."
"Dass du nicht mit mir tanzen möchtest?" vollendete Hilgorn den Satz. "Schon gut; so habe ich es nicht aufgefasst." Er seufzte. "Das ist noch einer von Valions harmloseren Streichen. Ich schlage vor, wir machen das Beste draus." Mit diesen Worten trat er Aerien beherzt auf den linken Fuß.
Sie unterdrückte einen Schmerzenslaut. Anscheinend war Hilgorn kein ganz so virtuoser Tänzer wie Valion. "V-verzeih!" murmelte er hastig und führte sie etwas aus dem Zentrum der Tanzfläche heraus. "Ich ahne so langsam, dass ich mich bislang beim Tanz etwas zu sehr auf Faniel verlassen habe, die meine Fehltritte kommen sieht und sie korrigiert..."
"Es... es geht schon," sagte Aerien beschwichtigend. "Lass mich dir helfen, ich glaube ich habe mittlerweile verstanden, welche Schritte wann dran sind, und ganz so verschieden sind die gondorischen Tänze erstaunlicherweise auch gar nicht von denen in ..." Sie brach erschrocken ab und wäre beinahe aus dem Tritt gekommen.
"In...?" fragte Hilgorn verwundert, und musterte sie mit zusammgenzogenen Brauen.
"Ich... nun, was ich damit sagen wollte," beeilte sich Aerien zu sagen, "Ich glaube, du hast vorhin den linken Fuß mit dem rechten verwechselt und dich in die falsche Richtung bewegt, nämlich nach vorne, dabei wärest du mit einem Rückschritt dran gewesen."
"Sieh an," sagte Hilgorn ruhig. "Vielleicht sollte ich dir wirklich die Führung überlassen? Das wäre gar nicht verkehrt." Er überspielte damit den unangenehmen Moment ein wenig. "Aber trotzdem habe ich für meinen Teil habe für's Erste genug vom Tanz, mir ist nach einer Erfrischung. Begleitest du mich?"
Sie bahnten sich ihren Weg von der Tanzfläche herunter und in Richtung der Tische, an denen sie zuvor gesessen und gespeist hatten. Pagen waren noch immer damit beschäftigt, dort Getränke bereitzustellen, selbst nachdem der Großteil des Essens und Bestecks bereits abgeräumt worden war. Hilgorn und Aerien setzen sich nebeneinander und griffen beide gleichzeitig nach einer großen Glaskaraffe, die mit klarem Wasser gefüllt war. Ihre Hände berührten sich und beide mussten lachen. "Ich habe das Gefühl, wir ähneln uns ein wenig," sagte Aerien, nachdem sie ihm den Vortritt gelassen hatte und Hilgorn im Gegenzug ihnen beiden je ein Glas Wasser eingeschenkt hatte.
"Du spielst auf einen Sinn der Vernunft an," stellte Hilgorn fest. "Das mag sein. Deine Freundin, Narissa, sie... kommt mir wiederum ähnlich ungestüm wie der gute Valion vor."
Damit sprach er aus, was auch Aerien bereits aufgefallen war. Wie um die Aussage zu bestätigen tauchte nun Faniel vor ihnen auf, während im Hintergrund Valion zu sehen war, der mittlerweile mit Narissa tanzte. Ganz offensichtlich war deren Gespräch mit Ta-er as-Safar vorbei, auch wenn die Attentäterin nirgends zu sehen war. Aerien kicherte, als sie sah, dass Valion seine liebe Mühe mit Narissas Tanzkünsten - oder der Abwesenheit davon - hatte. Doch rasch wurde sie wieder ernst, als sich Faniel neben ihren Mann setzte und sagte: "Ich fürchte, wenn die beiden gemeinsam nach Harad gehen, dann... stacheln sie sich gegenseitig zu irgendwelchen halsbrecherischen Heldentaten an..."
Hilgorn zog die Brauen zusammen und starrte nachdenklich in Richtung der Tanzfläche, als würde er etwas ähnliches vermuten. Doch Faniel sagte leise: "Und ich bin mir sicher, Meister Edahil wird dafür sorgen, dass sie sich dabei nicht in zu große Gefahr begeben. Nicht wahr, Hilgorn?"
"Oh. Ja, natürlich wird er das," bestätigte Hilgorn und seine Miene entspannte sich wieder ein wenig.
Aerien folgte seinem Blick. Mittlerweile schien Narissa den Dreh etwas besser herausbekommen zu haben, und Aerien sah ihr an, wie gut es ihr tat, ausgelassen zu sein und alle düsteren Gedanken für ein paar kostbare Augenblicke lang zu vergessen. Vielleicht... passen sie ja doch besser zusammen als ich befürchte, gestattete sie sich zaghaft zu hoffen.


Aerien, Narissa, Valion, Lóminîth, Imrahil, Hilgorn und Thorongil zum Hafen

Fine:
Aerien aus der Bilbiothek des Túronn
Hilgorn, Faniel und Minûlîth aus der Stadt


Gandalf und Thandor hatten sich in einen abgeriegelten Winkel der Bibliothek zurückgezogen, um alle noch unentschlüsselten Hinweise in dem alten Buch sowie möglichen anderen Quellen aufzudecken, die sie über die Eid-Steine noch finden konnten. Der Zuaberer hatte Aerien gebeten, nachdem er sich seiner Sache sicher geworden war, den König - Aragorn - über den bisherigen Stand der Dinge zu informieren. So hatte sie sich auf den Weg zum Palast von Dol Amroth gemacht, und war dort angekommen, als die Sonne langsam zu sinken begonnen hatte.

Mittlerweile waren sowohl ihr Gesicht als auch ihr Name bei den Wachen gut bekannt. So wurde sie zwar ohne Widerstand jederzeit hinein gelassen, doch obwohl Aerien sich sicher war, dass nur ein ausgewählter Kreis an Personen über ihre wahre Herkunft informiert war, gab es doch den ein oder anderen schiefen oder fragenden Blick, der in ihre Richtung geworfen wurde. Sie seufzte innerlich, nach außen hin ließ sie sich nichts anmerken. Sie beschloss, es den Soldaten nicht nachzusehen. Sie hatten ihr ganzes Leben lang Mordor als ständig wachsende Bedrohung erlebt, die letzten Endes wie eine Welle über das östliche Gondor geschwappt war, und die Hälfte des Reiches noch immer fest im Griff hielt.

Aragorn zu finden stellte sich als nicht sonderlich schwer heraus. Nachdem Aerien den großen Saal des Fürsten leer vorgefunden hatte, machte sie sich auf den Weg zu Imrahils Solar und wurde sogleich fündig. Sowohl König als auch Fürst waren dort, und unterhielten sich über ein Thema, das Aerien durchaus interessierte: Umbar.
"Die Flotte sollte nicht sofort von Umbar aufbrechen," sagte der König gerade, als Aerien hereinkam. Aragorn hielt einen kleinen, noch halb zusammengerollten Brief in den Händen, der sie an eine der Botschaften erinnerte, die man Kuriervögeln an die Beine band. "Wir müssen wissen, wie es um die Stadt stehen wird, wenn dieser Kriegsherr der freien Haradrim seine Streitmacht abgezogen hat."
"Er hat Gondor die Treue geschworen," erklärte Imrahil. "Als Vasall der Krone in der Rolle des Fürsten von Harondor."
"Das mag stimmen, aber über die Lande jenseits des Harnen herrschte er als unabhängiger Monarch, nicht wahr?" hakte Aragorn nach. "Und Umbar scheint er nun ebenfalls als sein Eigentum zu betrachten. Doch dies ist ein Punkt, der noch besprochen werden muss. Umbar gehört mit Fug und Recht der Krone des Südreiches, und ich gedenke, diesen Anspruch durchzusetzen, sofern wir über den Schatten im Osten triumphieren. Ich dachte daran, den Herrn des Turms von Tol Thelyn zum Fürsten zu erheben, gleichgestellt mit den Fürstentümern Pelargir, Dol Amroth und Harondor, und ihm Umbar und die Umlande anzuvertrauen. Bis Umbar verloren ging, herrschten dort ebenfalls Fürsten in Gondors Namen, und die Turmherren haben sich als treue Verbündete erwiesen - eine Treue, die ich zu belohnen weiß."
"Es wird schwierig sein, Qúsay davon zu überzeugen, Umbar abzutreten, das er doch gerade erst unter großen Verlusten erobert hat," wandte Imrahil ein.
"Die Meinung des Herrn der Spione wird von unschätzbarem Wert sein," sagte Aragorn, nachdem er einen Augenblick über die Angelegenheit nachgedacht hatte. "Ich möchte, dass er nach Dol Amroth zurückkehrt. Nachdem ich so viel ihm gehört habe, wäre es mir eine Freude, ihn persönlich sprechen zu können."
Imrahil nickte. "Ich werde Edrahil einen Vogel senden und ihn darüber informieren." Der Fürst wandte sich Aerien zu. "Was gibt es?" fragte er freundlich, aber dennoch ernst.
"Ich komme gerade aus Eurer fürstlichen Bibliothek, Herr," sagte Aerien förmlich. "Ich bringe Neuigkeiten von Gand...von Mithrandir."

Sie erzählte Fürst und König von den Geheimnissen, die Gandalf und Thandor in Erfahrung gebracht hatten. Imrahil war das Erstaunen ein wenig anzusehen, Aragorn hingegen blieb ruhig.
"Dass der Stein von Erech ein solch mächtiges Relikt sein soll übersteigt alles, was ich erwartet hatte," gestand der Fürst ein. "Ich habe den Stein oft gesehen, doch wie die meisten hielt ich ihn nur für ein Überbleibsel von Westernis - geheimnisvoll, aber machtlos."
Aragorn sah Aerien an und sagte: "Als ich dort stand, und... die Eidbrecher dazu aufrief, mir nach Pelargir zu folgen, da spürte ich, dass hier nicht nur meine Willenskraft und mein Erbe als Isildurs Nachkomme am Werke waren. Nun kenne ich die Antwort dieses Rätsels. Allerdings ist dies nicht der erste Eid-Stein, den ich in meinem Leben gesehen habe. Der Landassar von Dorwinion... es muss der grüne Stein sein, der tief in den Fluten des Binnenmeere von Rhûn ruht. Auf meinen Reisen in den Osten und Süden, nachdem ich mein Werk in Gondor unter dem Namen Thorongil vollendet hatte, sah ich vielerlei ungewöhnliche und absonderliche Dinge... doch nichts beeindruckte mich mehr als die geheimnsvollen Kavernen tief unter den umtosten Wassern des Binnenmeeres."
Aerien und Imrahil tauschten einen Blick aus; beide waren sich nicht ganz sicher, was der König damit meinte. "Was fangen wir nun mit diesen Informationen über die Steine an?" fragte Imrahil schließlich.
"Wir tun, was Gandalf geraten hat," sagte Aragorn. "Der Feind darf niemals davon erfahren. Schon einmal zuvor hat er einen Eid-Stein gegen mein Volk gewendet, als er den Tauressar korrumpierte und den Fall Rhudaurs dadurch auslöste. Er muss in den Glauben bleiben, dass dieser Stein ein Unikat war, das nun verloren ist. An unserer Strategie ändert sich nichts, aber dennoch bin ich froh, dass Gandalf dieses alte Geheimnis nun ergründet hat." Er machte eine nachdenkliche Pause, dann sagte er: "Der Fürst von Harondor war bei meiner Krönung nicht zugegen und hat womöglich noch gar nicht davon erfahren. Sobald es die Kriegslage erlaubt, wünsche ich ihn zu sprechen. Er muss sich der Krone Gondors beugen und mir die Treue schwören... am Eid-Stein von Erech."
Aerien war sich nicht sicher, wie gut diese Entscheidung bei Qúsay ankommen würde, den sie zwar als gerecht und gut, aber auch als stolz und freiheitsliebend kennengelernt hatte. Dennoch legte sie keinen Widerspruch gegen Aragorns Worte ein - er war der König, und er hatte entschieden. Aerien war sich sicher, dass sich seine Wahl am Ende als richtig herausstellen würde.

Als Aerien sich gerade verabschieden wollte, stand mit einem Mal Minûlîth in der Tür, die dort wohl geduldig abgewartet hatte, bis König und Fürst Zeit für sie hätten. Bei ihr waren Faniel und Hilgorn, die nun nacheinander herein kamen und vor Aragorn das Haupt beugten, sich allerdings dann an Imrahil wandten. Hilgorn sprach von einem Brief, den er aus seiner Heimat erhalten habe und in dem seine Mutter ihn bat, sie baldmöglichst aufzusuchen. Anscheinend ging es um eine Art Erbstreitigkeit, die Faniels Sohn Belegorn um einen rechtmäßigen Teil seines ererbten Grundbesitzes bringen würde, wenn nichts unternommen werden würde.
"Ich erbitte die Erlaubnis, nach Tûm-en-Dín reisen zu dürfen, mein Fürst," schloss Hilgorn sein Anliegen ab.
"Erneut ruft dich die Heimat, wie es scheint," sagte Imrahil. "Als du zuletzt in jener Angelegenheit loszogst, gerieten Ereignisse ins Rollen, die letzten Endes zu deiner Heirat führten" Imrahil sah bei diesen Worten Faniel wohlwollend an, die etwas verlegen beiseite blickte. "Ich bin gespannt, was sich dieses Mal ergeben wird, Hilgorn. Meine Erlaubnis hast du." Nachdem er dies gesagt hatte, blickte Imrahil abwartend in Aragorns Richtung, der bislang ohne ein Wort zu sagen dem Anliegen gelauscht hatte.
"Ich vertraue dem Urteil des Truchsessen," sagte er knapp und Aerien kam es vor, als wäre Aragorn mittlerweile mit anderen Gedanken beschäftigt. Sie fragte sich, worum es dabei wohl gehen mochte. "Die Reise in Eure Heimat steht Euch frei."
Hilgorn und Faniel verbeugten sich dankbar, dann, wie auf ein unausgesprochenes Zeichen, blickten sie beide in Aeriens Richtung - Hilgorn mit sichtlich gemischten Gefühlen, Faniel mit einem warmen Lächeln. Als jedoch keiner von beiden etwas sagte, war es schließlich Minûlîth, die die Stille mit einem leisen Lachen unterbrach. "Also bleibt es nun doch an mir hängen, sie zu fragen, ob sie euch begleiten möchte?" sagte sie mit erhobenen Augenbrauen und schüttelte mit spielerischer Enttäuschung den Kopf, dann kam sie zu Aerien und legte ihr die Hände an die Schultern. "Ich dachte mir, es würde dir gut tun, ein wenig aus dem Trubel der Stadt herauszukommen und mehr vom ländlichen Gondor zu sehen. Würde dir das gefallen?" sagte sie, wie eine Mutter, die zu ihrem Kind spricht.
Aerien warf Hilgorn und Faniel einen zaghaften Blick zu, denn wirklich gut kannte sie die beiden zwar noch nicht, aber besonders Faniel war ihr ein wenig ans Herz gewachsen, und auch Hilgorn war keine üble Gesellschaft. Faniel sagte: "Wir würden uns über deine Begleitung und Unterstützung freuen."
Nun war es Aragorn, der das Wort ergriff. Er trat zu Mînulîth und lächelte, nun anscheinend frei von seinen ablenkenden Gedanken. Ein unausgesprochenes Verständnis schien zwischen den beiden stattzufinden, als sich ihre Blicke begegneten. "Ich stimme diesem Vorschlag voll und ganz zu," sagte er. "Aerien, du bist ebenfalls freigestellt, um Hilgorn bei seinem Anliegen zu unterstützen. Ich werde deine Hilfe hier in Dol Amroth erneut benötigen, aber für den Augenblick scheint es, dass sowohl Gandalf als auch ich für eine kurze Weile auf dich verzichten können. Diese Reise wird dir gut tun, das spüre ich."
Und mir helfen nicht ständig an Narissa zu denken, dachte Aerien und ein Blick in Mînulîths Gesicht zeigte ihr, dass die Herrin des Turms genau dies insbesondere beabsichtigt hatte. Aerien spürte, wie sie rot wurde. War sie wirklich ein so offenes Buch, was ihren Gefühlszustand anging? Eigentlich hatte sie gedacht, ihre Emotionen nach außen hin meisterlich unter Kontrolle zu haben. Aber sowohl Mînulîth als auch Aragorn schienen die Fähigkeit zu besitzen, hinter Aeriens sorgfältig errichteten Schleier zu blicken, wann immer sie es beabsichtigten.
"Dann ist es also beschlossen," sagte Hilgorn langsam. "Wir werden morgen bei Sonnenaufgang aufbrechen."

Die Nacht verbrachte Aerien in der Gesellschaft Minûlîths, Hilgorns und der beiden dazugehörigen Familien. Es war ein ruhiger, schöner Abend, an dem wenig Ernstes gesprochen und stattdessen Geschichten erzählt, Lieder gesungen und Spiele gespielt wurden. Und obwohl die Stimmung entspannt und froh war, kam Aerien dennoch nicht darüber hinweg, sich zu wünschen, dass Narissa all dies nicht verpassen würde. Tausend Sorgen um ihre Freundin belagerten ihr Herz. Viel konnte auf dieser gefahrvollen Reise nach Süden geschehen. Was wenn Narissa und Valion Schiffbruch erlitten, oder Umbar aus einem anderem Grund gar nicht erst erreichten? Und selbst wenn sie sicher dort ankamen, wie viele weitere Gefahren würden sich ihnen auf ihrem Weg durch den Krieg in Harad bis hin zu der unerreichbar scheinenden Gestalt Sûladans in den Weg stellen?
Aerien gab sich einen innerlichen Ruck und versuchte, sich auf ihre eigene, bevorstehende Mission zu konzentrieren. Als der junge Belegorn vorbeirannte, der von seiner Schwester und Mînulîths Sohn Túor als Teil irgend eines Spiels durch den Raum gejagt wurde, nickte Aerien und wisperte: "Wir werden nicht zulassen, dass dir irgendjemand dein Erbe stiehlt..."


Hilgorn, Aerien und Ladion nach Túm-en-Dín

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