Nach dem Sieg über die angreifenden Haradrim und Corsaren hatte Edrahil zwei Tage im Lazarett verbracht, weil sein Bein noch immer zu zittern begann, wenn er es belastete.
Nachdem die Verstärkungen Dol Amroths den Feinden in den Rücken gefallen waren, waren diese in Panik geraten, und ihre Reihen begannen sich aufzulösen. Drei der Transporter waren gesunken und drei weitere waren den Soldaten der Stadt in die Hände gefallen, und nur einem von sieben war die Flucht gelungen. Von den fünfundzwanzig angreifenden Kriegsschiffen waren acht gesunken und ein weiteres irreparabel beschädigt, doch sieben waren von den Verteidigern aufgebracht worden. Lediglich acht Kriegschiffe hatten entkommen können, allerdings beschädigt und mit großen Verlusten unter den Mannschaften.
Die von Land angreifende Truppe hatte es sogar noch schlimmer getroffen. Höchstens hundert Mann hatten fliehen können und wurden nun von Reitertrupps gejagt, sodass sie höchstwahrscheinlich nicht endgültig entkommen würden. Der Rest war entweder tot oder gefangen genommen worden.
Nun, drei Tage nach der Schlacht, saß Edrahil auf einem Stuhl an Imrahils linker Seite, auf einer Empore am Westende des großen Saales. Zu Imrahils Rechter saß Prinz Elphir, und hinter ihnen standen die anderen Kinder Imrahils, Prinz Erchirion, sein mittlerer Sohn, und Prinzessin Lóthiriel, sowie Hilgorn, der Hauptmann der Garnison von Dol Amroth.
Erchirion war aus Ethring im Ringló-Tal, wo er als Gast im Haus von Fürst Dervon vom Ringlótal gewesen war, zu seinem Vater gestoßen und hatte mit diesem den Angriff in den Rücken des Feindes angeführt.
Der Saal füllte sich mit Adligen, Hauptleuten und anderen einflussreichen Männern, die gekommen waren, um den jüngsten Sieg über die Streitkräfte Suladans zu feiern. Edrahil ließ den Blick über die Menge schweifen, und erblickte mehrere andere Fürsten der südlichen Lehen: Imrahils Gefolgsleute Amros von Edhellond, der persönlich die Flotte in der Schlacht befehligt hatte, und Ardamir von Belfalas waren ebenso gekommen wie die Golasgil, der Herr von Anfalas, dessen Land bisher von Angriffen größtenteils verschont geblieben war, Elatan, der Herr der Pinnath Gelin, Fürst Angbor von Lamedon, Duilin von Morthond, dem man die Trauer über den Verlust seiner Söhne in der Schlacht auf dem Pelennor noch ansah, sowie Dervon, der Herr über das Ringlótal, der mit seinem Sohn Dervorin gekommen war.
Als der Saal sich gefüllt hatte, erhob sich Imrahil.
"Wir sind heute hier zusammengekommen, um erneut einen Sieg über die Streitkräfte des Bösen zu feiern. Erneut versuchten die Diener Mordors, die Haradrim und die Corsaren aus Umbar, unsere Stadt einzunehmen und unsere Frauen und Kinder zu erschlagen oder als Sklaven wegzuführen."
Bei diesen Worten zuckte Edrahil leicht zusammen, denn sie erinnerten ihn an die, die er vor langer Zeit an ebenjene Feinde verloren hatte. Imrahil fuhr fort: "Doch wider allen Hoffens ist es uns nun erneut gelungen, unsere Feinde zu vertreiben, und ihnen sogar eine empfindliche Niederlage zu bereiten. Dies wäre nicht möglich gewesen ohne die Tapferkeit und Besonnenheit jener, die die Verteidigung führten und die Falle, die unsere Feinde uns gestellt hatte, gegen sie zu richten wussten. Hilgorn, Hauptmann der Garnison von Dol Amroth!", rief er aus.
Hilgorn trat vor Imrahil hin und sank auf ein Knie nieder. "Ihr habt die Truppen am Tor geführt, und nur Dank eurer klugen Führung gelang es uns, unsere Feinde in die Falle zu locken. Hierfür danke ich euch im Namen der ganzen Stadt und erhebe euch in den Rang eines Herren. Ihr werdet von mir ein Stück Land an der westlichen Küste von Belfalas zum Lehen erhalten, und, sofern ihr das Kommando annehmt, den Oberbefehl über sämtliche Landstreitkräfte westlich der Berge von Dor-en-Ernil. Nehmt ihr diese Ehre an?"
Hilgorn erhob sich und erwiderte: "Mein Herr erweist mir mehr Ehre, als ich verdiene, doch ich werde sie annehmen. Ich danke euch, mein Herr."
"Nun möge der vortreten, der die Stadt in meiner Abwesenheit geführt hat, und die Verteidigung des Hafens befehligte. Elphir, mein Sohn und Erbe!" Elphir trat vor, und auch er sank vor seinem Vater auf die Knie. "Ohne deine Taten am Hafen und deine umsichtige Herrschaft über die Stadt wäre dieser Sieg unmöglich geworden. Hierfür danke ich dir, als Vater wie als Fürst, und erhebe dich zu einem Oberbefehlshaber der Truppen von Dol Amroth und zum Truchsessen der Stadt!" Elphir erhob sich und blickte seinem Vater ins Gesicht: "Ich danke euch, Vater, und nehme diese Ehren mit Freuden an.", und setzte sich wieder auf seinen Platz an der rechten Seite des Fürsten.
"Dank gebührt auch meinem Lehnsmann Amros von Edhellond, der unsere Flotte mit seinen eigenen Schiffen verstärkte und selbst das Kommando führte, und Fürst Dervon aus dem Ringlótal, der meine Truppe mit seinen Reitern verstärkte. Doch nun zu jenem Mann, der uns vor dem Angriff warnte, und die genauen Umstände aufdeckte: Edrahil von Belfalas!"
Edrahil erhob sich mühsam, trat vor Imrahil und ließ sich auf sein linkes Knie nieder.
"Ohne euch hätten wir nie von der Falle erfahren, die uns gestellt wurde, und wären blindlings hineingelaufen. Dol Amroth wäre gefallen, und alle Hoffnung für seine Bewohner wäre dahin gewesen. Doch ihr warntet uns, und ihr wart es auch, der den Plan entwarf, die Falle gegen unsere Feinde zu richten. Ihr habt mit eurem Verstand unseren Feinden eine schwere Niederlage zugefügt, und dafür erhebe ich euch zum Herrn über alle Länder zwischen Dol Amroth, Edhellond und den Bergen von Dor-en-Ernil, und erneuere euren Sitz im Rat des Fürsten!"
Edrahil verharrte noch eine Augenblick, dann kam er mühsam auf die Füße und blickte Imrahil fest in die Augen, als er sagte: "Vergebt mit mein Fürst, aber ich muss diese Ehre ablehnen." Verblüffung zeigte sich im Gesicht des Fürsten, und auch in allen anderen Gesichtern, doch Edrahil fuhr fort.
"Ich bedaure, auf einem Fest eine solche Ankündigung zu machen, doch es muss sein: Weder Harad noch Umbar noch Mordor sind in der Nacht vor drei Tagen besiegt worden, und es wird nicht lange dauern, bis wir erneut Krieg führen müssen. Doch unsere Feinde im Süden sind durch ihre Niederlagen geschwächt, und, wie ich erfahren habe, uneins. Wir haben nun möglicherweise die Gelegenheit, unsere Feinde im Süden zu spalten und vielleicht so den Krieg in ihre eigenen Lande verlagern. Dies kann jedoch nicht durch Heere und Feldzüge geschehen, sondern durch Diplomatie und Intrigen. Daher bitte ich euch, mein Fürst, um die Erlaubnis, nach Harad gehen zu dürfen. Ich fürchte, diese Angelegenheit ist so wichtig, dass ich in eurem Rat weniger von Nutzen wäre als im Süden. Habe ich eure Erlaubnis?"
Imrahil seufzte, und mit gelindem Erstaunen stellte Edrahil fest, dass es totenstill im Saal geworden war. Dann sagte der Fürst leise: "Ich hätte euch gerne hier an meiner Seite gehabt, mein Freund. Doch wenn es euer Wunsch ist, so lasse ich euch in meinem Auftrag nach Süden ziehen." Edrahil verneigte sich und erwiderte: "Ich danke euch, mein Fürst. Ich werde mein bestes geben, um dem Haus Dol Amroth zu dienen." Er hob die Stimme und wandte sich der Menge zu.
"Fürsten der südlichen Lehen, Volk Dol Amroths. Seit langer Zeit sind wir von Minas Tirith abgeschnitten, und haben so niemanden, der uns führt und das Königreich Gondor zusammenhält. Der letzte aus dem Haus der Truchsessen ist in Rohan, und somit weit entfernt von den Nöten und Sorgen seines Volkes. Wer soll uns also führen?
Ich schlage vor, das wir hier und jetzt, wo die Fürsten der Lehen versammelt sind, einen anderen Truchsess wählen, einen aus ihren Reihen, der uns im Kampf gegen das Böse anführen kann. Wen schlagt ihr vor?"
Für einen Moment herrschte Schweigen im Saal. Imrahil war auf seinen Sitz zurückgesunken, und Lóthiriel starrte Edrahil mit weit aufgerissenen Augen an. Dann erhob sich Golasgil von Anfals und sagte: "Ich stimme euch zu, Edrahil. Faramir ist weit entfernt und kann uns nicht als Truchsess anführen. Doch wir haben jemanden, der ein erfahrener Fürst und Soldat ist, den Herrn über die größte Stadt und die meisten Menschen des Südens, Imrahil, Fürst von Dol Amroth, und ich schlage ihn als neuen Truchsess von Gondor, den Truchsess des Südens, vor." Er setze sich wieder, und die Stille schien noch drückender zu werden.
Dann stand Elatan, der Herr der Pinnath Gelin, der mit Golasgil verwandt und mit Imrahil befreundet war, auf und meinte: "Golasgil hat Recht. Imrahil wäre ein besserer Truchsess als dieser grüne Junge Faramir, der keine Ahnung vom Regieren hat und überdies sein Volk im Stich gelassen hat. Ich stimme für Imrahil, Fürst von Dol Amroth als Truchsess von Gondor!"
Da stand Angbor von Lamedon auf und erwiderte: "Fürst Faramir ist inzwischen kein grüner Junge mehr, sondern ein erfahrener Heerführer. Er hat uns nicht im Stich gelassen, sondern wird zurückkehren, daran glaube ich. Außerdem ist er der letzte aus dem Haus der Truchsessen und hat somit den besten Anspruch auf dieses Amt. Ich werde nicht dabei mithelfen, ihn seines Erbes zu berauben, doch wenn Fürst Imrahil eure Wahl ist, werde ich ihm ebenso treu folgen wie ich Faramir folgen würde, denn wenn wir darüber entzweien, wir Sauron lachen und uns zerquetschen, während wir uns gegenseitig bekriegen oder tatenlos zusehen, wie andere kämpfen."
Auch Dervon von Ringló sprach gegen Imrahil, doch ähnlich abwägend wie Angbor, und Amros von Edhellond und Ardamir von Belfalas sprachen sich ebenso für Imrahil aus wie dessen Sohn Elphir. Schließlich wandte sich Edrahil an Imrahil und sagte: "Wie es scheint, haben die Fürsten Gondors sich entschieden. Nehmt ihr, Imrahil, Fürst von Dol Amroth, ihre Wahl und das Amt des Truchsess von Gondor an?"
Imrahil erhob sich erneut und ließ seinen Blick einen Moment lang schweifen. Dann sprach er: "Ich danke euch für euer Vertrauen in mich. Dies ist eine der schwersten Entscheidungen die ich je treffen musste, doch wenn ihr mich als Truchsess von Gondor sehen wollt, so werde ich eure Wahl annehmen. Doch lasst mich noch dies sagen: Wenn Fürst Faramir zurückkehrt, werde ich nicht zögern, ihm sein Amt erneut zu überlassen. Ich danke euch."
Edrahil setzte sich wieder, als Imrahil mit den Siegesfeierlichkeiten fortfuhr. Dieser Teil seiner Pläne war einfacher aufgegangen, als er erwartet hatte...
Edrahil, Imrahil, Hilgorn, Elphir, Lóthiriel und Chatara zum Hafen...