Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Der Düsterwald

Thranduils Hallen

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Tauriel?:
Paladir hielt den Eisengriff fest in der Hand und die Klinge lag waagerecht auf dem Amboss. Eryniel hob den Arm, in der Hand den Schmiedehammer. In einer fließenden Bewerbung ließ sie ihn auf das Metall niedersausen. Der helle Ton zerriss die Luft und hallte von den Wänden zurück. Er drehte das Eisen und sie setze zum nächsten Schlag an. Paladir liefen Schweißperlen über die Stirn – die Hitze des Ofens brachte die Luft zum flimmern.
"In das Wasser" Paladir tat wie ihm geheißen. Die glühende Klinge kühlte zischend aus. Er hielt das Schwert in der Hand und musterte es, dann schwang er es einmal durch die Luft. "Fühlt sich gut an."
Eryniel legte den Hammer bei Seite und wischte sich mit einem Tuch über das Gesicht. "Fühlt sich gut an, wieder hier zu sein. Ich hätte gar nicht so lange warten müssen."
"Du bist nun hier.", er hielt ihr den Schwertgriff hin. Eryniel legte es auf eine Halterung, auf der bereits einige andere einen Platz gefunden hatten. Sie drehte sich zu Paladir um "Ich danke dir für deine Hilfe. Ich denke, es wäre nur angemessen, wenn du dir eine Waffe deiner Wahl aussuchst. Auch wegen meinem Zimmer.. Du bist ein guter Freund.", sie machte eine weitläufige Geste mit der Hand. "Bitte, such dir etwas aus."
Paladir lächelte "Da hat es sich ja doch gelohnt!", scherzte er. Er stieg auf die kleine Erhöhung und sah sich die Schwerter, Dolche, Speere und Rüstungsteile an. Er schien sich Gedanken über seine Wahl zu machen und runzelte nachdenklich die Stirn. Ohne den Blick von den Regalen zu heben, begann er eine Frage: "Weißt du noch? Unser erster Kampf..", es schien beiläufig zu klingen.
Eryniel musste kurz lachen, nahm sich dann aber wieder zusammen "Natürlich, du warst ganz wild darauf die Neue zu prüfen. Und ich muss sagen, eine Prüfung war es sehr wohl," sie schluckte das Kichern runter, aber klang immer noch reichlich belustigt. "Doch viel mehr für dich."
Jetzt drehte sich Paladir zu ihr und warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. "Ja, lach nur. Ich war vielleicht etwas zu sorglos gewesen und es kann sein, dass ich dich nicht so hätte schonen sollen.", er lächelte wieder. "Um auf meine Frage zurückzukommen: Weißt du noch, welches Schwert du geführt hast ?"
Eryniel war etwas überrascht. "Ja, es liegt bei denen dort hinten.", Sie zeigte auf die andere Seite des Raumes, Richtung des Nebenraums.
"Würdest du es bitte holen?"
"Natürlich." Sie ging an einen Ständer und griff nach dem Schwert. Aus Silber gefertigt, doch dunkler - beinahe schwarz. Sie trat wieder in den großen Raum. "Dieses hier?"
Er lachte und rieb sich die Schulter. "Genau das!"
Eryniel musste sich daran erinnern, wie ihr erster Tag bei der Silvan-Wache gewesen war: Sie war in den weitläufigen Trainingsraum gekommen und hatte aufmerksam zugesehen, wie sich einige Elben Duelle lieferten. Sie war die jüngste gewesen und sollte heute zeigen, wie weit sie war. Unter den vielen Kriegern war ihr ein stattlicher Elb aufgefallen. Er war in einen Kampf mit gleich zwei anderen Gegnern vertieft. Gekonnt entwaffnete erst den einen, blockte den Hieb des anderen hinter sich und klirrend fiel auch dessen Waffe zu Boden.
Sie hatte sich zu einigen Zuschauern am Rand des Übungsfeldes gestellt. Nicht schlecht..
Der junge Mann trat an die Seite einer Wache, welche ihren Blick über die Versammlung schweifen ließ. "Ihr! Ich meine euch!", er winkte die Elbe zu sich. "Ihr seid als nächste an der Reihe."
Eryniel hatte sich bereits auf den Befehlston eingestellt, welchen sie nun öfters vernehmen würde.
Sie trat zu den beiden und nahm Haltung ein.
"Er wird dein Gegner sein." , er sprach etwas leiser zu dem Kämpfer. "Und nehme dich etwas zurück. Keine Verletzungen." Der Elb nickte.
Beide nahmen ihre Plätze, sich gegenüber, ein. Der Elb lächelte sie an "Gebt euer Bestes."
Eryniel nickte, entschlossen seinen Rat zu befolgen. Auf das Zeichen der Wache begannen sie. Im folgenden Duell hatten sich beide einen beeindruckenden Schlagabtausch geliefert, doch Eryniel hatte schnell die Oberhand gewonnen. Auch wenn ihr Rivale stärker war, hatte sie dies mit ihrer Geschwindigkeit ausgleichen können. Der Kampf endete mit einem Schlag auf die Schulter ihres Kontrahenten, für den sie den Griff ihres Schwertes benutzt hatte. Sie half dem am Boden Liegenden auf.
"Mein Name ist Paladir", er rieb sich immer noch die Schulter, aber hatte gelächelt.
Viel Zeit war seither vergangen und sie waren beide gute Freunde geworden. Und genau nach dem Schwert, mit dem sie ihn damals besiegt hatte, verlangte Paladir nun.
"Du sollst es haben."
Er nahm es entgegen und beide lachten.
Paladir zog sich sein graues Hemd über den Kopf und stand plötzlich mit freier Brust vor ihr. "Dann Mal wieder an die Arbeit."
Angeber, dachte sie sich, als sie ihm wieder zur Schmiede folgte.

Paladir hatte erst einige Male auf ein neues Stück Eisen gehoben, als jemand durch das Tor in die Schmiede trat.

Das Licht fiel in ein, von einer langen Narbe durchzogenes, Gesicht. Sein schulterlanges Haar schien nun in einem warmen Braun. Er schaute sich etwas unsicher um, bis er Eryniel sah.
"Verzeiht mein Eindringen, doch hättet ihr vielleicht ein Moment Zeit für mich?", sagte er höflich.
Eryniel warf Paladir einen kurzen Blick zu und legte dann ihre Arbeit beiseite. Sie drehte sich zu dem Elben, welchen sie vorher im Thronsaal und am Tor gesehen hatte. "Ihr seid einer der Gefährten von Kerry und Faerwen. Euer Name war Oronêl, wenn ich mich nicht täusche...Sprecht." sie musterte den Elb.
Er nickte leicht "Und ihr seid Eryniel, eine Späherin der Wache König Thranduils – Ich hatte nicht gewusst, dass ihr außerdem in der Schmieden arbeitet." Er sah sich wieder im Raum um.
"Eigentlich arbeite ich auch nicht hier..", sie war kurz im Gedanken versunken. Paladir legte ihr eine Hand auf die Schulter und Eryniel erwachte wieder. "Aber das tut jetzt nichts zur Sache." Sie sah Oronêl nun ganz unverhohlen in die braunen Augen. "Was wollt ihr?"
Der Elb schien sorgfältig abzuwägen, was er sagte. "Ich... wollte euch nicht bei eurer Arbeit stören.", sagte er zögerlich. "Ich hatte euch am Tor bei unserer Ankunft bemerkt und nach dem was ich vernommen habe, scheint ihr eine der Wenigen zu sein, die nicht mit dem Bündnis Sarumans einverstanden sind." Eryniel hatte dergleichen erwartet.
"Eryniel!", Paladir machte ein Schritt nach vorne. Er machte Anstalten sie zurückzuhalten. "Bedenke, was du jetzt sagst. Wir kennen ihn nicht.." Er schien besorgt.
Eryniel winkte ab und Paladir war sicher nicht begeistert, doch schwieg er.
"Ihr habt Recht. Ich bin nicht damit einverstanden und ihr solltet langsam zum Punkt kommen. Ich hörte, was im Thronsaal sagtet. Ihr seid kaum gekommen, um zu plaudern." Sie wollte nicht länger warten.
Oronêl atmete tief durch. "Ihr habt Recht, ich bin nicht zum Plaudern gekommen." Er warf Eryniel und Paladir einen festen Blick zu. "Wisst ihr, dass wir in Kürze gegen Thal und den Erebor ziehen?"
Beide nickten. Sie hatten bereits davon gehört, dass nötige Vorkehrungen getroffen wurden und beide hatten das Aufrüsten Sarumans beobachten können.
"Ich werde zuvor nichts gegen Saruman unternehmen, doch wenn dies vorüber ist..." Oronêl senkte die Stimme. "Wenn dies vorüber ist, werde ich Hilfe brauchen. Einer allein wird Thranduil niemals von den Lügen des Zauberers befreien können – dem Fehler dieses Bündnis eingegangen zu sein." bedauern schwang in seiner Stimme mit. Zugleich flammte ein kleiner Schimmer von Hoffnung in seinen Augen auf. "Aber wenn sich sein Volk dazu entscheidet, dem Verräter Saruman nicht länger zu gestatten, sie zu beherrschen und ihr Reich zu befreien, so könnte es gelingen, den König von dem schädlichen Einfluss seiner Worte zu befreien. Es könnte gelingen.", den letzten Satz sagte er vielmehr zu sich selbst. "Werdet ihr mir und meinen Freunden dabei helfen?"
Eine kleine Flamme in Mitten von tiefer Dunkelheit..
"Kein leichtes Unterfangen. Es gibt diejenigen unter uns welche meinen, dass Saruman ein Segen in der Not war, andere sehen ihn als notwendiges Übel, und wieder andere, wie ich, die ihm nicht so leicht Glauben schenken." Sie schloss die Augen. "Ich werde mich euch anschließen, wenn ihr gegen Saruman aufbegehrt." Paladir neben ihr seufzte. Er hatte wohl damit gerechnet und sah sich bestätigt in seinen Befürchtungen. "Ich werde sehen, was ich für euch tun kann. Saruman hat ganze Arbeit geleistet und es dürfte nicht leicht sein die Ketten abzuschütteln, die er uns angelegt hat..." Sie schüttelte den Kopf. "Ich will kein vermehrtes Leid unter meinem Volk, doch werden wir uns befreien müssen." Ihr war klar, dass es wohl kaum anders ginge. Saruman würde sie nicht aus einem Anflug von Großmut von seiner Kontrolle erlösen und sich selbst überlassen.
"Vermehrtes Leid unter diesem Volk ist das letzte, was ich will. Doch ich fürchte, so wird es enden, wenn Thranduil sich nicht von Saruman lossagt und erkennt, wer seine wahren Freunde in diesem Krieg sind. Denn in einem könnt ihr euch sicher sein, für Saruman sind die Elben des Waldlandreiches keine gleichrangigen Verbündeten – lediglich Mittel zum Zweck, Diener, die er nach Belieben gegen Saurons Horden ziehen lassen kann.", sagte Oronêl.
Sie wusste, dass er Recht hatte, doch eines interessierte sie wirklich sehr, da sie selbst schon oft darüber nachgedacht hatte. "Wie lautet euer Plan?"
"Einen wirklichen Plan gibt es nicht – schließlich will ich keine Rebellion anzetteln und meinen Vetter stürzen. Für den Moment genügt mir, wenn ihr mit den Leuten sprecht. Ihr seid von hier, gehört zu ihrem Volk. Vielleicht hören jene auf euch, die nicht auf mich hören wollten. Und je mehr von eurem Volk sich von Saruman abwenden, desto besser stehen unsere Chancen."
Ernüchterung, doch Eryniel war immer noch fest entschlossen. "Nun, dann werde ich tun was ich kann."
Oronêl neigte den Kopf und verabschiedete sich höflich, dann verließ er die Schmiede wieder.
"Eryniel, bist du dir sicher?" Paladir sprach wieder.
"Das bin ich mein Freund." sie sprach fest und ohne jeden Zweifel.
"Dann kannst du auf mich zählen."

Fine:
Zwei Tage später war es soweit. Thranduils Elbenheer hatte alle Reisevorbereitungen abgeschlossen und war zum Abmarsch bereit. Die Krieger des Waldlandreiches strömten aus dem großen Tor der unterirdischen Hallen und versammelten sich auf der Brücke davor und im Wald jenseits davon. Es waren mehr als Kerry angenommen hatte. Alle kampfbereiten Elben waren dem Aufruf ihres Königs gefolgt, ein letztes Mal in den Krieg zu ziehen und die Grenzen ihres kürzlich befreiten Reiches zu festigen, damit sie in Sicherheit leben konnten. So hatte es zumindest der Elbenkönig in einer kleinen Ansprache formuliert, und der Großteil der Waldelben schien derselben Meinung zu sein.
Kerry stand neben Finelleth und Mírwen auf einem großen Felsen, von dem sie einen guten Blick auf das Schauspiel vor den Toren hatten. Zu ihrer Linken erhob sich der bewaldete Berg, unter dem Thranduils Hallen lagen, und zur Rechten lag der Waldfluss, der zwischen hohen Klippen ostwärts rauschte. In dieselbe Richtung, in die das Elbenheer schon bald marschieren würde.
Finelleth trug eine ganz ähnliche Rüstung wie die, in die ihr Vater nun gehüllt war. Silberne, fein geschwungene Metallplatten, die ineinander griffen, bedeckten Oberkörper, Schultern und Hüften, und darunter blitzte ein matt glänzendes Kettenhemd hervor. Ihres Standes angemessen trug Finelleth einen rotschwarzen Umhang, der ihr über die Schultern fiel und kurz unterhalb des schlanken Halses von einer Spange in Form eines Baumes zusammengehalten wurde. Das Siegel ihres Hauses, dem Haus Lenwes. Schwert und Axt nach elbischer Fertigung hingen zu beiden Seiten ihres Gürtels, und in ihren gepanzerten Stiefeln und Handschuhen steckten die für sie so typischen Wurfmesser. Auch wenn sie nun kein königliches Kleid mehr trug, besaß sie noch immer eine ehrfürchtige Ausstrahlung, wie Kerry fand. Ihr Blick ging in die Ferne. Sorge und Kummer lagen darin, doch da war noch etwas anderes: Entschlossenheit. Kerry wusste, dass ihre Freundin mit aller Kraft für ihr Volk kämpfen würde und nicht aufgeben würde, bis der Schatten der Weißen Hand vom Grünwald genommen worden war.
Mírwen trug ihre aus Imladris stammende Rüstung und ihr Blick huschte hierhin und dorthin, stets von einer Seite des Aufstellung annehmenden Heeres zur anderen. Kerry wusste, wonach die Elbin suchte: Oronêl war seit dem frühen Morgen verschwunden. Inzwischen war es schon beinahe Mittag, doch von dem Waldelb war keine Spur zu entdecken.
"Er kommt schon noch," sagte Kerry beruhigend in Mírwens Richtung.
Es war Finelleth, die darauf antwortete. "Ich weiß nicht. Ich kann mir vorstellen, dass er sich in einem Spinnennetz verheddert hat und mal wieder mächtig in der Patsche sitzt. Wahrscheinlich werden wir ihn retten müssen, ehe wir zum Einsamen Berg losziehen."
Da war sie wieder, die Finelleth, die Kerry in Eriador kennengelernt hatte. Für einen Augenblick fiel die königliche Aura von ihr ab, und sie war wieder eine einfache Waldelbin, die sich nie für einen Scherz zu schade war. Doch viel zu rasch verging der Moment, und die Anspannung kehrte in Finelleths Gesichtsausdruck zurück. Sie schaute zum großen Tor herab, wo Thranduil erschienen war, auf einem prächtigen Ross reitend. Seine Rüstung blitzte silbern auf als das Sonnenlicht darauf fiel. Direkt hinter ihm kamen die Dúnedain-Waldläufer, ebenfalls beritten, die wie ein grauer Fleck aus der Masse der Elben herausstachen und Kerry erneut daran erinnerten, dass sie hier nicht hingehörten. Die meisten Elben trugen entweder leichte, aber feste Kleidung aus Leder in Grün- oder Brauntönen, oder die bronzefarbene Stahlrüstung der Düsterwaldkrieger.
Helluin erspähte Kerry beinahe sofort, als er durch das Tor nach draußen kam, und er winkte sie zu sich. Er hatte Kerry angeboten, sie mit sich zu nehmen und sie während der bevorstehenden Schlacht an einen Beobachtungsposten zu schicken, wo sie sicher war. Nach einem langen Gespräch mit Oronêl, Mírwen und Finelleth hatte Kerry schließlich zugestimmt. Es galt, das Vertrauen des Anführers der Dúnedain zu erlangen, und dafür würde es nützlich sein, auf seine Angebote einzugehen. Und wenn sie dadurch mehr über den Verbleib ihres Vaters erfahren würde, umso besser.
"Ich muss wohl los," sagte sie zu den beiden Elbinnen. "Wir sehen uns am Waldrand, wenn das Heerlager aufgeschlagen wird. Passt auf euch auf, ihr beiden."
"Du auch, Kerry," antwortete Mírwen, und Finelleth nickte ihr aufmunternd zu. "Du schaffst das schon, Kerry."

Als sie sich ihren Weg durch das Elbenheer in Richtung Helluins bahnte, fiel Kerry ein bekanntes Gesicht auf, das aus der Menge herausstach. Es war Eryniel, die ebenfalls zum Kampf gerüstet war und neben einem ähnlich gekleideten Elben stand, den Kerry nicht kannte. Die beiden unterhielten sich leise miteinander, während sie ihren Platz in den Reihen der anderen Krieger einnahmen. Doch für einen Augenblick trafen sich Eryniels und Kerrys Blicke, und Kerry nickte der Elbin leicht zu. Auch dir viel Glück in den kommenden Kämpfen, dachte Kerry. Sie war sich sicher, dass die Nachricht angekommen war.

"Du kommst spät," begrüßte Helluin sie, als Kerry bei ihm eingetroffen war. Er warf einen Blick auf ihre Ausrüstung, und nickte dann, offenbar zufrieden damit. Ihr kurzes Schwert hing an ihrer Hüfte und sie trug ihre feste Reisekleidung. Auf Finelleths Wunsch hin hatte sie sich dazu überreden lassen, ein einfaches Kettenhemd darunter zu tragen und elbische Schulterschützer anzulegen. Ein Umhang der Dúnedain vervollständigte Kerrys Ausrüstung. Sie war froh, dass sie mit den Waldläufern reiten würde, denn das zusätzliche Gewicht war ungewohnt für sie und machte das Wandern anstrengender.
"Noch ist das Heer nicht aufgebrochen," gab sie im neutralen Ton zurück. "Ich bin also nicht zu spät."
Helluin betrachtete sie einen kurzen Moment nachdenklich. Dann wandte er den Blick ab und zeigte nach Osten. "Wir werden heute Abend den Waldrand erreichen und zum Rest des Heeres des Gebieters stoßen," erklärte er.
"Und wann wird es zur Schlacht kommen?"
"Das bleibt abzuwarten. Es mag sein, dass der Feind sich aus dem Berg herauslocken lässt und uns direkt bei unserer Ankunft angreift. Ebenso wahrscheinlich ist es, dass wir uns auf eine langwierige Belagerung des Erebors einstellen müssen. Ich persönlich vermute jedoch, dass wir zumindest einige Stunden Ruhe haben werden, nachdem wir das Heerlager erreicht haben. Es ist gut möglich, dass uns eine nächtliche Schlacht bevorsteht."
"Noch heute Nacht," flüsterte Kerry, auch wenn sie natürlich wusste, dass Helluin nur eine Vermutung abgegeben hatte und nicht genau wissen konnte, was geschehen würde. Dennoch versetzte sie der Gedanke an eine Schlacht im Finsteren der Nacht in eine merkwürdige Aufregung.
"Du wirst gemeinsam mit Daerod auf einem Beobachtungsposten stationieren und ihm dabei helfen, die feindliche Truppenbewegungen zu beobachten und mir davon zu berichten," erklärte Helluin weiter. Daerod, der Waldläufer, den Kerry bereits einige Tage zuvor näher kennengelernt hatte, ritt schweigend einige Reihen hinter ihnen.
Die Dúnedain folgten Thranduil nun über die Brücke, wo sich die elbischen Offiziere und Befehlshaber versammelt hatten. Auch Glorfindel und Celebithiel waren dort anwesend, beide in prächtige Schlachtrüstungen gehüllt und mit entschlossenen Mienen. Sie mochten mit Thranduils Entscheidungen nicht überein stimmen, aber dennoch würden sie an seiner Seite gegen die Orks von Mordor kämpfen.
Helluin schloss sich der letzten Beratung vor dem Aufbruch an, und auch Finelleth war inzwischen an die Seite ihres Vaters getreten. Kerry hingeben blieb bei den Waldläufern zurück, die etwas Abstand genommen hatten und darauf warteten, dass sich das elbische Heer in Bewegung setzen würde.

Nur wenige Minuten später war es bereits soweit. Thranduil und seine Tochter schwangen sich auf ihre Sättel und setzten sich an die Spitze des Heereszuges. Hörner wurden geblasen, und die Streitmacht des Waldlandreiches schlug den Weg nach Osten ein, am Waldfluss entlang in Richtung des Erebors. Kerry blickte sich suchend um, konnte jedoch noch immer keine Spur von Oronêl entdecken. Er kommt schon noch, dachte sie und versuchte, sich ein wenig zu beruhigen. Vielleicht hat er sich den Kundschaftern angeschlossen, die vor einigen Stunden vorausgeschickt wurden. Doch während sie nun unter den dichten Kronen der Bäume dahin zogen, gelang es Kerry nicht, ihre wachsende Anspannung zu unterdrücken. Schon bald würde es womöglich zu einer große Schlacht kommen, und diesmal würde es keine Mauer geben, die Kerry von den Feinden trennte. Diesmal war kein Gandalf in der Nähe, der auf sie Acht geben würde. Diesmal würde sie ganz besonders vorsichtig sein müssen. Sie dachte an Mathan, der ins Ungewisse gezogen war, und an Halarîn, die in Eregion auf sie wartete. Ich werde nicht sterben, sagte sie sich und ihre Entschlossenheit wuchs. Nicht heute, und auch nicht morgen. Ich werde das hier überstehen, und nach Hause zurückkehren. Zu meiner Familie. Sie gab dem kleinen braungescheckten Pferd, das man ihr geben hatte, einen aufmunternden Stups gegen die Flanke. "Wir kommen beide wieder heil aus dieser Sache heraus," murmelte sie leise auf Rohirrisch. "Das verspreche ich dir."


Thranduil, Glorfindel, Oronêl, Eryniel, Finelleth, Celebithiel, Mírwen, Helluin, Paladir und Kerry mit dem Heer des Waldlandreiches zur Ostgrenze des Waldes

Fine:
Zarifa und Cyneric von der Waldstraße


Sie waren der Hauptstraße, die durch das Waldlandreich führte, tiefer und tiefer in den Düsterwald hinein gefolgt, bis sie an einem elbischen Außenposten angehalten worden waren. Die Straße durchquerte hier einen aus fein gearbeiteten Steinen erbauten Torbogen, zu dessen Seiten jeweils ein kleiner Wehrgang aufragte. Cyneric hielt sein Ross vor dem Torbogen an, während vier schwer gerüstete Elbenkrieger ihn argwöhnisch im Auge behielten. Sie trugen dieselben bronzefarbenen Rüstungen, die Cyneric in Thranduils Heer bei Dol Guldur gesehen hatte.
„Woher kommt ihr, Reisende?“ fragte sie der Anführer der Wachposten.
„Aus der Seestadt,“ antwortete Cyneric wahrheitsgemäß.
„Weitere Flüchtlinge?“ wunderten sich die Elben. „Wir nahmen an, dass die meisten Bewohner Esgaroths die Stadt bereits verlassen hätten.“
„Einige sind noch immer dort, gemeinsam mit den Ostlingen,“ erwiderte Cyneric. „Niemand weiß, unter wessen Herrschaft der See und die Stadt darauf nun stehen. Weder aus Rhûn noch vom Einsamen Berg kam in den letzten Tagen Nachricht.“
„Und dennoch seid ihr nun hier,“ sagte der Anführer der Elben.
„Ich bin auf der Suche nach meiner Tochter,“ erklärte Cyneric. „In Esgaroth hörte ich, sie wäre mit dem Elbenheer vom Erebor zu den Hallen des Waldlandkönigs gezogen.“
„Das taten viele der Menschen von Thal,“ antwortete man ihm. „Sie suchten Zuflucht bei unserem Volk, und Zuflucht wurde ihnen gewährt.“ Er gab seinen Untergebenen ein Zeichen, und die Elben machten den Weg durch den Torbogen frei. „Sucht nun also nach Eurer Tochter, Reisender. Doch seid gewarnt: Solltet Ihr böse Absichten hegen, werdet Ihr Euch der Gerechtigkeit der Elben stellen müssen. Wir werden Euch stets im Auge behalten.“
„Ist ja schon gut, wir werden schon keine Dummheiten machen,“ warf Zarifa ein. Sie schien den Elben genauso wenig zu trauen wie diese ihr.
Langsam ritt Cyneric durch das Tor und folgte erneut der Straße. Dieser Teil des Waldes kam ihm viel freundlicher und heller als das Gebiet vor, das er auf dem Weg nach Dol Guldur einst durchquert hatte. Er vermutete, dass es an der Präsenz der Elben lag.
„Waren das die ersten Elben, die du in deinem Leben gesehen hast, Zarifa?“ fragte er.
Die junge Südländerin nickte. „Diese geschwollene Redeweise von denen geht mir jetzt schon auf die Nerven.“
Cyneric musste lächeln. „So sind sie nun einmal. Ein bisschen altmodisch, aber auf die gute Art und Weise, wenn man das so sagen kann.“
„Ich weiß nicht recht,“ murmelte Zarifa. „Die Blicke, die sie mir zugeworfen haben, haben mir nicht gefallen.“
„Sie haben ihre Heimat erst vor Kurzem zurückerobert,“ erklärte Cyneric. „Da ist es doch leicht zu verstehen, dass sie Fremden misstrauisch gegenüber sind.“
Zarifa gab ein unverständliches Grummeln von sich. „Suchen wir einfach deine Tochter und verschwinden wir dann von hier,“ sagte sie leise.
Cyneric war sich nicht sicher, was Zarifas Laune so getrübt haben könnte. Er hatte den Versuch, Frauen zu verstehen, schon früh in seinem Leben aufgegeben, insbesondere wenn sie in Zarifas Alter waren. Er würde sich damit begnügen, auf die junge Südländerin Acht zu geben und für sie da zu sein, wenn sie ihn brauchte. Damit kannte er sich aus.

Durch das dichte Blätterdach hindurch drang ein Rauschen, das immer lauter wurde, je weiter sie der Straße durch den Wald folgten. Schließlich gaben die Bäume den Blick auf einen großen Wasserfall frei, über den mit großen Getöse die Strömung eines Flusses hinabstürzte. Die Straße schraubte sich in engen Windungen am Südufer des Flusses hinauf, und verlief ab dem Wasserfall sehr nahe am Strom entlang. Je weiter sie kamen, desto mehr senkte sich der Fluss in eine steile Schlucht hinab, bis sie nach einiger Zeit des gemächlichen Rittes an eine geschwungene Brücke kamen. Hier gabelte sich die Straße und führte linker Hand weiter durch den Wald, während es nach rechts über die Brücke hinüber zu einem reich verzierten Tor ging, das offenbar ins Innere des Berges führte, der sich auf dem anderen Ufer des Flusses erhob. In schwere Rüstung gekleidete Elbenwächter bewachten das Tor und wurden von einigen weiteren Elben in grünen und braunen Gewändern begleitet.
„Bleib hinter mir und halt am besten den Mund,“ raunte Cyneric Zarifa zu. Das Mädchen schenkte ihm wegen seiner Wortwahl einen finsteren Blick, schien jedoch genug Verstand zu besitzen, nicht in einen Wutausbruch zu verfallen. Vorsichtig stiegen sie ab und überquerten die Brücke, das Kriegsross am Zügel führend. Sie hatten kaum einen Fuß an das andere Ufer gesetzt, als sie sich schon von bewaffneten Elben umzingelt sahen.
„Wer seid ihr, die ihr so bewaffnet vor die Tore des Königreichs des Grünwaldes tretet?“
Cyneric, darauf bedacht, die Hände so weit wie möglich vom Griff seines Schwertes entfern zu halten, antwortete vorsichtig: „Mein Name ist Cyneric, Sohn des Cynegar, und dies ist Zarifa, meine Begleiterin. Wir sind aus der Seestadt hierher gekommen und sind auf der Suche nach meiner Tochter, Déorwyn.“
„Cyneric?“ Einer der in grün gekleideten Elben trat vor. Er hatte lange, blonde Haare und hielt einen langen Speer in der Hand. Über seinen Rücken, der von einem braunen Umhang verhüllt war, hing ein elbischer Langbogen. Sein Gesicht kam Cyneric bekannt vor, und schließlich fiel ihm auch der Name des Elben ein, den er während Irwynes Rettung aus den Fängen der Orks des Düsterwaldes flüchtig kennen gelernt hatte.
„Herr Galanthir?“ fragte er.
„Du bist es wirklich,“ sagte Galanthir und lächelte. „Nun, das ist wirklich eine Überraschung. Ich nahm an, du weiltest noch immer im fernen Rhûn.“
„Nicht mehr,“ erwiderte Cyneric. Ein rascher Blick zeigte ihm, dass die meisten Elben inzwischen ihre Waffen gesenkt hatten und er entspannte sich. „Wie ich sehe hat Saruman wohl sein Versprechen gehalten. Das Waldlandreich gehört wieder König Thranduil.“
Ein Schatten zog über Galanthirs Gesicht. „Sarumans Versprechungen haben nur selten den Wert, den sie im ersten Moment zu bieten scheinen,“ sagte er ernst. „Du bist auf der Suche nach deiner Tochter, richtig?“
Cyneric nickte. „Hast du sie vielleicht gesehen? Sie sieht Irwyne recht ähnlich. Ich hörte in Esgaroth, sie wäre vom Erebor mit eurem Heer hierher gekommen.“
Galanthir machte ein nachdenkliches Gesicht. „Viele der Menschen von Thal kamen mit uns, als wir ihre Stadt evakuierten. Die meisten von ihnen sind allerdings inzwischen mit ihrem König in die südlicheren Teile des Waldes gezogen. Du könntest allerdings unter jenen, die noch in unseren Hallen weilen, nach ihr fragen.“
„Man sagte mir, sie trägt nun einen anderen Namen,“ sagte Cyneric, sich an die Worte des jungen Ostlings erinnernd. „Sie nennt sich jetzt Kerry.“
Galanthir schien für einen Bruchteil einer Sekunde zu erstarren, dann warf er Cyneric einen seltsamen Blick zu. „Du solltest mit der K.... mit Finelleth sprechen. Sie kann dir weiterhelfen.“
„Dann sollten wir zu ihr gehen.“
Galanthir nickte und auf seinen Wink öffnete sich das Tor im Berg. „Ehe wir hinein gehen, muss ich euch bitten, eure Waffen bei den Wachen hier draußen zu lassen,“ bat er.
„Wieso? Wir werden euren König schon nicht abstechen,“ warf Zarifa dreist ein.
Das betretene Schweigen, das auf diese Aussage folgte, ließ Cyneric Böses ahnen. Er nahm Zarifas Hand und redete leise auf die junge Frau ein. „Wir sind hier unter Freunden. Niemand wird dich anrühren, ich verspreche es dir. Jetzt, wo wir so kurz davor sind, meine Tochter zu finden, können wir uns keine weiteren Komplikationen leisten. Ich bitte dich, Zarifa... gib ihnen deinen Dolch. Mir zuliebe.“
Zarifa stieß ein lautes Schnauben aus, dann zog sie ihren Dolch hervor und ließ ihn zu Boden fallen. „Wehe wenn der nicht genau hier an Ort und Stelle liegt, wenn ich wiederkomme,“ sagte sie unheilvoll.
Cyneric übergab den Elbenwächtern Schild und Schwert, dann folgten Zarifa und er Galanthir ins Innere der Hallen des Elbenkönigs.

Nach einer großen Eingangshalle kamen sie nach vielen Treppen und Biegungen, die sie durch ein verzweigtes Höhlensystem führten schließlich in eine gewaltige Grotte, von deren Decke geradezu riesenhafte Baumwurzeln hinab wuchsen, die teilweise sogar als Brücken benutzt wurden. In der Tiefe strömte offenbar derselbe Fluss über die Felsen, dem Cyneric und Zarifa auf dem Weg durch das Waldlandreich bis zu den Hallen gefolgt waren, in deren Zentrum sie nun angekommen waren. Im Herzen der mächtigen Höhle stand ein erhöhter Sitz, der im Augenblick verlassen war. Der Thron des Waldlandreiches, daran hatte Cyneric keinen Zweifel.
Auf der untersten Stufe der geschwungenen Treppe, die zu einer kleinen Plattform direkt unterhalb des Thrones hinauf führte, blieb Galanthir stehen. Er drehte sich zu ihnen um und sagte: „Wartet hier. Die Königin wird euch in Kürze empfangen.“ Ohne eine weitere Erklärung sprang er kurzerhand von der breiten Wurzel, auf der er gestanden hatte auf einen mehrere Meter tiefer liegenden Pfad und verschwand in den Tiefen der Grotte.
Cyneric machte ein überraschtes Gesicht. „Die Königin?“ wiederholte er langsam.
„Wahrscheinlich sind wir nicht wichtig genug, damit sich der Elben-Obermotz persönlich mit uns abgibt,“ meinte Zarifa etwas pampig. „Um mit kleinen Fischen wie uns zu reden schickt er wohl lieber seine Frau.“
„Hmm,“ machte Cyneric. Dass Thranduil seine Frau zu ihnen schickte, war eine Erklärung... doch weshalb hatte dann offenbar Galanthir diese Entscheidung getroffen? Es musste eine andere Erklärung geben. „Ich denke, der König ist im Augenblick nicht hier,“ sagte er daher. „Ich frage mich nur, weshalb Galanthir mir riet, mit Finelleth zu sprechen, doch nun stehen wir hier und warten auf eine Andere.“
„Wer ist denn diese Finelleth überhaupt?“
„Eine Späherin des Waldlandreiches,“ erklärte Cyneric. „Bevor ich nach Rhûn kam, kämpfte ich in der Belagerung von Dol Guldur mit - das ist eine Festung Saurons weit im Süden dieses Waldes. Dort lernte ich Finelleth kennen. Ich habe ihr eine gute Freundin von mir anvertraut, bevor ich nach Rhûn aufbrach.“
Zarifa schien ihm kaum zuzuhören. „Ich brauche was zum Werfen,“ murmelte sie und suchte mit ihrem Blick den Boden ab. „Die Tante da hinten starrt mich schon die ganze Zeit so komisch an, das gefällt mir gar nicht.“
Cyneric blicke in die Richtung, in die die junge Südländerin gedeutet hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite der Grotte waren mehrere Waldelben unterwegs, und am Geländer nahe der Schlucht, durch die das Wasser strömte, stand eine Elbin, die ganz ähnliche Kleidung wie Galanthir trug. Erst glaubte Cyneric, es handle sich um Finelleth, doch das rötliche Haar und die beiden Schwerter, die sie in den Händen hielt, mochten nicht recht zu dem Bild passen, das Cyneric von seiner elbischen Freundin in Erinnerung hatte. Während er noch hinsah tauchten weitere Gestalten hinter der Waldelbin auf, bei denen es sich unverkennbar um die Königin und ihr Gefolge handeln musste. Schwer gerüstete Palastgardisten mit vermummten Gesichtern nahmen die Elbenkönigin in ihre Mitte, als sie sich rasch näherte. Cyneric sah, wie die rothaarige Waldelbin, die Zarifa aufgefallen war, sich der Prozession anschloss, als die Elben rasch den Fluss überquerten und sich dem Thron näherten. Dann nahm die Königin, die ein dunkelgrünes Kleid und eine mit rötlichen Blättern besetzte Krone trug, auf dem erhöhten Sitz Platz und ihre Wachen bezogen zu beiden Seiten Stellung.
„Tretet näher, Bittsteller,“ forderte man Cyneric und Zarifa auf. So stiegen sie mit etwas mulmigem Bauchgefühl die steilen Stufen hinauf, bis sie die Platform direkt vor dem Thron erreicht hatten. Cyneric ließ sich, wie es sich gehörte, auf die Knie nieder und bedeutete Zarifa, dasselbe zu tun. Eindeutig unwillig kam das Mädchen seiner Aufforderung nach.
„Eure königliche Majestät,“ begann Cyneric nach einer langen Minute des angespannten Schweigens. Noch immer hielt er den Kopf gesenkt. „Wir danken Euch, dass Ihr uns empfangt und gewillt seid, unser Anliegen zu hören. Mein Name ist -„
„Ich weiß, wer ihr seid,“ erklang die klare und strenge Stimme der Königin. „Und ich weiß auch, weshalb ihr hier seid. Beantwortet mir eine Frage, Cyneric, Sohn des Cynegar - was ist Euch in Rhûn widerfahren?“
Cynerics Bauch verkrampfte sich bei diesen Worten. Wieviel wusste die Elbenkönigin wirklich? Wenn sie erfuhr, dass er den Schattenläufern gedient hatte... ja sogar für sie getötet hatte...
„Euer Gnaden, ich versichere Euch, meine Absichten sind absolut ehrlich,“ beteuerte er ohne den Blick zu erheben. „Ich bin auf der Suche nach meiner Tochter, mehr nicht.“
„Das weiß ich bereits, Cyneric,“ sagte die Königin, nun mit eindeutiger Belustigung in der Stimme. „Und ich weiß auch, wo sie ist, alter Freund.“
Nun endlich hob Cyneric den Kopf und starrte die Elbin an. Unter der Krone spross fein gepflegtes, sandblondes Haar hervor. Das Kleid war von edelstem Stoff und sie war unbewaffnet, wie es schien. Und doch kamen Cyneric die Gesichtszüge und die Stimme so verdammt bekannt vor...
„...Finelleth?“ wagte er zu fragen.
„Ihr steht im Angesichte Faerwens, Erste ihres Namens, Königin des Waldlandreiches und des Großen Grünwaldes,“ sagte einer der Elbengardisten.
„Natürlich bin ich es,“ sagte Finelleth, deren Lächeln nun nicht mehr zu übersehen war.
„Aber...“ begann Cyneric. Er hatte Finelleth nie in anderer Kleidung als der Ausrüstung einer Waldelbenspäherin gesehen, und sie hatte stets eine oder mehrere Waffen bei sich getragen. „Wieso bist du...“ Er verstummte, als ein düsterer Verdacht sein Herz erfasste. „Wo ist König Thranduil?“
Ein Schatten legte sich auf Finelleths Gesicht. „Er ist fort,“ sagte sie leise und traurig. „Doch dank seiner Taten sind die Hallen meines Volkes wieder frei - sowohl von Sauron als auch von Saruman.“
„Sein Tod tut mir sehr leid,“ sagte Cyneric voller Mitgefühl und machte einen Schritt in Richtung des Thrones. Sofort reagierten die Gardisten und richteten die Waffen drohend in seine Richtung. „Und du bist...“
„Seine einzige Tochter und Erbin,“ ergänzte Finelleth mit Entschlossenheit in der Stimme. „Die Waffen runter, Krieger. Er ist ein Freund und keine Gefahr.“ Die Gardisten entspannten sich. „Ach Cyneric, ich bin froh, dass du hier bist,“ fuhr Finelleth fort und erhob sich von ihrem Thron. Ehe Cyneric reagieren konnte, war sie bei ihm und umarmte ihn fest. Ihr Kleid raschelte, als sie ihn wieder losließ. „Doch du kommst einige Tage zu spät. Kerry... deine Tochter... ist schon wieder aufgebrochen. Sie ging mit Oronêl nach Dol Amroth.“
„Herr Oronêl? Dann ist er also am Leben?“
Finelleth nickte. „Es tut mir Leid, dass du sie verpasst hast. Doch sie sind zu Fuß unterwegs. Auf dem Rücken deines Pferdes könntest du sie einholen, ehe sie Rohan oder Gondor erreichen.“
Cyneric versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen, so gut es ging. Er hatte gehofft, seine Tochter noch am selben Tag wieder zu sehen. Immerhin wusste er nun, dass sie in Sicherheit war, nun, da sie mit Oronêl unterwegs war. Und es bestand die Chance, sie noch vor ihrer Ankunft in Dol Amroth einzuholen.
„Und wen hast du da mitgebracht?“ fragte Finelleth neugierig. Jetzt, da Cyneric sie erkannt hatte, klang sie schon wieder viel mehr wie die schlagfertige Späherin, die er während des Dol Guldur-Feldzuges kennengelernt hatte.
„Ich heiß‘ Zarifa,“ gab die junge Südländerin misstrauisch zurück. „Ich bin nicht der Ersatz für seine Tochter, falls hier irgendjemand so etwas denkt.“
Finelleth lachte leise. „Offensichtlich nicht. Sei willkommen in meinem Königreich, junge Zarifa.“ Sie kehrte zu ihrem Thron zurück. „Nun, da das geklärt ist... ihr werdet die Nacht hier verbringen und euch ausruhen. Zur Feier unseres Wiedersehens, Cyneric, werden wir heute Abend gutes Essen zu uns nehmen und Pläne für eure Weiterreise machen. Es gibt so viel, was ich dir über deine Tochter erzählen möchte! Aber dafür ist der Thronsaal nicht der richtige Ort. Ach, nun blickt nicht so betreten drein. Das wird sehr unterhaltsam! Außerdem werdet ihr beiden doch wohl nicht so dumm sein, euch einem Befehl der Königin zu widersetzen, nicht wahr?“
„Nein, Euer Majestät“ antwortete Cyneric schmunzelnd. Auch wenn er es kaum erwarten konnte, seine Tochter einzuholen, war ihm klar, dass Finelleth - oder vielmehr Königin Faerwen I. - in dieser Hinsicht keine Widerrede dulden würde.
„Wunderbar,“ sagte Finelleth und klatschte in die Hände. „Eryniel -„ sie wandte sich an die rothaarige Elbin, die die ganze Unterhaltung schweigend an der Seite ihrer Königin mitangehört hatte „- zeig den beiden ihr Zimmer. Wir sehen uns später. Macht es euch solange gemütlich - und seht zu, dass ihr beiden ein Bad nehmt.“

Fine:
Nachdem die Waldgardistin Eryniel sie zu ihrer Unterkunft geführt hatte, dauerte es nicht sonderlich lange, bis Cyneric und Zarifa sich (selbstverständlich nacheinander) gewaschen und umgezogen hatten. Die Elben hatten ihnen frische Kleidung zur Verfügung gestellt, die sie in den kühlen Höhlen des unterirdischen Palastes warm hielten, aber gleichzeitig luftig genug waren, dass sie nicht schwitzten. Es hatte zwar einiges an Überredungskunst gekostet, Zarifa dazu zu bringen, sich Elbenkleidung anzuziehen, doch als die Südländerin bemerkt hatte, wie angenehm weich sich der Stoff anfühlte, hatte sie ihren Protest schließlich aufgegeben.
"Ich muss zugeben, daran könnte ich mich gewöhnen," sagte Zarifa, die ein langärmliges, grünes Oberteil trug, das mit silbernen Blattmustern bestrickt war. Ihre Beine steckten in einer festen, dunkelbraunen Hose aus Leder, dazu kamen hohe Stiefel mit breitem Rand. Ein dünner Gürtel vervollständigte ihre Kleidung. Cyneric, der Ähnliches trug, stimmte nickend zu, auch wenn er sich etwas unbehaglich fühlte, von Finelleth so beschenkt worden zu sein. Er fragte sich, ob diese Großzügigkeit sich wirklich allein auf die nicht allzu enge Freundschaft gründete, die er mit Thranduils Tochter während des Feldzugs gegen Dol Guldur geschlossen hatte.
"Wir sollten zusehen, dass wir uns auf den Weg zur Festhalle machen," sagte Cyneric. "Sicherlich erwartet man uns bereits. Bei einem königlichen Hofstaat zu spät zu kommen, können sich nur die wirklich Mächtigen leisten."
Zarifa warf ihm als Antwort einen verärgerten Blick zu, was Cyneric daran erinnerte, wie schlecht die junge Frau auf die Oberschicht zu stehen war. Es waren Adelige aus Umbar gewesen, die Zarifas Ziehvater getötet und das Mädchen in die Sklaverei verkauft hatten, wie ihm wieder einfiel. Er hoffte, Zarifa würde sich in der Gegenwart der angesehenen Elben im Gefolge der Königin nicht allzu sehr im Ton vergreifen.

Auf ihre Nachfrage bei einer der durch die Gänge streifenden Palastwachen hin erklärte man ihnen höflich den Weg zur Festhalle der Königin, die jenseits des großen Throngewölbes lag und das man durch einen breiten Tunnel erreichte, der sich in mehreren Windungen tief in den Felsen hinein zu bohren schien. Cyneric atmete erleichtert auf, als er die Halle betrat, in der ihn Finelleth bereits erwartete, denn die Königin war noch beinahe alleine dort. Seit ihrem Wiedersehen im Thronsaal hatte Finelleth sich ebenfalls umgezogen und trug nun ein tief ausgeschnittenes, silbernes Gewand, das ihre schlanke Figur betonte und sich erst auf Höhe der Oberschenkel zu einem breiten Rock vergrößerte. Auf dem Kopf saß nun ein silbern funkelnder Haarschmuck und ihre Ohren waren von Ohrringen mit grünen Adamanten geziert.
"Ich sehe, dass die Bediensteten ein gutes Auge bei der Kleiderwahl für euch beide bewiesen haben," sagte die Königin lächelnd, als sie sich zu ihr gesellten.
"Ich bin mir nicht sicher, womit wir diese Gabe verdient haben," erwiderte Cyneric, ehe ihm einfiel, welche Antwort eigentlich angebracht gewesen wäre. "Was ich sagen wollte... Ihr seht bezaubernd aus, Euer Majestät."
Finelleth lachte leise. "Nun hör' schon auf damit, Cyneric. Ich mag jetzt Königin sein, aber ich bin noch immer deine Freundin und du musst mich nicht so förmlich ansprechen. Vor dem Thron war die Situation eine Andere, aber hier und jetzt können wir ungezwungen miteinander sprechen."
Cyneric war froh darüber. So kam er ohne Umschweife zu der Frage, die ihm seit seiner Ankunft im Waldlandreich auf dem Herzen gebrannt hatte. "Du hast gesagt, meine Déorwyn sei auf dem Weg nach Dol Amroth, in der Begleitung des Herrn Oronêl. Und du sprachst von ihr, als wärst du vertraut mit ihr. Was hat es damit auf sich, wenn du mir die Frage gestattest?"
"Natürlich gestatte ich sie dir, Cyneric. Immerhin geht es hier um deine Tochter. Kerry - so hatte sie sich mir gegenüber vorgestellt - kenne ich zwar erst seit einem halben Jahr, aber in dieser Zeit habe ich beinahe jeden Tag in ihrer Nähe verbracht, denn wir waren beide Teil von Oronêls Gemeinschaft, die erst in den Landen von Eriador, und danach alsbald auch in Rhovanion, allerlei Abenteuer erlebte. Ich könnte dir viel von den schönen als auch von den schlimmen Dingen erzählen, die uns in jenen Wochen widerfahren sind, doch ich möchte dich weder lange aufhalten, noch dir die Freude vorenthalten, dir von all dem von Kerry selbst erzählen zu lassen. Du wirst sie bald eingeholt haben, wenn du dich in Richtung Rohan aufmachst, denn ich weiß, dass dein Pferd schnell ist."
"Sag mir nur eines, Finelleth," bat Cyneric. "Geht es ihr gut? Ich meine... kommt sie gut zurecht? So ganz alleine, ohne Familie?"
"Oh, mach dir darum nur keine Sorgen, Cyneric. Sie hat eine Familie und viele, viele Freunde, die sie schätzen und lieben. Auch davon wird sie dir am besten selbst berichten. Und ja, es geht ihr gut. Auch wenn die Dinge besser stehen könnten, aber ich schätze, das trifft auf uns alle zu." Sie ließ den Blick durch die Halle schweifen, die sich nun mehr und mehr mit den Gästen der Königin zu füllen begann. Finelleth seufzte leise. "Ich trage als Königin nun nicht nur das Erbe meines Vaters wie eine Last auf den Schultern... ich trage auch die Verantwortung für das Reich der Waldelben und für die Sicherheit seiner Bewohner. Wir sind auf uns allein gestellt und an zwei Fronten von Feinden bedroht. Dabei haben wir unsere Heimat erst vor wenigen Wochen zurückerlangt."
"Ich dachte, Thranduil habe sich zu eben diesem Zweck überhaupt erst mit Saruman verbündet," wandte Cyneric ein.
"Und obwohl mir dieses Bündnis von Anfang an nicht gefallen hat, hat es sein Ziel erreicht, wenn auch mit hohem Preis verbunden."
"Du sprichst von deinem Vater," sagte Cyneric vorsichtig.
Finelleths Blick wurde traurig. "Vor seinem Tod erkannte er den Fehler, den er begangen hatte," antwortete sie leise. "An manchen Tagen frage ich mich, wie ich ohne ihn überhaupt weitermachen soll. Ich weiß, dass mein Volk mich jetzt braucht und dass sie sich auf mich verlassen, aber... ich fühle mich einfach nicht wie eine Königin, geschweige denn wie eine Anführerin."
Überraschenderweise war es Zarifa, die die richtigen Worte fand. "Deine Leute sehen zu dir auf," sagte sie in einem Tonfall, den man beinahe sanft nennen konnte, obwohl sie nach wie vor die Hände vor der Brust verschränkt hatte. "Ich konnte es erkennen, dort im Thronsaal. Sie respektieren und lieben dich. Du musst dich für sie nicht in eine perfekte Königin verwandeln. Du bist schon so, wie du bist, gut genug für sie. Also mach weiter so, und... dann wirst du schon zurecht kommen, schätze ich."
"Ich kann Zarifa nur zustimmen," ergänzte Cyneric. "Dein Vater wird schon gewusst haben, was er tat, als er dich zu seiner Nachfolgerin bestimmt hat. Er hat erkannt, dass du in der Lage sein wirst, für dein Volk einzutreten und es anzuführen. Also Kopf hoch, Königin Faerwen," sagte er und legte ihr aufmunternd die Hand auf die Schulter. "Dein Reich ist bei dir in den besten Händen."
"Ich danke euch beiden," murmelte Finelleth. "Aber jetzt solltet ihr aufhören, solche Dinge zu sagen. Ihr beschämt mich noch vor meinem Hofstaat, und von dem daraus resultierenden Gerede würde ich mich vermutlich niemals erholen können."
"Dann musst du eben etwas härter durchgreifen und ein Gesetz gegen Gerüchte erlassen. Du bist doch Königin, oder nicht?" schlug Cyneric scherzend vor.
"Vorsicht, Cyneric... ich habe dich in meinen Palast gelassen, aber ich kann dich auch ebenso leicht wieder daraus entfernen lassen." Doch während Finelleth das sagte, stahl sich bereits wieder ein Lächeln auf ihr Gesicht.

Das Essen, an dem Cyneric und Zarifa nun teilnahmen, war vermutlich das Beste, das sie in ihrem gesamten Leben erlebten. Zwar gab es keine rauen Mengen, denn noch immer waren die Vorräte der Waldelben knapp, doch das was es gab, war so wohlschmeckend, dass Cyneric am liebsten den ganzen Abend damit verbracht hätte, einen Bissen hiervon und ein Stückchen davon zu sich zu nehmen. Die Stimmung ihrer Gastgeber war gut, doch bis zu Zarifa drang die gute Laune leider nicht vor. Auch wenn es der jungen Südländerin offensichtlich schmeckte, schien sie ihr Misstrauen den meisten der Elben gegenüber noch nicht abgelegt zu haben. Cyneric vermutete, dass diese Tatsache mit den Dingen zu tun hatte, die Zarifa in ihrem bisherigen Leben von den Reichen und Privilegierten miterlebt hatte.
An diesem Abend erfuhr Cyneric, wie die Schlacht am Fuße des Einsamen Berges aus Sicht der Elben verlaufen war und wie das Bündnis mit Saruman in die Brüche gegangen war. Er war froh, dass seine Tochter dem Chaos unbeschadet entgangen war und sich nun in der Begleitung eines so berühmten Elbenfürstens wie Oronêl zu befinden. Doch als er Finelleth nach dem Grund der Reise Oronêls nach Dol Amroth fragte, wurde diese wieder eine Spur betrübter.
"Das solltest du ihn selbst fragen, falls es dir gelingt, ihn einzuholen," erklärte die Elbenkönigin. "Es steht mir nicht zu, Oronêls Beweggründe zu interpretieren, denn ich muss dir ehrlich gestehen, dass ich sie nicht ganz verstehe."
Diese etwas kryptische Antwort ließ Cyneric nichts Gutes ahnen. Er hoffte, dass seine Tochter wohlbehalten in Gondor ankommen würde, wenn es ihm nicht gelingen würde, sie reichtzeitig zu überholen.

Der Abend verging rasch und die Feierlichkeiten endeten. In der Nacht schliefen Cyneric und Zarifa in bequemen Betten und stellten sich darauf ein, auf diesen Komfort bis zu ihrer Ankunft in Rohan, weit im Süden, ab sofort verzichten zu müssen. Früh am folgenden Morgen sattelten sie ihre Pferde und beluden sie mit den Vorräten, die ihnen die Königin des Waldlandreiches mitgegeben hatte. Auch die Kleidung, die sie am Festabend getragen hatten, durften sie behalten. Finelleth verabschiedete sich persönlich von ihnen am Tor von Thranduils Hallen und wünschte ihnen viel Glück bei ihrer Suche. Dann stiegen sie in ihre Sättel und setzten sich entlang des Elbenpfades in Bewegung, der sie nach Südwesten durch den Wald bis zum Tal des Anduin führen würde. Dort planten sie, nach Süden abzubiegen und dem Weg zu folgen, den einst das Heer Eorls, des Gründers von Rohan genommen hatte, als es aus dem Norden zur Rettung von Gondor auf die Ebene von Celebrant ritt...


Cyneric und Zarifa zur Ebene von Celebrant

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