Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Der Düsterwald
Thranduils Hallen
Fine:
Die Zeit verging im goldenen Käfig nur sehr langsam. Zwar war Kerry froh, dass sie nicht alleine war, sondern ihre Gefangenschaft mit Mírwen teilte, doch nachdem sie einige Zeit miteinander gesprochen und sich gegenseitig verschiedene Fragen über das Leben der Anderen gestellt hatten, gab es nichts mehr, was Kerry über Mírwen wissen wollte. Sie vermied es, die Schlacht um Fornost anzusprechen, in der Mírwens Vater Cúruon gefallen war, und ließ auch das Thema Oronêl vorerst aus. Immerhin war Mírwen für Kerry eine gute Hilfe dabei, ihr Quenya zu verbessern, denn zwar verstand sie inzwischen die meisten Sätze und Wörter, doch ihr eigener Wortschatz war noch immer recht klein und sie kam immer wieder ins Stocken, wenn sie längere oder kompliziertere Sätze bildete. Mírwen hatte sich einige Zeit später entschuldigt und ruhte nun mit geschlossenen Augen sitzend vor dem kleinen Fenster, durch das ein wenig Licht in den kleinen Raum fiel. Kerry war für den Augenblick mit ihren Gedanken alleine.
Ich frage mich, was Oronêl gerade macht, dachte sie. Er hat gesagt, er würde mit Finelleth sprechen wollen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr Vater das ohne weiteres zulassen würde. Oronêl und Thranduil sind über einige Ecken miteinander verwandt, wenn ich das richtig verstanden habe. Aber Freunde sind sie deshalb noch lange nicht. Wie könnten sie auch? Thranduil folgt Saruman... dem Zauberer, der Feuer und Tod über Rohan und Lothlórien gebracht hat und dessen Worte falsch und verlogen sind. Kerry hielt inne, als ihr ein neuer Gedanke kam, und begann, unschlüssig auf und ab zu gehen. Aber Saruman hat diesmal sein Wort gehalten, und den Elben des Waldlandreiches tatsächlich ihre Heimat zurückgegeben... könnte das etwa bedeuten, dass er sich geändert hat? Nein, das kann nicht sein. Wieso sollte er? Die Elben sind wahrscheinlich so wertvolle Verbündete für ihn, dass er es sich nicht leisten kann, sie zu verlieren wie er Dunland und Eriador verloren hat. Außerdem spüre ich hier überall den schädlichen Einfluss der Weißen Hand - in diesen Hallen, in den Gesichtern einigen der Elben, und in den Worten ihres Königs. Vielleicht merken sie selbst nicht, wie Sarumans Gift in ihren Adern sie mehr und mehr verändert. Oh, ich glaube, uns läuft die Zeit davon! Wenn ich nur hier 'raus könnte, würde ich vielleicht...
Die Türe ging mit einem lauten Geräusch auf und Kerry fuhr erschrocken herum. Zwei Dúnedain kamen herein, beide in graue Umhänge und schwarze Lederrüstungen gehüllt. Einer der beiden war Daerod, mit dem Kerry zuvor kurz gesprochen hatte. Der zweite Mensch hatte kurz geschorenes graues Haar und eine lange Narbe auf der rechten Gesichtshälfte, die von seinem Mundwinkel bis zum Ansatz seines Ohres reichte. Sein Gesichtsausdruck war deutlich grimmiger als Daerods, und er schien eine höhere Stellung zu besitzen - erkennbar an dem silbernen Stern, der an seiner Umhangsspange befestigt war.
"Mitkommen," knurrte er und packte Kerry grob am Oberarm.
Mírwen war aufgesprungen, doch Daerod gab ihr zu verstehen, dass sie im Raum bleiben sollte. "Mit Euch werden sich die Elben Thranduils bald befassen," sagte er in einem neutralen Ton. "Wir haben Befehl, nur Kerry abzuholen."
Der zweite Dúnadan warf einen raschen, argwöhnischen Blick zu Daerod, offenbar darüber verwundert, dass er ihren Namen kannte. Doch er sagte nichts sondern zog Kerry unsaft durch die Türe in den Gang hinaus.
"Lass mich los, du Flegel," beschwerte sie sich. "Ich kann selbst gehen."
"Keine Dummheiten jetzt, Mädchen," warnte der Grauhaarige sie, ließ aber tatsächlich ihren Arm los.
"Wohin bringt ihr mich?" verlagte sie zu wissen.
Doch weder Daerod noch der zweite Mann antworteten ihr. Daerod ging voraus, ein schnelles Schrittempo anschlagend. Der Grimmige versetzt Kerry einen Schubs gegen den Rücken und zwang sie, vor ihm herzugehen und Daerods Weg zu folgen. Durch mehrere teilweise zerstörte Gänge kamen sie wenige Minuten später erneut in die große Halle, in deren Mitte Thranduils Thron stand. Der Sitz war inzwischen leer, und in der gesamten Halle waren nur wenige Elben zu sehen. Keiner von ihnen schenkte den drei Menschen Beachtung. Kerry hielt die Augen nach Oronêl, Finelleth und Eryniel offen, konnte aber keinen der drei entdecken. Sie durchquerten Thranduils große Halle rasch und kamen in einen breiteren Gang, der offenbar von jeglicher Zerstörung verschont geblieben war. An dessen Ende lag eine Wendeltreppe, die sich um eine riesige Wurzel wand und auf der sie mehrere Stockwerke in die Höhe stiegen. Hier war es heller und die Luft kam Kerry weniger stickig vor. Offenbar lebten hier jene Elben, die unter Thranduils Volk als besonders angesehen galten, denn die Verzierungen auf den Wänden und die Pflanzen, die überall wuchsen, waren hier prächtiger und prunkvoller als in den tieferen Etagen.
Vor einer aus hellem Holz gefertigten Tür blieben sie stehen. Zwei Dúnedain-Wächter hielten davor Wache; es handelte sich bei ihnen um einen Mann und eine Frau, die beide ähnliche Ausrüstung wie Daerod und sein älterer Kamerad trugen. Erst jetzt fiel Kerry auf, dass eine stilisierte weiße Hand auf ihren Oberkörpern prangte, umgeben von den Sternen Arnors.
Daerod blieb im Gang stehen als der grauhaarige Dúnadan Kerry grob durch die aufgestoßene Tür beförderte. Der Raum auf der anderen Seite war etwas größer als das Zimmer, das Kerry sich mit Mírwen teilte. An der gegenüberliegenden Wand war ein sehr großes und breites Fenster eingelassen, das beinahe die gesamte Rückwand einnahm und einen guten Ausblick über den Wald nördlich der Hallen des Waldlandkönigs bot. Davor stand ein nach elbischer Art gefertigter, breiter Tisch, auf dem allerlei Schriftrollen, Briefe und eine große ausgebreitete Karte lagen. Und zwischen Fenster und Tisch saß eine Gestalt, die sich gerade über die Karte beugte und nicht einmal dann aufblickte, als einer der beiden Wächter die Türe geräuschvoll hinter Kerry schloss. Sein Gesicht war unter der Kapuze seines grauen Umhangs verborgen.
"Brannon nín", sagte der Grauhaarige und machte eine ehrerbietende Geste, indem er mit der Faust gegen seine Brust schlug. "Ich habe das Mädchen gebracht."
Noch immer schien den Mann auf dem Stuhl die Karte viel mehr zu interessieren als sein neuer Gast, denn seine Reaktion bestand nur aus einer abwinkenden Geste mit der linken Hand. "Das wäre alles, Forgam," fügte er leise hinzu.
Forgam - der grauhaarige Dúnadan, der Kerry hierher gebracht hatte, zog sich in Richtung der Tür zurück und ließ Kerry etwas ratlos dort stehen. Sie sah zu, wie der Dúnadan, den Forgam Brannon genannt hatte, mit der rechten Hand eine grüne Linie auf der Karte nachfuhr und eine kleine Figur verschob, die wie eine weiße Hand gestaltet war. Als sie genauer hinsah, stellte sie fest, dass sie eine Karte des Düsterwalds vor sich hatte. Die Figur der weißen Hand stand jetzt am nordöstlichen Waldrand, ganz in der Nähe der als "Seestadt" bezeichneten Stadt der Menschen am Langen See. Auch dort waren bereits ähnliche Figuren platziert: diese waren rot und ein stilisiertes Auge war darin eingeritzt. Saurons Streitkräfte, wurde ihr klar.
Als der Dúnadan noch immer keine Reaktion auf Kerry zeigte, wandelte sich ihre Verwirrung mehr und mehr in Verärgerung. Sie stemmte die Fäuste in die Hüften und trat an den Kartentisch heran. "Du hast mich herbringen lassen, und hier bin ich," sagte sie laut und absichtlich ohne jeglichen Respekt. "Was also willst du von mir?"
Endlich hielt der Dúnadan inne und blickte auf. Noch immer lag der Großteil seines Gesichts im Schatten der Kapuze, doch Kerry glaubte, für einen Bruchteil eines Augenblicks tiefblaue Augen darunter aufblitzen zu sehen.
"Es ist unhöflich, seinen Gastgeber zu unterbrechen wenn man zur Audienz gebeten wird," sagte er leise. "Doch um deinetwillen werde ich für den Moment darüber hinwegsehen. Bitte, nimm Platz."
Foram stellte Kerry einen Stuhl hin und sie setzte sich ihrem "Gastgeber" gegenüber an den Tisch.
"Also," begann er, noch immer mit leiser, aber gut zu verstehender Stimme. "Wie soll ich dich ansprechen? Du hast in den wenigen Jahren deines Lebens viele Namen angesammelt. Déorwyn, Cynerics Tochter, das wilde Mädchen von Hochborn, Dana Weizler vom Scheunenhof, Kerevalline die Ungestüme, und zuletzt Ténawen von Haus Nénharma."
Kerrys Mund klappte auf, doch keine Worte kamen heraus. Woher weiß er...
"Überrascht?" Ein gefährliches Lächeln erschien aus den Schatten der Kapuze. "Dachtest du, die Augen des Stern des Nordens wären blind? Ich weiß genau wer du bist, und was du getan hast. Ich habe deine Ankunft schon erwartet. Aber werte das nicht als Hochschätzung. Die Geringste in deiner Gruppe bist du, keine Gefahr für die Pläne des Meisters. Jetzt, wo dein Ziehvater dich verlassen hat, bist du noch hilfloser als zuvor."
Zorn stieg in Kerry auf. "Ist es nicht ebenso unhöflich, dass du offenbar alles über mich weißt, mir aber im Gegenzug nicht einmal deinen Namen verrätst? Und sprich nicht so über Mathan - du kennst ihn nicht, und weißt nicht, welchen Aufgaben er sich nun stellen muss. Nenn mich, wie du willst! Es ist mir gleich - genau so gleichgültig, wie mir dein hochfahrendes Gerede ist."
Der Dúnadan schien belustigt zu sein. "Nun, bezüglich deines Temperaments hat der Bericht aus Eriador augenscheinlich nicht übertrieben, Kerry." Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schien den Augenblick zu genießen. Dann setzte er langsam die Kapuze ab und sagte: "Ich bin Helluin, Haldars Sohn - Stammesführer der Dúnedain und rechte Hand Cúrunir Herons."
Kerry starrte ihn an. Sie hatte bereits viel über Helluin gehört: von Rilmir, von Belen und sogar von Gandalf. Doch niemals hatte sie sich ihn so vorgestellt. Das Gesicht war jung, viel jünger als sie erwartet hatte. Zwar trug er einen kurzen Bart, doch er konnte kaum ein oder zwei Jahre älter als Kerry selbst sein. Seine Züge waren hart, und doch haftete ihnen noch immer ein Hauch von Jugendhaftigkeit an. Kerry wusste, dass Helluin im Alter von siebzehn Jahren vom Rat der Dúnedain zu ihrem Anführer erklärt worden und über Nacht zum Mann geworden war - vor seiner Zeit, wie Belen oft betont hatte. Doch damals, nachdem weder Aragorn noch Halbarad aus den Schatten Mordors nach Arnor zurückkehrten, war er der letzte aus Isildurs Linie gewesen. Die letzte Hoffnung für die Dúnedain, zumindest bis Belen aus seiner Gefangenschaft in Mordor entkam und sich in den Norden durchschlug. Doch damals war es bereits zu spät gewesen.
Helluin erwiderte Kerrys Blick und seine Augen hielten sie fest. Sie waren tatsächlich auffällig und kräftig blau, geradezu leuchtend. Leuchtend wie zwei Sterne - doch ohne jegliche Wärme. Kälte und Eis schienen von Helluins Blick auszugehen.
Endlich brach er das Schweigen. "Also, Kerry. Du hast Saruman viel Ärger bereitet. Was machen wir jetzt mit dir?"
Kerry beschloss, ihm nicht die Genugtuung zu geben und sich zu fürchten. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und antwortete: "Ihr könnt mir ihr machen, was ihr wollt. Ich habe keine Angst vor dir, Helluin."
"Oh, ich habe nicht vor, dir etwas anzutun. Nein, das bist du nicht wert. Im Gegensatz zu den Dienern Saurons habe ich keine Freude an Folter und Qual."
"Und was ist mit dem Fall Lothlóriens? Deine Leute tragen Schuld daran!"
"Ein notwendiges Opfer. Die Elben und ihre fehlgeleiteten Verbündeten mussten erkennen, dass Saruman es ernst meint. Außerdem birgt der Goldene Wald unschätzbare Ressourcen... Ressourcen, die die Elben eifersüchtig gehortet und somit vergeudet haben. Jetzt werden sie im Krieg gegen den Dunklen Herrscher eingesetzt."
Wenn Oronêl das hören könnte, würdest du deinen Kopf schneller verlieren als du "Saruman" sagen könntest, dachte Kerry zornig. Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte. Glaubte Helluin das alles wirklich, oder waren es nur Sarumans Lügen, die seinen Verstand vergiftet hatten?
"Saruman, immer nur Saruman," presste sie wütend hervor. "Siehst du denn nicht, dass er nur seine eigene Macht im Sinn hat, und dich und den König der Waldelben nur ausnutzt?"
"Aus dir hören ich nur die Lügen Anderer sprechen," gab Helluin gelassen zurück. "Saruman hat den Waldelben ihre Heimat zurückgegeben, wie er es versprochen hat. Als nächstes sind die Menschen von Thal an der Reihe, deren König große Weisheit gezeigt hat als er sich uns bei Dol Guldur anschloss. Und auch die Galadhrim könnten schon bald nach Lórien zurückkehren, wenn sie mit Saruman zusammenarbeiten würden. Natürlich würden sie dabei helfen müssen, die Bäume dort für die Kriegsmaschinerie zu fällen, doch wie alle Pflanzen werden auch die Mellyrn nachwachsen. Es wird kein bleibender Schaden entstehen. Und was die Dúnedain angeht: Wir nehmen endlich unseren rechtmäßigen Platz als die Herren der Menschen ein. Viel zu lange haben wir das Erbe Númenors mit Füßen getreten und haben in Wäldern und Höhlen gehaust wie Wilde. Auch deine verblendeten Freunde in Fornost werden das bald verstehen. Es gibt keinen Grund für weitere Gewalt. Wenn die Worte des Meisters sie erreichen, werden sie die Wahrheit erkennen und Arnor wird sich aus den Schatten der Zeit erheben und alle Menschen des Nordens unter dem Sternenbanner vereinen."
Kerry tippte Helluin unbeeindruckt auf die Brust. "Ich sehe die Sterne, von denen du sprichst - doch in ihrem Zentrum steht die Weiße Hand. Saruman will herrschen, und zwar alleine. Er teilt seine Macht nicht."
Geradezu sanft nahm Helluin ihre Hand und schob sie von sich. "Ein Mädchen wie du kann das nicht verstehen. Du plapperst nur nach, was dir Andere eingeflößt haben. Ich weiß, dass einige Taten Sarumans auf den ersten Blick böse wirken können, aber er tut nie etwas unbedachtes. Alles folgt seinem Plan. Wenn sich die Auswirkungen zeigen - vielleicht erst in einigen Jahren - werden alle dem Meister noch dankbar sein."
"Sprich nicht mit mir als wäre ich ein Kind! Du bist kaum älter als ich," gab Kerry agressiv zurück.
"Das mag sein. Aber dir fehlt die Weisheit, die mir zuteil wurde. Wenn du mit Saruman sprechen würdest... würdest du verstehen. Du würdest alles verstehen. Und ich gebe dir die Gelegenheit dazu. Ich bin kein Unmensch. Zwar hast du dich in Eriador an vielen torhaftigen Taten beteiligt, doch ich kann darüber hinwegsehen. Du bist nur jenen gefolgt, die du für deine Freunde hieltest und hattest keine Chance, dich umzuentscheiden. Ein Mädchen, von den Schatten Mordors aus der Heimat vertrieben und vom Schicksal hart getroffen. Hättest du nicht Rilmir, sondern einen meiner Gefolgsleute getroffen, hätte alles anders kommen können. Und das kann es jetzt. Bleibe hier, und sprich mit mir. Ich werde dir helfen, wenn du mir im Gegenzug ebenfalls hilfst."
"Mit dir zu sprechen ist Zeitverschwendung," sagte Kerry, doch innerlich begann ihre Entschlossenheit zu wanken. Vielleicht ist er wie Schlangenzunge, und wünscht sich nur eine... eine hübsche Begleitung? Sollte ich mich darauf einlassen, um seine Pläne herauszufinden und sie an Oronêl weiterzugeben? Oh, was würde nur Aéd davon halten?
"Noch immer so heißblütig," sagte Helluin schmunzelnd. "Das gefällt mir. Aber keine Angst: Im Gegensatz zu Gríma habe ich nur dein Bestes im Sinne. Nun erschrick doch nicht! Oder ist das Errötung, die sich auf deinen Wangen zeigt? Nun, auch das kann ich verstehen. Was dort in deiner Zelle geschehen ist, ist nichts, das man gerne in einem Bericht seines Spions in Eriador liest. Leider sind einige Diener Sarumans nicht so zuverlässig wie man es sich wünschen würde. Aber sprechen wir nicht mehr davon; denn ich kann sehen, dass es dir nicht behagt. Reden wir lieber von deinen "Freunden" in Fornost. Wie ist die Lage in der Stadt? Wieviele Dúnedain sind dort? Haben sie vor, Bree anzugreifen?"
Kerry fühlte sich noch immer bis ins Innerste getroffen. Helluin schien all ihre tiefsten Geheimnisse zu kennen. Und dennoch will er jetzt Informationen über den Sternenbund aus mir herausholen, wunderte sie sich. Ist das eine Art Test? Sicherlich weiß er bereits genau, was in Fornost vor sich geht.... "Ich werde dir nichts verraten," sagte sie mit der wenigen Entschlossenheit, die sie noch aufbrachte.
Für einen kurzen Augenblick legte sich ein Ausdruck von Enttäuschung auf Helluins Gesicht, doch er verschwand so rasch wie er gekommen war. Der Dúnadan legte die Fingerspitzen zusammen und sagte: "Fragst du dich nicht auch, wo dein Vater ist, Kerry? Dein richtiger Vater, nicht dieser Elbling mit fragwürdigen Absichten."
"Er ist... in Rhûn," kam es über Kerrys Lippen, ehe sie sich stoppen konnte.
Helluin nickte. "Ja, das ist er. Aber du weißt nichts darüber, wo er sich dort genau aufhält und wie es um ihn bestellt ist. All das könnte ich für dich herausfinden..."
Bleib stark! Er versucht dich auf seine Seite zu ziehen, aber das darfst du nicht zulassen! Kerrys Gedanken rasten und sie bekam mit einem Mal kaum noch Luft. Sie wusste nicht, was sie tun sollte und wünschte sich, sie wäre niemals mit ins Waldlandreich gereist.
"Ich sehe, die Entscheidung fällt dir nicht leicht," sagte Helluin. "Das kann ich verstehen, immerhin geht es hier um Personen, die du mehrere Jahre als Freunde bezeichnet hast. Ich werde dir Zeit geben, über mein Angebot nachzudenken. Aber nutze die Zeit gut. Denk daran: Wenn du dich mir anschließt, werden wir zusammen Großes erreichen und du wirst noch viele wunderbare Dinge sehen. Schlägst du das Angebot aus, steht dir ein ungewisses und schlimmes Schicksal bevor. Triff deine Wahl weise, Kerry... Forgam, bring sie zurück. Es gibt jetzt andere wichtige Dinge zu besprechen."
Forgam trat aus den Schatten hervor und packte erneut Kerrys Arm, doch diesmal riss sie sich los. "Ich finde den Weg selbst," sagte sie mit fester Stimme. Und so ging sie vor Forgam her, auf demselben Weg den sie gekommen war. Daerod war verschwunden, und auch von ihren elbischen Freunden sah Kerry im Thronsaal keine Spur. In dem Zimmer, das man ihr und Mírwen zugewiesen hatte angekommen, ließ sie sich erschöpft auf das kleine Bett fallen, das an der Rückwand stand. Mírwens Fragen wehrte sie vorerst mit einem einfachen "Ich muss nachdenken" ab, als die Tür wieder ins Schloss fiel und sie erneut einsperrte.
Tauriel?:
Sie folgte dem steinernen Pfad vor ihr und weiter unten gurgelte das Wasser. Es ist Zeit. Keine weiteren Aufschübe oder Ablenkungen. Vor ihr in der Felswand war ein Eingang. Zu beiden Seiten standen Säulen, an dessen Front Statuen zweier Elben angebracht waren die je eine Klinge über dem Eingang hielten, wo sich diese dann kreuzten. Sie stehen noch.. Eryniel schloss die Augen und lächelte sanft. Das kleine Vordach über dem Eingang war von dichtem Efeu überwachsen, was sich über die Säulen nach unten hangelte und an den Sockeln, der beiden Wächter in ihren marmornen Rüstungen, endete.
Langsam trat sie zum Tor aus Eisen-Stangen, wie Äste verzweigt und von dessen Gestalt, und zog einen Schlüssel aus der kleinen Tasche an ihrem Gürtel. Mit ruhiger Hand steckte sie ihn in das Schloss mittig des Tors und drehte ihn eine halbe Umdrehung, bis es klickte. Tief atmete sie ein und dann wieder aus, ihre Hände griffen je eine Stange bieder Flügel und schwang sie langsam nach innen auf.
Es war dunkel in dem Raum, als sie die ersten Schritte hinein tat. Vor ihr stand, an der hinteren Wand, der große Schmiedeofen, davor der Amboss. Der Ofen war wie ein Baumstamm gefertigt worden und seine gewaltigen Ausläufe bedeckten das ganze Plafond und gingen dann in die Zimmerdecke über. Wunderschön, doch ward er so lange in dieser finsteren Kälte eingesperrt. Es ist Zeit das Feuer zu entfachen!
Eryniel trat an eine der Säulen des Eingangs, an dessen Innenseite sich ein Hacken befand mit einer Laterne daran. Nun holte sie zwei kleine weiße Steine aus ihrer Tasche, welche durchscheinend waren. Fest hielt sie beide in der Hand und konzentrierte sich darauf. Leise flüsterte sie ein paar Wörter in der Sprache der Waldelben und durch ihre geschlossene Hand strahlte ein goldenes Licht. Einen der beiden leuchtenden Steine brachte sie in der einen Laterne an, den anderen in der Laterne der zweiten Säule. Der Raum ward nun etwas beleuchtet, so dass Eryniel sehen konnte, wie es um die alte Schmiede stand. Bis auf einige Pflanzen hier und da schien noch alles da zu sein. Rechts erhob sich der Raum über zwei Stufen. Dort waren einige Gestelle für Waffen und auch an der Wand hingen Halterungen. Links befand sich eine Trennwand mit breitem Eingang. Darin fanden sich einige Regale mit Büchern und Werkzeug, sowie ein runder Tisch an der Wand mit drei kunstvollen Stühlen. Eryniel trat an den Amboss. Ihr floss eine Träne über die Wange, als sich ihre Hand um den Griff des Hammers darauf schloss. Es war der Hammer ihres Vaters, dies war seine Schmiede, sein Leben. “Savo hîdh nen gurth“, sagte sie leise.
Sie kniete sich vor dem Schlund des Ofens. Sein Feuer mochte lange geruht haben doch dies sollte nun ein Ende haben. Sie füllte ihn mit einigen Scheiten Holz, die daneben gelagert waren, und Kohlen, aus einem ebenfalls dort liegenden Sack, auf. Sie nahm ein paar Büschel Stroh und stopfte diese zwischen die Äste. Von einer Ablagefläche nahm sie zwei Feuersteine, welche sie nutze, um das Stroh zu entzünden. Sie pustete einige Male bis Flammen aufzüngelten.
Lange saß sie vor dem Feuer und lauschte dem Knistern der brennenden Zweige, die in sich zusammenbrachen. Dann ging sie zum Blasebalg an der rechten Flanke des Herds und begann Luft zu pumpen, um die Kohlen anzufachen, bis der Ofen hell glomm und genug Hitze aufgebaut hatte. Sie legte einige Kohlen nach. Das sollte reichen.
Funken flogen, begleitet vom hellen Klirren des Ambosses, als der Hammer darauf niederging.
“Du hast deine Angst also doch noch überwunden“, seine heitere Stimme ertönte von Hinten. “Ich habe gehofft, dass du sie überwältigst und dich dazu durchringst.“
Sie drehte sich um. Er stand lässig im Eingang und lehnte sich an das Tor. “Du hattest doch nicht wirklich gedacht ich würde sie einfach so verkommen lassen, Paladir?“, sagte sie vorwurfsvoll doch nicht allzu ernst.
“Nun, nicht wirklich.. Doch ich lasse mich lieber von deinen Taten überzeugen, als von dem was ich denke, dass du tun wirst. Das war seither nie das was ich erwartete.“, er lachte kurz auf.
“Vielleicht seid ihr einfach schlecht im Raten?“, absichtlich sprach sie ihn nun formell an, um ihn zu necken.
Er sprach nun ernster: “Alles in Ordnung? Ich habe dich nicht ihm Thronsaal gesehen. Fremde sind eingetroffen un..“
Sie unterbrach ihn: “Ich war dort und mir geht es gut.“
“Oh. Verzeih.“, er drückte sich von der Säule ab und ging in die Schmiede. “Wenn ich schon einmal hier bin, so kann ich dir auch etwas zur Hand gehen.“
Sie hielt ihm eine grob geformte Klinge hin. Er nahm sie entgegen und stellte sich zu ihr an den Amboss.
Eandril:
Oronêls Weg führte ihn durch die immer wieder von mächtigen Wurzeln durchzogenen Gänge des Waldlandreichs, immer weiter nach oben. Am Ende einer gewundenen, kunstvoll verzierten Treppe, gelangte er in einen langen Gang, der sich wie er sich erinnerte über der großen Halle befand und sich entlang ihrer ganzen Breite zog. An diesem Gang lagen die Gemächer der königlichen Familie, wie Oronêl von seinem letzten Besuch vor so langer Zeit wusste - oben an der Spitze des Hügels, wo die Bewohner durch Fenster zwischen den Wurzeln und Stämmen der großen Bäume nach draußen über den Wald blicken konnten. Die Wände des Ganges waren mit Holz verkleidet und mit Schnitzereien, die die Geschichte der königlichen Familie über die Zeitalter zeigte, und die Geschehnisse im Waldlandreich seit seiner Gründung. Als Oronêl und Amdír vor Jahrtausenden hier gewesen waren, hatten die Schnitzereien nur ein kleines Stück des Ganges bedeckt, doch jetzt zogen sie sich beinahe die gesamten Wände entlang - und ihr Anblick schmerzte Oronêl. Auch hier oben hatten Saurons Orks gehaust. Von den Schnitzereien waren große Stücke herausgebrochen worden, es waren Kerben hineingeschlagen worden und viel war noch immer von schwarzer und roter Farbe besudelt. Flüche und finstere Worte, und das allgegenwärtige Zeichen des Roten Auges bedeckten das uralte Holz. Angesichts dieser Zerstörung vermochte Oronêl für einen kurzen Augenblick zu verstehen, wie Thranduil Saruman folgen könnte - doch im nächsten Moment dachte er daran, wie es in Lórien aussehen mochte, durch Sarumans Schuld.
Die Tür am Ende des Ganges führte in Thranduils eigene Gemächer, doch hinter der nächsten Tür zur linken befanden sich die Räume, in die man laut Malduin Finelleth gebracht hatte. Vor beiden Türen stand ein Wächter in der Rüstung der Silvan-Garde.
"Ich möchte zu Herrin Faerwen", sprach Oronêl den Wächter vor Finelleths Tür an. "Ihr meint die Späherin Finelleth?", erwiderte der Wächter, auch wenn die Worte nur widerwillig aus seinem Mund zu kommen schienen. Oronêl schüttelte den Kopf. "Nein, ich meine nicht die Späherin Finelleth. Die Späherin Finelleth ist mit mir durch Arnor und Eriador gereist und über die Hithaeglir nach Osten. Aber jetzt möchte ich Faerwen, Thranduils Tochter und Erbin des Waldlandreichs sehen."
Die beiden Wächter wechselten unbehagliche Blicke. "Ich denke nicht, dass wir..." "Der König hat uns nur befohlen darauf zu achten, dass seine T... Finelleth ihre Gemächer nicht verlässt", warf der Wächter vor Thranduils Tür, ein großer Elb mit dunkelbraunen Haaren und einer Narbe an der Schläfe, ein. "Er hat nicht verboten, dass jemand zu ihr kommt - und Herr Oronêl ist darüber hinaus immerhin ihr Vetter und gehört damit ebenfalls zur königlichen Familie."
Oronêl zog interessiert eine Augenbraue in die Höhe. So hatte er es noch nicht betrachtet - er war sich seiner Verwandschaft zu Thranduil zwar bewusst gewesen und hatte sie auch mit Bedacht eingesetzt, aber man konnte es auch so betrachten, dass er direkt der königlichen Familie angehörte. Immerhin waren seine Urgroßmutter Linwen und Thranduils Urgroßvater Malgalad Geschwister gewesen, und Oronêl hatte Thranduils Cousine geheiratet. Er wandte sich wieder dem linken Wächter zu. "Du hast es gehört - es ist euch nicht ausdrücklich verboten worden, mich - oder überhaupt jemanden - zu Faerwen zu lassen. Und außerdem bitte ich dich als Mitglied der königlichen Familie in aller Höflichkeit, mich vorbei zu lassen."
Der Wächter seufzte, und trat dann zur Seite. "Vielen Dank", meinte Oronêl, während er die Tür öffnete. "Keine Sorge, ich werde dafür sorgen, dass du deswegen keine Schwierigkeiten bekommst." Es hörte sich zuversichtlicher an, als er eigentlich war.
Der Raum war größer, als Oronêl erwartet hatte. Die Decke war hoch und von schmalen hölzernen Querbalken, die in einer Art Kuppel zusammenliefen, gestützt. Es gab nicht viele Möbel. Ein Tisch mit einigen Stühlen, ein schmales Bett unter den Fenstern an der Rückwand des Zimmers, nicht mehr. Alles sah neu und nicht benutzt aus, und ein Geruch nach frischem Holz hing in der Luft. Oronêl sah zunächst keine Spur von Finelleth, bis er ihre Stimme aus einem mit einem hellgrünen Vorhang abgetrennten Alkoven an der linken Wand hörte. "Wer ist da?" Sie klang ein wenig atemlos, und Oronêl wunderte sich, was der Grund dafür sein mochte.
"Ich bin es, Oronêl", antwortete er. "Ist alles in Ordnung?"
Finelleth stieß ein Geräusch aus, das kein bisschen nach ihr klang - man konnte es beinahe als Quieken bezeichnen. "Ja ja, alles in Ordnung... ich muss nur kurz... komm bloß nicht hier rein!" Oronêl schüttelte den Kopf, ging langsam durch den Raum und ließ sich auf einem der frisch gezimmerten Stühle nieder. "Faerwen, was bei allen Bäumen treibst du dort drin?"
"Ich versuche... deinen Rat zu beherzigen", kam die atemlose Antwort. "Ich... oh verdammt. Wie soll denn..."
"Faerwen...", sagte Oronêl langsam, und spürte, wie sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. Während sein Blick durch den Raum geschweift war, hatte er über der Stange, die den Vorhang vor dem Alkoven hielt, die ledernen Beinkleider entdeckt, die Finelleth üblicherweise trug. "Du tust doch nicht etwa was ich denke, dass du es tust?"
"Hör auf, darüber zu scherzen!" Finelleth klang frustriert. "Ach, ich kann nicht... du musst herkommen, und mir helfen." Oronêl stand auf und ging gemächlichen Schrittes durch den Raum, während er still in sich hineinlachte. Trotz der ernsten Lage im Waldlandreich war die Situation einfach zu merkwürdig-komisch, um nicht darüber zu lachen. Er zog den Vorhang zur Seite, und sah sich Finelleth gegenüber, die nicht länger ihre übliche Lederkleidung trug, sondern ein weißes Kleid mit grünen Stickereien, dass sie vor der Brust mit beiden Händen festhielt. "Hör auf zu grinsen", fuhr sie Oronêl an. "Wie um alles in der Welt soll man dieses Teil alleine anziehen können?"
"Gar nicht", antwortete Oronêl, um eine ernsthafte Miene bemüht. "Was glaubst du, warum die meisten adligen Frauen bei den Menschen Zofen haben, die ihnen dabei helfen?"
"Das kann nicht dein Ernst sein", gab Finelleth zurück. "Das muss doch möglich sein." Oronêl zuckte mit den Schultern. "Ist es wohl auch, mit genug Übung - die dir natürlich fehlt. Schade nur, dass ich dir dabei ebenfalls nicht helfen kann... wir werden wohl jemanden holen müssen. Wie wäre es mit Kerry?"
"Du meinst das nicht ernst", stellte Finelleth fest. "Oder? Kerry würde mich das nie vergessen lassen."
"Niemals", bestätigte Oronêl, ohne eine Miene zu verziehen. "Aber zu deinem Glück habe ich gelogen - dreh dich um." Finelleth wandte ihm mit einem erleichterten Seufzer den Rücken zu, und Oronêl begann, das Kleid zu verschnüren. Es war lange her, dass er Calenwen dabei geholfen hatte, doch er hatte nicht vergessen, wie es ging. "Nie wieder tue ich das", ächzte Finelleth, als er fertig war, und wandte sich ihm wieder zu. "Ich weiß schon, warum ich als Kind irgendwann aufgehört habe, diese Dinger zu tragen."
"Und warum tust du es jetzt wieder?", fragte Oronêl, obwohl er die Antwort kannte.
"Du hast meinen Vater doch erlebt. Ich bin nicht seine Tochter, sondern die ungehorsame Späherin Finelleth. Selbst den Wachen hat er gesagt, dass sie mich so anreden sollen."
"Ich habe es erlebt", sagte Oronêl leise, und Finelleth blickte zu Boden.
"Das hier..." Sie deutete an dem Kleid herunter. "Das hier sollte... ich weiß nicht. Ihn daran erinnern, dass ich immer noch seine Tochter bin. Dass er immer noch mein Vater ist. Dass ich ihn trotz allem nicht hasse, und... dass er mich auch nicht hassen sollte."
Eine einzelne Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel und tropfte zu Boden. Ohne darüber nachzudenken, legte Oronêl die Arme um sie, und zog sie an sich. "Wir werden es wieder gut machen", sagte er leise, während sie ihr Kinn auf seine Schulter bettete, und den Tränen für einen Augenblick freien Lauf ließ. "Wir werden deinen Vater daran erinnern, wer er ist und wer seine Freunde sind. Sei tapfer, Faerwen, wie du es immer warst." Er hielt sie fest und strich ihr mit der rechten Hand sanft über den Rücken, während sie weinte, bis Finelleth sich schließlich sanft, aber entschieden aus der Umarmung löste. Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränenspuren von den Wangen, und sagte: "Wenn du jemandem davon erzählst, dann... dann... dann wirst du es bereuen." Der weiche Ausdruck in ihren Augen strafte ihre drohenden Worte Lügen, und Oronêl lächelte. "Ich zweifle nicht daran", gab er zurück. "Du brauchst es nicht zu befürchten."
Im selben Augenblick schwang die Tür auf, und Thranduil trat in den Raum. Als er Oronêl sah, verdüsterte sich seine Miene kurz, doch bei Finelleths Anblick blieb er auf der Stelle stehen und für einen winzigen Moment huschte etwas ähnliches wie ein Lächeln über sein Gesicht.
"Ich kann mich nicht daran erinnern, dir erlaubt zu haben hierher zu kommen, Vetter", sagte er dann an Oronêl gewandt. "Du hast es mir auch nicht verboten", erwiderte Oronêl. "Du hast mir stattdessen gestattet, mich frei in deinem Reich zu bewegen, solange ich keine Waffen trage - und wie du siehst, bin ich vollkommen unbewaffnet."
"Ein Fehler meinerseits, sicherlich", meinte Thranduil kühl. "Ich bin eigentlich gekommen, um mit meiner Tochter zu sprechen."
"Es freut mich, dass du dich daran erinnerst wer ich bin." In Finelleths Stimme schwang ein kaum verhohlener Hauch Bitterkeit mit. "Ich hatte befürchtet, du hättest es vergessen - Vater."
"Ich habe es nicht vergessen", erwiderte Thranduil langsam, und schüttelte den Kopf. "Aber du machst es mir nicht leicht, das nicht zu tun - mit allem, was du tust. Du hättest mit mir kommen sollen, nach Dol Guldur. Wir hätten unser Volk gemeinsam in unsere Heimat zurück führen können, wie ich es nun alleine tun musste."
"Als Sarumans Diener?", gab Finelleth verächtlich zurück. "Niemals. Du und ich, wir waren beide in Lórien und haben gesehen, was er dort getan hat."
"Ein notwendiges Übel", widersprach Thranduil, doch in seiner Stimme schwang weniger Überzeugung mit als im Thronraum. "Aber ich bin nicht deswegen gekommen."
"Warum dann?", fragte Oronêl an Finelleths Stelle. Zum ersten Mal seit sie im Waldlandreich angekommen waren, wirkte Thranduil ein wenig ratlos. "Vielleicht, um meine Tochter um Verzeihung zu bitten."
Finelleth warf Oronêl einen Hilfe suchenden Blick zu, doch er war ebenso überrascht wie sie. Da sie beide schwiegen, sprach Thranduil weiter: "Ich habe im Thronsaal einige Dinge gesagt, die... falsch waren. Du bist ebenso sehr mein Kind wie Legolas es gewesen ist. Obwohl du rebellisch und stolz bist, und nicht erkennen kannst, was Curunír für uns tut."
Finelleth schwieg, anscheinend getroffen von den Worten ihres Vaters. Stattdessen antwortete Oronêl: "Saruman tut nichts für euch. Saruman tut nur etwas für sich selbst, Thranduil. Er will keine Verbündeten, er will Diener. Irgendwann wird euch das bewusst werden, doch dann wird es zu spät sein - und dann wird er euch fallen lassen und vernichten. Dich, und alle die dir folgen."
"Du hast es schon gesehen", fügte Finelleth tonlos hinzu. "Die Elben Lóriens waren einst seine Verbündeten - ganz gleich, welche Lügen er inzwischen verbreitet. Doch sie wollten nicht seine Diener sein, und so versuchte er, sie zu vernichten. Die Menschen Rohans waren seine Verbündeten in alten Zeiten. Und als sie nicht seine Untertanen sein wollten, hat er versucht, sie zu vernichten. Und glaubst du, er hat sie nach Dol Guldur aus der Güte seines Herzens gehen lassen? Er hat sie unbehelligt gehen lassen, weil er sich einen Kampf gegen sie nicht leisten konnte, doch du kannst dir sicher sein, dass er sie erneut angreifen wird, wenn er sich stark und sicher genug dazu glaubt."
"Die Lügen anderer haben euren Geist umwölkt, fürchte ich", erwiderte Thranduil. "Die Lügen derer, die nicht einsehen wollen, dass sie einen Fehler begingen als sie Curunír hintergingen und ablehnten, und die die ganze Welt ihrem Stolz opfern. Auch ich habe ihn einst als meinen Feind angesehen, doch ich habe mit ihm gesprochen, meinen Stolz überwunden und meinen Fehler eingesehen. Nur so kann diese Welt gerettet werden."
"Und aus dir sprechen die Lügen Sarumans." Oronêl schüttelte den Kopf. "Wie kannst du glauben, dass jemand wie Mithrandir, Galadriel oder Elrond Saruman aus kleinlicher Missgunst hintergehen würden, während Saurons Schatten die Welt bedroht? Es war Saruman, der sie in seiner Gier nach Macht hintergangen hat." Er hatte vieles über Sarumans Verrat gehört seit dem Fall von Lórien, denn er hatte wissen wollen, wie es dazu gekommen war. "Du sagst, die Menschen von Rohan und Gondor, die Elben von Imladris und Lindon, die Elben von Lórien wären Narren, dass sie nicht mit Saruman gemeinsam gegen Sauron kämpfen. Aber du vergisst, dass es Saruman war, der Rohan hinterrücks überfiel, während im Osten die Bedrohung aus Mordor näher rückte, anstatt an ihrer Seite gegen den Feind zu kämpfen."
"Das ist Vergangenheit", widersprach Thranduil. Noch keiner der drei hatte sich seit Beginn des Gesprächs vom Fleck bewegt, und eine deutlich spürbare Spannung lag über dem Raum. "Es wurden Fehler auf beiden Seiten gemacht, doch jetzt zählt der Kampf gegen Sauron. Curunír kämpft gegen ihn, mit all seiner Macht - und er könnte noch mehr Macht aufbieten, wenn ihr nicht in eurem kleinlichen Groll in seinem Rücken gegen ihn kämpfen würdet. Er hat Dol Guldur aus den Fängen des Feindes entrissen, mir meine Heimat zurückgegeben und als nächstes wird er den Menschen von Thal ihre Freiheit und ihren König wiederbringen."
"Saruman verspricht Geschenke an die, die ihm helfen", meinte Finelleth langsam, während sie ihren Vater nicht aus den Augen ließ. "Erinnere dich, wen man einst Annatar, den Herrn der Geschenke, nannte - und wie seine Geschichte endete."
"Ich habe einen Freund, der den Untergang von Eregion miterlebt hat", knüpfte Oronêl an ihren Gedanken an, und wünschte sich, Mathan wäre nicht nach Norden weitergezogen. Er hätte ihnen sehr dabei helfen zu können, Thranduil von seinem Irrtum zu überzeugen. "Er könnte dir viel darüber erzählen, wie Sauron Celebrimbor umgarnte, ihm geheimes Wissen und Geschenke brachte - und ihn verriet, als er hatte was er wollte. Ebenso wird es dir mit Saruman gehen. Sie sind sich ähnlich, er und Sauron."
"Niemand weiß, was die Zukunft bringt", erwiderte Thranduil, doch Unsicherheit flackerte in seinem Blick. "Das Wissen um die Vergangenheit lässt uns nicht voraussagen, was in Zukunft geschehen wird." Er schüttelte den Kopf. "Ich sehe, es ist nicht möglich, euch ohne weiteres davon zu überzeugen, dass ihr im Irrtum seid - und das bekümmert mich. Doch vielleicht gibt es eine Möglichkeit: Schon bald werden wir ein letztes Mal für Curunír ins Feld ziehen, als Teil des Handels. Wir werden an der Seite seiner Armeen nach Osten ziehen, und Thal und den Erebor aus den Klauen des Feindes entreißen. Begleitet mich, und ihr werdet sehen, dass Saruman treu zu seinem Wort steht."
Oronêl wechselte einen Blick mit Finelleth. Das war nicht der Grund, weswegen sie hierher gekommen waren - in Sarumans Armeen zu kämpfen. Und dennoch... wer konnte beiseite stehen, wenn sich die Gelegenheit bot, Sauron einen schweren Schlag zu versetzen? Schließlich nickte Oronêl langsam, und Finelleth wandte sich Thranduil zu. "Also schön, wir werden mit dir gehen - nur dieses eine Mal."
"Aber wir können nicht für unsere Begleiter sprechen", ergänzte Oronêl. "Sie alle haben Freunde oder Verwandte im Kampf gegen Saruman verloren." Er dachte an Amrûn und Rúmil, an Cúruon, Faronwe und an Forath. "Selbst du musst verstehen, dass es sie - und uns - große Überwindung kostet, an Sarumans Seite zu kämpfen."
"Selbst ich..." Ein bitteres Lächeln umspielte Thranduils Lippen. "Gerade ich kann erkennen, dass es ein Opfer ist, seine Fehler einzugestehen. Jeder von eurer Gemeinschaft der mit uns kommt, erbringt dieses Opfer, und wird sich daher frei in diesen Hallen bewegen dürfen - unter den selben Bedingungen wie du, Oronêl, und solange sie keine Verschwörung gegen mich anzuzetteln versuchen."
"Ich werde es ihnen sagen", erwiderte Oronêl. Er war sich nicht sicher, ob er Thranduil richtig verstanden hatte - der König hatte nur von einer Verschwörung gegen sich selbst geredet. Er hatte ihnen nicht verboten, im Geheimen gegen Sarumans Einfluss vorzugehen. War es Zufall oder Absicht gewesen? Thranduil nickte zufrieden. "Also dann. Ich würde gerne noch ein Wort mit meiner Tochter unter vier Augen wechseln."
"Dann werde ich euch allein lassen." Oronêl lächelte Finelleth ermutigend zu, und verließ mit leisen Schritten den Raum.
Er wählte einen anderen Weg zurück als er gekommen war, weil er hoffte, Galanthir, Angvagor oder vielleicht Eryniel zu treffen, doch er sah keinen der drei. Dafür erhaschte er, als er am Fuß einer breiten Wendeltreppe, die sich um eine Wurzel herumwand, einen Blick auf einen großgewachsenen, grauhaarigen Menschen, vor dem ein ihm sehr bekannt vorkommendes blondes Mädchen herging. Er blieb einen Augenblick stehen und rieb sich gedankenverloren die Narben an der linken Hand, wo einst seine beiden Finger gewesen waren. Was konnten die Dúnedain von Kerry wollen?
Oronêl folgte Kerry und dem Dúnadan in sicherem Abstand, doch zu seiner Enttäuschung gingen sie auf geradem Weg zurück zu dem Quartier, dass Kerry und Mírwen zugewiesen worden war, und nicht zu den Unterkünften der Dúnedain. Also würde er Kerry selbst fragen müssen, oder...
Als Kerry und ihr Bewacher ihr Ziel erreicht hatten, blieb Oronêl hinter einer Biegung des Ganges verborgen im Schatten stehen, und wartete. Es dauerte nicht lange, bis der Mensch in seine Richtung zurückkam, und im passenden Augenblick vertrat Oronêl ihm den Weg.
"Ich hatte nicht erwartet, hier unten einen der Dúnedain zu finden", sagte er scheinbar neugierig. "Was führt euch hierher?"
"Du bist doch einer von diesen Neuankömmlingen, diesen Unruhestiftern", gab der Dúnadan zurück, und seine Augen verengten sich misstrauisch. "Ich habe dich im Thronsaal beobachtet."
"Mag sein." Oronêl war nicht zufrieden. Eigentlich hatte er gehofft, der Mann würde ihn nicht sofort erkennen, aber offenbar hatte ihre Ankunft hohe Wellen geschlagen. "Mein Name ist Oronêl", stellte er sich vor. "Und du bist..."
"Forgam", knurrte der Grauhaarige. "Und ich muss jetzt weiter, ich habe noch einiges zu erledigen."
"Das wird doch sicherlich ein wenig warten können", meinte Oronêl. "Ich würde liebend gerne erfahren, was du und dein Anführer von Kerry gewollt haben können."
"Das hat dich nicht zu interessieren. Frag sie doch selbst." Er versuchte sich an Oronêl vorbeizudrängen, doch dieser hatte nicht vor, das geschehen zu lassen. Er trat Forgam mit einer raschen Bewegung die die Füße weg und rammte ihm während der Mann fiel das Knie in den Bauch, sodass Forgam hart auf dem Rücken landete. Oronêl setzte ihm einen Fuß auf die Brust und sagte ruhig: "Ich frage gern noch einmal: Was habt ihr von Kerry gewollt?"
Forgam rang kurz nach Luft, doch als er die Augen wieder öffnete, waren sie kalt und schwarz. "Ich werde dir kein Wort verraten, Elb - selbst wenn du mich töten würdest."
"Und das wäre eine unschöne Angelegenheit", erwiderte Oronêl. "Ich habe nämlich keine Waffen bei mir, und müsste meine Hände benutzen - aber du hast Glück." Er nahm den Fuß von Forgams Brust, und blickte verächtlich auf den Mann hinunter. "Sag deinem Anführer, er soll Kerry in Ruhe lassen - ansonsten wird er mehr als einen Grund haben, es zu bereuen."
Ohne ein weiteres Wort und ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich ab, und ging mit langen Schritten den Gang entlang davon.
In dem kleinen Raum stand Mírwen an einem der kleinen Fenster und sah hinaus, während Kerry mit an die Decke gerichtetem Blick auf einem der Betten lag. "Hattest du ein interessantes Gespräch mit Helluin?", fragte Oronêl sie, und Kerry richtete sich ruckartig auf. "Woher weißt du, dass..."
"Ich habe dich mit Forgam zurückkommen sehen", beantwortete Oronêl die Frage, bevor sie ganz gestellt war. "Der Schluss lag also nahe."
"Hm. Ich möchte eigentlich nicht darüber reden - ich muss noch ein wenig nachdenken", erwiderte Kerry, und Oronêl wechselte einen bedeutsamen Blick mit Mírwen. Helluin musste Kerry irgendeinen Vorschlag gemacht haben, und sie schämte sich dafür, dass sie nicht sofort abgelehnt hatte, vermutete er. Ansonsten hätte sie keinen Grund, über etwas nachzudenken und es ihren Gefährten zu verschweigen.
"Hast du Finelleth gesehen?", fragte Mírwen, und wechselte damit das Thema. Oronêl nickte. "Ich war bei ihr. Es geht an den Umständen gemessen gut - sie hat nicht vor, sich von ihrem Vater dauerhaft einschüchtern zu lassen, sondern offen zu zeigen, dass sie seine Tochter ist."
"Das klingt doch gut", stellte Kerry fest - offenbar erleichtert über den Themenwechsel. "Glaubst du, dass sie ihn davon überzeugen kann, dass er einen Fehler macht?"
"Das... wird nicht einfach werden, fürchte ich", antwortete Oronêl langsam. "Thranduil steht stark unter Sarumans Einfluss - Saruman vermischt Lügen gekonnt mit Wahrheiten und Halbwahrheiten, und zusammengenommen hört es sich an, wie die reinste Wahrheit. Aber er hat uns ein Geschäft angeboten: Wer ihn und Saruman begleitet um Thal von Sauron zu befreien und das Reich von Thal wieder zu errichten, darf sich frei hier bewegen."
"Ich... weiß nicht, ob ich das kann", sagte Mírwen, die blass geworden war. "Sarumans Kreaturen haben meinen Vater getötet. Wie könnte ich..." Oronêl trat neben sie, und ergriff ihre Hände. "Niemand wird dich dazu zwingen. Finelleth und ich werden gehen, doch euch anderen steht es frei hierzubleiben."
Mírwen blickte ihm fest in die Augen. "Selbst wenn du gehst, weiß ich nicht, ob ich... stark genug sein kann." "Auch nicht zu gehen erfordert Stärke, Mírwen", erwiderte Oronêl. "Ich werde nicht schlechter von dir denken, ganz egal wie du dich entscheidest."
"Gilt das denn auch für mich?", fragte Kerry. "Ich kann schließlich schlecht in einer Schlacht kämpfen, warum sollte ich also dabei sein?"
"Du könntest dich den Dúnedain anschließen - es wird niemanden überraschen, wenn du unter Menschen sein willst. Du könntest dich umhören, und vielleicht ein wenig Unfrieden unter ihnen stiften...", schlug Oronêl vor, doch Kerrys Miene blieb unsicher. "Ich weiß nicht... vielleicht könnte ich es versuchen."
Oronêl trat wieder zur Tür. "Ich werde versuchen, mit einigen von Thranduils Volk zu sprechen - er hat mir zwar verboten eine Verschwörung gegen ihn anzuzetteln, aber von Saruman hat er nichts gesagt..."
Er zwinkerte Kerry und Mírwen zu, und trat wieder hinaus in den Flur.
Fine:
"Oronêl, warte." Kerry hatte sich aufgesetzt, als ihr ein Gedanke gekommen war, und sie rief nach ihrem guten Freund, da sie seinen Rat brauchen würde. Der Waldelb verharrte direkt außerhalb des Türrahmens und drehte sich langsam um. Er schien nicht überrascht zu sein, wirkte aber auch nicht so, als hätte er Kerrys Ausruf erwartet.
Kerry ging zu ihm hinüber und spähte an Oronêl vorbei in den Gang, in dem das kleine Zimmer lag das man Mírwen und Kerry zugewiesen hatte. Am Ende des Ganges war die hochgewachsene Gestalt eines Dúnedain-Wachpostens zu sehen. Rasch zog Kerry die Türe wieder zu und Oronêl trat einen Schritt beiseite, zurück in den Raum den er gerade hatte verlassen wollen.
"Ehe du gehst sollte ich dir wohl erzählen, was die Dúnedain von mir gewollt haben," sagte Kerry mit vorsichtig gedämpfter Stimme. Sie wusste zwar nicht, ob sie belauscht wurden, doch sie hatte beschlossen, bei der Angelegenheit, über die sie jetzt sprechen wollte, keine Risiken einzugehen.
"Ich hätte nicht erwartet, dass du deine Meinung so rasch änderst," meinte Oronêl mit einem belustigten Unterton. Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Türrahmen.
"Du hast gesagt, ich könnte mich bei den Dúnedain, die Saruman folgen, vielleicht umhören," begann Kerry. "Ihr Anführer, Helluin, wollte Informationen von mir - Informationen über den Sternenbund und deren Ziele in Eriador. Aber ich bin mir nicht sicher, wie ernst er das gemeint hat. Er wusste furchtbar viel über mich und meine Vergangenheit. Da muss er doch auch wissen, dass ich schon lange aus Fornost fort bin und die aktuelle Lage nicht kenne."
"Vielleicht geht es ihm gar nicht um Informationen, sondern darum, seine Überredungskünste zu testen," überlegte Mírwen. "Womöglich hat Saruman ihm dies als Probe gestellt. Gelingt es ihm, dich dazu zu bewegen, sich ihm anzuvertrauen, hat er sich als würdiger Diener der Weißen Hand erwiesen."
"Ich weiß nicht recht," meinte Kerry. "Das klingt zwar möglich, aber ich hatte nicht wirklich den Eindruck dass dieser Helluin um jeden Preis nach Sarumans Anerkennung strebt. Dennoch verstehe ich einfach nicht, was er von mir will. Ich bin niemand Besonderes. Die Informationen, die ich habe, kann ihm sicherlich auch sein Spion in Eriador liefern. Will er das, was ich ihm erzählen könnte, einfach nur mit seinem eigenen Wissenstand abgleichen? Was könnte er nur..."
Oronêl, der bislang schweigend zugehört hatte, schien bei Kerrys letzten Worten noch aufmerksamer zu werden, und er unterbrach sie: "Moment mal, sagtest du Spion? Bedeutet das etwa, dass Helluin einen Informanten in Eriador hat? Gibt es womöglich einen Verräter in den Reihen des Sternenbundes?"
Kerrys Augen weiteten sich als sie verstand. Sie hatte Helluins Worte zwar gehört, verstand aber erst jetzt die genaue Bedeutung, als Oronêl sie aufzeigte. "Es muss so sein," stammelte sie, ehe sie sich wieder fing. "Er wusste, was mir im Auenland zugestoßen ist, und dass der Sternenbund Fornost befreit hat. Ich glaube fast, die Erwähnung dieses Spions ist ihm herausgerutscht, denn er sprach nur beiläufig davon."
"Ja, ich denke nicht, dass Helluin dir gegenüber freiwillig zugegeben hätte, dass er Nachrichten von einem Informanten in Eriador erhält. Das ist gut, Kerry - er hat einen Fehler gemacht, und womöglich hast du ihn dazu verleitet. Erzähl rasch, worüber ihr noch gesprochen habt!" Oronêl war dazu übergegangen, langsam im Raum auf- und abzugehen, während er sprach.
Hastig fasste Kerry ihre Unterhaltung mit dem Anführer der Dúnedain in Sarumans Diensten zusammen, und Oronêl und Mírwen nickten verstehend. "Am Ende sagte er, er könnte herausfinden, wie es meinem Vater in Rhûn ergeht und wo er sich gerade aufhält."
"Und da haben wir den Köder, mit dem er dich fangen will, wie eine Spinne einen Schmetterling in ihr Netz lockt," kommentierte Mírwen.
Oronêl stimmte ihr zu. "Ich denke, du solltest dich darauf einlassen. Du hast nichts preiszugeben, was für den Sternenbund kritisch ist. Erzähl' ihm ruhig, was er wissen will. Und sag' die Wahrheit, das wird dich schützen. Ich bin mir sicher, die Dúnedain würden eine Lüge sofort durchschauen."
"Bringe ich meine Freunde in Eriador damit nicht in Gefahr?"
"Nein, mach' dir deswegen keine Sorgen. Erinnerst du dich an die Waldläuferin, die wir am Carrock getroffen haben und die mit Ardóneth nach Imladris zurückgekehrt ist? Sie wird Belen wichtige Informationen über Helluins Pläne bringen und der Sternenbund wird bereit sein, falls die Diener Sarumans irgendetwas unternehmen. Außerdem hast du ja selbst schon erkannt, wie lange du aus Fornost fort bist. Alles, was du Helluin über den Sternenbund verraten kannst, ist jetzt mehrere Monate alt. Mit veralteten Informationen wird er nicht viel anfangen können."
"Aber das muss ihm doch auch klar sein," warf Mírwen ein. "Ich fürchte, da steckt noch etwas ganz anderes dahinter..."
"Ich glaube, ich muss dieses Risiko eingehen," entschied Kerry. "Wenn ich mich den Dúnedain anschließe, kann ich mich im Palast vielleicht schon bald frei bewegen und Finelleth helfen. Und vielleicht finde ich heraus, was Helluin vorhat."
"Vielleicht gelingt es dir erneut, ihn zu Versprechern zu verleiten," meinte Oronêl ermutigend. "Wenn dann alles geklärt ist, werde ich jetzt gehen und mit den Elben sprechen, die ich im Palast kennengelernt habe. Vielleicht finde ich etwas heraus, das uns weiterhilft."
Nachdem Oronêl verschwunden war sprach Kerry noch ein Weilchen mit Mírwen, die noch immer sehr unentschlossen war. Einerseits wünschte sich die Elbin, sich wie Oronêl frei im Palast bewegen zu können und in der Schlacht gegen die Kreaturen Saurons zu kämpfen, doch noch immer fiel es ihr schwer, dass sie sich dafür zumindest zeitweise Sarumans Dienern anschließen musste. Als Kerry merkte, dass sie Mírwen im Augenblick nicht weiterhelfen konnte, sprach sie ihr zum Abschied einen Quenya-Satz zu, den sie von Halarîn gelernt hatte: "Eleni caluva tielyanna" - Mögen die Sterne deinen Weg erleuchten.
Sie betrat den Gang, der von mehreren elbischen Lampen erleuchtet wurde. Der Dúnadan-Wächter wurde beinahe sofort aufmerksam und kam herüber. Es war nicht Daerod. "Was glaubst du, wo du hingehst, Mädchen?"
"Bring' mich zu deinem Anführer," gab sie entschlossen zurück. "Ich habe über sein Angebot nachgedacht."
Der Mann musterte sie einen langen Augenblick misstrauisch, doch dann bedeutete er ihr, ihm zu folgen. Während sie den Palast durchquerten, hielt Kerry die Augen offen. Als sie den Thronsaal durchquerten, glaubte sie, in der Ferne die rötlich-blonden Haare Eryniels aufblitzen zu sehen, doch es war zu trüb, um sich sicher zu sein. Vorsichtig hob Kerry die Hand, ehe sie dem Dúnadan durch den Durchgang folgte, der zu den Treppen zu den oberen Stockwerken führte. Und schon kurz darauf stand sie erneut vor Helluins Kartentisch.
"Das hat nicht allzu lange gedauert," kommentierte der Anführer der Dúnedain ihre Rückkehr. "Ich muss sagen, ich bin ein klein wenig überrascht, Kerry."
"Glaub' bloß nicht, dass du mich mit deinen Worten umgarnen kannst," gab sie patzig zurück. "Aber ich muss wissen, was mit meinem Vater passiert ist. Deshalb bin ich hier." Kerry hatte beschlossen, auf Oronêls Rat zu hören, und es direkt mit der Wahrheit zu versuchen. Und das tat sie - auch wenn sie natürlich einige Dinge verschwieg. Sie war hier, um Informationen über den Aufenthaltsort und den Zustand Cynerics zu erlangen, doch dies war nicht ihr Hauptanliegen. Sie hoffte, dass Helluin dennoch die Wahrheit in ihren Worten erkennen würde.
"Daher weht also der Wind," meinte dieser und lehnte sich zufrieden in seinem Stuhl zurück. "Nun, es hätte mich auch gewundert, wenn du dich ganz plötzlich entschieden hättest, dich unserer Sache anzuschließen ohne etwas davon zu haben. Es geht dir um deinen Vater - das kann ich nachvollziehen. Aber ich bin mir sicher, dass du schon bald erkennen wirst, warum wir tun, was wir tun, und dann wirst du verstehen, worum es bei all dem wirklich geht. Spätestens wenn du mit Saruman gesprochen hast wird es dir klar werden."
"Ist er hier?" entfuhr es Kerry erschrocken.
"Er macht dir Angst, nicht wahr?" Ein gemeines Lächeln breitete sich auf Helluins Gesicht aus. "Das sollte er auch. Seine Macht wächst jeden Tag und wird schon bald unaufhaltsam sein. Du wirst es selbst sehen, wenn er den Leutnant Saurons, den Schatten des Ostens, am Erebor zerschmettert. Sarumans Streitmacht sammelt sich am Ostrand des Waldes und er selbst ist dort vor Ort, um den Angriff vorzubereiten. Wir werden uns ihm dort schon bald anschließen, wenn das Heer der Elben Thranduils abmarschbereit ist."
Kerry schluckte. Sie wollte nicht in Sarumans Nähe kommen. Doch wenn sie mit den Dúnedain ginge, würde es wahrscheinlich dazu kommen. Also rief sie sich erneut ins Gedächtnis, weshalb sie das hier tat: um Finelleth dabei zu helfen, ihre Heimat von Sarumans Einfluss zu befreien. Und wenn als Nebeneffekt des Ganzen den Dienern Saurons am Erebor ein schwerer Schlag versetzt wurde, was konnte das schon schaden?
"Aber jetzt zu dir, Kerry," sagte Helluin und riss Kerry aus ihren Gedanken. "Oder hast du etwa vergessen, was ich von dir wollte? Mein Angebot ist großzügig, doch ich fordere dennoch eine Gegenleistung. Sag mir, wie es um den Sternenbund in Eriador bestellt ist, und was diese Abtrünnigen vorhaben."
"Also gut. Ich werde dir sagen, was ich weiß. Aber du musst wissen, dass ich Fornost schon vor vielen Wochen verlassen habe."
Helluin nahm diese Information mit einem wissenden Nicken hin und bedeutete ihr, weiterzusprechen. Und das tat Kerry. Sie berichtete von der Schlacht um Fornost und der Lage, in der sich die Stadt danach befunden hatte. Sie erzählte Helluin, wer in den Kämpfen gefallen war und wer überlebt hatte und bestätigte ihm, dass Lutz Farnrich, der Verstärkung aus Bree und Tharbad gebracht hatte, nun ein Gefangener des Sternenbundes war.
Ihr Gegenüber stellte hin und wieder Zwischenfragen zu einzelnen Personen und Ereignissen, die Kerry nicht sonderlich wichtig vorkamen und die sie nach bestem Wissen beantwortete. Als sie ihren Bericht beendet hatte, lehnte Helluin sich in seinem Stuhl leicht vor und fragte: "Und was ist mit dem Zauberer? Du hast Gandalf erwähnt - wo ist er jetzt?"
"Er ging nach der Schlacht um Fornost fort, denn er wollte sich ausruhen und nicht länger in der Stadt bleiben," antwortete Kerry wahrheitsgemäß. "Ich wurde entführt, ehe ich mit ihm darüber sprechen konnte, wo sein Ziel lag."
"Dann muss er wohl ins Auenland zurückgekehrt sein, um dort bei seinen Halbling-Freunden Ruhe zu finden," mutmaßte Helluin. Doch etwas Anderes schien Helluins Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. "Entführt sagst du? Du hast Fornost also nicht freiwillig verlassen?"
"Das war Laedors Werk," sagte Kerry und fasste ihre Entführung nach Carn Dûm in einigen raschen Sätzen zusammen. Helluins Fragen dazu bezogen sich vor allem auf Laedor und auf die Schlacht um Carn Dûm; an Kerrys weiterer Reise schien er kein Interesse zu haben. Als er von Laedors Tod erfuhr, nickte er zufrieden. "Er war ein fanatischer Narr. Ein guter Kämpfer, keine Frage, aber zerfressen von Rachsucht und geblendet von seinen selbstsüchtigen Zielen. Sein Tod ist bedeutungslos. Wichtig ist nur, dass Carn Dûm die Schlacht überstanden hat und der Vormarsch dieser Gundabad-Maden aufgehalten wurde."
"Ich habe dir all deine Fragen beantwortet," sagte Kerry. "Habe ich jetzt meinen Teil der Abmachung erfüllt?"
Helluin machte eine rasche Geste mit der Hand, und der Waldläufer Forgam trat aus den Schatten hervor. "Forgam, was meinst du - hat sie die Wahrheit gesagt?"
"Ich sah keine Lüge in ihren Augen. Hätte sie etwas versucht, wäre es uns sofort aufgefallen. Dennoch verstehe ich nicht, weshalb sie hier ist. Sie ist nur ein Mädchen, das -"
"Das genügt. Gib den Wächtern Bescheid, dass Kerry sich auf meine Anordnung frei im Palast bewegen darf," unterbrach Helluin seinen Gefolgsmann. Dieser warf Kerry einen letzten mürrischen Blick zu, ehe er sich entfernte um Helluins Befehl auszuführen.
Kerry hatte es gar nicht gefallen, dass in ihrer Anwesenheit über sie gesprochen wurde, als wäre sie gar nicht da. Doch Helluin schien ihre Verärgerung zu ignorieren. "Wenn du versuchst, mich anzulügen, werde ich es merken, und dann ist unsere Abmachung dahin, Kerry," sagte er während er sich von seinem Stuhl erhob. "Weil du mir die Wahrheit gesagt hast, darfst du das Zimmer, das man dir gegeben hat, jetzt jederzeit verlassen, aber halte dich nicht allzu lange damit auf, den Palast zu erforschen. Wir werden schon bald aufbrechen, und ich erwarte, dass du mit mir kommst und in meiner Nähe bleibst."
"Ich werde dir in der kommenden Schlacht nicht von großem Vorteil sein," gab Kerry wahrheitsgetreu zu.
"Das sehe ich. Ich werde schon dafür sorgen, dass dir nichts geschieht. Und ich werde mich nach deinem Vater umhören, wie ich es versprochen habe - wenn du mir weiterhin treu bleibst."
"Ich werde Saruman niemals dienen," stellte sie klar. "Ich tue das nur für meinen Vater."
Helluin kam um den Tisch herum und stellte sich unangenehm nahe vor sie. "Oh, das verstehe ich durchaus, Kerry. Dennoch wirst du außerordentlich nützlich für mich sein. Und wenn du erst mit dem Vielfarbigen gesprochen hast... wirst auch du verstehen." Einen Augenblick blieb er so stehen und ihre Blicke trafen sich. Unwilkürlich musste Kerry an Aéd denken, der sich gerade jetzt in Dunland den Herausforderungen seines Daseins als Wolfskönig stellen musste. Doch dann trat Helluin einen Schritt zurück und wandte ihr den Rücken zu. "Geh jetzt. Es gibt noch viel zu tun. Halte dich bereit zum Aufbruch - er wird bald kommen."
Damit war sie entlassen und atmete erleichtert auf.
Sie verließ Helluins Raum und schloss die Türe hinter sich. Zu ihrer Rechten stand Daerod, mit Schild und Speer bewaffnet. Er nickte Kerry zu, schien im Augenblick jedoch ansonsten nicht ansprechbar zu sein. Etwas unentschlossen blickte sie sich in dem Gang um, in dem sie stand. Erst jetzt fiel ihr die kunstvolle Schnitzerei auf, die die der Tür gegenüberliegende Seite des Ganges in seiner gesamten Länge bedeckte. Kerry warf einen Blick nach rechts, wo es zur Treppe und zurück zum Thronsaal ging, und dann nach links, wo der Gang ein ganzes Stück geradeaus weiterführte und wo auf derselben Seite wie Helluins Tür einige weitere Türen zu sehen waren. Ganz am Ende war eine Tür am fernen Ende des Ganges, vor der ein elbischer Wächter in prunkvoller Rüstung stand. Und während Kerry noch dorthin blickte öffnete sich die letzte Tür auf der Seite, und der Elbenkönig selbst kam heraus. Er bemerkte sie beinahe sofort und für einen kurzen Augenblick trafen sich ihre Augen. Doch dann wandte Thranduil sich ab, und verschwand durch die große Tür am Ende des Ganges, als sein Wächter respektvoll beiseite trat.
Neugierig geworden durchquerte Kerry den Gang. Sie hatte nicht vor, mit dem Waldlandkönig zu sprechen, doch vielleicht konnte sie ihre neue Bewegungsfreiheit bei seinen Wächtern auf die Probe stellen. Es waren zwei elbische Gardisten, denn auch vor der Tür, aus der Thranduil gekommen war, stand eine in bronzefarbene Rüstung gehüllte Gestalt mit griffbereiten Waffen.
"Kehre um," sagte der Gardist vor Thranduils Tür. Er war hochgewachsen und besaß dunkles Haar und eine auffällige Narbe an der Schläfe.
"Die Dúnedain haben mir zugesagt, dass ich mich hier frei bewegen darf," entgegnete Kerry unbeeindruckt.
"Sie sprechen nicht für meinen König. Dies ist sein Rückzugsort. Du bist hier nicht willkommen, Mensch."
Die zweite Tür stand noch immer offen, denn weder Thranduil noch der andere Gardist hatten sie geschlossen. Und durch die Tür drang in diesem Moment eine sehr bekannte Stimme, die eine Sprache verwendete, die Kerry nicht verstand: "Leithio í-velneth!"
Sofort gab der Gardist den Weg frei und Kerry trat ein. Dort, inmitten eines weitläufigen, aber nur wenig eingerichteten Raumes, stand Finelleth. Sie war es - und auch wieder nicht. Denn von der Kundschafterin, die sie die meiste Zeit über gewesen war, sah Kerry in jenem Moment nichts. Vor ihr stand eine Elbin, die sie eher an Faelivrin erinnerte und von der eine ehrfürchtige Aura ausging. Das weiße Kleid, das sie trug, war mit grünen und goldenen Stickereien besetzt und ihr Haar war nicht geflochten, sondern fiel in breiten Strähnen zu beiden Seiten ihres Kopfes herab. Vor Kerry stand Faerwen, die Prinzessin des Waldlandreiches.
Und dann verging der Augenblick und Kerry sah wieder Finelleth vor sich, der die Situation sichtlich unangehem war. Kerry sah ihr deutlich an, wie ungewohnt es für sie war, ein Kleid zu tragen und ihren Wachen Befehle zu erteilen. "Nun schau' mich nicht so an," sagte sie und ergriff Kerrys Hand; zog sie rasch weiter in den Raum herein und außer Hörweite der Türe. "Ich komme mir noch vor wie eine Statue, wenn du weiter so starrst."
"Aber Finelleth - das ist wunderschön!" sagte Kerry während sie ihre Freundin weiterhin staunend betrachtete. "Du bist wunderschön! Wieso trägst du so etwas nicht öfter?"
"Weil es sehr unpraktisch ist und ich es kaum alleine anziehen kann," erwiderte Finelleth. "Oronêl musste mir dabei helfen, und er konnte sich das Lachen dabei kaum verkneifen."
"Das kann ich mir vorstellen", sagte Kerry. "Hast du noch mehr solche Kleider?"
Finelleth machte ein leidvolles Gesicht. "In meiner Jugend hatte ich mehr, als ich zählen konnte. Ich weiß nicht, wieviele die Plünderung dieser Hallen überstanden haben. Ich... habe noch nicht im Kleiderschrank nachgesehen."
"Was?" Kerry riss sich augenblicklich von Finelleths Anblick los und sprang zu dem neu aussehenden großen Schrank hinüber, der neben Finelleths Bett stand. Zu ihrer Enttäuschung waren jedoch nur wenige Kleider darin zu finden; nicht mehr als ein Dutzend.
"Was tust du überhaupt hier, Kerry?" wollte Finelleth wissen, während Kerry den Inhalt des Kleiderschranks auf dem Bett ausbreitete. Rasch erzählte sie der Waldelbin von den Ereignissen und dem Plan, den sie mit Oronêl bezüglich Helluin geschmiedet hatte. Als sie fertig war, war auf Finelleths Gesicht ein entschlossener Ausdruck erschienen. "Es wird wirklich Zeit, dass diese Dúnedain-Verräter aus den Hallen meines Volkes verschwinden. Ich hoffe, du findest etwas heraus, das uns bei unserem Vorhaben helfen wird. Wenn die Schlacht gegen Saurons Streitmacht erst geschlagen ist, können wir meinen Vater vielleicht davon überzeugen, sich von Saruman loszusagen."
"Ich sah, wie er dein Zimmer verlassen hat, kurz bevor ich herkam," meinte Kerry. "Habt ihr... ich meine, habt ihr miteinander gesprochen? Oder war es ein Streit?"
"Nein, wir haben uns nicht gestritten. Das haben wir bereits im Thronsaal getan, als uns alle sehen konnten. Oronêl war vor einiger Zeit hier, doch nachdem er gegangen war, haben mein Vater und ich... geredet. Und geschwiegen. Wir haben einige wertvolle Minuten miteinander verbracht, als Vater und Tochter. Ich verstehe jetzt, welch schwere Bürde auf ihm lastet. Denn ich beginne, sie ebenfalls zu spüren. Seine Gründe, sich Saruman anzuschließen, sind mir klarer und nachvollziehbarer geworden."
"Du wirst doch nicht..."
"Nein, Kerry. Ich werde der Weißen Hand niemals dienen, ebensowenig wie Oronêl. Nicht nach dem, was er im Goldenen Wald getan hat. Aber ich kann meinen Vater jetzt verstehen, wenn ich auch seinen Entscheidungen nicht zustimme."
"Und wie geht es jetzt weiter?"
Finelleth seufzte leise. "Jetzt muss mein Volk ein letztes Mal für Saruman in den Krieg ziehen. Mein Vater hat bereits den Befehl an seine Hauptleute gegeben, sich bei ihm zu versammeln. Und wenn die Schlacht geschlagen ist, dann... dann werden wir sehen, wie es weitergeht."
Eine Pause trat ein, in der Kerry und Finelleth schweigend nebeneinander auf der Kante des Bettes saßen. Finelleth schien noch immer Probleme mit ihrer neuen Rolle zu haben, doch Kerry spürte, dass ihre Freundin für den Augenblick zurechtzukommen schien. Es musste die anstehende Schlacht sein, die Finelleth weitermachen ließ. Dort konnte sie das tun, was sie all die Jahre getan hatte: Sie würde kämpfen.
"Du musst nicht fragen," sagte Finelleth in die Stille hinein. "Such' dir ruhig eins aus. Ich werde bei diesem Kleid bleiben... ich kann es sowieso ohne Hilfe kaum ablegen."
Sie lachten herzlich, und dann umarmte Kerry Finelleth fest. "Komm bloß nicht auf die Idee, in der Schlacht zu sterben," drohte sie, ehe sie aufsprang. "Ich nehme das Blaue, wenn du erlaubst - Majestät."
Finelleth seufzte. "Wenn du schon darauf bestehst, eine solche Anrede zu verwenden, musst du schon Araniel ó Ardheryn sagen," korrigierte sie. "Du kannst dich hinter dem Vorhang dort umziehen, wenn du es ohne Hilfe hinbekommst."
"Nun, dafür habe ich ja dich, Araniel."
Wenige Minuten später verließ Kerry Finelleths Gemach, ihre Reisekleidung im Arm tragend. Sie machte sich auf den Rückweg zu Mírwen, um ihr von den Geschehnissen zu erzählen und auf Oronêls Rückkehr zu warten...
Eandril:
Auf seinem Weg durch die Hallen des Waldlandreichs traf Oronêl auf viele Elben, mit denen er sprach. Nicht nur Krieger und Kriegerinnen waren Thranduil zurück in seine Heimat gefolgt, sondern, seit Saurons Streitkräfte vertrieben worden waren, auch viele andere. Die meisten dieser Nachzügler sahen das Bündnis mit Saruman zwar als notwendig, doch als notwendiges Übel. Viele, mit denen Oronêl sprach, äußerten Bedenken darüber, an Sarumans Seite weiter nach Osten, gegen den Erebor zu ziehen, und hätten es lieber, Thranduil und seine Krieger würden in der Heimat bleiben.
Anders sah es bei jenen aus, die bei Dol Guldur und hier im Waldlandreich gegen Saurons Orks gekämpft hatten. Bei ihnen spürte Oronêl die Auswirkungen von Sarumans Reden viel stärker. Die meisten sahen sich in der Schuld des Zauberers und würden bereitwillig weiter an seiner Seite kämpfen.
"Nicht ihr steht in Sarumans Schuld", versuchte Oronêl einem hochgewachsenen Bogenschützen zu erklären. "Sondern er in unserer - seit Lórien. Er hat den Elben eine Heimat genommen, und ihnen dafür eine zurückgegeben, und selbst das genügt nicht, um das Unheil auszugleichen, dass er angerichtet hat."
"Aber waren es nicht die Noldor, die Curunír zum Angriff auf Lórien zwangen?", wandte sein Gegenüber ein. "Die Demütigungen und Missachtung, die Galadriel ihm zufügte, und die Ränke, die sie gegen ihn schmiedete?"
Oronêl schüttelte den Kopf. Diese Lügen hatten sich tief in den Verstand derjenigen gegraben, die Saruman seit Aldburg folgten. Dennoch, es bestand Hoffnung, denn nicht alle unter Thranduils Gefolgsleuten waren Sarumans Worten vollständig verfallen. Einige, deren Geist stärker und wacher war, schienen in der Lage zu sein, seine Lügen als solche zu durchschauen, oder zumindest nicht jedes seiner Worte für bare Münze zu nehmen. "Warst du in Lórien, nach dem Fall des Waldlandreiches?" Der andere Elb nickte. "Dann hast du die Herrin Galadriel gesehen. Und dann solltest du wissen, dass sie niemand ist, der danach strebt anderen zu schaden, oder die Ränke gegen ihre Verbündeten schmiedet. Das ist Sarumans Art. Geh nach Rohan, und frag die Leute dort nach Sarumans Vertrauenswürdigkeit."
"Ich... weiß nicht, was ich glauben soll", gestand der andere ein. "Du sprichst überzeugend und als ob du glaubst, was du sagst, aber... das tut der Zauberer auch. Und er hat uns unsere Heimat zurückgegeben, nicht du oder Galadriel. Es tut mir leid, aber... ich kann dir jetzt nicht glauben."
Oronêl unterdrückte einen frustrierten Seufzer, erwiderte aber: "Ich kann dich nicht dazu zwingen. Ich bitte dich nur, aufmerksam zu beobachten, und dich zu fragen, ob Saruman wirklich die reine Wahrheit sagt."
In der großen Halle traf er auf Galanthir und Angvagor, die ein einer dämmrigen Ecke leise miteinander sprachen. Als Oronêl zu ihnen trat, blickten sie auf und entspannten sich sichtlich, als sie ihn erkannten. "Oronêl", begrüßte Galanthir ihn. "Wir sprachen gerade über Finelleth."
"Sie hat sich verändert, seit wir sie bei Dol Guldur das letzte Mal sahen", fuhr Angvagor fort. "Und wir fragen uns... ist sie zurückgekehrt, um Anspruch auf den Thron zu erheben?"
Oronêl schüttelte den Kopf. "Nein, ich denke nicht. Sie hat einiges über Verantwortung gelernt, aber auch einiges über sich selbst und ihren Vater. Sie ist zurückgekommen, weil sie das Waldlandreich nicht länger in Sarumans Händen sehen will - denn das ist es, täuscht euch nicht. Die Krone ihres Vaters will sie nicht, denn sie weiß, was sie dafür für einen Preis zahlen müsste."
"Ich wünsche Thranduil nichts schlechtes", meinte Angvagor. "Aber trotzdem... ich wäre froh, wenn sie hier das Sagen hätte. Dann würden wir diese sogenannten Dúnedain los, und den Rest von Sarumans Brut ebenso."
"Angvagor...", sagte Galanthir leise. "Gib acht was du sagst. Ohne den Zauberer wären wir nicht hier. Ohne den Zauberer würden hier noch immer Saurons Orks hausen."
"Und ohne den Zauberer könnten wir noch immer im Goldenen Wald sein", gab Angvagor zornig zurück. "Ich sage euch, es war ein Fehler, uns mit ihm zu verbünden - oder uns ihm zu unterwerfen?"
"Es hilft nichts, uns untereinander zu streiten", kam Oronêl einer möglicherweise scharfen Antwort Galanthirs zuvor. "Galanthir, wenn du Finelleths Freund bist, bitte ich dich nur um eines. Halte deine Augen offen, und beobachte. Vielleicht wirst du etwas erleben, das deine Sicht verändert."
"Um Finelleths Willen werde ich das tun", meinte Galathir mit einem traurigen Lächeln. "Denn weißt du, selbst wenn ich überzeugt bin, dass ihr Vater das richtige tut wenn er Saruman folgt... Wenn sie mich ruft, würde ich ihr auf jedem Weg folgen."
Nach der Begegnung mit Galanthir und Angvagor wanderte Oronêl eine Weile ziellos umher. Von ihm selbst unbemerkt führte ihn sein Weg schließlich auf einen steinernen Pfad, unter dem das Wasser des Waldflusses schnell dahin floss. Am Ende des Pfades kam er an ein eisernes Tor, zu dessen Seiten zwei steinerne Elbenstatuen Wache hielten. Von dem Vordach über dem Tor aus wuchs Efeu über die Wände und zu den Sockeln der Statue hinunter, und aus dem Tor drangen ein flackernder Lichtschein und das Geräusch von Metall auf Metall. Eine Schmiede, wurde Oronêl klar, und aus einem Anflug von Neugierde heraus trat er durch das Tor.
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