Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Rhun

Taur-en-Elenath

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Fine:
Aus der Sicht Pallandos:

Etwas hat sich verändert.

Pallando schlug die Augen auf. Er saß auf einem Baumstumpf, nahe der nachtschwarzen Wasser des Celduin. Der Zauberer hatte seine Sinne durch Luft, Wasser und Erde ausgestreckt, um das umliegende Land nach Gefahren abzutasten. Doch das, was er wahrgenommen hatte, war nicht aus der nahen Umgebung des Sternenwaldes gekommen.
Rasch erhob er sich und nahm seinen Stab zur Hand. Der azublaue Kristall, der in die Spitze eingearbeitet war, leuchtete auf, so hell wie eh und je...
Nein, stellte er fest. Nicht wie eh und je. Er hat sich verdunkelt, daran besteht kein Zweifel.

Eiligen Schrittes durchquerte er den Wald in Richtung des Dorfes der Tatyar. Auf der Lichtung im Zentrum der Siedlung angekommen lief der Zauberer der Herrin der Quelle über den Weg.
"Tarásanë!"
"Rómestámo?"
"Hast du es auch gespürt?" fragte er atemlos.
"Ich bin mir nicht sicher," entgegnete sie. "Etwas hat mich geweckt. Für dich muss es deutlicher gewesen sein."
"In der Tat," sagte der Zauberer. "Irgendetwas geht im Süden vor sich, so viel ist klar."
"Komm, Rómestámo. Die Quelle wird es wissen."
Sie verließen die Lichtung und kamen an die Sternenquelle. Voller Anspannung wartete Pallando ab, bis Tarásanë das Wasser dazu gebracht hatte, ihnen Bilder aus der Ferne zu zeigen.
"Da ist eine Stadt, mit roten Mauern..." wisperte die Herrin der Quelle.
"Gortharia," sagte Pallando und nickte. "Die Heimstatt der Ostlinge. Und doch ist es nicht der Ursprung dessen, was mich aufgeschreckt hat. Blicke weiter, nach Süden hin!"
Eine Steppenlandschaft tauchte vor ihnen im Wasser auf. Sie schauten aus großer Höhe darauf hinab. Getreidefelder bedeckten einen Teil der Ebene, während der Rest nur von niedrigen Gräsern bewachsen oder ganz ohne Vegetation war. Am Horizont erhob sich ein schwarzes Band. Ohne dass Pallando es verhindern konnte, wurde sein Blick davon angezogen. Und als er seine Gedanken auf diese Dunkelheit richtete, folgte ihnen das Bild und rasend schnell flog die Vision der Quelle darauf zu. Zerklüftete, baumlose Berge und düstere Wolken tauchten auf.
"Mordor..." flüsterte Tarásanë.
Die Bilder in der Quelle passierten die Berge und rauschten über die schwarzen Felsebenen des Schattenlandes hinweg, bis sie urplötzlich stehen blieben. Im Hintergrund ragte ein feuerspeiender Berg auf, während sich im Vordergrund eine gewaltige, finstere Festung mit einem beinahe unmöglich hohem Turm erhob. Und obwohl Pallando Saurons Domäne selbst nie betreten hatte, wusste er, dass er auf Barad-Dûr, den Dunklen Turm und Sitz des Dunklen Herrschers blickte.
Am Rand des Bildes tauchte die Spitze des Turmes auf, gekrönt von zwei stählernen Dornen, die in den düsteren Himmel ragten. Und zwischen ihnen...
"Das kann nicht sein," stieß die Herrin der Quelle auf. "Sieh nur! Das Große Auge, es..."
"Es ist verschwunden," sagte Pallando leise.
"Was hat das zu bedeuten?" fragte Tarásanë.
"Ich weiß es nicht," erwiderte Pallando mit tiefer Sorge. "Doch ich befürchte das Schlimmste." Er riss seinen Blick von der Quelle los, deren Wasser leicht zu dampfen begonnen hatte. "Das kann nichts gutes bedeuten." Rasch packte er seinen Stab und stand auf.
"Wohin willst du?" wollte die Elbin wissen.
"Es gibt Dinge, um die ich mich nun kümmern muss," antwortete er, während er zur Lichtung zurück marschierte.
"Was für Dinge?"
"Fragen... Fragen, die nach einer Antwort verlangen," sagte der Zauberer und packte seinen Stab. "Ich muss sofort aufbrechen. Eile ist geboten."
"Sei vorsichtig, Rómestámo," warnte Tarásanë. "Der Ort, an den du dich begibst, ist gefährlich."
"Gortharia? Nun, das mag stimmen. Doch ich muss mit Morinehtar sprechen, so bald wie möglich. Ich bedarf seines Rates."
"Ich werde über dich wachen, alter Freund, mit jener Macht, die mir verliehen ist. Möge deine Reise von Erfolg gekrönt sein."

Die Elben liehen Pallando eines ihrer wenigen Pferde, ein dunkelbraunes Tier mit langer, blonder Mähne. Es war zwar ein Weilchen her seit Pallandos letztem Ritt, doch er redete dem Tier gut zu, wie Radagast es ihm einst beigebracht hatte, und es bäumte sich unter ihm auf, ehe es in einen sehenswerten Gallopp verfiel, der den Zauberer aus dem Wald hinaus auf die Ebenen Rhûns trug.

Pallando nach Gortharia

Thorondor the Eagle:
...Caelîf, Rástor und die Gruppe aus Nurthaenar von Riavod

Bevor sie den Wald betraten stiegen sie von ihren Pferden ab und führten sie hinter sich her. Die Bäume waren dicht gewachsen in diesem Wald, aber er war aufgrund des wenigen Unterholzes leicht zu passieren. Die Elben hatten damit gerechnet bald von Hütern des Waldes empfangen zu werden, aber es dauerte wesentlich kürzer als vermutet ehe sie vor den gespannten Bogen der hiesigen Soldaten standen. Ihre Rüstungen waren aufwendig verziehrt und doch einfach in ihrer Anfertigung. Die Sehnen der Bögen glänzten in silbrigen Schein.

„Wer seid ihr und was führt euch hierher?“, fragte einer der Grenzwächter.
„Hell scheint der silberne Mond über Nurthaenar, die Stadt aus der wir kommen. Aber es waren die Sterne die uns hierher führten in den Taur-en-Elenath. Ich bin Rástor und dies ist mein Gefolge, eure Herrin hat nach uns verlangt.“
„Túvir?“, fragte eine der Grenzwächterinnen. Caelîf sah ein kaum merkbares Lächeln über Rástors Lippen huschen. Er nickte zustimmend.
„Folgt uns“, befahl nun die Elbe. Die anderen ließen ihre Waffen zu Boden sinken, verstauten die Pfeile in den Köchern und hingen sich die Bögen über ihre Schultern.

Nach einem längeren Fußmarsch zwischen den zahllosen Bäumen erreichten sie schließlich eine am Bächlein gelegene Siedlung der Elben. Die Häuser waren verstreut zwischen und auf den Bäumen gebaut und bestanden überwiegend aus Holz. Die Elben die sie auf der Lichtung erspähten, nahmen sie zur Kenntnis, beachteten sie aber nicht weiter. Jeder ging seinem Tagegeschehen nach. Caelîf hatte den Eindruck, dass sie fremden Besuch gewohnt waren. Sie vertrauten wohl auf das Urteilsvermögen ihrer Herrin.

Sie näherten sich schließlich dem nördlichen Teil der Lichtung wo eine Gruppe Elben auf dem Boden saß. Sie hatten die Augen geschlossen und sprachen kein Wort. Am auffälligsten unter ihnen war eine Elbin mit silbernem Haar.

„Das ist sie“, flüsterte Rástor zu Caelîf „Sie hat sich kaum verändert. Siehst du den Schein der sie umgibt?“
Der junge Elb nickte.
„Sie hat solch eine starke Fea, sie strahlt von innen heraus. Jeder von uns hat dies, aber nur bei den reinsten und mächtigsten wird sie sichtbar.“
Caelîf war beeindruckt von ihrer Erscheinung.

„Wilkommen im Sternenwald“, sprach sie und öffnete dabei ihre Augen. Sie fixierte Rástor und setzte ein zurückhaltendes Lächeln auf.
„Einige von euch werden schon bemerkt haben, dass wir euere baldige Ankunft erwartet haben“, dabei schwenkte ihr Blick, ihre silbrig glänzenden Augen, zu Caelîf. „War es doch ein weiter Weg den ihr hinter euch gebracht habt, so bin ich überaus froh euch endlich hier zu wissen.“
Rástor ging auf die Herrin des Sternenwaldes zu und reichte ihr die Hand um aufzustehen. Als sie in ihrer vollen Größe vor ihnen stand, verneigte er sich ehrfürchtig.
„An Schönheit habt ihr nichts verloren seit unserem letzten Treffen“, begrüßte er sie. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter, lächelte und streichelte dann über seine Wange.
„Faryon“, sprach sie nun den Grenzwächter an der die Gruppe begleitet hatte „bring die Männer zu den Quartieren, sie sollen sich ausruhen nach dieser langen Reise. Túvir und ich haben einiges zu besprechen.“
„Du junger Freund“, sagte sie weiter und sah überraschend zu Caelîf.
„Caelîf, Herrin“, stellte er sich kurz und bündig vor.
„Wenn du möchtest kannst du uns begleiten.“
Er verneigte sich und schloss sich den beiden älteren Elben an.

„So lange Zeit haben wir einander nicht gesehen. Ihr könnt euch vorstellen, wie überrascht ich war von euch zu hören“, begann Rástor das Gespräch. Sie gingen dabei quer über die grüne Wiese auf dieser Lichtung.
„Es ist wahrlich lange her, seit ich dich in deinen Kinderschuhen im Wilden Wald zurückgelassen habe, dich und deinen Bruder. Aber ich wusste, dass ihr dort gut aufgehoben wart“, antwortete sie und wie ich sehe habe ich recht behalten.
„Da muss ich dir zustimmen. Wobei ich auch sagen muss, dass ich von meinem Bruder seid vielen Jahren nichts mehr gehört habe.“
Die Herrin blieb einen Augenblick stehen und schaute Rástor eindringlich in die Augen. Ohne ihm eine Antwort zu geben ging sie weiter.
„Er war immer der geschicktere von uns beiden“, sprach Rástor weiter „Er besaß außerordentliche Fähigkeiten und war ein guter Anführer. Er führte die Elben unseres Stammes zurück nach Dalvarinan und unter ihm lebten wir viele Jahre.“
„Dass er fähig war, war immer offensichtlich. Aber offensichtliche Fähigkeiten sind gefährlich, sie führen zu Bewunderung und irgendwann zu Selbstüberschätzung und vielleicht sogar Wahnsinn. Die Kräfte, die im Verborgenen wirken und nicht gesehen werden, sind weit wichtiger. Sie sind stetig und wer sie besitzt wird nie wissen wie groß deren Einfluss wirklich ist und wird auch nie verlernen was es bedeutet demütig zu sein.“

Sie erreichten einen kleinen Fluss. Die Elbe stieg mit ihren bloßen Füßen in das klare Wasser und ging flussaufwärts im Bachbett voran. Rástor schnürte seine Stiefel auf, Caelîf tat es ihm umgehend gleich. Das Wasser war sehr kalt, aber merkwürdigerweise schreckte es die beiden Elben nicht ab.

„Tarásane, habt ihr auch versucht meinen Bruder zu erreichen?“, fragte Rástor nun direkt.
Sie drehte sich nicht um: „Weder du, noch ich, haben die Macht ihn da zu erreichen, wo er gerade ist.“
Rástor’s Kopf senkte sich für einen Moment nach unten.
„Aber das heißt nicht, dass dies immer so bleiben muss. Ich selbst wurde Zeuge davon und dies ist mit ein Grund warum ihr hier seid.“

Sie näherten sich einem natürlichen Tor aus Steinen aus dem der Bach floss. Die drei Elben gingen hindurch und fanden sich in einer Art Halle wieder. Sie bestand aus größen Bäumen die eine Kuppel über ihnen bildete. Sie war erhellt vom kühlen, bläulichen Licht der Elbenlampen. Caelîf bewunderte ein ovales Becken inmitten des Raumes, aus dessen tiefe das Wasser sprudelte.

„Wir sind hier am Ursprung des Sternenfluss. Das Herz dieses Waldes und Quelle allen Lebens hier. Diese Quelle birgt eine uralte Macht, die zu nutzen wir im stande sind, aber niemals können wir sie beherrschen. Du spürst es Túvir, nicht wahr?“
„Ja, es ist einfach wunderbar“, seine Augen wurden feucht.
Sie nahmen auf steinernen Stühlen am Rande des Raumes platz.

Thorondor the Eagle:
„Schon vor langer Zeit offenbarte mir die Quelle eine Legende. Sie sprach von einer großen Macht, unbesiegbar in ihrer größten und reinsten Form. Das Dunkel wusste das und so machte es sich daran diese Macht aufzusprengen. So wurden jene, die einst einig waren zu Widersachern. Ich grübelte lange über diese Prophezeihung nach und zerbrach mir den Kopf was es denn war und wie wir sie finden konnten. Vor allem da das Dunkel im Süden wieder erstarkte und Gestalt annahm. Aber ich vermochte nicht dahinter zu kommen. Bis zu jenem Tag, als eine Gestalt aus längst vergangener Zeit auf meiner Türschwelle auftauchte. Ich erkannte es nicht sofort, aber einfacher hätte es mir nicht vor Augen geführt werden können. Eine Elbe, die ich vor langer Zeit kannte und die im Kampfe mit dem Feind den Tod fand, kam vor wenigen Wochen hierher in den Wald.“
„Sie ist zurückgekehrt?!“, flüsterte Rástor die Frage und sie verhallte sofort in der großen Halle.

Caelîf blickte in das Wasser vor sich. Die Oberfläche begann sich unruhig zu bewegen. Plötzlich tauchte ein kleines Licht aus der Tiefe auf. Es wirbelte durch die Strömungen, es kam ein zweites dazu und ein drittes. Es wurden immer mehr und aus der Vielzahl von Lichtern formte sich ein Bild. Es war ein trostloser Ort an einem See. Kein Lebewesen war zu sehen, bis schließlich eine einzelne Elbe auftauchte. Sie setzte sich einsam an das Ufer des Sees. Die Trauer und die Wut dominierten ihren Gesichtsausdruck.

„Ihr Tod war das Verhängnis ihrer Gefährtin, die in all den Jahrentausenden vom Weg abkam. Es war fraglich auf welcher Seite sie kämpfte und welche Methoden sie anwandte, aber kaum kamen sie hier an, gelang es uns ihre Bande zu erneuern. Kann es denn eine größere Macht geben als ein Volk das zusammen hält? Menschen und Elben die für einander da sind? Elb und Elb, Mensch und Mensch die verbunden sind in…“

Während sie sprach wandelte sich das Bild in der Quelle. Eine Vielzahl von Elben war nun im Schatten einer Ruine zu sehen. Sie trugen Kleidung in verschiedenen Farben, manche hatten stechend blaue Augen, machen waren blond und andere dunkelhaarig. Alle halfen zusammen, es schien so, als würden sie etwas bauen.

„Freundschaft“, sagte Caelîf und beide schauten ihn erstaunt an.
„Ja, in Liebe und Freundschaft“, wiederholte Tarásane „Über all die Jahre haben wir uns verloren, unser Volk hat sich aufgeteilt. Nun ist es an der Zeit wieder zueinander zu finden und Freundschaften zu knüpfen die bereits vor vielen Jahren bestanden. Deshalb seid ihr hier.“
Rástor blickte in das Bild im Wasser: „Ich stimme euch zu, Herrin. Es gestaltet sich aber sicherlich schwieriger als ihr denkt. Unser Volk lebt seid vielen Jahren abgeschieden in den Bergen. Viele Kontakte nach Außen haben wir nicht geknüpft.“
„Darum war es umso wichtiger euch herauszulocken. Túvir, du hattest schon immer eine große Gabe. Dir alleine ist es zu verdanken, dass ein Volk von Einzelgängern in einer kleinen Stadt zusammenlebt wie eine große Familie.“
„Ein Volk von Einzelgängern?“, fragte Caelîf kleinlaut.
„Ja, du hast richtig gehört“, antwortete die Elbe „Nachdem sich die Elbenvölker des Wilden Waldes trennten, gab es einige die vorzogen alleine zu leben. Sie fürchtete in einer großen Ansammlung ein leichteres Ziel und eine größere Bedrohung für den Feind zu sein. Sie wurden zum Volk der Windan. Überall verstreut im Wilden Wald lebt dieses Volk. Sie trauen niemandem und leben nur unter sich. Dein Herr war es, der euch zusammenhielt, wenn ihr auch einige eurer nicht so guten Eigenschaften behalten habt.“
Sie lächelte bei den letzten Worten.

„Es ehrt mich sehr, dass ihr in solch lobenden Worten von mir sprecht und ich werde tun was ich kann um euren Auftrag zu erfüllen. Aber ich vergesse auch nicht, dass mein Volk mich braucht“, antwortete Rástor weise.
„Darum bin ich froh, dass auch du hier bist, Caelîf“, entgegnete sie.
„I..“, mehr brachte er vor Verwunderung nicht heraus.
„Er ist hier, weil er ein junger Elb ist und neugierig war, wie die Welt da draußen ist“, antwortete Rástor.
„Und weil er in vielerlei Hinsicht dir sehr ähnlich ist Túvir“, sagte sie abschließend „Komm mit, lass uns in den Archiven eine geeignete Karte suchen. Ihr braucht sie um euer nächstes Ziel zu finden.“
Die beiden ältern Elben verließen die Halle. Caelíf blieb alleine zurück.

Ich? Ich soll so sein wie der Veríaran? Ich bin jung und unerfahren und habe keinerlei Fähigkeiten. Ja, ich bin für meine Familie da und für meine Freunde. Ich helfe mit wo ich kann… aber was ist das schon? Rástor hat sicher schon Heldentaten vollbracht. Er hat ein ganzes Volk unter sich versammelt und über Jahrtausende verborgen gehalten. Stets ging er mit gutem Beispiel voran. Und ein Volk von Einzelgängern? Ja wir verbergen uns und haben wenig Kontakt zu anderen Elben, aber wir sind doch keine Einzelgänger. Auch nicht in unseren Herzen.

Dass er alleine war, tat dem jungen Elben gut. Er dachte über die Gespräche nach. Er legte sich auf den Rücken und starrte auf die Decke, die durch die Lichter dem Sternenhimmel oder der Eliancor ähnelte. Seine Gedanken trübten sich, denn es erinnerte ihn an seine Stunden in der Eliancor, wo er um seine Großmutter trauerte.
Nach nur wenigen Minuten oder vielleicht war es auch eine Stunde stieg Nebel auf und ließ das Bild vor ihm verschwimmen. Verwundert neigte er seinen Kopf zur Seite. Die Lichter in der Quelle waren wieder zurückgekehrt. Die bunten Pünktchen tanzten wild umher, einige wanderten sogar in die aufsteigenden Nebel und plötzlich formte sich das unverkennbare Gesicht seiner Großmutter vor sich.
„Harumi“, sagte er leise. Er sah wie sie lachte und wie sie mit einem kleinen Jungen spielte, sie hob ihn hoch und drehte sich im Kreis mit ihm. Das Bild wandelte sich und Aralûtha saß unter dem sternenbedeckten Himmel, den kleinen Caelîf als Säugling auf dem Arm. Sie deutete mit dem Finger in die Luft und erklärte ihm scheinbar das Gemälde, das in den ersten Tagen der Welt gemalt wurde. Einzelne Tränen liefen über sein Gesicht.
Er bemerkte wie jemand den Raum betrat, die Herrin der Quelle. Wortlos verfolgte sie die Szenen im Wasser.

„Meine Großmutter Aralûtha“, begann Caelîf zu sprechen. Tarásane hörte nur zu.
„Vor nur wenigen Monaten verließ sie uns. Ihre Fea suchte den Weg zu unseren Ahnen. Sie war mir sehr...“ Er fand kein passendes Wort.
„Ohne diese Bilder zu sehen, hätte ich es gespürt. Vor vielen Jahren kannte ich ihre Mutter. Wir haben dieselben Wurzeln. Wenn sie dieselbe Güte und Freude hatte wie ihre Mutter, war Aralûtha ein großer Gewinn für eure Stadt und deine Familie.“
Caelîf war überrascht über diese Tatsache und bejahte ihre Vermutung über seine Großmutter. Die Herrin begann leise zu flüstern, als würde sie ein Gebet aufsprechen.

Das Bild vor ihnen wandelte sich ein weiteres Mal: Zwei kleine Elbenkinder spielten am Ufer eines großen Sees. Sterne leuchteten hell am Firmament. Es waren zwei Mädchen mit einer auffälligen silbernen Strähne am vorderen Scheitel. Eine silberhaarige Elbe näherte sich ihnen und schloss sich dem Spiel an. Es mussten Aralûtha, ihre Schwester und ihre Mutter sein. Nicht unweit von der Stelle war ein hoher, tosender Wasserfall. Er beobachtete wie die drei zu dem Wasserfall gingen und eine Höhle unweit des Uferstrandes betraten.
„Dies ist Cuiviennen, wie es ursprünglich war“, sagte Tarásane wehmütig.
Die Lichter verschwanden wieder und der Nebel löste sich langsam auf.
„Túvir hat dir nicht gesagt warum er dich ausgewählt hat“, begann nun Tarásane an vorhin anzuknüpfen. Caelîf schüttelte den Kopf: „Ich dachte es war Zufall und Mitleid.“
„Du hast ein ähnliches Geschick wie Túvir. Menschen fühlen sich in deiner Gegenwart wohl, du kannst sie führen, aber nicht von oben herab, sondern als Freund und Helfer.“
Der junge Elb freute sich über diese Worte.
„Traue dich und nutze die Fähigkeit, denn sie wird dringender gebraucht denn je.“
„Ich danke euch, Herrin“, sagte Caelîf abschließend.

Thorondor the Eagle:
In jener Nacht wollte Caelîf alleine sein.

Dieser Ort ist mir merkwürdig vertraut, so als wäre ich zuhause. Ich fühle mich sehr geborgen. Es hilft mir, damit ich nicht so traurig bin obwohl ich Harumi gesehen habe. Es war schön sie wieder zu sehen, ihr Lachen. Und ihre Schwester? Ist sie noch am Leben? Wer war sie und wie war sie? 

In jener Nacht saß Caelîf lange am Rande der Lichtung und starrte in den Himmel. Er stellte sich vor wie seine Großmutter am See von Cuiviennen groß geworden war und wie ihre Eltern wohl gewesen waren. In den frühen Morgenstunden bemerkte er einen umherstreifenden Menschen. Sein Kopf war zum Boden gebeugt, seine Arme ließ er lustlos herabhängen, sein Gang wirkte geplagt. Sein Blick folgte ihm als der Mensch direkt auf den Elben zuging. Offensichtlich hatte er Caelîf nicht gesehen. Er erschrak und zuckte leicht zusammen als er den Elben bemerkte.
„Verzeiht, ich wollte euch nicht stören“, sagte er.
„Das habt ihr nicht. Geht es euch gut? Wieso seid ihr zu solch später oder eher früher Stunde wach?“
„In der Nacht finde ich keinen Schlaf.“
„Habt ihr Schmerzen?“
„Jede Minute am Tag, aber schlimmer sind sie in der Nacht… in der Dunkelheit. Ich spüre weder Freude, Hoffnung, nichts… nur Schmerz.“
„Habt ihr diese Verletzungen aus dem Krieg?“
„Es war eher ein Gemetzel als ein Krieg. Alle sind gefallen. Ich habe nichts mehr.“
Caelîf hatte tiefes Mitgefühl für den jungen Mann. Er konnt es sich gar nicht vorstellen alles zu verlieren.

„Können dir die Elben hier helfen?“, fragte der Elb.
„Es geht sehr langsam und manche meiner Wunden werden wohl niemals heilen.“
„Aber du bist hier. Du kannst deine Familie fortführen, du kannst ihnen erzählen wer deine Eltern und wer die Menschen deines Volkes waren und was sie alles vollbracht haben. Wenn ich etwas gelernt habe, dann das jeder seine Geschichte hat und diese weitergeben sollte. Manchmal ist nur ein winziger Federstreich der Auslöser für etwas ganz Großes.“
„Das mag sein“, antwortete der Mensch matt.
„Wie ist denn dein Name?“, fragte Caelîf.
„Baldr.“
„Ich bin Caelîf“, antwortete der Elb, dann trat betretenes Schweigen ein „Möchest du mir etwas über deine Familie erzählen?“
Es folgte wieder ein langes Schweigen. Baldr versuchte ein paar Worte zu formen, aber seine Stimme versagte. Tränen standen ihm in den Augen. Caelîf legte ihm seine Hand auf die Schulter.

„In nächtlicher Stund gestaltet, ein kleiner Stern.
Sein Licht entfaltet, strahlt nah und fern.

Wolken verhangen, das Himmelszelt
Der Stern war gefangen, in dunkler Welt.

Dies ist der Anfang eines Gedichtes aus meiner Kindheit. Wenn wir oft nach oben schauen um die Sterne zu sehen, sind sie von Wolken verdeckt und alles scheint trostlos und hoffnungslos. Aber wir können stets darauf vertrauen, dass das Kunstwerk der Sternenanzünderin dort oben ist und auf ewig strahlen wird.“

Als die Morgendämmerung vorbei war, begann auf der Lichtung das Leben wieder zu erblühen. Die Elben die hier wohnten gingen geschäftig ihrem Alltag nach. Caelîf entdeckte Tarásane im getümmel. Sie schien aufgeregt zu sein. In knappen Worten bat sie den jungen Elben Rástor zu suchen und zu ihr zu schicken.

Er hatte keine Ahnung wo der Veríaran war und so suchte er zuerst die Quartiere der Soldaten auf.
„Der Herr wollte sich ein wenig zurückziehen um nachzudenken. Du weißt, wo ihr gestern überall wart“, teilte ihm Inglos mit.
Da hatte Caelîf eine Idee. Er folgte demselben Weg wie am Tag davor. Bevor er in das flache Flussbett stieg, entblößte er wie gewohnt seine Füße. In der großen Halle, in der die Quelle entsprang, angekommen, sah er den Ältesten am Rande des Wassers stehen. Er beobachtete die Lichtpünktchen vor sich. Seine Augen waren glasig, auf seinen Lippen lag ein Schmunzeln.

Im Wasser erkannte er zwei schwarzhaarige junge Elben. Sie saßen auf einem Baum und kicherten. Sie waren vielleicht dreißig Jahre alt. „Wo seid ihr“, schrie eine weibliche Stimme „Kommt her.“
Die Elben beobachteten was unten auf dem Boden passierte, plötzlich sahen sie sich an. Sie mussten sich die Hand vor den Mund halten um das Kichern zu unterdrücken.
„Bitte, bitte. Kommt heraus.“
Plötzlich machte einer der jungen eine streichende Bewegung mit der Hand in der Luft. Ein Knacken war zu hören und der Ast mit dem anderen Elben brach ab. Mit einem lauten Krachen landete er auf dem Waldboden. Das silberhaarige Mädchen das sie suchte erschrak: „Túvir!“ schrie sie und plötzlich hörte man das Lachen des anderen im Hintergrund.

Das Bild wandelte sich. Der Wald wirkte plötzlich viel düsterer und verlassener. Die beiden Elben waren einige Jahre älter. Sie trugen einfache Rüstungen. Sie standen in einer Höhle, man höhrte das tosende Rauschen eines Wasserfalles.
„Es ist besser wenn wir uns weiter in den Süden zurückziehen. Du weißt, welche Bedrohung im Norden lauert. So viele sind nicht zurückgekehrt.“
„Ja ich weiß Bruder, aber warum sollen wir freiwillig unsere Heimat verlassen. Wir wurden hier geboren, alle von uns.“
„Aber es ist kaum noch jemand da. Alle sind sie gegangen. Und Jahr für Jahr verlassen uns weitere unserer Freunde.“
„So wie Tarásane?“
Als ihr Name gefallen war, wurde Túvir’s Blick wehmütig und melancholisch.
„Ich möchte hierbleiben, ich möchte meine Heimat verteidigen. Eines Tages werden die Elben hierher zurückkehren und wir werden hier auf sie warten.“
Túvir schaute ihn vorwurfsvoll an, doch dann löste sich sein krampfhafter Gesichtsausdruck: „Nun gut, dann bleiben wir vorerst hier.“

Das Bild verschwamm und es wurde dunkel.
„Mein Herr“, flüsterte Caelîf nun.
„Ja, mein junger Freund?“
„Die Herrin möchte euch sehen, es scheint dringend zu sein.“
„Natürlich“, antwortete er kurz und ging an Caelîf vorbei, dieser folgte ihm.

Hat Herr Rástor bemerkt, dass ich alles gesehen habe? Ich er ist nicht böse auf mich. Ich hätte gleich etwas sagen sollen. Wieso denkst du nicht mit Caelîf…

Thorondor the Eagle:
Caelîf und Rástor betraten einen kleineren Versammlungraum in dem Tarásane und Inglos bereits warteten. Inglos stand und stützte sich mit beide Händen auf einen Tisch, die Elbe saß in einem Stuhl. Auf dem Tisch, vor ihnen lagen einige dolchartige Messer.

„Was ist denn passiert?“, fragte Rástor ein wenig außer Atem.
„Schweren Herzens muss ich euch nahe legen zurück in die Wilden Wälder zu reiten“, antwortete die Herrin.
„Wieso?“
„Ich kann nur mutmaßen, aber die Bilder die mir die Quelle gestern zeigte, lassen nichts Gutes vermuten. Geht wie besprochen zum Stamm der Hwenti, nach Gan Lurin. Dort solltet ihr auf Coriel und Vaicenya von den Tatyar treffen.“
Rástor sah sie erstaunt an: „Tatyar?“
„Ja ganz recht. Einige wenige gibt es noch.“
„Dann werden wir gleich morgen abreisen.“
Tarásane schüttelte den Kopf und sah Rástor mit einem tiefen, traurigen Blick an: „Es wäre besser ihr geht sofort.“
„Kurz war unser Besuch im Taur-en-Elenath, bei der Herrin der Quelle“, antwortete er und sein Blick haftete an ihrem. Sie lächelte schwach.

„Inglos, sag den Männern sie sollen sich für die sofortige Abreise vorbereiten. Wenn die Sonne im Zenit steht, reiten wir los“, befahl er dem Hauptmann. Er nickte und verließ den Raum.
„Was ist es, Tarásane?“, fragte er nun nochmal.
„Ich kann dir nichts Genaues sagen, da ich es nicht weiß. Aber ich biete euch diese Waffen, sie sind aus den ältesten Tagen unseres Volkes und sind stark genug um Drachenhaut zu durchdringen. Fragt die Zwerge, sie werden euch lange stabile Lanzen daraus machen.“
„Drachenhaut?“, Rástor war ein weiteres Mal erstaunt.
„Denkt ihr es ist ein Drache?“, fragte Caelîf nun ungläubig und erinnerte sich an die schaurigen Geschichten die er in der Vergangenheit las.
„Ich hoffe es nicht, aber ich befürchte es. Es gibt uralte Legenden über einen Drachen der in den Orocarni lebt. Aber noch nie hat ihn jemand zu Gesicht bekommen.“
„Wenn sich deine Vermutung bewahrheitet, dann müssen wir so schnell wie möglich zurück nach Nurthaenar. Auf den Hängen der Orocarni liegt unsere Stadt wie am Präsentierteller“, stellte Rástor besorgt fest.
„Geht und packt eure Sachen, wir bringen euch Proviant. Ich erwarte euch bevor ihr losreitet“, schloss Tarásane das Gespräch ab.

Es musste ein kühler Tag sein, doch dieser zauberhafte Wald beherbergte eine spürbare Wärme. Die Sonne ragte obwohl sie im Zenit stand nicht weit über die Baumkronen hinweg, vermutlich würde es nicht mehr lange dauern bis der erste Schnee fiel.
Rástor, Caelîf und ihre Gefährten standen aufgereiht auf der Lichtung, die Pferde hatten das Gepäck geschultert. Ihnen gegenüber verharrte die Herrin der Quelle, anmutig wie sie immer war.
„Wir danken euch, Bewohner des Sternenwaldes und euch, der Herrin der Quelle. Ihr gabt uns ein Heim, wenn auch nur für kurze Zeit“, waren die höflichen Worte der Verabschiedung.
„Es war uns eine große Freude, habt Dank für euer kommen. Zahlreiche Aufgaben liegen vor euch, mögen sie unter dem Schutze der Valar gelingen.“

Die Soldaten aus Nurthaenar wandten sich unter dem Befehl von Inglos ab und machten sich zum gehen bereit. Etwas abseits kamen sie zum stehen. Die Elben des Waldes verschwanden ebenfalls. Tarásane ging nun einige Schritte auf Rástor zu. Als Caelîf sich entfernen wollte, deutete sie ihm stehen zu bleiben.
„Ihr beide“, sie lächelte „Du hast eine gute Wahl getroffen Túvir, zweifle nicht daran. Aus der Angst heraus einen Fehler zu machen und gar nichts zu tun ist bereits eine Niederlage. Gehst du das Risiko ein, besteht zwar die Chance einer Niederlage, aber ebenso die Chance eines großen Sieges.“
Er wirkte irgendwie erleichtert nach diesen Worten.
„Mein lieber Caelîf, du bist aufmerksam, sensibel und triffst deine Wortwahl mit Bedacht. Es steht außer Frage, dass dir in der nahen Zukunft wichtige Aufgaben auferlegt werden und wie ich dich einschätze wirst du sie ohne zu zögern annehmen. Glaube stets an dich und deine Fähigkeiten und du wirst alles, einfach alles was auf dich zu kommt, gut meistern.“
Aus einer kleinen Phiole träufelte sie etwas Wasser auf ihre rechte Handfläche. Sie benetzte den linken Zeigefinger mit der klaren Flüssigkeit und näherte sich seinem Gesicht. Der junge Elb schloss instinktiv die Augen. Er spürte wie der Zeigefinger leicht über sein linkes, sein rechtes Augenlid und schließlich über die Mitte seiner Stirn strich. Anschließend spürte er die sanften Lippen der Elbe auf denselben Stellen des Gesichtes.
„Möge das klare Wasser der Quelle deine Augen öffnen für vieles, was dir bisher verborgen blieb.“

Langsam öffnete Caelîf wieder die Augen und sah in ihre silbrigen. Sie strahlten einen mysteriösen Schein aus.

Im nächsten Augenblick drehte sie sich zu Rástor. Sie sah ihm tief in die Augen, seine wurden leicht wässrig. Tarásane sprach in einer Sprache die Caelîf nicht verstand, sie wusste das. Zur Verabschiedung legte sie ihre flache Hand auf seine Brust.

Nachdem sie den Wald über die geheimen Pfade verlassen hatten, nahm die Elbenschar denselben Weg vom Sternenwald zurück, wie sie ihn gekommen waren. Im Eiltempo überquerten sie die Ebenen und verweilten die Nacht im verlassenen Gehöft von Hrostar. Dort konnten sie sich im Notfall verbarrikatieren, sollte es einen Überfall geben beziehungsweise waren sie innerhalb der Mauern vor spähenden Augen sicher.
Caelîf streifte gedankenverloren durch die oberen Räume des Hauses. Es waren die Schlafzimmer der ehemaligen Bewohner, das helle Licht des Mondes strahlte durch die Fenster. Er stellte sich vor wie der kleine Junge, Diméa’s Sohn, im Bett lag und ruhig schlief.

Ob er wohl oft Albträume hatte? Von Orks oder von anderen Monstern? Wieviel Angst musste der kleine Junge haben in dieser Nacht? Ich hätte auch Angst, ich habe Angst. Was wenn wirklich ein Drache unsere Stadt angreift? Was wenn es bereits geschehen ist? Hoffentlich geht es allen gut…

„Woran denskt du?“, riss ihn Rástor aus seinen Gedanken.
„An Nurthaenar“, antwortete Caelîf und setzte sich dabei auf die Bettkante. Er sah nach draußen auf die weite Ebene.
„Ich auch. Aber habe keine Sorge, es ist alles in bester Ordnung.“
„Das hoffe ich. Ich habe Angst um meine Familie und um meine Freunde.“
„Was sagte uns Tarásane? Angst sollte uns niemals leiten. Eher das Vertrauen und die Verbundenheit. Gute Absichten bringen Gutes hervor, schlechte Absichten Schlechtes.“
Caelîf nickte.
„Die Verbundenheit zu deiner Familie, dass hast du von Aralûtha.“
Caelîf nickte wissend.
„Habe ich dir je erzählt, wie ich sie kennen gelernt habe?“, fragte Rástor den jungen Elben und überraschte ihn damit.
„Nein“, antwortete er nur kurz.

Caelîf, Rástor und die Soldaten aus Nurthaenar in die Umgebung von Riavod

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