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Die Rückkehr der Nazgul

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Only True Witchking:
Kapitel 10: Castamir
16. Mai 1396, V.Z.

Vier Tage lang waren sie in Calenost geblieben. Dann war ein Bote von Castamir eingetroffen. Er hatte Neuigkeiten erfahren über die Haradrim, doch er wollte diese mit Hirluin selbst besprechen.
Telemnar hatte allerdings entschieden, dass er anstatt dem Fürsten Ithiliens gehen würde, denn dieser war vollauf damit beschäftigt, eine schlagkräftige Streitmacht aufzustellen.

Noch gab es keine Anzeichen, dass die Banditen aus Harad einen größeren Angriff planten, aber einmal hatten sie ein entlegenes Gehöft überfallen, und es gab Berichte von Wegelagerei und Plünderungen auf den Straßen. Um auf alles vorbereitet zu sein, ließ Hirluin die Palisade Calenosts ausbessern, und die Stadtwache war auf doppelte Stärke angewachsen.

Die Koordination dieser Vorgänge benötigte die gesamte Aufmerksamkeit des Fürsten, deshalb war er durchaus erfreut gewesen zu erfahren, dass Telemnar seinen Platz einzunehmen wünschte.
Er hatte allerdings darauf bestanden, dass Eldacar und zwei Dutzend Waldläufer den Erben Dol Amroths begleiteten, zusätzlich zu dessen Leibwachen.

Deshalb ritt jetzt ein fast fünfzig Mann starker Trupp Soldaten auf die Festung Annon-en-lum zu, wo sie von Fürst Castamir von Mordor empfangen werden sollten.
Das Schattentor war ein beeindruckendes Bauwerk, selbst verglichen mit den Vesten Dol Amroths oder Minas Tiriths.
Schon die Position auf dem östlichen Felsvorsprung im Rachen von Udûn war ehrfurchtgebietend, denn dort wuchs die Festung aus dem glatten Fels eines großen Hügels empor. Nur ein einziger schmaler Grat bot Zugang zum wehrhaften Torhaus, und die Silhouetten der Ered Lithui im Morgenlicht bildeten einen majestätischen Hintergrund.

Nun fielen die Blicke aller Betrachter unweigerlich auf die Festungsanlage selbst: Der Wall aus Aschgrauen Steinen ragte fast zwanzig Schritt in die Höhe und an allen sechs Ecken der hexagonalen Ringmauer stand je ein runder Turm, dessen Dachspitze sich fünfzig Schritt über dem Boden erhob. Doch der eindrucksvollste Teil der Anlage war zweifellos das Herzstück: Die graue Garnison, ein sternförmiges, vierzig Schritt hohes Bollwerk, in dessen Mitte sich der Lange Zahn befand, ein quadratischer Turm von doppelter Höhe. Auf der Spitze seines Daches wehte die Fahne von Mordor, ein silbernes Auge im schwarzen Feld vor einem weißen Hintergrund.
Langsam näherte sich die Gruppe dem Zugang zum Tor, als dessen schwarz-silberne Flügel aus Eichenholz, Stahl und Wahrsilber begannen, sich langsam und knarrend zu öffnen. Zeitgleich erschallte ein helles Horn, laut durchbrach es die Stille des Morgens.  Telemnar hob die Hand, woraufhin die Reiter ihre Pferde zügelten. Eldacar, Bergil und Aranwe ritten neben den Fürsten, gemeinsam warteten sie.
Bald war das Tor gänzlich geöffnet, und heraus preschte eine Gesandtschaft von einem Dutzend Reiter. Sie waren in Kettenhemden und graue Wappenröcke gekleidet, auf ihren Häuptern blitzten runde Helme. Einer von ihnen trug die Flagge von Mordor, ein weiterer eine graue Standarte mit dem Auge in Weiß, diese stand für Udûn.
Allen woraus war ein Mann auf einem schwarzen Streitross. Er selber war kleiner als die meisten Männer, doch er hielt sich Kerzengerade im Sattel, um seine Schultern flatterte ein schwarzer Umhang, und sein langes Haar in der gleichen Farbe wehte hinter ihm im Wind. An seiner Seite hing ein Schwert, doch er trug keine Rüstung und keinen Schild. Seine Brust wurde nur von einem einfachen weißen Überwurf bedeckt.

Dieser Mann war Castamir von Mordor, einer der mächtigsten Fürsten des Reiches, und bei weitem der berühmteste. Er galt als gefährlicher Kämpfer, gerechter Herrscher und erfolgreicher Heerführer, denn er hatte es endlich geschafft, die letzten Orks aus dem Morgai zu vertreiben.

Erst wenige Schritte vor Telemnar verlangsamte Castamir seinen Ritt, dann zügelte er hart sein Pferd. „Seid gegrüßt, Telemnar, Prinz von Dol Amroth!“ rief er der Gruppe entgegen, während sein Gefolge zu ihm aufschloss. „Seid ebenfalls gegrüßt, Castamir, Fürst von Mordor!“ gab Telemnar belustigt die förmliche Anrede zurück. „Ich nehme an, ihr seid hier an Stelle von Hirluin?“ fragte der Herr des schwarzen Landes. „So ist es“, antwortete Telemnar, „doch weshalb kommt ihr uns entgegengeritten? Wollt ihr uns nicht in eure Festung einlassen?“
Schlagartig wurde Castamir ernst. „Ich muss euch etwas zeigen, das keinen Aufschub duldet. Ich weiß, ihr seid sicherlich müde, aber das spielt keine Rolle. Vor einer Stunde haben einige meiner Männer etwas entdeckt, und ich will wissen, was ihr darüber denkt. Euer Gefolge kann sich bereits in die Veste begeben.“
Telemnar befahl Aranwe, ihm zu folgen, auch Eldacar schloss sich an. Der Rest brach auf zur Festung, begleitet von der Hälfte der Reiter aus Mordor. Die anderen folgten ihrem Herrn, darunter der Bannerträger Udûns.

Castamir führte den kleinen Trupp nach Nordosten, zur Spitze des östlichen Ausläufers der Ered Lithui. Aranwe nutzte unterdessen den Ritt, um sich den Fürsten genauer zu betrachten. Er hatte ihn schon manchmal gesehen, allerdings nur von weitem, als einfacher Leibwächter. Castamir hatte ein hartes Gesicht, aus dem helle, blaue Augen blitzten. Er trug einen akkurat gestutzten, schwarzen Bart, der allerdings die lange Narbe auf seiner rechten Wange nicht völlig verbarg.
Es hieß, als Castamir noch ein Junge von sechzehn Jahren gewesen war, sei er zusammen mit seinem Vater Denethor in einen Hinterhalt von Wegelagerern geraten. Gemeinsam hatten sich Vater und Sohn herausgekämpft, und während Denethor bald darauf an seinen Wunden gestorben war, hatte Castamir nur einen Schnitt an der Wange hinnehmen müssen.

Diese Erzählung war die Grundlage für die meisten Gerüchte, die sich um den Fürsten Mordors rankten: Er habe einmal einen Warg mit bloßen Händen getötet, er könne sieben Männer alleine überwältigen, sein Schwert sei eine Elbenklinge. Aranwe glaubte nichts davon, doch es war nicht abzustreiten, dass Castamir ein stolzer und mächtiger Fürst war, der es gewohnt war, zu befehlen und zu herrschen.

Als die Reiter am Fuß der Berge angekommen war, steigen sie ab. Der Bannerträger führte sie zu einer Felsformation, hinter der sich eine flache Senke befand. Ein Blick hinein hätte Aranwe fast den Magen umgedreht,  auch wenn er schon so viele Kämpfe erlebt hatte.
Dort in der Senke lag ein Krieger in der grauen Rüstung von Mordor, die sich tiefrot verfärbt hatte. Sein Schädel war zur Hälfte abgerissen, und in seiner Brust klaffte mittig ein blutiges Loch. Er umklammerte noch seinen Speer, doch die Spitze war abgebrochen und lag neben ihm. Sein rechter Arm war über dem Ellbogen abgetrennt worden.

Telemnar trat näher heran, aber Castamir hielt ihn zurück. „Das ist wahrlich kein Anblick, den ihr sehen wollt. Wir haben ihn bereits untersucht, und – wie war das noch genau?“ wandte er sich an seinen Bannerträger.
„Das ist Ingmar, ein Grenzwächter“, führte dieser aus. „ Heute Nacht war er auf Patrouille, allerdings am westlichen Ausläufer. Er ist in den frühen Morgenstunden gestorben. Es lassen sich auf dem Fels keine Spuren finden. Sein Kopf und seine Brust sehen aus, als hätte ihn ein Eber angefallen. Aber der Arm wurde eindeutig mit einem Schwert abgetrennt. Bisher kann sich keiner erklären, was geschehen ist – von einem Manneber hat ja wohl noch niemand gehört.“

Castamir ergriff wieder das Wort. „Allerdings berichtete Voron, der eigentlich hier Wache stand, dass er drei Stunden nach Mitternacht das Heulen eines Wolfes hörte, ganz hier in der Nähe. Das hilft uns aber auch nicht weiter... Ein Eber der ein Schwert führt, und mit der Stimme eines Wolfs heult? Was ein Unsinn. Ich denke, hier steckt ein Mensch dahinter, der versucht, uns einen Schrecken einzujagen. Mein Verdacht sind die Haradrim – aber wie sie so etwas zustande bringen würden, und warum, das kann ich nicht sagen.“

Für eine Weile blieben alle stumm. Dann sprach Telemnar: „Auch ich kann euch nicht weiterhelfen. Doch es gibt keinen Grund mehr, diesen Mann unbegraben in der Wildnis liegen zu lassen, jetzt da ich ihn gesehen habe.“ „Allerdings“, nickte Castamir, und zwei seiner Soldaten hoben vorsichtig die mutilierte Leiche auf und trugen sie zu den Pferden.
Auf einmal stutzte Eldacar. Er trat an die blutbespritzten Felsen, dorthin wo der Wächter gelegen hatte. „Das bringt uns der Lösung vielleicht näher!“ rief er schließlich aus. Vom Boden hob er einen kleinen, grauen Fetzen. „Nur ein Stück Wappenrock“, meinte Aranwe enttäuscht. „Nein!“ entgegnete der Waldläufer, „das ist ein Stück Fell! Und zwar eindeutig Wolfsfell!“

„Kein Wolf hat Zähne, die solche Wunden reißen können“, widersprach Castamir. „Nur die Hauer eines großen Keilers könnten dafür ausreichen.“ „Dennoch ist das hier Wolfsfell, so wahr ich seit fünfzehn Jahren Waldläufer bin“, beharrte Eldacar. „Überhaupt denke auch ich nicht, das hier nur ein wildes Tier am Werk gewesen sein kann – wie erklärt ihr euch ansonsten den Schwerthieb?“
Das erschien Aranwe einleuchtend, und auch Castamir nickte langsam. „Ihr habt Recht. Anstatt über Tiere zu streiten, sollten wir lieber über den Mensch nachdenken, der hinter dieser Tat steckt.“

Dabei warf er einen scharfen Blick nach Westen, Richtung Ithilien, was Aranwe nicht entging. Offenbar verdächtigte Castamir immer noch die Plünderer aus Harad, und auch Aranwe hätte das gedacht. Aber zum einen hatten diese keinen Grund, einen einzelnen Grenzwächter zu erschlagen, dann aber nichts weiter zu tun, zum anderen hatte er in Dol Amroth schon häufiger Geschichten von den Wargen gehört – schrecklichen Wölfen aus alter Zeit, groß wie Ponys, mit Augen wie glühenden Kohlen, und mit Zähnen lang wie Wildschweinhauer.

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Lunthák kochte vor Wut und Schmerz. Sein gesamter Körper schien zerbrochen, es war nur dem geschwärzten Silber der Zwerge geschuldet, dass er nicht einfach vernichtet worden war. Als er aufgewacht war, war niemand anderes in der Halle gewesen, er selber hatte auf dem Boden gelegen, und sein Thron war fort. Ihm war sofort klar gewesen, dass er verloren hatte – der Abschaum würde dem Stärksten folgen, und dieser stand zweifellos fest. Für den Moment.

Zu entkommen war leichter als gedacht, er hatte nur einmal drei Snaga-Maden umbringen müssen, dann war er durch einen geheimen Ausgang ins Gebirge geklettert. Einem von ihnen hatte er ein Schwert abgenommen, das er eher als Dolch benutzen musste.
Jetzt stand er auf dem Gebirgsweg nach Norden, wo der große Berg ihn erwartete. Dort kämpften die Orks immer noch mit den Zwergen, wenn er Verstärkung irgendwo finden sollte, dann in Gundabad.
Doch etwas hielt ihn davon ab. Da war ein Ruf in ihm, der ihn nach Osten zog, ein schwarzer Arm, der an ihm zerrte. Er hatte kaum eine Wahl, als ihm zu folgen, doch was würde er finden?
Es schien, als riefe etwas aus alter Zeit nach ihm, etwas, dass er Herr nennen müsste. Doch er wollte niemandem dienen. Er wollte selber Herrschen, selber der Mächtigste sein.

Während er noch unschlüssig dastand, hörte er hinter sich einen Stein zu Boden fallen. Blitzschnell wandte er sich um. Dort kletterte ein gewaltiger Wolf langsam einen Felsen herab, während zwei weitere Warge noch oben warteten. Mit einem schnellen Rundumblick erkannte Lunthák die Situation. Sieben Warge hatten ihn umzingelt, bereit ihn zu attackieren, doch sie warteten darauf, dass ihr Anführer angriff, der jetzt langsam näher trat.

„Verschwinde, Korgaîsth!“ zischte Lunthák ihm in der schwarzen Sprache zu. „Ich bin keine Beute. Zwergenstahl kannst du nicht fressen. Verschwinde!“ Der Warg verharrte. Dann fauchte er in seiner eigenen Sprache, die zu verstehen nur den ältesten Orks und manchen anderen mächtigen gegeben war: „Made. Gefällt, gestürzt, kein Herrscher mehr. Beute!“ Schon setzte er sich wieder in Bewegung.

Lunthák packte sein Kurzschwert mit aller Kraft. Er verspürte keine Furcht, seine Rüstung würde ihn auch diesmal schützen. Er verspürte nur den Wunsch, zu töten und warmes Blut zu trinken.
Hätte der Wolf das dunkle Funkeln in den Raubtierähnlichen Augen des Ork-Hünen sehen und verstehen können, hätte er vielleicht gezögert. Stattdessen machte er sich bereit – und sprang.
Wenig später rannte ein Warg aus dem Nebelgebirge nach Osten. Auf seinem Rücken saß, beide Hände in das Nackenfell der Kreatur gekrallt, eine riesige Gestalt in schwarzer Rüstung.

Sindarin:
Annon-en-lum = Tor des Schattens

Sprache der Orks:
Korgaîsth = Warg (ursprünglich Werwolf)

Only True Witchking:
Wird voraussichtlich nicht fortgesetzt.

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