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Die Rückkehr der Nazgul

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Only True Witchking:
Kapitel 5: Orkjagd
13. Mai, 1396 V.Z.

Wie Schatten schlichen sie durch das Unterholz. Lautlos, wachsam. Die Augen der Orks würden sie niemals entdecken, bevor es zu spät war. Die acht Elben würden Pfeil um Pfeil fliegen lassen, und jeden verbliebenen Ork niedermachen. Das war zumindest der Plan. Aber in seinem dreieinhalbtausend Jahre langen Leben hatte Haldir festgestellt, dass Pläne oft genug scheiterten.
Deswegen hatte er wie so oft einen zweiten Plan. Wenn sie von den Orks überrumpelt werden sollten, würden er und seine Brüder sie ablenken, während die fünf anderen Grenzwächter im Unterholz verschwinden würden. Dann sollten auch Rumil, Orophin und er selber sich zurückziehen. Schließlich könnten sie die Orks langsam aber sicher niederschießen.
Wie jedes Mal, wenn er gegen die Orks kämpfte, blendete er aus was deren Vorfahren einmal gewesen waren. Sie waren Feinde des Waldreiches von Eryn Lasgalen, und Thranduil hatte seinen Grenzwächtern befohlen, sie zu vernichten. Der König der Waldelben hatte entschieden, dass sie die Orks der Hithaeglir direkt an der nordwestlichen Grenze aufhalten sollten. Keine der abscheulichen Kreaturen würde den Wald betreten.

Plötzlich stieg dem Elben ein scharfer Geruch in die Nase. „Yrch!“ zischte Orophin neben ihm leise. Haldir blickte sich zwischen den Bäumen und auf der nahegelegenen Ebene um. Wo waren sie? Er konnte den Feind nicht sehen. Also schlichen sie näher heran. Da. Eine Bewegung im Unterholz, fünfhundert Schritt entfernt. Aus den Büschen traten sieben große Orks, mit Bögen bewaffnet. Haldir war kurz verwundert. Die etwa dreißig Orks, deren Spur sie folgten, gehörten zu einer kleineren Rasse, und waren nur mit krummen Schwertern und kruden Speeren bewaffnet.
Also gab es noch eine zweite Orktruppe. Auch die anderen Elben hatten es gesehen. Rumil schlug vor, zu warten, bis sich die beiden Gruppen der Feinde trafen, aber Haldir war dagegen. Möglich, dass die Orks sich bekämpfen würden, aber vielleicht würden sie sich auch verbünden. Jetzt einen schnellen Schlag zu führen, war einfacher.

Geschickt zogen die Elben Pfeile aus den Köchern, legten sie auf die Sehne und spannten die Bögen. Einen Augenblick wartete Haldir, dann ließ er den schlanken, graugefiederten Pfeil fliegen. In der Luft leuchtete er blau auf.
Ein Ork stürzte zu Boden, tödlich im Nacken getroffen. Die anderen hatten kaum Zeit zu schreien, da fand der Tod sie ebenfalls. Eine zweite Pfeilsalve folgte, und die letzten drei Orks gingen nieder.

Ohne lange zu verweilen, liefen die Elben weiter. Sicherlich waren die anderen Orks zu weit entfernt, um etwas mitbekommen zu haben, aber es war dennoch besser, wenn sie sich beeilten. Sie verließe den Wald, und betraten die hügeligen Wiesen. In der Ferne ragten drohend die Nebelberge auf, und Haldir glaubte sogar, weit im Norden Gundabad als eine scharfe Spitze erkennen zu können. Dort lebten Zwerge unter ihrem König Gror Feueraxt.

Die Fährte der Orks war klar zu erkennen, niedergetrampeltes Gras und geknickte Büsche wiesen den Weg. Wenn den Spuren zu glauben war, waren die Orks vor drei Stunden entlang gekommen. Rasch eilten sie weiter, immer der Spur der Verwüstung folgend. Voller Zorn über die Vernichtung der Natur rannten die Elben so schnell sie konnten, und Haldir achtete kaum auf die Umgebung. Nach zwei Stunden, kurz vor dem Mittag, rief Orophin ihm leise etwas zu: „Horch!“
Haldir blieb stehen und lauschte. Der Nordwind trug ihm jetzt deutlich raue Schreie zu, aber auch Kampfgeräusche waren zu hören. War ein Streit unter den Orks ausgebrochen? Die Geräusche kamen hinter einem Hügel hervor. Vorsichtig, aber gleichzeitig schnell, liefen die Elben auf den Hügel zu. Er würde ihnen einen Höhenvorteil erschaffen. Die Geräusche wurden lauter. Stahl prallte auf Stahl, ein Todesschrei ertönte. Ein Ork brüllte Befehle in der Sprache der Menschen: „Tötet den Drecksack, nutzloser Abschaum! Sonst zieh ich euch die Haut ab und freß‘ sie auf!“
Dann, als die Grenzwächter nur noch einhundert Schritte vom Hügel entfernt waren, geschah etwas so unglaubliches, dass Haldir beinahe stehengeblieben wäre. Über die Geräusche des Mordens erhob sich eine einzelne, wunderschöne und klare Stimme. Und sie sang.

„A Elbereth Gilthoniel
 silivren penna míriel
 o menel aglar elenath!
 Na-chared palan-díriel
 o galadhremmin ennorath
 Fanuilos, le linnathon
 nef aear, si nef aeron!“

Haldir kam als erster auf der Hügelspitze an. Ihm bot sich ein merkwürdiges Bild: Unter ihm hatten die Orks offenbar ihr Lager aufgeschlagen. Ihre Bündel lagen auf dem Boden, ein Holzkreis für ein Lagerfeuer war vorbereitet. Daneben lagen Fleischstücke eines undefinierbaren Lebewesens, und Orks rannten umher, die Waffen in der Hand. In der Mitte von ihnen stand ein großer, schwarzer Ork, in ein dunkles Kettenhemd gekleidet, einen schlecht gefertigten Helm auf dem Kopf. Er hielt eine Axt in den Händen, und schrie weiter Kommandos und Beleidigungen.
Am Rande des Lagers befand sich das Objekt seiner Aufmerksamkeit. Ein einzelner Elf stand dort, gekleidet in ein kurzärmeliges, vermutlich zuvor blaues Oberteil, mit einer schwarzen Hose. Er war barfuß! An seinem Gürtel hing eine schwarze Schwertscheide, und  in den Händen hielt er ein silbernes, schmuckloses Langschwert, welches nicht von Elbenhand gefertigt war – es leuchtete nicht. Seine langen Haare waren schwarz, und fielen ihm ungeordnet auf den Rücken, sein hoheitliches Gesicht leuchtete vor Zorn. Er überragte die Orks um mehrere Haupteslängen und auch unter den Quendi war er sicherlich groß. Die Klinge in seinen Händen führte er mit meisterhafter Kunst. Er war umringt von sieben Orks, doch keiner wagte es, ihn anzugreifen, während er vorsprang und einen niederstreckte. Fünf andere lagen bereits auf dem Boden. Sein Gewand und seine nackten Unterarme waren schwarz von Orkblut, und schwarze Flecken verunreinigten sein Gesicht. Und, zum Wunder Haldirs, war dieser gewaltige Krieger auch der Sänger gewesen, denn er begann ein weiteres Lied zu singen. Haldir konnte die Worte kaum verstehen, aber manche kamen ihm bekannt vor. War das... Quenya? Es klang wie ein Schlachtlied, doch unendliche Traurigkeit sprach aus der Stimme des Elben, und das Lied trieb Tränen in Haldirs Augen. Erst als Rumil in am Arm packte, nahm er seine Kräfte zusammen, und befahl: „Zum Angriff! Lasst es Pfeile regnen!“
Sofort erhoben sich die ersten Pfeile in die Luft, blaue Flammen schienen niederzugehen. Orks stürzten und starben. Haldir nahm den Anführer der Orks ins Visier, doch der Pfeil prallte vom Kettenhemd ab. Das war keine gewöhnliche Orkrüstung! Sofort nahm der Ork ein Horn vom Gürtel, und blies schmetternd herein. Der dunkle Ton wurde von einem zweiten Horn beantwortet.

Hinter den Elben stürzten plötzlich Orks den Hügel herauf, schwarz gewandet, mit Äxten in den Händen. Es waren zwanzig, und acht von ihnen trugen Bögen. Ein Grenzwächter neben Haldir brach in die Knie, drei Pfeile durchbohrten seinen Hals. Die Elben wandten sich um, eine Pfeilsalve antwortete auf den Angriff. Schon starben die ersten der Orkschützen, aber fünf standen noch. Ihre Schüsse brachten einen weiteren Elben zu Fall, auch Orophin traf ein Pfeil in die Schulter. Haldir schickte noch ein Geschoss los, ein feindlicher Bogenschütze wurde ins Auge getroffen. „Schwerter ziehen!“ befahl er dann, als die Feinde heran waren.

Der Nahkampf begann. Haldir sprang vor, mit einem zweihändigen Hieb spaltete er einem Ork das Gesicht. Ein zweiter holte mit der Axt aus, aber Rumil rammte ihm die Klinge in die Brust. Vor Haldirs Augen wurde Celfîn, ein meisterhafter Bogenschütze, von drei Orks überwältigt, und ein Axtstiel schickte ihn zu Boden. Gemeinsam mit Rumil fuhr der Anführer der Grenzwächter unter die Feinde, und im Klingenwirbel  gingen zwei zu Boden. Der letzte wandte sich zur Flucht, aber Haldir war schneller, sein Schwert hieb ihm den Fuß ab. Wie ein blauer Blitz war Rumils Klinge heran, und der Kopf des Orks rollte über den Boden. Jetzt hatten auch die Orkschützen ihre Äxte ergriffen, aber Orophin und ein weiterer Elb machten sie nieder. Ein verbleibender Ork schaffte es, sich von hinten auf die beiden zu stürzen, und ehe Orophins Schwert ihm die Kehle zerfetzte, brachte er seine Axt mit Wucht auf den Kopf des anderen Grenzwächters nieder. Blut färbte das graue Gewand des Elfen rot, als er fiel.
Dann war es vorbei, schneller als es begonnen hatte. Die Orks waren tot, kein einziger entkommen. Haldir fiel der unbekannte Elb wieder ein. Er hatte es mit dem ganzen Orklager aufnehmen müssen! Der Grenzwächter hastete wieder auf den Hügel, den Bogen schussbereit. Unter ihm herrschte Verwüstung. Alle Orks waren tot, nur der Anführer duellierte sich noch mit dem Elben. Dieser war nicht einmal außer Atem! Er sang immer noch. Aus einer Wunde an seinem linken Unterarm rann rotes Blut, und vermischte sich mit dem schwarzen Orkblut an seiner Hand.
Er duckte sich unter einem schlechtgezielten Axthieb, und im gleichen Augenblick rollte der Kopf des Orks über den Boden. Der Elb setzte ungerührt seinen Gesang fort, wischte sein Schwert am Boden ab und steckte es ein. Schließlich blickte er zu Haldir auf, und begann den Hügel hinaufzusteigen. Im Näherkommen endete sein Lied.

Fortsetzung folgt.

SINDARIN
Eryn Lasgalen = Wald der Grünblätter
Celfîn = Silberlocke, Silberhaar

Only True Witchking:
Kapitel 6: Makalaurë
13. Mai, 1396 V.Z.

Der Elb blieb vor Haldir stehen, und sah ihn einen Moment lang aus seinen grauen Augen an. Dann begann er etwas zu sagen, „Elen...“, doch er brach ab und korrigierte sich: „Le suilon!“
Haldir erwiderte die Begrüßung, und der andere Elb fragte sofort: „Wer bist du, und in wessen Diensten stehst du mit deinen Kriegern?“
„Ich bin Haldir, oberster Grenzwächter von König Thranduil von Eryn Lasgalen“, antwortete er, „und wir befinden uns auf seinem Gebiet, also solltest du zuerst erklären, wer du bist.“
„Ich bin... Makalaurë, und ich möchte mich für mein Verhalten entschuldigen, denn ich wusste nicht, dass über dieses Gebiet ein König herrscht. Ich habe für  lange Zeit nichts mehr mit den Geschehnissen in Mittelerde zu tun gehabt, auch wenn nicht weiß, wie viel Zeit es genau war, ein Jahrhundert oder auch ein Jahrtausend.“
 Haldir war erstaunt. Makalaurë war kein Name in Sindarin, sondern Quenya, die Hochsprache der Noldor, die nicht mehr gesprochen wurde, seit die Herrin Galadriel Mittelerde verlassen hatte, doch er kannte die Bedeutung nicht.

Während sie noch sprachen, trat Orophin neben Haldir. „Henthoron, Lagorhathel und Faenellon sind tot“, berichtete er, „und Celfîn ist verletzt. Rúmil kümmert sich um ihn.“
Haldir schloss für einen Moment die Augen. Er hatte die drei Gefallenen nicht sehr lange gekannt, aber sie waren seine Gefährten in den letzten Tagen gewesen, und jedes Leben, das verloren wurde, war eines zu viel. Der Tod war etwas, worauf sich wohl jeder der Grenzwächter eingestellt hatte, aber dennoch geschah es viel zu plötzlich, wenn ein Begleiter aus dem Leben gerissen wurde.
Haldir wandte sich nach der kurzen Pause wieder Makalaurë zu. „Was gedenkst du jetzt zu tun? Wenn du willst, kannst du mit uns kommen. Wir werden bald in unsere Heimat zurückkehren, und auch wenn unser Volk wenig mit Fremden zu tun hat, werden wir dich doch bei uns aufnehmen können. Ein Elb wird stets bei uns Aufnahme finden, und wir können jeder Kämpfer dringend gebrauchen.“
Doch Makalaurë schüttelte den Kopf. „Ich in kein Krieger“, sagte er, „sondern ein Sänger.“
„Dennoch kannst du dein Schwert besser führen, als jeder aus unserem Volk“, merkte Orophin verwundert an. „Aber ein Schwert führen zu können, heißt nicht dass ich es auch will“, entgegnete Makalaurë, wobei sich sein Gesicht verhärtete. Seine Stimme wurde bitter. „Ich habe in meinem Leben zu viel Blut vergossen, zu viel Tod gesehen. Wenn ich könnte, würde ich nie wieder ein Schwert tragen, doch das wird nie geschehen, solange Mittelerde besteht, fürchte ich.“

Er schwieg eine Weile, und seine Augen schienen gerade durch Haldir hindurch zu blicken, auf etwas in weiter Ferne, etwas das nur er sehen konnte. „Dennoch“, sagte er schließlich, „werde ich euer Angebot zumindest zunächst annehmen, Elben des Grünen Waldes. Bis ihr die Hallen eures Königs erreicht, möchte ich mit euch gehen, um mit ihm zu sprechen. Was danach geschieht, weiß nur Mandos selbst.“
Zum wiederholten Mal war Haldir von Makalaurë überrascht. Noch nie hatte er gehört, dass jemand den Namen eines Vala, noch dazu den Namen des Herrn des Todes, so leichtfertig ausgesprochen hatte.
Jetzt kamen auch Rúmil, Celfîn und Galathil zu ihnen, und stellten sich schweigend hinter Haldir.
„Wenn wir unsere Toten begraben haben, werden wir gehen“, entschied dieser, „und du kannst uns begleiten, Makalaurë.“
„Ich werde euch helfen, sie zu begraben“, antwortete der Sänger, „doch erst nachdem ich meine Arme vom Blut gereinigt habe.“

Vier Stunden später befanden sie sich auf dem Rückweg. Die Toten waren begraben, und sie hatten etwas Lembas gegessen, außer Makalaurë, der nur etwas Wasser trank. „Ich habe lange kein Wasser mehr gekostet, welches so rein war“, hatte er gesagt, und das hatte ihm als Mahlzeit genügt.
Jetzt hingen sie alle in ihren eigenen Gedanken, und Haldir und seine Gefährten trauerten stumm um die Toten. Wo Makalaurës Geist sich befand, konnte Haldir nicht erahnen. Der Wald um sie herum wirkte friedlich, auch wenn keine Sonne am Himmel zu sehen war. Aber Haldir wusste, dass der Schein trügerisch war. Die Orks waren nicht sonderlich überrascht von ihrem Angriff gewesen, es schien fast, als hätten sie ihnen eine Falle gestellt.  Aber es konnte doch niemand von ihrem Auftrag wissen? Oder hatte ein Ork sie bei dem ersten Angriff auf die sieben Uruks beobachtet?
Die Uruks... noch etwas, worüber er sich Gedanken machen musste. Seit langem waren kaum Uruks mehr in der Nähe der Wälder gesehen worden, schon gar nicht so viele. Außerdem war zumindest der Hauptmann der Nebelberge-Orks besser ausgerüstet gewesen als gewöhnlich; sein Kettenhemd hatte sogar Elbenpfeile abgehalten. Bedrückend schlich sich der Gedanke in Haldirs Kopf, dass sich vielleicht etwas Dunkles in den Hithaeglir regte, eine neue Bedrohung. Schon vor drei Jahren hatte er ähnliches gefürchtet, als ein plündernder Orktrupp das Land der Beorninger verwüstet hatte, aber dann waren die Orks ruhig geblieben. Vielleicht dachte er auch einfach nur zu negativ.

Rúmil würde ihm sagen, dass seit der Säuberung des Amon Lanc und dem Fall des Dunklen Turmes der Feind für immer aus Mittelerde verschwunden war. Doch war dem tatsächlich so? Die Menschen wurden den Elben immer fremder, sie verloren den Sinn für die Schönheit der Natur. Viele hatten nur noch Maschinen und Waffen im Sinn, und immer häufiger gab es auch im großen Reich von Gondor und Arnor Kriege. Nur die Beorninger waren anders, und manchmal hatte er einige von ihnen getroffen, doch sie waren wortkarg und wenig mitteilsam. Einige redeten zwar über zunehmende Ork-Plünderer, und einer hatte von besonders wilden Wargen berichtet, aber die Nebelberge waren schon immer ein düsterer Ort gewesen. Dort lebten Wesen, die so alt waren wie die Welt selbst, und die sogar für Orks ein Schrecken waren.
Möglich war es also, dass sich einfach ein Trupp Uruks aus dem vergangenen Zeitalter irgendwo in den Bergen versteckt hatte, und nun hervorgekommen war. Möglicherweise war die Gefahr mit ihrem Tod gebannt. Aber dennoch, er war der oberste Grenzwächter. Und somit war es seine Pflicht, stets wachsam zu sein, selbst wenn alle anderen von keiner Gefahr ahnten. Drei Grenzwächter hatten heute ihren Tod gefunden. Der König würde freundliche Worte für ihre Familie haben, und das Schrumpfen seines Volkes betrauern. Aber bald würde er wieder Feste im Wald feiern, lachen und edlen Wein trinken.
Und damit jemand vorbereitet war, falls doch etwas geschehen sollte, musste er, Haldir, wachsam sein. Selbst wenn alle anderen es nicht waren.

Vielleicht war auch dieser Elb ein Zeichen. Haldir nahm sich vor, ihn bei der ersten Gelegenheit zu befragen. Er wusste nicht, wo der Elb herkam, was er getan hatte bevor er hierherkam. Und wenn er so lange nichts mit anderen Elben zu tun gehabt hatte, warum war er dann ausgerechnet jetzt zurückgekehrt? „Ich werde es erfahren“, murmelte der Grenzwächter leise vor sich hin.
Orophin, der vor ihm ging, schien es gehört zu haben, denn er warf ihm einen raschen Blick über die Schulter zu. Doch er sagte nichts.

Schließlich gelangten sie gegen Abend zu einer kleinen Lichtung. Dort legten alle außer Haldir und Makalaurë ihre Waffen ab, und setzten sich zum Ausruhen auf den Boden. Rumil sah nach Celfîn, der im Getümmel einen Schlag an der Schulter abbekommen hatte, Galathil und Orophin unterhielten sich leise – vermutlich über Makalaurë. Haldir selbst setzte sich dem geheimnisvollen Elb gegenüber.
„Du willst wissen, woher ich komme“, erriet dieser sofort. „Allerdings“, sagte Haldir, „denn vieles an dir erscheint mir Rätselhaft. So weiß ich zum Beispiel nicht, aus welchem Lande du stammst, und wo du gelebt hast, bevor du auf uns gestoßen bist.“
„Über meine Vergangenheit will ich dir erzählen, doch nicht, bevor du mir eine Frage beantwortest. Welches Jahr in welchem Zeitalter der Welt ist dies? Denn nach dem Fall Beleriands habe ich jedes Zeitgefühl verloren.“
Haldir erbleichte. „Der Fall von Beleriand!“ rief er unwillkürlich aus. Die Erkenntnis traf ihn augenblicklich: Ihm Gegenüber saß einer der Noldor des Ersten Zeitalters!

Fortsetzung folgt.



QUENYA
„Elen...“  =  Anfang einer Begrüßung
Makalaurë = Goldschmied

SINDARIN
„Le suilon!“ = Ich grüße dich, formelle Variante
Henthoron = Adlerauge
Lagorhathel = Schnelle Klinge
Amon Lanc = Nackter Berg; Der Ort, wo Dol Guldur stand
Faenellon = Weißer Elb
Galathil: „Galadh“ = Baum

Only True Witchking:
Kapitel 7: Makalaures Erzählung
13. Mai, 1396 V.Z.

Fassungslos starrte Haldir auf den Noldo, der ihm gegenübersaß, während sich die anderen Grenzwächter zu ihnen umdrehten. Nur Makalaurë blieb ruhig. „Ja, der Fall von Beleriand“, sagte er, „Selbst wenn ihr nicht aus dem versunkenen Lande stammt, so habt ihr alle doch sicherlich davon gehört? Von den Untaten des schwarzen Feindes, und von... von dem Krieg des Zorns?“
„Wir haben davon gehört“, entgegnete Haldir, der seine Stimme wiedergefunden hatte, „doch nur aus entfernten Erzählungen. Dies ist das vierzehnte Jahrhundert des vierten Zeitalters. Der Fall von Beleriand... er liegt über siebeneinhalbtausend Jahre zurück.“
Makalaurë blickte ihn an, zum ersten Mal schien er verunsichert. „Dann habe ich wahrlich jedes Gefühl der Zeit verloren, doch ich war zu erfasst von meinem Schmerz, um an etwas anderes zu denken. Denn ich trage einen Schmerz mit mir, einen der zu gewaltig ist, als dass jemals eines der Kinder Ilúvatars ihn ermessen kann...“ er brach ab.
Orophin trat nun neben Haldir. „Wir bitten dich, erzähle uns deine Geschichte – oder so viel du davon zu erzählen vermagst. Denn wenn wir dich zum König bringen, müssen auch wir wissen, wer du bist, denn er wird uns fragen, warum wir dich hergebracht haben.“
Kurz schloss Makalaurë die Augen. „Ich werde erzählen. Aber zuerst, nennt mir eure Namen, denn ich will nicht nur mit dir, Haldir, reden, sondern mit euch allen.“
Rúmil, Galathil, Celfîn und Orophin stellten sich vor. Und dann begann der Sänger zu erzählen.
„Ich werde nicht über das sprechen, was in Beleriand geschah, denn es ist nur für die Ohren des letzten Richters bestimmt. Nach dem Krieg der Mächte des Westens, und... nach dem Abzug der siegreichen Armee, gelangte ich in den eisigsten Norden der Welt. Dort leben Geschöpfe, die eins mit dem Eis sind, Drachen und Tiere. Schreckliche Wölfe gibt es dort, und riesige Bären, mit Fell, so weiß wie der Schnee. Auch andere, schlimmere Kreaturen, doch es hat dort auch unendlich scheinende, leere Flächen, erfüllt von nichts als Eis. Ich war allein mit meinem Schmerz, meiner – Reue; allein mit meiner endlosen Trauer. Ich ging entlang der vereisten Küste, und sang Lieder, die keiner der Quendi je hören wird, denn ich habe sie bereits vergessen. Dort lebte ich, dort überlebte ich, auch wenn ich keinen Willen mehr hatte zu leben, kein Ziel mehr. Aber es ist meine Strafe, für lang zurückliegende Taten, für die keine Strafe genug ist. Nicht Morgoth selbst könnte eine Folter erfinden...“ Hier unterbrach sich der Erzähler.
Haldir, der den Kopf gesenkt gehalten hatte, blickte ihn kurz an. Tränen standen in Makalaures Augen, sein Blick ging gerade durch den Grenzwächter hindurch. Seine zuvor tonlose Stimme veränderte sich, zu Furcht, und zu Hass, als er fortfuhr: „Doch. Er ist der einzige, der mir noch größeren Schmerz bereiten könnte, denn er ist der schwarze Feind. Nichts kann er nicht noch verschlimmern. Aber er ist vergangen.“ Nach einer weiteren Pause fand er zu seiner Erzählung zurück.
„Nach tausenden Jahren, wie ich nun weiß, die ich in der ewigen Kälte verbrachte, sah ich ein Bild in meinen Träumen. Ein Fluss, der nach Süden fließt. Ich weiß nicht, warum, doch ich wandte meine Wanderung daraufhin nach Süden. Drei kurze Jahrzehnte vergingen, bevor ich zum großen Berg des Nordens kam. Er ist der oberste Berg der Hithaeglir, der Herrscher des Gebirges, doch er verblasst im Vergleich gegen die Eisernen Berge von einst.“ „Gundabad“, murmelte Celfîn leise. Der Name klang wie ein Fluch.
"Dort traf ich zum ersten Mal wieder auf Orks. Sie sind die schrecklichsten aller Kreaturen, denn sie sind nicht etwa verdorbene Elben... Nein. Sie sind Elben, denen jedes Gute fehlt, und bei denen das pure Böse zurückbleibt.“ „Wie kannst du das sagen?“ unterbrach  Galathil den Sänger. „Wir haben nichts gemein mit diesen Kreaturen, die das abscheulichste Werk des dunklen Feindes sind. Sie mögen einst Elben gewesen sein, doch nichts ist mehr von ihnen übrig. Sie sind Hüllen, nur beseelt vom Gedanken an Zerstörung.“
Makalaures scharfes Lachen war wie Eis, das bricht. Haldir jagte ein Schauer aus Kälte über den Rücken. „Ich habe Elben gesehen, die ihr eigenes Volk ohne zu zögern abgeschlachtet haben. Ich habe Feuer und Blut gesehen, Zorn und Verderben. Unschuldige, die von Elben gemordet wurden, Kinder, die kaum erst geboren waren.“ Er schüttelte den Kopf. „Erzähl mir nicht von der Reinheit der Elben, denn sie sind ebenso schreckliche Geschöpfe wie Orks, wenn sie von dunklen Gefühlen getrieben werden. Aber das ist nicht, was ich erzählen will. Ich habe bereits zu viel gesagt, mehr als ich wollte...

Eine Weile blieb ich bei Gundabad, ein einzelnes Jahrzehnt nur, doch die Orks lernten mich fürchten, denn ich zeigte ihnen, was Todesangst  ist. Sie sind große Scharen, wie ich sie lange nicht sah, doch sie sind angstvoll, denn der Tod bedeutet Verdammung für sie. Aber wieder erschien mir das Bild des Flusses, und ich ging weiter nach Süden. Nichts ist seitdem geschehen, was Wert ist zu erzählen, bevor ich euch traf, Grenzwächter des Grünen Waldes. Doch ich bin des Erzählens müde. Ich werde singen, wenn es euch nicht stört.“ „Es wäre uns eine Freude, deine Stimme zu hören“, meinte Rúmil.
Aber Makalaurë antwortete nur eines: „Von Freude singe ich nicht, und Freude werdet ihr nicht erleben.“
Er schwieg zunächst. Haldir versuchte, sich alle Details der Erzählung zu merken. Zwar hatte der Noldo die tatsächliche Geschichte nur sehr knapp ausgeführt, und viel über seine Vergangenheit erfahren hatten sie nicht, doch er hatte vieles andere gesagt, über den Feind, über die Elben und sich selbst. Vieles war erschreckend, manches unverständlich, aber doch half alles, das Bild im Kopf des obersten Grenzwächters zu formen, das Bild welches er sich zu Makalaurë machte.

Plötzlich erhob sich ein einzelner Ton in die dunkle Nacht. Haldir hatte nicht gemerkt, wie der Himmel sich verfinstert hatte, aber jetzt wurde der Wald nur noch von Sternlicht erleuchtet, und Earendil schien hell wie der Mond. Und Makalaurë begann ein Lied in Sindarin zu singen.
Er sang von Wasser, von langsamen Strömungen. Eine Traurigkeit stieg in Haldir auf, die aus dem tiefsten Winkel seiner Seele stammte. Das Lied wurde schneller, bald schon rasend, und Makalaurë sang von Feuer und Rauch. Dann änderte sich seine Stimme schlagartig, sie wurde voll und tief. Und jetzt erst begriff Haldir, wie überwältigend die Stimme des Noldo war. Das, was er zuvor während dem Kampf mit den Orks gehört hatte, war nur ein Schatten, nur ein schwaches Echo. Tränen liefen dem Grenzwächter über die Wangen, nur wegen der reinen Schönheit des Liedes, selbst wenn er den Text nur wenig verstand. Bald begannen Bilder, Wachträume, vor seinen Augen zu erscheinen, und wieder zu verschwinden, und hindurch sah er Makalaurë, von Dunkelheit umrahmt, doch leuchtend wie Feuer.
Die Bilder wechselten in schneller Folge. Haldir sah grünes Land, Elben in weißen Gewändern, mächtige Herrscher, die gemeinsam Rat hielten. Eine weiße Stadt, drei leuchtende Sterne, einen zornigen Elben, der bald darauf vor Trauer in eine dunkle Nacht stürmte. Heiß brennende Fackeln und heiß brennender Zorn, weiße Schiffe, blutiges Wasser. Es folgten Reden von verschiedenen Personen, doch kein Laut war zu hören, danach ein gewaltiges Feuer.
Ein Lager, eine Schlacht, feuriges Getümmel, ein Sterbender Elb und eine gleißende Flamme.
Eine weitere Schlacht, und viele mehr, dann ein grausames Gemetzel, inmitten von einem grünen Wald. Bald darauf ein friedliches Dorf, doch dann noch mehr Feuer und Entsetzen und Verzweiflung und Zorn, und ein blutiges Schlachten. Auf die Gesichter von zwei Kindern folgten ein heimtückischer Mord, ein Kampf, ein Gefühl von Triumph, und dann ein alles versengender Schmerz, der nur eine Fläche aus Eis zurücklies.
Dann endete das Lied, und Haldir lag auf dem Boden, und er weinte, und er sah, dass es den anderen genau so erging. Makalaurë aber stand dort, wie ein Mahnmal der Valar, und Haldir wusste, dass der Sänger die Welt erschüttern würde, ob zum Guten oder Schlechten. Dann fielen ihm plötzlich die Augen zu, denn auch wenn er selten schlafen musste, so hatte der Tag ihn dennoch ermüdet, und bald schlief er ein, glitzernde Spuren auf seinen Wangen.


Fortsetzung folgt.

Only True Witchking:
Kapitel 8: Der Herr der schwarzen Grube
15. Mai, 1396 V.Z.

Es war still im großen Thronsaal von Moria. Lunthák genoss die Stille. Endlich waren keine der Maden, die den ganzen Tag um ihn herumrannten, mehr zu sehen. Jedem von ihnen hatte er einen Befehl erteilt, und alle waren sie gegangen. Nur seine sechs treuesten Leibwächter standen noch hinter seinem goldgeschmückten Thron aus verkohlten Zwergengebeinen; Orks von denen er wusste, dass sie ihm niemals ein Messer in den Rücken stoßen würden, oder ihm im Schlaf die Kehle durchschneiden. Im Gegenteil waren sie diejenigen, die dafür gesorgt hatten, dass die unzähligen Orks, die keine solchen Hemmungen hatten, ihm nicht einmal auch nur nahe gekommen waren.
Stumm standen sie hinter ihm. Vielleicht warteten sie auf einen Befehl, doch fürs Erste würde er sitzenbleiben, und die Halle betrachten, über die er uneingeschränkter Herr war.
Am anderen Ende befand sich das große Tor, aus silbernem Stahl geschmiedet. Zwergenwerk. Darüber führte ein Balkon, an dem einige zerfetzte Banner hingen. Der Balkon führte einmal um die gesamte Halle herum, und wie gewöhnlich stand an jeder der vier Türen, die auf den Rundweg führten, ein weiterer Leibwächter, den Bogen in der Hand.
Die Decke der Halle war aus solidem grauen Stein gefertigt, und würde noch Jahrhunderte halten, wohl eher sogar Jahrtausende.
Die Wände waren verziert mit Trophäen: Bleiche Zwergenschädel, erbeutete Waffen, Zerrissene und beschmierte Banner. Der Rest der Halle war mit Resten von Lagerfeuern übersäht, wo Orks sich ihr Mahl zubereitet hatten. Was genau sie gebraten hatten, wusste Lunthák nicht. Im Zweifelsfall andere Orks. Am Kopfende führte eine große, steinerne Treppe hinauf zum Thron, auf dem er saß.

Er brauchte den Kopf nicht zu drehen, um zu wissen, dass die Wand hinter ihm mit roter und schwarzer Farbe bekritzelt war, eine große, hässliche Zeichnung, die den Schrecken aus alter Zeit darstellte. Den Valaraukar. Den Balrog.

„Was für eine Ironie“, dachte er, wie er es oft bereits getan hatte. Erneut warf er einen Blick durch die Hallen. Ihm fiel auf, wie leer sie waren... und dass er sich dennoch beobachtet fühlte. Irgendwo in der Dunkelheit war ein Augenpaar... Eines welches ihn beobachtete, und dabei selbst unsichtbar blieb.
Langsam erhob er sich von seinem Thron. Jemand war dort... jemand war in seine Hallen eingedrungen. Es war keiner der dreckigen Elben, da war Lunthák sich sicher. Nein, es war etwas Dunkleres. Er öffnete den Mund, um seinen Leibwächtern einen Befehl zu geben.
Im gleichen Moment ertönte ein entfernter Schrei, hoch und schrill. Seine Leibwachen zuckten zusammen. „Feiglinge!“ brüllte Lunthák wütend, „wenn das Madengezücht schreit, müsst ihr nicht in der Ecke kauern wie verschreckte Elbenweiber! Seid ihr Uruks oder Snaga?“
„Das war kein Ork!“ wagte einer der Orks einzuwenden, „die Maden quieken viel verschreckter, wenn man ihnen den Kopf abreißt!“
„Ausreden! Los, ihr Rattensöhne, geht und schaut, was da draußen los ist!“
„Wir...“ „Macht was ich euch sage, stinkendes Pack, oder ich schneid euch die Zungen raus!“
Lunthák richtete sich zu seiner vollen Größe auf, sodass er selbst die großen Uruks seiner Leibwache um einen Kopf überragte, und stieß den Ork, der gesprochen hatte, in Richtung Tür. Die Leibwächter rannten los, mehr ängstlich vor dem Zorn ihres Gebieters als vor einem entfernten Schrei. Sie öffneten das Tor des Thronsaals, schlossen es hinter sich und waren verschwunden.
Luntháks Zorn kochte. Er war leicht zu wecken, und sie hatten es gewagt, ihm zu widersprechen. Als der  große Ork bemerkte, dass die vier Bogenschützen immer noch auf dem Balkon standen, brüllte er nur ein einziges Wort: „RAUS!“
So schnell sie konnten, verschwanden auch diese Leibwächter durch die Türen hinter ihnen, wohin war Lunthák egal.

Ihm selbst war bewusst, dass der Schrei nicht von einem Ork gekommen war. Irgendetwas näherte sich, er konnte es spüren. Etwas, dass ihm nicht freundlich gesinnt war.
Von der Seite seines Thrones zog Lunthák seine Waffe hervor, ein großes, Zweihändiges Schwert, mit breiter, gerader Klinge, ohne Parierstange oder Spitze. Außerdem setzte er sich einen Helm aus geschwärztem Silberstahl auf. Ehemals war es ein Zwergenhelm gewesen, doch jetzt waren Symbole in einer dunklen Sprache eingraviert, und leuchteten in blutigem Rot. Der Helm komplettierte die nachtschwarze Rüstung aus Zwergenstahl, die Lunthák trug.
Zuletzt zog er einen schwarzen, kurzen Holzstab aus dem Thron, den niemand jemals von den Knochen unterscheiden können würde, ohne davon zu wissen. Das, was immer weiter in Richtung des Thronsaals Schritt, war alt. Alt und mächtig. Es war sicherlich älter als der Ork Lunthák, aber er selber war auch alt. Älter als die meisten Orks, und einiges mächtiger. Er spürte, dass ein Zauber den Eindringling umgab. Aber auch die Orks beherrschten Zauber.

Mit einem bedrohlichen Lächeln auf den Lippen zog Lunthák eine schwarze Linie hinter das große Tor, wobei sein Stab ihm als Werkzeug diente. Daneben zog er eine weitere Linie, etwas weniger gerade. Er musste sich beeilen. Dann hob er seinen Stab, hielt ihn eine Zeitlang über den Kopf, und warf ihn dann auf den Boden zwischen die Linien. „Ghâsh!“ zischte er, und der Stab brach in grelle Flammen aus, die sich rasch über den Markierten Bereich verteilten. Lunthák nahm sein ungeschlachtes Langschwert wieder zur Hand, und stellte sich hinter das Feuer. Er war bereit.

****************
Schließlich, nach einiger Zeit angespannten Wartens, spürte er etwas auf der anderen Seite des Tores. Eine gewaltige Macht schien daran zu rütteln, aber das Tor war fest verschlossen.
Erst geschah nichts mehr. Dann begann ein grünes Licht, unter dem Tor hindurchzufließen. Es schlängelte sich die silbernen Torflügel empor, und legte sich um den Riegel.
Plötzlich traf ein schwerer Schlag das Tor. Es verformte sich langsam, beulte sich aus, und brach schließlich in der Mitte. Der Riegel wurde aufgesprengt, und die Flügel schwangen weit auf.
Herein schritt eine Gestalt, gänzlich in schwarzen Stoff gehüllt. Sie strahlte Kälte aus, und in der Rechten funkelte ein scharfes Schwert. Mit der linken Hand hielt das Wesen einen Stab, aus dunkelbraunem Holz, etwa einen und einen halben Schritt lang, und mit einer schwarzen Stahlkugel am oberen Ende. Bei jedem Schritt der Kreatur klopfte die Spitze auf den Boden. Das Feuer, welches hoch und heiß brannte, schien der Gestalt auszuweichen. Die Flammen wichen zurück und erloschen teilweise, und bildeten so einen Durchgang. Ein kalter, schriller Schrei ertönte, als die Kreatur hindurch sprang.
Lunthák wartete nicht länger. Voller Kampfeslust stürzte er sich auf seinen Gegner, die Zähne gefletscht und das Schwert hoch erhoben. Die Klinge ging in einem todbringenden Bogen nieder, aber die schwarze Gestalt lenkte den Schlag mit einer leichten Bewegung ihrer einhändigen Klinge ab, und ging fließend zum Gegenschlag über.
Der Ork verließ sich auf seine Rüstung, und während das Schwert abprallte, rammte er dem Gegner die rechte Faust in den Magen.
Es war, als hätte er gegen eine Steinwand geschlagen. Erschrocken zuckte Lunthák zurück, als eine kalte Schockwelle durch seine Hand lief. Der schattenhafte Gegner machte einen Schritt vor, das Schwert in einer defensiven Haltung. Er wartete ab.
Lunthák versuchte, seine Wut zurückzuhalten, und begann, seinen Gegner zu umkreisen. Der jedoch blieb auf der Stelle stehen, und folgte dem Herrn von Moria nur mit den  funkelnden Augen unter seiner finsteren Kapuze, während er sich langsam drehte. Den Holzstab hielt er immer noch mit langen, in schwarzen Stoff gehüllten Fingern umklammert, das Schwert war starr auf Luntháks Gesicht gerichtet.
Schließlich hatte der Ork genug. Er stieß einen zornigen Schrei aus und griff an. Er zielte erst auf die Beine des Schattens, dann änderte den Hieb, um den Kopf abzuschlagen. Aber der Gegner wich erstaunlich schnell zurück, dann sprang er rasch vor und schlug nach den Füßen des Orks. Der sprang über die Klinge drüber, täuschte einen Hieb an, stach nach seinem Gegner – und stolperte ins Leere.
Dann traf ihn ein wuchtiger Schlag an der Schulter, und gleich darauf ein zweiter am Helm. Aber die Rüstung hielt stand. Wutentbrannt wirbelte er herum und versuchte seinen Gegner an der Schulter zu packen. Er war etwas größer als der schwarze Schatten, und sicherlich stärker.
Aber bevor er zugreifen konnte, rammte ihm die finstere Gestalt den Stab gegen den Kopf, mit der Kugel zuerst. Der Ork taumelte zurück, sein Schädel dröhnte. Er riss sein Schwert hoch, um den folgenden Schlag zu parieren, wurde jedoch von einem harten Treffer am Knie von den Beinen geholt. Während er niederstürzte, überkam ihn ein gewaltiges Gefühl von Niederlage.

Während seiner Zeit als der Herr von Moria hatte Lunthák jeden Gegner besiegt, jeden Ork, der ihn herausgefordert hatte, in seinen Platz verwiesen. Seine letzte Niederlage lag über ein Jahrtausend zurück! Und jetzt kam ein fremdes Wesen in seine Hallen, das nicht nur keine Rüstung trug, sondern auch sonst erbärmlich und zerbrechlich wirkte, und schickte ihn auf den Boden? Sollte er jetzt vernichtet werden, durch die Klinge eines solchen Abschaums?
Nein! Dies war der Tod einer unwürdigen Made!  Während sich die dunkle Kapuze seines Feindes in das Sichtfeld des Orkes schob, dunkel und bedrohlich, packte er sein Schwert fester. Er atmete tief die rauchige Luft ein. Das hier war seine Halle, das Herz seines Reiches! Weder Ork noch Mensch, Elb oder Zwerg, auch kein anderer Abschaum würde ihm seinen Thron nehmen!
Eine blitzende Klinge senkte sich langsam zu seinem Gesicht herab. Mit einem Gewaltigen Ausruf des Hasses auf den Lippen sprang der Herr von Moria vom Boden auf. Sein Langschwert fuhr durch die Luft, traf den Angreifer an der Seite, und fegte ihn beiseite.
Zwar schien er eine harte Rüstung zu tragen, denn das Schwert prallte zurück, aber es ertönte kein einziges Geräusch. Dann stieß sein Gegner einen schrillen Schrei aus, der in den Ohren schmerzte.
Aber nichts weiter geschah, bevor Luntháks Schwert erneut niederfuhr. Der Gegner parierte mit Stab und Schwert zugleich, aber er wurde zu Boden gerissen. Lunthák ließ seiner Wut freien Lauf, als er auf den Gegner einprügelte, ohne Rücksicht auf seine Deckung. Fünfmal schlug er zu, und fünfmal war es, als läge ein Stück Stahl vor ihm. Seine Schläge zeigten keine Wirkung! Dann, beim sechsten Treffer, gegen den Hinterkopf des Besiegten, gab es ein lautes, brechendes Geräusch. Das krude Schwert zerbarst in der Hand des Orks wie ein trockenes Stück Holz.
Der nutzlose Griff fiel ihm aus der Hand. Erschrocken und verblüfft stolperte Lunthák rückwärts. Wie konnte das sein? Das Schwert war mit mächtigen Zaubern der Orks belegt gewesen, um niemals zu zerbrechen!
Noch während er bewegungslos dastand, kam sein Gegner mühelos auf die Beine, Schwert und Stab immer noch fest in den Händen. Lunthák versuchte sich auf ihn zu stürzen und zog einen breiten Krummdolch, aber eine Bewegung am zerstörten Tor der Halle ließ ihn innehalten. Herein strömten Orks, in schwarzer Kleidung, mit großen Äxten und Bögen in den Händen. Sie waren alle hochgewachsen, und nicht aus Moria – das erkannte Lunthák sofort. Vermutlich waren es dreckige Maden aus dem Gefolge des Dinges, das vor ihm stand.
Immer mehr hatte der Herr von Moria das Gefühl, das ein Wesen vor ihm stand, das nicht von der Kraft eines Orks, selbst nicht von einem der wenigen Hexer unter ihnen, besiegt werden konnte.
Aber er war kein gewöhnlicher Ork! Er würde es noch einmal versuchen, bei Melkor dem großen!

Lunthák griff an. Der Dolch zielte auf die funkelnden Augen wie eine zustoßende Schlange. Aber plötzlich erstarrte sein ganzer Körper in der Bewegung! Aus dem Stab des Feindes flossen grüne Schlieren, wanden sich um seinen Körper, versuchten ihn zu ersticken, ihn zu zerdrücken.
Verfluchte Hexerei! Aber schon begann der Bann sich zu lockern, während Lunthák vor Anstrengung bebte. Bald würde er sich befreit haben. Und sein Gegner schien auch nur darauf zu warten – er steckte selbst sein Schwert weg! Wollte er ihn beleidigen?

Dann ließ die Kreatur auch den Stab los. Lunthák traute seinen Augen nicht, denn der Stab blieb einfach stehen, als würden unsichtbare Hände ihn halten. „Verdammt und Verflucht!“ zischte er in der Gemeinsprache zwischen zusammengebissenen Zähnen, „ich zermalme dich mit meinen bloßen Händen!“
Vom Gegner kam keine Reaktion, außer dass er in die Falten seines Umhangs griff. Als er seine Hand, es war die rechte, wieder hervorzog, hielt er einen goldenen Ring in den Fingern, besetzt mit einem einzelnen, grünen Edelstein. Kurz zögerte das dunkle Wesen, dann ließ es den Ring ruckartig über den Ringfinger seiner linken Hand gleiten.

Der triumphale Schrei, den es ausstieß, war betäubend, und zum vielleicht ersten Mal in seinem langen Leben empfand der Ork Lunthák Angst. Im gleichen Augenblick verschwand der Bannzauber, und der Herr von Moria stürzte auf den harten Steinboden. Er sprang sofort wieder auf, den Dolch immer noch fest gepackt, bereit, um sein Leben zu kämpfen – aber den magischen Schlag, der ihn dann traf und gegen den Wall seiner eigenen Halle schmetterte, hätten die wenigsten sterblichen Wesen überleben können.



SPRACHE DER ORKS
Ghâsh = Feuer



Only True Witchking:
Kapitel 9: Die Dunkelheit
16. Mai, 1396 V.Z.

Ein eiskalter Wind fegte durch den verschneiten Wald. Die Zweige der immergrünen Nadelbäume rauschten und knackten, während der Wind die Last des Schnees von ihnen abschüttelte.
Wie glitzernde Kristalle hingen Eiszapfen an den Stämmen und Ästen von grauen, blattlosen Baumskeletten. Der Ruf eines einsamen Vogels erklang.
Am Waldrand erschien ein dunkler Schatten. Mit leisen Flügelschlägen entfernten sich die wenigen Eulen aus dem Wald. Finsternis kroch um die Bäume, grüne und graue gleichermaßen, und sie knarrten bedrohlich.
Herein in den Wald ritt ein hochgewachsener Reiter auf einem schwarzen Pferd. Er selber trug eine schwarze Kutte dicht um sich gewickelt, ein Schwert war an seinem Gürtel befestigt. Die Kälte schien weder Tier noch Reiter etwas auszumachen, als sie den Weg entlangtrabten. Überall wo sie liefen, schien der Wind abzuflauen, die Bäume zu schweigen und der Schnee zu gefrieren. Das Pferd sank nicht einen Fingerbreit in die lockere Schneedecke ein.
Aus der Dunkelheit unter der Kapuze des Reiters beobachteten zwei kalt glitzernde Augen die Umgebung. Unter den Bäumen schien nichts als Schnee und Eis zu sein, doch mit einem Sinn, der weit über die Kräfte des Hörens und Sehens hinausging, spürte der Reiter die Anwesenheit vieler Kreaturen. Sie entzogen sich jedem Auge, doch die kriechende Dunkelheit hielt auf sie zu, versuchte sie zu fassen und zu enthüllen. Aber sie waren zu schnell, verschwanden in Bäumen und verschmolzen mit dem Boden, so dass selbst der schwarze Reiter nicht mehr erkennen konnte, wo sie sich befanden. Aber er war nicht hierhergekommen, um die Wächter des Waldes herauszufordern.

Das Pferd hielt an. Der Reiter stieg ab, während das kalte Licht des beginnenden Morgens unter die Bäume zurückkehrte. Seine linke Hand ruhte auf dem Knauf seines Schwertes, die andere war unter dem schwarzen Mantel verborgen. Obwohl er Stiefel trug, schwarz und schwer, blieb der Schnee unter den Sohlen wie unberührt. Die dunkle Gestalt schritt zwischen zwei Baumriesen hindurch, die nun kalt und leblos waren, auch wenn sie früher vielleicht ausladende Blätterkronen getragen hatten.
Dahinter lag eine kleine, fast Kreisrunde Lichtung und darauf ein großer Stein, beinahe vollständig zugeschneit. Nur seine schwarze Spitze ragte aus der Schneedecke wie ein abgebrochener Zahn.

Der schwarze Krieger trat lautlos bis an den Monolithen heran, wo er niederkniete. Mit der rechten Hand schob er etwas Schnee von der Spitze herab, und enthüllte so eine verschlungene Rune, die in einem fahlen, weißen Licht leuchtete. Dann zog er sein Schwert und stieß es neben dem Stein in den Schnee, bevor er beide Hände auf die Rune legte. Zischend stieß er ein Wort aus einer uralten Sprache aus. Nachdem er seine Hände wieder hob, war das Leuchten der Rune ein kränkliches Grün.
Langsam begann der Schnee auf der Lichtung zu schmelzen, ausgehend von dem Stein in der Mitte. 

Die dunkle Gestalt zog einen schmalen goldenen Ring aus seiner Kleidung und legte ihn auf die Rune; der schwarze Stein, welcher den Ring verzierte, glitzerte gefährlich.
Das Licht der Rune schien das Schmuckstück zu umhüllen, und kurz blitzte der Stein grünlich auf.

Dann zog sich der Hexenkönig den Ring über den Finger.

Der Wind heulte auf. Schneemassen wurden durch die Luft gewirbelt und tanzten über die Lichtung, bis eine Welle aus weißem Feuer vom Herrn der Nazgûl ausging und den Schnee im Umkreis verdampfen ließ. Die Bäume am Rande der Lichtung wurden schwarz verkohlt.

Sofort  spürte er die Anwesenheit der Geister des Waldes. Er konnte ihre Gedanken sehen, Erinnerungen an ihre Zeit als Menschen, und dann die Dunkelheit, die sie zu dem machte, was sie waren. Wie ein endloses Echo hallte ein Name in seinem unsterblichen Geist: Morrûth...
Aber sie interessierten ihn wenig. Er ließ ihre Gedanken im Hintergrund verschwinden, und einer nach dem anderen konnte er SIE spüren, deren Gedanken sich mit seinen vereinten.

Der erste war Akhôrahil, der seinen Ring bereits trug. Der Blinde Hexer von Númenor, der sein Augenlicht schon im Leben verloren hatte, und der freiwillig zu Annatar gekommen war, obwohl er als einziger der Acht ahnte, was geschehen würde. Er hatte als Khamûls Statthalter in Dol Guldur geherrscht, vor langen Jahren. Nun würde er Herr von Moria sein.

Ji Indûr, die schwarze Schlange, war der Zweite. Der alte König von Harad, den die Unsterblichkeit und neue Kraft mit der Klinge gelockt hatten. Er hatte den Ring als Letzter getragen, doch er war schneller dessen Macht gefolgt als alle anderen außer Khamûl, und so war er der dritte Nazgûl geworden.

Als nächster setzte Angamarth den Ring auf, der größte Krieger der Menschen von Angmar. Warum er den Ring genommen hatte, wusste Sauron allein. Als einziger der acht war er mit ihm nach Angmar gegangen, und in der Schlacht von Fornost hätte er den Elbenfürsten Glorfindel beinahe getötet. Doch der Abschaum hatte gesiegt, und für lange Zeit war Angamarth nur ein Schatten gewesen, bis er neue Gestalt annehmen konnte.

Es folgten Adûnaphel, der stumme Schatten, einst Heerführer von Tar-Ciryatan; und Hoarmûrath, Wächter von Nurn. Lange hatte er sich der Macht von Barad-dûr widersetzt, doch schließlich war der Herr von Mordor ihm in Verkleidung erschienen, und wie alle anderen hatte er der Verlockung nicht standhalten können.

Ein großer Schmerz legte sich über das gemeinsame Bewusstsein der sechs Nazgûl, als Ren den Ring überstreifte, der mächtigste Fürst von Khand, den der dunkle Herrscher verflucht hatte, ewig zu leiden für seinen Verrat, nachdem er den Ring genommen hatte.
Ûvatha, sein Bruder, der schnellste Reiter des Ostens, hatte ihn aufgehalten, und sein Lohn war der sechste Ring gewesen.

Khamûl setzte seinen Ring zuletzt auf, einst goldener König von Rhûn, später der schwarze Schatten aus Dol Guldur, der gewaltigste Herrscher unter den Menschen außer Ar-Pharazôn selbst.

Für einen Moment verschmolzen alle Neun zu einem einzigen Bewusstsein, als sie zum ersten Mal nach ihrem Aufstieg zur Unsterblichkeit ihre Ringe trugen. Dann erteilte der Hexenkönig seine Befehle. Lange hatte er den Plan geschmiedet, und nun war der Hammer bereit, alle Feinde des Höchsten Herrn zu zermalmen. Kaum waren alle Anweisungen erfolgt, beendete der Herr der Nazgûl seinen Zauber.

Auf der Lichtung, wo unter geschmolzenem Schnee das Fundament einer Turmruine schwach zu erkennen war, stand allein der König von Angmar, einen goldenen Ring am Finger, und als er seine Kapuze zurückschlug, strahlte der blaue Edelstein seiner Krone so kalt wie die Augen in seinem unsichtbaren Antlitz.

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