Valion, Serelloth, Ta-er und Rinheryn aus LinhirDank der Führung durch Ta-er as-Safar kam dieaus fünfundzwanzig Menschen bestehende Gruppe rasch und ungesehen voran, obwohl sie sich in feindlichem Gebiet befand. Nahe der Furten des Gilrain, wo man Hilgorn gefangen genommen hatte, ließ Valion sieben Soldaten zurück, deren Auftrag es war, den Flussübergang im Auge zu behalten und für eine hastige Flucht nach Westen freizuhalten, falls die Befreiungsaktion im Tal des Celos schiefging. Die Wahrscheinlichkeit dafür war nicht gerade gering, denn inzwischen wussten die Gondorer, wer ihren General gefangen genommen hatte: Arnakhôr, der grausame Kommandant aller Streitkräfte Mordors zwischen Gilrain und Anduin, dem ein übler Ruf vorauseilte. Valion wusste, dass dann wohl auch Arnakhôrs persönlicher Vollstrecker Balkazîr - der Mörder seines Vaters - nicht weit sein konnte. Es war Balkazîr gewesen, der die Waldläufer aus Ithilien vertrieben hatte und der Valion in Minas Tirith verwundet hatte. Wenn sich bei der Befreiung Hilgorns eine Gelegenheit zur Vergeltung bot, hatte Valion nicht vor, sie auszulassen.
Dem Lauf des Celos, einem Seitenfluss des Gilrains folgend kamen sie durch unwegsames Gelände rasch in die höher gelegenen Gebirgstäler des Weißen Gebirges. Als der felsige Boden immer unsteter wurde waren sie schließlich gezwungen, die Pferde zurückzulassen. Valion stellte acht Soldaten zu ihrer Bewachung ab, sodass sie nun nur noch zu zehnt waren. Geführt von Ta-er, die sich einem Schatten gleich durch die mondlose Nacht bewegte, legten sie den Rest des Weges zu den Steinbrüchen zurück, in denen Hilgorn gefangen gehalten wurde. Als sie in der Ferne die ersten rötlichen Lichter sahen, gebot die haradische Assassine ihnen mit einem Fingerzeig Halt.
"Wie gehen wir vor?" fragte Rinheryn leise. "Schleichen wir uns direkt ins Zentrum des Steinbruches?"
Serelloth schüttelte den Kopf. "Das ist kein Überfall, sondern eine Rettungsmission," erklärte das Mädchen. "Wenn wir einen Kampf vermeiden können, sollten wir das tun."
"Wisst ihr, wo sie Hilgorn festhalten?" wollte Valion wissen.
"Tagsüber arbeiten alle Gefangenen im Steinbruch," sagte Ta-er as-Safar. "Abends verteilen die Aufseher sie in mehreren Zelten, die gut bewacht werden. Wenn wir uns ihnen nähern wollen, werden wir eine Ablenkung brauchen."
"Dafür kann ich sorgen," bot Rinheryn an. "Ich werde östlich des Lagers ein Feuer legen. Das sollte ihre Aufmerksamkeit erregen."
"Unterschätze diesen Feind nicht," warnte die Assassine. "Ich bin ihm noch nicht selbst entgegen getreten, doch ich spüre, dass eine einfache Ablenkung nicht genügen wird. Vielleicht werden einige der Wachen den Flammen folgen, wenn wir Glück haben. Wenn du sie siehst, dann laufe. Kämpfe nicht gegen sie. Hast du verstanden?"
"Ich bin schnell," sagte Rinya zuversichtlich. "Sie werden mich nicht kriegen."
"Das Feuer wird also vielleicht einige der Wachen ablenken, aber nicht alle?" fragte Valion.
"Wir müssen es einfach versuchen," meinte Serelloth. "Je länger wir trödeln, desto schwieriger wird die Befreiung werden."
"Wartet einen Augenblick. Ich werde voraus gehen und mich etwas umsehen," entschied Ta-er. Sie schien bis jetzt mit sich gerungen zu haben, aber inzwischen eine Entscheidung getroffen zu haben. Die Assassine stand auf und verschwand lautlos zwischen den Büschen, die ringsum wuchsen.
Kaum eine halbe Stunde verging, bis Ta-er zurückkehrte. "Ich habe drei ihrer Zelte durchsucht. Sie sind voller Gefangener, doch euer General ist nicht darunter. Etwas stimmt nicht," fügte sie leise hinzu. "Es sind viel weniger Wachen im Lager als beim letzen Mal. Der feindliche Kommandant scheint ebenfalls nicht hier zu sein."
"Worauf warten wir dann noch?" fragte Rinheryn. "Wir haben ganz einfach Glück. Wahrscheinlich ist der Feind zu einem Raubzug ausgezogen. Die perfekte Gelegenheit."
Ta-er zögerte. Valion hingegen war der Meinung, dass sie lange genug abgewartet hatte. "Los, Rinya. Lenke sie mit dem Feuer ab. Wir gehen rein."
"Also gut," sagte Ta-er. "Dann sei es so. Ab jetzt kein Wort mehr, ehe wir nicht wieder hier sind. Geht!"
Rinheryn kroch hastig davon, um das Lager nach Osten hin zu umrunden. Zwei Soldaten folgten ihr so leise sie es vermochten. Der Rest der Gruppe pirschte sich Schritt für Schritt an das Licht heran, das vom feindlichen Lager im Zentrum des Steinbruches ausging. Große, schwarze Zelte standen dort, fünf an der Zahl. Valion schätzte, dass jedes mindestens dreißig Gefangene beherbergen konnte.
Als sie bis auf Hörweite herangekommen waren, leuchtete im Osten ein feuriger Blitz auf und Rufe wurden laut. Rinheryn hatte offenbar einen vertrocketen Baum einen Steinwurf vom Lager entfernt in Brand gesetzt, was mehrere der Wachen angelockt hatte.
Ta-er gab ihnen unmissverständlich zu verstehen, dass jetzt die Zeit zum Zuschlagen gekommen war. Sie deutete auf die beiden Zelte, die sie noch nicht selbst durchsucht hatte. Dann sprintete sie los, wie ein schwarzer Pfeil, der durch die Nacht fliegt. Valion und Serelloth sprangen ebenfalls auf und nahmen sich das letzte Zelt auf der Westseite vor. Als sie es vorsichtig umrundeten, kam ihnen ohne Vorwarnung ein feindlicher Krieger in schwarzer Rüstung entgegen.
Valion handelte, ohne zu zögern. Sein Schwert sprang mit einem Flirren hervor und sauste auf den Kopf des Feindes zu. Doch dieser stoppte den Angriff mit ungeahnter Reaktionsschnelligkeit und hielt die Klinge mit seinem Panzerhandschuh auf. Er trug keinen Helm, doch erst als flackernders Flammenlicht auf sein Gesicht fiel, erkannte Valion seinen Gegenüber.
"Hilgorn?" entfuhr es ihm voller Überraschung.
"Sieh mal einer an," sagte Serelloth neben ihm und grinste. "Meinen Glückwunsch, General. Ihr werdet gerade gerettet. Bitte leistet keinen Widerstand, in Ordnung?"
Es dauerte einen Augenblick, doch dann gelang es Valion und Serelloth, den nicht sonderlich überrascht wirkenden Hilgorn mit sich zu zerren. Der General sagte kein Wort, bis sie schließlich in einigem Abstand zu den Zelten zwischen zwei Büschen zum Halten kamen. Nach und nach tauchten auch die anderen Soldaten Gondors auf, die auf Valions Befehl im Lager auf der Suche nach Hilgorn ausgeschwärmt waren.
“Wir haben den feindlichen Kommandant gesehen,” sagte einer von ihnen, ein junger Rekrut aus den Pinnath Gelin, der wegen seiner Fähigkeiten als Spurenleser für die Rettungsmission ausgewählt worden war. “Und... er hat uns ebenfalls bemerkt.”
„Das ist schlecht,“ stellte Serelloth unnötigerweise fest.
„Was hat er getan?“ fragte Valion hastig.
„Nun,
hír, das ist das Merkwürdige daran... er hat direkt zu uns hinübergesehen, aber dann...
nichts getan. Er erteilte seinem Untergebenen, einem zweiten Schwarzen Númenorer, einige Befehle, doch unsere Anwesenheit schien ihn nicht weiter zu stören.“
„Was hat das zu bedeuten?“ fragte ein anderer Soldat.
„Ich weiß es nicht, aber es gefällt mir nicht im Geringsten,“ meinte Valion. „Doch wir haben jetzt keine Zeit, uns darüber Gedanken zu machen. Wir haben, was wir wollten. Wenn Rinheryn und ihre Leute nicht in drei Minuten hier sind, brechen wir auf. Wir treffen uns dann bei den Pferden mit ihnen.“
Sie warteten die drei Minuten voller Anspannung ab. Als es noch immer kein Zeichen von Rinya gab, atmete Valion tief durch und befahl: „Also gut. Verschwinden wir von hier.“
Alle setzten sich in Bewegung - bis auf Hilgorn. Wie gebannt starrte der General zurück auf den Steinbruch, in dessen östlichem Teil noch immer Flammen wüteten. Dabei murmelte er etwas, das nach
“unvermeidlich” klang, bis Valion die Geduld verlor und Hilgorn kurzerhand am Arm packte und so lange in Richtung des Verstecks mit den Pferden zerrte, bis dieser schließlich den Blick abwandte und Valion aus eigenem Antrieb folgte. Valion kam das Ganze reichlich merkwürdig vor, doch er beschloss, sich jetzt keine Gedanken darüber zu machen.
Muss wohl eine Nachwirkung der Folter sein,, sagte er sich.
Das werden sich die Heiler in Linhir in Ruhe ansehen müssen.Rinheryns Gruppe erwartete sie bereits, als sie den Treffpunkt erreichten. Zwei Soldaten fehlten - sie waren beim Versuch, Feuer zu legen, von Orks entdeckt und getötet worden. Valion fluchte, denn entgegen seinen Erwartungen hatte er darauf gehofft, alle fünfundzwanzig Gondorer, die ihm von Linhir ins Tal des Celos gefolgt waren, heil wieder zurückzubringen. Doch dies war noch immer ein Krieg, und ihm Krieg gab es nun einmal Verluste, die man hinnehmen musste.
Als Letzte von allen traft Ta-er as-Safar bei der Gruppe ein. Sie sagte kein Wort, und ihr Blick zeugte von nachdenklicher Wachsamkeit. Ihre beiden langen, leicht gebogenen Schwerter waren mit schwarzen Blut verschmiert, welches die Assassinin mit einem dunkeln Tuch sorgfältig von den Klingen entfernte.
„Gut, wir sind nun alle hier,“ sagte Valion, nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie nicht verfolgt worden waren. „Wir haben unser Ziel erreicht. Der General ist frei. Feiern werden wir das erst, wenn wir wieder sicher hinter den Mauern Linhirs sitzen. Aber eines kann ich euch jetzt schon versprechen: Die erste Runde - und alle, die an jenem Abend noch folgen mögen - geht auf mich!“
Niemand traute sich, laut zu jubeln - dazu waren sie noch zu nahe am feindlichen Lager. Selbst Rinheryn, die sehr zufrieden mich sich selbst dreinblickte, beschränkte sich darauf, die geballte Faust in den Himmel zu recken. Doch Valion wusste, dass ihn die Soldaten sein Versprechen nicht vergessen lassen würden.
„Auf die Pferde,“ befahl er. „Sehen wir zu, dass wir zu den Gilrain-Furten kommen, ehe es sich unsere Feinde mit einer Verfolgung noch einmal anders überlegen.“
Ja, sie waren erfolgreich gewesen, und Hilgorn war wieder frei - doch ein schaler Beigeschmack blieb. Die Befreiung war beinahe
zu einfach gewesen. Valion wurde das Gefühl nicht los, dass man sie hatte gehen lassen.
Doch zu welchem Zweck? fragte er sich, während der Trupp nach Westen das Tal hinab galoppierte. Er fand keine Antwort darauf.
Hilgorn, Valion, Serelloth, Ta-er und Rinheryn nach Lebennin